Corann
Quest-Mob
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Aufgrund der Tatsache das viele Leute und Medien so extrem über WoW herziehen hält man natürlich die Augen nach positiven Meldungen offen. Und ich habe eine gefunden und neulich auch selbige Reportage in 3sat gesehen. Also wer sich immer wieder mit irgendwelchen Vorwürfen rumärgern muss das WoW uns verblöden, vereinsamen und alle sozialen Kontakte versiegen lässt kann sich nach diesem Artikel sehr wohl rechtfertigen.
Quelle: 3sat.online
F: In anderen europäischen Ländern scheint man weniger aufgeregt über Computerspiele zu diskutieren, was hierzulande doch teilweise recht erbittert geschieht. Wie erklärt sich aus Ihrer Sicht die negative Wahrnehmung eines modernen Unterhaltungsmedium wie Spiele?
Matthias Horx: Das hat natürlich viele kulturelle Gründe in Deutschland, wir haben unglaubliche Angst vor Zweit-Realitäten. Die Deutschen haben ja historische Erfahrungen mit alternativen Realitäten gemacht, im Politischen wie im Sozialen, die hochdramatisch waren. Erklärt sich auch durch die deutsche Romantik, wir haben immer Angst, das da irgendwo ein Wirklichkeits- und Möglichkeitsraum ist, wo wir abwandern, wo wir nie mehr zurückkommen: Hänslein geht in den Wald und kommt nicht mehr zurück. Und, es ist natürlich ein Teil unseres alarmistischen Kultursystems: Wir haben Angst vor allem, was neu ist. Und in der Form der Computerspiele nimmt es natürlich Hysterie an. Und es hat noch einen ganz anderen, wesentlichen Aspekt, der gerne vergessen wird, nämlich das die alten Kultureliten ihre Privilegien verteidigen. Wenn Sie sich die Geschichte der Medienkritik anschauen, dann werden Sie merken, dass Platon schon anfing gegen die Schrift zu polemisieren, weil sie künstlich wäre, nur das gesprochene Wort ist echt. Im 18. Jahrhundert hat man dann Romane verdammt, weil sie in Traumwelten entführen, was sie ja real tun. Romane sind ja unglaubliche Virtualitätsmaschinen, da kann man ganz viele Fantasien haben. Und so ging das weiter, das Radio führte dann zu Vereinsamung, das Fernsehen zur Verblödung und so ging es immer weiter, weil immer die Kultureliten, die jeweils die herrschende Kulturtechnik in der Hand hatten, das ist in unserem Fall die Schriftsprache, die lineare Schriftsprache, gesagt haben, etwas anderes darf es nicht geben. Alles andere ist Sünde. Das ist nichts anderes, als Machterhalt. Und in sofern können wir auch hier sehen, hier kommt eine sehr bedrohliche, sehr, sehr potente machtvolle, neue meta-mediale Kraft. Wir haben es hier mit einem Medium zu tun, dass alle anderen Medien ersetzen kann, und das ungeheure Sogwirkung erzeugt und das macht natürlich vielen Leuten Angst. Wie soll ein schlauer deutscher Professor, der sich um den Wald sorgt, da noch seine Bücher verkaufen. Wie sollen die unendlich vielen Professoren und Doktoranden, die nur von der Produktion von Fußnoten leben, da noch ihre Fußnoten verkaufen, als wissenschaftlich, wenn wir ein Medium haben, das im Fluss ist, das permanent interaktiv ist. Das ist der eigentliche Grund für die erbitterte deutsche Debatte, in der sich ja immer ganz bestimmte Leute zu Wort melden, nämlich Leute, die überhaupt keine Ahnung von Computern, von Medien, von irgendwas haben.
F: Wenn man sich die WoW-Spieler genauer ansieht, so sind einige sehr stark organisiert.
Matthias Horx: WoW bildet natürlich eine virtuelle und auch reale soziale Welt, in der Menschen unglaublich viel miteinander erfahren, losziehen in eine fremde Welt, sie steigen aus der Wirklichkeit aus und das ist natürlich sehr bedrohlich für viele Leute, das Aussteigen war immer schon bedrohlich. In meiner Jugend ist man ausgestiegen, indem man nach Gomera gezogen ist oder man hat Haschisch geraucht oder andere Drogen genommen, das war auch bedrohlich. Insofern hat man das immer gleiche Motiv und wir haben natürlich auch immer das gleiche Motiv der Menschen die aussteigen, sie suchen das Soziale in der anderen Welt. Sie möchten sich vernetzen mit vielen anderen Menschen. Insofern haben wir hier natürlich eine große kulturhistorische Schleife. Aber das Spiel hat natürlich auch eine andere Dimension, die es einerseits bedrohlich, auf der anderen Seite faszinierend macht, es werden natürlich hier auch Fähigkeiten eingeübt, die wir für die Zukunft brauchen. Diese Komplexität des Spiels bedingt ja, dass man sehr, sehr symbolische Schnelligkeit entfaltet, man muss sehr viele Informationen aufnehmen, man muss sehr schnell sein, man braucht trotzdem hohe soziale Verdichtung, man muss dechiffrieren könne und das ist im Grunde genommen das, was moderne Wissensarbeit ausmacht. Wir haben es im Grunde genommen mit einem modernen Teamwork zu tun, weil die Menschen hier das simulieren, was sie später in ihren immer mehr wissensorientierten Berufen können müssen: Teamwork, Simulationsfähigkeit, Virtualitätsfähigkeit, hohes symbolisches Verständnis, Schnelligkeit. Also im Grunde genommen übt in diesem Spiel die Arbeitswelt der Zukunft für sich selbst. Und davon fühlen sich natürlich die vielen tradierten Menschen unserer Gesellschaft bedroht, weil sie natürlich merken, dass da neue Fähigkeiten entstehen. Die Kids gehen ja auch in ihren Skills, in ihren Fähigkeiten andere Wege und das sind die Wege, die letztendlich die Basis für die Berufswelt der Zukunft sind.
F: Gemeinhin tut man ja Spielen als etwas für Kinder oder Jugendliche ab, bestenfalls noch für einige erwachsene Eigenbrötler. Doch gerade WoW spielen nicht nur die „üblichen Verdächtigen“, sondern viele Erwachsene, Ältere.
Matthias Horx: Wir haben ein klassisches „Erwerbsmodell“, man spielt als Kind und zwar möglichst lange, das ist ja so dieser Schonraum der Kindheit, der ja auch in Deutschland ganz, ganz wichtig ist, Einschulung am besten erst mit acht und dann beginnt danach der Ernst des Lebens und dann verläuft alles linear, rational und erklärbar und dieses Spiel durchbricht das natürlich mit Leichtigkeit. Das ist natürlich ein weiteres wichtiges Prinzip, Diversity, Diversität. Ich habe auf einem WoW-Server lange Monate gespielt, wo die ganzen europäischen Länder, vor allem in der Peripherie, sich abgebildet haben. Ich habe mit Letten, Russen, Türken, auch einigen Honkong-Chinesen die sich hierher verirrt hatten, Portugiesen, Iren, gespielt und wir haben uns in unserem Pidgin-Englisch, wir waren ja nicht alle native speakers, in großen Gruppen verständigt. Das war nichts anderes als multinationale Firmen, globalisierte Firmen, heute machen. Dieses alt und jung, männlich und weiblich, verschiedene Nationalitäten und Kulturen, das bildet sich im Spiel beispielhaft aus; insofern kann man nur sagen, jedes Unternehmen oder wenn Sie so wollen die Bundesarbeitsagentur, müsste ihre ganzen Mitarbeiter mit WoW eigentlich schulen. Das ist das beste Schulungsinstrument für die Arbeitswelt von morgen.
F: Spielen in virtuellen Welten wird häufig despektierlich als „Flucht“ bezeichnet...
Matthias Horx: Es ist die Frage, was man als Flucht bezeichnet, man könnte ja auch sagen, Arbeit ist die Flucht vor der Familie oder Familie ist die Flucht aus dem Arbeitsleben, das menschliche Wesen zeichnet sich ja dadurch aus, dass es Varianz und Vielfalt will. Und dieser Möglichkeits-raum des Cyberspace ist natürlich so vielfältig, das jedes Spiel dagegen verblasst. Das große Kulturspiel, dass ja auch für Erwachsene erlaubt ist oder sogar für Erwachsene geboten ist, ist Schach. Und seit ungefähr 3,4 Jahren, spielen Computer besser Schach als Menschen und früher hat man gedacht, dann wäre das Zeitalter des Menschen vorbei. Nur was wir gesehen haben, ist das Schach eine Art von Primitivität hat, oder sagen wir mal, es spricht einen bestimmten Teil des Hirns an, nämlich den mathematisch-logischen Teil. Das haben wir hier natürlich in einer ganz anderen Form überwunden, denn wir arbeiten ja hier natürlich im Cyberspace mit Bildern, mit Gefühlen, mit Emotionen. Also auch die emotionale Intelligenz ist ungeheuer wichtig. Ich habe zum Beispiel mal geweint, als man mich als Priester aus einer Gruppe rausgeschmissen hat, weil ich nicht schnell genug geheilt habe. Diese Art von Gruppendynamik, die unser Leben durchdringt, in Familien, in Büros, wird dort [in WoW, die Red.] genauso abgebildet und man lernt ungeheuer viel über Ängste, über Einsamkeiten, über Kooperationsfähigkeiten, über Stolz, über diese ganz archaischen Formen des Lebens. Und das ist im Grunde genommen eine Transzendierung des Spiels, das ist ein Meta-Spiel, das ist kein Spiel mehr im Sinne von‚ ich beschäftige mich mit irgendeiner Art von Ablenkung.
F: Sie sprachen an anderer Stelle vn dem gnadenlosen Suchtfaktor des Spiels. Woraus erklärt sich der?
Matthias Horx: Dieses Spiel ist eine Metapher für das Menschliche überhaupt. Es hat mehrer Dimensionen, warum wir darauf so süchtig reagieren. Die erste Dimension ist die anthropologische. Das sind die Urlandschaften der Menschheit, die da abgebildet werden und man bewegt sich ja in einem gigantischen, dreidimensionalen Raum und das liegt uns tief in den Genen. Wir sind Jäger und Sammler von unserer Herkunft her. Wir ziehen in die Welt und jagen Bestien oder müssen uns in der Welt verteidigen. Das ist das archaische Motiv vom Beginn der Menschheit. Zweitens haben wir alle Kulturchiffren der Welt gewissermaßen gesampelt in diesem Spiel. Da sind alle Mythen, auch religiöse Mythen, verpackt in Bildern, in Formen, in lebendigen, interaktive Bildern. Das heißt, mit diesen archaischen Monsterformen, Engeln, Teufeln können wir kommunizieren, wir können gegen sie kämpfen, wir können gegen sie unterliegen. Wir sind zum Beispiel in der Lage, uns zu verwandeln. Wir sind in der Lage aufzusteigen. Und die dritte Dimension ist das Psychologische. Wir erschaffen ja ein Alter Ego, einen Avatar, eine Identität und das ist das spannendste überhaupt. Es gibt ja praktisch kein anderes Spiel das das tut, das uns gewissermaßen die Möglichkeit gibt, ein Experimentier-Ich zu bilden. Und die Bandbreite der möglichen Charaktere die sie in diesem Spiel bilden könne, bildet natürlich die Bandbreite der menschlichen Psychologie ab. Man kann Krieger sein, man kann heilender Priester sein, man kann mit Tricks arbeiten, dann ist man Zauberer, man kann die Naturkräfte zu Hilfe rufen, dann ist man Druide und in diesen Rollen spiegelt man die eigentliche Persönlichkeit, man findet heraus wer man ist. Freud hätte seine wahre Freude gehabt, dagegen ist eine Couch, eine Psychologen-Couch ja gar nichts, wenn Sie mit Ihrem eigenen Charakter, mit Ihrem Es, Ihrem Über-Ich gleichzeitig experimentieren können. Und das ist glaube ich, was die Leute so unglaublich fasziniert, sie bilden eine Art Wunsch-Ich darin ab. Und lassen dieses Wunsch-Ich sich entwickeln. Und insofern glaube ich, das es auch einen ganz tiefen kathartisch-therapeutischen Effekt hat. Ich glaube, das man mit dem Spiel sogar Depressionen behandeln könnte oder viele andere psychologische Krankheiten, wenn man es richtig einsetzen würde. Unbewusst tun die vielen Spieler das ja. Wir haben ja Zuwachsraten im Monat von ungefähr einer halben Millionen Spieler im Monat. Wenn es so weiter geht würde, würden im Jahr 2010 ungefähr 100 Millionen Menschen dieses Spiel spielen, wenn es so weitergehen würde. Es geht natürlich nicht so weiter, weil dann wieder andere Spiele kommen werden, aber man kann auch sagen, hier entsteht eine zweite Wirklichkeit, in der sich die Menschen spiegeln und reflektieren. Und das wird zum Teil unserer Kultur werden, in Zukunft, denn der Cyberspace ist nicht mehr aufzuhalten.
F: Nun ist WoW ja auch ein unglaublicher Zeitfresser, was sich durchaus zum Problem auswachsen kann.
Matthias Horx: Ich bin da ratlos, an dem Punkt. Wir wissen natürlich, das alles, was eine große Leidenschaft ist, Zeit frisst. Das Lesen von Büchern frisst ja auch ungeheuer viel Zeit und wenn Sie sich die Zeitkontingente der Deutschen einmal anschauen, dann werden Sie sehen, was frisst dort Zeit: Dreieinhalb Stunden täglich sieht der Deutsche fern! Darüber wird eigentlich nicht mehr diskutiert. Insofern können wir uns ja fragen, hier wird ja etwas verschoben und der Suchtcharakter des Fernsehens ist, glaube ich, unbestritten, aber der Suchtcharakter des Fernsehens macht dumm! Zeitaufwand bei WoW kann auch dumm machen, man kann dieses Spiel auch dumm spielen, ohne Zweifel, aber es bietet eine unglaubliche Menge an Anregung für das Hirn. Es ist nacktes Hirntraining! Sie müssen, wenn Sie dieses Spiel wirklich mit Freude spielen wollen, sich extrem engagieren und dann werden Sie natürlich hinein gesogen. Ich habe keine Lösung dafür gefunden. Ich spiele ja selber kontrolliert, ich habe auch nicht immer so viel Zeit. Ich versuche meine Söhne dazu zu bringen, kontrolliert zu spielen. Ich habe eigentlich nur ein einziges Argument dabei, das, wenn man etwas verknappt, das es dann länger Spaß macht. Ansonsten kann man davon ausgehen, dass dieses Spiel eine irrsinnige Zeitprovokation ist, und das daran noch unglaublich viele Familien, Ehen, Partnerschaften, Beziehungen extrem leiden und kämpfen werden. Umgekehrt kann man natürlich auch sagen, dass das ganze ein heilsamer karthatischer Prozess ist, weil wir dann natürlich auch definieren müssen, warum wir Zeit für etwas ausgeben, warum wir Zeit für etwas spenden und wir uns dann auch in der Partnerschaft, in der Familie über Motive unterhalten muss. Wenn ich mir die Alternative vorstelle, meine Söhne können also auf den Fußballplatz gehen, das ist wichtig, das tun sie auch weiterhin; sie können auch Briefmarken sammeln... ist das soviel toller? Da würde kein Mensch über Suchtcharakter reden. Oder Eisenbahnlandschaften aufbauen, was auch immer. Ich glaube, dass die fast schöpferische, existentielle Provokation, die in diesem Spiel drin liegt, nämlich den Menschen eine Alternativrealität in die Hand zu geben, wo Sie sagen können, wandere aus, Du kannst auswandern, in eine andere Welt gehen. Das ist eigentlich nicht zähmbar und das wird noch zu ungeheuer vielen Konflikten Anlass geben. Was ich nur unglaublich bescheuert finde, ist das World of Warcraft mit Gewaltcomputerspielen gleichgesetzt wird. Es gibt auch Gewalt in diesem Spiel, eine ganze Menge sogar, aber das hat natürlich überhaupt nichts mit diesen linearen Ballerspielen zu tun, bei denen es um das Killen des Gegners geht. Sondern es geht um Kooperation, um emotionale Feinfühligkeit, es geht um unglaublich viel Poetry, die Musik gehört zum besten, was meiner Meinung nach die Populärkultur in den letzten 30 Jahren, seit den romantischen Filmen der 60er Jahre, hervorgebracht hat. Es ist ein Angebot, was in einem gewissen Sinne durchbrechend und genialisch ist, das man mit Zeitrestriktionen immer nur, ich sage mal, den Sonntag überstehen kann, aber am nächsten Montag hat man glaube ich schon wieder das Problem, dass die zweite Welt ruft. Auch aus ganz menschlichen Bedürfnissen. Viele von uns haben ja mal als Kind geträumt jenseits des Traums, also im Traum, aufzuwachen und das ist genau das, was World of Warcraft macht.
F: Es gibt, trotz Fantasy, ja eine handfeste Schnittstelle zum realen Leben: Durch den teilweise schwunghaften Handel mit virtuellen Gegenständen.
Matthias Horx: Ökonomie ist ja immer etwas virtuelles, wenn das Spiel faszinierend ist und wenn es eine Begehrlichkeit erzeugt, dann ist es logisch, dass auch eine Ökonomie sich darum herum strickt. Jetzt könnte man natürlich ungekehrt fragen: Sind die Börsengelder real? Worauf spekulieren wir denn, wenn wir an die Börse gehen oder selbst wenn wir Pfandbriefe oder Kommunalobligationen kaufen, ist das reines virtuelles Geld. Also insofern ist die Ökonomie immer ein Teil unserer realen Erfahrungswelt. Das es darum einen Hype gibt, ist eigentlich nur ein Anzeichen dafür, dass das Spiel erfolgreich ist.
F: Das Thema Online-Rollenspiele ist ein Trend, mancher spricht davon, dass dies die Zukunft des Spielens sei. Sehen Sie das auch so?
Matthias Horx: Als Zukunftsforscher würde ich natürlich auch andersherum argumentieren, ich würde sagen, die Virtualität liegt in der Vergangenheit des Menschen. Wenn Sie sich anschauen wie früher die Menschen in den Höhlen Tiere gemalt haben, als eine Art virtuelle Welt, wie die Kirchen im Mittelalter angefangen haben, dreidimensionale Altäre zu bilden, in denen es Himmel und Hölle gab, in denen man quasi durch diese Klapp-Altäre hindurchgehen konnte, in eine andere Welt, das ist ein Ur-Menschliches Motiv. Insofern würde auch World of Warcraft nicht funktionieren, wenn es nicht auf diese ganzen menschlichen, archaischen Wünsche und Bedürfnisse und Hoffnungen eingehen würde. Und da wir heute schlichtweg ein Multi-Medium geschaffen haben, in Form des Computers und in Form des vernetzten Computers, können wir davon ausgehen, dass diese alten menschlichen Fantasien einfach nur auf einen neuen technischen Standard gehoben werden. Aber ohne Zweifel können wir davon ausgehen, das der virtuelle Raum immer mehr ein Teil unseres Universums wird. Ich glaube, die Tendenz geht eher dahin, das sich dieser Raum zunächst einmal gewaltig erweitert in seinen Möglichkeitsdimensionen – wir können uns darin verlieben, das passiert ja schon, wir können darin Geld verdienen und verlieren, wir können darin Berufe lernen – das wird alles stattfinden. Und dann wird eine Rückkopplung stattfinden und das ganze wird wieder mit der wirklichen Wirklichkeit verschmelzen. Weil, ich glaube, wir sind als Menschen gar nicht in der Lage, nur in einer Welt zu leben. Wer behauptet, er lebe nur in der wirklichen Realität, der muss erst mal definieren, was das überhaupt ist. Wir sind Traumwesen, wir sind von unserer Konstruktion als denkende und träumende Wesen sind wir darauf geprägt, virtuelle Welten zu erschaffen. Die Religionen sind das beste Beispiel dafür. Und insofern ist das im Grunde genommen nur eine anthropologische Fortsetzung des menschlichen Weges, mit anderen Mitteln. Und was eben nicht passieren wird, das zeigen ja auch die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, ist, dass dieser virtuelle Raum uns technisch ersetzen wird. Vor 10 Jahren hatte man die Illusion oder spinnerte Idee, wir müssten alle mit Brillen herumlaufen, in denen dann eine andere Wirklichkeit hundertprozentig simuliert wird. WoW zeigt ja was anderes, WoW zeigt, dass das menschliche Hirn selber eine Virtualitätsmaschine ist und die Bilder selber mitträumt, d.h., wir brauchen gar nicht Gummianzüge, um Cybersex zu erleben. Jeder, der ein bisschen Ahnung von Sexualität hat, weiß, dass ganz viel Sexualität im Kopf stattfindet. Und diese Wechselwirkung zwischen den inneren und dem äußeren Cyberspace, wird natürlich diese technologische Entwicklung beflügeln und wird der menschlichen Evolution des Geistes eine neue Dimension hinzufügen.
F: Sie sind ja auch selbst Spieler, wie würden Sie Ihre eigene Faszination des Spiels beschreiben?
Matthias Horx: Ich erlebe darin eine Verwandlung, in ein anderes Wesen und in eine andere Welt. Ich erlebe ein Katharsis, ich kann mich identifizieren in einem Raum des Traums. Das ist im Grunde etwas, was man vielleicht früher durch psychedelische Drogen versucht hat, herzustellen. Das ist natürlich sehr viel einfacher und vor allem mit sehr viel weniger Nebenwirkungen hier zu haben. Dieses Träumen können und auch den Traum manipulieren können, das finde ich eine unglaublich befreiende Erfahrung. Ich glaube, das ganz viele Spieler das so sehen, das sie gewissermaßen den Horizont wechseln. Sie sehen dann auch auf die Wirklichkeit in ganz anderer Art und Weise und dann ärgern sie sich vielleicht auch noch über die Beschränkungen, die wir haben. Ich weiß nicht, obs Ihnen oft im Spiel so gegangen ist, man möchte Dinge anklicken, die man aber gar nicht anklicken kann. Man möchte eigentlich noch die Welt noch mehr verändern, man ist eigentlich dann wieder unzufrieden. Und dieses uralte menschliche Bedürfnis die Welt zu gestalten, das wird dort dargestellt, in einer ungeheuren Potenz, wir können durch andere Welten reisen, dieses urmenschliche Bedürfnis wird erfüllt. Ich bin ein bisschen vorgeprägt, ich bin ein Kind der 60er Jahre, in der waren ja Zukunfts- und Andere-Welt-Träume sehr verbreitet: Da war die Mondlandung, die Weltraumfahrt, psychedelische Drogen, Musik und das führt sich für mich in diesem Spiel ein bisschen weiter. Ich sehe auch, dass Menschen dieses Spiel sehr unterschiedlich spielen, es gibt Leute, die es unglaublich rational und auch kriegerisch spielen, manche sind sehr pragmatisch dabei, andere verfriemeln sich dann in irgendeiner Unterroutine. Es hat natürlich sehr viele verschiedene Zugänge. Meine Söhne spielen es sehr wettbewerbsorientiert, also die spielen so, wie man vielleicht Baseball spielt und mit anderen konkurriert. Ich möchte immer wissen, ob man in dieser kriegerischen Welt Frieden stiften kann, jeder hat so seine eigenen Motive, damit umzugehen. Es ist wie eine große psychologische Spiegelungsleinwand...
Meine Meinung noch kurz hinten dran:
Sicherlich gibt es vereinzelt Personen die anscheinend wirklich nix besseres zu tun haben als den ganzen Tag nur WoW zu spielen. Vielleicht sind darunter auch ein paar die dadurch gewissermaßen ihr Leben vernachlässigen. Aber dieser Anteil ist zu gering. Dennoch nehmen die Medien immer solche Leute als Vorzeigebeispiel her wie gefährlich Spiele doch sein können.
Quelle: 3sat.online
F: In anderen europäischen Ländern scheint man weniger aufgeregt über Computerspiele zu diskutieren, was hierzulande doch teilweise recht erbittert geschieht. Wie erklärt sich aus Ihrer Sicht die negative Wahrnehmung eines modernen Unterhaltungsmedium wie Spiele?
Matthias Horx: Das hat natürlich viele kulturelle Gründe in Deutschland, wir haben unglaubliche Angst vor Zweit-Realitäten. Die Deutschen haben ja historische Erfahrungen mit alternativen Realitäten gemacht, im Politischen wie im Sozialen, die hochdramatisch waren. Erklärt sich auch durch die deutsche Romantik, wir haben immer Angst, das da irgendwo ein Wirklichkeits- und Möglichkeitsraum ist, wo wir abwandern, wo wir nie mehr zurückkommen: Hänslein geht in den Wald und kommt nicht mehr zurück. Und, es ist natürlich ein Teil unseres alarmistischen Kultursystems: Wir haben Angst vor allem, was neu ist. Und in der Form der Computerspiele nimmt es natürlich Hysterie an. Und es hat noch einen ganz anderen, wesentlichen Aspekt, der gerne vergessen wird, nämlich das die alten Kultureliten ihre Privilegien verteidigen. Wenn Sie sich die Geschichte der Medienkritik anschauen, dann werden Sie merken, dass Platon schon anfing gegen die Schrift zu polemisieren, weil sie künstlich wäre, nur das gesprochene Wort ist echt. Im 18. Jahrhundert hat man dann Romane verdammt, weil sie in Traumwelten entführen, was sie ja real tun. Romane sind ja unglaubliche Virtualitätsmaschinen, da kann man ganz viele Fantasien haben. Und so ging das weiter, das Radio führte dann zu Vereinsamung, das Fernsehen zur Verblödung und so ging es immer weiter, weil immer die Kultureliten, die jeweils die herrschende Kulturtechnik in der Hand hatten, das ist in unserem Fall die Schriftsprache, die lineare Schriftsprache, gesagt haben, etwas anderes darf es nicht geben. Alles andere ist Sünde. Das ist nichts anderes, als Machterhalt. Und in sofern können wir auch hier sehen, hier kommt eine sehr bedrohliche, sehr, sehr potente machtvolle, neue meta-mediale Kraft. Wir haben es hier mit einem Medium zu tun, dass alle anderen Medien ersetzen kann, und das ungeheure Sogwirkung erzeugt und das macht natürlich vielen Leuten Angst. Wie soll ein schlauer deutscher Professor, der sich um den Wald sorgt, da noch seine Bücher verkaufen. Wie sollen die unendlich vielen Professoren und Doktoranden, die nur von der Produktion von Fußnoten leben, da noch ihre Fußnoten verkaufen, als wissenschaftlich, wenn wir ein Medium haben, das im Fluss ist, das permanent interaktiv ist. Das ist der eigentliche Grund für die erbitterte deutsche Debatte, in der sich ja immer ganz bestimmte Leute zu Wort melden, nämlich Leute, die überhaupt keine Ahnung von Computern, von Medien, von irgendwas haben.
F: Wenn man sich die WoW-Spieler genauer ansieht, so sind einige sehr stark organisiert.
Matthias Horx: WoW bildet natürlich eine virtuelle und auch reale soziale Welt, in der Menschen unglaublich viel miteinander erfahren, losziehen in eine fremde Welt, sie steigen aus der Wirklichkeit aus und das ist natürlich sehr bedrohlich für viele Leute, das Aussteigen war immer schon bedrohlich. In meiner Jugend ist man ausgestiegen, indem man nach Gomera gezogen ist oder man hat Haschisch geraucht oder andere Drogen genommen, das war auch bedrohlich. Insofern hat man das immer gleiche Motiv und wir haben natürlich auch immer das gleiche Motiv der Menschen die aussteigen, sie suchen das Soziale in der anderen Welt. Sie möchten sich vernetzen mit vielen anderen Menschen. Insofern haben wir hier natürlich eine große kulturhistorische Schleife. Aber das Spiel hat natürlich auch eine andere Dimension, die es einerseits bedrohlich, auf der anderen Seite faszinierend macht, es werden natürlich hier auch Fähigkeiten eingeübt, die wir für die Zukunft brauchen. Diese Komplexität des Spiels bedingt ja, dass man sehr, sehr symbolische Schnelligkeit entfaltet, man muss sehr viele Informationen aufnehmen, man muss sehr schnell sein, man braucht trotzdem hohe soziale Verdichtung, man muss dechiffrieren könne und das ist im Grunde genommen das, was moderne Wissensarbeit ausmacht. Wir haben es im Grunde genommen mit einem modernen Teamwork zu tun, weil die Menschen hier das simulieren, was sie später in ihren immer mehr wissensorientierten Berufen können müssen: Teamwork, Simulationsfähigkeit, Virtualitätsfähigkeit, hohes symbolisches Verständnis, Schnelligkeit. Also im Grunde genommen übt in diesem Spiel die Arbeitswelt der Zukunft für sich selbst. Und davon fühlen sich natürlich die vielen tradierten Menschen unserer Gesellschaft bedroht, weil sie natürlich merken, dass da neue Fähigkeiten entstehen. Die Kids gehen ja auch in ihren Skills, in ihren Fähigkeiten andere Wege und das sind die Wege, die letztendlich die Basis für die Berufswelt der Zukunft sind.
F: Gemeinhin tut man ja Spielen als etwas für Kinder oder Jugendliche ab, bestenfalls noch für einige erwachsene Eigenbrötler. Doch gerade WoW spielen nicht nur die „üblichen Verdächtigen“, sondern viele Erwachsene, Ältere.
Matthias Horx: Wir haben ein klassisches „Erwerbsmodell“, man spielt als Kind und zwar möglichst lange, das ist ja so dieser Schonraum der Kindheit, der ja auch in Deutschland ganz, ganz wichtig ist, Einschulung am besten erst mit acht und dann beginnt danach der Ernst des Lebens und dann verläuft alles linear, rational und erklärbar und dieses Spiel durchbricht das natürlich mit Leichtigkeit. Das ist natürlich ein weiteres wichtiges Prinzip, Diversity, Diversität. Ich habe auf einem WoW-Server lange Monate gespielt, wo die ganzen europäischen Länder, vor allem in der Peripherie, sich abgebildet haben. Ich habe mit Letten, Russen, Türken, auch einigen Honkong-Chinesen die sich hierher verirrt hatten, Portugiesen, Iren, gespielt und wir haben uns in unserem Pidgin-Englisch, wir waren ja nicht alle native speakers, in großen Gruppen verständigt. Das war nichts anderes als multinationale Firmen, globalisierte Firmen, heute machen. Dieses alt und jung, männlich und weiblich, verschiedene Nationalitäten und Kulturen, das bildet sich im Spiel beispielhaft aus; insofern kann man nur sagen, jedes Unternehmen oder wenn Sie so wollen die Bundesarbeitsagentur, müsste ihre ganzen Mitarbeiter mit WoW eigentlich schulen. Das ist das beste Schulungsinstrument für die Arbeitswelt von morgen.
F: Spielen in virtuellen Welten wird häufig despektierlich als „Flucht“ bezeichnet...
Matthias Horx: Es ist die Frage, was man als Flucht bezeichnet, man könnte ja auch sagen, Arbeit ist die Flucht vor der Familie oder Familie ist die Flucht aus dem Arbeitsleben, das menschliche Wesen zeichnet sich ja dadurch aus, dass es Varianz und Vielfalt will. Und dieser Möglichkeits-raum des Cyberspace ist natürlich so vielfältig, das jedes Spiel dagegen verblasst. Das große Kulturspiel, dass ja auch für Erwachsene erlaubt ist oder sogar für Erwachsene geboten ist, ist Schach. Und seit ungefähr 3,4 Jahren, spielen Computer besser Schach als Menschen und früher hat man gedacht, dann wäre das Zeitalter des Menschen vorbei. Nur was wir gesehen haben, ist das Schach eine Art von Primitivität hat, oder sagen wir mal, es spricht einen bestimmten Teil des Hirns an, nämlich den mathematisch-logischen Teil. Das haben wir hier natürlich in einer ganz anderen Form überwunden, denn wir arbeiten ja hier natürlich im Cyberspace mit Bildern, mit Gefühlen, mit Emotionen. Also auch die emotionale Intelligenz ist ungeheuer wichtig. Ich habe zum Beispiel mal geweint, als man mich als Priester aus einer Gruppe rausgeschmissen hat, weil ich nicht schnell genug geheilt habe. Diese Art von Gruppendynamik, die unser Leben durchdringt, in Familien, in Büros, wird dort [in WoW, die Red.] genauso abgebildet und man lernt ungeheuer viel über Ängste, über Einsamkeiten, über Kooperationsfähigkeiten, über Stolz, über diese ganz archaischen Formen des Lebens. Und das ist im Grunde genommen eine Transzendierung des Spiels, das ist ein Meta-Spiel, das ist kein Spiel mehr im Sinne von‚ ich beschäftige mich mit irgendeiner Art von Ablenkung.
F: Sie sprachen an anderer Stelle vn dem gnadenlosen Suchtfaktor des Spiels. Woraus erklärt sich der?
Matthias Horx: Dieses Spiel ist eine Metapher für das Menschliche überhaupt. Es hat mehrer Dimensionen, warum wir darauf so süchtig reagieren. Die erste Dimension ist die anthropologische. Das sind die Urlandschaften der Menschheit, die da abgebildet werden und man bewegt sich ja in einem gigantischen, dreidimensionalen Raum und das liegt uns tief in den Genen. Wir sind Jäger und Sammler von unserer Herkunft her. Wir ziehen in die Welt und jagen Bestien oder müssen uns in der Welt verteidigen. Das ist das archaische Motiv vom Beginn der Menschheit. Zweitens haben wir alle Kulturchiffren der Welt gewissermaßen gesampelt in diesem Spiel. Da sind alle Mythen, auch religiöse Mythen, verpackt in Bildern, in Formen, in lebendigen, interaktive Bildern. Das heißt, mit diesen archaischen Monsterformen, Engeln, Teufeln können wir kommunizieren, wir können gegen sie kämpfen, wir können gegen sie unterliegen. Wir sind zum Beispiel in der Lage, uns zu verwandeln. Wir sind in der Lage aufzusteigen. Und die dritte Dimension ist das Psychologische. Wir erschaffen ja ein Alter Ego, einen Avatar, eine Identität und das ist das spannendste überhaupt. Es gibt ja praktisch kein anderes Spiel das das tut, das uns gewissermaßen die Möglichkeit gibt, ein Experimentier-Ich zu bilden. Und die Bandbreite der möglichen Charaktere die sie in diesem Spiel bilden könne, bildet natürlich die Bandbreite der menschlichen Psychologie ab. Man kann Krieger sein, man kann heilender Priester sein, man kann mit Tricks arbeiten, dann ist man Zauberer, man kann die Naturkräfte zu Hilfe rufen, dann ist man Druide und in diesen Rollen spiegelt man die eigentliche Persönlichkeit, man findet heraus wer man ist. Freud hätte seine wahre Freude gehabt, dagegen ist eine Couch, eine Psychologen-Couch ja gar nichts, wenn Sie mit Ihrem eigenen Charakter, mit Ihrem Es, Ihrem Über-Ich gleichzeitig experimentieren können. Und das ist glaube ich, was die Leute so unglaublich fasziniert, sie bilden eine Art Wunsch-Ich darin ab. Und lassen dieses Wunsch-Ich sich entwickeln. Und insofern glaube ich, das es auch einen ganz tiefen kathartisch-therapeutischen Effekt hat. Ich glaube, das man mit dem Spiel sogar Depressionen behandeln könnte oder viele andere psychologische Krankheiten, wenn man es richtig einsetzen würde. Unbewusst tun die vielen Spieler das ja. Wir haben ja Zuwachsraten im Monat von ungefähr einer halben Millionen Spieler im Monat. Wenn es so weiter geht würde, würden im Jahr 2010 ungefähr 100 Millionen Menschen dieses Spiel spielen, wenn es so weitergehen würde. Es geht natürlich nicht so weiter, weil dann wieder andere Spiele kommen werden, aber man kann auch sagen, hier entsteht eine zweite Wirklichkeit, in der sich die Menschen spiegeln und reflektieren. Und das wird zum Teil unserer Kultur werden, in Zukunft, denn der Cyberspace ist nicht mehr aufzuhalten.
F: Nun ist WoW ja auch ein unglaublicher Zeitfresser, was sich durchaus zum Problem auswachsen kann.
Matthias Horx: Ich bin da ratlos, an dem Punkt. Wir wissen natürlich, das alles, was eine große Leidenschaft ist, Zeit frisst. Das Lesen von Büchern frisst ja auch ungeheuer viel Zeit und wenn Sie sich die Zeitkontingente der Deutschen einmal anschauen, dann werden Sie sehen, was frisst dort Zeit: Dreieinhalb Stunden täglich sieht der Deutsche fern! Darüber wird eigentlich nicht mehr diskutiert. Insofern können wir uns ja fragen, hier wird ja etwas verschoben und der Suchtcharakter des Fernsehens ist, glaube ich, unbestritten, aber der Suchtcharakter des Fernsehens macht dumm! Zeitaufwand bei WoW kann auch dumm machen, man kann dieses Spiel auch dumm spielen, ohne Zweifel, aber es bietet eine unglaubliche Menge an Anregung für das Hirn. Es ist nacktes Hirntraining! Sie müssen, wenn Sie dieses Spiel wirklich mit Freude spielen wollen, sich extrem engagieren und dann werden Sie natürlich hinein gesogen. Ich habe keine Lösung dafür gefunden. Ich spiele ja selber kontrolliert, ich habe auch nicht immer so viel Zeit. Ich versuche meine Söhne dazu zu bringen, kontrolliert zu spielen. Ich habe eigentlich nur ein einziges Argument dabei, das, wenn man etwas verknappt, das es dann länger Spaß macht. Ansonsten kann man davon ausgehen, dass dieses Spiel eine irrsinnige Zeitprovokation ist, und das daran noch unglaublich viele Familien, Ehen, Partnerschaften, Beziehungen extrem leiden und kämpfen werden. Umgekehrt kann man natürlich auch sagen, dass das ganze ein heilsamer karthatischer Prozess ist, weil wir dann natürlich auch definieren müssen, warum wir Zeit für etwas ausgeben, warum wir Zeit für etwas spenden und wir uns dann auch in der Partnerschaft, in der Familie über Motive unterhalten muss. Wenn ich mir die Alternative vorstelle, meine Söhne können also auf den Fußballplatz gehen, das ist wichtig, das tun sie auch weiterhin; sie können auch Briefmarken sammeln... ist das soviel toller? Da würde kein Mensch über Suchtcharakter reden. Oder Eisenbahnlandschaften aufbauen, was auch immer. Ich glaube, dass die fast schöpferische, existentielle Provokation, die in diesem Spiel drin liegt, nämlich den Menschen eine Alternativrealität in die Hand zu geben, wo Sie sagen können, wandere aus, Du kannst auswandern, in eine andere Welt gehen. Das ist eigentlich nicht zähmbar und das wird noch zu ungeheuer vielen Konflikten Anlass geben. Was ich nur unglaublich bescheuert finde, ist das World of Warcraft mit Gewaltcomputerspielen gleichgesetzt wird. Es gibt auch Gewalt in diesem Spiel, eine ganze Menge sogar, aber das hat natürlich überhaupt nichts mit diesen linearen Ballerspielen zu tun, bei denen es um das Killen des Gegners geht. Sondern es geht um Kooperation, um emotionale Feinfühligkeit, es geht um unglaublich viel Poetry, die Musik gehört zum besten, was meiner Meinung nach die Populärkultur in den letzten 30 Jahren, seit den romantischen Filmen der 60er Jahre, hervorgebracht hat. Es ist ein Angebot, was in einem gewissen Sinne durchbrechend und genialisch ist, das man mit Zeitrestriktionen immer nur, ich sage mal, den Sonntag überstehen kann, aber am nächsten Montag hat man glaube ich schon wieder das Problem, dass die zweite Welt ruft. Auch aus ganz menschlichen Bedürfnissen. Viele von uns haben ja mal als Kind geträumt jenseits des Traums, also im Traum, aufzuwachen und das ist genau das, was World of Warcraft macht.
F: Es gibt, trotz Fantasy, ja eine handfeste Schnittstelle zum realen Leben: Durch den teilweise schwunghaften Handel mit virtuellen Gegenständen.
Matthias Horx: Ökonomie ist ja immer etwas virtuelles, wenn das Spiel faszinierend ist und wenn es eine Begehrlichkeit erzeugt, dann ist es logisch, dass auch eine Ökonomie sich darum herum strickt. Jetzt könnte man natürlich ungekehrt fragen: Sind die Börsengelder real? Worauf spekulieren wir denn, wenn wir an die Börse gehen oder selbst wenn wir Pfandbriefe oder Kommunalobligationen kaufen, ist das reines virtuelles Geld. Also insofern ist die Ökonomie immer ein Teil unserer realen Erfahrungswelt. Das es darum einen Hype gibt, ist eigentlich nur ein Anzeichen dafür, dass das Spiel erfolgreich ist.
F: Das Thema Online-Rollenspiele ist ein Trend, mancher spricht davon, dass dies die Zukunft des Spielens sei. Sehen Sie das auch so?
Matthias Horx: Als Zukunftsforscher würde ich natürlich auch andersherum argumentieren, ich würde sagen, die Virtualität liegt in der Vergangenheit des Menschen. Wenn Sie sich anschauen wie früher die Menschen in den Höhlen Tiere gemalt haben, als eine Art virtuelle Welt, wie die Kirchen im Mittelalter angefangen haben, dreidimensionale Altäre zu bilden, in denen es Himmel und Hölle gab, in denen man quasi durch diese Klapp-Altäre hindurchgehen konnte, in eine andere Welt, das ist ein Ur-Menschliches Motiv. Insofern würde auch World of Warcraft nicht funktionieren, wenn es nicht auf diese ganzen menschlichen, archaischen Wünsche und Bedürfnisse und Hoffnungen eingehen würde. Und da wir heute schlichtweg ein Multi-Medium geschaffen haben, in Form des Computers und in Form des vernetzten Computers, können wir davon ausgehen, dass diese alten menschlichen Fantasien einfach nur auf einen neuen technischen Standard gehoben werden. Aber ohne Zweifel können wir davon ausgehen, das der virtuelle Raum immer mehr ein Teil unseres Universums wird. Ich glaube, die Tendenz geht eher dahin, das sich dieser Raum zunächst einmal gewaltig erweitert in seinen Möglichkeitsdimensionen – wir können uns darin verlieben, das passiert ja schon, wir können darin Geld verdienen und verlieren, wir können darin Berufe lernen – das wird alles stattfinden. Und dann wird eine Rückkopplung stattfinden und das ganze wird wieder mit der wirklichen Wirklichkeit verschmelzen. Weil, ich glaube, wir sind als Menschen gar nicht in der Lage, nur in einer Welt zu leben. Wer behauptet, er lebe nur in der wirklichen Realität, der muss erst mal definieren, was das überhaupt ist. Wir sind Traumwesen, wir sind von unserer Konstruktion als denkende und träumende Wesen sind wir darauf geprägt, virtuelle Welten zu erschaffen. Die Religionen sind das beste Beispiel dafür. Und insofern ist das im Grunde genommen nur eine anthropologische Fortsetzung des menschlichen Weges, mit anderen Mitteln. Und was eben nicht passieren wird, das zeigen ja auch die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, ist, dass dieser virtuelle Raum uns technisch ersetzen wird. Vor 10 Jahren hatte man die Illusion oder spinnerte Idee, wir müssten alle mit Brillen herumlaufen, in denen dann eine andere Wirklichkeit hundertprozentig simuliert wird. WoW zeigt ja was anderes, WoW zeigt, dass das menschliche Hirn selber eine Virtualitätsmaschine ist und die Bilder selber mitträumt, d.h., wir brauchen gar nicht Gummianzüge, um Cybersex zu erleben. Jeder, der ein bisschen Ahnung von Sexualität hat, weiß, dass ganz viel Sexualität im Kopf stattfindet. Und diese Wechselwirkung zwischen den inneren und dem äußeren Cyberspace, wird natürlich diese technologische Entwicklung beflügeln und wird der menschlichen Evolution des Geistes eine neue Dimension hinzufügen.
F: Sie sind ja auch selbst Spieler, wie würden Sie Ihre eigene Faszination des Spiels beschreiben?
Matthias Horx: Ich erlebe darin eine Verwandlung, in ein anderes Wesen und in eine andere Welt. Ich erlebe ein Katharsis, ich kann mich identifizieren in einem Raum des Traums. Das ist im Grunde etwas, was man vielleicht früher durch psychedelische Drogen versucht hat, herzustellen. Das ist natürlich sehr viel einfacher und vor allem mit sehr viel weniger Nebenwirkungen hier zu haben. Dieses Träumen können und auch den Traum manipulieren können, das finde ich eine unglaublich befreiende Erfahrung. Ich glaube, das ganz viele Spieler das so sehen, das sie gewissermaßen den Horizont wechseln. Sie sehen dann auch auf die Wirklichkeit in ganz anderer Art und Weise und dann ärgern sie sich vielleicht auch noch über die Beschränkungen, die wir haben. Ich weiß nicht, obs Ihnen oft im Spiel so gegangen ist, man möchte Dinge anklicken, die man aber gar nicht anklicken kann. Man möchte eigentlich noch die Welt noch mehr verändern, man ist eigentlich dann wieder unzufrieden. Und dieses uralte menschliche Bedürfnis die Welt zu gestalten, das wird dort dargestellt, in einer ungeheuren Potenz, wir können durch andere Welten reisen, dieses urmenschliche Bedürfnis wird erfüllt. Ich bin ein bisschen vorgeprägt, ich bin ein Kind der 60er Jahre, in der waren ja Zukunfts- und Andere-Welt-Träume sehr verbreitet: Da war die Mondlandung, die Weltraumfahrt, psychedelische Drogen, Musik und das führt sich für mich in diesem Spiel ein bisschen weiter. Ich sehe auch, dass Menschen dieses Spiel sehr unterschiedlich spielen, es gibt Leute, die es unglaublich rational und auch kriegerisch spielen, manche sind sehr pragmatisch dabei, andere verfriemeln sich dann in irgendeiner Unterroutine. Es hat natürlich sehr viele verschiedene Zugänge. Meine Söhne spielen es sehr wettbewerbsorientiert, also die spielen so, wie man vielleicht Baseball spielt und mit anderen konkurriert. Ich möchte immer wissen, ob man in dieser kriegerischen Welt Frieden stiften kann, jeder hat so seine eigenen Motive, damit umzugehen. Es ist wie eine große psychologische Spiegelungsleinwand...
Meine Meinung noch kurz hinten dran:
Sicherlich gibt es vereinzelt Personen die anscheinend wirklich nix besseres zu tun haben als den ganzen Tag nur WoW zu spielen. Vielleicht sind darunter auch ein paar die dadurch gewissermaßen ihr Leben vernachlässigen. Aber dieser Anteil ist zu gering. Dennoch nehmen die Medien immer solche Leute als Vorzeigebeispiel her wie gefährlich Spiele doch sein können.