Story - In ein paar Trägern

Alamor

Rare-Mob
Mitglied seit
29.07.2007
Beiträge
233
Reaktionspunkte
0
Kommentare
617
Hier nun wieder eine Story die ich sehr schön finde eigentlich und auch das innere eines Menschen veranschaulichen kann.

Zum ersten Mal dachte er gründlich nach,
als er in den Abgrund schaute.

© Pavel Kosorin, (*1964), tschechischer Schriftsteller und Aphoristiker

--------------------------------------------------------------


In ein paar Trägern

Kennen sie Alice im Wunderland? Die Stelle, in der sie fällt und fällt? Neben ihr eine Menge Gegenstände, aus ihrer Sicht in der Luft verharrend. In der gleichen Situation befinde ich mich gerade. Ich falle einen langen Schacht hinunter. Ich kann die Stahlträger an mir vorbeirauschen sehen. Hier ist es ziemlich düster. Was ja gleichzeitig heisst, dass Licht da ist. Ich bin nicht sicher wie ich hier hineingeraten bin, wann das Fallen angefangen hat. Ich habe es vergessen. Wenn ich mir aber die Dinge anschaue, die ich bei mir trage, dann sieht das nicht so aus, als ob ich vorgehabt hätte in einen Schacht zu springen:

Einen Aktenkoffer (gefüllt mit Akten), einen Organizer, ein Funktelefon, eine Brieftasche mit 125 Dollar und 40 Cents, eine Packung Halsbonbons.

Trage ich Armani? Ich bin nicht sicher.

Der Luftwiderstand ist ziemlich gering hier, dabei bewege ich mich doch so schnell nach unten. Die Physik macht wohl gerade Mittagspause.

Ob ich Angst habe? Nun, nicht mehr als sonst. Ich falle eben. Die Regeln haben sich einfach geändert. Zugegeben, mir ist ziemlich langweilig. Was auch der Grund dafür ist, dass ich das hier jetzt aufschreibe. Wer weiss? Vielleicht komme ich ja irgendwann, irgendwo an. Vielleicht liest das ja dann irgendwer.

Zeit und Raum. Raum und Zeit. Wie schnell ich falle? Nun, mit ziemlicher Genauigkeit 120 Trägerabstände pro Minute. Ach ja, ich kann etwa 360 Träger weit sehen.

Kommen sie nicht auf die Idee mich zu bemitleiden! Wenn mir hier was nicht passt, so kann das alles sofort beenden. Ich muss nur meine Arme ausbreiten, und mit ein bisschen Rumprobiererei wird mich der Luftwiderstand nahe genug zu einem der Träger bringen. Ich bin hier niemanden Rechenschaft schuldig. Gott? Ich sagte doch schon, die Regeln haben sich geändert.

Einsamkeit. Zugegeben, das ist ein Problem. Hm. Aber am Ende ist doch sowieso jeder alleine. Wie ist das denn mit den Realitäten? Wie weit geht sie, die Kommunikation? Darüber werde ich in ein paar hunderttausend Trägern nochmal nachdenken...

Ich falle doch nicht. Ich sitze in meinem Büro. Exel wartet auf Eingabe.

Ich falle doch.
 
Zurück