Sonntagmorgen auf'm Dorf

Khanor

Dungeon-Boss
Mitglied seit
09.01.2008
Beiträge
672
Reaktionspunkte
0
Kommentare
1.795
Buffs erhalten
162
Mir schossen gerade so viele Gedanken zu dem Thema durch den Kopf, dass es recht schwer fallen dürfte diese sinnvoll zu ordnen. Versuchen will ich es dennoch.

Weit verbreitet ist die Aussage von Eltern, dass sie lieber aufs Land ziehen wollen, weil ihr Kind dort eine höherwertige Kindheit und Jugendzeit erwartet, das Leben ruhiger ist und alles viel angenehmer, nicht so hektisch, gemütlicher. "Die Stadt schläft nie" und so. Eigentlich teile ich diese Ansicht im gewisen Rahmen, doch heute morgen stelle ich mir auch Gegenfragen und komme zu anderen Schlüssen.

Fangen wir erst einmal damit an, dass die Stadt ja bekanntlich nie schläft und immer laut ist: wenn man das nicht gewohnt ist kann es durchaus nervig sein. Doch der Mensch hat die Eigenschaft, sich an vieles gewöhnen zu können. So registriert man eines Tages den ewig monotonen Lärm nicht mehr und mir sind sogar Fälle bekannt, dass ehemalige Dorfmenschen in der Stadt mit offenem Fenster schlafen können. Wie sieht aber beispielsweise das auf dem Dorfe aus?

Wenn das Schlafzimmerfenster auf ist öffne ich oftmals morgens um fünf die Augen, weil der erste Bus einen Ohrenbetäubenden Lärm durch die Straßen schickt. Mit dem Aufgehen der Sonne erwacht auch der Hund einige Straßen weiter, der in den letzten Wochen ununterbrochen kläfft und bellt (was allerdings einen Fortschritt darstellt, da er vor einiger Zeit nur gewinselt und gejault hat). Hier im Dorf gibt es zwei Schlagzeuger, deren getrommel man regelmäßig durch die Straßen hallen hört, weil es nirgendwo schallgedämmte Proberäume gibt. Heute um neun Uhr übte einige Straßen weiter jemand Posaune, was sehr durchdringend sein kann. Die Kirche mal ganz zu verschweigen oder Kinderlärm während der Kindergartenzeiten. Während der Erntezeit ist es manchmal schier unmöglich einen Film zu schauen, weil Traktoren mit unglaublicher Lautstärke den ganzen Tag auf der Straße fahren. In manchen Nächten sind Trocknungsanlagen für Getreide ununterbrochen im Einsatz - aber der Mensch würde nie in ein Industriegebiet ziehen wo ausschließlich tagsüber Lärm herrscht, nachts aber keine Maus piept.

Bis zum Ende der Grundschule mag es für ein Kind vielleicht in der Nähe eine Schule geben und somit die Wege verschmerzbar kurz, danach ist ein Schulkind aber auf manchmal inakzeptable Warte- und Fahrzeiten der Busse angewiesen, die ihm manchmal bis zu drei Stunden täglich seiner Zeit wegnehmen.

Luftverschmutzung wird auch gern angeführt. Sicher, die Belastung in der Stadt ist durchgängig und nicht so angenehm. Liegt aber unter anderem mit daran, dass die Leute von "Außerhalb" keine Lust auf die eben genannten Warte- und Fahrzeiten haben und somit mit dem Auto zur Arbeit fahren oder weil es auf dem Dorf keine so tollen Shoppingmöglichkeiten gibt, man also mit dem Auto in die Stadt fährt um nicht die schweren Einkäufe hinterher durch Bus und Bahn so weit und lang heim transportieren zu müssen. Auch nicht zu vergessen seien die lieben und netten Eltern, die ihre Kinder mit dem Wagen von der Schule abholen, weil das arme Kind ja sonst so lang warten müsste.

Ein heranwachsender Jugendlicher sucht auch gern einen Weg in das Nachtleben. Die letzte Verbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln steht meist jedoch im Tageswechsel an, also etwa gegen Mitternacht. Entweder man reist dann ab - was so manchen Elternteil sehr freuen wird - oder aber auch hier muss man sich abholen lassen, während die Stadtkinder meist noch eine Ausweichmöglichkeit haben.

Was machen denn die "richtigen" Dorfpansen mit 15-18 Jahren? Einen Führerschein, damit sie mobil sind. Doch was machen diese Kinder mit der neu gewonnenen Mobilität? Sie fahren durchs Dorf, den ganzen Tag. Entweder einfach so oder zu einem Kumpel, der nicht weit weg wohnt und man mit dem Fahrrad fast schneller wäre. Ganz beliebt ist dann aber auch mit besagtem Kumpel, der selbige Fahrlizenz bekommen hat, die Zeit mit Benzinverbraterei zu verbringen und so fahren ganze Kolonnen von Mofas, Rollern oder Autos durch die Straßen der Käffer. Ausnahme scheinen hier Motorräder, die auf Landstraßen auf hochtouren gepeitscht werden bis sich der Erste um einen Baum wickelt.

Zum Schluss sei noch die "Anonymität in der Stadt" erwähnt. Ja sicher, viele Menschen kennen nicht einmal ihre eigenen Nachbarn. Auf dem Dorf kennt einen aber jeder und mit der Ruhe und angeblichen Eintracht ist es schnell vorbei, wenn erst einmal ein Grund zum Tuscheln gefunden wurde. Dann geht es im ganzen Dorf heiß her. Über jeden. Immer über den jeweiligen, der gerade nicht anwesend ist. So einfach ist das. Der Austausch mit den Nachbarn auf dem Dorf dient nicht etwa der Freundlichkeit oder dem scheinbaren Interesse an seinen Mitsmenschen und dem Aufbau einer sehr guten zwischenmenschlichen Beziehung, sondern handhabt man es hier einfach nach der alten Regel: Informationen sind goldwert. Da auf dem Dorf nunmal nichts passiert kann man durch Informationen und der Verdrehung von solchen zu Gerüchten den Alltag etwas aufhellen und sich Gehör verschaffen. Es ist nunmal so langweilig auf dem Dorf, dass es nichts anderes gibt als die vermeintliche Schmutzwäsche der Nachbarn - die aber erst durch einen selbst befleckt werden muss um durch die Mangel zu müssen.

Sicher, manche Dinge klingen etwas an den Haaren herbei gezogen, aber dennoch liegt ihnen ein gewisses Körnchen Wahrheit zugrunde, die man nicht ohne weiteres leugnen kann. Ich selbst wohne auch lieber auf dem Dorfe, doch meine Gründe dafür würde dieser, mein eigener, Blog vollkommen zerstreuen, auch wenn bei weitem nicht alles so richtig ernst gemeint ist.

Einzig der Punkt, dass ich für mindestens parkplatzfreie Innenstädte bin blickt hier durch und ich kann ihn nur unterstützen. Klar, die Faulheit wird immer über solche Ideen siegen, aber wenn durch solche Maßnahmen erst einmal die Notwendigkeit klar wird, das öffentliche Verkehrsnetz durch sinnvolle Routen zu erweitern und attraktiver zu gestalten und niemand mehr einfach so mit dem Wagen fahren kann... Ich fände diese Welt viel schöner und lebenswerter.

Mit dieser Meinung bin ich nicht allein, wie ich fasziniert festgestellt habe. Vielleicht sollte ich mit so einer Idee politisch kandidieren. Wenn erst einmal kein Erdöl mehr da ist wird das vielleicht sogar was und ich bekomme von Dorfmenschen meine Stimme - denn auf dem Dorf wird man weiterhin fahren was der Tank hergibt.
 
Ich habe zuerst in einer Stadt gewohnt und hatte da größtenteils meine Ruhe.
Heute wohn ich in einem Dorf und hab dank richtiger Asis über mir Tag und Nacht Krach, morgens um viertel nach 5 gehts los.
Hab also ähnliche Erfahrungen gemacht und finde, es gibt oft wirklich kaum / keine Unterschiede oder eben welche die nicht zwingend immer zutreffen müssen :-)
 
Zurück