Kapitel 21

Evilslyn

Rare-Mob
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Als die Sonne kurz davor stand die Firmamentsbühne zu verlassen, und Platz für den Mond zu machen, waren Arled und Flugur gerade mit ihrem Abend essen fertig.
Flugur hatte mit seiner selbst gemachten Angel zwei Weisenfische gefangen, die er mit Wildkräutern der Wiese in ein köstliches Mahl verwandelt hatte.
„Ich bin papp satt.“, sagte Arled der nach hinten an einen Stein gelehnt saß und sich den Bauch tätschelte.
„Das ist gut. Es wird es dir leichter machen.“, Flugur drehte seine Fischgräte in den Händen und pflückte letzte Fleischreste ab.
„Denk immer daran, dein Körper ist auch in Worgenform der deine. Ich weis noch, bei meiner ersten bewussten Verwandlung, erschien mir die Art meines Denkens so fremd, dass ich glaubte im eigenen Körper verdrängt worden zu sein. Zur Randfigur degradiert worden zu sein, im eigenen selbst.“
Obwohl Arled wusste, dass sein Vater nur versuchte ihm Tipps zu geben, klang was er sagte doch sehr unnachvollziehbar. Natürlich war sein Körper, der seine, wessen denn sonst.

Wenn auch nur im Traum, hatte Arled immerhin schon einmal seine Worgenform erlebt. Und damals waren seine Gedanken genau so klar gewesen wie in seiner Menschenform.
„Ich werde es mir merken.“, versicherte er dennoch. „Außerdem bist du ja bei mir.“
„Also gut, Arled. Dann ist soweit alles gesagt. Gehen wir.“, entgegnete Flugur, während er schon dabei war sich zu erheben.
Arled und er liefen gemeinsam hinunter zum Bach. Im Dämmerlicht schlängelte er sich wie ein schwarzes Band durch die Landschaft. Fast lautlos bis auf ein leises gluckerndes Gurgeln.
Hunderte Grillen spielten der Nacht ihr Lied, und in dem nahen Wald konnte Arled einen Kauz rufen hören.
Unvermittelt fiel sanftes Licht über die Landschaft, und Arled der dessen Quelle suchte, entdeckte den Mond. Langsam erhob er sich am Horizont, und Arled war wie gebannt. Er schaute zu Flugur, und stellte fest das auch er die Scheibe betrachtete.

Ein Kribbeln lief durch Arleds Körper, während sich die Scheibe weiter und weiter enthüllte.
Das Kribbeln wurde stärker und stärker. Arled rieb erst aufgeregt seine Finger, dann ballte er seine Hände zu Fäusten. Das Warten dehnte sich zur Ewigkeit.
Dann als die Kugel fast komplett war, schloss er die Augen, holte tief Luft. Er füllte seine Lungen bis sie zu zerbersten drohten; und öffnete die Augen.

Da war er, der Vollmond. Rund und makellos. Das kribbeln der Erregung war zu einem Gefühl geworden als ob sein ganzer Körper vibrierte.
In der Mitte seines Brustkorbs breitete sich ein Gefühl der Wärme aus, und verteilte sich mit jedem Herzschlag rasend schnell durch seinen Körper.
Seine Hände und Füße wurden warm, immer wärmer.
Arled hob seine Hände vor sich und beobachtete ungläubig was er sah.

Die Glieder seiner Hand, schienen wie im Zeitraffer zu wachsen. Die Finger wurden länger und länger. Die Knochen knackten in seinen Handflächen als die Handteller sich verbreiterten.
Doch statt Schmerz, spürte Arled nur die pulsierende Wärme die ihn durchströmte. Genährte aus einer Art innerem Brunnen, in der Nähe seines Herzens.
Dann bemerkte er die Veränderung der Haare an seinen Armen.
Sie hatten alle Farbe verloren.
Leuchtend weis waren sie, schimmernd im Mondenschein. Und wuchsen.
Doch wuchsen nicht nur die vorhandenen Haare in atemberaubender Geschwindigkeit, sondern überall aus seiner Haut brachen weitere hervor.
Bald schon waren seine Hände und Finger von Fell überzogen.
Zwar konnte er, da er bekleidet war, es nicht sehen, doch spürte er deutlich, dass diese Veränderung auch am Rest seines Körpers ablief.
Er schaute nach unten, und stellte fest, dass die Spitzen seiner Schuhe zerrissen waren, und Klauen daraus hervor ragten. Klauen, an mit weißem Fell bedeckten Füßen.
Arled fühlte sich fantastisch.

Im Augenwinkel konnte er seinen Vater erkennen. Auch er steckte mitten in der Verwandlung.
Das Gefühl der Wärme in Arled pulsierte mittlerweile wie wild, und strömte nun auch an seinem Hals empor und füllte seinen Schädel.
Als die Welle des Wohlbehagens in sein Hirn flutete, glaubte er fast um den Verstand zu kommen. Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Heulen aus, während sich auch sein Kopf in den eines Worgen verwandelte, und die Verwandlung komplett machte.

Mit dem Ende des Heulens, endete auch das Gefühl der Wärme. Es ging nicht langsam zurück. Verschwand einfach von jetzt auf gleich und hinterließ eine Leere in Arled, wie er sie noch nie gekannt hatte.
Schwer atmend stand er da.
Grass, Wasser, Sand, Erde, der Wald, Tiere, er selbst...
Die Intensität mit der die Gerüche in ihn drangen überwältigten Arled.

Wenn er ehrlich war, roch er nicht den Wald, er roch:
Erde, Rinde, Harz, Nadeln, Hasen, Rehe, Wildscheine, sogar einige Wölfe konnte er ausmachen.

Er war so beschäftigt mit den Gerüchen klar zu kommen, dass er erst jetzt des Lärms gewahr wurde welcher ihn umgab. Es waren die Grillen.
Für ihn war es jedoch kein leises Lied, so wie er es noch vor kurzem empfunden hatte. Es war ein Crescendo sondergleich. Dröhnte auf ihn ein, und stach in seine Ohren.

Als ihn etwas an der Schulter berührte schnappte er Instinktiv danach.
Wären Flugurs Sinne nicht ebenso geschärft gewesen wie die seinen, er hätte wohl seine Klaue eingebüßt.
Er konnte sie gerade noch zurück reißen, bevor Arleds Kiefer mit lautem Schnappen aufeinander schlugen.
„Ganz ruhig, mein Sohn.“ Flugurs Stimme klang seltsam. Die Stimmebänder eines Worgen eigneten sich nicht wirklich für das Formen menschlicher Worte. Waren eher für das Heulen und Kläffen ausgelegt.
Flugur stellte sich vor Arled, und legte seine großen Pranken auf Arleds Ohren. Trotz ihres grobschlächtigen Aussehens war er völlig sanft.
Arled versuchte seinen Kopf wegzuziehen, doch Flugur hielt ihn fest.
„Schhhhh, schhhhh. Bleib ganz ruhig. Du musst deinem Hirn Zeit geben sich daran zu gewöhnen.“, so leise und beruhigend wie es ihm in seiner Gestallt möglich war, redete Flugur auf Arled ein.
Arled hatte keine Probleme ihn auch mit zugehaltenen Ohren zu verstehen.
Langsam wurde die Lautstärke erträglicher, sein Verstand raste.

Geräusche, Gerüche, das wehen des Windes in seinem Fell, der Geschmack der Umgebung den er auf der Zunge spürte, alles rollte auf ihn ein.
Doch immer besser konnte er sich wieder auf Einzelheiten konzentrieren.
Es dauerte wohl nur wenige Minuten bis sein Vater die Pranken von seinen Ohren nehmen konnte, aber für Arled fühlte es sich an wie eine Ewigkeit.
Danach war das Zirpen der Grillen zwar noch immer ein sehr lautes Geräusch, doch fühlte es sich nicht mehr an als würde sein Kopf zerspringen.
Arled konnte es sogar völlig ausblenden, und wie sich ihm die Welt dann darstellte, überstieg alles was er erwartet hatte.
Er hörte Käfer die in seiner Umgebung durch das Gras liefern. Er hörte die Halme des Grases wenn der Wind durch sie strich. Konnte den Flügelschlag der Fledermäuse vernehmen die über dem Bach in den Vogelschwärmen jagten.

Dann hörte er das davon Preschen eines Rehs im nahen Wald, und war schon losgelaufen bevor er es selbst bemerkte. Mit atemberaubender Geschwindigkeit flog die Landschaft an ihm vorbei. Die durch seine Nüstern strömende Luft lieferten ihm tausende und abertausende Informationen über die Umgebung. Sein Ohren zuckten hin und her, sammelten Eindrücke, aber ohne das Geräusch des Rehs zu verlieren.

Plötzlich war Flugur an seiner Seite, jagte dahin. Der Gegenwind zerzauste sein Fell.
„Bleib stehen! Arled!“, stieß er zwischen tiefen Atemzügen hervor.
Arled wollte, doch er konnte es nicht.
Es gab Beute. Es gab Fleisch.
In seinem Geist konnte er Bilder aufblitzen sehen, wie er seine Klauen in die Seite eines Rehs schlug. Wie er es zu Fall brachte und dann seine Fänge in dessen Hals grub. Er konnte förmlich den Geschmack des Blutes riechen und schmecken, so präsent war seine Vorstellung.
Oder war es eine Erinnerung. Es schien so real.

Tiefer und tiefer in den Wald jagte Arled. Flugur ihm dicht auf den Fersen.
Arleds Puls raste. Seine Atmung ging tief und gleichmäßig. Er fühlte sich nicht einmal erschöpft obwohl er in seiner menschlichen Gestallt, schon nach einem Bruchteil der Strecke die er zurück gelegt hatte, halbtot zu Boden gesunken wäre.
Das Reh war nun nicht mehr weit entfernt. Arled konnte es riechen, und hören. Nur sehen konnte er es noch nicht.

Plötzlich stieß sein Bein gegen etwas.
Er wollte es noch hochreißen doch was immer es war, womit er kollidiert war, er umschlang sein Bein, und riss ihn von den Füßen. Er streckte seine Pranken nach Vorn um den Sturz abzufangen, war jedoch zu schnell. Er Überschlug sich mehrmals, bevor sein Vorwärtsdrang unsanft von einem Baum gestoppt wurde.
Er schüttelte sich kurz und sprang wieder auf die Beine.
Wütend blickte er sich nach der Stolperfalle um.

Der Waldboden war eben. Nichts wies darauf hin worüber er gestürzt war.
Nur Flugur stand schwer schnaufend da.
„Meine Güte, Arled. Du hast mir keine andere Wahl gelassen. Hör mir doch zu.“
Arled begriff.
Flugur hatte ihn zu Fall gebracht.
Flugur hatte seine Jagd behindert.
Flugur neidete ihm seine Beute.

Arled senkte den Kopf zog die Lefzen hoch und knurrte Flugur an.
Es war ein drohendes Knurren, das aus den tiefen seines Bauches herauf stieg.
Das Reh war entkommen. Aber Flugur würde bezahlen.
Langsam nahm Arled Geschwindigkeit auf und rannte mit aufgerissenem Maul auf Flugur zu.
 
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