[RP] Reue und Sühne -- 4. Kapitel

Melian

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4. Kapitel – Schmerzhafte Erinnerungen

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Yoran eilte über den Basar, am Auktionshaus vorbei und durch das düstere Tor zur Strasse der Urahnen. Er wusste nicht wirklich, wohin er lief. Einzig der Hass und die Verzweiflung trieben ihn an, immer weiter und weiter zu laufen. Bis er nicht mehr konnte.

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Mit einem Schluchzer sank er in dem kleinen Pavillon auf der Strasse der Urahnen nieder, die Stirn an den kalten Stein gepresst, die Hand zur Faust geballt.

„Yoran“, fing die Stimme an, ihn zu umgarnen. „Yoran.. Warum hörst du nicht auf mich. Ich habe dir doch gesagt, was geschehen würde. Yoran.. Warum hast du nicht auf mich gehört? Du weisst, wozu du hier bist. Du weisst, was du erfüllen musst, doch dazu musst du mir vertrauen.“ Yoran schluchzte erneut und war nicht fähig zu antworten. In seinem Kopf stiegen Erinnerungsfetzen auf. Erinnerungen, die ihm gehörten, und gleichzeitig der Stimme in seinem Kopf. Der Stimme von Yoran. Denn er war Yoran und die Stimme war auch Yoran. Und dennoch war sie es nicht. Sie war nicht mehr Yoran.
Die Stimme war einst Yoran gewesen.
Yoran schloss die Augen und liess die Erinnerung in sich aufsteigen.

Er schaute entsetzt auf das Bündel Elf, das am Boden lag. Aus ihrem Mund erklang ein Stöhnen. Sie hatte das Bewusstsein verloren und lag unnatürlich verkrümmt auf dem Boden des verlassenen Hauses. Aus der Platzwunde an ihrem Kopf sickerte das Blut über ihr Gesicht auf den Boden und hinterliess eine rote Spur, die langsam verkrustete. Im Sturz hatte sie ihre Arme um sich geschlungen, um sich zu schützen, aber dies hatte auch nicht viel genützt. Ihre Schulter hatte unnatürlich geknackst, als sie gegen die Wand gestossen wurde.
Dieses Geräusch, dieses unnatürliche, grässliche Knacken liess Yoran das erste Mal in seiner blinden Wut innehalten und nun blickte er fassungslos auf das, was er getan hatte. Er hob seine Hand und schaute auf die Innenfläche. Ein wenig von ihrem Blut klebte daran. Das Blut seiner Schwester.
Fassungslos über das, was er angerichtet hatte, taumelte er zurück. Ihm wurde plötzlich furchtbar übel und er übergab sich in eine Ecke des verlassenen Hauses. Dann lief er, wie von tausend Dämonen verfolgt, weg. Weg von ihr, weg von dem, was er erneut angerichtet hatte. Weg von seiner Wut, weg von sich selbst.
Er schaute nicht zurück.


Yoran überkam das Gefühl der Übelkeit erneut. Er würgte leicht, doch nichts wollte den Weg aus ihm finden. Er flehte die Stimme in ihm an, ihn in Ruhe zu lassen. „Nein! Du musst dich erinnern. Du musst dich erinnern daran, weswegen du hier bist!“, sagte diese mit Nachdruck. Und Yoran konnte sich noch so sträuben, gegen die Erinnerung, die ihm gehörte und doch nicht von ihm handelte, konnte er sich nicht wehren.

Nach einigen Stunden ziellosen Herumirrens sank er in einer Ecke nieder und schloss die Augen. „Was habe ich nur getan.. Welch schlimme Person ich bin..“, wiederholte er immer wieder, sowohl in Gedanken, als auch leise zu sich selbst. Seine Hände waren blutig und blau gefärbt, er hatte mehrmals gegen die Wand geschlagen, um sich selbst zu bestrafen. „Wie soll ich bloss damit leben.. Wie?“, flüsterte er leise, immer wieder, wie ihm Wahn.
Und ein Wahn hatte ihn befallen. Er erkrankte an schwerem Fieber. Mehrere Tage lang lag er versteckt in der Ecke, in die er sich geflüchtet hatte, ohne Nahrung, ohne Wasser. Er wünschte sich den Tod herbei. Und so verlor er das Bewusstsein.

In einem der wenigen lichten Momente fühlte er, dass etwas anders war. Er schien nicht mehr auf dem nackten Boden zu liegen, sondern auf etwas weicherem. Etwas kühlte seine Stirn und er hörte ein leises Flüstern. Er konnte nicht antworten.

„Elf? Hörst du mich?“ Eine Stimme durchdrang das Gewirr seiner Gedanken. Yoran kam langsam zu Bewusstsein. Abrupt schlug er die Augen auf und starrte in das Gesicht einer älteren Elfe, die ein Stück befeuchtetes Tuch auf seine Stirn hielt.Ihre Augen strahlten eine gewisse Güte und Weisheit aus. Ihr Gesicht war schön, trotz einiger weniger Falten, die sich in die Mund- und Augenwinkel eingegraben hatten. Ihr Haar strahlte in einem silbrigen Grau und fiel teilweise über ihr Gesicht. Zuerst wusste er nicht wo er war. Und so ergriff er instinktiv das Handgelenk der Elfe und hielt sie in einem unbarmherzigen, gewiss schmerzenden Griff. „Wo..“, krächzte er und seine Stimme wollte versagen, „Wo.. bin ich.. Wer bist du?“. Die Elfe biss die Zähne zusammen, hielt seinem Griff aber stand. „Ich bin Finis. Ich habe dich todkrank auf der Gasse gefunden. Du bist hier bei den Priestern.. In Sicherheit.“, sagte sie mit einer leisen melodiösen Stimme. Yoran konnte in ihren Augen keine Lüge erkennen. Er schloss die Augen und liess ihr Handgelenk los.
Es sollte die letzte Berührung für lange Zeit werden.


„Du erinnerst dich doch, nicht wahr, Yoran?“, flüsterte es in ihm. Yoran nickte nur leicht. „Und du erinnerst dich auch, als du das erste Mal wirklich da warst, real da warst, nicht wahr?“ „Lass.. mich bitte.. Ich weiss, was du sagen willst. Ich habe deine Botschaft verstanden.“ „Du hast nicht verstanden“, schrie die Stimme in ihm plötzlich und zwang ihm mit Gewalt die nächste, die letzte Erinnerung auf. Die Erinnerung daran, wie er entstanden war.

Yoran hatte seit den wenigen Worten, die er mit Finis gewechselt hatte, keine weiteren mehr gesprochen. Die Priester hatten sich an den schweigsamen Kranken gewöhnt, dessen Füsse über das einfache Bett hinausragten, weil er zu gross dafür war. Sie hatten sich gewohnt, dass er im Schlaf vor sich hin murmelte. Sie hatten sich daran gewohnt, dass er sich weigerte, zu sprechen, zu essen oder irgendetwas zu tun. Finis fragte ihn täglich nach seinem Namen, seinem Aufenthaltsort, seiner Familie. Doch er schaute ihr niemals in die Augen. Denn in ihm tobte ein Kampf.
„Niemals! Niemals wieder will ich jemandem so weh tun. Niemals wieder.“, wiederholte er stetig in seinen Gedanken. Es wurde zu seinem persönlichen Mantra. Und so zog er sich immer mehr zurück in sich selbst, denn er verabscheute sich selbst. Er verabscheute das Monster, zu dem er geworden war.
Und dann erschuf er Yoran. Er erschuf sich selbst neu.
„Yoran. Du sollst von nun an Yoran sein.“ Die Präsenz des Neuen war noch ungefestigt. Er formte sie nach seinem Willen. „Wir haben schreckliche Dinge getan, Yoran. Wir haben mit unseren Händen soviel Unheil angerichtet, wie es nur wenige tun konnten.“ Er liess die Erinnerungen an Ylvina und ihren Liebhaber aufsteigen, dann die Erinnerung an die Verfolgungsjagd und an die schrecklichen Schläge, die er Yara, seiner eigenen Schwester, zugefügt hatte. Yoran begriff. „Wir schwören“, sagte Yoran zu Yoran, „dass wir niemals wieder so werden. Deswegen werde ich von nun an im Hintergrund sein. Du sollst fortan Yoran sein, und ich werde diesen Namen ablegen. Ich verdiene es nicht mehr, einen Namen zu tragen. Du sollst das sein, was ich nie sein konnte. Yara wird uns eines Tages verzeihen, Yoran. Aber wir, wir werden uns niemals verzeihen. Denn wenn wir uns verzeihen, dann verharmlosen wir das, was geschehen ist.“
Der Namenlose, zu dem er jetzt geworden war, hielt kurz inne, und formte dann den letzten, grausamen Aspekt aus. „Wir werden niemals mehr Unheil über irgendjemanden bringen. Wir werden niemals mehr jemanden berühren, Yoran. Unsere Hände bringen Unheil. Vergiss das niemals. Unsere Hände können nur verletzen, töten und morden. Hast du verstanden? Bis wir sterben, werden wir diese Schuld mit uns tragen und zur ewigen Bestrafung werden wir niemals mehr jemanden berühren.“ „Ich habe verstanden“, erhob Yoran das erste Mal seine Stimme und übernahm fortan den Platz an der Oberfläche. Als Finis kam, lächelte er sie an.


„Unsere Hände bringen Unheil.. Unheil“, flüsterte der, der zu Yoran geworden war, fast tonlos. „Ich habe verstanden. Unsere Hände bringen Unheil.“ Er schloss erneut die Augen.

Dann hörte er Nimmera nach ihm rufen.

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