Ich drehe schon seit Stunden...

Khanor

Dungeon-Boss
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"Aber wir, die an der Uni beschäftigt sind, verdienen gar nicht so gut, besonders im Vergleich mit denen, die in der Industrie arbeiten", höre ich die Stimme des Diplomingenieurs über dem Gesäusel des Heimatfunks, welchen das Navi-CD-Radio spielt, und dem sanften Hauchen der Klimaanlage, die er gerade von 23 auf 24° stellt, während er mit der linken leichtfertig das Lenkrad einschlägt um seinen Jaguar in die Tiefgarage seines Hauses im Zooviertel von Hannover, in welchem auch Altkanzler Schröder ansässig ist, zu bugsieren.

Ich schätze ihn auf knapp überschrittene Mitte 30 und er erinnert mich seit der ersten Minute an meinen älteren Bruder. Nur... anders.

Er ist nett. Auch wenn es im Volksmund heißt "'nett' ist der kleine Bruder von 'kacke'" so ist es doch mein Ernst. Er ist nett.

Ich bin zu ihm gefahren um nun endlich, nach bald zwei Monaten den PC abzuholen, den ein Freund meines Bruders bei eBay ersteigert hat.

"PC", scheinbar eine Beleidigung wie ich im Laufe des Gesprächs langsam beginne zu verstehen. Das Gerät ist so etwas wie der Super Nintendo eines jeden Informatikers. Ein Gerät, auf dem erstmals tolle Betriebssysteme und ein Haufen Technik enthalten war, jede Menge Freiheiten an Programmiermöglichkeiten in sich barg und Fortschritt und Innovation in sich vereinte.

Das Gerät ist von etwa 1990, hat bereits zwei Festplatten mit je neun Gigabyte, haufenweise Kartenplätze in welchen die Karten nicht festgeschraubt werden müssen, sondern einfach mittels Klappmechanismus arretiert werden.

Ein Highlight seinerzeit.

Ebenso die Prozessorleistung. zwar bringt die CPU nur 75 MHz, besitzt allerdings vier parallel geschaltete Prozessoren mit JE 75 MHz.

Name: Sun.

Mir sagt all das herzlich wenig und im Gegensatz zu meinem Bruder versteht der Herr auch, dass es wenig Sinn hat weiter darüber fachsimpeln zu wollen. Seine Erklärungen halten sich soweit im Rahmen, dass ich das Grundprinzip verstehe, aber weitere Details bleiben mir erspart.

Ich bleibe ungenervt.

Statt dessen unterhalten wir uns noch weiter über dieses und jenes und nebenbei auch die Gründe dafür, dass unsere bisher geplanten Treffen nicht zustande kamen.

Unsere Unterhaltung schreitet also über witzige Anekdoten über den im Bau befindlichen Neubau eines der Universitätsgebäudes in welche die E-Technikabteilung umziehen wird. Da kann ich mithalten, schließlich hab ich auf dem Bau gelernt.

Wir kommen letztendlich selbstverständlich auf das Thema Studium und für den Fall, dass ich keine Wohnung finden sollte überlegte er bereits welcher seiner Kontakte mir gegebenenfalls behilflich sein könnte.

Ich bin überrascht.

Meine Art hätte mich das natürlich ablehnen lassen, wenn ich bedürftig gewesen wäre, allerdings ist mir seine Art und Weise zu reden und sein Verhalten nicht unangenehm.

Da ich meine Skepsis fremden Menschen gegenüber sehr gut kenne bin ich fasziniert davon.

Die Sun hatte er leider am Morgen vergessen, allein das ist überhaupt der Grund für diese Spazierfahrt durch die Stadt, nachdem wir allerdings zurück sind und ich die Sun in unseren Golf umgeladen habe bin ich dennoch froh nun die Heimreise antreten zu können.

Nicht weiter über die Unterschiede der beiden Autos nachdenkend lasse ich mich hinter das Lenkrad fallen und bin im ersten Moment erschrocken, im zweiten sogar positiv überrascht: es sitzt sich für meine Begriffe einfach viel angenehmer in diesen langweiligen Schaumstoffhockern als in den Fernsehsesseln an Bord des Schlachtschiffes.

Auch die Temperatur ist irgendwie angenehmer. Ich habe glücklicherweise einen Schattenparkplatz erwischen können, es ist also noch immer warm, allerdings ist der Unterschied zur Außentemperatur nicht so krass und mir bleibt ein beinahefrieren erspart.

Auf der Hinfahrt hatte ich aufgrund einer Baustelle in der Innenstadt doppelt so lang gebraucht wie eigentlich angedacht. Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen die Autofahrer um mich herum mit dem mir doch bekanten World of Warcraft zu vergleichen, während ich auf die nächste viel zu kurze Grünphase warte.

Im Straßenverkehr besitzt man Rechte. Auf diese Rechte darf man aber auch verzichten.

Mir offenbaren sich allerdings reihenweise Ninjalooter der StVO.

Gut, bei einigen ist die Fahrschule lang her. Und auch bei denjenigen, die nicht so lang den Schein in der Tasche haben passen sich der Allgemeinheit an und nicht jeder fährt so gelangweilt wie ich und hält sich an manches, was er mal gehört hatte.

Was allerdings zu den Dingen gehört die ich an meinem Fahrstil vermeide ist, dass ich ein grünes Licht über meine Logik stelle.

Wenn ich grün habe, die aufgestauten Wagen vor mir allerdings schon bis fast auf die Kreuzung stehen warte ich an der Haltelinie und hoffe darauf, dass sich der Engpass vor mir lichtet, bevor die Ampel die Freigabe zurück nimmt.

Falls das nicht klappt ist das zwar nicht so toll, aber ich kann damit leben.

Ich denke das ist ein Weg, der nicht zum Spaß so angedacht wurde, allerdings sieht man das sehr selten.

Endlich stehe ich als erster an der Ampel, die Wagen der vorhergehenden Ampelrotation stehen zwei Wagenlängen in die Kreuzung hinein und der Querverkehr bekommt seine Fahrerlaubnis zugeteilt. Selbstverständlich, würden diese Fahrer sich nun auch meinem Denken angleichen würden sie den Rest des Tages hinter der Haltelinie verbringen, da sich immer irgendjemand blockierenderweise auf die Kreuzung stellen wird. Also fahren auch sie und reihen sich in die Schlange auf der Kreuzung ein.

So gut es geht.

Es geht nicht so gut.

Letzten Endes stehen sie nun auch dem Gegenverkehr versperrend im Weg und auf allen Spuren quer zur Fahrtrichtung.

Ich bin in meiner Grünphase der einzige, der sie nutzen kann.

Auf der Rückfahrt komme ich ohne derlei Ärgernisse aus, muss mich jedoch wieder einmal damit abfinden angehupt zu werden, weil ich mich auf die Fahrbahnmarkierungen und die Kreiselbeschilderung verlassen habe.

Linke Spur benutzen für die erste, die zweite und die dritte Ausfahrt.

Rechte Spur: ausschließlich für die erste Ausfahrt benutzen.

Ich nutze also die linke Spur und nehme die Ausfahrt und kann mich wenige Sekunden später noch darüber freuen, dass meine Beifahrerseite unbeschädigt bleibt.

Dafür lasse ich mich anhupen und in offensichtlicher Gestikulation beschimpfen, da der Herr auf der rechten Spur derlei Markierungen und Ausschilderungen wohl nicht so interessant findet und sich lieber dem neuen Handy seines Beifahrers widmete, während er sich beim Einordnen fette Beats aus dem Heck seinen tiefer gelegten Mercedes reindrückt.

Ich fahre weiter und denke mir meinen Teil.

An der nächsten Ampel sorge ich dann berechtigt für ein kurzes Hupen der Dame hinter mir, da ich das Grünwerden der Ampel verträume.

Gegen die Mittagssonne funkelt und blitzt es in herrlicher Vielfalt durch die Frontscheibe. Ich verliere mich in einem Regenbogen innerhalb des Glases und meine Gedanken schweifen vom Straßenverkehr ab. Wo kommt das her und wie lang wird es bleiben? Es ist schön, aber es kann gefährlich sein. Ob es noch mehr davon gibt? Ich habe neulich erlebt, wie es passieren kann. Wie kam es wohl dazu? Wie das Licht dort hindurch scheint. Ob es größer wird? Ob es uns freundlich gesinnt ist?

Das Hupen ertönt und ich lasse den angestrahlten Steinschlag in der Windschutzscheibe nichts weiter sein als das, was er ist:

Ärgerlich.




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