Ein Leben

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26.06.2007
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Die salzige Gischt des großen Ozeans brannte auf seiner Haut, während er gedankenverloren in den Sonnenuntergang schaute. Es war eine lange und gefährliche Reise gewesen, um hier an die Küsten seiner Kindheit in Westfall zurück zu kehren. Genau solang und gefährlich wie sein Leben. Viel hatte sich in den letzen Jahren ereignet. Die Seuche, der Fall des Prinzen, seine Erhebung...
Hier in diesen Hügeln war er aufgewachsen. In den Dünen hatte er mit seinen Freunden Verstecken und Orc und Paladin gespielt. Heute hatten sich hier die Gnolle breitgemacht und dort wo keine Gnolle sind, leben die Mitglieder der Devias-Bruderschaft. Viele der alten Freunde sind tot, gefallen unter dem eisigen Hauch der Geissel. Manche leben noch, doch die Freundschaft existiert nicht mehr.
Auf seinem Weg hierher war ihm einer davon begegnet. Mrotosch, der Sohn des alten Zwergenschmieds der Siedlung. Doch als er ihn in Loch Modan gesehen hatte, kam er keineswegs erfreut auf ihn zu. Als er ihn erblickte, rief er nach den Wachen und wollte sich auf ihn stürzen. Töten wollte er ihn, ihn, der sie doch einst die besten Freunde waren. Damals, als Mrotosch ihn noch unter dem Namen Escorain kannte. Denn die Geissel hatte ihn verändert.
Früher, als er nach seiner Kindheit nach Dalaran kam und dort die Wege der Magie erlernte, war er ein stattlicher junger Bursche. Dunkles, welliges Haar, das in der Sonne wie Ebenholz glänzte. Ein wohlgeformter Körper und ein wacher Geist. So hatte ihn seine geliebte Jadenira einst beschreiben. Jadenira. Wenigstens blieb ihr dieses Schicksal erspart. Vermutlich lebt sie noch friedlich unter der schützenden Kuppel Dalarans. Wie stolz war er damals gewesen, als ihn der Erzmagus zu sich bestellte, als die Seuche auf dem Vormarsch war und die ersten Untoten in Richtung Lorderon zogen. Er sollte zusammen mit einigen seiner Kollegen die Verteidiger der Stadt unterstützen...
Wie jung und unbesonnen er damals doch war. Er glaubte, dass nichts der vereinigten Macht der Allianz widerstehen könne. Siegesgewiss zog er aus, die Stadt vor den Untoten zu schützen. Seine geliebte Jadenira blieb derweil in Dalaran und versuchte, ihre Forschungen über die Natur der Seuche zu vervollständigen. Nie hätte er geglaubt, dass er sie an diesem Tag für immer verlieren würde. Doch dann kam der Kampf um Lorderon. Überall fielen seine Kameraden und die Soldaten vor den untoten Heerscharen wie die Halme vor dem Schnitter.
Genau erinnert er sich noch an die letzen Augenblicke. Das Tor war gefallen und die verbliebenen Truppen zogen sich zur Residenz zurück. Er deckte mit einigen Bogenschützen den Rückzug einiger Fußtruppen, als plötzlich mehrere Gargoyles über die Stadtmauer kamen und sie in ein heftiges Gefecht verwickelten. Als die Gargoyles sich wieder zurück zogen war er zusammen mit dem letzten der Bogenschützen allein auf dem Hausdach, von dem aus sie eigentlich nur den Rückzug sichern wollten. Doch jetzt waren sie die letzen Lebenden in diesem Teil der Stadt. Der Bogenschütze, nicht einmal seinen Namen weiß er noch, schaute ihn aus großen, ängstlichen Augen an. Dann brach die endgültige Hölle los, zumindest glaubte er das damals. Oh, wie er sich da doch getäuscht hatte...
Die Untoten brachen durch das Dach und fielen über sie her. Das Letzte, was er von dem namenlosen Bogenschützen sah, war dessen gebrochener Blick und ein Ghul, der seine Zähne in dessen Hals geschlagen hatte. Dann waren sie auch bei ihm. Er spürte ihre Zähne und ihre klauenartigen Finger, als sie anfingen, ihn bei lebendigem Leib zu fressen. Irgendwann verschwand dann alles in Dunkelheit.
Irgendwann kam dann der Nebel. Zeit verging und er tat Sachen, die ihm unbekannt waren. Er verstand sie nicht und sie interessierten ihn nicht. Nichts hatte mehr eine Bedeutung. Zu der Zeit war er nicht er selbst. Etwas Fremdes, kalt und böse, übernahm die Kontrolle über seinen Körper und seinen Geist. Verurteilte ihn zur totalen Passivität. Er existierte quasi nicht mehr. Er war nicht mehr als ein Tier. Blind und taub war er im Zwinger seines Verstandes eingesperrt.
So verging die Zeit. Manchmal, wenn das Fremde nicht so präsent war, konnte er spüren, dass es irgendetwas an seiner Magie verändert hatte. Ein fremder, dunkler Ton schwang darin, wann immer er sich darauf konzentrieren konnte.
Und eines Tages geschah es, das Fremde verschwand und er fand sich in den Ruinen Lorderons wieder. Keine Spur mehr von seinem alten Körper. Er war ein Untoter! Das Haar ausgemergelt und ins Dunkelgraue entfärbt, der Körper zerschlissen, teilweise lagen Gelenke bloß und sowohl Fleisch als auch Muskeln hingen modernd an den morschen Knochen. Sein Geist war gefangen in einem verrottenden Gehirn. Kein Wunder, dass ihn erst der Wahnsinn heimsuchte.
Irgendwann klärte er sich wieder und er betrat als neuer „Mensch“ die Bühne der Welt. Seine arkane Macht war durch den Lichkönig korrumpiert worden, hatte eine dämonischen Präzens gewonnen. Er fühlte sich nicht mehr wohl, den Namen zu tragen, den ihm einst seine Eltern gegeben hatten. So nannte er sich wählte er sich einen neuen Namen, einen Namen, der zu seinem neuen, dunklen Wesen besser zu passen schien, Azrathân…
Bald erlernte er das Beschwören von Dämonen. Seien es der kleine Wichtel, das Nichts der Nethers in Form des Leerwandlers oder gar die Verführerin, den Sukkubus. Selbst den Teufelsjäger, die Höllenbestie und die Verdammniswache hat er mittlerweile unter seine Kontrolle gezwungen. Alle diese Wesen manifestieren sich heute auf seinen Befehl hin hier in Azeroth. Und noch immer steigt seine Macht. Früher verspürte er noch manches Mal den eisigen Griff des Lichkönigs, wenn er sich zu weit von anderen Verlassenen entfernt hatte, doch diese Zeiten waren vorbei! Bald, ja bald würde seine Macht ausreichen, um sich am Lichkönig für all das zu rächen, was dieser ihm angetan hatte! Nicht nur die Zeit als blinder Sklave, die Entartung seiner arkanen Macht oder der sichere Verlust seiner Liebsten… Auch all die Anfeindungen und die Entfremdung seiner alten Freunde.
Nachdenklich sah er der rotgoldenen Sonnenscheibe zu, wie diese im westlichen Ozean versank und dabei das Meer in die Farbe des Bluts tauchte. Und ganz leise meinte er ein Flüstern wahrzunehmen, doch vermutlich war es nur die frische Meeresbrise, die gerade anfing, landeinwärts zu wehen.
Hätte er sich mehr konzentriert, hätte er vielleicht die Stimme vernehmen können, die in den Weiten seines Verstandes flüsterte: „Ja, träume ruhig, träume und mehrere deine Macht! Früher oder später werde ich dich wieder unter Kontrolle bringen, aufmüpfiger Sklave! Und je mehr Macht du bis dahin erworben hast, desto wertvoller wirst du für mich…“
 
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