Gilmenels Geschichte

Gilmenel

Rare-Mob
Mitglied seit
22.09.2009
Beiträge
110
Reaktionspunkte
0
Liebe Wesen aller Arten und Rassen,

lange habe ich mit mir gehadert, ob ich euch meine Geschichte erzählen soll.
Aber da es euch eventuell interessiert, was jemanden in den gefahrvollen Gefilden zustoßen
kann, fasse ich mir heute ein Herz und werde hier mit meiner Geschichte beginnen.
Es ist eine lange Reise, die ich erzähle. Manchen mag sie phantastisch oder gar
unglaubwürdig erscheinen, aber vieles ist möglich, wenn man sich nur die Freiheit nimmt.
Solltet ihr wünschen mir eure Meinung kund zu tun, so möget ihr bitte
dazu den Eintrag Gilmenels Geschichte Feedback nutzen.
Die Geschichte soll hier ununterbrochen erzählt werden.

Ich wünsche euch viel Freude an der Geschichte meines Lebens,
Gilmenel.

OOC:
Dies ist eine frei erfundene Geschichte aus dem Bereich Fanart.
Sie ist nicht für kommerzielle Zwecke gedacht.
Eine Verbreitung jenseits des Buffed.de RPG Forums ist NICHT zulässig.
Eventuelle Ansprüche von Rechteinhabern bleiben unberührt.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
1. Die Hüterin und der Fremde

Die Sterne glänzten bereits hell am dunkelblauen Himmel.
‚Es wird eine besondere Nacht werden, die wie geschaffen ist für so ein bedeutsames Fest.’, dachte sie voll Vorfreude.
Die Luft war lau, und sie genoss den Spaziergang am Strand. Sie tanzte und sang vergnügt über den schneeweißen Strand. Ihre Füße berührten ihn dabei kaum. Aus Richtung der Siedlung sah sie drei Gestalten auf sie zukommen. Aber die fliegenden weißen Roben ließen schon von weiten erkennen, dass es sich um Schwestern ihres Ordens handeln musste. So tanzte sie unbesorgt weiter den Strand entlang.
„Eärdaliene! Eärdaliene, warte!“, kam es aus Richtung der drei sich rasch nähernden Elbinnen. Sie hielt kurz inne und tanzte behände auf der Stelle. Ihre weiße Robe flatterte in der sanften Brise, die vom Meer herankam. Die Drei hatten sie nun fast erreicht.
„Eärdaliene, wo bleibst du? Die Matrone hat uns geschickt um dich zu suchen. Die Feierlichkeiten beginnen bald.“, drängte sie eine der drei.
„Gwäedaliene, es sind doch noch mindestens vier Stunden bis zum Beginn der Zeremonie.“ sagte sie ruhig.
‚Aber die Matrone ist wohl schon wieder ungeduldig.’, dachte sie insgeheim.
„Gut, dann lasst uns zurückkehren.“, sagte sie zu den Drei.
Die vier Elbinnen tanzten nun gemeinsam den Strand hinauf zu dem kleinen Pfad, der oberhalb des Strandes zur Siedlung führte. Rasch erreichten sie diesen und kamen in Windeseile zurück zum heiligen Hain kurz vor der Siedlung, wo sie die Matrone der Hüterinnen bereits erwartete.
„Eärdaliene, du verhältst dich wie immer sehr unelbenhaft.“, rügte sie die Matrone, „Du bist eine Hüterin des heiligen Hains und kein tanzender Irrwisch.“
Eärdaliene schaute die Matrone mit ihren großen dunklen und geheimnisvollen Augen an, ein sanftes Lächeln spielte über ihre schmalen Lippen und ihr makellose Gesicht, dem die Zeit nichts anhaben konnte. Sie summte eine kleine Melodie. Sie wusste, dass dies auch dieses Mal nicht die Wirkung auf die Matrone verfehlen würde. Sie hatte schon oft bemerkt, dass ihre Musik jeden beruhigen konnte. Sie sah darin aber keine Besonderheit.
„Nun gut.“, sagte die Matrone auch erwartungsgemäß, „Es ist ja noch rechtzeitig. So fangt nun an mit den Vorbereitungen für das eine Lied zum Andenken an den einen Tag des Zorns, der Trauer und Freude. Die Zeremonie heute wird großartig.“
‚Was ist nicht großartig, hier so nahe bei Aman?’, dachte Eärdaliene, ‚Das gesegnete Land der Valar ist nicht weit von unseren fünf Inseln entfernt. Der Segen Erus ist hier noch spürbar. Hier kann es gar nicht anders sein.’
„Sie wird in der Tat großartig.“, sagte sie.
Heute durfte Sie die letzte Strophe des einen Liedes singen, Es war die höchste Ehre in ihrem Orden. Doch mit ihren Gedanken war sie noch immer am Strand.


In mancher Stunde, die sie alleine tanzend und singend am Strand verbracht hatte, träumte Eärdaliene von Abwechslung. Auf ihrer Insel erschien ihr alles sehr langweilig, noch dazu da sie als Teleri die Unsterblichkeit aller Eldar besaß.
Allzu gerne wäre sie einmal in ferne Lande aufgebrochen, und über die graue See zu fremden Gestaden gesegelt. Doch immer wenn sie wehmütig auf das Meer blickte wusste sie auch, dass dies ist ein Wunsch ist, der wohl nie in Erfüllung gehen würde. Die Schiffe ihres Volkes waren von einzigartiger Schönheit, und die Teleri waren große Seefahrer. Aber auf Ulmos uraltes Geheiß durften sie damit von hier nur für die Fahrt nach Alqualondë, der großen Hafenhauptstadt der Teleri in Aman, in See stechen, aber selbst das kam nie vor. Die Königin der Inseln verbot jede Fahrt, die von den Inseln wegführte.
Eärdaliene nickte der Matrone kurz zu und machte sich auf den Weg in die große Versammlungshalle. Es waren noch zwei Stunden zum Beginn der Zeremonie. Eärdaliene wusste, dass keine großen Vorbereitungen mehr gemacht werden mussten. Die Sängerinnen und der Chor hatten unter der gestrengen Leitung der Dirigentin das Lied unendliche Male geprobt. Jeder Mitwirkenden war das eine Lied seit Zeitaltern bekannt. Die Eldar kannten keine zeitlichen Grenzen ihre Fähigkeiten zu vervollkommnen.
Die Zeremonie begann in der Tat großartiger als je zuvor. Die Sterne Elbereths strahlten silbern um die Wette auf dem samtschwarzen Firmament. Die Luft war klar und rein. Das eine Lied erklang in all seinen Harmonien und erfühlte alles was lebte mit einem tiefen erfüllten Frieden. Es war bereits die letzte Strophe erreicht, als plötzlich ein grüner Lichtblitz gefolgt von einem tiefen Grollen über das Meer kam. Die Elben der Siedlung lauschten alle nur dem einen Lied. Es hatte so sehr von ihnen Besitz ergriffen, dass sie alle in eine tiefe Trance versetzt waren. Sie bemerkten das außergewöhnliche Ereignis nicht.


Eärdaliene erschrak als sie am nächsten Tag wieder an der Küste entlang tanzte. Der Strand vor ihr war verwüstet. Wo dieser gestern noch sanft zum Waldrand hin anstieg, war er heute in großen Hügeln, wie Wellen aus Sand geformt. Allerlei Treibgut, dass normalerweise nie die Küste erreichte, lies den Strand noch verwüsteter erscheinen.
Nach ihrer anfänglichen Schrecken setzte sie ihren Tanz in Richtung der Sandhügel fort. Ihre Neugier hatte über die Furcht gesiegt. Schließlich war hier endlich etwas Ungewöhnliches.
‚Bis die anderen die Veränderung am Strand entdecken, habe ich genügend Zeit selbst zu forschen.’, dachte sie aufgeregt. Sie wusste, dass die anderen Elben den Strand jenseits des Hains meistens mieden. Sorgsam achtete sie darauf nichts von dem Treibgut zu berühren.
Sie sah Muscheln, Treibholz, Tang und manch unglücklichen Fisch. Alles was ein Fischer auch an Land bringen konnte. Doch einen Grund für das Alles fand sie nicht. Sie dachte an eine Vielzahl von Erklärungen. In ihrer Phantasie lies sie die wildesten Ungeheuer der Meere gegeneinander kämpfen, als sie hinter einem Baumstamm einen Stiefel erblickte. Er war anders als die hier gebräuchlichen Elbenstiefel. Sie hielt inne. Sie erklomm den nächstliegenden Sandhügel. Dadurch kam sie dem Stiefel, und was immer damit verbunden war nicht zu nahe, konnte aber über den Baumstamm schauen, der ihr die Sicht nahm.
Von Tang und Sand bedeckt lag ein Körper hinter dem Baumstamm. Eärdaliene blieb lange regungslos stehen, aber das Wesen bewegte sich nicht. Sie ging zögerlich näher, bis sie nur noch wenige Schritte entfernt war. Sie wusste momentan nicht ob ihre Neugierde oder Furcht größer war. Sie blieb bereit sofort zu fliehen, was immer geschehen mochte.
‚Es wäre vielleicht klüger Hilfe aus der Siedlung zu holen.’, dachte sie. Aber sie wusste genau, dass sie dann keine Chance hätte mehr zu erfahren. Sofort würde sich der Magistrat darum kümmern und den Strand von Wachen absperren lassen. Ihre Neugierde siegte.
Das Wesen hatte die Gestalt und Größe eines Elbs oder Menschen. Es schien auch nicht stärker als diese zu sein. Sein Kopf war unter einem großen Tangblatt verborgen. Seine Kleidung war zerrissen, musste aber einst würdevoll und nobel gewesen sein. Sie unterschied sich von ihrem weißen und grauen Elbengewand durch eine ungewöhnliche Farblichkeit in vielen Rottönen und zahlreichen golden schimmernden Stickereien.


Langsam näherte sie sich dem Wesen weiter. Sie konnte nun schon nach dem Tangblatt am Kopf greifen, aber sie zögerte noch. Das Wesen bewegte sich nicht. Sie summte ein aufmunterndes Lied für sich und entfernte mit einem raschen Griff das Blatt. Sie erschrak.
Es war kein Mensch, wie sie aufgrund der Gestalt und der unelbenhaften Gewandung vermutet hatte. Das Gesicht des Wesens war elbenhaft schön. Die Haare fein und schimmernd wie Mithril. Aber da waren auch Unterschiede zu einem Elb. Lange spitze Augenbrauen von silbernem Haar zierten das Gesicht des Fremden, wie sie kein Elb haben konnte. Doch das Auffallenste waren seine Ohren. Diese waren lang und spitz nach oben gerichtet und überragten den Kopf noch mal um dessen Hälfe. Zahlreiche Wunden bedeckten den Körper des Fremden. Eärdaliene brachte ihren gesamten Mut auf und zupfte sanft an einem Ärmel seiner Robe. Ein kurzes Stöhnen des Fremden lies sie rasch zurückweichen. Er schlug seine Augen auf. Sie leuchteten bläulich.
‚Sie sehen sehr forschend aus.’, dachte sie. Der Fremde sprach mühevoll einige Worte, die sie nicht verstand.
„Keine Angst. Dir geschieht nichts.“, sagte sie mit sanfter beruhigender Stimme, und begann ein Lied zu singen. Es war ein Lied der Heilung und des Schlafes, das sie vor langer Zeit im Orden gelernt hatte, aber noch nie gesungen hatte, da es den Elben sehr selten nach Heilung oder Schlaf ist, weil sie nur durch Gewalt oder Kummer zugrunde gehen können. Der Fremde schaute sie mit seinen großen Augen überrascht an, und schloss sie mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. Es zog sie in seinen Bann.
Eärdaliene war überrascht. Mit einer solchen Wirkung ihres Liedes hätte sie nicht gerechnet, aber vermutlich war der Fremde wegen seiner schweren Verwundungen nur zu schwach. Langsam kam ihr in den Sinn, dass sie nun doch Hilfe aus der Siedlung holen musste. Sie suchte sich ihren Weg durch den verwüsteten Strand in Richtung des kleinen Pfades, der am Waldrand entlang zur Siedlung führte.
In der Siedlung angelangt überlegte sie kurz, ob sie ihren Fund der Matrone oder dem Magistrat melden sollte. Die Matrone würde ihr wohl nicht glauben, oder die Sache als unbedeutend für den Orden abtun. Deshalb beschloss sie sofort zum Magistrat zu gehen. Um die Verärgerung der Matrone übergangen worden zu sein, würde sie sich später kümmern.

„Langsam, Eärdaliene.“, forderte sie ein Magistrat auf. Er war noch etwas ungehalten darüber, dass sie eine Magistratssitzung unangemeldet unterbrochen hatte, „Was hast du wo gefunden?“
„Der Strand auf der Seite des heiligen Hains ist verwüstet.“, antwortete sie ungeduldig.
„Hier bei uns? Wer würde hier unser Land verwüsten?“, fragte er ungläubig.
„Das weis ich nicht. Kommt und schaut es euch selbst an. Aber wir müssen erst dem Fremden helfen.“, antwortete sie drängend.
„Ein Fremder? Hier?“, sagte der Magistrat nun plötzlich sehr aufmerksam.
„Ja. Es ist kein Mensch oder Elb. Aber er lebt. Noch! Wir müssen rasch handeln. Er ist schwer verletzt.“, sorgte sie sich.
„Woher wissen wir, dass er kein Feind ist?“ fragte ein anderes Magistratsmitglied.
Der oberste Magistrat erhob sich. Bis jetzt hatte er geschwiegen. Sofort verstummten alle.
„Elben! Hier ist etwas Ungewöhnliches geschehen. Wir müssen dies untersuchen, um festzustellen, was passiert ist, und ob es eine Gefahr für uns darstellt. Eärdaliene führe uns zu dem Fremden.“, befahl er mit der ganzen Würde seines Amtes.
Eärdaliene fühlte sich geehrt.
‚Gestern die letzte Strophe und heute darf ich den Magistrat führen.’, dachte sie mit Stolz.
Sie führte den gesamten Magistrat und noch einige herbeigerufene bewaffnete Elbenwachen den kleinen Pfad entlang. Sie bog an der Stelle Richtung Strand ab, die dem Fremden am nächsten war. Die Verwüstung des Strandes erstaunte alle sichtlich. Es wurde kaum ein Wort gewechselt.
Der Fremde lag immer noch so, wie ihn Eärdaliene verlassen hatte, und schlief lächelnd. Der oberste Magistrat näherte sich dem Fremden in Begleitung von zwei Wachen.
„Weckt ihn!“, befahl er diesen.
Eine Wache klopfte den Fremden mit ihrem Bogen sehr unsanft auf dessen Schulter. Er rührte sich nicht. Sie versuchte es ein zweites und drittes Mal.
„Er scheint fest zu schlafen, aber am Leben zu sein.“, berichtete die Wache dem obersten Magistrat.
„Wie kann er so fest schlafen?“, wunderte sich der Magistrat.
„Ich habe ihm ein Lied der Heilung und des Schlafes gesungen.“, platzte es aus Eärdaliene heraus, ohne dass sie angesprochen worden wäre.
„Es hat wirklich eine sehr starke Wirkung.“, grübelte der oberste Magistrat nachdenklich, „Aber so geht keine Gefahr von ihm aus. Ich denke das Beste wird sein ihn in die Obhut des heiligen Haines zu geben, bis er in der Lage ist unsere Fragen zu beantworten.“
Der oberste Magistrat wandte sich Eärdaliene zu. Er lächelte als er ihren verträumten Blick sah, der dem Fremden galt.
„Nachdem du ihn entdeckt hast, und auch offensichtlich um sein Wohl besorgt bist, kümmere dich bitte um seine Pflege.“, bat er die Hüterin, „Eine Wache wird mit dir bei dem Fremden sein, um dich bei Gefahr zu schützen.“
‚Das wird der Matrone sicherlich nicht gefallen.’, dachte sie nicht ohne innere Genugtuung. Zum obersten Magistrat sagte sie, „Ja, ich werde mein Bestes geben.“
Eine Wache fertigte aus Ästen und umherliegenden Treibgut eine improvisierte Trage an. Sie legte den Fremden darauf.
Als sie wieder beim kleinen Pfad angelangt waren, befahl der oberste Magistrat, einigen Wachen den verwüsteten Teil des Strandes zu bewachen und nach weiteren Besonderheiten abzusuchen.
‚Schade’, dachte Eärdaliene, ‚nun kann ich hier nicht weiter nachforschen, was der Grund für die Verwüstung war.’


Als sie sich den heiligen Hain näherten, kam ihnen bereits die Matrone mit ihrem Gefolge entgegen. Sie schaute am obersten Magistrat geradewegs vorbei und warf Eärdaliene einen sehr ernsten Blick zu. Der Magistrat bemerkte den kurzen und heftigen Blickwechsel sofort.
„Ich grüße dich, Matrone Oboëlindë. Deine Ordensschwester hat unserer Gemeinschaft einen großen Dienst erwiesen, als sie uns auf eine mögliche Gefahr für uns hinwies.“, sprach der oberste Magistrat mit würdevoller Stimme, „Wir bringen dir hier einen Fremden. Der Wunsch des Magistrats ist, dass dieser durch Eärdaliene gepflegt wird, bis er uns Rede und Antwort zu seinem Erscheinen an unserer Küste und die Verwüstungen dort geben kann. Ich bin sicher der Orden ist sich der Wichtigkeit dieser Aufgabe bewusst. Für die Bewachung des Fremden wird der Magistrat Sorge tragen.“
‚Ich bin scheinbar nicht die Einzige mit der die Matrone ihre Differenzen hat.’, freute sich Eärdaliene ob der deutlichen Anweisungen des obersten Magistrats an die Matrone. Er stand normalerweise in der Hierarchie innerhalb der Siedlung etwas unterhalb der Matrone.
‚Aber wer hat mit der Matrone keine Probleme?’, fragte sich Eärdaliene still.
„Der Orden wird den Magistrat gerne unterstützen.“, erwiderte die Matrone Oboëlindë mit kühler Stimme, „Ich bitte jedoch, dass der Fremde eine Unterkunft außerhalb unseres heiligen Hains bekommt.“
„Das ist möglich.“, antwortete ihr der oberste Magistrat, „Es gibt da eine kleine alleinstehende Hütte in unmittelbarer Nähe des Hains. Sie steht momentan leer. Dort werden wir ihn unterbringen können.“
‚Sie ist auch leichter zu bewachen, als die verzweigten Strukturen des heiligen Hains, und niemand kann uns den Zugang verwehren.’, dachte er insgeheim.
Die Matrone nickte dem Magistrat zu. Sie ging mit den Hüterinnen ohne weitere Worte zurück in den Hain. Dies beunruhigte Eärdaliene. Normalerweise wäre sie sofort von der Matrone für ihr Fehlverhalten getadelt worden. Oboëlindë hatte sie aber nur mit einem kühlen verächtlichen Blick gestraft.
Eärdaliene dachte aber nicht lange an das Verhalten der Matrone, da sie fast ununterbrochen am Bett des Fremden wachte. Sie versorgte seine Wunden mit allen Künsten der hohen Heilkunst der Teleri. Trotzdem schlief der Fremde weiter. Manches Lied sang sie ihm während ihrer Wacht. Sie hatte dabei stets den Eindruck der Fremde höre sie.


Eines Tages kam der oberste Magistrat in die kleine Hütte. Er sah sehr besorgt aus. Eine Wache hatte einen Stab von der Länge eines Elb aus einem silbernen Metal in der Hand, wie Eärdaliene ihn noch nie gesehen hatte. Ein großes rundes nach oben hin spitz zulaufendes rotes Juwel glänzte an seiner Spitze. Vier kleinere ähnliche Juwele umgaben den Stab mit einer Spanne Abstand vom Stab etwas unterhalb. Sie schwebten neben den Stab ohne sichtbare Verbindung.
„Dies haben wir am Strand gefunden.“, erklärte ihr der oberste Magistrat, „Es war unter einem großen Haufen Treibgut verborgen. Ein Reflex in dem Kristall ist einer der patrouillierenden Wache aufgefallen. Sie brachte den Stab dann sofort zu mir.“
Eärdaliene bewunderte staunend den Stab. Sie hatte so etwas noch nie gesehen.
„Wir denken er hat etwas mit unserem schlafenden Fremden hier zu tun.“, ergänzte der Magistrat besorgt, „Er schaut aus wie ein Stab eines Istaris. Auf jeden Fall ist größte Vorsicht geboten. Aus fernen Teilen unserer Inseln wird gemeldet, dass es Angriffe von fremden Seefahrern gibt. Es könnte ja sein, dass unser Freund hier etwas mit ihnen zu tun hat. Wir werden daher die Wachen verdoppeln.“
Plötzlich traf die Wache, die den Stab trug, ein blauer Blitz der von dem Stab ausging. Die Wache ließ den Stab fallen. Er schwebte in Richtung des Fremden. Dessen Hand bewegte sich, ergriff den Stab, und sank den Stab haltend wieder auf das Bett. Die Wache rieb sich ihre Hand, die der Blitz getroffen hatte. Sie war aber sonst unverletzt.
„Nehmt ihm den Stab wieder ab!“, befahl der oberste Magistrat den Wachen.
Doch jedes Mal, wenn sie auch nur in die Nähe der Hand kamen, die den Stab fest umklammerte, traf sie ein kleiner blauer Blitz, der je öfters sie es versuchten umso stärker wurde. Als die Schmerzen durch den Blitz zu groß wurden, gaben sie ihre Versuche auf, den Fremden den Stab zu entreißen.
Eärdaliene sah dem Ganzen erschrocken zu. Der Arm des Fremden hing nun aus dem Bett, da der Stab ihn nach unten zog. Eärdaliene, die die tägliche Pflege des Fremden gewohnt war, und alle Ereignisse vor Wundern um sich herum vergessen hatte, nahm seine Hand mit dem Stab und legte sie wieder auf das Bett. Es erhob sich ein großes Staunen im Raum, denn kein Blitz hatte sie dabei getroffen. Der Fremde oder der Stab schien die gute Absicht zu spüren, und nichts dagegen zu unternehmen.
„Das ist wohl der deutlichste Beweis, dass der Stab dem Fremden gehört, und wir es mit irgendeiner Form von Zauberer zu tun haben.“, sagte der oberste Magistrat sorgenvoll, „Ich werde die Wachen verdoppeln. Ich wollte ein Istari wäre in der Nähe. Eärdaliene, ich kann dich hier nicht mehr ruhigen Gewissens wachen lassen. Aber es ist wichtig, dass der Fremde wieder aufwacht. Wie es ausschaut, scheint er dich in seiner Nähe zu dulden. Er hat uns eine Menge Fragen zu beantworten. Deshalb kann ich dich nur bitten ihn weiter zu pflegen. Die Wachen werden dich so gut wie möglich beschützen.“
„Ich werde ihn weiter pflegen und meine Bemühungen ihn zu heilen noch verstärken.“, erwiderte Eärdaliene dem obersten Magistrat, und sah den Fremden dabei mit einem hoffnungsvollen Blick an.
Schon als sie ihn am Strand gefunden hatte, wurde sie von seinem fremdartiges Aussehen in Bann gezogen. Er faszinierte sie jetzt noch mehr, da er wohl ein Zauberer aus einem unbekannten Land war.
 
2. Die Musik der Heilerin

Fremde Seefahrer, die sich selbst die Atalantë nannten und mit einer großen Flotte mächtiger schwarzer Kriegsschiffe aus dem Süden Ardas kamen, hatten einen Krieg gegen die Teleri der fünf Inseln begonnen. Die gesamte Elbengesellschaft der Inseln war in einem Stadium des Chaos, da sich die Teleri nur sehr schwer an den Kampf gewöhnen konnten. Zulange hatten sie die Jahrtausende in Frieden und Unsterblichkeit in der Abgeschiedenheit der fünf Inseln durchlebt. Viele Elben traten ihren letzten Weg in die Hallen von Mandos an, bevor die Kampfeslust in den restlichen Teleri geschürt wurde.
Die verletzten Teleri, deren Verwundungen nicht in den Heerlagern geheilt werden konnten, lies die Königin der fünf Inseln zum heiligen Hain bringen. Die Hütte, in der bisher nur der Fremde Pflege und Ruhe fand, wurde zu einem Lazarett, in dem die Hüterinnen des Haines alles daran setzen, jeden verwundeten Elb gesund zu pflegen. Alle hofften, dass die Nähe des heiligen Ortes die Genesung der Verletzten beschleunigt. Die Hüterinnen des Haines versuchten alles um die Wunden der Krieger zu heilen.

„Du arbeitest zu viel hier.“, sagte eine Hüterin zu Eärdaliene.
„Schwester, hier können wir endlich unserer Berufung folgen allen zu helfen.“, erwiderte Eärdaliene ihr.
Sie wandte sich von ihrer Mitschwester ab, und pflegte die Wunden des vor ihr liegenden Kriegers mit großer Sorgfalt. Eärdaliene arbeitete unermüdlich in der Hütte. Statt nur ein Verwundeten, den sie umsorgte, hatte sie nun dutzende. Eine ruhige Melodie erfüllte den Raum der Hütte.
„Wie kannst du nur bei dieser schrecklichen Arbeit singen?“, fragte die Schwester sie.
„Wieso nicht, Erhaldiäne?“, antwortete sie, „Es schadet nichts und es erfreut vielleicht den Geist der Verwundeten.“
„Mag sein.“, schüttelte Erhaldiäne den Kopf, „Ich wünschte ich könnte so gut die Wunden versorgen wie du.“
„Du machst das ausgezeichnet.“, munterte Eärdaliene sie auf, „Ich habe nur Glück.“
„Ich gebe mein Bestes.“, nickte Erhaldiäne, „Aber trotzdem ist jeder Krieger der von dir gepflegt wird schneller wieder auf den Beinen.“
„Das täuscht dich sicher.“, sagte Eärdaliene schüchtern, „Es ist alleine die Nähe des heiligen Haines der unseren Kriegern Kraft und Mut gibt.“
„Ja, der Hain. Es wird Zeit. Ich muss zum Abendgesang.“, stimmte Erhaldiäne zu, und verließ die Hütte. Sie ging die wenigen Schritte zum Eingang des Haines, und hielt inne. Sie schaute sich mit zweifelndem Blick zur Hütte um.
‚Irgendetwas stimmt mit Eärdaliene nicht.’, dachte sie verwundert, ‚Ich arbeite wirklich genauso hart wie sie, und kenne mich in der Kräuterkunde und der Medizin besser aus als sie, doch selbst Schwerstverwundete verlassen nach kurzer Pflege durch sie die Hütte gesund und munter.’
Sie zog die Kapuze ihrer Robe über den Kopf und lief eilig zu einem nahe stehenden Haus, und klopfte an.

„Herein!“, rief eine Männerstimme.
„Ich bin es Erlendur.“, sagte Erhaldiäne, „ich muss etwas mit mir besprechen.“
„Schwester, solltest du nicht um diese Zeit im Hain sein?“, fragte der oberste Magistrat sie.
„Doch schon, Bruder, aber ich habe da etwas auf dem Herzen, und ich weis nicht mit wem ich sonst drüber reden sollte.“, sagte sie bedrückt.
„Gut, wozu hat man Geschwister.“, nickte ihr Erlendur tröstend zu, „Komm rein und setz dich ans Feuer.“
Erhaldiäne setzte sich auf einen der Stühle die beim Kaminfeuer standen.
„Nun, worum geht es?“, fragte Erlendur als er sich zu ihr setzte.
„Es geht um eine Mitschwester im Orden.“, schluckte sie.
„Eine Mitschwester?“, stutzte Erlendur, „Dann solltest du wohl eher zur Matrone gehen.“
„Nein, nein, auf gar keinen Fall.“, entsetzte sich die Hüterin, „Es ist ja nichts passiert. Aber irgendetwas stimmt nicht.“
„Dann erzähle mir einmal dein Kümmernis.“, beruhigte Erlendur sie.
„Wie du weist, Bruder, arbeite ich in der Hütte bei den Verletzten.“, begann sie zögerlich.
Erlendur nickte ihr stumm zu.
„Ich versuche mein Bestes.“, fuhr sie fort, „Meine Kenntnisse in der Pflege von Verletzten sind die besten im Orden, wenn ich das ohne Stolz sagen darf. Und doch gelingt es mir nicht alle Verwundeten zu heilen.“
„Mach dir doch keinen Vorwurf, Schwester.“, tröstete Erlendur sie und legte seine Hand auf ihren Arm, „Manchen ist halt leider nicht mehr zu helfen.“
„Nein, das ist es nicht.“, schüttelte sie den Kopf, „Es gelingt mir nicht sie zu heilen, aber trotzdem werden sie geheilt.“
„Das verstehe ich nun nicht.“, stutzte der Magistrat, „Du sagst, dass du nicht alle heilst. Und doch verlassen alle Verletzten eure Hütte gesund. Wie geht das?“
„Ich weis es nicht.“, sagte Erhaldiäne, „Als Hüterin müsste ich wohl dieses Wunder auf die Nähe zum Hain zurückführen. Aber ich habe schon lange beobachtet, dass auch anderswo Wunden und Gebrechen von alleine vergehen.“
„Wo denn genau?“, zeigte sich der Magistrat plötzlich höchst interessiert.
„Im Wesentlichen bei uns im Hain.“, antwortete Erhaldiäne ihrem Bruder, „Natürlich sind wir damit noch näher an der heiligen Wassersäule Ulmos, aber ….“
„Ja? Was lässt dich zweifeln?“, wollte Erlendur wissen.
„Nun, wir hatten letztes Jahr einen verwundeten Kranich im Hain.“, erklärte sie, „Seine Beine waren mehrmals gebrochen. Wir wussten nicht was wir tun sollten. Das herrliche Geschöpf zu töten brachten wir nicht übers Herz, aber seinem Leiden zusehen konnten wir auch nicht. Ich habe ihn deshalb mit einer besonderen Essenz betäubt, und seine Beine mit Schienen versehen. Wir legten ihn in einen abgelegenen Garten im Hain, dessen Boden mit dickem weichem Moos bedeckt ist. Am nächsten Tag, als ich nach ihm sah, waren seine Brüche geheilt. Nachdem die Wirkung der Essenz vergangen war, breitete er seine Flügel aus und flog einfach davon.“
„Nun, Illuvatár wacht über alle seine Geschöpfe.“, versuchte Erlendur zu erklären.
„Bruder, für so naiv hätte ich dich nicht gehalten.“, zwinkerte Erhaldiäne ihm zu, „Wir haben ab und zu tote Tiere im Hain, auch im heiligsten Inneren nahe der Wassersäule Ulmos. Illuvatár wacht auch über das Schicksal.“
„Nein, du hast Recht.“, gab der Magistrat zu, „An Wunder zu glauben ist naiv, aber was ist es dann?“
„Damals konnte ich in der Nacht nicht schlafen.“, erzählte sie weiter, „Also ging ich zu dem Garten in dem der Kranich lag. Ich wollte ihn gerade betreten, als ich einen Gesang hörte. Er war wunderbar und voll Mitgefühl. Ich hielt inne. Eine Hüterin stand bei dem Kranich und sang. Sie sang lange. Ich stand wie gebannt in einem Schatten am Gartentor. Noch nie hatte ich so ein Lied gehört. Es beruhigte mich. Ich fühlte mich zufrieden, stark und gesund. Die Erinnerung an die Melodie lässt mich noch heute …“ Sie hielt inne, als wenn sie einer inneren Stimme lauschte.
„Hast du die Sängerin erkannt?“, unterbrach Erlendur ihre Nachdenklichkeit.
„Wie?“, schreckte sie hoch, „Ja. Es ging mir damals ungefähr so wie gerade eben. Aber damals erwachte ich alleine gerade noch rechtzeitig aus dieser seligen Trance. Ich versteckte mich, und sah wie eine Mitschwester den Garten verlies. Es war Eärdaliene.“
„Eärdaliene?“, wunderte sich Erlendur.
„Ja, genau jene.“, bestätigte Erhaldiäne ihren staunenden Bruder, „Ich weis, dass sie unsere beste Sängerin ist. Wir durften ja erst neulich ihrer wundervollen Stimme lauschen, aber dass sie so eine Wirkung hat?“
„Bei Eru, ich hätte es fast vergessen.“, sagte der Magistrat und schlug sich mit der Hand auf die Stirn, „Als wir den Fremden am Strand fanden, war er in einen tiefen Schlaf. So tief, dass wir ihn nicht wecken konnten. Eärdaliene sagte damals, dass sie ihm ein Lied der Heilung und des Schlafes gesungen hätte. Ich war damals schon erstaunt. Fast hätte ich das vergessen.“
„Ja, das passt.“, nickte Erhaldiäne, „Mittlerweile scheint sie so gut zu sein, dass sie selbst die schwersten Verletzungen mit ihrem Gesang heilen kann. Das scheint mir der Grund zu sein, warum sie besser heilt als alle anderen Hüterinnen.“
„Ja, das könnte stimmen.“, pflichtete Erlendur ihr bei, „Aber trotzdem will ich wissen wie sie dies kann. Es war gut, dass du zu mir gekommen bist. Ich werde das Rätsel diskret aufklären.“
„Ja, mach das, Bruder.“, antwortete Erhaldiäne ihm, „Aber erwähne nicht die Quelle deines Wissens. Doch nun wird es Zeit. Ich muss gehen. Eru wache über uns.“
„Ja, das tue er.“, antwortete der Magistrat, als seine Schwester aufstand und das Haus verlies.

Am nächsten Tag schickte der oberste Magistrat einen Boten mit der Botschaft zur Hütte, dass der oberste Magistrat gerne Eärdaliene wegen der Versorgungspläne für die Verletzten sprechen würde. Eärdaliene kehrte mit dem Boten zurück. Dieser lies sie und den Magistrat alleine in der Halle des Magistrats zurück.
„Wie läuft es in der Hütte?“, wollte der Magistrat wissen.
„Magistrat, wir arbeiten hart, aber allen Valar sei Dank, können wir viele heilen.“, antwortete sie ihn mit zu Boden gerichteten Augen.
„Nun, ich habe gehört, dass ihr sogar alle heilen könnt.“, sagte er fragend.
Eärdaliene blickte überrascht zum Magistrat auf.
„Wir…. wir…“, stotterte sie. Sie hielt kurz inne und fuhr gefasst fort, „Ja, das stimmt. Jeder Elb verlässt die Hütte gesund.“
„Ist das nicht ein Wunder?“, fragte Erlendur listig.
„Ja, so muss es sein.“, stimmte Eärdaliene ihm schnell zu, „Die Nähe des heiligen Hains …“
Der Magistrat lachte.
„Eärdaliene, wir beide wissen, dass es die nicht ist, oder?“, sagte er verschmitzt.
„Wie? Was, sollte es sonst….“, begann Eärdaliene und stoppte als sie das wissende Gesicht des Magistrats sah, „Ja, ich bin es. Aber woher wisst ihr das?“
„Das spielt keine Rolle.“, sagte er ruhig, „Erklärst du mir, wie du das kannst?“
„Jeder Teleri kann das.“, versuchte sie sich herauszureden, „Viele unseres Volkes können Zauber durch Musik bewirken, so wie Ulmo es uns gelehrt hat.“
„Ja, kleine Zauber gewiss, Eärdaliene.“, sagte der Magistrat etwas ernster um ihre Ausfluchtsversuche zu unterbinden, „Aber du hast eine Macht, die ich bei noch keinem Teleri erlebt habe.“
Eärdaliene schluckte und blickte verlegen zu Boden ihre Arme hilflos hinter ihrem Rücken verschränkend.
„Glaubt mir, ich weis nicht, warum ich es kann.“, sagte sie schüchtern, „Seit ich mich erinnern kann, haben alle meinen Gesang gelobt und bewundert. Deshalb bin ich auch dem Orden beigetreten, da ich wusste, dass dort der wunderbarste Chor unserer fünf Inseln zu Hause war. Als Novizin musste ich aber auch viel studieren. Ich verbrachte viel Zeit in der Bibliothek des Hains. Dort lagern Manuskripte aus allen Zeitaltern Ardas. Eines Tages fielen mir einige Rollen auf, die alt zu sein schienen aber wenig benutzt. Ich öffnete sie. Sie enthielten Lieder. Die Worte sangen von Erquickung, Schlaf und Heilung. Es waren viele. Der Autor der Rollen hatte bei jedem Lied vermerkt für welches Gebrechen es anzuwenden ist. Ich las alle begierig und lernte sie auswendig.“
„Was für ein erstaunlicher Fund.“, nutzte der Magistrat die kurze Erzählpause, „Hast du ihn nicht gemeldet?“
„Doch, das habe ich. Aber die Novizinnenmeisterin zeigte kein Interesse.“, zuckte sie mit den Schultern, „Sie meinte nur, dass Eru über uns alle wache und wir deshalb keiner Heilung bedürften.“
„Ja, in den ruhigen Zeiten war dies so.“, grübelte Erlendur, „Nur kannten wir die Atalantë noch nicht. Aber ich kenne auch deine Neugier. Was hast du dann gemacht?“
„Ich suchte nach kleinen Verletzungen.“, erklärte sie, „Ich fand kleine Schnitte bei meinen Schwestern, und einige andere kleine Gebrechen. Niemand hegte einen Verdacht, wenn ich singend vorbeiging. Ich war ja Mitglied im Chor. Als dann einige berichteten, dass ihre Wunden weg und ihr Gebrechen geheilt waren, freute ich mich, deshalb studierte ich die Rollen noch intensiver, und begann aus den vorhandenen Liedern und ihren Texten neue zu erschaffen. Ich kombinierte sie. Zum Beispiel ergänzte ich ein Lied das Brüche heilte mit einem Schlaflied.“
„Der Kranich!“, entfuhr es dem Magistrat.
„Wie wisst ihr davon?“, erschrak Eärdaliene.
„Sagen wir nur ich weis es.“, sagte der Magistrat fest.
„Ja, ihm sang ich dieses neue Lied.“, fuhr sie fort, „Die Betäubungsessenz die man ihm gegeben hatte war verflogen, und seine nächtlichen Schmerzenschreie drangen in meine nahe gelegene Kammer. Ich ging zu ihm und sang das Lied. Er schlief ein. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass er fort geflogen sei. Mein Lied hatte alle seine Brüche geheilt.“
„Und dann der Fremde.“, nickte der Magistrat.
„Bei ihm habe ich das erste Mal improvisiert.“, sagte sie verlegen, „Ich hatte Angst, und wusste nicht genau was ihm fehlt. Scheinbar war mein Lied zu stark. Das ist, glaube ich, der Grund warum er noch nicht wieder erwacht ist.“
„Das ist in Ordnung.“, munterte Erlendur sie auf, „Ich denke du solltest deine Lieder weiter gebrauchen. Alle Elben, die die Hütte wieder gesund verlassen können, werden es dir danken. Ich will dich zu ihrem Wohl aber nicht länger von deinen Aufgaben in der Hütte abhalten. Für mich ist alles zur besten Zufriedenheit geklärt. Leb wohl.“
„Eru schütze euch.“, sagte Eärdaliene und verlies die Magistratshalle
 
3. Die Musik ist zu Ende

Bei der Matrone fand Eärdaliene kein Verständnis. Diese hatte natürlich durch einen ihrer zahlreichen Zuträger von dem Gespräch zwischen Eärdaliene und dem obersten Magistrat erfahren, und dessen Inhalt erzählt bekommen. Als Eärdaliene nach dem Gespräch und ihrer Arbeit in der Hütte in den Hain zurückkehrte, wurde sie zur Matrone gebeten.
„Eärdaliene, ich habe gehört du wendest Gesänge der Heilung an.“, sagte die Matrone in ihrer kühlen Art, wohl wissend, dass sie die Hierarchie beherrschte. Deshalb war jeden sofort klar, wann sie eine Antwort erwartete, auch wenn sie keine Fragen formulierte. Eärdaliene antwortete deshalb ohne Zögern, „Ja, das tue ich, Matrone.“
„Diese Gesänge sind sehr alt. Ihre Ursprünge sind uns fremd.“, sagte die Matrone, „Sie könnten Werke des Bösen sein, und direkt von dem kommen, dessen Namen wir nicht aussprechen. Du wirst sie nicht mehr anwenden.“
Eärdaliene hätte der Matrone gerne widersprochen. Zu viele Elben der Siedlung waren bei ihr zur Pflege in der Hütte. Viele von ihnen wären Námu bereits gegenübergetreten, hätte es nicht die Heilkraft der Gesänge gegeben.
‚Wie kann so etwas böse sein? Wie kann eine Hüterin verboten bekommen ihrem Volk zu helfen?’, dachte sie für sich.
Die Matrone lebte streng nach den Regeln des Haines, und alles was nicht den Regeln entsprach wurde zu mindestens abgelehnt, wenn nicht gar als ketzerisch gebrandmarkt. All das ging Eärdaliene durch den Kopf, aber als einfache Hüterin des Haines konnte sie nur antworten, „Ja, ich gehorche, Matrone.“

Eärdaliene versuchte darauf die Leidenden in der Hütte ohne ihren Gesang so gut sie es im Hain gelernt hatte zu versorgen. Doch viele starben. Als Hüterin war sie an den Schwur des Gehorsams gebunden, als mitfühlende Elbe zerriss es ihr das Herz. Die hohe Zahl der Elben, die die Hütte nun nicht mehr lebend verließen, wurde auch vom obersten Magistrat wahrgenommen. Er suchte deshalb Eärdaliene in der Hütte auf, die dort gerade tief im Gedanken versunken einen Schwerverwundeten die Wunden abtupfte.
„Warum singst du ihm nicht ein Lied zur Heilung seiner Wunden?“, fragte sie der Magistrat sanft, doch mit dem Hauch eines Vorwurfes in der Stimme.
Eärdaliene erschrak. Sie hatte den Magistrat nicht kommen hören. Vielleicht sagte sie deshalb ohne nachzudenken, „Die Matrone hat es verboten.“, und wandte sich wieder dem Hilfsbedürftigen zu.
Erlendur verließ wortlos die Hütte, und wandte sich dem heiligen Hain zu. Mit den notwendigen rituellen Worten bat er die Hüterin an der Pforte um eine sofortige private Unterredung mit der Matrone. Diese lies ihn, wie er es nicht anders erwartet hatte, aber dennoch lange warten. Sie empfing ihn schließlich im vollen Ornat und mit allen ihr gebührenden Gefolge im offiziellen Audienzsaal des Haines. Damit war es Erlendur klar, dass sie, was immer er vorbringen würde, dies mit der ganzen Kraft ihres Amtes nach ihrem Willen entscheiden würde. Es lies ihm wenig Spielraum. Es war nun nicht mehr die gewünschte private Unterredung mit Oboëlindë, sondern eine offizielle Audienz bei der Matrone des heiligen Haines Ulmos.
Ihr weißes Gewand schimmerte wie das Mondlicht. Sie gab mit ihrem aus Mithril gefertigten Stab, den an der Spitze ein Blatt der heiligen Bäume des Haines zierte, der Zeremonienhüterin ein Signal.
„Bringe nun dein Anliegen dem heiligen Hain vor.“, sprach die Zeremonienhüterin in dem Singsang der Zeremoniensprache.
Der oberste Magistrat wusste, dass er sich kurz fassen musste. Das Anliegen musste in einer festgelegten sehr kurzen Zeitspanne vorgetragen werden.
„Eru sei gepriesen. Der Hain möge Eärdaliene die Gesänge der Heilung erlauben. Viele Teleri sind sonst verloren. Ehre dem Hain Ulmos.“, antwortete Erlendur daher kurz.
„Der Hain hat dein Anliegen vernommen.“, sang die Zeremonienhüterin. Die Matrone und ihr Gefolge erhoben sich. Sie zogen sich zu der üblichen Beratung zurück. Wie diese ablief wusste Erlendur nur zu gut. Es würde kein Wort gewechselt werden. Die Antwort des Haines wurde ausschließlich durch die Meinung Oboëlindës bestimmt. Eine Beratung war deshalb eigentlich unnötig. Doch das Zeremoniell musste zu mindestens offiziell bewahrt werden.

Die offene Gesellschaft der Teleri, wurde langsam von Strukturen vernichtet. Jeder Elb der Inseln hatte seit Alters her dieselben Rechte. Über allen stand nur die Königin. Doch nun nahmen sich einige mehr Rechte gegenüber anderen heraus. Manche sprachen sogar von entstehenden Kasten. Es wurde gemutmaßt, dass die Entwicklung der Kasten die Elben sehr geschwächt hätte, und somit den Angriff der Atalantë erst möglich gemacht hatte. Manche wagemutige Elben gingen sogar soweit und vermuteten, dass die neuen hohen Kasten den Krieg begrüßten, um ihre Stellung als Anführer zu festigen. Spekulationen machten die Runde, dass einige gar mit den Atalantë gemeinsame Sache machten.
Oboëlindë fügte sich nur allzu gut in ihre Kaste ein. Der Orden hatte unter ihrer Führung einen Platz an der Spitze der Gesellschaft eingenommen.
Sie betrat mit ihrem Gefolge den Audienzsaal wieder. Die Beratung war abgeschlossen. Es war nun an der Matrone die Entscheidung zu verkünden.
„Der Hain kann deinem Anliegen nicht stattgeben.“, sagte sie mit der ihr bekannten Kühle in der Stimme.
Da es auf eine Entscheidung des Hains keinen Einwand zu erheben gab, verließ der oberste Magistrat wortlos und dieses Mal ohne auf die Etikette zu achten den Hain. Er hatte noch eine Möglichkeit. Die vielen verwundeten Elben belasteten sein Gewissen schwer.
‚Wie konnte eine Elbin, auch wenn sie die Matrone war, so kalt sein? Hatte sie alles Mitgefühl durch den immerwährenden Kampf um die Macht innerhalb des Ordens verloren, oder gar verkauft?’, dachte Erlendur zornig.
Doch momentan bewegte ihn eine Nachricht aus der Hauptstadt mehr. Ein Kurier der Königin hatte gemeldet, dass die Atalantë vermehrt Überfälle auf die einzelnen Inseln unternähmen. Erlendur selbst war bei einer seiner letzten Reisen in die Hauptstadt der fünf Inseln nur knapp einem Hinterhalt der Atalantë entkommen.

Der oberste Magistrat hatte schon alle Verwundeten in ein Haus verlegen lassen, dass weiter in der Siedlung lag, als die Hütte. Nun war dort wieder nur noch der Fremde.
„Eärdaliene, du musst dich zurückziehen in den heiligen Hain. Die Gefahr hier wird zu groß.“, sprach der oberste Magistrat voller Sorge zu ihr, „Ich kann den Fremden nicht mehr bewachen lassen. Wir werden bald alle Wachen zur Verteidigung der Siedlung benötigen.“
„Aber ich kann doch hier in der Hütte alleine bleiben. Der Fremde schläft immer noch, und sobald er zu sich kommt, werde ich ihn wieder in Schlaf versetzen, wenn er sich als gefährlich erweist.“, versuchte sie den Magistrat zu überzeugen.
„Das ist ein zu großes Risiko.“, erwiderte Erlendur ihr, „Wir haben bereits gesehen, wozu der Fremde ohne sein Bewusstsein in der Lage ist. Matrone Oboëlindë hat außerdem gebeten, dass sich alle Hüterinnen zur Anbetung Erus um Beistand im heiligen Hain versammeln.“
‚Er ist nicht mehr derselbe wie früher.’, dachte Eärdaliene, ‚Der Hinterhalt hat ihn sehr stark geschwächt, den Anweisungen der Matrone hätte er sich früher widersetzt.’
„Aber wer bleibt dann an seinem Lager?“, fragte sie mit einem besorgten Blick auf den Fremden.
„Niemand. Wir werden ihn so gut wie möglich mit den stärksten Tauen und Ketten, die wir haben, an sein Lager binden.“, antwortete oberste Magistrat.
„Wer gibt im dann Essen und Trinken?“, sorgte sie sich.
„Eine Wache wird dies von Zeit zu zeit tun, wenn es sich erübrigen lässt.“, machte der oberste Magistrat zum Vorschlag.
„Das ist grausam!“, entfuhr es ihr scharf, „Hat der Krieg schon solche Ungeheuer aus uns gemacht? Sind wir nun nicht mehr besser als die Kriegsgenerale der Atalantë, die Hunderte unseres Volkes einfach abschlachteten?“
„Schweig! Du bist anmaßend.“, sprach eine kalte Stimme hinter Eärdaliene.
Die Matrone stand in der Tür der Hütte. Ihre ganze kühle Würde gewandelt in eine tiefe Verachtung gegenüber Eärdaliene.
„Matrone Oboëlindë, ich wusste nicht, dass ihr kommt“, sagte der Magistrat überrascht, und verbeugte sich tief vor ihr.
Eärdaliene beließ es bei einer kurzen flüchtigen Verbeugung. Diese Geste war innerhalb Hains gebräuchlich, aber außerhalb hatten sich alle tief gegenüber der jeweils ranghöheren Hüterin zu verbeugen. Die Matrone sah Eärdaliene jetzt noch kühler an.
„Du hast deine Aufgaben im heiligen Hain bereits genug vernachlässigt. Deshalb gehorche und folge mir unverzüglich zur Meditation in den Hain.“, befahl sie Eärdaliene, „Die weltlichen Dinge sind nicht die unseren.“
Ihr Rang im Orden war deutlich in ihrer Stimme zu fühlen.
‚Als ob sie das jemals schon getrennt hätte.’ dachte Eärdaliene unbeeindruckt.
Die Matrone war für alle Arten von Ränkespielen nur allzu gefürchtet. Weil der oberste Magistrat sich nach der Auffindung des Fremden nicht an die Sitten eingehalten hatte, und die Matrone in manchen Fragen übergangen hatte, wurde sogar hinter vorgehaltener Hand geflüstert, dass die Matrone an dem Hinterhalt, in den der oberste Magistrat gelangte, mit beteiligt war, oder zumindest den Atalantëkriegern seinen Reiseplan verraten hatte, da sie ihm diese tiefe Brüskierung nicht verzieh.
Eärdaliene verneigte sich nach den Regeln des Ordens in Demut vor der Matrone.
‚Dieses Mal behält sie die Oberhand.’, dachte sie bitter, ‚Wer weis, was mich im Hain erwarten wird.’
Sie betrachte den Fremden noch mal mit einem fürsorglichen Blick. Er würde nun seinem Schicksal überlassen werden. Das Misstrauen gegenüber ihm war seit den Angriffen der Atalantë gestiegen. Er wurde nun offen als Spion bezeichnet, und hätte wohl, wenn er bei Bewusstsein gewesen wäre, einen kurzen und vielleicht nicht fairen Prozess bekommen.
‚Ich werde mich wohl fügen müssen. Aber wer versorgt dann all die Verletzten?’, dachte Eärdaliene besorgt, als sie mit der Matrone den Weg zum Hain zurückging, ‚Aber jetzt kann ich nicht einmal mehr auf die einfache Art und Weise helfen.’
 
4. Ein seltsamer Fund

Die Matrone hatte Eärdaliene zahlreiche Aufgaben zu ihrem normalen Pensum im Hain gegeben. Für die meisten anderen Hüterinnen wären es viel zu viele gewesen. Eärdaliene erfüllte aber alle mit äußerster Sorgfalt. Die Matrone fand nie einen Grund für Mängel und Rüge. Sie bürdete ihr daher immer noch mehr auf. Doch nun nützte Eärdaliene eine kurze Pause. Sie wanderte gedankenverloren in Richtung Strand. Sie war seit der Verwüstung des Strandes nicht mehr dorthin zurückkehrt.
Viel hatte sie in den letzten Monaten erlebt. Ihr Leben war zuvor ruhig und vom Dienst des Hains geprägt. Sie erinnerte sich an eine Eärdaliene, die sich Abenteuer in fernen Landen ausmalte, um der Monotonie zu entfliehen. Ferne Lande hatte sie nicht erreicht, doch das Abenteuer war zu ihr gekommen. Aber was hatte sie davon? Die Abneigung der Matrone ihr gegenüber war nun deutlicher und offener als je zuvor.
Viele ihr bekannte Elben aus der Siedlung hatte sie sterben sehen. Manche entschliefen dabei sogar in ihren Armen. Doch das größte Abenteuer lag immer noch bewusstlos auf seinem Lager in der Hütte. Eärdaliene wanderte weiter den Strand entlang. Das leichtfüßige Tanzen, war einem nachdenklichen Schritt gewichen.

Die Sonne war schon hinter den Waldrand versunken, und lange Schatten breiteten sich über den Strand aus. Tief in ihren eigenen Gedanken versunken, nahm sie plötzlich fremde Gedanken wahr. Es waren nur Schatten von Gedanken, unklar und nebulös. Sie hielt inne, und schaute sich um. Sie war unbewusst in die Stelle des Strandes gewandert, die bei der Ankunft des Fremden verwüstet wurde. Der Strand war durch die Suchkommandos, die damals nach weiteren Ungewöhnlichkeiten suchten, vom Treibgut gesäubert worden. Die Wellen aus Sand aber, die den Abschnitt des Strandes nun hier bildeten, hatte man belassen. Die Mühe wäre zu groß gewesen, diese zu beseitigen. Eärdaliene schlug einen Weg in Richtung des kleinen Pfades am Rand des Strandes ein. Die Gedanken wurden stärker. Sie schaute sich um. Der Strand war aber wie immer verlassen. Es war nun beinahe Nacht, und ein letzter Hauch von Dämmerung lag über den Strand. Bald würde das Dunkel der Nacht herrschen. Die Nacht enthielt normalerweise für Elben keine Schrecken und Gefahren, aber nun, da die Atalantë hier waren, vermieden die meisten Elben die Dunkelheit.
‚Sind die fremden Gedanken ein Trick der Atalantë?’, dachte Eärdaliene besorgt.
Furcht und Neugier kämpften nun gleichzeitig in ihr. Nahe beim kleinen Pfad stieg sie auf eine der letzten Sandwellen. Die fremden Gedanken verstärkten sich abermals. Sie hatte wenig Erfahrung mit dem direkten Gedankenaustausch, den Elben über weite Entfernungen nutzen konnten, wenn eine direkte Kommunikation nicht möglich war. Sie fühlte aber, dass diese Gedanken mit ihr Kontakt suchten. Am Fuß der Sandwelle sah sie einen zarten Schein. Er war zu schwach um am Tage aufzufallen. Sie ging darauf zu. Die fremden Gedanken schrien sie nun an. Sie verstand sie nicht.
Der Schein ging von eine kleinen milchigen rhombusförmigen Kristall aus. Er hatte ungefähr die Größe eines kleinen Eies. Irgendetwas zwang sie ihre Hand auszustrecken und den Kristall zu nehmen. Er fühlte sich trotz des Leuchtens kühl an. Seine Oberfläche war glatt. Das Leuchten des Kristalls erlosch. Die fremden Gedanken verstummten.
‚Es scheint mich gerufen zu haben.’, dachte Eärdaliene, ‚Aber wozu? Was ist das? Wessen Gedanken sind das?’
Sie steckte den Kristall in eine ihrer Taschen. Sie beeilte sich nun zum Hain zurückzukehren. Sie würde bereits jetzt schon zum Nachtgesang zu spät kommen.

Der oberste Magistrat betrat die Hütte. Er besuchte sie wenn möglich jeden Tag. Seit seiner Audienz im Hain vor wenigen Tagen hatte er Eärdaliene nicht mehr in der Hütte getroffen. Dies war nicht sonderlich bemerkenswert, da Eärdaliene in die Rituale des Haines eingebunden war. Trotzdem fragte er die anwesende Wache, ob er sie gesehenen hätte.
„Nein oberster Magistrat, ich habe Eärdaliene seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen, und ich bin hier fast den gesamten Tag. Wo mag sie nur sein? Sie wich doch sonst nie von der Seite des Fremden.“, gab er ihm zur Antwort.
„Ja, das ist sehr seltsam.“, erwiderte der oberste Magistrat ebenfalls nicht ohne Sorge in seiner Stimme, „Ich werde mich im Hain nach ihr erkundigen.“
Die junge Hüterin, die zum Empfang von Besuchern an den Tor zum heiligen Hain wartete, machte einen nervösen Eindruck, als sie den obersten Magistrat kommen sah.
„Ich wünsche die Hüterin Eärdaliene zu sprechen.“, sagte er ohne eine Spur von Höflichkeit in seiner Stimme.
‚Wenn dies nun wieder ein neues Spielchen von Oboëlindë ist’, dachte er, ‚dann spielen wir nun nach meinen Regeln.’
„Bitte wartet hier.“, sagte die Hüterin und wandte sich dem Inneren des Hains zu,
„Seit wann hat der oberste Magistrat vor dem Hain zu warten!“, entfuhr es ihm schroff.
Die Hüterin zuckte kurz im Gehen zusammen, aber erwiderte nur abermals ohne sich umzudrehen, „Bitte wartet hier.“
Erst jetzt nahm der oberste Magistrat den Dolch wahr, den die Hüterin am Gürtel trug. Er wurde durch eine geschickte Falte ihrer Robe fast verdeckt.
‚Seltsames geht hier vor.’, dachte er, ‚Waffen im Hain sind doch durch die Regeln des Ordens verboten.’
Die Hüterin kam mit einer anderen Hüterin wieder zurück.
„Grüße, oberster Magistrat. Verzeiht die Behandlung durch meine Mitschwester hier. Sie ist noch neu hier im Orden, und es ist ihr erster Tag an dem Tor.“, sagte die neu hinzugekommene Hüterin mit einem gleichgültigen Tonfall.
Wenn nicht bereits der Dolch den Magistrat neugierig gemacht hätte, so hätte es diese Begrüßung getan. Die junge Mitschwester war ihm wohl bekannt, da sie bei dem vorletzten Gesang die letzte Strophe singen durfte. Diese offene Lüge lies ihn noch hellhöriger werden.
‚Doch,’ so dachte er, ‚ich muss ihr Spiel mitspielen, um mehr zu erfahren.’
„Grüße, Hüterin. Ihr Verhalten ist entschuldigt. Ich wünsche eure Mitschwester Eärdaliene zu sprechen.“, trug er erneut sein Anliegen vor.
„Es tut mir leid, oberster Magistrat. Diesen Wunsch kann der Hain nicht erfüllen.“, erwiderte die Hüterin.
„Wieso nicht?“, fragte er rasch nach.
„Eärdaliene ist zur ewigen Wacht für Eru gerufen worden. Sie kann und darf das Ritual nicht verlassen. Möge Eru mit dir sein.“, erklärte ihm die Hüterin.
‚Das ist alles sehr seltsam.’, dachte er sich im Weggehen.
Seine Sorgen wurden nun größer.
‚Was hatte das alles zu bedeuten? Wie passen der Fremde, die Atalantë und das Verhalten der Hüterinnen des Haines zusammen?’, fragte er sich
Er wusste, dass er keine Antworten darauf hatte. Diese Erkenntnis machte ihm Angst.
‚Wo war der Schlüssel zu all dem? War es der Fremde? Die Veränderungen begannen, als er an die Küste gespült wurde. War er ein Zeichen? Ist er der Auslöser?’, kreisten seine Gedanken weiter, ‚Es wird immer wichtiger, dass er wieder zu Bewusstsein kommt. Aber die einzige Elbin, die dies erreichen könnte, ist verschwunden. Kann man ihr überhaupt noch vertrauen? Ist sie auch von den Veränderungen im Hain betroffen?’
Er macht eine Bilanz seiner möglichen Verbündeten, und kam zu der bitteren Erkenntnis, dass er momentan niemand trauen konnte. Aber er musste mit Eärdaliene sprechen. Er wusste was er zu tun hatte.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
5. Ein Verrat in dunklen Zeiten

„Schwestern, lasst mich heraus. Ich flehe euch an.“, schluchzte sie.
Eärdaliene wurde langsam bewusst, dass sie von der anderen Seite der Tür keine Antwort bekommen würde. Sie war eine Gefangene. Eärdaliene konnte die Ungeheuerlichkeit, die ihre Gefangenschaft bedeutete, nur langsam begreifen. Kurz nach ihrer Rückkehr vom Strand wurde sie zur Matrone gerufen.
„Eärdaliene der Hain erachtet es für notwendig, dass du ihn im Moment nicht mehr verlässt.“, sagte die Matrone an jenen Tag zu ihr.
Eärdaliene hatte noch auf ihre Arbeiten in der Hütte hingewiesen, und dass diese sonst niemand machen könnte. Doch die Matrone zeigte dafür kein Verständnis.
„Eärdaliene, du bist fehlgeleitet. Was wir nun tun müssen, geschieht nur zu deinem Besten.“, begründete die Matrone es damals.
Daraufhin kamen einige Hüterinnen auf Sie zu.
„Bitte folge den Schwestern.“, war der letzte Befehl der Matrone.
Sie folgte, wie ihr geheißen wurde. Die Hüterinnen führten sie in den Raum, der sonst die wenigen wertvollen Dinge des Haines enthielt. Er war leer.
„Warte hier.“, sprach eine Hüterin.
Sie verlies mit allen anderen schnell den Raum. Die Türe wurde geschlossen und abgesperrt. Eärdaliene erstarrte fassungslos.
‚Was hat das zu bedeuten?’, dachte Eärdaliene ratlos, ‚Sicher bin ich in letzter Zeit oft in Konfrontation mit der Matrone gewesen, aber eingesperrt wurde dafür im Hain bis jetzt noch niemand. Meinungsverschiedenheiten werden doch immer versöhnlich besprochen und beigelegt. Der Hain ist doch ein Ort der Meinungsfreiheit. Wir achten doch alle die Meinung anderer. Wieso haben sie mich eingesperrt?’

Wie lange sie in ihrer Zelle mittlerweile verbracht hatte, das konnte sie nicht sagen. Durch ein kurzes Türöffnen wurde sie mit den Notwendigsten zum Leben versorgt. Keine Schwester, die sie meist nur flüchtig in dem Türspalt sah, sprach ein Wort mit ihr. Doch jedes Mal bat sie die Schwester um ihre Freilassung.
„Eärdaliene, Eärdaliene!“, flüsterte es in ihrem Kopf.
Eärdaliene erschrak. Eine Stimme sprach zu ihr. Sie klang wie vom Wind verweht, aber trotzdem vertraut.
„Eärdaliene, wenn du mich hören kannst, so antworte. Ich spreche mittels Gedankenaustausches zu dir.“, wisperte die Stimme.
„Ich höre dich. Wer bist du?“, dachte Eärdaliene.
„Eärdaliene vertraue mir, doch meinen Namen kann ich dir nicht nennen. Viele merkwürdige Dinge gehen vor.“, sagte die Stimme.
„Ja, das stimmt.“, antwortete sie.
„Eärdaliene, wo bist du?“, fragte die Stimme. Eärdaliene fühlte Sorge in den Gedanken mitschwingen.
„Ich bin im Hain gefangen.“, dachte sie traurig.
„Gefangen? Im Hain?“, entsetzte sich die Stimme.
„Ja, man hat mich in den Raum der Devotionalien eingesperrt.“, empörte sie sich im Gedanken.
„Unfassbar! Das macht alles noch viel merkwürdiger. Leider habe ich momentan keine Möglichkeit dir aus deiner misslichen Lage zu helfen.“, klangen die Gedanken sehr sorgenvoll und nachdenklich.
„Ich werde hier versorgt.“, dachte sie.
„Ja, aber ich benötige deine Hilfe außerhalb des Hains. Ich werde versuchen dich zu befreien. Bis dahin wäre es das Klügste du spielst ihr Spiel. Vielleicht erfahren wir ja so was vor sich geht.“, schlug die Stimme vor.
„Ich werde es versuchen.“, erwiderte sie zaghaft.
„Gut. Ich melde mich bei dir wieder, aber nun können wir nicht weiterreden. Eru möge dich schützen.“, verabschiedete die Stimme sich.
„Dich auch unbekannter Freund.“, antwortete sie.
‚War er das? Ein Freund?’, dachte sie. Sie konnte es nicht sagen. Wenigstens wusste nun jemand von ihrer Lage im Hain.

„Schlafen……....Wachen……....Schlafen……....Wachen……....Wachen……....muss aufwachen……....“, er kreiste nur als schwacher Gedanke.

Der oberste Magistrat saß mit hoffnungslosem Blick in der Hütte am Bett des Fremden. Er konnte unmöglich mit Waffengewalt in den Hain eindringen um sie zu befreien. Das würde die Gemeinschaft der Siedlung nicht zu lassen, und die mächtigen Zaubersprüche der Matrone würde die Sache auch nicht leichter machen. Er konnte nur hoffen, dass sie selbst einen Weg nach draußen findet. Aber eine Konfrontation mit den Hüterinnen, und insbesondere der Matrone, war wohl unvermeidbar. Es galt sich nun darauf vorzubereiten, und er wusste wer ihm dabei helfen könnte. Er stand auf und verliess die Hüte. Er ging zum Strand.

„Wenig Zeit……....Wachen……....finden……....mich……....schnell…….... schwach……....“, er spürte wie er allmählich erwachte.

„Das Ganze ist sehr merkwürdig. Es ist gut, dass du mich gerufen hast, Erlendur.“, sprach eine dunkle Stimme.
Tiefe Falten gruben sich in die Stirn des Sprechers. Sein ansonsten schon sehr ernster Blick verfinsterte sich noch. Erlendur und sein Gast schritten schweigend nachdenklich auf die Hütte des Fremnden zu.
„Ich weis nicht wie es weitergehen soll. Ich habe immer wieder versucht die Matrone Oboëlindë zu sprechen. Sie haben mich immer abgewiesen.“, begann der oberste Magistrat leise mit einem leichten Zittern in der Stimme, „Dies ist nur eine unbedeutende Siedlung. Die Sitten der Teleri müssen aber auch hier eingehalten werden.“
„Unbedeutend? Nein, vielleicht nicht.“, sagte der Fremde fast flüsternd und strich nachdenklich über seinen langen grauen Bart.
„Aber was haben all diese Veränderungen zu bedeuten?“, murmelte Erlendur nachdenklich.
„Das liegt momentan noch nicht am Licht des Tages.“, sagte Fremde geheimnisvoll und fügte nach einer kurzen Pause, die den obersten Magistrat spüren lies, dass die Zukunft dem Fremden bekannt war, er aber wohl nicht darüber sprechen wollte, hinzu, „Aber nun zeige mir euren ‚Besucher’.“
Die Elben, denen sie auf dem kurzen Weg zur Hätte begegneten, schienen ihnen aus dem Weg zu gehen. Noch vor ein paar Tagen wäre es dem obersten Magistrat merkwürdig erschienen, doch nun fügte sich alles in das Bild. Die Anwesenheit seines Begleiters tat vermutlich ein Übriges hinzu. Als Istari war er bei den Elben hoch angesehen, galten diese doch als Wesen, die den Valar nahe standen, doch waren die Istari keine Elben oder Menschen. Ihre Verschwiegenheit, manche nannten es Geheimniskrämerei, umgab die Istari mit einer Aura der Rätsel. In unsicheren Zeiten wie diesen, versuchte man aber Rätseln am besten aus dem Weg zu gehen, wenn man es konnte.
„Dies ist also euer Gast.“, sagte der Istari als sie das Lager des Fremden erreichten.
„Hier haben wir seine Kleidung, die er anhatte als er gefunden wurde.“, sagte der oberste Magistrat und zeigte auf die roten Gewänder mit Goldstickerei, die gereinigt und von geschickten Elbenschneidern bereits wieder hergestellt waren.
„Hm.“, grübelte es unter dem langen Bart des Istari hervor, ohne das er die Kleidung angesehen hatte. Sein Blick war fest auf den Stab des Fremden fixiert, den dieser immer noch fest umklammert hielt. Er streckte eine Hand langsam in Richtung des Stabes aus, aber berührte ihn nicht.
„Magie fließt durch den Stab. Sie wird aber schwächer…“, sagte er leise, und wich schnell zurück, als ein grüner Strahl von der Spitze des Stabes sich ihn wie eine Schlange näherte, die eine Beute erspäht hatte. Noch bevor er mit seiner eigenen Magie einen Gegenzauber wirken konnte, traf ihn der Strahl. Sein Körper erschlaffte. Der oberste Magistrat wurde zu Boden geworfen, als er versuchte den Istari rasch an dessen grauen Robe aus der Hütte zu ziehen. Der Strahl zog sich wieder in den Stab des Fremden zurück. Der Istari sank zu Boden. Der oberste Magistrat kroch zu ihm und schüttelte ihn.
„Mithrandir, Mithrandir, kannst du mich hören?“
Der Istari stöhnte kurz, bevor er seine Augen wieder aufschlug.
„Ein mächtiger Zauber. Ich konnte kurz Eindrücke gewinnen von etwas sehr Fremdartigen.“, flüsterte Mithrandir noch schwach, als sich der Fremde plötzlich erhob.
„Sieh!“, rief Erlendur.

Der Fremde stand vor seinem Lager. Er hielt den Stab vor sich wie ein Wünschelrutengeher seine Rute. Ein blasser blauer Schimmer umgab beide. Die Augen des Fremden waren offen, aber starrten durch alles hindurch. Sie schienen ein sehr fernes Ziel zu fixieren. Langsam begann er mit unsicherem Schritt wie ein Schlafwandler zu gehen.
„Folgen wir ihm.“, sagte Mithrandir noch nachdenklicher.
Sie folgten dem Fremden aus der Hütte, deren Tür durch einen blauen Strahl zerschmettert wurde. Der Fremde ging langsam. Aber sein Ziel war offensichtlich der heilige Hain.
‚Es ist gut, das nichts zwischen der Hütte und dem Hain steht.’, dachte der oberste Magistrat, obwohl es nun so schien, wie wenn der Fremde nun die Umgebung berücksichtigen würde. Erlendur machte sich große Sorgen. Die zerstörte Türe und vor allem der hilflos gefangene Mithrandir, ein mächtiger Istari, waren in seinem Gedächtnis mit einem blauen Strahl eingebrannt.
Als sie sich den Hain näherten, stellte sich eine Hüterin ihnen in den Weg.
„Bitte nennt den Grund…“, weiter kam sie nicht als sie der blaue Strahl aus dem Stab tot zu Boden sinken lies. Ein weiterer Strahl lies das Tor des Haines mit einem lauten Donner bersten. Einige Hüterinnen die herbeigelaufen kamen, um den Grund des Donners zu erkunden, blieben stehen.
„Hüterinnen des Hains!“, Mithrandir rief ihnen zu, „Stellt euch nicht dem Fremden in den Weg!“
Einige Hüterinnen begannen einige einfache Zaubersprüche vorzubereiten. Andere zogen ihre Dolche. Die Miene Mithrandirs verfinsterte sich. Er breitete seine Arme aus. Er wurde in eine Dunkelheit eingehüllt. Blitz und Donner umgaben ihn.
„Tretet zur Seite!“, hallte seine Stimme machtvoll, „Eure Abwehr ist vergebens!“
Die Hüterinnen wichen zögerlich zur Seite. Der Fremde passierte sie ohne weitere Zwischenfälle und wandte sich dem heiligen Bezirk zu. Irgendeine Hüterin musste die Matrone informiert haben. Oboëlindë stand mit gehobenen Händen vor dem Zugang zum Innersten des heiligen Hains.
„Halt! Im Namen Erus!“, sprach sie mit gebieterischer Stimme und richtet ihren Stab auf den Fremden. Offensichtlich hatte sie bereits die Zeit genutzt und ihre Zaubersprüche vorbereitet. Weiße Funken sprühten von der Spitze ihres Stabes. Der Fremde hielt in seinem Schlafwandel inne.
„Matrone Oboëlindë, lass ihn passieren!“, warnte sie Mithrandir mit eindringlicher Stimme.
„Nein! Kein Fremder darf das Innerste des Haines betreten!“, schrie sie zurück.
Der blaue Schein um den Fremden wurde stärker. Er setzte seinen Weg in das Zentrum des Haines fort. Oboëlindë stellte sich ihm in den Weg. Sie zögerte nicht. Ein weißes Licht trat aus der Spitze ihres Stabes. Es traf den Fremden. Das Licht verpuffte wirkungslos am blauen Schein der ihn umgab. Eine zornige machtvolle Melodie voll von dunklen Disharmonien erfüllte den Raum. Die Matrone blickte überrascht über ihre Schultern, bevor sie zu Boden sank. Mithrandir und Erlendur liefen zu ihr. Sie konnten nur noch ihre letzten Worte vernehmen, „Warum? Eru! Sieg den Lic…“

„Folge uns!“, sagte eine der Elbinnen barsch.
Sie gingen mit ihr durch Räume. Sie hatte diese so noch nie gesehen. Es hatte sich scheinbar noch mehr verändert, als sie es sich vorstellen konnte. Die Wände der ehemaligen schlichten grauen Räume waren nun prächtig mit grünen Blattornamenten auf silbernen Grund bemalt. Außer ihren vier Begleiterinnen sah sie auf ihren Weg niemanden.
„Wir müssen dir nun die Augen verbinden.“, sagte die Anführerin.
„Wieso?“, fragte sie sorgenvoll.
„Es ist nur zu deinem Schutz, solltest du versagen.“, antwortete eine Elbin ohne einen Funken Gefühl in ihrer Stimme.
„Ich habe ja wohl keine andere Wahl.“, sagte sie.
Es beunruhigte sie. Es war alles sehr ungewöhnlich, doch musste Sie es über sich ergehen lassen. Eine Elbin verband ihr die Augen mit einem dicken schwarzen Tuch. Sie fühlte eine Hand auf ihrer Schulter, die sie zwang sich mehrmals um ihre eigene Achse zu drehen.
„Vorwärts!“, wurde ihr befohlen.
Hier und da korrigierte die Hand ihre Richtung. Der Boden wurde weich.
‚Wir müssen die Gebäude des Hains verlassen haben.’, dachte sie.
Sie hatte den Eindruck einen Tunnel zu betreten. Er führte steil nach unten. Nach kurzen betraten sie Steinboden. Ihre Schritte hallten wieder.
‚Es muss sich um eine große Halle handeln.’, überlegte sie still, ‚Wir sind aber erst kurz gegangen. Hier kann keine so große Halle sein.’
„Halt!“, gebot eine ihrer Begleiterinnen.
Sie spürte wie die führende Hand ihre Schultern verließ.
„Das ist sie also?“, sagte eine dunkle Stimme.
„Gut, Gut.“, sagte dieselbe Stimme, als ob sie nur eine Geste als Zustimmung bekommen hätte.
„Das Problem kann einfach gelöst werden, denke ich. Wir müssen aber trotzdem vorsichtig vorgehen. Es ist gut, dass du dich an uns gewandt hast.“, sagte die Stimme.
Sie klang wie zu einer Person gehörend, die Macht gewöhnt war, aber momentan nicht wusste, ob ihre Macht ausreichte.
„Nun höre mir gut zu.“, sagte die Stimme mit einem hypnotischen Unterton, „Du weist, dass sich die Welt ändert. Viele Dinge passieren. Ein Wechsel der allumfassenden Strukturen. Die Zukunft gehört nur uns. Du kannst nun überlegen, ob du teilhaben willst an unserer neuen siegreichen Macht, oder ob du mit den Verlierern untergehen willst. Überlege! Überlege gut! Schließe dich uns an! Vertrau uns! Wir sind die Zukunft! Wir sind die Macht!“

Die Worte hallten in ihren Kopf wieder.
‚Die Stimme hat Recht. Es gibt Änderungen. Änderungen die jenseits meines Verstandes liegen. Was hat meine Schwestern so verändert, dass sie mich einsperren? Warum das alles? Und nun soll ich mich entscheiden? Kann ich denen, denen ich vertraute, und die mich einsperrten, je wieder vertrauen. Die Stimme sagt mir, vertrau uns. Uns! Was wäre ich sonst? Alleine! Ohne meine Schwestern. Nein, das würde ich nicht ertragen. Ja, es wäre das Beste sich ihnen anzuschließen. Ja, ich will es! Es ist das Beste! Das Beste! Ja!’, kreisten ihre Gedanken immer langsamer.
Sie spürte wie sie in Trance kam. Wie eine Motte, die das Licht in der Dunkelheit sieht, und den sicheren Tot zusteuert, strebten ihre Gedanken hin dem Fremden zuzustimmen, und alles zu vergessen.
Eine Melodie begann leise in ihre fast stillstehenden Gedanken einzudringen.
‚Die Musik, die Lieder? Nein!’, erwachten ihre eigenen Gedanken.
Die Melodie wurde lauter. Sie begann sie im Gedanken mit zu singen. Nun erst erkannte sie die Melodie. Es war das eine Lied des Andenkens, das sie vor nicht allzu langer Zeit, als alles noch in Ordnung war, allen Elben der Siedlung sang.
‚Nein! Kein Teleri strebt Macht an. Der Fremde ist falsch. Seine Verlockungen sind falsch. Nein!’, rang sie innerlich.
‚Ich muss widerstehen. Doch was erwartet mich, wenn ich nicht zustimme?’, dachte sie nun klar, da ihre Gedanken wieder frei und ihre eigenen waren. Es fiel ihr der Gedankenaustausch in ihrer Zelle ein.
‚Ich werde mich zum Schein auf ihr Spiel einlassen. Es ist gefährlich. Aber es gibt keinen anderen Weg.’, dachte sie zu allen entschlossen.
„Anschließen… Macht… “, sprach sie wie in Trance und hoffte, dass genau dies so erwartet würde.
„Gut. Ich sehe du bist bereit dich uns anzuschließen.“, sagte die hypnotische Stimme.
„Anschließen…“, wiederholte sie abermals mit vorgetäuschter Willenlosigkeit.
„Nun höre gut zu. Die alte Elbengesellschaft hat ausgedient. Wir die Lichtelben sind die wahren Herrscher. Die Atalantë sind unsere Freunde. Wer sich uns nicht anschließt wird vernichtet. Jeder Elb hat seinen ihm zugewiesenen Platz. Du gehörst zu uns und wir zu dir.“, sprach die Stimme weiter in hypnotischer Weise.
Das Lied erklang nun laut in ihren Kopf. Die fremde Stimme konnte es nicht übertönen. Eärdaliene triumphierte innerlich.
„Nun erwache wieder.“, schloss die Stimme.
‚Die Gerüchte sind also wahr. Einige Elben machten gemeinsame Sache mit den Atalantë.’, dachte sie entsetzt, und hoffte nur lange genug zu leben um dies jemanden mitteilen zu können.
‚Doch wem kann ich vertrauen?’, dachte sie bitter.
„Gut. Ich denke unsere Schwester gehört nun zu uns. Sage mir Schwester Eärdaliene zu wem du gehörst?“, sprach die dunkle Stimme nun ohne Hypnose.
„Ich gehöre zu uns.“, sagte sie in der Hoffnung, dass dies genügen würde.
„Wer sind wir?“, fragte die dunkle Stimme nach.
„Wir sind die Lichtelben! Wir sind die wahren Herrscher!“, erwiderte Eärdaliene.
„Ja, das stimmt. Nun gehörst du zu uns.“, sagte die dunkle Stimme mit einem triumphalen Unterton, der Eärdalienes Mut steigen lies. Sie hatte den Test scheinbar bestanden.
„Nehmt ihr die Augenbinde ab. Es besteht kein Grund mehr dafür. Freuen wir uns mit unserer neuen Schwester.“, sagte die Stimme mit einer vorgespielten Freude.
 
6. Die Masken fallen

Der Raum war dunkel. Nur sie selbst stand im Licht. Am Rande des Lichts nahm sie einige Schatten dar, die in graue Elbenmäntel gekleidet waren. Plötzlich durchflutete strahlendes Licht den Raum. Er war prächtig. Die grünen Blattmotive, die sie bereits auf ihrem Weg sah, wiederholten sich hier. Sie waren noch üppiger auf den silbernen Wänden verteilt. Das Licht brach sich tausendfach in den Blättern aus grünen Edelsteinen, und füllte den ganzen Raum mit grünen Strahlen. Das Licht selbst kam aus einem großen hellstrahlenden Kristall. Die Halle war von gigantischer Größe.
Vor ihr standen ein Elb und die Matrone auf einem altarähnlichen Absatz am einen Ende der Halle, der gänzlich aus grünem Kristall gefertigt war. Alle beide hatten die grauen Elbenmäntel abgeworfen. Ihre Gewänder wetteiferten nun mit der Pracht der Halle. Viele Blätter aus kleinen grünen Kristallen zierten die wallenden silbernen Gewänder mit den feinsten Blattmustern. Der Elb hatte eine Maske aus Mithril an. Grüne Kristalle leuchteten hypnotisch an Stelle der Augen. Die Matrone trug einen Reif mit dem Blattmotiv in ihrem Haar, der einer Königin würdig gewesen wäre.
Sie sah sich um. Der Rest der Halle wurde von Elbinnen gefüllt. Sie erkannte sie wieder. Sie waren alle Hüterinnen des Hains. Die schlichten weisen Gewänder waren allerdings grünen Gewändern mit silberbestickten Blattmotiven gewichen. Je näher die Hüterinnen am Altar standen, desto prachtvoller wurden ihre Roben.
„Sieh die neue Ordnung! So werde nun in unseren Kreis aufgenommen.“, sprach der Elb vor ihr in hymnischen Worten.
Seine Kristallaugen leuchteten mit grünem Feuer. Eärdaliene erkannte seine Stimme wieder. Auch wenn die Hypnose nicht bei ihr gewirkt hat, so war sie doch beeindruckt von dem Schauspiel, das sich in der Halle bot. Der Elb machte eine winkende Bewegung. Von der Seite näherten sich zwei Hüterinnen.
„Wir wissen von deinen Fähigkeiten und deiner Verbundenheit mit den Deinen.“, fuhr er fort, „Deshalb wollen wir dich mit einem hohen Rang ehren.“
Die beiden Hüterinnen entfalteten das Gewand, das sie würdevoll herantrugen, und kleideten Eärdaliene damit. Es war silbern mit prachtvollen grünen Blattornamenten.
„Komm an meine Seite, und nimm den Platz als meine Stellvertreterin ein.“, sprach die Matrone.

„Wo……bin…..ich……?“, er spürte wie er sich näher kam.

Eärdaliene ging durch die Räume des Hains in Richtung des Gemachs der Matrone. Es waren nun einige Tage seit der denkwürdigen Zeremonie in der großen Halle vergangen. Niemand hatte bis jetzt Verdacht geschöpft, dass sie nicht vollkommen der Sache der Lichtelben hingegeben war. Sie hoffte, dass sie nicht die einzige war, die sich den Lichtelben widersetzte. Bis jetzt hatte sie aber keine Form von Widerstand bei ihren Schwestern entdeckt. Doch nun bat die Matrone sie zu einem Gespräch unter vier Augen. Eärdaliene war sehr besorgt und aufgeregt.
„Du wunderst dich vermutlich, warum du als meine Stellvertreterin auserwählt wurdest.“, sagte die Matrone zu ihr.
Die ehemals schlichten Räume des Gemachs, die meist als Meditationsräume von allen Hüterinnen genutzt wurden, waren nun mindestens so reich geschmückt, wie die große Halle. Die Matrone saß auf einen Stuhl, der mehr einem Thron glich, so prächtig waren seine geschnitzten Ornamente in Blattform.
„Ja, darüber habe ich bereits nachgedacht. Besonders weil ich in meiner Zelle andere Vermutungen hatte.“, sagte Eärdaliene nachdenklich.
„Wir mussten dich schützen.“, heuchelte Oboëlindë fürsorglich.
„Vor wem?“, fragte Eärdaliene herausfordernd.
„Es stand zu befürchten, dass der oberste Magistrat dich für seine kriegstreiberischen Zwecke einsetzt.“, erklärte Oboëlindë ihr und vermied den direkten Blickkontakt mit Eärdaliene.
„Er akzeptiert die neue Ordnung nicht, und schickt dabei Unschuldige für Überholtes in Tod.“, fuhr sie fort, „Dabei solltest du helfen, dass die Kämpfer für seine bereits verlorene Sache immer wieder neue Leiden erdulden müssen. Dies konnten wir nicht zulassen.“
„Ja, ich habe auch sehr gelitten.“, schüttelte Eärdaliene den Kopf, „All die Verletzten und Toden.“
Trauer schwang in ihrer Stimme mit.
‚Das ist nicht einmal gelogen.’ dachte sie nachdenklich.
‚Aber schuld daran ist nicht der Magistrat, sondern diese Kämpfer für die neue Ordnung.’, begannen sich ihre Gedanken wütend zu drehen, ‚Waren es nicht die Atalantë, die offen angegriffen hatten, und mit denen nun diese selbsternannten Lichtelben gemeinsame Sache machten?’
‚Ich muss ruhig bleiben.’, dämpfte sie ihren Zorn schnell, ‚Ich darf nicht die Kontrolle verlieren.’
„Du siehst wir mussten dir helfen.“, sagte die Matrone Fürsorge heuchelnd, „Und nun musst du uns helfen.“
„Wie kann ich der neuen Ordnung dienen?“, sagte Eärdaliene kühl.
„Nun, es ist uns bekannt, dass nicht alle unsere Schwestern die neue Ordnung unterstützen. Eine von ihnen ist aber besonders bemüht, diese zu bekämpfen. Es wird deine Aufgabe sein, sie mit allen Mitteln davon zu überzeugen.“, sprach sie schmeichelnd, „Unser Großmeister, der dich bekehren konnte, ist leider nicht mehr bei uns. Aber mit deinen besonderen Fähigkeiten, wird es dir ein Leichtes sein unsere irregeleitete Schwester zu überzeugen.“,
„Aber wenn ich das nicht kann?“, sagte Eärdaliene
Sie hoffte ihre Angst, die in ihrer Stimme mitschwang, sich selbst dabei zu verraten, würde unbemerkt bleiben.
„Dann muss das Problem endgültig beseitigt werden.“, sagte die Matrone scharf.
Eärdaliene wusste augenblicklich was sie damit meinte.

„So nah … gleich … eins …“. Seine Gedanken fanden sich wieder zusammen.

Gedanken liefen in wirren Bahnen durch ihren Kopf.
‚Was ist wenn ich es nicht schaffe?’, dachte sie der Verzweiflung nahe, da sie sich nur vorstellen konnte zu versagen.
‚Ich kann keine Schwester von dem überzeugen, an das ich selbst nicht glaube. Bis jetzt hatte ich Glück und ich bin nicht erkannt worden.’, liefen ihre Gedanken besorgt ‚Wie finde ich einen Ausweg?’
Sie hatte nun mit ihrer Begleiterin den Raum erreicht, der lange ihr eigenes Gefängnis war. Die Begleiterin sperrte die Tür auf und öffnete sie.
„Ich warte vor der Türe.“, sagte diese emotionslos.
Eärdaliene betrat den Raum. Ein Schaudern lief über ihren Rücken. Zulange hatte sie selbst hier in Ahnungslosigkeit verbracht. In der Ecke kauerte ein Elbin. Ihre ehemals weiße Robe war zerschlissen und schmutzig.
„Gwäedaliene!“, entfuhr es ihr mit Entsetzen.
Die Verzweiflung griff nun vollends nach ihr.
‚Nein! Nicht sie!’, schrien ihre Gedanken.
Gwäedaliene blickte auf. Ihre Augen waren glanzlos und matt.
„Du?“, seufzte sie mit niedergeschlagener Stimme. „Du bist also meine Henkerin?“
„Nein. Ich bin gekommen dich zu retten.“, sagte Eärdaliene noch immer mit ihrer Fassung ringend, denn sie durfte die Wache vor der Türe nicht vergessen.
„Wie kannst du das? Du, die sich immer allen Regeln widersetzt hat. Die, der die Ordnung im Hain immer ein Dorn im Auge war. Du dienst nun der neuen Ordnung?“, fragte Gwäedaliene vorwurfsvoll.
Eärdaliene erinnerte sich noch gut an die Diskussionen mit ihr über ihre milde Art von Ungehorsam. Sie waren beide fast gleichzeitig in den Orden des Hains eingetreten. Aber wo Gwäedaliene stets akkurat die Regeln befolgte, legte Eärdaliene sie immer nach ihren eigenen Interpretationen aus. Oftmals hatten sie lange zusammen geredet, und wurde dadurch sehr enge Freundinnen, die einander viel anvertrauten. Deshalb wurde auch immer Gwäedaliene ausgeschickt sie zu suchen, denn sie wusste stets wo sie sie finden würde, wenn Eärdaliene wieder alles um sich vergessen hatte, und ganz besonders die Regeln des Hains.
„Warte! Urteile nicht vorschnell. Du weist Nichts.“, sagte Eärdaliene zu Gwäedaliene gerichtet, und zur Wache vor der Türe, „Schwester! Bitte schließe die Türe.“
„Verzeih mir hohe Schwester, aber die Matrone gab mir den Befehl zu wachen.“, sagte die Wache.
„Gut, dann komm herein und schließe die Türe von innen.“, wies sie die Wache kühl an, „Was nun folgt, ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt.“
Die Wache betrat den Raum und schloss die Türe. Eine Melodie erfüllte den Raum. Sie klang nach Nacht und Dunkelheit. Die Wache sank zu Boden.
„Ich hoffe wir können nun sprechen.“, sagte Eärdaliene ein wenig erleichtert.
„Was hast du mit ihr getan?“, schrie Gwäedaliene.
„Ich hab ihr Nichts angetan. Sie schläft nur.“, beruhigte sie ihre Freundin, „Es musste sein. Ich muss mit dir reden, denn die Dinge sind nicht so wie sie scheinen.“
Ihre innere Aufregung war nun ohrenbetäubend in ihren Gedanken. Sie wusste nun gab es kein Zurück.
„Wie du siehst sind meine Zauber nun sehr mächtig.“, sagte sie hastig, „Die Musik ist meine Magie. Und sie war meine Rettung.“
Gwäedaliene war in eine Ecke des Raumes zurückgewichen und sah sie mit entsetzt aufgerissenen Augen an. Sie atmete schwer. Eärdaliene erzählte Gwäedaliene so schnell sie es konnte die Ereignisse in der großen Halle.
„Du konntest wirklich widerstehen?“, sagte sie mit Zweifeln in der Stimme.
„Ja. Doch nun ist alles aus. Meine Maske ist gefallen. Nun müssen wir beide flüchten.“, sagte sie, und versuchte ihre eigene Hoffnungslosigkeit verbergen zu können.
Ein lauter Donner erfüllte die Luft.

„Endlich!“, sangen seine Gedanken.

„Sie ist tot.“, sprach Mithrandir mit leiser Stimme.
„Aber der Fremde hatte sie doch nicht angegriffen?“, stutze der oberste Magistrat.
„Nein. Ich war das.“, sagte eine zarte Elbinnenstimme hinter ihnen.
Mithrandir und der Magistrat drehten sich um.
„Eärdaliene!“, entfuhr es dem Magistrat.
„Ich… ich konnte es nicht mehr kontrollieren. All die Wut, der Zorn in mir…..“, schluchzte sie nun, als wäre eine schwere Last von ihren Schultern gefallen.
Etwas begann in ihrer Robe zu leuchten. Sie holte den Kristall aus ihrer Tasche.
„Was ist das?“, fragten Mithrandir und der Magistrat fast gleichzeitig.
„Ich fand es am Strand. Nahe bei … “, fing sie zu erklären an und hielt inne.
Der Fremde hatte die Augen geöffnet und streckte eine Hand nach dem Kristall aus. Eärdaliene spürte wie er in ihrer Hand pulsierte. Sie öffnete sie.
„Nein. Gib ihn den Kristall nicht.“, warnte der Magistrat sie eindringlich.
Der Kristall schwebte auf den Fremden zu. Mithrandir versuchte ihn zu ergreifen, aber der Kristall wurde nun von einem perligen Schimmer umgeben, den seine Hand nicht durchdringen konnte.
Der Fremde griff nach dem Kristall und schloss die Hand. Das Licht breitete sich über seinen ganzen Körper aus und erlosch.
Der Fremde schrie ein unverständliches Wort und warf den Kopf in triumphaler Geste nach hinten.
„Zurück! Alle!“, befahl Mithrandir.
Doch hatten sich alle bereits von dem Fremden soweit es ging entfernt. Mithrandir ging auf den Fremden zu.
„Wer bist du?“, fragte er.
Der Fremde schaute ihn stolz an. Er macht mit seinem Stab eine schnelle Bewegung. Der blaue Strahl traf Eärdaliene und hüllte sie in einen blauen Schimmer.
„Endlich!“, sagte Eärdaliene wie in Trance, und schritt langsam auf den Fremden zu. Der blaue Strahl schien sie zu ihm zu ziehen.
„Wo … bin … ich?“, sagte sie.
Die Worte kamen langsam und abgehackt.
„Wer bist du?“, fragte Mithrandir erneut.
„Alles … fremd …“, sprach der Fremde nun durch Eärdaliene.
Es klang bitter und einsam.
„Wir helfen dir.“, beruhigte ihn Mithrandir.
„Hilfe … gut …“, stammelte der Fremde durch Eärdaliene.
„Folge uns.“, sagte Mithrandir.
Er ging voraus in Richtung der Hütte. Der Fremde folgte ihm mit Eärdaliene. Der Magistrat folgte ihnen in einigen Abstand mit Gwäedaliene.
 
7. Ferne Herrscher und fremde Lande

„Und du bist sicher, Atrahandil?“, grummelte die sonore tiefe Stimme des Offiziers.
„Ja, bin ich General. Ich habe sie lange beobachtet, und es ist gut, dass wir sie nicht getötet haben. Ihre Zaubermacht ist sehr groß.“, berichtete Atrahandil nüchtern.
„Hm, und nun ist sie also voll in unseren Diensten?“, fragte der General noch immer nicht sichtlich von Atrahandils Aussage überzeugt mit einem Stirnrunzeln, „Ich hätte das Problem schnell und sauber ein für allemal gelöst.“
„Die Hypnose hat bis jetzt noch nie versagt. Und ihre Fähigkeiten auf unserer Seite zur Verfügung zu haben, kann sich als sehr nützlich herausstellen. Trotzdem bin ich kein Narr, und weis, dass wir in diesem Fall besonders vorsichtig sein müssen.“, sagte Atrahandil mit einem Schmunzeln, „Ich habe deshalb eine kleine Prüfung ihrer Loyalität uns gegenüber für sie vorbereitet.“
„Ah, der immer vorsichtige Verräter.“, verhöhnte der General den Elb.
Die Verachtung des Atalantëgenerals gegenüber den Elben war deutlich zu hören. Atrahandil zuckte zusammen.
„General Korthandes, auch ohne die Hilfe der Atalantë wäre es wohl bald zum Streit unter den Elben gekommen.“, sagte er merklich beleidigt, „Aber unsere Ziele sind dieselben. Darum ist eine Zusammenarbeit für beide Seiten von Vorteil.“
‚Solange ihr uns nicht in die Quere kommt.’, dachte der General zynisch.
„Nun gut. Und wie ist der Stand dieser Prüfung?“, fragte General Korthandes.
„Leider habe ich bis jetzt keine Meldung von unserem Spion erhalten.“, berichte Atrahandil.
„Ist das für uns gut oder schlecht?“, erkundigte sich der General.
Die Geduld Korthandes’ mit dem Elb schwand merklich von Sekunde zu Sekunde.
‚Diese arroganten Elben! Nicht einmal einen ordentlichen Bericht können sie geben.’, sagte er zu sich.
„Darüber kann ich noch nichts sagen. Allerdings habe ich bereits einen Boten geschickt um Erkundigungen einzuholen. Er sollte bald zurück sein.“, versuchte Atrahandil den General zu überzeugen.
„Wir werden sehen, Atrahandil.“, sagte General Korthandes finster, „Ich hoffe für dich persönlich, dass die Nachrichten für uns gut sein werden.“
Die Drohung in seinen Worten war nicht zu überhören.

„Er lässt mich Bilder sehen.“, sagte Eärdaliene erschöpft.
Sie saß neben dem Fremden auf dessen Bett in der kleinen Holzhütte. Mithrandir und Erlendur saßen ihr gegenüber auf Schemeln.
„Was siehst du?“, fragte sie Mithrandir.
„Ich kann es euch nicht sagen. Es sind Bilder von mir fremden Landschaften und Personen. Ich denke nicht, dass es solche hier oder in Aman gibt. Und Númenor ist es, nach dem was mir bekannt ist, auch nicht.“, erklärte sie, „Es ist ein Rätsel. Nur eines …“
Sie hielt inne und schlug die Augen nieder.
„Eärdaliene?“, sagte Erlendur zu gleichen Teilen neugierig wie besorgt.
„Nur ein Bild kommt immer wieder.“, fuhr sie mit deutlicher Schüchternheit in ihrer Stimme fort. „Wie ich an seinem Bett Krankenwache halte und ihn pflege.“
„Er scheint dir dankbar zu sein. Vielleicht will er es so ausdrücken.“, versuchte Mithrandir fast väterlich zu erklären.
Der Fremde stand wortlos auf und hob langsam seinen Stab. Dunkelheit umgab alle plötzlich. Das Innere der Hütte war nur noch in Schemen zu erkennen. Langsam wurden diese durch eine Landschaft ersetzt. Ein Gefühl ewigen Frühlings senkte sich in die Elben. Sie sahen sanfte Berge und grüne Wälder. In der Ferne konnten sie den silbernen Spiegel eines großen Meeres erkennen. Eine Stadt lag auf halben Weg zwischen ihnen und dem Meer. Sie hatte grazile weiße Türme. Ihre imposanten Paläste waren mit fantastischen goldenen Ornamenten geschmückt. Die saphirblauen Dächer leuchteten in der Sonne. Auf einer Insel jenseits der Stadt floss reines Licht aus einem Kristall. Die Stadt wurde langsam größer. Wesen in Gestalt des Fremden bevölkerten sie. Alle waren prächtig gekleidet und von nobler Haltung. Der Blick verließ die Stadt. Der Kristall war das Ziel. Er speiste einen Brunnen von reinen Licht und Energie. Die Bilder verschwanden. Der Fremde sank erschöpft auf das Bett.
„Ja, das sind die Bilder die ich sah.“ flüsterte Eärdaliene noch sichtlich beeindruckt.
„So real…“, sagte der oberste Magistrat.
„Eine große Magie steckt in diesen Fremden.“, sprach Mithrandir nachdenklich, „Er hat uns wohl seine Heimat gezeigt. Auch ich habe diese Stadt noch nie gesehen. Er scheint uns nicht feindlich gesinnt sein. Ich frage mich…“
Er hielt wieder einmal in der ihn typischen Art inne, die erkennen lies, dass er wohl etwas wusste, dies aber nicht preisgeben durfte oder wollte. Sein beobachtender Blick fiel auf Eärdaliene. Es war ihm schon länger aufgefallen, dass sie den Fremden mit zunehmender Bewunderung ansah, oder war es sogar mehr?
„Nur eines ist sicher.“, fuhr er schnell fort, „Wir müssen mit dem Fremden reden können. Es erscheint mir aber wohl einfacher, dass er unsere Sprache lernt.“
„Ich werde sofort einen Lehrer für ihn suchen lassen.“, stürmte Erlendur vor.
„Nein! Warte!“, sagte Mithrandir ruhig, „Ich denke wir haben bereits eine Lehrerin. Eärdaliene?“
Ihre Blicke waren auf den Fremden fixiert. Nun da er auch wieder seine Gewänder trug war er noch imposanter. Alles an ihm strahlte Würde und Wissen aus. Aber da war mehr. Sie konnte es sich nicht erklären. Liebe war ihr bekannt. Doch als Hüterin war es die Liebe zu Eru, den Mitschwestern, den Elben und der gesamten Schöpfung. Sie durfte ihre Liebe nicht nur an Einen vergeben.
„Eärdaliene?“, Mithrandirs Stimme drang langsam zu ihr vor.
„Ja?“, antwortete sie abwesend.
„Erlendur, ich denke, wir müssen nicht nach einem Lehrer schicken. Eärdaliene wird sicher gerne nun die nächste Aufgabe übernehmen was den Fremden betrifft.“, schmunzelnde Mithrandir, „Aber nun muss ich im Hain nach dem Rechten sehen. Lebt wohl.“
Mithrandir ergriff seinen eigenen Stab, und verlies mit wehenden Umhang die Hütte.
 
8. Reisevorbereitungen

‚Diese einfältigen blinden Narren!’, dachte der Magier mit zornigen Gedanken.
Er stürmte mit wehender Robe durch die Straßen von Dalaran. Seine Wut kannte keine Grenzen. Er konnte es einfach noch nicht glauben. Er hatte lange Jahre gebraucht um es sorgfältig zu erforschen. Seine Arbeiten waren fehlerfrei. Es musste etwas unternommen werden. Die Gefahr würde zunehmen.
Er erreichte sein Stadthaus in Dalaran. Die Tür fiel fast aus den Rahmen, als er sie mit voller Wut hinter sich zuschlug. Er ging mit stürmischen Schritten in seine Bibliothek. Seine Bediensteten gingen ihm aus dem Weg. Sie wussten, dass er in dieser Stimmungslage besser zu meiden war. Aliasan Mindmaker lies sich in seinen Studiensessel seiner wohlsortierten Bibliothek fallen. Er schaute die Schriftrollen, Pergamente und Bücher brütend an.
‚Hier ist die größte Ansammlung an Büchern zu diesem Thema.’, dachte er kopfschüttelnd, ‚Ich habe alle Berichte sorgsam mit den Büchern abgeglichen. Ich muss Recht haben!’
Er gestand sich allerdings zu, dass er lieber nicht Recht hätte. Aber daran glaubte er nicht. Er stützte nachdenklich den Kopf auf seine Hand.
„Meister Aliasan.“, sagte eine schwache Stimme.
Ein Mensch stand in der Türe zur Bibliothek. Er schien noch sehr jung. Sein hageres schmales Gesicht wurde von dichtem schwarzem Haar umgeben. Aliasan winkte dem Jüngling mit einer flüchtigen Handbewegung zu.
„Kanthol, wir werden von Einfaltspinseln regiert.“, sagte Aliasan mit kaum gedämpften Zorn.
„Wieso Meister?“, fragte der Lehrling.
„Sie sehen es nicht!“, schüttelte Aliasan den Kopf.
„Aber eure Forschungen?“, stutzte Kanthol, „Die Ergebnisse? Sie sind doch so eindeutig.“
„Ja, du weist das. Du hast ja deinen Teil dazu beigetragen.“, seufzte der Magier, „Aber nicht einmal meine einstigen Schüler wollten mir folgen.“
„Aber...“, stotterte Kanthol, „...die müsste euch doch am besten kennen, und wissen, dass ihre solchen Dinge nicht ohne Grund dem Rat der Kirin Tor vorlegt.“
„Wohl wahr, doch leider war ich wohl nicht überzeugend genug.“, sagte Aliasan bitter, „Sie haben die Expedition abgelehnt.“
„Aber nur so hätten wir uns Klarheit verschaffen können.“, sagte der Lehrling.
„Der Neuaufbau der verwüsteten Königreiche sei wichtiger, als die Jagd nach einem Drachen.“, erklärte Aliasan, „Sie könnten keine Soldaten und Ausrüstung entbehren.“
„Das verstehe ich nicht, Meister.“, schüttelte Kanthol den Kopf, „Der Drache wütet doch genau in diesen Gebieten.“
„Mein junger Lehrling, ich bin nun wohl schon sehr erfahren, doch manches verstehe ich auch nicht.“, sagte der Magier.
Er dachte daran, dass ausgerechnet Kel’Thuzad vehement gegen seinen Plan war. Er versank in tiefe Gedanken. Kanthol verließ leise die Bibliothek.

Ein Klopfen an der Türe der Bibliothek, dem ein dezentes Räuspern folgte, weckte ihn aus seiner Nachdenklichkeit.
„Herr?“, sagte der Diener.
„Ja, was gibt es, Achmon?“, sagt Aliasan abwesend.
„Hier ist jemand der euch sprechen möchte.“, sagte Achmon.
„Ich will niemanden...“, begann Aliasan und brach ab, als er eine Gestalt hinter Achmon hervortreten sah. Sie trug einen Umhang, dessen Kapuze sie tief in ihr Gesicht gezogen hatte. Sie hielt Aliasan ihre Faust entgegen, die ein Ring mit einem violetten Siegel schmückte.
Aliasans Gesichtszüge verfinsterten sich, „Ich lasse bitten.“
Die Gestalt betrat die Bibliothek. Die Türe schloss sich hinter der Gestalt wie von alleine.
„Habt ihr mich nicht schon im Rat genug verspottet, Kel’Thuzad?“, schleuderte Aliasan dem Besucher zornig entgegen.
Dieser nahm ruhig seinen Umhang ab.
„Aliasan, nicht so voreilig.“, sagte der Erzmagier, „Euer hitziges Gemüt passt so gar nicht zu eurer Rasse, Hochelf.“
„Glaubt ihr?“, sagte Aliasan sarkastisch, „Nun, vielleicht müsst ihr noch sehr viel über uns lernen.“
„Das glaube ich gerne.“, sagte Kel’Thuzad, „Am besten von euch geschätzter Lehrer unserer jungen Magier.“
Aliasan überhörte die Anbiederung. Er beruhigte sich aber dennoch ein wenig.
„Nun, Kel’Thuzad, was wünscht ihr?“, fragte Aliasan skeptisch, „Ich habe im Rat alles gesagt, was ich vorzutragen hatte. Der Rat hat entschieden. Die Sache ist erledigt.“
„Das denke ich nicht, Aliasan.“, sagte der Erzmagier, „Dazu kennen wir euch zu gut. Wir wissen, dass ihr nicht so schnell aufgeben werdet.“
„Es wäre auch falsch hier aufzugeben.“, fuhr Aliasan den Erzmagier an.
„Das denke ich auch.“, sagte Kel’Thuzad knapp.
Aliasan schaute ihn verblüfft an, „Aber im Rat wart ihr strikt dagegen?“
„Nunja, manchmal verlangt die Diplomatie ihren Sonderweg.“, grinste der Erzmagier, „Ich stimme euch zu, dass wir herausfinden müssen, warum dieser Drache Amok läuft. Wir können uns in der momentanen Situation einen solchen Feind nicht leisten.“
„Dann folgt ihr also meiner Empfehlung?“, schaute Aliasan verblüfft auf.
„Nicht ganz, Meister Aliasan.“, schüttelte Kel’Thuzad den Kopf, „Ihr kennt euch mit den Drachen am besten aus. Ihr wisst, wie geschickt die Aspekte ihre - nennen sie wir sie einmal - Berater unter den Völkern verstecken. Es wäre daher von uns sehr unweise, wenn wir in einer so öffentlichen Art wie im Rat einen Kampf gegen einen Drachen beschließen würden. Wir wissen einfach nicht, ob dieser Drache einem Schwarm eines Aspektes angehört.“
„Wenn er also einen der fünf Schwärme angehören würde, dann könnten wir nichts unternehmen?“, stutze Aliasan.
„Doch, das sollten wir auch.“, sagte der Erzmagier dunkel, „Aber dann mit anderen Mitteln als dem Kampf.“
„Hmm...“, grübelte Aliasan, „Natürlich habt ihr Recht. Die von mir analysierten Berichte, lassen noch keinen eindeutigen Schluss zu, ob er einen Schwarm angehört. Die Beschreibungen seiner Farbe reichen von braun über grau bis schwarz. Sein Name Locutian lässt auch keine Abstammung erkennen.“
„Seht ihr.“, nickte ihm der Erzmagier zu, „Daher brauchen wir mehr Klarheit, ohne gleich die Aufmerksamkeit der Aspekte zu erregen.“
„Aber ohne eine geeignete Expedition wird es schwer.“, sagte Aliasan.
„Da stimme ich euch zu.“, versicherte ihn der Erzmagier, „Aber alles war wir tun können, ist euch alleine zu schicken. Nehmt noch euren Lehrling mit, wenn ihr wollt.“
„Kanthol?“, lachte Aliasan, „Nein, der ist noch zu unerfahren. Es bleibt mir wohl nichts weiter als alleine zu gehen.“
„Gut. Dann findet soviel über diesen Drachen heraus, wie ihr nur könnt. Erstattet mir dann Bericht. Danach werden wir weitersehen. Trefft euere Vorbereitungen für die Reise.“, sagte der Erzmagier und dachte für sich, ‚Weit weg von Dalaran kommst du meinen Plänen wenigstens nicht in die Quere, alter Schnüffler.’

„Kanthol!“, rief Aliasan seinen Lehrling nachdem ihn Kel’Thuzad verlassen hatte.
Der Lehrling stürzte fast zur Türe herein.
„Wie viel hast du gehört?“, fragte Aliasan.
„Nichts, Meister.“, antwortete der Lehrling mit hängenden Schultern. „Als die Bibliothekstür zuging, war kein Wort mehr zu hören.“
„Das dachte ich mir.“, grinste Aliasan, „Kel’Thuzad würde kein Lauschen erlauben.“
„Kel...“, der Name blieb Kanthol im Halse stecken.
„Ja, der große Erzmagier selbst hat uns die Ehre seines Besuches erwiesen.“, spottete Aliasan.
„Was wollte er?“, fragte der Lehrling verblüfft.
„Mich loshaben.“, grinste Aliasan.
„Loshaben?“, fragte Kanthol nach.
„Er würde mich sonst nicht auf solch ein Himmelfahrtskommando ganz alleine locken wollen.“, sagte der Magier nachdenklich, „Er führt irgendetwas im Schilde.“
„Wie kommt ihr denn da drauf, Meister.“, sagte der Lehrling ungläubig.
„Junger Kanthol, du musst noch viel über Magier lernen.“, lachte Aliasan, „Und ganz besonders über die ehrenwerten Mitglieder des Rates dieser Stadt.“
„Meister?“, sagte der Lehrling ungläubig.
„Nun, Kel’Thuzad hatte mich im Rat am meisten attackiert.“, erklärte der Magier, „Jetzt lässt er mir die Ehre zuteil werden, und sucht mich persönlich in meinem Haus auf. Nur um mir zu erklären, dass ich Recht gehabt hätte. Seine Argumente, warum er ihm Rat nicht anders sprechen hätte können, waren korrekt, doch hätte er schon früher mit mir darüber reden können. Er war von mir bereits vorher in meine Forschungen eingeweiht worden. Niemand weis nun, dass er mich beauftragt hat. Wenn ich jetzt gegen den Drachen aufbreche, so geschieht das mit Missbilligung des Rates, und ich riskiere die lebenslange Verbannung aus Dalaran.“
„Das wäre eine Katastrophe.“, sagte Kanthol entsetzt und schlug die Hände vor das Gesicht.
„Nicht ganz, Kanthol, nicht ganz.“, sagte Aliasan heiter, „Ich sehne mich schon lange wieder nach den blühenden Landschaften Quel’Thalas. Es täte mir nur allzu gut wieder unter meinem Volk zu sein. Und genau hier liegt auch der Schlüssel.“
„Meister, ich versteh nicht?“, sagte der Lehrling.
„Nun, wir haben doch diese Notizen über die Sprüche Locutians bei seinen Angriffen auf die Dörfer.“, sagte Aliasan erklärend und schaute Kanthol tief in die Augen.
„Ja, Meister. Er spricht darin wirr von ‚Den Anderen... über den Strudel... die Realität ist unreal.’ Reichlich unzusammenhängend.“, zitierte der Lehrling.
„Ja, da geb ich dir Recht.“, nickte Aliasan, „Aber wenn man andere Quellen kombiniert, Quellen die du leider nicht kennst, dann ergeben diese Worte einen Sinn.“
„Erklärt ihr es mir, Meister?“, fragte Kanthol.
„Ja, denn du sollst in meine Pläne eingeweiht sein.“, nickte der Magier, „Du musst dich hier in meiner Abwesenheit um alles kümmern.“
„Das kann ich nicht.“, entfuhr es dem Lehrling entsetzt.
„Doch du kannst. Aber nun höre zu.“, sagte der Magier bestimmt, „Der erste Teil seiner Aussage ist klar. ‚Den Anderen’. Es wird noch weitere seiner Art geben. Doch wo müssen wir suchen? ‚über den Strudel’ Es gibt auf ganz Azeroth nur einen Strudel der einen Drachen imponieren könnte. Der Mahlstrom in der Mitte des Ozeans. Ich glaube, dass unser Drache hier nicht aus Azeroth stammt sondern über das Meer aus Kalimdor kam.“
„Kalimdor!“, flüsterte der Lehrling.
„Ja, Kalimdor.“, bestätigte Aliasan mit einem Nicken, „Wir wissen sehr wenig über diesen Kontinent. Tief in der geheimen Geschichte meines Volkes...“
Er hielt inne.
„Nun, das geht vielleicht zu weit.“, winkte er ab, „Ja, ich denke er kam aus Kalimdor. Es muss ihn über das Meer verschlagen haben. Vermutlich kam er dem Mahlstrom zu nahe, und verlor dabei auch seinen Verstand.“
„Aber was bedeutet ‚die Realität ist unreal’?“, fragte der Kanthol.
„Wir wissen, dass sich Locutian scheinbar von einem Ort zum anderen in einem Augenblick teleportieren kann.“, fuhr Aliasan mit seinen Erklärungen fort, „Was wäre nun, wenn er die Realität selbst beeinflussen könnte?“
Kanthol entfuhr ein stiller Schrei.
„Kanthol, du weist genau das die Drachen Einfluss auf die Geschicke unserer Welt nehmen. Nozdormu und sein Schwarm können es zum Beispiel, indem sie die Zeit beeinflussen.“, ermahnte Aliasan seinen Schüler, „Aber was wäre, wenn andere Drachen vielleicht die Realität selbst ändern könnten? Wenn diese für sie nichts weiter als eine Variable darstellen würde, die sie nach eigenen Gutdünken verändern könnten? Ich bin mir aber sicher, dass unser Drache hier nicht zum bronzenen Schwarm gehört, noch das dies als Erklärung der beobachten Fähigkeiten ausreichen würde. Die berichteten Farben sprechen gegen ihn. Folglich können auch ‚die Anderen’ nicht dazu gehören.“
„Und was bringt uns dieses Wissen, Meister?“, fragte der Lehrling.
„Ich muss einen der Anderen suchen.“, erklärte der Magier, „Vielleicht sind sie nicht so verrückt wie unser Drache hier. Wenn es in Kalimdor noch andere Drachen gibt, die nicht zum bronzenen Schwarm gehören, und die reale Welt beeinflussen können, dann ist dies eine Veränderung in den Aspekten, die wir dringend untersuchen müssen. Ich muss nach Kalimdor reisen.“
„Nach Kalimdor reisen?“, entfuhr es Kanthol entsetzt, „Unmöglich!“
„Nein, ist es nicht.“, versicherte ihm der Magier, „Es gibt einen Weg. Aber dazu muss ich nach Silbermond. Du siehst, ich werde genau das Gegenteil von dem tun, was Kel’Thuzad erwartet.“
„Ja, euer Plan ist sehr schlau.“, stimmte ihm Kanthol zu.
„Gut. Dann lass uns meine Reisevorbereitungen treffen.“, sagte Aliasan und schlug sich mit den Händen auf die Schenkel, „Ich informiere den Rat, dass ich nach Silbermond in privaten Angelegenheiten zurückkehren muss.“
 
9. Im Dienste des Drachen

„Aliasan!“, die sonore Stimme Xeromantius dröhnte durch die Höhle.
„Ja, mein Gebieter.“, schmeichelte der Gerufene.
„Ich habe wieder eine Aufgabe für dich.“ Ein Schaudern lief über den riesigen Körper des Großdrachens.
„Leider, muss ich dich damit beauftragen einen meiner Art zu töten.“, die Stimme des Drachens klang schwermütig.
„Einen Großdrachen?“, entfuhr es Aliasan überrascht.
„Stellt das für dich ein Problem dar? Du hattest bis jetzt ja auch keine Skrupel.“, der Drache schaute ihn argwöhnisch an.
‚Nein, die hatte ich nicht.’, dachte Aliasan bitter.
Bisher hatte er nur sehr wertvolle und seltene Dinge für Xeromantius besorgt. Dabei hatte er auch manchmal töten müssen, um das Gesuchte zu erlangen. Doch auf seiner Suche nach den anderen Drachen hatte er damit gerechnet, dass der Preis hoch sein würde. Als er die Insel Xeromantius’ erreichte, war sein Leben nur der Kenntnis zu verdanken, dass alle Drachen Schmeicheleien lieben. Listig wählte er damals seine Worte, und gewann so die Gunst des Drachens.
„Dein Befehl, Gebieter?“, sprach er mit einer tiefen Verbeugung.
„Es ist eine Schande, aber es gibt einen Abtrünnigen unter uns.“, Bitterkeit schwang in der Stimme des Drachens, „Ein Realitätsbeherrscher nützt seine Fähigkeiten für seine Bereicherung. Dies können wir nicht zulassen.“
‚Bereicherung?’, dachte Aliasan überrascht, ‚Ist das alles?’
Xeromantius fuhr bitter fort, „Er hat dabei bereits zwei unserer Art aus dem Rat der Berherrscher getötet. Dies muss bestraft werden. Der Rat hat daher seinen Tot beschlossen. Ich wurde beauftragt, geeignete Mittel zur Durchführung des Urteils zu suchen. Ich schlug vor, dass du dies erledigst. Kein Drache sollte einen anderen töten. Es waren einige gegen diesen Plan, aber sie akzeptierten aus der Not heraus doch. Zumal du schon oft deine Loyalität bewiesen hast.“
„Zu gütig, mein Gebieter.“, sagte Aliasan.
„Schweig, und höre zu!“, donnerte der Drache. „Ich kann die Zweifel meiner Brüder und Schwestern verstehen, denn damit du deine Aufgabe erfüllen kannst, muss ich dir eines der größten Geheimnisse unserer Art offenbaren.“
Aliasan hielt es für klüger dieses Mal nichts zu erwidern. Er wusste er hatte mit Xeromantius einen der Drachen gefunden, der wohl die Realität genauso beeinflussen konnte wie Locutian. Aber Xeromantius war ein blauer Drache.
„Jeder Beherrscher hat eine besondere Fähigkeit.“, sagte Xeromantius mit gedämpfter Stimme, „Wir können die Realität der Welt verändern. Wir haben uneingeschränkte Macht über die Materie. Dies verdanken wir einer einzigen sehr speziellen Schuppe an unserem Körper. Um den Abtrünnigen zu töten musst du mit deinem ersten Angriff diese bei ihm zerstören. Eine zweite Chance bekommst du nicht. Die Schuppe befindet sich unmittelbar zwischen unseren Hörnern.“
Xeromantius senkte seinen gewaltigen Kopf in Richtung Aliasan. Die beiden silbernen Drachenhörner schwebten drohend neben ihm.
„Siehst du die blasse Schuppe zwischen meinen Hörnern? Dies ist sie. Zerstöre seine und du kannst ihn töten.“, flüsterte der Großdrache, „Nun geh und erfülle deine Aufgabe.“
Aliasan ging tief gebeugt rückwärts vom Drachen weg.
„Warte!“, herrschte dieser, „Eines noch. Du musst diese Aufgabe alleine erfüllen. Niemand darf von der Schuppe erfahren. Es ist dein Tot, wenn du das Geheimnis verrätst.“

Horuscal, der Verräter, war schnell gefunden. Die persönliche Leibwache Xeromantius’ hatte Aliasan bis fast zum Hort des Abtrünnigen gebracht. Sie zogen aber auch genauso schnell wieder ab. Kein Drache sollte die Tat beobachten. Als Beweis für den Tot Horuscals sollte er die besondere Schuppe, oder deren Überreste, zu Xeromantius bringen.
Der Ort war ideal für einen Drachenhort. Ein einsamer Berg umgeben von einer öden flachen Wüste, die sich über Dutzende von Meilen erstreckte. Die einzigen Erhebungen, die Aliasan sah, waren die verblichenen Überreste der Unglücklichen, die es bereits versucht hatten den Drachen in seinem Hort zu überfallen. Aliasan gab sich deshalb auch nicht der Hoffnung hin, dass seine Ankunft unbeobachtet geblieben war, sollte Horuscal in seinem Hort liegen.
Xeromantius hatte auch keine weiteren Informationen preisgeben wollen, ob Horuscal alleine ist, oder eine Wache besitzt. Aber auch hier, so argwöhnte Aliasan, waren seine Chancen schlecht auf den Vorteil zu hoffen, dass alle seine Gefolgsleute den ehemaligen Realitätsbeherrscher verlassen hätten. Doch bis jetzt war das Glück auf seiner Seite. Es gab keinerlei Regung am Berg. Aliasan hüllte sich in seinen Umhang. Solange niemand ihn direkt ansah oder berührte, war er nun nahezu unsichtbar.
Die Wachen Xeromantius’ hatten ihn in einiger Entfernung zum Berg verlassen. Unter der sengenden Sonne der Wüste eingehüllt in den Umhang war der restliche Weg zum Hort mehr als unangenehm. Aber jeder Vorteil, auch sei er noch so mühsam erkauft, war wichtig.
Das Gelände begann sich leicht zu heben, als er den Fuß des Berges erreichte. Die sanft ansteigende Bergflanke wurde auf halber Höhe des Berges jäh durch unüberwindliche senkrechte Felswände beendet. Er kannte diesen Fels. Er war glatt wie Glas und schwarz wie die Nacht. Die senkrecht nach oben ragenden achteckigen Säulen aus denen die Wände bestanden, boten einem Kletternden keinerlei Halt. Der Hort war nur aus der Luft ohne Schwierigkeiten zu erreichen. Aliasan hatte jedoch keine Zweifel, dass es einen versteckten und vermutlich gut bewachten Zugang von unten gab. Langsam umrundete er daher den Berg am Fuß der unbezwingbaren Wand.
In der sengenden Hitze des Mittags legte er eine Pause bei der bis jetzt erfolglosen und frustrierenden Suche ein. Wenn er nicht bald einen Eingang zum Hort fände, würde ihm die Hitze bald übel zusetzen. Bereits jetzt begannen ihm seine Sinne Streiche zu spielen. Als er seinen Blick auf den Horizont richtete, erschien ihn dieser verschwommen. Er rieb sich die Augen. Im Flimmern der Hitze bewegte sich etwas auf den Berg zu. Erst jetzt erkannte er den Grund. Eine Gruppe von Reitern musste sich rasch dem Berg nähern. Er sprang auf. Vielleicht würden sie den Eingang kennen, dachte er hoffend. So gut er es in der Hitze konnte lief er den Reitern entgegen. Erst als diese den Fuß des Berges erreichten, erkannte er seinen Irrtum. Es waren keine Reiter. Es war eine Patroullie Drachlinge. Sie waren die Standardwachen aller Großdrachen.
Horuscal war also nicht alleine. Er hatte dies schon immer befürchtet, aber nun hatte er Gewissheit. Die flugunfähigen Drachlinge würden ihn aber den Weg zum Zugang zeigen, solange sie ihn mit ihren scharfen Sinnen nicht entdecken würden. Es war geschickte Vorsicht notwendig.
Die Drachlinge näherten sich der Wand des Berges und verschwanden. Hätte Aliasan in diesen Augenblick geblinzelt, wäre im die Stelle des Portals entgangen. Die Wand war tatsächlich nirgends unterbrochen. Nur Magie öffnete den Weg in das Innere des Berges. Aliasan überlegte seine nächsten Schritte. Das Portal war sicher überwacht. Es standen vermutlich Wachen getarnt hoch oben auf dem Berg, die jede Bewegung um das Portal sofort erkennen würden. Die unangemeldete Aktivierung des Portals würde auf jeden Fall einen Alarm auslösen. Aliasan wägte sorgfältig die Fakten ab. Er legte seinen Tarnmantel ab. Er hatte nur noch eine Wahl.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
10. Der schmeichelnde Verräter

Das Schmuckstück glitzerte in der Sonne. Er hatte es vermieden es anzulegen, da es mit seinem Funkeln sofort jede Aufmerksamkeit eines Drachens auf sich ziehen würde. Doch nun musste er es offen tragen. Er näherte sich langsam dem Portalpunkt am Fuß der Wand. Das Amulett hatte ihn Xeromantius kurz vor seinem Aufbruch gegeben. Es zeichnete ihn als Gesandten der Berherrscher aus. Damit hatte er Zutritt zu jedem Hort eines Berherrschers, und jedes Portal eines Hortes musste ihn passieren lassen.
Er war nur noch einen Schritt von dem Portal zu Horuscals Hort entfernt. Ein dunkelrotes Licht umhüllte ihn, als er den Portalpunkt betrat. Es gab immer einen kurzen Moment der Orientierungslosigkeit, wenn man sich auf der anderen Seite des Portals wieder materialisierte. Er hatte Untersuchungen dazu angestellt, doch die Magie hinter den Portalen war nur den Großdrachen bekannt, und diese hüteten sie argwöhnisch.
Er hatte mit einem Empfangskomitee auf der anderen Seite des Portals gerechnet, aber dieser Anblick raubte ihm den Atem. Das Portal führte in eine große Kaverne innerhalb des Berges. Riesige Feuersäulen stiegen in regelmäßigen Abständen aus dem Boden hervor und erleuchteten die schwarzen glasigen Wände. Haufen von Knochen unterschiedlichster Wesen säumten den Rand der Kaverne.
Das Empfangskomitee fügte sich in das infernalische Bild, das sich ihn bot, ideal ein. Drachling an Drachling reihte sich rund um den Portalpunkt bis an die Wände. Ihre silbernen Rüstungen und blanken Waffen leuchteten teuflisch rot vom Widerschein der Feuersäulen. In der Ferne der Kaverne konnte er auch einige Drachen ausmachen, die mit ihrem Feueratem ebenfalls zu der dämonischen Beleuchtung beitrugen. Jenseits der Drachen überragte ein Drache alle anderen. Horuscal, der gefallene Realitätsberherrscher, stand mit seinen riesigen drohend gespreizten rot schimmernden Flügeln am Ende der beachtlichen Menagerie.
Aliasan war zutiefst beeindruckt. Er hatte mit einem Wachtrupp von einer Handvoll Drachlinge zu seinem Empfang gerechnet, doch dieses grandiose Schauspiel von Feuer und Macht hätte er nicht erwartet. Ein großer schwer gepanzerter Drachling kam auf ihm aus dem nächststehenden Trupp begleitet von zwei kleineren Wachen zu. Diese hatten ihre langen Lanzen in einer unmissverständlichen Art auf Aliasan gerichtet.

„Halt! Erkläre dich!“, zischte der große Drachling ihm entgegen.
Nun galt es vorsichtig zu sein und die Worte weise zu wählen, dachte Aliasan.
Seine Redegewandtheit hatte ihn schon aus vielen gefährlichen Situationen gerettet. Die Begegnung mit Xeromantius war bisher die spektakulärste. Als Aliasan damals die Insel von Xeromantius erreichte wurde er sofort von den Wachen des Großdrachen gefangen genommen. Nach langen Warten in den Kerkern der Insel und Verhören mit Offizieren wurde er zu Xeromantius gebracht. Dem Großdrachen hatte er in den Verhören mit der Größe und Erhabenheit der Großdrachen geschmeichelt. Als er in späteren Gesprächen mit Xeromantius noch einen Hass gegen alle Menschen vorheucheln konnte, war dieser davon überzeugt, dass es von Vorteil sei Aliasan in seine Dienste zu nehmen. Aber damals hatte er keiner Armee von Drachlingen und Drachen gegenüberzustehen.
„Ich bin ein Gesandter des Rates der Berherrscher. Führe mich zu deinem Herren!“, antwortet Aliasan mir einem unüberhörbaren Befehlston voller Stolz in der Stimme.
Er durfte nicht vor den niederen Drachlingen Furcht oder Schwäche zeigen. Diese würde ihn sonst sofort als minderwertig beurteilen, und er hätte keine weitere Chance sein Ziel zu erreichen.
„Gesandte hatten wir viele. Ich denke da drüben sind die Reste der letzten Gesandten.“, antwortete ihn der Drachlingoffizier mit voller Verachtung in der Stimme und deutete zum nächsten Knochenhaufen.
Aliasan schenkte dem keine Beachtung. Er fixierte seinen Blick starr auf Horuscal. Er wusste, dass dies den Drachling irritieren würde, wenn dieser nicht seine volle Aufmerksamkeit bekommen würde.
„Allerdings, scheint es dieses mal anders zu sein.“, leise Zweifel schlichen sich bereits in die Stimme des Offiziers ein, „Sonst haben diese Narren immer Drachlinge oder Drachen geschickt. Aber ein Hochelf? Das ist neu. Ich denke Gebieter Horuscal sollte dies selbst beurteilen.“
Der Offizier winkte den beiden Wachen, die Aliasan in ihre Mitte nahmen. Weitere drei Wachen bezogen hinter ihnen Position. Der Offizier führte den Trupp in die Ansammlung an Drachlingen. Es bildete sich eine Gasse durch die schuppigen Drachenkörper bis zu Horuscal.
Der Großdrache stand majestätisch über allen anderen auf einem Podest aus purem Rubin. Um seine enorme Größe noch zu unterstreichen hatte er seine mächtigen rotgold schimmernden Schuppen aufgestellt. Den Kopf mit den goldenen Hörnern stolz auf dem langen Hals tragend blickte er in die Ferne. Den kleinen sich ihm nähernden Trupp schenkte er keine Beachtung.
Auch wenn er viele Jahre im Dienste Xeromantius’ verbracht hatte, und die Erscheinung eines Großdrachens gewöhnt sein sollte, so war Aliasan dennoch tief beeindruckt. Xeromantius verzichte auf jede Art von Schaustellung seiner Größe und Macht. Sicher hätte auch er, wenn er alle seine Wachen zusammengezogen hätte, ein ähnliches Schauspiel bieten können. Und die kühle Unnahbarkeit, die er mit seinen blaugrün silbrigen Schuppen darstellen konnte, unterstrich seine Besonderheit. Denn wo Horuscal ein Meister des Feuers zu sein schien, war Xeromantius ein Herrscher über das Eis, dessen Kristalle im Eispalast auf der Insel im hohen Norden mindestens genauso prächtig waren, wie die Feuer in Horuscals Hort.

Der kleine Trupp war am Podest angekommen.
„Nun?“, donnerte die Stimme Horuscal mit einem Flammenstoß durch die weite Halle, „Was haben wir hier? Einen weiteren Gesandten? Und was für eine lächerliche Figur. Ein Hochelf! Sind dem hohen Rat bereits die richtigen Gesandten ausgegangen, oder bin ich jetzt nicht mehr wert?“
„Erhabener Herrscher….“, hob Aliasan an. Eine Wache stieß in mit der Lanze in den Magen. Der zarte Hochelf krümmte sich vor Schmerz.
„Schweig!“, fauchte Horuscal.
Dampf quoll aus seinen Nüstern.
„Denkst du ich bin so ein einfältiger Thor? Nein! Ich kenne dich genau. Du bist Aliasan Mindmaker, der Vasall von Xeromantius. Von deinen Untaten an vielen unserer Art im Auftrag Xeromantius’ habe ich gehört. Hat der Narr nun geglaubt du könntest mich töten?“
„Nein, ich will verhandeln.“ sagte Aliasan schnell die Reaktion der Wachen im Blick behaltend.
„Verhandeln? Über was? Ich denke nicht, dass du in einer Position für Verhandlungen bist.“, höhnte Horuscal.
Aliasan spürte den Blick der Hundertschaften an Drachlingen hinter sich.
„Erhabener Herrscher, eure Macht erkenne ich.“, sprach Aliasan mit einem Hauch an Schmeicheln in der Stimme.
Zuviel davon und es wäre unglaubwürdig, zuwenig und er wäre bald tot. Er musste das Interesse des Drachens wecken.
„Das wird auch gut so sein. Denn bald sollst du sie zu spüren bekommen.“ zischte der Großdrache.
„Wie ihr es befiehlt, Herr.“ schmeichelte Aliasan. „Mein Schicksal liegt in euren Händen. Doch ein Herrscher eurer Größe, sollte alles wissen, und ich besitze sehr wertvolle Informationen für euch.“
„Elfenabschaum! Meinst du nicht, dass ich deine Schmeicheleien durchschaue? Meine Folterknechte werden dir dein Wissen schon abringen.“, drohte Horuscal mit dunklen Ton.
„Das mögen sie versuchen! Ich wusste, dass es ein Himmelfahrtskommando würde, daher bin ich auf Folter vorbereitet. Sie wird mich nicht erreichen. Nein, ihr würdet mein Wissen verlieren. Dies würdet ihr in eurer Weisheit doch nicht zulassen?“, sprach Aliasan mit verstohlenen Blick.
„Selbstmord? Dazu wärst du nicht in der Lage, eitler Elf.“, verlachte ihn Horuscal, „Und ob so oder so, dein Ende käme nur etwas früher.“
„Doch wenn es früher käme, hättet ihr keinen Gewinn, weder die Freude an meinen Qualen unter der Folter, noch den Besitz wichtiger Informationen. Der Verlierer wärt ihr. Und jemand mit eurer Intelligenz ist alles, aber er ist nur ungern ein Verlierer.“, erwiderte Aliasan.
Seine Stimme war nun fast so süß wie Honig.
„Ich verliere nie!“, wütete Horuscal.
Ein mächtiger Flammenstrahl entfuhr seinem Maul.
„Bringt ihn zur Spitze. Ich werde später entscheiden, wie mit ihm zu verfahren ist.“, befahl der Großdrache den Bewachern Aliasans.
 
11. Auf die Spitze gebracht

Der warme Wüstenwind blies ihn mit Sturmstärke fast die Kleider vom Leib. Viel Deckung blieb ihm nicht. Nachdem er ziemlich unsanft von den Drachlingen gepackt wurde, schleppten sie ihn hier herauf. Die Spitze erwies sich als ein Plateau knapp unterhalb des Gipfels des Berges. Auf drei Seiten wurde es durch den schieren Abgrund begrenzt. Die glatten schwarzen Glaswände fielen hunderte von Meter senkrecht ab. Die vierte Seite wurde beherrscht durch ein gewaltiges schwarzes Tor, durch das Horuscal aufrecht hätte gehen können. Vermutlich war dies auch der Ausblick des Drachens und sein Startplatz. Viele Kratzspuren im Boden des Plateaus konnten ihren Ursprung durch harte riesige Drachenklauen nicht verbergen. Über den Tor war nur noch eine einzige lange dünne Felsnadel. Aliasan kauerte sich in eine kleine Nische, die eine kleinere Tür bot, die in das große Tor eingebaut war. Diese hatte sich in den letzten dutzend Tagen, die er bereits hier verbrachte, nur geöffnet, wenn die Drachlinge ihm schlammiges Wasser und ein Stück schimmliges Brot gebracht hatten.
Soweit war aber dennoch alles mehr oder weniger nach Plan verlaufen, dachte er in seiner Einsamkeit. Er war sehr zufrieden damit noch am Leben zu sein, und das Interesse Horuscals an ihm geweckt zu haben. Er musste sich jedoch eingestehen, dass seine Taktik verzweifelt war. Aber er war auch erstaunt, wie simpel doch diese Großdrachen zu manipulieren waren. Doch der Rest würde nun schwer. Alles hing nun von Horuscal ab.
Aliasan hatte viel Zeit darüber nachzudenken, wie sich seine bisherigen Funde kombinieren liesen. Er wusste nun, dass es Drachen gab, die die Realität beeinflussen konnten, wie es keiner der fünf bekannten Schwärme konnte. Aber was er fand verwunderte ihn. Bis jetzt schienen die Drachen allen Schwärmen zu entstammen. Es war sehr ungewöhnlich.
Sie schienen sich auch alle zu kennen, obwohl sie keinen eigenen Schwarm bilden könnten. Xeromantius sprach von seinen Brüdern und Schwestern. Meinte er damit die des blauen Schwarms, oder die Mitglieder der Realitätsbeherrscher. Aliasan war sich sicher, dass alle diese Drachen den Berherrschern angehörten. Er hatte ihre Ratsversammlungen oft belauscht, doch keinen Blick auf die Teilnehmer werfen können. Bis jetzt waren ihm ein blauer, roter und ein vermutlich schwarzer Drache als Mitglieder der Berherrscher bekannt. Die Farbe Locutians war allerdings nicht sicher. Er konnte bisher bei Xeromantius nichts über ihn erfahren. Wenn er wirklich dem schwarzen Schwarm angehören sollte, dann wäre dies von beträchtlicher Auswirkung.
‚Vielleicht ist alles ein Plan der Brut von Todes...’, dachte Aliasan und erschrak bei dem Gedanken.

Das Schloss der kleinen Türe wurde aufgesperrt. Er erhob sich und wich einige Schritte zurück. Die kleine Tür öffnete sich. Ein Drachlingoffizier betrat das Plateau gefolgt von einem Trupp Soldaten.
„Zurück!“, herrschte ihn der Drachling an.
Dem Drachling nachzugeben wäre ein Symbol der Schwäche, dachte Aliasan und blieb stehen. Der Offizier nickte den Soldaten kurz zu. Diese ergriffen Aliasan und zehrten ihn weiter vom Tor weg. Ein dunkles Rumoren erfühlte nun das Plateau. Das gewaltige Tor öffnete sich langsam. Horuscal schritt mit voller Größe und hoch erhobenen Hauptes durch das Tor. Der Boden zitterte unter seinen Schritten.
Er winkte mit seiner mächtigen Vorderklaue dem Offizier zu. Dieser salutierte kurz und zog sich mit seinem Trupp in den Berg zurück. Das Tor schloss sich hinter ihnen. Sie waren alleine.
„Nun, Elf?“, dröhnte Horuscal, „Wie gefällt dir dein Gemach?“
‚Ironie bei einem Drachen?’ dachte Aliasan.
„Du wirst eine lange Zeit hier bleiben. Solange bist du freiwillig um Gnade bettelst und von dir aus alles sagst. Du siehst, es gibt auch subtilere Methoden neben der reinen Gewaltanwendung. Doch wenn du an meine Milde appellierst, dann kann ich dich auch gleich für immer von den Qualen der Einsamkeit und deines elenden kleinen Lebens erlösen.“, zischte der Drache.
„Mächtiger Horuscal, ich werde nicht betteln. Eure Weisheit hat euch einmal wieder die richtige Art und Weise zur Lösung des Problems gezeigt.“, schmeichelte Aliasan dem Drachen.
„Problem? Du stellst für mich kein Problem dar. Es sind diese Narren vom Rat der Berherrscher, die ein Problem sind. Aber auch nicht für mich, sondern für uns alle.“, sagte er verächtlich.
Das Gesicht des Großdrachen verfinsterte sich.
„Und wenn ich dir sagen würde, dass ich es genauso empfinde?“, diente sich Aliasan schnell an.
„Du kleiner Gernegroß! Was weist du über den Rat?“, verhöhnte ihn der Drache und brach in Gelächter aus.
„Mehr als du weist, edler Horuscal. Denn wo sich die Großen treffen, werden meistens die Kleinen ignoriert.“, sagte Aliasan mit listvoller Stimme.
„So, so, ein kleiner Spion bist du also. Meinst du, du könntest so mein Vertrauen und meinen Respekt gewinnen?“, antwortete der Drache voller Verachtung für Aliasan.
„Nein, Herr und Meister.“, verbeugte sich Aliasan.
„Aber du hast Recht. Ich bin dem Rat schon sehr lange ferngeblieben, und es wäre vermutlich auch nicht klug dort zu erscheinen.“, gestand Horuscal.
„Das ist weise, aber ihr erfahrt so nur sehr wenig aus dem Rat.“, erwähnte Aliasan fast beiläufig.
„Was soll ich von den Narren wissen wollen?“, donnerte Horuscal voller Zorn.
„O edler Horuscal. Sie sind gewiss Narren. Denn wer außer einem Narr könnte versuchen …“. Aliasan zögerte.
„Sprich weiter!“, ein Feuerstrahl aus Horuscals Schnauze fegte über das Plateau.
„Nun, mächtiger Horuscal, der Rat wünscht euren Tot.“, sagte Aliasan mit ruhiger Stimme.
Das Plateau erbebte unter dem donnernden Gelächter Horuscals.
„Und dazu schicken sie dich? Um mich zu töten? Narren! Das reicht gar nicht aus, um Sie zu beschreiben.“, höhnte der Drache, „ Wer sollte mich nun noch hintern, dich sofort zu deinen Ahnen zu schicken?“

Aliasan erschrak. Hatte er einen Fehler gemacht? Er musste mit noch mehr Vorsicht vorgehen, aber auch mit List und Tücke. Lange hatte er den Umgang mit Großdrachen bei Xeromantius und den anderen Drachen in dessen Hort geübt. Doch Horuscal war anders. Er gab sich nicht ellenlangen Diskussionen hin. Er traf seine eigenen Entscheidungen ohne einen Rat einzuberufen, wie Xeromantius es gerne tat, und diese schienen momentan nicht zu Aliasans Vorteil auszufallen.
„Euer Spion im Rat der Berherrscher.“, sagte Aliasan ruhig.
Er musste den Schrecken in seiner Stimme verstecken. Horuscal stutze. Sein mächtiger Körper verharrte regungslos. Aliasan gönnte sich ein kleines triumphales Lächeln.
„Nun, Horuscal. Es war nicht einfach ihn zu entdecken. Aber sobald ich den Auftrag erhielt dich zu töten, habe ich meine Untersuchungen verstärkt. Dich töten wegen zwei Drachen, die du getötet hast? Lächerlich! Xeromantius und ich selbst haben mehr getötet. Und als ich dann auf die Spuren des Spions kam, fügte sich das Bild zusammen, dass es zwei rivalisierende Lager der Berherrscher gibt.“, erklärte Aliasan rasch.
„O du Narr! Denkst du nicht, dass dies Wissen nun nur ein Grund mehr ist dich zu töten?“, zischte Horuscal.
„Das magst du gerne tun. Nur wenn ich sterbe, wird dein Spion auch sterben. Dafür habe ich gesorgt.“, drohte Aliasan dem Drachen.
„Er ist ein vernachlässigbares Opfer.“, sagte Horuscal mit einer abfälligen Geste seiner riesigen Vorderklauen.
„Wirklich? Dann sollte es dir ja ein Leichtes sein, wieder einen Spion zu schicken. Ich denke aber, so einfach wird das nicht. Auch dafür habe ich gesorgt.“, verlachte Aliasan den Großdrachen, „Du siehst es wäre besser mich am Leben zu lassen.“
„Dann schau dich nun gut um in deinem Heim für die nächsten Jahrzehnte bis zu deinem natürlichen Tot. Aber ich glaube nicht, dass ich darauf solange warten muss.“, sagte der Drache.
„Zum Warten hast du auch keine Zeit, denn wenn ich mich nicht bis zum nächsten Sonnenbrunnenfest melde, wird dein Spion enttarnt. Du hast also nur sehr wenig Zeit.“, enthüllte Aliasan dem Großdrachen, „Und mach dir keine Mühe meine Kontaktleute zu finden. Es ist wird dir nicht gelingen.“
„Ich sehe, dass wohl ich der Narr war.“ sagte Horuscal und schüttelte seinen mächtigen Kopf, „Ein kleiner naseweiser Elf vernichtet die Arbeit der Bewahrer des Realen.“
„Arbeit?“, verhöhnte Aliasan den Drachen, und hoffte damit nicht zu weit gegangen zu sein, „Andere Drachen töten, weil sie anderer Meinung sind?“

Horuscal richtete sich auf und spreizte seine mächtigen Flügel. Ein gewaltiger Feuerstoß aus seinen Nüstern fegte knapp über Aliasan hinweg.
„Einfältiger Elf, ist dein Verstand wirklich so klein?“, zischte Horuscal, „Bist du durch die Ränkespiele Xeromantius’ bereits so blind, dass du den wahren Kern des Problems nicht siehst?“
Aliasan blieb regungslos stehen. Er durfte nun keine Regung zeigen.
„Es gibt mehr als nur eine Weisheit. Die Realitätsberherrscher irren sich. Ihre Versuche mit der Realität der Welt zu spielen müssen gestoppt werden.“, donnerte der Großdrache mit deutlicher Missbilligung in seiner Stimme.
„Was geschehen ist, ist bereits geschehen. Leider mussten meine beiden Artgenossen sterben, aber sie waren dabei die Realitätslinien empfindlich zu stören.“, ein Hauch von Trauer lief über sein Gesicht.
„Aber wenn die Welt zum Guten geändert wird? Vielleicht kann dadurch viel Übel und Tot verhindert werden?“, sagte Aliasan.
„Die Welt ist, wie sie ist. Kein Wesen hat das Recht sie zu ändern. Was wissen die Berherrscher wie sich ihre Änderungen auswirken?“, dozierte Horuscal nun deutlich ruhiger.
„Jede ihre Änderungen hat Auswirkungen auf das Jetzt und die Zukunft. Wie wollen diese Narren dies alles überwachen? Die Kaskade die sie hier aufbauen wird zur Lawine, die sie und uns alle begraben wird.“, philosophierte der Drache.
Aliasan konnte Horuscal insgeheim nur zustimmen. Er dachte selbst oft darüber nach mit welchem Recht sich diese selbsternannten Realitätsberherrscher und deren Rat sich in die Geschicke der Welt einmischten. Denn nur weil sie die Fähigkeit dazu hatten, war sicherlich keine ausreichende Begründung. Denn, dass sie diese besassen, stand im krassen Widerspruch zu den Aspekten.
‚Wo liegt der Sinn und Zweck all dessen?’, dachte Aliasan.
Sicherlich wusste kein Elf, Zwerg oder Mensch von den Aktivitäten der Realitätsberherrscher. Nur er alleine kannte die Spitze des Eisberges. Aber war es es wert der Sache noch weiter auf den Grund zu gehen? Was wussten die Aspekte? Er hatte die Information, nach der er ursprünglich gesucht hatte. Das weitere Vorgehen müsste er nun anders planen. Die Auswirkungen waren für ihn alleine nicht mehr bewältigbar. Es war an der Zeit den Drachen lebe wohl zu sagen, und nach Hause zurückzukehren.
„Mächtiger Horuscal, deine Argumente überzeugen mich. Ich habe auch schon oft darüber nachgedacht. Was du und die Deinen tun und planen, ist sicherlich von Vorteil für alle. Ich werde dich unterstützen, so gut ich es vermag.“, sagte Aliasan mit einer tiefen Verbeugung.
„Glaubst du wir geben viel auf einen Überläufer?“, zweifelte Horuscal mit tiefer Stimme, „Aber es mag sein, dass du uns jetzt nützlich sein kannst. Kehre zum Hort Xeromantius’ zurück und überbringe unserem Kontakt eine Nachricht. Aber sei sicher, dass wir dich finden werden, solltest du uns hintergehen.“
Er hatte mit vollen Einsatz gespielt, und jetzt ein Unentschieden erspielt. Den Auftrag Xeromantius hatte er also nicht erfüllt. Horuscal zu töten war unmöglich. Sein eigenes Leben hatte er aber gerettet. Dies war Aliasan momentan Gewinn genug. Er könnte diese Anormalie in den Drachenschwärmen weiter erforschen. Ausserdem hatte er von der Abspaltung der Bewahrer des Realen von Realitätsberherrscher erfahren. Er würde sich dies für zukünftige Aktionen merken. Vielleicht ergab sich hier ein Schlüssel zur Lösung des Problems.

Ein Trupp Drachlinge brachte ihn an die Grenze von Horuscals Reich. Nachdem ihm der Offizier des Trupps die versiegelte und wohl auch verschlüsselte Nachricht für den Spion übergeben hatte, verschwand der Trupp langsam in der Dämmerung der einbrechenden Nacht. Er bezweifelte aber, dass er unbeobachtet war. Hoch in der Luft war ihm öfter die Silhouette eines Drachens aufgefallen. Vermutlich würde dieser ihn mit seinen scharfen Augen noch etwas länger beobachten. Es blieb ihm daher momentan keine andere Wahl, als den Weg zum Hort Xeromantius’ einzuschlagen. Sobald er nicht mehr beobachtet werden würde, würde er aufbrechen Locutian zu finden. Seine Abstammung musste geklärt werden.
 
12. Die Flucht beginnt

Es war eine schäbige Herberge am Rande der Straße. Reisende stiegen hier wohl nur ab, wenn sie keine andere Wahl hatten. Das einstöckige mit Gras gedeckte Haus hatte bestimmt bessere Zeit erlebt. Putz und Fachwerk waren auch bereits eng mit dem Verfall befreundet. Es war daher ein Wunder, dass der Gastwirt die Herberge noch betrieb. Aber statt sich darüber zu wundern, wie er sich seinen Lebensunterhalt verdingte, mieden alle lieber diesen Ort.
Aliasan verharrte an der Tür der Herberge, und musterte den Türrahmen. Im Vergleich zum Rest der Herberge war dieser in einem überraschend guten Zustand. Leichte Schnitzereien verschiedener Tiere zierten ihn. Der Drache, der eine Weltkugel hielt, fiel daher nicht auf, wenn man dieses Zeichen nicht deuten konnte. Aliasan trat ein.
Der Gastraum der Herberge flackerte im Licht des Kaminfeuers. Die Herberge war simpel ausgestattet. Das spärliche Mobiliar bildeten einige wenige klapprige Stühle, die nicht zum Sitzen einluden, an Tischen, welche einen zögern ließen seine Mahlzeiten darauf zu stellen. Rechts vom Eingang war das Reich des Gastwirts mit der Theke. Im Hintergrund führten eine Türe in die Küche und eine wackelig anmutende Holztreppe steil nach oben.
Aliasan schaute sich um. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Dies musste es sein. Er musterte den ältlichen Mann hinter der Theke, der ein Glas mit einem Tuch reinigte. Er schien früher sehr kräftig gewesen zu sein. Nun war jedoch an die Stelle von Muskeln Fett getreten. Seinen Kopf zierte kein einziges Haar, doch sein Schnauzbart war enorm, und endete in langen nach außen gezwirbelten Spitzen. Er trug eine einfache Leinenkleidung unter seiner speckigen braunen Lederschürze.
„Was wünscht ihr hier, Fremder!“, raunte ihn der Mann mit einer Stimme an, die wie eine Raspel klang.
Aliasan griff in seine Tasche. Mit einer raschen Bewegung hielt er das Amulett Xeromantius’ vor sich. Ein greller weißer Blitz ging von ihm aus. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwand der Mann hinter der Bar, und ein Drachling war zu sehen.
„Gut, gut. Ich denke wir brauchen das nicht weiter, Herr.“, sagte der Gastwirt, „Wie kann ich dem hohen Herrn von Diensten sein?“
„Ich habe hier eine wichtige Nachricht an unser beider Gebieter. Sorge dafür, dass sie ihn so schnell wie möglich erreicht.“, befahl Aliasan als er den als Wirt getarnten Drachling einen Umschlag übergab und ohne weiteres Zögern die Herberge verlies.

Er musste nun so schnell wie möglich seine Spuren verwischen und untertauchen. Der Drachling hier sollte der letzte seiner Art gewesen sein, der Aliasan gesehen haben sollte. Er wusste, dass Xeromantius vor Wut toben würde, wenn er den Inhalt des Umschlages lesen würde. Darin hatte er, neben dem detaillierten Bericht der Geschehnisse in Horuscals Hort, auch seine Absicht niedergeschrieben, nun nicht mehr im Dienste Xeromantius stehen zu wollen. Er hoffte aber, dass seine letzten Worte Xeromantius ihn gegenüber besänftigen würden, und sein Zorn auf andere zielt. Was dann dabei aus dem Spion Horuscals werden würde, dessen Namen er ans Ende seines Briefes geschrieben hatte, war ihm einerlei. Da er nicht immer in seinem Tarnumhang leben konnte, musste er einen Unterschlupf finden.
Er wusste, dass der Tag kommen würde, an dem er Xeromantius verlassen würde, darum hatte er heimlich für Zuflüchte und Goldvorräte vorgesorgt. Von der Herberge folgte er der Straße. Er wollte seine Tarnung durch einen Kampf mit Wildtieren nicht riskieren, die es hier in der Savanne reichlich gab. So sehr er es auch ersehnte seine Schritte zur der nahe gelegenen nächsten Zuflucht zu wenden, so musste er sich doch zuerst auf eine lange Wanderung machen, um seine Spuren zu verwischen. Er musste ein Geist werden. Jemand den man hier und da eventuell gesehen haben könnte. Nirgends durfte er lange verweilen. Erst danach konnte er sich in einer der Zuflüchte niederlassen.

Die Nachricht konnte Xeromantius noch nicht erreicht haben, denn sein Weg in die Jagdgründe der Tauren verlief ungestört. Dies war sicherlich ein unerwarteter Landstrich für den Aufenthalt eines Hochelfs, und würde sich daher vorzüglich zur Verwirrung der Verfolger eignen. Außerdem hatte er hier etwas zu klären.
In einem kleinen Wäldchen vor einer Taurensiedlung legte er seinen Tarnumhang ab, und ging in Richtung des Aufzugs, der den Tafelberg hinaufführte, auf dessen Plateau die Tauren mit dem Aufbau einer spärlichen Siedllung begannen. Wie er es erwartet hatte, wurde der Aufzug bewacht.
„Halt!“, befahl die Taurenwache und verwehrte ihm mit ihrer Hellebarde den Zugang zum Aufzug.
Aliasan blieb stehen, verbeugte sich kurz und sagte, „Ehre den Ahnen. Bitte gewährt mir Zutritt. Mein Name ist Shatael Sonnenzorn. Mein Weg führt mich zu Gromzug Wisselspring in geschäftlichen Dingen.“
„Wartet hier!“, raunzte die Wache, und drehte sich zu dem Wachoffizier hinter ihr.
Der Wachoffizier nickte kurz. Eine weitere Wache trat heran.
„Diese Wache wird euch zu Wisselspring geleiten um eure Absichten zu klären.“, sagte die erste Wache nun.
Aliasan betrat in Begleitung der Wache den Aufzug. Vom Ausgang des Aufzugs war es nicht weit bis zur Hütte, die Wisselspring als Geschäft diente.
„Wisselspring!“ schrie die Wache vor dem Geschäft.
„Jo!“ tönte eine Reibeisenstimme aus der Hütte.
„Komm raus. Hier ist ein Fremder der dich besuchen will!“, rief die Wache so laut, dass man es wohl über den ganzen Tafelberg hörte.
Ein kleiner grüner Goblin trat vor die Hütte. Sein Wams glänzte golden.
„A…..“, räusperte sich der Goblin, „Shatael! Endlich!“
„Du kennst diesen Elf?“, raunzte die Wache.
„Ja, ich kenne ihn. Er bringt mir wichtige Nachrichten von meinen Geschäften in der Heimat. Sie sind wichtig zum Aufbau eurer neuen Siedlung.“, sagte der Goblin mit voller Überzeugungskraft.
„Gut. Du bist nun für seine Taten hier verantwortlich.“, sprach die Wache und verlies sie.

„Schnell! Komm rein!“, sagte der Goblin und gestikulierte wild in Richtung der Hüttentür.
Im Inneren der Hütte sagte er etwas beruhigter, „So, so, Aliasan. Ist die Zeit nun gekommen? Was für eine Zeit hast du dir aber dafür ausgesucht?“
„Ich grüße dich Gromzug. Wie gehen die Geschäfte?“, sprach Aliasan mit einem Augenzwinkern.
„Schlecht wie immer. Die Zeiten sind düster.“, sagte Gromzug.
Aliasan schenkte dieser Aussage natürlich keinen Glauben, denn er wusste, dass ein Goblin seinen Profit selbst aus dem Nichts schlagen konnte.
„Es liegt Krieg in der Luft.“, flüsterte der Goblin, „Die Völker versuchen alle ihren eigenen Vorteil zu suchen. Der Kampf ist dabei ein sehr beliebtes Mittel. Und als ob dies noch nicht reichen würde, hört man Gerüchte von einer bevorstehenden Bedrohung durch eine fremde finstere Macht. Sag selbst, welcher ehrliche Goblin kann in solchen wirren Zeiten gute Geschäfte machen?“
„Jeder Goblin.“, schmunzelte Aliasan, „Krieg bedeutet den höchsten Profit, weil ihr alle Seiten bedient.“
„Wenn wir uns nicht schon solange kennen würden, und ich nicht in deiner Schuld stünde, würde ich sofort die Wache rufen und dich als Spion abführen lassen, alter Freund.“, feixte der Goblin.
„Gut, dann könnte die Wache gleich zwei Spione abführen.“, erwiderte Aliasan.
„Nun, genug gescherzt. So, du hast also deinen Drachen verlassen?“, sagte Gromzug.
Seine Stimme verfinsterte sich.
„Ja, ich hatte keine andere Wahl.“, antworte in Aliasan bitter, „Nun ist es an der Zeit dein Versprechen einzulösen, Gromzug.“
„Du musst mich nicht daran erinnern. Ein Goblin! Ein Wort!“, versicherte ihn Gromzug.
‚Wohl eher: Ein Goblin! Viele Wörter! Je nach Bezahlung.’, dachte Aliasan schmunzelnd für sich.

„Ich habe alles in die Wege geleitet, als ich deine Nachricht bekam.“, erklärte Gromzug ihn.
„Gut, denn leider musste ich diese sehr kurz fassen bevor ich Xeromantius verlies. Ich muss nun viel reisen.“, nickte Aliasan.
„Wenn ich dir einen Rat geben darf, dann meide dabei die Nachtelfen hier in Kalimdor. Ich denke diese sind nicht gut auf euch Hochelfen zu sprechen.“
„Das macht die Wegwahl schwer. Aber ich glaube es reicht, wenn ich ihre Hauptgebiete meide.“
„Das mag gehen. Wohin willst du als nächstes reisen?“, fragte Gromzug.
„Alter Freund, es ist besser du weist das nicht.“, legte ihn Aliasan eindringlich nahe.
„Sicher.“, seufzte der Goblin, „Gut genug geschwätzt. Zum Geschäft.“
„Geschäft?“, wunderte sich Aliasan.
„Oh, nur eine alte Goblingewohnheit. Keine Aktion ohne Profit.“, sprach Gromzug, „ Ich habe alles so gut ich es in diesen Zeiten konnte ausgeführt und herbeigebracht. In den Ställen am Fuß des Hochplateaus steht ein schnelles Pferd. Und der Rest … Moment!“
Der Goblin ging zur Hüttentür und verschloss sie. Anschließend holte er einen sehr filigranen Schlüssel aus seiner Wamstasche heraus und ging auf einen Holzbalken der Hütte zu. Wenn man genau hinschaute, so konnte man mit viel Mühe das kleine Schlüsselloch in einem Astloch erkennen.
Die Wand neben den Balken sprang auf. Gromzug öffnete die Geheimtür. Der Schacht dahinter war kaum groß genug für einen Goblin. Eine Leiter führte nach unten.
„Nach dir Aliasan!“ grinste der Goblin. Aliasan zwängte sich in den engen Schacht und stieg die Leiter in den geheimen Keller hinunter. Der Goblin folgte ihn und zog die Geheimtür hinter ihnen zu.

„Wie ich sehe machst du keinen Profit in diesen düsteren Zeiten.“, erheiterte sich Aliasan und deute auf die Waffen, die sich in dem Keller bis zu dessen Decke stapelten.
„Nur eine unbedeutende kleine Lieferung.“, winkte der Goblin ab, „Das Wichtigste in diesem Keller ist dort.“ Gromzug deutete auf eine schwere schwarze Truhe die mit vielen Schlössern gesichert war.
„Ich hoffe du hast alle Schlüssel, Aliasan.“, sagte der Goblin.
„Schlüssel? Nein. Zu dieser Truhe gibt es keine Schlüssel.“, sinnierte Aliasan, und ging zu der Truhe. Er legte seine Hände an zwei unauffällige Stellen der Truhe, und begann einen Zauberspruch. Die Wände der Truhe wurden transparent, und boten Aliasans Hand keinen Widerstand als er die Gegenstände herausnahm. Der Goblin sah mit großen Augen zu.
„Endlich, wieder Macht!“, triumphierte Aliasan als er seinen Stab in die Höhe hielt. Der rote Kristall an der Spitze begann zu leuchten, und seine vier kleineren Begleiter ihn zu umrunden.
 
13. Alle gegen Einen

„Nun, alter Narr! Dein Plan hat versagt!“, triumphierte Horuscal.
„Ich bin geneigt das zuzugeben, denn leider sehe ich dich immer noch am Leben.“, entgegnete Xeromantius angewidert.
Die beiden Großdrachen umrundeten sich argwöhnisch. Keiner lies den anderen auch nur einen Moment unbeobachtet. Die Ratskammer der Berherrscher bot beiden Immunität. Dennoch waren sie sich bewusst, dass jeder von ihnen den kleinsten Vorteil nutzen würde. Doch waren sie sich auch der Armee an Drachlingen und Drachen gewiss, die außerhalb der Ratskammer auf ihren Gebieter warteten. Sollte nur einer wieder erscheinen, so würde der Kampf heftig und für beide Seiten verlustreich werden.
„Aber wenigstens hast du meine Nachricht erhalten, und warst so klug dem Treffen zuzustimmen.“, sagte Xeromantius.
„Nun mein Kundschafter konnte mir nichts mehr sagen. Doch deine Botschaft haben wir in den tausenden von Eisstücken gefunden, in die er zerborsten ist, als in dein Bote auf meinen Hort fallen lies.“, amüsierte sich Horuscal und blies eine kleine Flamme aus seinen Nüstern
„Es war die einfachste Methode dir deinen Spion wieder zurückzuschicken.“, sagte Xeromantius.
Er spreizte seine mächtigen blaugrünen Schuppen so, dass zwischen ihnen eisige blaue Funken sprangen.
„Sei versichert. Der Kundschafter war ein kleines Opfer. Wir Bewahrer des Realen werden nicht aufgeben.“, versprach Horuscal drohend.
„Das werden wir sehen. Aber momentan gibt es wichtigere Dinge.“, sagte Xeromantius.
„Ja, deshalb bin ich gekommen, Xeromantius. Wir beide wurden hintergangen.“, nickte Horuscal.
„Du wurdest nur betrogen.“, flüsterte Xeromantius, und fuhr laut fort, „Ich wurde verraten. Nein, wir alle, Berherrscher und Bewahrer, wir alle wurden verraten!“
„Nun, das ist weit gegriffen. Wir haben lediglich einen unbedeutenden Kundschafter verloren. Das ist wahrlich kein großer Verrat.“, höhnte Horuscal.
„Zu dem es auch nicht gekommen wäre, hätte der Elf seinen Auftrag ausgeführt.“, entgegnete Xeromantius kühl.
„Mich zu töten!“, lachte Horuscal, „Dazu hätte er nicht die Macht gehabt.“
„Doch, die und das Wissen dazu hatte er.“, versicherte Xeromantius.
„Wie sollte er? So ein winziger Schwächling wie er. Wie hätte er …“, Horuscal stutzte.
Ein riesiger Feuerstoß entfuhr seinen Nüstern.
„Ihr Narren! Habt ihr ihm etwa unser Geheimnis verraten?“, donnerte Horuscal.
„Ja. Es erschien uns die einzige Möglichkeit dich los zu werden.“, antwortete Xeromantius ruhig.

„Ich wusste nicht, dass es so einfältige Großdrachen gibt. Aber nun habt ihr Realitätsberherrscher unser aller Todesurteil gesprochen. Das Geheimnis unserer Fähigkeiten in der Hand ausgerechnet dieses Elfs.“, erboste sich Horuscal.
„Es ist geschehen. Leider können wir es nicht mehr rückgängig machen.“, sagte Xeromantius.
„Ja, darüber habt ihr nicht nachgedacht in eurem Wahn die Realität der Welt zu ändern.“, höhnte Horuscal.
„Die Korrekturen müssen sein. So befiehlt es unser aller Meister.“, belehrte ihn Xeromantius, „Nur können wir uns leider nicht selbst korrigieren.“
„Der, der die Realität verändert, ist real unveränderbar.“, dozierte Horuscal zurück, „Das ihr diesen Leitspruch vergessen konntet, den euer Meister hier in dieser Halle in großen Buchstaben mit Feuer in die Wände eingebrannt hat.“
„Ja. In der Tat das haben wir.“, resignierte Xeromantius, „Deshalb müssen wir nun handeln.“
„Wir? Nein, ihr müsstet das. Aber leider habt ihr Größenwahnsinnigen uns alle in Gefahr gebracht. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als momentan mit euch an einen Strang zu ziehen, bis die Gefahr vorüber ist.“, sagte Horuscal abfällig.
„Wir haben gehofft, dass du die Notwendigkeit einsehen würdest.“, antwortete Xeromantius erleichtert, „Vielleicht findest du auch zurück zum Pfad des Meisters.“
„Das glaube ich nicht.“, schnaubte Horuscal, „Nun lass uns beginnen das Problem zu lösen.“.
„Gut. Ich erhielt vor zwei Tagen eine Botschaft Aliasans, die er einen meiner Außenposten übergeben hat. Leider hat dieser die Situation nicht richtig gedeutet, sondern war davon überzeugt, dass der Elf ein Sonderbotschafter des Rates in geheimer Mission war. Seither habe ich leider jede Spur von ihm verloren.“, erklärte Xeromantius.
„Dein Ränkespiel hat sich gegen dich gewandt.“, erwiderte Horuscal sarkastisch, „Nun, ich weis mehr als du über den Verbleib deines treulosen Vasallen. Als er mich verließ, blieb ihm eine meiner treuesten Kundschafterinnen auf den Fersen. Sie hat ihn beobachtet, wie er deinen ehemaligen Außenposten aufsuchte.“
Horuscal gönnte sich eine kurze rhetorische Pause.

„Ehemalig?“, entfuhr es Xeromantius.
„Ja. Meine Kundschafterin hat dafür gesorgt, dass du keine Informationen mehr von dort bekommen wirst. Die Savanne wird bald die verkohlten Überreste überwuchert haben.“, triumphierte Horuscal.
Der mächtige Körper Xeromantius’ bebte vor Zorn. Er spie einen enormen Eisstoß vor Wut.
„Nun, der Narr meinte sein Tarnumhang würde ihn schützen, doch hat er vergessen, dass das Amulett, das du ihm gabst, ihn für jeden Drachen auf Meilen aufspürbar macht.“, fuhr Horuscal unbeeindruckt fort.
„Warum hat ihn dann deine Kundschafterin nicht getötet?“, rätselte Xeromantius.
„Du Thor! Damals war uns sein Wissen unbekannt. Denkst du, er hätte sonst meinen Hort lebend verlassen?“, erboste sich Horuscal.
„Nein. Vermutlich hätte er das nicht.“, gestand Xeromantius.
„Deshalb hat sie ihn nur verfolgt. Er nahm den Weg zu einer Taurensiedlung. Meine Späherin beobachtete wie er dort einen Goblin traf. Es ist gut, dass ausgerechnet meine beste Späherin ihn verfolgte. Sie nahm die Form eines Tauren an und beobachtete das Geschehen. Als dein abtrünniger Handlanger den Goblin wieder verließ, besorgte sie sich von diesen die Informationen über die Vorgänge in dessen Hütte.“
„Hast du keine Bedenken, dass der Goblin Aliasan warnt?“, sorgte sich Xeromantius.
Horuscal brach in schallendes Gelächter aus.
„Die Tauren werden nun wieder Platz für eine neue Hütte haben, nachdem sie die verbrannten Überreste der alten beseitigt haben. Ob darin von dem Goblin viel übrig geblieben ist, das wage ich zu bezweifeln.“, triumphierte Horuscal, „Und nun, du Narr, magst du noch mehr an deinen Plan mich zu töten verzweifeln. Wer denkst du, war dein Handlanger?“
„Ein gelehrter Hochelf, der auf der Suche nach Wissen über uns war.“, antwortete Xeromantius.
„Du hast ihn wohl nie überprüft?“, setzte Horuscal nach.
„Nein. Dazu bestand kein Grund. Er war schwach und hatte nur Fetzen am Leib als er zu meinem Hort kam. Ich sah keine Gefahr in ihm.“, sagte Xeromantius.
„Einfältiger, eitler Tropf! Wie kann man nur so leichtsinnig sein.“, erzürnte sich Horuscal, „Der Goblin beschrieb meiner Späherin alle Gegenstände, die Aliasan einer Zaubertruhe entnahm, die er für ihn besorgte. Sie enthielt auch einen Stab. Einen Stab wie ihn bei den Hochelfen nur Magiemagister des ersten Sanktums tragen.“
„Magister? Aliasan? Des ersten Sanktums?“, flüsterte Xeromantius mit der Verzweiflung ringend.
„Ja. Außerdem ist er Mitglied des inneren Zirkels der Kirin Tor. Und nun da er wieder in vollen Besitz seiner Ausrüstung ist, benötigen wir schon eine kleine Armee, um ihn im offenen Kampf bezwingen zu können.“
„In der Tat, das sind schlechte Neuigkeiten.“, resignierte Xeromantius.
„Nur für dich. Ich denke deine Brüder und Schwestern von Rat werden hierzu schon noch ihr Urteil über dich fällen, wenn es nicht dein Meister selbst tut. Doch das löst unser Problem nicht.“, sagte Horuscal.
„Es gibt keine Lösung.“, flüsterte Xeromantius.
„Du, der versucht hast mich hinterlistig zu töten, siehst keine Lösung?“, fragte Horuscal.
„Wir können ihn nicht offen besiegen, und wir wissen nicht wo er ist.“ antwortete Xeromantius.
„Nein, das können wir nicht, aber wir können ihn beseitigen. Heimlich. Meine Späherin erwartet dazu nur meinen Befehl.“, triumphierte Horuscal nun endgültig.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
14. Flucht ohne Ende?

Der Gebirgspfad war schmal und steil. Bis zum Fuß der Berge hatte ihn das Pferd des Goblins gute Dienste erwiesen, und ihn schnell von der Taurensiedlung fort getragen. Er lies es nur ungern zurück, doch war er ohne es ungebundener und konnte sich bei Bedarf verstohlener bewegen. Er war sich sicher, dass es den Weg zurück in seinen Stall finden würde. Ein Pferd, das ohne Reiter zurückkommt, würde auch Raum für genügend Vermutungen bieten, was seinem Reiter wohl widerfahren sei. Es würde ein weiterer Stein im Puzzle seines arrangierten Verschwindens sein.
Bis jetzt war er ungehindert vorangekommen. Den Herausforderungen der Natur hier in den Bergen war er mehr als gewachsen. Gromzug hatte wirklich für alles gesorgt, als er die Satteltaschen des Pferdes gepackt hatte, dachte Aliasan als er bei einer kurzen Pause an der Flasche mit Trichterwindentau nippte. Er wollte sie gerade wieder verstauen, als die Stimme Gromzugs aus der Satteltasche kam. Sie wiederholte immer wieder, „Wichtige Nachricht! Wichtige Nachricht!“
Aliasan untersuchte den Inhalt der Tasche. Die Stimme kam aus einem kleinen grauen Metallkästchen, an dessen Oberseite ein Knopf rot blinkte. Es überraschte ihn nicht weiter, da die Goblins neben den Gnomen die besten Ingenieure waren. Er drückte auf den blinkenden Knopf.
„Hallo alter Freund!“, erklang die Stimme Gromzugs, „Wenn du diese Nachricht bekommst, dann bin ich vermutlich schon im Goblinparadies Handel treiben. Ich habe damit gerechnet, seit ich deine Nachricht erhielt, und meine Vorbereitungen getroffen. Sollte alles funktionieren, so wirst du nun die letzten zehn Minuten vor meinem vermutlich unfreiwilligen Ableben hören. Leb wohl. Mögen deine Wege stets von der Energie des Sonnenbrunnens erfüllt sein.“
„… me gleich.“, tönte die Stimme Gromzugs aus dem Kästchen, „Jo! Ein möglicher Kunde? Was kann ich Ihnen anbieten?“
„Ich will mich nur einmal umsehen.“, sagte eine dunkle heißere Stimme.
„Seien sie ganz ungezwungen.“, erbot sich Gromzug, „Haben sie bereits etwas gefunden?“
„Nein, es ist nichts hier, was ich bräuchte. Nicht mehr.“, sagte die Stimme.
„Nicht mehr? Waren sie bereits einmal bei mir Kunde? Ich kann mich nicht an ihre Hörner erinnern.“, flapste der Goblin.
‚Narr!’, dachte Aliasan, ‚Diese Stimme muss man doch erkennen.’
Er wusste was nun kam. Er hörte wie ein Zischen aus der Box kam. Gromzug hatte nun wohl ein sehr überraschtes Gesicht gemacht, dachte er, als der Drache plötzlich vor ihm stand, oder vielmehr die gesamte Hütte ausfüllte. Den Rest verfolgte Aliasan nur gedankenverloren. Sie waren ihm also bereits auf den Fersen, dachte er als er sich in seinen Tarnmantel hüllte.

Die Passhöhe lag hinter ihm. Aliasan folgte weiter dem Bergpfad, der sich nun in einer engen Klamm dem Tal entgegen wand. In Nischen, die die Klammwand hoch über seinen Kopf bot, hatten einsame wild zerzauste Bäume ein spärliches Auskommen. Der kleine Bach der am Boden der Klamm rauschte wurde ruhiger und mündete in einen kleinen Teich. Zahlreiche Vogelstimmen erfüllten die Luft.
Der Pfad war nun so eng, dass Aliasan sich mit den Rücken an die Wand lehnen musste und sich mit kleinen Schritten seitwärts bewegen musste. Als er eine Klippe so vorsichtig umrundet hatte, fand er sich auf einer hölzernen Plattform. Vor ihm lag nun der Ausgang der Klamm. Der Pfad war durch die Plattform ersetzt, an deren anderen Ende massive Wehranlagen den weiteren Weg talwärts versperrten. Zwei Nachtelfenkriegerinnen hielten davor Wache. Aliasan erstarrte.
Aliasan wunderte sich sehr darüber, dass er bereits so nahe am Gebiet der Nachtelfen war. Er wähnte sich noch weit entfernt vom Eschental und dem Berg Hyal. Aber die Geografie Kalimdors war den Hochelfen nur noch sehr ungenau bekannt. Er wollte es vermeiden zu nahe an die Gebiete der entfernten Verwanden zu kommen. Er wusste aus alten Sagen und Mythen seines Volkes von der Existenz der Nachtelfen. War doch sein eigenes Volk die direkten Nachfahren der Hochgeborenen der Nachtelfen. Ein Geheimnis, dass sehr streng gehütet wurde. Die Nachtelfen waren bei allen anderen Völkern Azeroths vergessen. Sie taten alles dafür, dass dies auch so bliebe.
Er konnte nicht weiter. Die Nachtelfen würden ihn mit ihren scharfen Sinnen selbst in seinem Tarnumhang aufspüren. Es hatte also keinen Sinn sich durch den Posten schleichen zu wollen. Er musste einen anderen Weg aus der Klamm wählen.
„Beende den Unsichbarkeitszauber!“, befahl eine Stimme hinter ihm. Aliasan spürte einen spitzen Gegenstand in seinen Rücken. Langsam öffnete er den Verschluss und lies den Umhang fallen.
„Langsam Umdrehen! Die Hände nach oben!“, bellte ihn die Stimme an.
Aliasan drehte sich langsam um. Vor ihm stand eine Nachtelfin mit gezogenem Glaive. Ein Seil hing von einem der Bäume über ihnen. Er musste schon lange unter Beobachtung stehen, dachte er. Er überlegte kurz, ob er die Nachtelfin überwältigen sollte, doch war er sicher, dass auch die anderen Bäume an den Klammwänden ihre nachtelfischen Bewohner hatten.
„Wohin des Weges, Verräterelf?“, herrschte ihn die Wache an.
„Ich bin auf einer rastlosen Weltenwanderung wie viele Hochelfen.“, antwortete Aliasan mit Demut in der Stimme. Er war nun froh, dass er seinen Stab und seine Kleidung noch bei Gromzug mit einer Illusion als harmlosen Wanderstab und zerrissene Fetzen getarnt hatte.
„Das werden wir sehen.“, sagte die Wache und gab einen Pfiff von sich.
Etwas von ihnen entfernt öffnete sich kurz vor den Wehranlagen eine getarnte Türe in der Felsenwand. Drei weitere Nachtelfinnen traten heraus und kamen auf sie zu.
„Ist er das?“, fragte eine der Nachtelfen, die ihrer Rüstung nach die Offizierin des Postens war.
„Ja, die Beschreibung passt auf ihn.“, sagte eine Nachtelfin zu ihrer Rechten.
„Gut, dass du uns mit der Botschaft rechtzeitig erreicht hast.“, sagte die Offizierin und nickte der Nachtelfin zu.
„Es ist aber wichtig, dass er lebend zu unserem Hauptposten gebracht wird. Shandris Federmond hat viele Fragen an ihn.“, antwortete sie.
„Ja, die hätte ich auch.“, stimmte ihr die Offizierin zu, „Aber der Befehl der Generalin war eindeutig. Ich gebe dir eine Wache mit. Der Weg ist ja nicht weit. Aber wer weis wozu dieser Bursche fähig ist.“
„Das wird nicht …“, setzte die Nachtelfin an, „Wie ihr wünscht.“

Die beiden Nachtelfinnen nahmen Aliasan in ihre Mitte, und führten ihn durch das Tor der Wehranlage. Der Pfad auf der anderen Seite des Tores war schmal und getarnt. Eine Nachtelfin lief daher vor ihm. Es wäre ein Leichtes, dachte Aliasan, sie zu überwältigen. Doch die Wache hinter ihm hatte ihre Glaive stets auf ihn gerichtet.
„Warum will mich Shandris Federmond sprechen?“, fragte Aliasan.
„Ruhe!“, zischte die Wache hinter ihm.
„Sie will dich zu deinem Verrat befragen.“, flüsterte die Nachtelfin vor ihm heiser.
„Verrat? Ich habe keinen Verrat an den Nachtelfen begangen.“, entgegnete ihr Aliasan.
Die Nachtelfin schwieg. Das Rätsel wurde immer größer, dachte Aliasan.
Der Pfad endete auf einem breiten Weg, der in einem Tal zwischen den Bergen verlief, und nun stetig anstieg. Nach dem sie dem Weg wortlos für einige Stunden durch das Gebirge gefolgt sind, blieb die Nachtelfin vor ihm stehen, und drehte sich um.
„Wache, ich denke du kannst nun umkehren, unser Hauptposten ist ja bereits jenseits dieser Kuppe dort vor uns.“, sagte sie.
„Der Befehl meiner Kommandantin lautet anders.“, sagte die Wache.
„Nun gut. Wie du willst.“, sagte die Elfe.
Ihre Stimme verdunkelte sich. Aliasan blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Er hatte nun wenig Zeit zu handeln. Mit einer schnellen Handbewegung hob er die Illusion von seinem Stab und seinen Gewändern auf. Die Nachtelfin umgab ein weißer Nebel und ein Zischen war zu hören. Ein Feuerstrahl aus dem Nebel tötete die Wache sofort. Aliasan hielt seinen Stab vor sich und zielte auf den Nebel. Ein violetter Strahl aus dem Stab drang in den Nebel. Für einen kurzen Augenblick waren eine Nachtelfin und ein Drache gleichzeitig zusehen. Das Bild verschwand. Nun sah man einen Tauren im Nebel stehen. Der Taure wich einem Murloc. In schneller Abfolge erschienen nun die unterschiedlichsten Wesen in der Nebelwolke. Der Drache versuchte auf Aliasan zuzugehen, doch jede neue Gestalt zwang ihn seine Bewegungen neu zu koordinieren. Er blieb stehen.

„Nun Drache! Ich habe dich mit einem Fluch belegt, der es dir für immer unmöglich macht wieder deine Drachengestalt anzunehmen. Du wirst nun für immer und ewig ständig durch alle deine vorgetäuschten Gestalten wechseln.“, triumphierte Aliasan, „Ich wünsche dir ein angenehmes Leben.“
Aliasan drehte sich um und begann den Weg wieder bergab zu gehen.
„War … te.“, sagte der enttarnte Drache mit vielen unterschiedlichen Stimmen gleichzeitig.
„Wieso sollte ich? Ich bin sicher die Nachtelfen kommen bald um den Verbleib ihrer Wache zu klären, und Deinesgleichen ist sicher auch bereits unterwegs.“, erwiderte Aliasan.
„Erlöse mich, und ich helfe dir.“, flehte der Drache.
„Ich kann den Fluch nicht aufheben. Niemand kann das.“, sagte Aliasan.
„Ist das wahr?“, seufzte der Drache, der nun wie ein Bär aussah.
„Ja. Außerdem was solltest du mir für eine Hilfe sein?“, verspottete Aliasan den Drachen.
„Ich sage dir, wie ich dich finden konnte.“, sagte das Stimmengewirr des Drachens.
Aliasan überlegte kurz. Er hatte schon lange überlegt, wie die Drachen Gromzug ausfindig machen konnten, aber er hatte dies auf eine Unvorsichtigkeit Gromzug bei der Beschaffung seiner Truhe geschoben. Doch dieser Drache hatte Maßnahmen getroffen, die vor ihm auf seinem Weg lagen. Es wäre sicherlich nützlich zu wissen, wie er das geschafft hat.
„Nun gut. Ich kann dir deine Drachengestalt nicht wieder geben. Alles was ich vermag ist es dich in eine deiner Gestalten für immer zu verbannen.“, sagte Aliasan.
„Ich akzeptiere. Tu es.“, kreischten die Stimmen des Drachen.
„Nein. Zuerst sagst du mir wie du mich gefunden hast.“, forderte Aliasan.
Der Drache schwieg. Aliasan begann den Weg wieder hinunter zu gehen.
„Das Amulett!“, schrieen viele Stimmen gleichzeitig.
Aliasan holte es aus einer Tasche seiner Robe. Er betrachtete das glänzende Ding. Was war er doch einfältig. Die Drachen müssen das Amulett, das ihm Xeromantius gab, außer durch den Glanz noch auf andere Weise erkennen können. Nun wurde ihm auch sonnenklar, warum Horuscal ihn mit einem solchen Begrüssungskommando empfangen konnte. Er musste ihn schon sehr lange beobachtet haben. Aliasan warf das Amulett in einen kleinen See, der neben dem Weg lag.
„Erlöse mich!“, flehten die Stimmen.
Aliasan hob seinen Stab. Ein weiterer violetter Strahl traf den Nebel mit den flirrenden Gestalten.
„Ich danke dir.“, sagte eine Frauenstimme.
Eine Menschenfrau stand vor Aliasan. Sie hatte lange schwarze Haare, dunkle Augen und eine etwas dunkle Haut.
„Hm. Nicht die schlechteste Gestalt.“, sagte der ehemalige Drache.
Aliasan fing an zu gehen.
‚Hier bin ich er genug aufgefallen.’, dachte er und verwandelte seinen Stab und Robe wieder in ihre Illusionen.
Er hörte Schritte hinter sich. Der Drache folgte ihm. Aliasan blieb stehen.
„Warum folgst du mir? Du kannst mich in dieser Gestalt nicht töten.“, höhnte Aliasan.
„Ich weis nicht wohin ich gehen soll. Ich fühle mich so schwach.“, sagte der Drache.
Aliasan betrachtete die Frau, die nun vor ihm stand.
‚Ja, das wird schwer für sie ohne Kleidung.’, dachte Aliasan.
Vermutlich würde ein Berglöwe bald Erbarmen mit der Kreatur haben. Aber eventuell könnte sie noch Informationen besitzen, die für ihn nützlich wären, kam es ihn in den Sinn. Aliasan öffnete seine Satteltasche und holte seine alten Gewänder hervor, die er bei Xeromantius getragen hatte.
„Zieh das an, und folge mir. Ich nehme dich mit bis zur nächsten Siedlung.“, sagte Aliasan, und warf ihr die Kleidung zu.
„Ja, das ist gut.“, sagte sie schüchtern, „Mein Name ist Spaia.“
 
15. Alleine

Sie blickte den Wolken nach, die über Silbermond zogen. Hinter den schlanken weißen Türmen mit ihren feinen goldenen Ornamenten und saphirblauen Spitzen konnte sie das Meer schimmern sehen. Sie zog den Vorhang zu. Es war ein prächtiger sonniger Tag. Zu prächtig für sie. Sie setzte sich auf den Diwan und legte ihren zierlichen Kopf in die Hände. Ihre langen schwarz glänzenden Haare fielen nach vorne. Tränen begannen aus ihren großen graublauleuchtenden Augen zu fließen. Sie schluchzte.
‚Alleine!’, dachte sie bitter. Ihre Gedanken drehten sich um dieses Wort. Sie wusste es könnte eines Tages so kommen, doch hatte sie gehofft Zeit zu haben um alles zu tun dies zu vermeiden. Aber nun wurde sie von den Ereignissen überrollt. Seit sie aber gestern zum Magistrat gerufen wurde, hatte sie auch das letzte schwache Fundament in der Gesellschaft der Hochelfen verloren.
Freunde hatte sie hier nie gefunden. Alle wussten es, und hielten sich von ihr fern. Sie war seine Tochter. Sie verstand dies nie. Kein Elf hatte ihren Vater jemals angeklagt. Er konnte sich frei in der Gesellschaft bewegen. Trotzdem wurde er gemieden als wäre er der Bote von Pech und Unheil selbst. Sein dunkler Schatten schwebte stets über ihr. Selbst als sie in die Akademie der Künste eintrat, war er zugegen. Als sie dann noch mehr Talent für den Gesang bewies als jemals ein Hochelf besessen hatte, da wurde aus der Bewunderung ihrer Mitstudierenden schnell Neid und Hass. Alle schoben ihr Talent nur auf die Magiemacht ihres Vaters. Wie falsch sie damit lagen, dass wusste nur sie. Doch durfte sie den wahren Grund auf Geheiß ihres Vaters nicht preisgeben.

Solange sie auf ihrer langen Reise nach Silbermond waren, war ihr Vater das Wichtigste in ihrem Leben. Ohne ihn hätte Sie in der fremden Umgebung nicht überlebt. Doch dann in Silbermond war er nur eine Last für sie. Nach den langen Monaten der Wanderung gingen sie zum allerersten Mal getrennte Wege. Sie wusste, dass er wieder seinen Forschungen nachging. Und trotz der Verachtung, die die Hochelfen für ihn hatten, waren seine Ergebnisse bei ihnen begehrt.
Sie verstand seine Forschungen nicht. Die wenigen Male die sie ihn in seinem Labor besuchte, und er ihr seine Arbeit erklären wollte, endeten stets im Streit zwischen ihnen. Er vergrub sich in seine Arbeit und überlies sie sich nun sich selbst in der fremden Stadt, kam es ihr immer wieder in den Sinn. An ihrer Ausbildung an der Akademie zeigte er auch wenig Interesse. Ihre Berufung zur Gesangslehrerin an der Akademie quittierte er nur mit einem Schulterzucken ohne dabei von dem Folianten aufzusehen, den er las.
Sie vermisste ihre Mutter, aber ihren wiederholten Bitten sie zu ihnen zu holen, schenkte er offensichtlich kein Gehör. Es fehle ihn in dieser Realität an der Zeit, sagte er dann stets. Sobald er diese gefunden hätte, würde er sie holen. Wann er Zeit dazu hätte, war stets ihre Frage auf diese Sätze ihres Vaters. Diese blieb immer unbeantwortet.
Als er ihr erklärte, dass er fort müsse die Realität der Welt zu finden, hielt sie dies daher nur für eine weitere Ausflucht. Es war ihr mittlerweile klar, dass er nur seine eigenen Ziele verfolgen würde. Er war in ihren Augen ein Sonderling geworden. Seine Forschungen mussten ihn in den Irrsinn getrieben haben, dachte sie damals. Die allgemeinen Gerüchte über ihn und seine Arbeiten bekräftigten sie in ihrer Meinung nur noch. Alle nannten ihn nur noch den irren Hexenmeister.
Jetzt war er tot. Sie hatte keine Zweifel an der Aussage, die der Bote machte. Die Magister hatten sie natürlich warten lassen. Der Bote war bereits vor Tagen eingetroffen. Als sie dann zum Magistrat gerufen wurde, gab der Bote auch nur einen kurzen Bericht über den Fund des Grabes in der Ödnis einer Wüste in einem ihr gänzlich unbekannten Land. Ihre Fragen konnte er nicht beantworten. Der anwesende Magister erklärte nur kurz, dass er das Ableben ihres Vaters für bewiesen hält.

Nun saß sie hier in ihrem Zimmer. Aller Hoffnung ihre Mutter wieder zu sehen beraubt. Selbst der Verlust ihres Vaters war, dass musste sie sich nun eingestehen, für sie sehr schmerzlich. Sie stand auf. Im kleinen Zimmer nebenan wusch sie sich ihre Tränen aus dem makellosen Gesicht. In einen Alkoven hing ihre Kleidung. Es waren einfarbige Roben in gedeckten Tönen. Grau war die dominierende Farbe. Kurz nach ihrer Ankunft hier in Silbermond hatte sie versucht sich an den prächtigen Kleidungsstil der Hochelfen anzupassen, aber sie fühlte sich in diesen Kleidern stets unwohl. Sie nahm ihre graue Lieblingsrobe aus dem Alkoven und zog sie an.
Auf der Straße vor ihrem Haus zog gerade ein Trupp Krieger vorbei, als sie die Straße betrat. Sie hüllte sich in ihre Robe ein, und ging mit flinken Schritten Richtung Bazar. Hunderte von Hochelfen hörten einem Redner zu, der vor dem Brunnen des Bazars eine Rede hielt. Wie ein Schatten huschte sie durch die Menge. Wenn sie es wollte, war sie für Andere auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Sie durchschritt das Tor am Ende des Bazars, das zur Straße des Sonnenbrunnens führte. Sie sah ihn in der Ferne schimmern. Die enorme Energie, die er ausstrahlte, erschreckte sie immer wieder. Sie nahm deshalb das erste Tor zum Park, auf dessen anderen Seite die Akademie lag.

Das Tor zur Akademie war verschlossen. Sie stutzte. Am Tor war eine Notiz angebracht, die die Akademie bis auf weiteres für geschlossen erklärte. Fassungslos setzte sie sich auf eine nahe Bank. Nun konnte sie auch nicht mehr ihre Seele durch Musik entspannen. Sie rang mit den Tränen, als sie hörte, wie das Tor von innen aufgesperrt wurde, und eine Elfin herauskam.
„Leiterin Thalea, warum ist die Akademie geschlossen?“, fragte sie die Elfin mit ihrer Stimme ringend,
„Wer?“, zuckte die Leiterin der Akademie, die gerade wieder das Tor verschloss, „Ah, Gilmenel. Ich hätte es mir denken können. Wer sonst wäre so respektlos ohne Gruß zu fragen.“
„Verzeihung, Leiterin“, sagte Gilmenel.
„Ist schon in Ordnung. Wir sind das ja von dir gewöhnt. Was machst du hier?“, fragte die Leiterin.
„Ich wollte ein wenig musizieren. Da sah ich die Notiz.“, antwortete ihr Gilmenel.
„Ja. Traurig, nicht?“, sagte die Leiterin mit düsterer Stimme.
„Wieso?“, wollte Gilmenel von ihr wissen.
„Nun, die Versammlung von Silbermond hat befohlen alle Einrichtungen zu schließen, die für die Versorgung der Bevölkerung und einen Krieg nicht notwendig sind.“, erklärte ihr die Leiterin bitter, „Leb wohl, Gilmenel.“
„Möge der Sonnenbrunnen immer für sie scheinen.“, verabschiedete sie die Leiterin, die sich mit schnellen Schritten entfernte.
‚Nun ist mir auch noch die Akademie des Krieges wegen genommen.’, dachte sie der Verzweiflung nahe.
Ihre Gedanken fingen sich an zu drehen. In ihrem Kopf komponierte sie eine Melodie voll Trauer, und begann diese leise zu singen. Die Melodie füllte den Park um sie herum. Elfen, Vögel und selbst die Bäume, alle die sie vernahmen, hielten kurz inne und ließen die Köpfe und Äste hängen.
Ihr kamen die Krieger vor ihrem Haus in den Sinn. Die Melodie änderte sich. Sie war nun eine mächtige Hymne, die fast zu gigantisch für ihre Stimme war. Ein letztes Crescendo und sie verstummte.
‚Ja.’, dachte sie, ‚Die Krieger haben eine Familie und ein Ziel. Ich werde es ihnen gleich tun.’
Mit einem Satz erhob sie sich von der Bank. Sie wusste nun wohin sie gehören würde, und wen sie dazu aufsuchen müsste. Sie machte sich auf den Weg.
 
16. Alles ein Fehler?

Ohne zurückzublicken lies sie Silbermond hinter sich. Nichts hielt sie noch hier. Mit zügigen Schritten durchschritt sie das Tor und betrat die Straße Richtung Immersang Wald.
„Hey, Gil! Wohin so eilig?“, rief eine männliche Stimme ihr von hinten zu.
Sie hielt inne. Ein Hochelf kam auf sie zugelaufen. Es gab nur wenige, die die Kurzform ihres Namens verwenden durften. Diese Form war zu familiär für den öffentlichen Gebrauch.
„Weist du nicht, dass es außerhalb von Silbermond gefährlich wird?“, sorgte sich der Elf.
„Das weis ich Deneathor. Die Krieger hier auf den Straßen sind nicht zu übersehen.“, antwortete sie leicht ironisch.
„Ich beschütze dich.“, lachte Deneathor und zog ein kurzes und dünnes Schwert, das eher einen übergroßen Dolch glich.
„Wie heroisch von euch, mein Retter.“, rief Gilmenel und faltete ihre Hände in einer pathetischen Geste der Anbetung vor ihrer Brust, „Wie ich sehe hast du den Bogen deiner Kalahia gegen etwas Härteres eingetauscht.“
„Ja. Ich übe täglich damit.“, sagte Deneathor und fuchtelte wild entschlossen mit seinem Schwert.
„Täglich? Wenn du die Kalahia sooft geübt hättest, dann wärest du nun ein wahrer Meister.“, sagte sie.
„Wenn Krieg kommt will ich vorbereitet sein. Das ist viel ehrenwerter als die Kalahia.“, entgegnete er ihr.
„Du meinst jemand würde sich von deinem kleinen Schwertchen aufhalten lassen?“, sagte sie.
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, doch ihre Gedanken verfinsterten sich. Erinnerungen an ihre Begegnungen mit den Mächten des Bösen bahnten sich den Weg aus der Vergessenheit. Damals bedurfte es der ganzen Macht ihres Vaters um sich davor zu retten, und nun dachte dieser größenwahnsinnige, eitle Hochelf, er könnte sie mit seinem kleinen Schwertchen besiegen.
„Nein, sicherlich nicht.“, gab er zu, „Aber bald werde ich ein größeres haben.“
„Du wirst sicherlich einmal ein großer Krieger. Ein wahrer Verteidiger Silbermonds.“, zog sie ihn auf.
„Immer noch besser als an der Akademie zu versauern.“, sagte er.
Sie senkte traurig ihren Blick und seufzte, „Die Akademie …“
„Geschlossen!“, fuhr er ihr ins Wort, „Das Beste was passieren konnte.“
Erst jetzt bemerkte er ihre Tränen.
„Gil, was hast du?“, sorgte er sich.
„Nichts, gar nichts.“, versuchte sie erfolglos vorzugeben, und wischte die Tränen mit dem Ärmel ihrer Robe ab.
„Komm, komm. Ich bin es Dene. Mir machst du nichts vor. Ich bin schließlich dein Freund.“, begann er sie zu beruhigen.

Sie erinnerte sich an ihr erstes Treffen in der Akademie. Deneathor war höflich und zuvorkommend, als er die Neuankömmlinge durch die Akademie führte. Nachdem sie des Öfteren zusammen musizierten, freundeten sie sich langsam an. Sein Witz heiterte sie in manchen der düsteren Stunden auf, die sie immer nach den Besuchen bei ihrem Vater befielen.
Sie merkte bald, dass er wohl mehr für sie empfand. Frisch in Silbermond angekommen fühlte sie sich geschmeichelt. Sie verbrachten viel Zeit zusammen. Selbst als allgemein bekannt wurde, wer ihr Vater war, suchte er ihre Nähe. Sie empfanden sehr viel füreinander. Es war daher nur eine Frage der Zeit bis er die Frage stellte, ob sie zusammenleben und heiraten sollten.
Vielleicht hatte er damals nicht den besten Tag dafür erwischt. Sie kam gerade von ihren Vater, um ihm zu erzählen, wie sie von den anderen Akademiemitgliedern ignoriert und zunehmend verachtet wurde. Er schenkte ihr aber wie immer kein Gehör. Als sie darauf in die Akademie ging, fand sie ihren persönlichen Überaum mit den exotischsten Blumen verziert. Eine Karte lag bei einem großen Bouquet, die sie einlud zum Konzertsaal zu kommen. Sie hörte eine Kalahia schon von Weiten romantische Melodien spielen. Deneathor stand auf der Bühne. Einer der Stühle vor der Bühne war mit Blumen und kostbaren Tüchern geschmückt. Sie setzte sich darauf.
Deneathor beendete sein Spiel. Er war für alle der begnadetste Kalahia-Spieler seit langen an der Akademie. Nachdem er sich dann ihr zugewandt und ein Poem vorgetragen hatte, dass mit der Frage schloss, ob sie ihn heiraten würde, rannte sie wortlos aus dem Saal. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es sinnlos war ihr zu folgen. Am nächsten Tag trafen sie sich im Park. Wortlos setzte sie sich zu ihm.
„Es tut mir Leid wegen gestern.“, lächelte sie ihn damals nach einer Weile schüchtern an, „Aber du hast gestern einen sehr schlechten Zeitpunkt ausgewählt. Mein Vater … „
„Dein Vater, dein Vater!“, unterbrach Deneathor sie rüde, „Immer nur dein Vater. Was ist mit mir?“
Gilmenel zuckte zusammen.
‚Ich habe ihn sehr verletzt.’, dachte sie bitter.
„Dene, du weist ich empfinde sehr viel für dich.“, fuhr sie leise fort, „Aber glaubst du nicht jemand wie ich, die so einen Vater hat, leidet darunter? Wie wird deine Familie reagieren wenn du ausgerechnet seine Tochter heiratest?“
„Denen kann es doch egal sei, wen ich liebe.“, versicherte Deneathor ihr.
„Wirklich? Deine Familie gehört zu den angesehensten in ganz Silbermond. Prestige und Ruf sind deinen Eltern heilig. Und dann ich? Die Tochter des irren Hexenmeisters?“, sie schüttelte den Kopf. Tränen begannen leise über ihr Gesicht zu laufen.
„Ich liebe dich doch auch.“, schluchzte sie noch und verstummte.
Sie saßen noch lange zusammen, und sprachen über ihre gegenseitigen Gefühle. Doch Deneathor musste letztendlich einsehen, dass ihre Liebe hoffnungslos war. Der Druck seiner Familie würde zu groß werden. Sie beschlossen daher, dass sie Freunde für immer bleiben würden.

Sie ging ihm nach diesen Ereignissen so gut sie es konnte aus dem Weg. Nun war er hier und bot ihr eine Schulter zum Anlehnen an, als wie wenn damals nichts geschehen wäre.
„Er ist tot.“, schluchzte sie.
„Was für ein Segen!“, jubelte Deneathor.
„Wie kannst du nur?“, fuhr sie ihn an.
„Ganz ruhig, Gil. Entschuldige.“, sagte er sanft, „Du hast doch am meisten unter ihm gelitten.“
„Aber er war trotzdem mein Vater, und nun bin ich ganz alleine.“, seufzte sie.
„Na na na, der alte Dene ist doch auch noch da.“, versuchte er sie aufzumuntern.
‚War es ein Fehler zu glauben, dass ich alleine bin?’, fragte sie sich.
„Ja, ich weis. Aber du musst dich um deine Frau kümmern.“, resignierte sie.
„Aber deshalb kann ich dir doch auch helfen.“, antwortete er.
„Sicher, aber du weist, dass sie mich hasst. Du solltest hier aufpassen.“, mahnte sie ihn.
„Diese alte Geschichte! Es war dein Vater der ihren Bruder auf dem Gewissen hat. Nicht du.“, erklärte er ihr mit wenig Überzeugung.
„Siehst du immer wieder mein Vater.“, sagte sie mit verhärmter Stimme, „Er wird ewig meine Geschicke bestimmen. Selbst der Elf, den ich liebe, ist von ihm betroffen. Aber ich weis was ich tun werde.“
„So was denn?“, wollte er wissen.
„Ich werde mich auch zum Militär melden.“, sagte sie fest.
„Du? Als was? Du bist viel zu zart zum Kämpfen.“, sorgte er sich.
„Das weis ich nicht. Ich weis nur, wen ich sprechen muss.“, antwortete sie.
„Wen denn?“, fragte er verblüfft.
„Sylvanas Windläufer.“, sagte sie mit voller Überzeugung.
„Die Generalin der Waldläufer?“, stutze Deneathor, „Wie willst du zu ihr kommen? Selbst ich bin nicht zu ihr vorgelassen worden.
„Du? Wieso wolltest du zu ihr?“, wunderte sich Gilmenel.
Denathor lachte, „Was denkst du warum ich mit den Schwert trainiere? Ich will kämpfen, und die Waldläufer sind die Elite. Jeder will zu ihnen. Aber leider nehmen sie nur erfahrene Kämpfer. Doch ich habe etwas anders gefunden. Die lokale Miliz sucht noch neue Rekruten. Morgen rück ich ein. Du siehst es war wirklich mehr als Glück, dass wir uns nochmals trafen.“
„Ich wünsche dir viel Erfolg dabei. Ich werde trotzdem versuchen die Generalin zu sprechen. Sie war damals nach dem Konzert so nett zu mir. Vielleicht kann sie mir ja helfen. Leb wohl!“, sagte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie mit leichten schnellen Schritten davoneilte.
„Leb wohl, Gil!“, rief er ihr nach.
 
17. Ein neues Leben

Sie dachte nicht lange über Deneathor nach. Er war nur noch ein sehr guter Freund, mehr nicht. Sie wusste sie könnte sich auf ihn in der Not verlassen. Ihr Leben konnte er aber nicht ändern. Zielstrebig ging sie die Straße Richtung Immersang Wald durch die herrliche Parklandschaft weiter. Als es Nacht wurde erreichte sie Tristessa, und beschloss dort zu übernachten. Am nächsten Morgen machte sie sich zeitig auf. Sie nahm den Weg, der kurz nach Tristessa nach Westen von der Hauptstrasse abzweigte. Es war ein herrlicher Tag. Die Landschaften und Wälder wurden nun etwas wilder, aber immer noch war deutlich die Energie des Sonnenburnnens zu spüren, die hier alles beschützte. In der Ferne hörte sie bereits das Meer rauschen.
Gegen Mittag hatte sie ihr Ziel erreicht. Der Windläuferturm lag vor ihr. Majestätisch thronte er auf der Steiluferklippe. Als sie damals mit der Akademie in den Räumen der Familie Windläufer Konzerte aufführen durften, war das eine der höchsten Ehren. Nach einem dieser Konzerte hatte Sylvanas Windläufer damals allen persönlich gratuliert. Zu Gilmenels Glück und Bedauern hatte sie ihr besonders wegen ihres hervorragenden Gesanges gratuliert. Gilmenel war stolz, aber der Neid ihrer Akademiekollegen wurde nur noch größer.

‚Vielleicht kann sie mir helfen? Sie muss sich an mich erinnern.’, dachte Gilmenel, aber Zweifel stiegen in ihr auf. Der Weg zum Eingang des Turms an der Spitze der Klippe wurde bewacht. Als sie sich den beiden Wachen näherte versperrten sie ihr mit ihren Lanzen den Weg.
„Halt! Wohin!“, fragte eine Wache sie.
„Ich will mit Sylvanas Windläufer sprechen.“, sagte Gilmenel unbeeindruckt von dem martialischen Auftreten der Wache.
„Bist du angemeldet?“, wollte die Wache wissen.
„Angemeldet? Nein, ich denke nicht. Ich will sie nur kurz sprechen.“, bat Gilmenel.
„Ohne Anmeldung geht das nicht.“, blaffte die Wache sie an.
„Aber ich muss sie sprechen. Jetzt!“, bestand Gilmenel.
Aus dem Wachzelt neben dem Weg trat ein Offizier heraus.
„Wache! Meldung!“, befahl er.
„Diese Mädchen hier will ohne Anmeldung zur Generalin.“, antwortete der Soldat.
„Nun, nun. Du kannst nicht so einfach hierher kommen und die Generalin sprechen wollen. Sie will heute nicht gestört werden.“, sagte der Offizier zu Gilmenel in einem väterlichen Ton.
„Aber früher konnten wir auch einfach rein.“, sagte sie.
„Ja früher, aber die Zeiten ändern sich.“, belehrte er sie, „Warum warst du schon einmal hier? Wer bist du eigentlich?“
„Wir haben hier schon oft mit der Akademie musiziert. Mein Name ist Gilmenel.“, antwortete sie.
„Die Tochter des irren Hexenmeisters?“, entfuhr es dem Offizier.
„Ja, die bin ich.“, antwortete sie bitter.
„Dann mach, dass du fort kommst. Wir brauchen hier keine Verrückten!“, schrie er sie an.
„Aber ich…“, begann Gilmenel.
„Fort! Oder wir bringen dich in Ketten zurück nach Silbermond.“, wütete der Offizier.

Gilmenel drehte sich um. Sie war den Tränen nahe, als sie wieder die Hauptstrasse erreichte. Ihr Vater beherrschte ihr Leben noch über sein Grab hinaus. Tief in Gedanken versunken bemerkte sie den Trupp Soldaten nicht, der ihr entgegen kam. Sie prallte mit dem vordersten des kleinen Trupps zusammen. Sofort zogen alle ihre Schwerter und wollten angreifen, aber sie sahen niemanden.
„Entschuldigung.“, flüsterte eine Stimme dem getroffenen Soldaten ins Ohr.
Gilmenel stand nun wie aus dem Nichts vor ihm und rieb sich ihren Arm.
„Pass das nächste Mal etwas besser auf wo du hinläufst, Kleine. Wir haben dich nicht gesehen.“, sagte der Soldat verblüfft zu ihr, „Weiter Leute! Ist nur eine süße Kleine.“
Die Soldaten stecken ihre Schwerter ein und nahmen ihre Formation wieder auf. Sie spürte wie jeder der Soldaten sie von oben bis unten musterte, als sie an ihr vorbeimarschierten.
„Ganz hübsch….. bisschen blass…. zierliches Persönchen…. sollte was Farbigeres tragen….“, hörte sie sie noch tuscheln.
Sie sah zum Windläuferturm zurück, der in der Ferne leuchtete.
‚Zierliches Persönchen?’, dachte sie wütend, ‚Na wartet. Ich gebe nicht so leicht auf. Nicht jetzt!’
Sie würde es versuchen. Es war gewagt, aber sie wusste, dass sie es konnte. Sie drehte um und ging mit resoluten Schritten in Richtung Windläuferturm.

Der Wachposten am Fuße der Klippe lag vor ihr. Sie konzentrierte sich. Ihr Herz klopfte in ihrer Brust. Sie hatte dies schon öfters zum Spaß in der Akademie gemacht, aber hier war es nun Ernst. Wenn die Wachen sie bemerken würden, wäre sie schnell tot. Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen. So konnte sie noch leiser schleichen. Mit vorsichtigen Schritten ging sie voll konzentriert zwischen den Wachen hindurch. Sie bemerkten sie nicht. Erst jetzt sah sie, dass der Pfad zum Eingang von weiteren Soldaten bewacht war. Sie war nahe dran aus Angst aufzugeben, doch ihr Stolz und ihre Entschlossenheit behielten die Oberhand.
‚Was einmal geklappt hat, das klappt bestimmt wieder.’, machte sie sich Mut.
Wie ein Schatten huschte die den Pfad hinauf. Keine der Wachen bemerkte sie. Der Eingang zum Turm lag vor ihr. Er wurde von zwei Soldaten bewacht. Ein großer Nachtpanther lag vor der rechten Wache. Der Durchgang war schmal. Vorsichtig schlich sie weiter. Der Nachtpanther erhob sich und knurrte. Gilmenel blieb wie versteinert stehen. Die Wachen schauten sich um.
„Was ist los du räudiger Kater? Hier ist doch niemand. Ruhig!“, sagte die Wache zu dem Nachtpanther.
Die Katze schaute sich noch mal um, und legte sich wieder hin. Gilmenel fiel ein Stein vom Herzen. Vorsichtig schlich sie sich durch den Eingang zur ersten Plattform des Turms. Es fiel ihr plötzlich ein, dass sie überhaupt nicht wusste, wo sie Sylvanas Windläufer hier finden würde. Sie beschloss es als erstes einfach in der Haupthalle zu versuchen.

Geschickt wich sie allen Patroullien auf ihrem Weg zur unteren Plattform aus. Als sie vor dem Eingang zu Halle stand, hörte sie Musik. Jemand spielte ein Manial. Sie schlich sich in die Halle. Sylvanas Windläufer saß alleine an dem Instrument. Es war eine traurige Melodie. Gilmenel stellte sich neben das Instrument, und begann zu singen.
Sylvanas Windläufer sprang auf. Mit einer kaum erkennbaren Bewegung hatte sie ihren Dolch gezogen, und hielt ihn Gilmenel an die Kehle.
„Wer bist du?“, fragte sie.
„Gilmenel! Ich will ihnen nichts tun.“, sagte Gilmenel fest.
„Mir etwas antun?“, lachte die Generalin lauthals, „Dazu musst du noch viel trainieren. Aber ich kenne deine Stimme.“
Sie steckte ihren Dolch ein.
„Ja, ich habe mit meinen Freunden aus der Akademie schon oft hier gesungen.“, erklärte Gilmenel.
„Ich wusste, ich kenne die Stimme.“, sagte Sylvanas Windläufer, „Aber sag was willst du hier? Und vor allem, wie bist du an den Wachen vorbeigekommen?“
„Ich bin auf der Suche nach einer Familie.“, flüsterte Gilmenel und fuhr lauter fort, „Ich will zu den Waldläufern. Die Wachen wollten mich nicht zu Ihnen lassen, da habe ich mich einfach an ihnen vorbei geschlichen.“
„Vorbeigeschlichen? An Elitesoldaten der Waldläufer? Das soll ich dir glauben? Jemand hat dir bestimmt geholfen. Sag mir wer es war. Ich werde ihn nicht bestrafen.“, sagte Sylvanas Windläufer.
„Nein wirklich! Ich bin ganz alleine. Zu alleine.“, sagte Gilmenel mit hängenden Schultern.
„Gut, ich will es dir glauben, wenn du mir zeigst, wie du dich hier rein schleichen konntest.“, forderte die Generalin sie auf, „Auf der rechten mittleren Plattform steht ein Tisch. Auf diesen ist ein Pergament. Es enthält den aktuellen Tagesbefehl. Bringe es mir. Aber ich werde dich beobachten. Machst du nur den geringsten Anschein von Flucht, werde ich nicht zögern die Wache zur rufen … Wo bist du?“
Sylvanas Windläufer war wieder alleine im Saal. Wenn sie sich anstrengte konnte sie einen Schatten in Richtung Plattform huschen sehen. Die Wachen patrouillierten unbeeindruckt weiter. Sylvanas Windläufer war verblüfft. Der Schatten stoppte. Die Plattform war noch strenger bewacht als der Rest des Turmes. Sylvanas Windläufer verlor ihn aus den Augen. Sie ging zurück in den Saal.
„Hier sind die Befehle.“, flüsterte eine Stimme ihr ins Ohr.
Gilmenel stand vor ihr mit dem Pergament in den Händen.
„Erstaunlich.“, sagte die Generalin sichtlich verblüfft, „Sehr erstaunlich.“
„Nehmen sie mich bei den Waldläufern auf?“, platzte es aus Gilmenel heraus.
„Nein, das wäre Verschwendung. Ich habe eine andere Aufgabe für dich.“, sagte sie ernst.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
18. Im Dienste der Generalin

„Nun Gilmenel, wie gefällt dir deine neue Aufgabe?“, fragte Sylvanas Windläufer.
„Bis jetzt ganz gut. Es ist eine echte Genugtuung für mich.“, antwortete Gilmenel.
Beide saßen auf den bequemen Diwans in der Haupthalle des Windläufer Turms und entspannten sich bei einer Tasse Tee.
„Genugtuung? Einfache Botenläufe nach Silbermond?“, stutzte die Generalin, „Bist du so anspruchslos?“
„Nein, natürlich nicht. Die Aufgaben könnten schon schwerer sein.“, lachte Gilmenel, „Aber es ist für mich stets befriedigend ohne ein Warten zu den Spitzen unserer erlauchten Gesellschaft vorgelassen zu werden, die uns früher immer ignoriert haben.“
„Uns?“, setzte Sylvanas Windläufer nach.
„Hauptsächlich meinen Vater. Er war ja kein Unbekannter in diesen Kreisen.“, sagte Gilmenel leise.
„Ich kenne deinen Vater nicht. Wer ist er?“, fragte Sylvanas beiläufig.
„Der irre Hexenmeister.“, flüsterte Gilmenel mit gesenkten Kopf.
„Der!“, entfuhr es der Generalin, „Das kann ich nicht glauben!“
„Doch leider ist es so.“, nickte Gilmenel traurig, „Werfen sie mich nun raus?“
„Nein! Wie kommst du denn auf so was. Du hast bewiesen, dass dir deine Aufgabe ernst ist. Und du machst sie sehr gut.“, beruhigte Sylvannas Windläufer sie.
„Danke. Aber alle anderen…“, sagte Gilmenel
„Auf das Gerede der anderen gebe ich nichts. Ich habe deinen Charakter genau studiert. Nur das zählt für mich.“, erklärte die Generalin ihr jovial, „Du bist eine treue Seele. Man kann sich auf dich verlassen. Sonst würde ich dir nicht die geheimsten Dokumente übergeben. Ich vertraue dir. Die Vergehen deines Vaters sind nicht die deinen, Gilmenel.“
Gilmenel war verblüfft. Es war das erste Mal, dass sie nicht auf ihren Vater reduziert wurde. Für Sylvannas Windläufer zählte nur sie.
„Ich werde euch nie enttäuschen, Generalin.“, versicherte Gilmenel ihr.

Die Generalin stand auf und ging zum Manial. Nachdenklich strich sie über die Tasten des Instrumentes.
„Es mag sein, dass ich bald keine Gelegenheit mehr zum Spielen haben werde.“, seufzte sie.
„Wieso das?“, wollte Gilmenel wissen.
„Nun, die Zeiten verfinstern sich. Ich ahne Unheil über die Hochelfen hereinbrechen.“, sagte Sylvanas Windläufer düster. Sie drehte sich abrupt Gilmenel zu.
„Du wolltest eine schwerere Aufgabe?“, fragte sie.
„Jede Aufgabe, die sie mir geben, werde ich gewissenhaft ausführen.“, erwiderte Gilmenel.
„Ja, das weis ich. Aber diese könnte dich zum ersten Mal in Lebensgefahr bringen.“, sorgte sich Sylvanas Windläufer.
„Wenn ich helfen kann und es wichtig ist, dann soll es mir recht sein.“, sagte Gilmenel.
„Gut.“, sagte die Generalin.
Sie ging nachdenklich mit ihren Händen hinter dem Rücken verschränkt in der Halle auf und ab. In ihrem Gesicht spiegelte sich Besorgnis wieder.
„Was weist du über die Geißel?“, wandte sie sich plötzlich an Gilmenel.
„Der Lich-König Ner'zhul?“, entgegnete Gilmenel ihr.
„Ja, genau der.“, bestätigte die Generalin mit einem Schaudern.
„Sehr wenig.“, begann Gilmenel und stockte.
Ein Schaudern durchzuckte sie. An ihre bisher einzige Begegnung mit einem Lich dachte sie nur ungern zurück.
Sie fuhr zögerlich fort, „Seine Armeen sollen aus Untoten, grauenhaften Tieren und sonstigen abartigen Ausgeburten bestehen. Man sagt, dass Kel’Thuzad die Drecksarbeit für den Lich-König in Azeroth erledigt.“
„Das stimmt. Bis jetzt hat Kel’Thuzad nur seine Kräfte gesammelt, doch nun beginnt er scheinbar mit seinen Plänen.“, erklärte Sylvanas Windläufer, „Wir haben unsichere Kunde bekommen, dass das Königreich Arathor als erstes betroffen sein wird. Wir müssen mehr wissen. Allerdings sind uns die Menschen dort nicht sehr gewogen. Eine offizielle Anfrage blieb unbeantwortet. Deshalb müssen wir uns dort heimlich umsehen. Ich bitte dich daher in dessen Hauptstadt Lordaeron zu reisen, und dich dort genau umzusehen.“

Sie war nun schon drei Tage unterwegs. Der thalassische Pass lag weit hinter ihr. Sie war zum ersten Mal wieder außerhalb des Hochelfenreichs, seit sie damals mit ihrem Vater die Reise nach Silbermond unternommen hatte. Es kam ihr wie gestern vor, und doch waren Jahre vergangen seit damals.
‚War es Zufall oder Vorbestimmung, dass wir dem Lich begegnet sind?’, fragte sie sich.
Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken. Wenn nun wirklich Kel’Thuzad für den Lich arbeitete, dann wusste sie genau, was ihnen allen bevorstand. Sie hoffte, dass es nicht wahr wäre, zumindest nicht jetzt bei diesem Auftrag. Sie hatte Angst. Sie ertappte sich bei den Gedanken, dass sie nun gerne ihren Vater an der Seite hätte. Er wüsste sich zu wehren, aber die Generalin war in ihren Anweisungen ziemlich klar. Jeder offene Kampf war ihr verboten. Sie sollte ausschließlich auf ihre Tarnung und Verstohlenheit setzen. Gilmenel bezweifelte, dass dies ausreichen würde.
‚Wenigstens hat die Tarnung bis jetzt gehalten, und ich bin niemanden auf dem Weg aufgefallen.’, dachte sie nicht ganz von sich selbst überzeugt, als sie ihr Pferd vor der Stallung in Andorhal anhielt. Mit der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze waren ihre elfenhaften Gesichtszüge und vor allem die spitzen Ohren nicht zu erkennen. Die Generalin hatte ihr auch eines der wenigen Pferde gegeben, die die Hochelfen besaßen. Einer der bunten Schreiter wäre zu stark aufgefallen. Sie stieg ab.

„Grüße, sind sie der Stallmeister?“, sprach sie den bärtigen Mann vor dem Stall an.
„Ja, der bin ich. Wie kann ich ihnen helfen?“, antwortete der Mann und lehnte seine Heugabel an die Wand des Stalls.
„Mein treues Ross Kahl’el hier bedarf eines Stalls.“, sagte Gilmenel.
„Kahl’el wird es hier gut haben. Es wird die Box meines eigenen Pferds Grimmhuf bekommen.“, sprach der Stallmeister, und führte Khal’El in den Stall. Gilmenel folgte ihnen.
„So, so. Sie sind also die Botschafterin.“, sagte der Stallmeister, „Mein Name ist Alexje.“
„Ja, die bin ich. Bitte verzeiht wenn ich euch meinen Namen nicht nenne.“, antwortete Gilmenel.
„Schon gut. Die Anweisungen der Generalin waren deutlich.“, sagte der Stallmeister und wandte sich Khal’El zu, „Na, schönes Mädchen. Gefällt es dir wieder in deinem alten Stall?“
Er sah das erstaunte Gesicht Gilmenels.
„Ja, Khal’El gehörte einmal mir. Ich habe sie damals Sylvanas geschenkt, als sie mir aus einer großen Klemme geholfen hatte. Seitdem sind wir befreundet. Deshalb ist es mir auch eine Ehre ihr nun helfen zu können.“, erklärte Alexje.
„Das wusste ich nicht. Aber es ist schön zu wissen, dass wir Freunde haben.“, sagte Gilmenel, „Habt ihr Informationen für mich?“
„Allerdings. Aber leider habe ich keine guten.“, erwiderte Alexje mit hängenden Schultern, „Es ist wahr. Irgendetwas Böses geht hier vor. Man sagt der sogenannte Kult der Verdammten führt Übles im Schilde. Ihr müsst auf eurem Weg nach Lordaeron sehr vorsichtig sein. Ob ihr einen der Kultisten der Verdammten, oder einem Wachtrupp aus Lordaeron in die Hände fallt, das dürfte ziemlich egal sein. Beides hätte üble Auswirkungen. Schlaft euch auf dem Heuboden noch mal aus. Essen und Trinken habe ich dort ebenfalls bereitgestellt. Aber dann müsst ihr so schnell wie möglich aufbrechen.“
„Das werde ich tun. Danke.“, entgegnete Gilmenel, und hoffte sie wirkte stark, obwohl nur ihre Angst noch stärker wurde. Sie kletterte die Leiter zum Heuboden hinauf.

„Alexje!“, schrie eine männliche Stimme vor der Scheune. Gilmenel schreckte aus dem Schlaf hoch.
„Alexje! Komm heraus. Wir wissen du beherbergst einen Fremden!“, rief die Stimme ungeduldig.
Gilmenel sah wie Alexje die Stalltür öffnete.
„Hier bin ich. Was will die Stadtwache von mir, Hauptmann?“, sagte Alexje ruhig.
„Wo ist der Fremde, der gestern sein Pferd bei dir einstellte?“, fragte ihn der Hauptmann.
„Er ist wieder gegangen. Wieso interessiert ihr euch für ihn?“, antwortete der Stallmeister.
„Wir haben niemanden gehen sehen.“, schüttelte der Wachmann seinen Kopf und drehte sich den drei anderen Wachen zu, die ihn begleiteten, „Ich denke wir müssen die Scheune durchsuchen. Männer!“
„Bitte tut dies. Ich habe nichts zu verbergen.“, bot Alexje an.
Gilmenel hatte den Eindruck einen besorgten flüchtigen Blick des Stallmeisters in Richtung des Heubodens zu erhaschen. Sie schaute sich um. Der einzige Weg nach unten war die Leiter, der sich bereits eine Wache näherte.
‚Das Heu werden sie bestimmt mit einer Heugabel durchsuchen.’, dachte sie, und schloss es aus sich darin zu verstecken.
Ein Großer Balken führte über den offenen Raum vom Heuboden in Richtung Stalltor. Der Hauptmann stand darunter.
‚Keine der schwer gerüsteten Wachen wird wohl hier raufklettern.“, überlegte sie.
Sie konzentrierte sich und huschte auf den Balken.
Die Wachen hatten rasch die Stallung durchsucht, und erstatten dem Hauptmann Bericht.
„Sie haben nichts gefunden.“, sagte der Hauptmann zu Alexje, „Verzeih mir alter Freund, aber die Zeiten werden dunkel, und Fremde sind verdächtig.“
„Schon gut, Petrje. Heute Abend Lust auf ein Spielchen Karten in der Schänke?“, sagte Alexje heiter zum Hauptmann.
„Gerne. Bis dann.“, sagte der Hauptmann.
Die Wachmänner zogen ab. Alexje blickte ihnen nach, und schloss dann so unauffällig wie möglich das Stalltor. Er sah sich in der Scheune um. Gilmenel stieg die Leiter herunter.
„Wie?“, sagte er verblüfft mit hängendem Unterkiefer.
„Einfach so.“, zwinkerte Gilmenel ihm zu.
„Gut. War mir klar, dass Sylvanas nicht irgendeine schickt, sondern nur eine ihrer besten Spioninnen.“, sagte der Stallmeister noch immer sichtlich erstaunt.
‚Spionin?’, dachte Gilmenel, ‚Bin ich das? Ja. Das kommt der Sache ziemlich nahe.’
„Aber, wie auch immer. Ihr müsst gehen.“, sorgte sich Alexje, „Dort im hinteren Eck des Stalls sind zwei Latten lose. Dort könnt ihr unerkannt den Stall verlassen. Ich schaue vorne nach dem Rechten. Lebt wohl!“
Der Stallmeister drehte sich um und ging zum Stalltor hinaus. Gilmenel hob die beiden Latten an, und verschwand im angrenzenden Gebüsch.
 
Zurück