Ein Leben

Al Fifino

Rare-Mob
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18.08.2007
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Hi,

Diese Geschichte habe ich schon vor langer Zeit fertig gestellt. Da sie in den Foren, in denen ich sie bisher gepostet hatte, immer gut ankam, fange ich auch hier mal an.

Kritik könnt ihr äußern (aber bitte nicht über die Form der Story, die ist so gewollt, wie sie ist). Lob nehme ich natürlich ebenfalls an. Und Morddrohungen auch.

********************************************************************************
**********


Tod

Ein Junge geht einer dunklen Straße entlang. Einzelne Lichter brennen noch in den Straßenlampen und werfen ein trübes Licht auf die Pflastersteine.
Der Teenager geht langsam, er hat es nicht eilig. Warum sollte er auch?
Schritte.
Er bleibt kurz stehen, dreht sich um. Niemand ist hinter ihm. Der Junge zuckt mit den Schultern und geht weiter.
Schritte.
Er bleibt erneut stehen, lächelt. "Komm raus. Wer immer du auch bist."
Ein schwarzer Schatten huscht aus der Dunkelheit hervor. Langer, wehender Umhang, eine Kapuze, welche das Gesicht bedeckt. Die Gestalt stellt sich direkt vor den Jungen.
Dieser lächelt müde. "Wer bist du?"
Die Stimme des Fremden ist hoch und tief, freundlich und bedrohlich zugleich. "Ich wurde gesandt, um dich zu holen."
"Mich zu holen? Wofür?"
"Deine Lebensspanne ist abgelaufen, mein Sohn."
"Meine Lebensspanne ist abgelaufen? Aha..." Der Junge kratzt sich kurz am Kopf, dann grinst er breit. "Das verstehe ich nicht."
Die Gestalt seufzt leise. "Gott ruft dich zu sich nach Hause in den Himmel."
"Ähm... ja... warum?"
"Er tut es."
"Warum?"
"Da es seine Pflicht ist."
"Warum?"
"Sag mal, kannst du dein Schicksal nicht einfach akzeptieren?" Die Stimme klingt leicht verärgert.
Der Junge grinst weiterhin. "Nö. Warum sollte ich?"
"Weil es Gott so beschlossen hat!"
"Och, Gott. Wenn der was beschließt, muss ich nach seiner Pfeife tanzen?"
Die Knochenhände der Gestalt fahren zum Kopf und über die Augen, dann wird die Kapuze zurückgeworfen. Ein Totenschädel, bleich und weiß, schaut den Jungen an. "Sieht so aus."
"Wirklich? Hm." Der Junge überlegt. "Aber noch lebe ich. Wie werde ich also sterben?"
"Wenn ich es dir sage, wirst du versuchen, es zu verhindern!"
"Warum sollte ich? Wenn es Gottes Willen ist..."
Der Totenkopf legt sich schräg. "Du würdest in deinen Tod gehen?"
"Gibt´s dich denn jetzt schon mehrfach? Und man kann in euch reingehen?"
Die Gestalt kratzt sich am blanken Knochen. "Sag mal, bist du so dumm oder tust du nur so?"
"Zweiteres. Also, wie werde ich sterben?"
"Und du wirst auch nicht versuchen, deinem Tod zu entrinnen?"
"Es gibt euch also tatsächlich mehrfach! Für jeden Menschen einen?"
"Sei ruhig!" Der Totenkopf schaut verärgert in die Augen des Jungen, während er ein kleines Büchlein aus dem Umhang hervorzog. Eine Nickelbrille erscheint mit einem leisen Knall auf seiner plötzlich gewachsenen, langen Hakennase. "Also, pass auf, das sieht folgendermaßen aus: dein Tod soll laut Gott besonders schmerzvoll sein. Du machst dir gerade etwas zu essen, dann wirst du dir erst die Finger verbrennen und versuchen, das entflammte Fett mit Wasser zu löschen. Die gesamte -"
"Hey, Moment mal! Ich würde niemals versuchen, Fett mit Wasser zu löschen, man lernt ja schon in der 7. Klasse in der ersten Chemie-Stunde, dass brennendes Fett und Wasser eine kleine Explosion ergeben."
"Das lernt ihr?"
"Sieht so aus. Anscheinend hat es sich sogar gelohnt."
"Ähm... gut." Ein Stift erscheint in der anderen, knöchernen Hand, dann streicht die Gestalt einen Satz durch und kritzelt etwas darüber. "Unter diesen Umständen versuchst du eben, das Zeugs irgendwie zu löschen, aber es gelingt dir nicht. Alle Türen sind wie magisch versperrt, und du wirst elendig im Haus verbrennen."
"Geht mein PC auch drauf?"
Verwundert blickt der Tod von seinem Notizbüchlein auf. "Dein Computer? Nun, ich denke, ja. Wieso?"
"Och, dann rette ich heute noch meine Bilder auf meinen MP3-Player und gebe sie meinem Freund, die machen sich bestimmt schön auf dem Grab."
"Wie du meinst..."
"Darf ich mir ein Wetter für meine Beerdigung bestellen?"
"Sag mal, dir geht´s schon noch ganz gut, ja?" Verärgert klackert der Tod mit den Zähnen. "Ich bin zwar für das Sterben verantwortlich und versuche, dass der gesamte Prozess möglichst gut und rasch über die Bühne läuft, aber ich erfülle doch keine Sonderwünsche! Außerdem könnte jeden Moment der nächste Kunde kommen, ich habe keine Zeit, lange mit dir zu reden!"
"Och komm schon! Ich sterbe immerhin nur einmal."
"Na gut." Das Büchlein geht wieder auf. "Was soll´s denn sein?"
"Weiß nicht so recht... am besten irgendein Schweinewetter."
"Das ist schlecht. Deine Beerdigung wird Anfang nächste Woche stattfinden, und da soll die Sonne scheinen. Laut Meteorologen."
"Mein Gott, die liegen doch sowieso dauernd falsch."
"Da hast du natürlich Recht... ich werde sehen, was sich machen lässt."
"Danke. War´s das dann?"
"Ja, wir sind..." Ein Düdeln unterbricht das Gespräch. Die Gestalt flucht leise. "Wer ruft mich denn mitten in der Arbeit an?!"
"Vielleicht deine Frau?"
"Scherzbold..."
"Sag mal, in der Hölle gibt´s doch sicherlich ein paar nette Girls, oder?"
"Natürlich, da landen die ganzen ungezogenen Mädchen aus den Erotikfilmen... Gott meint immer, die haben im Himmel nichts zu suchen. Der Teufel freut sich dementsprechend. Du entschuldigst mich einen Moment?" Der Tod entfernt sich ein paar Schritte und unterhält sich leise mit Demjenigen, der an der anderen Seite der Leitung sitzt. Währenddessen schaut sich der Junge gelangweilt in der Gegend um, bis die Gestalt wieder kommt.
"Und, war´s was Wichtiges?"
"Kann man wohl sagen. Gott hat angerufen."
"Cool! Kann ich mal mit ihm sprechen? Wobei, ich komme ja in den Himmel, oder? Dann habe ich ja ab morgen mehr als genug Zeit..."
"Genau darum geht es. Du wurdest begnadigt."
"Begnadigt?" Der Junge zieht eine seiner Augenbrauen hoch. "So was gibt´s?"
"Ja. Gott meinte, du hättest alles so gemacht, wie er es dir gesagt hätte, also kannst du noch ein Weilchen leben. Von wegen 'großartiger Glauben' und so was..."
"Hm. Und wie sieht´s mit dir aus?"
"Nichts Großartiges, heute Nacht wird´s wohl ruhig bleiben..."
"Lust auf ´nen Drink? Ich kenn ´ne gute Bar gleich hier in der Nähe..."
"Wie alt bist du überhaupt?"
"Das weißt du nicht?!"
"Bin mir nicht mehr sicher... merk du dir halt mal das Alter aller Menschen, wenn du jeden Tag an die 500 besuchen musst..."
"Bin 16."
"Ah, gut. Dann darfst du ja bis zwölf Uhr draußen bleiben."
"Wie alt bist denn du?"
"Weiß ich nicht mehr. Ein paar Jahrtausende werden´s schon sein."
"Klar. Also, wie sieht´s aus? Lust auf ein Bier?"
"Nun, Gott wird schon nichts dagegen haben."


*********


Der Junge setzt sich noch halb schlafend auf seinen Stuhl. Seine Mutter schaut ihn missbilligend an. "Sag mal, wo warst du denn wieder die ganze Nacht? Du weißt doch, dass heute Schule ist!"
"Hm?" Der Junge schaut kurz auf, dann lächelt er. "Ich habe dem Tod ins Angesicht geschaut."
"Oh, na klar. Und was hat er gesagt?"
"Na ja, ich sollte eigentlich heute sterben, aber ich wurde begnadigt."
"Ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst nicht lügen!"
"Ja, ja, schon gut..." Der Junge erhebt sich langsam. "Ich komme heute Nachmittag wieder nicht heim."
"Wieso?!"
"Ein... Freund will mir ein gutes Sushi-Restaurant zeigen, in dem er letztens Kunde war."
Der Junge verlässt die Küche.
 
Ein Gespräch

Der Junge geht der Einkaufsstraße entlang. In der einen Hand hat er eine Einkaufstasche, in der anderen ein Handy, welches er sich an das Ohr drückt. Jemand hebt ab.
»Ja?«
»Hi, Schatz. Ich bin´s.«
»Oh, hallo... du kommst gerade ein wenig, na ja, wie soll ich sagen...«
»Ungelegen?«
»Ja, so ähnlich...«
»Freust du dich denn gar nicht, was von mir zu hören?«
»Doch, natürlich! Es ist nur so...«
»Wenn du wüsstest...«

Der Junge bleibt erschrocken stehen. Vor ihm steht ein alter Bekannter. Der Junge grinst breit, bedeutet der schwarzen Gestalt, kurz still zu sein.

»Hey, Schatz, hier ist gerade ein Freund. Und wenn ich dich gerade störe, dann leg ich auf, gut?«
»Ja... ja. Bis später.«
»Hab dich lieb.«
»Ich dich auch.«

Ein Tuten signalisiert, dass die Person am anderen Ende der Leitung aufgelegt hat. Der Junge steckt hastig das Handy ein und reicht seinem Gegenüber die Hand. Bleiche Knochen packen sie.

»Hallo, Tod. Wie geht´s?«
»Kann nicht klagen.«
»Gerade wieder etwas ruhig?«
»Kann man so sagen.« Der Tod geht neben dem Jungen her.
»Sag mal, wo hast du denn deine Sense gelassen?«
»Ach, hör mir doch auf...«
»Was denn?«
»Na, dieses dumme Sensengerücht! Ich hatte in den Tausenden von Jahren, die ich inzwischen existiere, noch nie eine Sense in der Hand!«
»Hm. Dann hat sich wohl Hollywood ein wenig getäuscht.«
»Oh ja, das haben sie...«
»Also, was machst du hier?«
»Gott hat meinen Vorschlag, eine Aushilfe einzustellen, akzeptiert. Das bedeutet, ich habe jetzt etwas mehr Zeit für mich und meine Freunde.«
Der Junge lächelt. »Deine Freunde? Wie viele gibt es denn?«
»Nur dich.« Der knöcherne Schädel grinst breit. »Aber das reicht voll aus, immerhin habe ich mal jemanden, mit dem ich mich austauschen kann.«
»Geht mir genauso. Wenigstens weiß ich meine Geheimnisse bei dir in Sicherheit.«
»Tja, ich habe ja nicht oft lange genug Kontakt mit den Leuten.«
»Hey, wann ist denn mein neues Todesdatum?«
»Ach, Gott hat mich das auch gefragt. Ich habe mich ein wenig für dich eingesetzt. So, wie es aussieht, wirst du noch recht lange Freude an deinen Enkelkindern haben und von Krankheiten bis ins hohe Alter verschont bleiben.«
»Schöne Aussichten. Danke.«
»Nichts zu danken, unsere Gespräche sind immer schön zum Entspannen.«
»Sag mal, was sollte das eigentlich letztes Mal, warum hast du auf unserem Telefon angerufen? Meine Mutter hat ´ne ganz schön lange Zeit nachgebohrt, bis ich sie endlich davon überzeugen konnte, dass du nur erkältet warst und nicht gekifft hattest...«
»Klingt meine Stimme denn wirklich so schlimm?«
»Nein, eigentlich nicht, aber du kennst ja Mütter.«
»Nein, kenne ich nicht. Aber ich glaube, ich kann dich in irgendeiner Weise verstehen.«
»Schön, schön. Aber«, der Junge kratzt sich am Kopf, »was hast du vorhin gemeint, von wegen, 'wenn du wüsstest'?«
»Nun... ich weiß eben Dinge, von denen du noch keine Ahnung hast.«
»Und die wären?«
»Ach nichts, vergiss es.«
»Wenn es mich etwas angeht, dann sag es mir gefälligst!«
»Na ja...« Der Tod legt ein wenig beschämt seine Hände ineinander. »Ich glaube nicht, dass du das so gut aufnehmen würdest...«
»Solange du mir nicht erzählst, dass mein Opa demnächst sterben wird, kannst du es ruhig erzählen.«
»Nein, dein Opa wird noch ein wenig länger leben. Ein lustiger Kerl, übrigens. War vor kurzem bei ihm, sozusagen ein Antrittsbesuch. Wir haben zusammen Karten gespielt und Schnaps getrunken.«
»Also hat er letztens die Wahrheit gesagt. Aber was ist jetzt los?«
»Warum, glaubst du, hatte deine Freundin gerade keine Zeit?«
»Warum?« Der Junge runzelt die Stirn. »Na ja, sie hat halt irgendwas vor...«
»Sie hat tatsächlich etwas vor, aber etwas, was dir eigentlich verborgen bleiben sollte...«
»Mir verborgen bleiben?« Der Junge bleibt abrupt stehen, schaut den Tod lange an. »Was soll das heißen?«
»Kannst du dir das nicht selbst denken?«
»Kannst du es mir nicht einfach sagen?«
»Sie ist so wunderschön, da bist du nicht der einzige Verehrer. Kapiert?«
»Moment.« Eine Hand des Jungen fährt über seine Augen. »Du willst jetzt nicht sagen, dass sie... gerade... in diesem Augenblick...«
»Nein, das nicht. Sie knutscht nur.«
»So ein Miststück...«
»Oh ja, das ist sie. Sagt sogar Gott. Der mag dich sowieso ziemlich. Bist sein Liebling.«
»Na danke... warum lässt er sie dann nicht bei mir bleiben?« Die Stimme des Jungen klingt ein wenig verzweifelt. »Ich liebe sie doch...«
»Tja, Gott hatte damals, als er Adam und Eva erschuf, die beiden ein wenig unterschätzt. Inzwischen laufen die Dinge nicht mehr so, wie sie eigentlich sollten. Er kann praktisch nicht mehr die Menschen lenken. Wer nicht an ihn glaubt, ist vor seinem Übergriff sozusagen geschützt. Wobei das meistens schlechte Folgen hat. Weißt du noch, das Flugzeug, das letzte Woche abgestürzt ist? Waren alles Atheisten.«
»Sie betrügt mich also schon die ganze Zeit?«
»Die ganze Zeit und ohne Reue.«
»Diese Schlampe...«
»Sie treibt´s wirklich wild.«
»Es reicht!« Der Junge wirkt gereizt. Sein Haar hängt ihm wirr ins Gesicht, er beginnt wieder loszugehen, diesmal deutlich schneller. Der Tod schwebt einfach neben ihm her. »Wo willst du jetzt hin?«
»Wohin wohl? Zu ihr natürlich!«
»Willst du das wirklich sehen? Mach doch lieber mit ihr Schluss...«
»Ich liebe sie. Und ich will ihr eine Chance geben.«
»So gut wie aussichtslos.«
»Ich versuche es trotzdem.«
»Von mir aus. Tu, was du nicht lassen kannst. Soll ich mitkommen?«
»Nein, danke. Ich komme schon klar.«
»Bleib stehen.«
»Wie bitte?«
Der Tod packt den Jungen am Kragen. Ein Backstein kracht auf das Pflaster und zerberstet in kleinste Stückchen. Geschockt blickt der Junge in die Höhe. Ein Bauarbeiter, der auf dem Gerüst steht, schaut nicht minder erschrocken nach unten und schreit wild herum. Der Junge versteht nicht viel.
»Der versucht sich gerade zu entschuldigen.« Der Tod grinst. »Tja, wenn du mich nicht hättest...«
»Ja, wenn ich dich nicht hätte. Dann wäre ich jetzt im Himmel.«
»Ach, was willst du denn da. Da ist es total langweilig. Glaub mir. Bin da ab und an mal zu Besuch, Gott lädt mich manchmal zum Golfen ein. Aber diese elendigen weißen Bälle findet man zwischen den Wolken immer so schlecht. Und wenn wir mal einen danebenpfeffern, dann landet er auf der Erde und erschlägt zu 50% irgendeinen Menschen. Dann muss ich immer mein Spiel unterbrechen. Arbeit geht eben vor.«
»So was passiert?«
»Ja, aber Gott achtet immer schön darauf, dass der Ball nicht als solcher zu erkennen ist. Die Leute brechen einfach wie von einem unsichtbaren Schlag getroffen zusammen, aber es erwischt komischerweise immer die Richtigen. Man könnte sagen, wir verbinden Spiel und Arbeit miteinander.«
»Höchstinteressant.«
»Nicht wahr? Aber ansonsten gibt es da oben nichts zu tun, also bleib mal lieber schön auf deiner Erde.«

Ein Piepen. Der Tod seufzt leise. »Das ist mein Zeichen. Werde irgendwo in China gebraucht. Komisch, dafür ist eigentlich eine andere Abteilung zuständig...«
»Sag mal, kann ich irgendwann einfach mal so Gott treffen?«
»Oh... das wird schwer, der Gute ist in letzter Zeit immer ausgebucht. Und die vielen Gebete, die ihm jeden Tag geschickt werden, machen es nicht eben besser. Aber sollte es klappen, besuche ich dich mal in einem deiner Träume.«
»Meine... Träume? Du kannst... meine Träume sehen?«
»Ja, ab und zu.«
»Ab und zu?«
»Immer.«
»Ähm... dann hast du also auch...«
»Ich sagte ja, sie treibt es wild.«
Der Junge wird purpurrot. Sein Gegenüber hingegen lacht laut auf. »Hey, ich verschwinde jetzt lieber mal.«
»Warum das denn jetzt so plötzlich?«
»Schau dich doch mal um.«
Der Junge blickt um sich. Überall stehen Leute und starren ihn an. Unter ihren Blicken wird ihm etwas mulmig. »Was glotzen die denn alle so?«
»Na ja, was würdest du denn von jemanden halten, der dauernd mit sich selbst spricht?«
»Stimmt ja, die sehen dich ja nicht...«
»Na ja, ich bin mal weg.«
»Auf bald.«
»Worauf du einen lassen kannst.« Der Tod schüttelt dem Jungen noch ein letztes Mal die Hand, dann verschwindet er, so schnell und unscheinbar, wie er erschienen ist.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Klasse geschrieben, hab gut gelacht als ich das gelesen hab!
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Erinnert mich ein bischen an die Terry Pratchet-Geschichten, da gibt´s auch einen Tod der die Leute persönlich abholt und die dann auch ab und an mit ihm diskutieren wollen
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Wann gibt es mehr???
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Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
gefällt mir auch ganz gut würde mich über eine Fortsetzung freuen
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Himmel

»Na, wie geht´s denn so?«
Der Junge wacht auf. Noch völlig übermüdet blinzelt er den bleichen Schädel an, der ein wenig über seinem Gesicht schwebt. »Ich habe geschlafen...«
»Das stört mich doch nicht.« Der Totenkopf verzieht sich zu einem breiten, schelmischen Grinsen. Dem Jungen hingegen ist gar nicht nach Lachen zumute. Er blickt kurz auf seinen Wecker. »Es ist zwei Uhr früh. Was soll der Mist? Hast du nichts besseres zu tun?«
»Nö. Meine Aushilfe ist wieder dran.«
»Wie schön für dich.« Der Angesprochene gähnt ausgiebig, dann steigt er nur in einer kurzen Hose begleitet aus dem Bett. »Und wieso kommst du dann ausgerechnet zu mir?«
»Wolltest du nicht mal Gott sehen?«
Der Junge bleibt abrupt stehen, wendet sich jedoch nicht der schwarzen Gestalt zu. »Schon möglich.«
»Nun, er wäre bereit, dich zu empfangen.«
Der Junge wirbelt herum. »Echt jetzt?«
»Na, glaubst du, ich lüge?«
»Woher soll ich das denn wissen? Wer kennt den Tod schon persönlich?«
»Du.«
»Aber nicht gerade lange.«
»Zwei Monate sind lange genug, findest du nicht?«
»Ja, schon gut... also, ich kann jetzt mit Gott reden? Und wie komme ich zu ihm?«
»Och, das geht schnell...« Die knöcherne Hand schnippt einmal mit den Fingern, dann verschwimmt alles um den Jungen herum in einem gewaltigen Strudel von Farben. Im nächsten Moment steht er plötzlich vor einem riesigen, goldenen Tor. Als er nach unten schaut, stellt er mit Erschrecken fest, dass er die Welt erblickt, die grüne und blaue Kugel, die sich langsam dreht. Mit einem leisen Knall erscheint der Tod neben ihm. »Na, ist das nicht mal ein Ausblick?«
»Ja, toll... ich hätte fast einen Herzschlag bekommen.«
»Sorry, vielleicht hätte ich dich warnen sollen, aber dann hätte ich mir selbst den Spaß genommen.«
»Na, vielen Dank.« Der Junge blickt säuerlich auf. Vor dem Tor steht eine weiße Gestalt. »Wer ist das?«
»Petrus. Säuft sich wahrscheinlich wieder zu.«
»Petrus säuft?!«
»Wie ein Fass. Der Gute hat mit Alkoholproblemen zu kämpfen. Ich kann es ihm nicht verübeln, er muss ja die ganzen Jahrtausende nur hier herumstehen und darf sich nicht mal einen Fernseher anschaffen...«
»PC?«
»Nope.«
»MP3-Player?«
»Ich habe doch gesagt, dass er nix haben darf! Deswegen lässt er sich immer ´nen Krug Wein runterschicken, sobald der letzte leer ist. Und immer so weiter.«
»Bemerkt Gott das denn nicht?«
»Komm einfach mit, dann wirst du schon sehen, warum er nichts unternimmt...«
Die Beiden gehen auf das Tor zu, es öffnet sich quietschend und Petrus winkt ihnen überschwänglich zu. »Ssssssssssalute! N... n... nnnna, wie jeht´s´n soooo?«
»Hallo, Petrus. Hast du mal ´nen Schluck für mich übrig?«
»Aaaaber imme´ doch!« Das schwankende, dicke Kerlchen mit winzig kleinen Flügeln am Rücken reicht dem Tod den Krug. Die schwarze Gestalt nimmt einige Schlücke, dann gibt sie das tönerne Gefäß wieder zurück. »Danke, wir gehen dann mal zu Gott.«
»Jawollja! Ein... n... n Hoooch auf´n Gott!« Petrus fängt an zu Kichern und hört nicht mehr auf. Der Junge hört das Gelächter auch dann noch, als sie schon ein ganzes Stückchen gegangen sind.
»Meine Fresse, den hat es aber ganz schön erwischt...«
»Er lebt ja schon seit fast 3000 Jahren mit dem Alk-Problem...«
»Habt ihr denn noch gar nicht versucht, ihm das Saufen auszutreiben?«
»Das ist nicht mein Bier. Dafür ist Gott zuständig. Ich passe auf, dass in der Hölle nichts los ist.«
»Was soll da denn schon Großartiges los sein?«
»Hähä... du kennst die Hölle schlecht.« Ein breites Grinsen ziert den Schädel, dann wendet er sich wieder nach vorne. »Bald sind wir da.«
Die beiden stapfen über die Wolken hinweg. Der Junge erblickt hier und dort einige Gebäude, die nur aus Watte zu bestehen scheinen. Dann zupft ihn sein Kumpane am Ärmel.
»Schau mal da drüben.«
Der Junge folgt dem Arm, der sich nach rechts ausstreckt. Ein riesiges Golfgebiet erstreckt sich dort.
»Da ist ja keiner...«
»Liegt nur daran, dass das halbe Himmelreich ein Golfplatz ist. Die ganzen wohltätigen Millionäre haben hier mehr als genug zu tun...«
»Schon klar. Was ist denn jetzt mit Gott? Kann ich ihn endlich mal sehen oder was?«
»Ja, ja, nur keine Hektik.«
Mit einem Mal steht ein imposanter Palast vor dem Jungen. Staunend blickt er zur Spitze, die er jedoch nicht einmal sehen kann.
»Meine Fresse...«
Mit einem leisen Knall erscheint ein winzig kleiner Engel neben dem Jungen.
»Keine Ausdrücke! Erste Verwarnung!«
So schnell, wie das kleine Ding erschienen war, ist es wieder verschwunden. Der Junge schaut noch einen Moment verdutzt, dann lacht er lauthals.
»LOL, das ist ja wie auf meiner Gildenhomepage!«
»Auf bitte was?«
»Ach, nichts. Wie viele Verwarnungen darf ich kassieren?«
Der Tod grinst. »Da du ja Gottes Liebling bist, bezweifle ich, dass man dich überhaupt raus schmeißen wird.«
»Ach so... na gut. Können wir jetzt eintreten?«
»Bist du blind? Das Tor ist doch zu!«
Der Junge schaut noch einmal zu dem Gebäude. Tatsächlich ist das riesige Tor geschlossen.
»Hm...«
»Was 'hm'?«
»Das Zeugs ist doch nur Wolke, oder?«
»Ja, schon!«
Der Junge grinst breit, dann geht er einfach los und rennt durch das Tor hindurch. Zuerst sieht er nichts als weiß um sich herum, dann tritt er in eine gewaltige Halle. Überall lagern Engel, die sich angeregt unterhalten. Doch all die Gespräche verstummen abrupt, als sie ihn sehen.
Der Tod folgt dem Jungen und klopft ihm anerkennend auf die Schulter. »Wirklich schlau. Wäre selbst wohl nicht so schnell darauf gekommen.«
»Sag mal, sind das alles Frauen?« Ein wenig zweifelnd blickt der Junge herum. Die ersten der Engel fangen bereits an, leise zu kichern und ihm zuzuwinken. Der Junge lächelt unsicher.
»Ja. Ja, ich denke schon. Warum?«
»Gegenfrage: warum starren die mich alle so an???«
Der Tod schaut sich ebenfalls um, dann verschwindet das Grinsen langsam von seinem Gesicht. »Oh scheisse...«
Plopp. »Erste Verwarnung!«
»Schnauze da!«
»Verdammt, wieso schauen die mich alle so an???«
»Zweite Verwarnung!«
»Schnauze!
»Red nicht, lauf!!!« Der Tod packt den Jungen am Kragen und rennt auf das Tor zu. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtet der Junge, wie alle Engel auf einmal aufspringen und auf ihn zugeflogen kommen. Ein entsetzter Schrei entringt sich seiner Kehle. Die ersten Hände strecken sich nach ihm aus...
Eine weiße Schicht umgibt den Jungen, dann fällt er auf die Wolke und bleibt starr darauf liegen. Der Tod liegt gleich neben ihm und atmet schwer.
Schließlich findet der Junge seine Stimme wieder. »Verdammte Kacke, was war das denn??«
Plopp. »Dritte -«
Ein Schlag auf den Schädel des kleinen Engels hindert ihn daran, den Satz zu beenden, sondern lässt ihn bewusstlos auf die Wolkendecke klatschen. Der Tod grinst wieder breit, so wie er es praktisch immer tut.
»Du willst wissen, was da drin los war?«
»Was hast du erwartet?? Ich würde schon gerne den Grund wissen, warum mich ein Haufen weiblicher Engel umbringen will!«
»1.: Es gibt nur weibliche Engel. Mit einiger weniger Ausnahmen, wie zum Beispiel Petrus und die engsten Vertrauten von Gott. Er verlässt sich nicht so gerne auf Frauen, die reden ihm zu viel.«
»Kenn ich...«
»2.: Gott hat ein Flirt-Verbot verabschiedet.«
»Was??« Der Junge lacht noch lauter als vorher. »Flirt-Verbot? Meine Güte, die armen...« Das Lachen bleibt ihm im Halse stecken. »Moment mal... Flirt-Verbot? Für die Frauen, die hier leben?«
»Exakt.«
»Du meinst...«
»Na, arbeitet es in deinem Oberstübchen?«
»Du meinst nicht wirklich...«
»Doch, genau das meine ich.«
»Die wollen allesamt was von mir?!«
»Sieht ganz danach aus.«
»Ähm...« Der Junge kratzt sich ein wenig verlegen am Kopf. »Frage: wie soll ich an denen alle vorbeikommen?«
»Och, das ist nicht mein Problem.« Der Tod lacht finster und dunkel, aber eindeutig schadenfroh auf.
»Vielen Dank.« Beleidigt schaut der Junge um sich. »Gott ist da drinnen?«
»Ja.«
»Die Treppe rauf, die natürlich genau hinter diesen ganzen Engeln war?«
»Ja.«
»Scheisse...«
Ein leises Röcheln ertönt. »Dritte Verwarnung...«
»Schnauze.«
»Willst du denn gar nicht?«
»Was will ich nicht?«
»Na, du weißt schon.«
»NEIN!«
»Ja, ja, schon gut!« Der Tod grinst so breit, wie es der Junge noch nie gesehen hat. »Jedenfalls wird es jetzt ganz schön schwer für dich, zu Gott zu kommen.«
»Hätte ich nicht gedacht...« Der Junge lächelt leicht. »Aber ein paar von denen waren echt süß.«
»Und deine Freundin hat dich verlassen! Einen geeigneteren Zeitpunkt gibt es doch gar nicht!«
»Ich will Liebe, keinen One-Night-Stand oder so ´nen Mist.«
»Wirklich?« Der Tod schaut ihn ein wenig zweifelnd an. »Bist so ziemlich der Erste, den ich das sagen höre...«
»Mir egal. Ich bin nicht auf Sex aus.«
»Vielleicht findest du hier ja deine wahre Liebe.«
»Ja, klar. Soll ich etwa draufgehen, damit ich hier meine 'wahre Liebe' finde?«
»Das ist nicht nötig. Du könntest ja Gott fragen, ob er dir besagten Engel als persönlichen Schutzengel einstellt.«
Der Junge schaut auf. »So was gibt´s auch?«
»Klar. Das interessiert dich, was?«
»Hm...« Die Miene des Jungen hellt sich auf. »Klar, warum nicht?«
»Dann geh rein und hol dir eine.«
Die Freude des Jungen war wie weg geflogen. »Da rein? Zu diesen Verrückten? Wer bin ich denn?!«
»Ein Mensch, und ein verdammt anständiger dazu.«
»Vierte Verwarnung. Beehren Sie uns bald wieder.«
Die linke Augenhöhle des Todes scheint sich zu verkleinern. Hätte er eine Augenbraue gehabt, so wäre diese wohl nun auf den Kopf gewandert. »Hm... wir sehen uns.«
Eine riesige Hand erscheint direkt hinter der Kapuzengestalt und schnipst diese einfach weg. Der Tod heult auf. Zwischen dem Gejaule kann man noch leise einige Wortfetzen verstehen, wie etwa: »Fliegen! Was´n Spaß!« Dann hat er bereits das goldene Tor überwunden und verschwindet in der Wolkendecke.
Der kleine Engel richtet sich ächzend auf. »Mir tut noch alles weh...«
»Sag mal, wieso bist du ein Mann?«
»Verzeihung?«
»Wieso bist du ein Mann? Der Tod hat mir gerade gesagt, fast alle Engel seien Frauen, es existieren nur einige wenige Ausnahmen. Warum also bist du ein Mann?«
Das kleine Kerlchen grinste breit. »Frauen sind nicht für diesen Job geschaffen. Wir hatten hier mal einen, der war ein Bösewicht, wie er im Buche steht. Dummerweise auch noch mit überirdischer Schönheit gesegnet. Der Engel, der ihn eigentlich hätte herauswerfen sollen, unterhielt sich lieber mit ihm und brachte ihn sogar in den Garten von Eden, wo der Kerl sofort einen Apfel vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse mopste und abhaute. Seitdem mache ich den Job. Aber ziemlich aufreibende Arbeit, jedenfalls, wenn man dem Tod begegnet...«
»Glaub ich gerne. Hast du eine Idee, wie ich durch den Raum da kommen soll?« Der Junge deutet auf das Tor. »Da drinnen lagern lauter Engel und stürzen sich auf mich, sobald sie mich nur sehen...«
»Ach?« Das kleine Kerlchen flattert zögerlich mit den Flügeln, dann fasst es Mut und erhebt sich in die Luft, um auf gleicher Höhe mit dem Jungen zu schweben. Misstrauisch schaut es ihn an. »Was machst du eigentlich hier? Ein Mensch! Kein Wunder, dass die ganzen Weiber wieder durchdrehen...«
»Seit wann sind Frauen überhaupt so auf Flirts aus?! Sind doch sonst immer die Männer!«
»Wenn du als Frau den ganzen Tag hier sitzen und irgendeinen Chorus singen musst, wird dir das alles irgendwann auch mal langweilig und du sehnst dich nach einer Abwechslung. Klar soweit?«
»Ähm... okay. Also, kannst du mir sagen, wie ich da durchkommen soll?«
Der Engel grinst breit und streckt dem Jungen sein Händchen entgegen. »Ich heiße Rufus.«
Ein wenig verwirrt packt der Junge die Hand. Kaum dass er sie berührt, verschwimmt die gesamte Welt um ihn herum, ihm wird schwindlig, übel. Der Junge glaubt, sich gleich übergeben zu müssen, versucht, seine Hand auf den Mund zu pressen, doch es geht nicht, der Sog vom Wirbel ist zu stark, er kann sich nicht rühren, keine Sehne bewegen.
Genauso schnell, wie der Spuk kam, war er wieder gegangen. Der Junge liegt auf den Wolken und schaut sich nun komplett verwirrt um. Das kleine Engelchen flattert noch immer vor ihm herum. Aufgebracht steht der Junge auf. »Was sollte denn das?!«
»Reg dich nicht auf. Ich habe dich getarnt.«
»Getarnt?« Der Junge schaut an sich hinab. Sein Schlafanzug ist schwer zu übersehen, zumal er schwarz und aus einer kurzen Hose besteht, oben ohne. Die Beine sind noch genauso lang wie vorher. »Willst du mich verarschen oder so?«
»Mann! Du kannst das nicht erkennen, aber die Engel werden dich als mich sehen.«
»Wirklich?« Lächelnd schaut der Junge auf. »Danke!«
»Nichts zu danken. Man sieht sich!« Rufus klatscht einmal mit den Händen ineinander. Ein lauter Knall ertönt, dann ist er verschwunden. Noch immer grinsend geht der Junge auf das Tor zu und durchschreitet es.
Kaum schauen seine Hände aus den Wolken hindurch, als auch schon jemand nach ihnen greift und ihn vollends hereinzieht. Erschrocken purzelt der Junge in den riesigen Saal. Die vielen Engel sitzen alle um ihn herum und lächelten ihn breit an. Verwirrt blickte der Junge um sich. »Hey, was soll das?«
Eine von ihnen, mit tiefen, blauen Augen und braunem, lockigen Haar rutscht ein Stückchen zu ihm hin. Sie sieht nicht älter als 16 oder 17 Jahren aus. »Es kommt nicht oft vor, dass ein Mensch uns besucht! Dürfen wir uns denn nicht freuen?«
Der Junge schaut sich verlegen um. »Ihr könnt mich also als Mensch erkennen?«
»Natürlich!«
»Kennt zufällig einer von euch Rufus?«
Die Engel schauen sich an, dann brechen sie allesamt in schallendes Gelächter aus. Nur jene, die ihn bereits angesprochen hat, grinst schadenfroh. Der Junge fährt sich ein wenig verzweifelt über das Gesicht. »Wieso lacht ihr denn jetzt?!«
Sie kommt noch ein wenig näher. »Och, ich hatte meine Gestalt gewechselt. Du sprachst mit mir.«
»Mit dir?« Der Junge rutscht vorsorglich ein Stück von ihr weg, doch dadurch kommt er nur einem anderen Engel näher. Sie haben ihn bereits umkreist, jede lächelt ihn wohlwollend an. »Das ist gar nicht fair. Was, wenn Gott das erfährt?«
»Gott hat zuviel zu tun. Ich bin seine Assistentin.«
»Was macht er gerade?«
»Golf spielen. Er hat den Tod, gleich nachdem er hinausgeworfen worden war, wieder hergeholt und zu einer Versöhnungsrunde eingeladen.«
»Aha...«
Sie streckt ihre Hand nach ihm aus und berührt sanft seine Brust. Der Junge stößt sie augenblicklich fort. »Finger weg!«
Sie kichert leise. »Oh, da will wohl einer nicht angefasst werden?«
»Exakt! Und ich will nichts mit euch zu tun haben, kapiert?!«
Das vermeintliche Engelchen lächelte leicht. »Wirklich nicht?« Der Kreis zieht sich enger zusammen, der Junge sieht verzweifelt zu, wie ihm absolut jede Fluchtmöglichkeit vereitelt wird. »Lasst mich in Ruhe!« Panik schwingt in seiner Stimme mit, seine Augen sind weit aufgerissen.
Das Mädchen grinst breit. »Mädels, ich glaube, er hat genug.«
Die restlichen Engel lachen noch einmal laut, dann flattern sie einfach fort. Verwirrt schaut der Junge ihnen nach, bevor er sich wieder dem zurückbleibenden Engel zuwendet. »Was soll das jetzt wieder heißen?«
»Dass das alles nur Spaß war.« Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu. »Ein kleiner Scherz.«
Der Junge schaut wütend zurück. »Scherz? Ein richtig beschiss... ein richtig dummer Scherz!«
Sie lacht nur hell. »Es tut mir Leid, aber ich konnte es mir nicht verkneifen. Wir werden wirklich nicht oft besucht, und wenn schon mal jemand da ist, dürfen wir uns doch einen Spaß erlauben, oder?«
»Ja... ja, schon gut.« Die Wut, die sich gerade angestaut hatte, baut sich im Jungen langsam wieder ab. »Kann ich jetzt zu Gott?«
»Der ist nach wie vor bei seinem Golfspiel. Ich kann dich hinbringen, wenn du willst.«
»Nein... nein, ich mag kein Golf.«
Sie grinst ihn breit an. »Ich auch nicht.«
Sie lächeln sich gegenseitig zu, dann fängt sie wieder leise an zu kichern. Er schaut sie verwundert an. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Du hättest dein Gesicht sehen sollen, als ich dich berührt habe!«
»Ähm...« Ein wenig beschämt blickt der Junge zu Boden. »Ich hätte dich nicht so anfahren dürfen. Tut mir Leid.«
Sie rutscht wieder ein Stückchen zu ihm hin. Diesmal bleibt er sitzen. »Braucht dir nicht Leid zu tun. Wäre mir wahrscheinlich genauso gegangen.«
»Wirklich?« Er lächelt traurig. »Es ist nur... es ist alles so neu. Ich war noch nie im Himmel, ich kenne den Tod, ein Mädchen berührt mich...«
»Was ist denn am letzteren so besonders?«
»Nur, dass es noch nie ein Mädchen getan hat.«
»Noch nie?« Sie kippt ihren Kopf ein wenig zur Seite und schaut ihn schräg an. »Verstehe ich nicht...«
»Was gibt es da nicht zu verstehen?«
»Na ja, du bist doch ganz hübsch.«
Der Junge lacht leise. »Da bist du wohl die Einzige, die so denkt...«
Sie grinst breit. »Mein Name ist Eluvîn. Und deiner?«
»Was viel einfacheres. Sandji.«
»Sandji? Noch nie gehört...«
Jetzt grinst der Junge breit. »Ist auch nur mein Künstlername. Heiße eigentlich anders.«
»Und wie heißt du anders?«
»Philip Winfried Weisel.«
Sie lacht laut auf. »Ich glaube, ich nenne dich lieber Sandji.«
Er lächelt schief. »Ist mir auch lieber.«
Das Mädchen rutscht noch ein wenig näher an seine Seite heran. Sie berührt ihn jetzt schon fast. »Hast du denn da unten schon eine Freundin?«
»Nein. Habe noch nicht die Richtige gefunden.«
»Wirklich nicht?«
»Nein. Wobei... vielleicht doch.«
»Ah ja?« Der Engel lässt ein wenig trübselig den Kopf hängen. Der Junge hebt lächelnd ihr Kinn an und blickt ihr tief in die Augen. »Ich glaube, ich habe gefunden, wonach ich so lange gesucht habe. An einem Ort, an dem ich es schon immer vermutete.«
Sie lächelt breit, ihre Augen drücken grenzenlose Freude aus. Sie beugt sich ein wenig zu ihm hin, ihr Mund nähert sich dem seinen, sie schließen beide gleichzeitig die Augen...
Ein lauter Knall ertönt. »Wir müssen los!«
Der Junge und das Mädchen schrecken auf. Hinter ihnen steht der Tod, welcher den Jungen anschaut. »Schnell!«
Der Junge sieht perplex zurück. »Was ist los?«
»Keine Zeit für Erklärungen!« Der Kapuzenmann packt den Jungen an der Hand und reißt ihn förmlich in die Höhe. »Halt dich fest!«
Wieder erscheint der Wirbel, saugt alles in sich auf. Der Junge sieht, wie der Engel langsam verschwimmt, wie sie lächelt und ihm hinterher winkt. Doch ihre Augen können nicht über die Trauer, die sie verspürt, hinwegtäuschen. Ihr Gesicht brennt sich in das Gedächtnis des Jungen.
Mit einem Mal steht er in seinem Zimmer. Der Tod ist verschwunden, ebenso wie der Himmel.
Ein leises Piepen ertönt. Der Wecker neben dem Bett klingelt immer lauter. Der Junge rührt sich nicht.
Die Tür geht auf. Sein älterer Bruder steckt den Kopf herein. »Hey, du Backe! Wie hast´n gepennt?«
Der Junge dreht sich um. Ein trauriges Lächeln ziert sein Antlitz. »Ich hatte einen wunderschönen Traum.«
 
Sorry, das es ein wenig länger gedauert hat, aber ich musste noch hier und da einige Stellen überarbeiten.
Jedenfalls viel Spaß beim Lesen!

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Streit und Versöhnung

Ein leises Schnüffeln ertönt.
Der Junge wacht auf und kratzt sich am Ohr. Seine Hand streift etwas Weiches, Flauschiges. Ein wenig verärgert dreht er seinen Kopf nach links.
Neben ihm sitzt ein Hamster und schaut ihn aus schwarzen Knopfaugen an, nachdem er aufgehört hat, das Ohr anzuknabbern.
Seufzend packt der Junge das kleine Tierchen und setzt es wieder auf den Boden. »Sag mal, Moe, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht auf das Bett krabbeln darfst? Da oben ist es vielleicht ein wenig wärmer, aber ich habe keine Lust, eine angefressene Matratze auswechseln zu dürfen.«
»Macht er wieder Ärger?«
Der Junge grinst breit und wendet sich der Gestalt zu. Sein Lächeln verwandelt sich jedoch schnell in unverhohlenes Staunen. »Meine Fresse!«
»Was denn?!« Ein Unbekannter steht vor ihm, bekleidet mit einer kurzen, schwarzen Hose. Der Junge blickt in das Gesicht eines älteren Mannes von vielleicht 50 Jahren. Lange, gräuliche Haare fallen bis zu den Schultern und auf das T-Shirt, auf dem breit 'Urlaub 4tw' steht. Ein grau-weißer Vollbart ziert den Mund.
Der Junge kratzt sich am Kopf. »Ähm... ist nur so, dass ich dich... wer bist du überhaupt?«
»Sag mal, erkennst du mich nicht?!«
»Tod??«
»Nein, Jesus, weißt du?! Natürlich bin ich´s!«
»Äh...« Der Junge schaut ihn skeptisch an. »Wen will ich gerne als Freundin?«
»Einen kleinen, süßen Engel. Nebenbei Sekretärin von Gott. Und genau die richtige Figur.«
»Mein Gott, du bist es wirklich!«
»Sprich nicht von Gott, der ist gerade sauer auf mich.«
»Echt?« Der Junge lacht laut. »Wieso das denn?«
»Deswegen!« Der Tod zeigt auf den Schriftzug seines Hemdes. »Ich habe Urlaub verlangt. Da ist er halb ausgerastet. Hat gemeint, ich könnte mir doch auch gleich noch ´nen neuen Look zulegen.«
»Das hast du natürlich auch sofort getan.«
»Na, hör mal! So eine Gelegenheit kommt nie wieder!«
»Ja, schon gut. Was willst du denn jetzt hier?«
»Schutz suchen und dich mitnehmen, damit du ihn wieder beruhigen kannst.«
»Ich soll Gott beruhigen?« Der Junge schaut den Mann an, als sei dieser übergeschnappt. »Wozu gibt´s denn Jesus?!«
»Der hat keine Zeit. Wandert gerade als Bettler durch London und versucht, ´n paar Kröten einzusammeln. Vor allem von den dicken Fabrikbossen, damit die hinterher noch in den Himmel kommen können, von wegen guter Tat und so weiter...«
»Aber ausgerechnet ich?!«
»Du hast die beste Connection zu ihm!«
»Oh, na klar.«
»Du warst bereit, in den Tod zu gehen.«
»Und da bin ich wohl der Einzige oder was?!«
»Ja.«
Der Junge schaut ihn noch skeptischer als vorher an. »Wirklich?«
Der Tod seufzt laut. »Wenn´s ich dir doch sage...«
»Gib mir erst mal ´n Bier. Und dann mach die Shisha an. Ich muss überlegen.«
»Es ist ein Uhr nachts. Alkohol um diese Zeit?«
»Stört´s dich etwa?«
»Ja, ja, schon gut.« Der Mann bewegt sich auf die Wasserpfeife zu, als plötzlich ein gequältes Quietschen ertönt. Hastig hebt der Tod seinen Fuß hoch und entlässt den Hamster. »Sorry, Kumpel. Musst selbst ein wenig mehr aufpassen.« Lächelnd schnappt er sich das Gerät und eine Flasche Bier, die gleich daneben steht, um zum Jungen zurückzukehren. Dieser hat sich bereits eine Jeans angezogen und sein weißes T-Shirt übergeworfen. Während der Tod die Shisha herrichtet, öffnet der Junge die Flasche mit den Zähnen und nimmt einen kräftigen Schluck. »Verdammt, wieso gibt´s eigentlich kein Cola-Weizen in Flaschen? Schmeckt um einiges besser...«
Der Tod schnippt einmal mit dem Finger. Die Kohle entflammt wie von Zauberhand. »Bitte sehr, der Herr.«
Nach dem nächsten Schluck lächelt der Junge breit. »Vielen Dank, der Herr.«
»Die Shisha ist auch fertig.«
»Her mit dem Schlauch!« Der Junge krallt sich das begehrte Objekt und nimmt einen tiefen Zug. Die Kohle leuchtet auf und erhellt den Raum ein wenig. Rauch steigt aus seinem Mund und der Nase, dann seufzt er leise. »Ich soll Gott also beschwichtigen?«
»Es reicht schon, wenn du ihn nur von der Palme bringst.«
»Na klar, nichts leichter als das... Wie oft hatte er denn schon solche Wutausbrüche?«
»Ein einziges Mal. Damals hat Zeus vorbeigeschaut. Du weißt schon, der Kerl aus Griechenland. Jedenfalls hat der ihm als Scherz mit seinem Dreizack in den Allerwertesten gepiekst. Das Dinge hatte dummerweise ´ne Macke und hat sofort ´nen Blitz entlassen, welcher wiederum den Allerwertesten von Gott in Flammen setzte. Seitdem haben sie kein Wort mehr miteinander gesprochen.«
»Perfekte Aussichten also.«
»Sieht so aus.«
Der Junge nimmt noch einen tiefen Zug, dann lacht er leise. Der Tod schaut ihn verwundert an. »Sag mal, worüber kicherst du eigentlich so blöd?«
»Darüber, wie man nur so blöd sein kann und sich mit Gott anlegt.«
»Pah, du hast doch keine Ahnung. Ich habe das schon ein paar Mal gemacht und fast immer gewonnen. So wie jetzt.«
»Du bist höchstens bald einen Job los.«
»Nee! Den habe ich vom Teufel gestellt bekommen, da hat Gott gar nichts zu sagen.«
»Auch gut. Irgendeine Idee, wie wir ihn wieder besänftigen können?«
»Keine.«
»Keine?«
»Keine.«
»Überhaupt nichts?«
»Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass ich keine Ahnung habe, was ich machen soll?!«
»Wie wäre es mit was Süßem?«
»Wie bitte?«
»Du sollst ihm was Süßes schenken. Irgendwas zum Knabbern. Gott bekommt doch garantiert auch ab und an mal Hunger da oben.«
»Na klar! Das ist es! Er futtert Pralinen für sein Leben gern! Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin...«
»Tja, ich halt wieder.« Der Junge schaut die Gestalt neugierig an. »Was für Zeugs futtert er denn gern?«
»Ach, der frisst alles, solange es sich nur um Schokolade handelt.«
»Ganz genau.«
Das Gesicht des Todes drückt tiefstes Entsetzen aus, im Gegensatz zum Jungen, der breit grinst. »Hey, Gott! Wie geht´s denn so?«
»Kann nicht klagen. Die Sterberate geht gerade ein wenig zurück. Liegt wohl daran, dass es im Irak ein wenig ruhiger zugeht.«
»Die Iraker kommen zu dir in den Himmel? Haben die denn keinen Eigenen?«
»Hatten sie mal. Aber irgend so ein Bekloppter hatte noch eine Dynamitstange dabei, und von Kontrollen halten die da drüben nichts. Wir haben ein Auffanglager eingerichtet.«
»Sag mal, von wo sprichst du eigentlich?«
»Bist du blind?«
Der Hamster kommt angewatschelt und schaut den Jungen erwartungsvoll an, welcher nur laut lacht. Der Tod wird noch bleicher, als er ohnehin schon ist. »Bin ich auf dich getreten, Gott?«
»Ja. Hat meinem Rücken nicht eben gut getan.«
»Du weißt ja, dass es ein Versehen war, oder?«
»Nein, es war volle Absicht.«
»Gott!«
»Natürlich weiß ich, dass es keine Absicht war! Beweg dich lieber und bring mir ein paar Tafeln Schokolade. Ich habe Hunger.«
»Moment.« Der Junge steht auf und geht zu seinem Schreibtisch herüber, öffnet eine Schublade und zieht eine kleine Schachtel voll Pralinés hervor. Der Hamster quiekt aufgeregt. »Her damit!«
»Wohl bekomm´s.« Der Junge stellt das Süße vor den Hamster, welcher sofort in die Schachtel abtaucht. Währenddessen spricht Gott weiter, wenn nun auch um einiges unverständlicher. »Tod, if glaube, if ferfei dir. Will mal nif fo fein.«
»Danke, Gott.«
»Kriegft auf Urlaub.«
»Darf ich überall hin, wo ich will?«
»Folange du nift in deinem Mantel herumrennft, ja.«
»Vielen Dank.«
Der Hamster schaut über den Rand der Schachtel. »Ah, das war gut. Ich gehe dann mal wieder. Habe noch ein wenig zu erledigen. Für die Formalitäten werde ich jemanden schicken.«
»Muss das sein?« Der Junge gähnt ausgiebig. »Ich meine, ich muss morgen noch in die Schule...«
Der Tod stößt ihn leicht an. Leise wispert er: »Er schickt seine Stellvertreterin!«
»Oh! Oh... äh... macht nichts! Gar nichts! Formalitäten müssen schließlich erledigt werden!«
»Allerdings...« Gottes Stimme klingt ein wenig zweifelnd. »Egal. Ich muss los. Man sieht sich.«
»In diesem oder im nächsten Leben.« Der Junge winkt dem Hamster einmal zu, dann zischt es leise und weißer Nebel steigt aus den kleinen Ohren des Tierchens, um gleich darauf zu verschwinden. Sofort krabbelt der Hamster wieder herum wie eh und je, wobei er sich nach wie vor an der Schokolade gütlich tut.
Der Tod reicht dem Jungen die Hand. »Du hast was gut bei mir!«
»Yeah, whatever, Dick.«
»Gleichfalls.«
»Wann wohl Eluvîn kommt?«
»Oha! Du kennst schon ihren Namen? Nein, wie putzig!« Der Tod grinst dreckig, während der Junge ihn säuerlich anschaut. »Halt doch dein Maul...«
»Warum sollte ich? Vielleicht kuschelt sie ja ein wenig mit dir...« Lachend weicht der Mann der Faust aus, die auf ihn zugeflogen kommt. Der Junge schaut ihn wütend an. »Halt´s Maul!«
»Was denn! Man braucht sich doch seiner Gefühle nicht schämen...«
Der Junge dreht sich blitzschnell um, schnappt sich die Pistole, die auf dem Tisch liegt, wirbelt erneut herum und drückt ab. Eine erbsengroße Plastikkugel knallt dem Tod gegen den Kopf.
»Aua! Was soll das denn?!«
Der Junge grinste nur hämisch. »Treffer, versenkt.«
»Na warte!« Mit einem leisen 'Plopp' erscheint ein kleines Maschinengewehr in den Händen der Gestalt. Der Junge schaut erst völlig überrumpelt, dann wirft er sich zu Boden. Die erste Salve zischt über ihm hinweg und prasselt gegen die Wand. Während der Tod noch mit dem Nachladen beschäftigt ist, schmeißt sich der Junge nach vorne und reißt den Mann zu Boden. Dieser jedoch ist um einiges stärker als der Jugendliche, was sich daran zeigt, dass er nach einem kurzen Gerangel auf dem Rücken des Jungen thront. Er tätschelt kurz den Kopf des Verlierers. »Endlich gibst du mal Ruhe...«
Der Teenager packt die Hand, zieht sie nach vorne und beisst kräftig in einen der Finger. Der Tod schreit erschrocken und voller Schmerzen auf. Der Junge nimmt die Chance sofort wahr und schafft es tatsächlich, den Mann von sich abzuwerfen. Wütend springt er auf und tut einen drohenden Schritt auf die Gestalt zu.
»Ähem.«
Er bleibt wie angewurzelt stehen, dreht sich langsam um.
Der Engel steht hinter ihm, ein schiefes Lächeln im Gesicht. »Hallo.«
Dem Jungen sieht man nur allzu gut an, dass er keinen blassen Schimmer hat, was er jetzt tun soll. Seine Augen sind freudig geweitet, doch sein Mund ist fest verschlossen.
Der Tod nimmt ihm eine Entscheidung ab, indem er den Jungen kräftig auf den Kopf haut.
»Au!«
»Den hatte ich noch gut.«
Der Gepeinigte reibt sich die schmerzende und pochende Stelle. »Du kannst mich mal gern haben... das ist das letzte Mal, dass ich dir helfe.«
»Von mir aus.« Der Tod geht grinsend auf den Engel zu, der ihn erwartungsvoll anschaut. »Gott hat mich hierher beordert, ich soll den ganzen Papierkram erledi-«
»Er steht ganz schön auf dich, weißt du das?«
Das Mädchen schweigt abrupt und schaut erst den Tod, dann den Jungen an, der ebenso verblüfft zurück sieht. Sie wendet sich schließlich an die hagere, nach wie vor grinsende Gestalt. »Pardon?«
»Na ja, so sehr, dass er gerne... du weißt schon was.«
Der Engel holt aus, dann verpasst sie ihm eine kräftige Ohrfeige. Der Tod weicht zurück und hält sich die Wange, auf der sich einige Striemen abzeichnen. »Verdammt! Was soll das denn?!«
Der Junge hingegen lacht nur laut. »Selbst schuld, du Trottel... Kennst dich wohl nicht mit Mädchen aus, was?«
»Sei ruhig.« Die Stimme des Engels klingt gebieterisch und duldet keine Widerrede. Der Junge verstummt sofort und geht rückwärts zu seinem Bett, um sich darauf zu setzen und die Szene weiter zu verfolgen. Währenddessen tritt das Mädchen noch einen Schritt näher an den Tod heran. »Du weißt, was du zu tun hast. Was machst du noch hier?! Was soll überhaupt dieses hässliche Outfit?! Willst du ´ne Vogelscheuche spielen oder was!«
»Jetzt bleib mal locker, du Göre! Du hast mir gar nichts zu sagen!«
»Geh und mach deinen Papierkram! Mir ist die Lust vergangen, deinen Dreck zu erledigen!«
»Aber du musst -«
Das Mädchen holt erneut aus. Mit einem ängstlichen Fiepen duckt sich der Tod weg, dann verschwindet er unter Bildung einer Rauchsäule, die hinterher von einem plötzlich im geschlossenen Raum entstehenden Windböe weggetrieben wird.
Der Engel kommt schwer atmend auf den Jungen zu, der sicherheitshalber kein Wort sagt. Sie lässt sich neben ihm nieder, starrt nur nach vorne.
Der Junge lugt sie vorsichtig von der Seite an. Als hätte sie darauf gewartet, schaut sie ihm direkt in die Augen und faucht ihn an: »Ist was?!«
»Nein, nichts.« Sofort wendet sich der Junge von ihr ab, doch sie schaut ihn noch immer an. »Stimmt das, was er gesagt hat?«
»Nein, natürlich nicht!« Man kann der Stimme die Entrüstung anhören.
»Du willst also nicht?«
»Nein!«
»Und mich mögen tust du also auch nicht?«
»Nein! Äh, doch!«
»Was jetzt?«
Der Junge sieht sie verständnislos an. »Was wird das jetzt überhaupt?«
»Es ist egal. Ich muss ohnehin wieder gehen.« Mit einem kühlen Gesichtsausdruck steht sie auf und geht in die Mitte des Raumes. Der Junge schaut ihr hinterher.
»Eluvîn...«
Sie bleibt stehen, dreht sich jedoch nicht um. »Ja?«
Hätte ihre Stimme die Umgebung beeinflusst, so wäre mit einem Schlag das Zimmer komplett mit Schnee gefüllt gewesen.
»Willst du nicht noch ein wenig bleiben?« Diesmal klingt seine Stimme hoffnungsvoll.
Er blinzelt kurz.
Sie ist verschwunden.
Seine Augen huschen hin und her, finden sie jedoch nirgends. Enttäuscht lässt er sich nach hinten auf die Matratze fallen. Seine Gedanken kreisen um den Engel, der so wunderschön ist wie nichts, das er jemals gesehen hat.
Wind pfeift leise durch die Ritzen. Sofort springt der Junge auf, schaut sich um.
Eine hagere Gestalt erscheint mitten im Raum, unter dem Arm einen ganzen Pack Papier und nun nicht mehr in lässiger Klamotte, sondern in einem Anwaltsanzug.
»Wo ist dieses Kampfweib hin?!«
Der Junge schaut den Tod hasserfüllt an. Dann erinnert er sich an das MG. Sofort schnappt er es sich, es liegt ja gleich neben ihm, und richtet es auf den Mann. »Verzieh dich, oder ich knall dich gleich ab.«
»Holla, da ist wohl jemand geladen!« Die Klamotten verschwinden mitsamt dem Papier, und der Tod steht wieder als bleiches Skelett mit Umhang vor ihm. »Versuch doch jetzt mal, mich zu treffen.«
Der Junge zögert keinen Moment und drückt ab. Ein Hagel von Kugeln rast dem Schädel entgegen, einige verschwinden in den Augenhöhlen.
»Aaah! Aua! Verdammte ******!!«
»Treffer, versenkt.«
»Ach, halt doch dein Maul...«
»Hau du lieber ab!«
»Was ist denn los?«
»Was los ist?!« Der Junge schaut ihn an, als sei das Gerippe verrückt geworden. »Du hast gerade meine Liebe verkrault!«
»Wirklich?« Der Tod kratzt sich kurz am Kinn, dann grinst er breit. »Habe ja ganze Arbeit geleistet.«
»Ja, hast du wirklich... Sie will sicherlich nie wieder was mit mir zu tun haben. Danke.«
»Bitte, bitte. Gern geschehen. Immer wieder.«
»Halt´s Maul.«
Der Tod lacht leise. »Meine Güte, sie ist ein Engel. Sie wird dich verstehen.«
»Sie ist nur ein Mädchen.«
»Ein Mädchen, das zuhau´n kann.«
»Ein Mädchen, das Gefühle hat. Weißt du überhaupt, was das ist?«
»Hey, das ist unter der Gürtellinie.« Der Tod schaut den Jungen gekränkt an. »Ich wollte das nicht, aber ich war noch ein wenig geladen von der Auseinandersetzung mit Gott. Tut mir Leid.«
»Dein Mitleid bringt mir einen feuchten Dreck.«
»Ich könnte ja zu ihr gehen und -«
»Halt dich bloß von ihr fern. Du hast schon genug Mist gebaut.«
»Na gut, dann eben nicht...«
Eine Träne kullert über die Wange des Jungen. Dem Tod ist inzwischen das Grinsen vergangen. »Sie mag dich. Mindestens genauso viel wie du sie.«
»Ja, klar. Und jetzt hält sie mich für einen Volltrottel. Dank dir.«
»Glaube ich nicht.«
»Und warum nicht?« Der Junge schaut die Gestalt wütend an. Eine weitere Träne rennt zu seinem Kinn und fällt von dort aus in seinen Schoß.
»Ich habe da so eine Ahnung...«
»Ich verzichte auf deine Ahnungen.«
»Aber -«
»Geh einfach.«
»Aber -«
»Geh!«
Das Skelett zuckt mit den Überresten seiner Schultern. »Bitte, wie du meinst.« Mit einem weiteren, leisen 'Plopp' ist er verschwunden.
Mit tränenverschmierten Augen schaut der Junge auf seinen Wecker. Halb zwei. Er wischt sich schnell mit dem Armrücken über das Gesicht, dann steht er auf und tritt kräftig gegen den Stuhl, der neben seinem Bett steht.
»Was wird das denn, wenn´s fertig ist?«
»Schnauze, Gott.«
Der Hamster schaut ihn beleidigt an. »Jetzt werd´ mal ruhig hier! Was ist los?«
»Eluvîn ist wütend auf mich.«
»Nicht nur auf dich. Sie hat mir einen Shishatopf an den Kopf geschmissen, als ich sie fragte, was ihr fehlt.«
»Shishatopf?« Ein Blick zu seiner Wasserpfeife genügt dem Jungen, um zu wissen, dass etwas nicht an dem Platz ist, wo es eigentlich sein sollte. Er seufzt leise. »Ja, sie glaubt, ich wollte mit ihr schlafen...«
»Wolltest du doch auch.«
»Halt die Schnauze, oder ich mache auch vor meinem Hamster nicht Halt!«
»Kann man denn hier nicht mal mehr einen Scherz machen?«
»Nein.«
»Hm.«
»Hm.«
»Hmm.«
»Hmmm.«
»Hmmmm.«
»Halt´s Maul.«
Der Hamster quiekt belustigt. »Du bist ganz schön doof, weißt du das?«
»Und das aus dem Mund Gottes?«
»Du hast angefangen.«
»Ich hab angefangen?«
»Hast du.«
»Ich?«
»Ja, du hast angefangen.«
»Ganz sicher ich?«
»Ja! Du!«
»Hm. Kein Zweifel möglich?«
»Sandji, halt´s Maul.«
»Du auch, Eluvîn.«
Der Hamster sagt kein Wort mehr. Stattdessen steht er starr da. Nur einen Augenblick später steht das Mädchen vor dem Jungen. Ihre Flügel spreizen sich weit aus. Sie schaut ihn erstaunt an. »Woher wusstest du, dass ich es bin?«
»Weil du meinen Künstlernamen kennst. Nur du. Jedenfalls, was die Leute da oben betrifft.«
»Aha.«
»Warum bist du zurückgekommen?« Diesmal klingt seine Stimme kalt und abweisend.
Sie lächelt ihn unsicher an. »Wolltest du es nicht so?«
»Ja. Vor drei Minuten.«
»Und jetzt?«
»Weiß nicht.«
»Hm.« Sie schaut ihn lange an, er weicht ihrem Blick aus. Schließlich meint sie: »Ich weiß, dass du das vorhin nicht Ernst meintest.«
»Hm.«
»Ja.«
»Schön für dich.«
»Äh...« Sie blickt ihn ein wenig verzweifelt an. »Hey, das vorhin war nicht böse gemeint.«
»Hm.«
»Jaa...«
»Es hat weh getan.«
»Was?«
»Deine Worte.«
Ihr Lächeln, dass sie nur mit Mühe hatte aufrecht halten können, verschwindet vollkommen. Sie streckt ihre Hand nach ihm aus, doch er weicht zurück. Ihr Arm sinkt wieder. »Es war nicht so gemeint...«
Sie kann seine Stimme fast nicht verstehen, so leise spricht er. »Es hat mich trotzdem verletzt. Unbedachte Worte können unbedachte Folgen nach sich ziehen.«
»Dann lass es mich wieder gut machen.«
»Du willst es wieder gut machen? Dann geh.«
Sie schaut ihn erschüttert an, dann festigt sich ihre Miene wieder. »Nein.«
»Nein?«
»Nein. Ich komme doch nicht den Weg hierher, verwandle mich in deinen Hamster und kaue dir auch noch dein Ohr an, nur damit ich hier eine Abfuhr von dir kassiere!«
»Mir erging es doch nicht anders.« Er dreht sich vollends um und geht langsam zurück zu seinem Bett. Dort setzt er sich auf die Kante und lässt sein Gesicht in den Händen versinken.
Der Engel bleibt stehen. Die Flügel sind zusammengefaltet, und sie blickt ihn traurig an. »Es war doch nicht so gemeint...«
Seine Stimme dringt nur gedämpft hervor. »Geh. Bitte.«
Einen Moment überlegt sie, dann kommt sie auf ihn zu und setzt sich neben ihm hin. Als sie jedoch ihre Hand auf seine Schulter legen will, rutscht er ein Stück von ihr weg. Seufzend sieht sie ihn an. »Du bist beleidigt, wahrscheinlich auch gedemütigt. Was kann ich machen?«
»Mich nicht anfassen und verschwinden.«
»Ich gehe nicht.«
»Warum nicht?«
»Einmal, um dich zu necken. Und dann noch, weil ich dich mag.«
»Wenn du mich wirklich magst, dann geh.«
»Willst du hier einen auf Schmierenkomödie abziehen oder was?«
»Ja. Nein. Vielleicht...«
»Kannst du dich mal entscheiden?«
»Kannst du nicht einfach gehen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Habe ich schon gesagt.«
»Hm.«
Sie streckt erneut seine Hand nach ihm aus. »Sandji...«
»Nein.«
Ihr Arm senkt sich wieder. Sie schaut ihn kurz an, dann lächelt sie wieder. Ihr Flügel spreizt sich und umhüllt den Jungen. Dieser hält noch immer sein Gesicht bedeckt, doch er tut nichts dagegen.
So sitzen sie eine Weile nebeneinander. Irgendwann unternimmt sie einen neuen Anlauf. »Es tut mir wirklich Leid.«
Der Junge erwidert nichts.
»Hätte ich geahnt, dass es so endet, dann hätte ich mich niemals so aufgeführt. Es war... nur ein Spaß.«
»Hm.«
»Ja. Genauso wie damals im Himmel. Weißt du noch?«
»Mhm.«
»Schau mich an.«
»Nope.«
»Bitte.«
Keine Reaktion.
Sie rutscht ein Stückchen an ihn heran. »Gib dir ´nen Ruck.«
Tatsächlich senken sich seine Hände. Sie blickt in seine rot geränderten Augen, lächelt über seine Locken, die überall auf dem Kopf herum hängen. Nimmt seine Hände, die nass sind.
Auch er lächelt jetzt. »Deine Flügel sind echt warm.«
Sie lacht leise. »Danke. Und du bist leicht beleidigt und ein totaler Dickkopf.«
»Bitte, keine Komplimente.«
Sie kichert erneut, sieht ihn erfreut an. »Schön, dass wir wieder miteinander reden.«
»Mir bleibt doch nicht viel anderes übrig, oder?«
»Stimmt.« Sie rutscht noch näher an ihn heran, kuschelt sich an ihn. Er legt seinen Arm um ihre Schulter, lehnt seinen Kopf an ihren. Sie schnurrt leise und zufrieden wie eine Katze. »So könnte ich eine halbe Ewigkeit sitzen.«
»Ich sogar eine ganze.«
Sie kichert wieder. Kuschelt sich noch mehr an ihn. Ihr Flügel ummantelt sie beide.
Der Junge drückt ihr einen feuchten Kuss auf die Stirn, lächelt sie an. Streicht ihr sanft durch das lange Haar.
Wind kommt auf. Eine hagere Gestalt steht im Raum und schaut sich verblüfft um. »Das ist nicht London...«
»Nein, Tod, du bist hier falsch.«
Er schaut die ineinander Verschlungenen überrascht an. »Oh. Entschuldigung. Mein GPS spinnt wohl ein wenig...«
»Du brauchst nicht lügen. Schwirr einfach wieder ab.«
»Aber immer doch, Chef.« Er grinst den Jungen breit an, dann verschmilzt er mit dem Schatten und ist verschwunden.
 
Engel

Vögel zwitschern leise in den Bäumen. Ein leichter Wind weht durch die Blätter, lässt sie rascheln. Zaubert ein prächtiges Farbenmeer herbei.
Der Junge geht langsam den Weg entlang, der bereits voller Laub liegt. Der Herbst hat Einzug gehalten und kam mit all seiner Pracht.
Lächelnd schaut er auf seine Füße, die sich durch die Blätter wühlten. Die Sonne scheint warm auf ihn herab. Obwohl es sehr kalt ist, geht der Junge im T-Shirt herum. Es ist weiß, und auf dem Rücken steht: 'Greets from Heaven'.
Eine ältere Frau kommt ihm entgegen. Sie führt an ihrer Hand ein kleines Kind, ein Mädchen, welches ihn mit großen Augen anschaut. Auch ihre Mutter schaut den Jungen an, doch schüttelt leicht den Kopf. »Was den Leuten nur einfällt, rennen rum, als sei es Sommer...«
»Mama! Hast du gesehen? Der Junge hatte Flügel!«
»Du sollst nicht dauernd solchen Quatsch erzählen!«
Das Mädchen dreht sich um. »Aber schau doch! Er hat -«
Die Frau wendet ebenfalls genervt. »Luise, noch ein solches Wort und...« Sie schaut auf.
Der Weg, den sie gekommen war, ist vollkommen leer. Ein wenig beunruhigt schaut sie sich um. »Aber... wo ist denn der Junge hin?«
Das Mädchen hüpft auf und ab. »Da ist er doch! Da, schau, Mama!«
Der Junge grinst breit und kommt auf das Mädchen zu. Vor ihr geht er in die Hocke und schaut sie breit lächelnd an. »Na, meine Kleine, wie geht´s dir denn?«
Sie lacht erfreut. »Ich bin doch nicht klein!«
Die Frau schaut zu ihrer Tochter hinab. »Was hast du gesagt?«
»Der Junge hat gesagt, ich sei klein!«
»Luise, der Junge ist hier nirgends. Hör auf mit deinen blöden Lügereien, oder du bekommst daheim den Kochlöffel zu spüren!«
»Aber Mama -«
»Sie kann mich nicht sehen. Und auch nicht hören.« Der Junge lächelt nach wie vor das Kind an. »Sie ist schon zu groß und glaubt nicht mehr an Wesen wie mich.«
Das Mädchen will gerade etwas sagen, als er ihr schnell den Finger auf den Mund legt. »Nein, du sagst besser nichts, oder deine Mutter wird wütend. Es reicht, wenn du denkst. Ich kann dich auch so verstehen.«
»Wirklich?«
»Natürlich! Oder zweifelst du etwa daran?« Er fährt ihr lachend durch die Haare. Auch das Mädchen grinst breit. »Was bist du denn?«
»Na, siehst du meine Flügel nicht?« Um sie noch ein wenig hervor zu heben, breitet der Junge seine weißen Schwingen vollkommen aus.
»Bist du ein Engel?«
»Ganz genau.«
»Ich dachte immer, Engel seien nur Mädchen!«
Der Junge lächelt. »Nun, es gibt tatsächlich viele Mädchen oben im Himmel.« Er geht neben ihr her, denn ihre Mutter hat sich bereits wieder in Bewegung gesetzt.
»Und was machst du hier?«
»Ich passe auf dich auf.«
»Dann bist du also mein Schutzengel?«
»Nein. Aber ich kam gerade des Weges und ich habe das ungute Gefühl, dass euch gleich etwas zustößt.«
»Was denn?«
»Bleib stehen. Sofort.«
Das Mädchen stoppt abrupt. Die Mutter zieht genervt an der Hand des Kindes. »Luise, komm endlich mit, oder -«
Ein schwerer Ast knallt direkt vor der Frau auf den Boden. Sie schreit erschrocken auf, betrachtet fassungslos das Stück Holz, welches sie ohne weiteres erschlagen hätte.
Das Mädchen quiekt vergnügt auf. »Der Engel hat es mir gesagt!«
Verwirrt blickt die Frau das Mädchen an. »Welcher Engel?«
»Der, der gerade weg geht!«
Die Augen der Frau folgen dem ausgestreckten Arm des Kindes.
Auf dem Weg steht wieder der Junge. Seine Hände hat er eingesteckt. Die Mutter erblickt die weißen Schwingen auf seinem Rücken, keucht erstaunt und gleichzeitig entsetzt auf.
Dann blinzelt sie nur ein einziges Mal.
Der Junge ist verschwunden.
Er ist wieder in die andere Ebene eingetaucht. In die Ebene, in der nur wenige Leute ihn sehen können.
Leute wie der Tod, welcher gerade neben ihm auftaucht. Diesmal hat er wieder seinen Anwaltsanzug an. Lächelnd betrachtet er den Jungen. »Habe schon gehört, was passiert ist.«
»Hm.«
»Hoffe, deine Eltern haben es verkraftet.«
»Na ja. Die Frage ist wohl eher, wie reagiert man am besten darauf, dass der Sohn plötzlich tot im Bett liegt?«
»Aber sie wissen doch, dass du lebst? Wenigstens in einer anderen Ebene?«
»Natürlich wissen sie es. Ich komme jeden Morgen zum Frühstück zu ihnen.« Der Junge grinst breit. »Du hättest mal meine Mutter sehen sollen, als sie mich zum ersten Mal gesehen hat, mit den riesigen Flügeln...«
»Kann´s mir vorstellen.«
»Mein Bruder hat gedacht, er spinnt. Und meine Schwester ist schreiend davongerannt, als sie mich gesehen hat.«
»Mhm. Und dein Vater?«
»Der hat gemeint, ich solle mich verziehen, wer auch immer ich sei. Hat ´n ganz schönes Stück gebraucht, bis er mich erkannt hatte. Nur Mama hat sofort gewusst, wer ich bin.«
»Was hat sie gemacht?«
»Hat geweint. Und dann gelacht. Über meine Haare gemeckert.« Verärgert zerstrubbelt der Junge seine Mähne noch ein wenig mehr. »Wenigstens kann sie mir jetzt nicht mehr die Frisur schneiden.«
»Was war mit deinem Bruder?«
»Der hat sich auch schnell gefasst. Hat gemeint, dass es absolut genial sei. Ich soll für ihn da oben nach ´ner süßen Freundin Ausschau halten.«
»Und, schon gemacht?«
»Ja. Da oben wollte ihn keiner. Aber ich habe per Zufall erfahren, dass es ´n Mädchen gibt, das ihn ganz doll mag. Sie sind jetzt zusammen.«
»Also ist er auch zufrieden?«
»Jop. Nur meine Schwester nicht. Die meint dauernd, ich soll im Himmel nach Leuten wie Albert Einstein und den ganzen anderen suchen, damit sie ihr endlich mal verklickern können, wie dies und das funktioniert.«
»Ist doch eigentlich ganz gut, oder?«
»Schon. Nur haben besagte Leute keinerlei Lust, ihr zu helfen. Wundert mich übrigens kein bisschen.«
»Was hat Eluvîn gesagt?«
»Zuerst war sie sprachlos. Danach hat sie sich irrsinnig gefreut. Können jetzt ja immer zusammen sein. Solange wir wollen.«
»Hast du schon irgendeinen festen Auftrag bekommen?«
»Ja. Bin Schutzengel für jeden. Passe eben ein wenig auf, dass nicht so viele draufgeh´n.«
»Sehr zartfühlend gesagt. Schon irgendwas großartiges gemacht?«
»Kann man wohl sagen. War im Irak. Habe versucht, so viele Leute wie nur möglich zu retten. Auf beiden Seiten.« Die Schwingen rascheln leise, als sie nach vorne gebeugt werden. Schwarze Flecken sind darauf zu sehen. »Die Kugeln haben zwar nicht weh getan, aber dafür hinterlassen sie ihre Abdrücke.«
Der Tod schlägt dem Jungen freundschaftlich auf die Schulter. »Jeden Tag eine gute Tat. Aber dass du ein Engel geworden bist... Ich hätte niemals gedacht, dass du so etwas tun würdest. Meine Hochachtung.«
»Jaa. Ich genieße ja haufenweise Sonderrechte. Darf mich sichtbar machen, so oft und so lange ich will. Dadurch wissen meine ganzen Freunde, dass ich noch immer lebe. Wir zocken nach wie vor via Internet ´n paar Games.«
»Und Gott meckert nicht?«
Der Junge grinst breit. »Gott ist echt in Ordnung. Ziemlich genialer Kerl. Er hat gemeint, das Einzige, was er wolle, ist, dass Eluvîn ihn endlich mal ein wenig in Ruhe lässt. Und das ginge eben am besten, indem er mich hoch holt. Und damit das klappt, hat er versprochen, mir jeden Wunsch zu erfüllen.«
Der Tod schaut den Jungen zweifelnd an. »Nur wegen Eluvîn?«
»Na ja, nicht nur. Er hat gemeint, er braucht dort oben jemanden, der sich mit PC´s auskennt. Er will anfangen, WoW zu zocken. Und da oben gibt es anscheinend keinen, der ihm das richtig erklären kann.«
»Wirklich? Auf welchem Server?«
»Glaube, Mal´Ganis.«
»Perfekt! Da habe ich meinen untoten Schurken!« Der Tod reibt sich breit lächelnd die Hände. »Ich glaube, ich werde einen gewissen Alli ein wenig dauercampen...«
»Yeah, whatever, Dick.«
»Aber, sag mal.« Der Tod kratzt sich nachdenklich an dem Kinnbärtchen, das ihm gerade gewachsen ist. »Nur wegen so etwas wirst du doch kein Engel.«
Der Junge geht schweigend weiter.
»Ich meine, Gott hätte mich fragen können... Da fällt mir ein, Gott hat nicht mal einen Computer...«
Der Mann schaut den Engel mit zusammengekniffenen Augen an. »Willst du mich veräppeln?«
»Wenn schon.«
»Was heißt hier, 'wenn schon'? Was ist los?«
»Nichts, was dich etwas angehen würde.«
»Ich kenne dich inzwischen! Was ist los mit dir?«
»Lass mich doch in Ruhe!« Verärgert schwingt sich der Junge in die Luft, nur um festzustellen, dass der Tod neben ihm herschwebt. »Ich bin dein Freund, schon vergessen?«
»Ich brauch deine Freundschaft nicht! Lass mich einfach in Ruhe!«
»Ist was mit Eluvîn? Oh, lass mich raten: Sie hat einen anderen?«
Die Faust reißt seinen Kopf herum und lässt den Tod unkontrolliert nach unten trudeln, bis er sich wieder gefangen und an Höhe gewonnen hat. »Geht´s dir noch gut?!«
Der Junge antwortet nicht. Er spricht nur ein Wort, und unter einem hellen Lichtblitz ist er verschwunden.
 
Finds Klasse!!!
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gleich sofort in nen word dokument kopiert (keine angst ich werds weder verkaufn noch sonstiges ^^) weil sonst find ich das hier nie wieder... großes kompliment an dich!
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gibts davon auch teil 2 ?^^ komm schooon
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los leute^^ zwingen wir ihn^^ SAMMELT UNTERSCHRIFTEN^^
grüße
Ishani
 
Hi Ishani,

Verkaufen könntest Du es ohnehin nicht mehr. Inzwischen steht die Story in vier oder fünf verschiedenen Foren. Eine Geschichte, die bereits so 'präsent' ist, würde kein Verlag der Welt nehmen. *zwinker*

Danke für den Kommentar. Auch wenn ich das Unterschriftensammeln doch als ein wenig drastisch betrachte... also immer mit der Ruhe.
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Versuchtes Ende


Der Tod seufzt leise, wärhend er sich mit wehendem Umhang der Wolke nähert. Als er sie erreicht, lässt er sich nieder und blickt hinab auf die Erde.
Ein winziger grauer Fleck erscheint, verschwindet sogleich wieder.
Noch eine Bombe... diese dummen Dschihads werden so gar nichts erreichen.
»Was suchst du hier?«
Der Tod lächelt. »Ich schaue nur hinunter. Und du?«
»Ich komme gerade von unten.«
Der Mann wendet sich dem Engel zu, welcher neben ihm sitzt. »Was hast du denn da unten getrieben? Bist total schwarz.«
»War mitten drin.«
»Wo drin? In ´nem Schornstein?« Er grinst breit.
»Mitten in dieser Explosion.«
»Oh... Entschuldige.«
»Ich habe dich was gefragt.«
»Ich dich auch.«
Der Junge starrt nach wie vor nach unten, antwortet nicht. Schließlich unternimmt der Tod einen neuerlichen Anlauf. »Was ist mit dir los? So leise und schweigsam habe ich dich nie erlebt.«
Keine Reaktion.
»Geht´s dir gut?«
Noch immer nichts. Nach wie vor schaut der Junge hinab.
»Kann ich irgend etwas für dich tun?«
»Ja. Aufhören, Fragen zu stellen.«
»Verdammt! Das ist immer deine Antwort, keine Fragen!« Der Tod springt auf. »Dich macht irgend was zu schaffen!«
»Es ist mein Problem. Nicht deines.«
»Aber ich will dir helfen!«
»Ich will deine Hilfe nicht.«
Einen Moment lang sieht der Tod aus, als wolle er dem Jungen gleich umbringen, doch dann dreht er sich um. »Von mir aus, dann eben nicht.« Er stapft davon, geht direkt auf das nächste Haus zu und verschwindet darin, nur um sich in einem kleinen Raum wieder zu finden. Noch immer aufgebracht lässt er sich auf das weiche Sofa fallen, welches in einer Ecke steht, und brummt vor sich hin.
»Sandji?«
»Der kann mich mal.«
Ein weiterer Engel tritt ein und erblickt eindeutig überrascht den Mann. »Aber... Was machst du denn hier?«
»Könnte ich dich doch auch fragen.«
Eluvîn kommt besorgt auf ihn zu. »Sag mal, weißt du, wo Sandji ist? Ich suche ihn schon seit einer halben Ewigkeit...«
»Wieso das denn?«
»Ich weiß nicht. Er ist so... seltsam.« Verzweifelt wedelt sie mit ihren Händen herum. »Ich mache mir Sorgen. Verdammt große Sorgen um ihn.«
»Schau einfach nach einer schwarzen Vogelscheuche, die hier herumwackelt, dann weißt du, dass er es ist.«
»Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt!«
»Ich auch nicht!« Der Tod schaut sie genervt an. »Ich habe ihm meine Hilfe angeboten, aber er rückt ja mit Nichts raus!«
»Weißt du wenigstens, wo er jetzt sein könnte?«
»Bis vor kurzem saß er noch draußen und hat was geschwafelt von wegen, er sei hochgegangen.«
»Hochgegangen? Wohin?«
»Mit einer Bombe.«
»Oh... Da draußen?«
»Genau da. Warte -«, er steht auf und eilt ihr hinterher, »Ich komme sicherheitshalber mal mit. Wer weiß, was der Kerl wieder vor hat...«
»Dann beeil dich!« Eluvîn ist schon durch die Tür verschwunden. Als sie hinaus tritt, entdeckt sie tatsächlich den Jungen, wie er noch immer am Rande der Wolke da sitzt. Behutsam kommt sie auf ihn zu. »Hey...«
Er reagiert noch immer nicht. Verunsichert nähert sie sich ihm noch mehr. »Wie geht´s dir so?«
»Beschissen.«
»Oh... wieso?«
»Weiß ich selbst nicht.« Sie sieht nur seinen Rücken, doch die Stimme trieft geradezu vor Trauer. »Ich sehe so viel Tod und Elend...«
»Hast du was gegen Tod oder wie?« Der in Schwarz gekleidete Mann tritt ebenfalls heran.
»Halt die Schnauze.«
»Jetzt hör mal zu, mein Freundchen -«
»Du hörst mir zu!« Der Junge springt auf und dreht sich zu ihnen herum. Sein Gesicht ist rot vor Zorn, ein paar Tränen laufen noch seiner Wange hinab. »Du gehst da runter und schaust mal kurz bei den bereits Verstorbenen vorbei! Du siehst nur ihre Seelen! Verdammt, ich sehe, wie sie sterben!«
Der Tod schweigt betroffen, ebenso wie der Engel, welcher neben ihm steht.
»Ich gehe da runter und versuche, so viele wie nur möglich von ihnen zu retten. Wozu denn? Glaubst du, die lernen was dazu? Am nächsten Tag rennen sie wieder mit ´ner Knarre in der Hand herum und glauben, sie müssten einen auf Superman machen, um in ihr Paradies zu kommen!«
Das Mädchen geht noch näher heran. »Ich kenne das -«
»Du kennst es nicht. Du warst nie da unten, Eluvîn. Du warst nie dabei, wenn einer stirbt und du zusehen musst.«
Sie beißt sich auf ihre Unterlippe, starrt auf den weißen Untergrund. »Aber das passiert eben. Wir können nichts dagegen unternehmen.«
»Ich schon.«
Sie schaut auf. »Was willst du tun?«
Erst blickt er betreten auf den Boden, dann dreht er sich gemächlich um. Tränen stehen in seinen Augen, doch seine Miene ist überzeugt und fest.
»Ich sterbe.«
Erst starrt sie ihn an, dann lächelt Eluvîn verunsichert. »Das geht nicht. Du bist ein Engel.«
Er macht einen Schritt zurück.
»Nicht!« Ihre Augen weiten sich vor Entsetzen.
»Warum nicht?« Er schaut sie beinahe neugierig an. »Ich bin doch ein Engel. Was soll schon passieren?«
»Warum tust du das?« Sie blickt ihn an, völlig entsetzt. »Warum tust du mir das an?«
Er lächelt gezwungen. »Weil ich das hier nicht mehr tun, das alles da unten nicht mehr sehen will.«
»Aber ich liebe dich!«
»Ich dich zwar nicht«, der Tod grinst breit, »aber so einen Freund wie dich finde ich nicht wieder.«
Der Junge hebt die Hand. »War ´ne schöne Zeit mit euch.«
Eluvîn springt nach vorne, versucht, sein T-Shirt zu krallen.
Zu spät.
Wie erstarrt blickt sie ihm hinterher, wie er kleiner und kleiner wird, dem blauen und grünen Ball entgegen fliegt.
Der Tod tritt neben dem Mädchen, dass noch immer fassungslos in die Tiefe schaut. »Hm. Ist ein guter Kerl...«
Wie in Zeitlupe wendet sie sich ihm zu, dann holt sie aus und verpasst ihm einen kräftigen Schlag in den Magen. »Was soll das heißen?!«
Sie schlägt ihm noch einmal in den Bauch, auch wenn das dem Tod nichts ausmacht. Er lächelt noch immer sanft. Eluvîn hingegen hämmert auf ihn ein. »Was soll das heißen, er ist ein guter Kerl?! Verdammt, er ist weg! Weg!« Ihre Schläge werden schwächer, Tränen erscheinen in ihren Augen. Schließlich lässt sie sich gegen den Tod fallen und schluchzt nur noch hemmungslos.
Der Mann legt ihr vorsichtig den Arm um. »Ja, er ist weg. Aber er ist auch hier.«
»Wie?« Sie schaut auf, ihre Augen sind rot gerändert. »Was soll das heißen?«
»Nun... er ist ein Engel.«
»Aber er ist auf die Erde gestürzt!«
»Und was weiter?«
»Tramon, Rengu, Laîra... sie sind alle hinunter gesprungen. Man hat sie nie mehr gesehen.«
»Und woran mag das liegen?«
»Daran, dass sie tot sind!«
»Ähm... nein?«
Eluvîn schnieft laut. »Nein?«
»Nein. Wenn sie tot wären, würde ich das wissen.« Der Tod grinst breit.
»Aber... wo sind sie denn dann alle?«
»Nun... die gurken irgendwo da unten rum.« Er nickte in Richtung der Erde. Argwöhnisch wurde er von dem Engel betrachtet. »Und das soll stimmen?«
»Überzeug dich doch selbst.«
Sie schaut ihn noch einmal kurz an, dann sprang sie von den Wolken und raste in die Tiefe.
Der Tod sieht ihr hinterher. Er lächelte leicht. »Sandji, Sandji, das wird eine böse Überraschung für dich...«
Die Luft zischt um ihr herum, Eluvîn kann weder etwas hören noch etwas sehen. Doch ihr Gefühl sagt ihr, dass sie nicht mehr weit von der Erde entfernt ist. Ihre Flügel spannen sich auf, und wie ein riesiger Vogel schwebt sie hinab. Die Tränen, welche noch vor kurzem auf ihrer Haut klebten, sind von dem Wind getrocknet worden.
Mit einem zaghaften Flügelschlag landet sie auf dem kahlen Boden. Sie steht am Rande eines kleinen Kraters. Als sie hineinschaut, kann sie nichts von dem Objekt erkennen, dass ihn verursacht hat. Hoffnung steigt in ihr auf. Vielleicht... lebt er ja tatsächlich noch. Aufgeregt blickt sie um sich, dann schwingt sie sich erneut in die Lüfte und flattert los.

*****

So ein Mist...
Der Junge sitzt auf der Klippe und schaut auf das schäumende und wilde Meer hinab.
Er kann noch immer nicht glauben, was passiert ist...
Der Weg zur Erde war höllisch gewesen. Alles an ihm hatte gebrannt, seine Kleidung, seine Haare, selbst seine Flügel. Und doch hatte er sich dabei irgendwie glücklich gefühlt. Immerhin würde er sich bald um nichts mehr kümmern müssen, er wäre einfach weg, weder im Himmel noch sonst wo...
Der Einschlag hatte gar nicht mehr weh getan.
Doch anstatt einfach erlöst zu werden, musste er feststellen, dass er sich beinahe zwei Meter in den einigermaßen weichen Boden gebohrt hatte. Kurz nachdem er sich befreit hatte und sich noch fragte, warum seine Seele nicht befreit wurde, war ihm eine rote Ziege auf zwei Beinen mit schwarzem Bart erschienen und hatte sich als der Leibhaftige persönlich vorgestellt. Und dieser Leibhaftige hatte ihm klipp und klar verständlich gemacht, dass er nicht mehr sterben könnte. Es sei denn, er würde einen Pakt mit ihm eingehen.
Der Engel hatte da nur müde gelächelt. Und als er nach dem Haken an der Sache gefragt hatte, musste der Teufel damit herausrücken, dass nach einigen Jahren die Seele des Engels wieder zurückkehren und in seine Dienste treten würde. So hatte der Junge den überaus großzügigen Vorschlag mit viel Dank abgelehnt.
Nun sitzt er hier. Seine Flügel sind bereits nachgewachsen. Sie kommen ihm beinahe noch schöner vor als vorher. Wenigstens eine Bitte hatte ihm der Teufel erfüllt. Seine Federn weisen schwarze Spuren auf, die nicht von Kugelhageln herrührten.
Der Junge lächelt leicht und zieht seine Beine an. Ich kann also nicht sterben... jedenfalls jetzt noch nicht. Ich werde demnach das Beste aus meinem Leben machen müssen.
Er beobachtet, wie die blutrote Sonne im Meer untergeht. Der Anblick hätte selbst Gott erfreut, wenn dieser nicht gerade damit beschäftigt gewesen wäre, zwei verschwundene Engel zu finden.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Begegnung

Ein Mädchen sitzt einsam am Bordsteinrand. Sie fährt sich aufgebracht durch das blonde Haar, schaut immer wieder der Straße entlang. Beinahe so, als würde sie auf etwas warten. Ihre tiefen blauen Augen trüben sich ein wenig. Die alte Leggins, die sie trägt, ist dreckig, genauso wie das T-Shirt.
Ein Schlurfen ertönt, dicht gefolgt von einem leisen Kratzen.
Verwundert schaut das Mädchen auf. Ihr gegenüber sitzt ein Junge. Vielleicht 16 Jahre alt, blondes, lockiges Haar, mit einer Brille. Kein Hemd, nur eine noch ältere Jeans als die ihre. Neugierig betrachtet sie ihn. Er schaut immer nur auf den Asphalt. Sein Kopf hängt geradezu herunter.
Das Mädchen steht auf, überquert die Straße und setzt sich neben ihm hin. »Hey.«
Er antwortet nicht. Sieht so aus, als würde er sie nicht mal bemerken.
»Ich kenne dich gar nicht. Bist du schon lange hier?«
Endlich hebt er seinen Kopf, schaut sie kurz an. Ihr Lächeln erwidert er nicht. »Hm.«
»Hm? Sehr präzise Antwort...« Sie grinst breit. »Woher kommst du?«
Statt einer Antwort wendet der Junge sich wieder seinen Schuhen zu, die er mit scheinbar größten Interesse betrachtet. Das Mädchen kratzt sich nachdenklich am Hinterkopf. »Sehr nett bist du ja nicht...«
»Das Leben ist nicht nett zu mir, warum sollte ich also nett zum Leben sein?«
Sie lächelt erneut. »Weil ich es auch bin.«
»Eine der wenigen Ausnahmen.«
»Sag mal, bist du aus ´nem Waisenheim abgehau´n oder was?«
»Waisenheim?« Er lacht kurz auf, freudlos. »Nein, kein Waisenheim. Etwas schlimmeres.«
»Etwas schlimmeres gibt es nicht. Ich war auch in einem.«
»Glaub mir, es gibt Dinge auf dieser Welt, denen du ein Waisenhaus jederzeit vorziehen würdest.«
Das Mädchen schweigt kurz, dann erwidert es: »Und was soll das sein?«
Der Junge antwortet nicht. Er sitzt nur da, wippt ein wenig vor und zurück.
»Ach so, hab ich vergessen. Das Leben war ja nicht nett zu dir, und du bist nicht nett zum -«
»Ich habe gesehen, wie Leben ausgelöscht wurden. Einfach so. Weil dem anderen gerade danach war.«
Sie starrt ihn an. »Du warst bei einem Mord dabei?«
»Bei Hunderten. Tausenden.«
Sie steht langsam auf, macht einen Schritt von ihm weg. Ihre Stimme zittert leicht. »Hast du ´ne Knarre?«
Er lächelt leicht. Holt eine silberne Pistole hervor. Eine Nighthawk, besser bekannt als Desert Eagle. Ruhig zieht er den Kolben nach hinten. Sie klickt leise.
Das Mädchen schaut ihm geschockt ins Gesicht.
Er visiert sie an, grinst breit.
Dann wendet sich der Lauf seinem Kopf zu.
Ein Knall ertönt.
Das Mädchen schreit auf, schlägt sich die Hände vor den Mund.
Die Waffe fällt zu Boden.
Sie steht mitten auf der Straße. Ihre Augen weiten sich.
Der Junge steht auf, kratzt sich am Nacken. Dann schaut er das Mädchen an. »Hm. Komisch, oder? Ich müsste eigentlich tot sein.«
Ihr Mund fühlt sich trocken an, sie versucht, etwas zu erwidern. Doch kein Wort dringt über ihre Lippen.
»Oh, hab vergessen, dass euch das immer so erschreckt... Entschuldige.«
»Was bist du?«
»Oh, ich?« Das Grinsen des Jungen ist einem milden Lächeln gewichen. »Ich bin unsterblich, weißt du?«
»Und was willst du von mir?« Sie macht einen weiteren Schritt zurück. »Hau... hau ab! Ich will nichts mit dir zu tun haben!«
»Wieso denn plötzlich so unfreundlich? Gerade eben noch warst du so nett...«
»Verschwinde! Verschwinde und nimm deine Knarre mit!«
»Oh, die?« Er dreht sich kurz um und hebt die Waffe auf. »Hm, ein weiterer Versuch kann ja nicht schaden.« Der Lauf richtet sich auf sein Herz.
So schnell sie nur kann, drückt sie ihre Hände auf die Augen.
Er drückt ab.
Ein, zwei, drei Schüsse. Das Mädchen zuckt bei jedem zusammen. Weitere folgen.
Bis nur noch ein leises Klicken ertönt. Und auch dieses verstummt beinahe sofort. Ein metallisches Klappern ertönt.
Das Mädchen zögert noch einen Augenblick, dann traut sie sich endlich, wieder ihre Augen zu öffnen.
Der Junge ist verschwunden. Dort, wo er stand, liegt nur noch die Waffe.
Sie blickt der Straße entlang. Er ist nirgends zu sehen.
Ein leises Rascheln, direkt hinter ihr. Sie schreit auf, wirbelt herum, schlägt mit ihrer Faust zu.
Und trifft den Jungen am Kopf. Wie von einem Stein getroffen geht er zu Boden.
Fassungslos betrachtet sie ihn, wie er der Länge nach da liegt. Sie stupst ihn kurz mit der Fußspitze an. Er bewegt sich nicht.
Zögerlich geht sie näher an ihn heran, kniet sich neben ihm nieder. Berührt sein Gesicht.
Er atmet... Einen Moment lang überlegt sie noch, dann packt sie ihn am Arm und zieht ihn mit all ihrer Kraft auf den Bürgersteig, von dort aus in ein kleines, halb eingefallenes Häuschen gleich daneben.
Innen herrscht nur spärlich Licht. Ein paar Matratzen liegen auf dem durchlöcherten Boden, ein Regal ist vollgestopft mit Konserven und Flaschen. Sie schafft es, ihn auf einen der Schlafplätze zu hieven, dann setzt sie sich schwer atmend neben ihm hin. Er hat sich doch vorhin erschossen... warum lebt er noch? Die Neugierde flammt wieder in ihr auf, sie betrachtet den Jungen erneut eingehend. Keine Schusswunde... nichts. Ihre Hand nähert sich seinem Bauch, streicht beinahe zärtlich darüber. Auf seiner Brust bleibt sie liegen.
Ihre Augenbrauen heben sich. Sein Herz... es... es schlägt nicht! Aber... sein Bauch hebt und senkt sich, als würde er atmen... Vollkommen verwirrt nähert sie sich seinem Gesicht, lauscht gespannt.
Sein Atem ist deutlich zu hören. Sein ruhiger, gleichmäßiger Atem...
Fasziniert beugt sie sich noch ein wenig mehr über ihn, nähert sich noch mehr seinem Gesicht...
»Du haust mir eine rein und willst mich dann küssen?«
Erschrocken springt das Mädchen auf und starrt den Jungen an. Seine Augen sind noch immer geschlossen, doch ein amüsiertes Lächeln umspielt seine Lippen. »Was denn, jetzt nicht mehr? Schade...«
»Wer bist du?« Sie spricht leise, doch bestimmt. Der Junge hingegen schmatzt nur ein wenig und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Seine Augen hat er noch immer nicht geöffnet. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«
»Das in der Knarre waren nur Platzpatronen, oder?«
»Hm. Schon möglich.«
»Schon möglich?«
»Probier´s doch aus.«
Trotz des Schreckens, der ihr noch immer in den Knochen sitzt, muss das Mädchen unwillkürlich lächeln.
»So lustig war das gar nicht...« Der Junge kratzt sich kurz am Kopf, dann gähnt er herzhaft, nur um gleich darauf zusammen zu zucken und vorsichtig am Kiefer herum zu tasten. »Verdammt, du hast vielleicht ´nen Schlag drauf...«
»Wie kannst du sehen, dass ich lächele, obwohl deine Augen zu sind?«
»Hm...« Der Junge scheint einen Moment zu überlegen. »Intuition?«
»Sag mir endlich, wer du bist, oder ich setz´ dich gleich wieder an die frische Luft.«
»Oh, würde mir nicht viel ausmachen. Penne jetzt schon seit ´n paar Jahren draußen...«
»Ein... paar Jahre?«
»Ja. Irgend was komisch daran?«
Sie zieht eine Schnute. »Was würdest du denn von einem Kerl halten, der plötzlich, einfach so, vor dir auftaucht, versucht, sich zu erschießen, nur um festzustellen, dass er es nicht kann, und dann hinterher auch noch geküsst werden will?«
»Ich würde ihn für bekloppt erklären. Na, bin ich bekloppt?«
»Ja.«
»Gut zu wissen.«
Inzwischen grinst das Mädchen breit. »Auch wenn du verrückt bist, immerhin hast du Humor.«
»Das nennt man Sarkasmus.«
»Dann eben Sarkasmus. Was ist das überhaupt?«
»Meine Art von Humor.«
»Hm. Woher kommst du?«`
»Weit weg.«
»Aha. Wie heißt du?«
»Antoniô Vivaldi.«
»Wie noch mal?«
»Friedrich Schiller.«
»Moment mal. War´s nicht gerade eben anders?«
»Du kannst mich auch Albert Einstein nennen, wenn dir das lieber ist.« Er grinst breit, im Gegensatz zu dem Mädchen, das ihn ein wenig verärgert anschaut. »Kannst du auch mal ernst bleiben?«
»Das ist mein Ernst!«
»Wer ist überhaupt Albert Einstein?«
Der Junge kratzt sich an seinem kurz gehaltenen Kinnbart. »Du weißt nicht, wer Albert Einstein ist?«
»Ähm... nein?«
»Warst du jemals in deinem Leben auf einer Schule?«
»Was ist das denn jetzt für eine beknackte Frage?«
»Beantworte sie einfach.«
»Nichts da!« Trotz schwingt in ihrer Stimme mit, dicht gefolgt von Siegesgewissheit. »Erst möchte ich wissen, wie du wirklich heißt.«
»Wie heißt denn du?«
Sie streckt ihm ihre Hand entgegen und grinst breit. »Charlie.«
Er macht keine Anstalten, ihre Hand zu ergreifen. »Nachname?«
»Smith. Wieso?«
»Nur so.«
»Und wie heißt du?«
»Ich muss los.« Der Junge steht einfach auf, seine Augen sind noch immer geschlossen. Das Mädchen erhebt sich ebenfalls, stellt sich vor ihn hin. »Du bist mir eine Antwort schuldig.«
»Ich bin niemandem etwas schuldig.«
»Wieso hast du dauernd deine Augen zu?«
»Meine Sache.«
»Wieso willst du mir deinen Namen nicht verraten?«
»Meine Sache.«
»Wer sind deine Eltern?«
»Meine Sache.«
»Woher kommst du?«
»Du kennst die Antwort.«
Sie überlegt kurz, dann lächelt sie leicht. »Wieso willst du nichts über dich preisgeben?«
»Lass mich durch.«
»Was, wenn ich dich nicht durchlasse?«
»Dann wirst du es bereuen.«
»Willst du mich abknall´n?«
»Zum Beispiel.«
»Dann mach doch. Aber deine Knarre liegt -«
Das leise Klicken ertönt. Der Lauf liegt an ihrem Kopf an.
Sie schluckt, weicht jedoch keinen Schritt. »Na los, töte mich doch!«
Sein Mund verzieht sich, man kann deutlich erkennen, dass er rasch nachdenkt. Sofort fügt sie einen weiteren Satz hinzu. »Worauf wartest du? Mein Leben ist doch sowieso einen Scheissdreck wert!«
Er seufzt leise. »Jedes Leben ist so viel wert wie alles Geld dieser Welt. Nein. Noch viel mehr.« Zögerlich senkt er die Waffe, lässt sie auf den Boden fallen.
Sie grinst breit. »Willst du nicht mal deine Augen aufmachen?«
»Wozu?«
»Damit ich sie mir mal anschauen kann. Und außerdem kannst du doch nicht dauernd blind rumlaufen! Wozu hast du überhaupt die Brille auf, wenn du dauernd mit geschlossenen Augen durch die Gegend rennst...«
Seine Lider öffnen sich. Die braunen Augen schauen sie gespannt an, sie blickt neugierig zurück. »Und was ist jetzt so schlimm?«
»Nichts.« Er lächelt sie an. »Nichts...«
»Hm. Prima! Wie heißt du?«
»Keine Zeit.« Er stößt sie einfach zur Seite und prescht hinaus. Völlig überrumpelt stürzt das Mädchen mit einem leisen Schrei auf den Lippen zu Boden. Beinahe sofort rappelt sie sich wieder auf und rennt ebenfalls ins Freie.
Er ist nirgends mehr zu sehen.
Verwundert kratzt sie sich am Kopf. Komischer Typ... aber schöne Augen. Sie lächelt erneut, bleibt noch kurz stehen und hält Ausschau nach ihm. Dann verschwindet sie wieder in ihrer Hütte.
 
*****

Es ist bereits Dunkel geworden.
Der Junge sitzt auf dem wackeligen und undichten Dach. Durch eines der vielen Löcher beobachtet er, wie das Mädchen unten sitzt und eine Melodie vor sich hin summt.
Gedankenverloren betrachtet er ihr blondes Haar, ihren schlanken Körper.
Da spürt er es.
Gehetzt will er aufspringen, doch es ist bereits zu spät.
Mit einem leisen 'Plopp' erscheint eine Gestalt, in einem schwarzem Umhang gekleidet, neben ihm. Der Totenkopf klappert missbilligend. »Verdammt, wo hast du dich rum getrieben?!«
»Äh... das ist schwer zu erklären, weißt du...«
»Schwer zu erklären?! Ich watsch dir gleich eine!«
»Ach, halt doch die Schnauze!«
»Ich soll meine Schnauze halten?! Du solltest lieber mal ruhig sein! Wie lange ist es jetzt her? Zwanzig Jahre?«
»Mir doch egal!«
»Mir auch, nur ist inzwischen einiges passiert!«
»Einiges, das mir egal ist!«
»Eluvîn ist tot!«
»Leck mich do- « Der Junge, welcher bereits zu einer Gegenantwort hat ansetzen wollen, verstummt abrupt. »Eluvîn ist... tot?«
»Ja! Und das ist deine Schuld!«
Ein Schatten legt sich auf das Gesicht des Jungen. »Meine... Tod... Wie
»Sie hat dich gesucht! Aber nach vier Jahren hat sie´s aufgegeben. Ist zu Gott gegangen und hat gesagt, ihr himmlisches Leben mache keinen Sinn mehr! Wir alle haben versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Aber irgendwann konnten wir es selbst nicht mehr mit ansehen, wie sie vor sich hinvegetiert. Gott hat sie erlöst.«
»Erlöst?«
»Sie ist weg. Für immer.« Der Tod sieht den Jungen finster an.
»Aber...«
»Kein Aber! Sie ist tot, begreifst du das?«
»Aber...«
»Ich habe doch schon gesagt, dass es kein 'Aber' gibt!«
Der Junge scheint das Skelett gar nicht zu sehen, sondern einfach durch es hindurch zu schauen.
Dieses fuchtelt mit der Hand vor seinem Gesicht herum. »Hallo? Noch jemand da? Oder ist gerade alles da drin in Unordnung? Hach, das tut mir aber Leid!«
Die Gestalt, die bis eben noch geschwebt ist, stellt sich ebenfalls auf das Dach, welches augenblicklich und sehr bedrohlich knackt. Die Augenhöhlen des Totenkopfes weiten sich. »Oha... keine gute Idee.«
Im nächsten Moment krachen der Junge und der Tod durch das morsche Holz. Unter einer riesigen Staubwolke fliegen sie gut zwei Meter, bis sie hart auf den Boden aufprallen. Der Tod ruft noch irgendeinen Fluch, das Mädchen, welches unten auf einer der Matratzen sitzt, schreit laut auf, und der Junge bemerkt gar nicht erst, dass er geraden den Boden unter den Füßen verloren hat. Erst, als er mit dem Gesicht auf dem Holz liegt, wird er sich seiner Lage bewusst und schaut sich verwundert um.
Sein Blick trifft sich mit dem des Mädchens, dass ihn überrascht und erschrocken anstarrt.
Er begnügt sich damit, zurück zu schauen.
Der Tod hingegen steht bereits wieder auf seinen knöchernen Füßen. »Verdammt, was ist das überhaupt für eine Bruchbude hier?«
Der Blick des Mädchens wandert zu dem Skelett weiter. Ihre Augen weiten sich noch ein Stückchen, dann kippt sie einfach nach hinten um.
Der Junge ist sofort neben ihr und legt sie behutsam auf die Matratze. Sein alter Freund hingegen meckert fröhlich weiter. »Pah, Jugend von heute. Überhaupt kein Stehvermögen mehr. Du platzt mal rein und schon fallen sie in Ohnmacht!«
»Normalerweise sehen sie auch keine sprechenden Gerippe.«
»Und was ist mit Horrorfilmen?«
»Horrorfilme sind etwas komplett anderes als die Realität, das solltest du doch als Stellvertreter in jedem schlechten Streifen wissen.«
»Ja, schon gut.« Neugierig betrachtete der schwarz Gekleidete das Mädchen. »Wer ist denn die Kleine?«
»Weiß ich auch nicht... sie hat mir vorhin eine verpasst.«
»Dir? Schämst du dich denn gar nicht? Sich von einem Mädchen verprügeln lassen, also bitte!«
»Halt doch deine Klappe...« Der Junge streicht dem still daliegenden Mädchen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Was jetzt? Willst du mich an Gott verpetzen? Mich töten, um Eluvîns Tod zu rächen?« Er schaut ihn finster an.
»Nee. Ich doch nicht.« Der Tod grinst breit. »Was hast du die ganze Zeit getrieben?«
»Bin hier herumgewackelt. Habe beobachtet, wie die Menschheit immer weiter verrottet. Bei der Atomexplosion im Irak sind doch sicherlich ein Haufen Leute zu euch nach oben gekommen, oder?«
»Wir waren hoffnungslos überbucht. Ein paar haben bei Petrus warten müssen. Glaube, das waren fast nur amerikanische Soldaten, die haben sich mit ihm zugesoffen.«
»Und die zweite Kuba-Krise?«
»Na ja, es ist ja gar nicht so viel passiert, wenn man mal von der Explosion des kleinen Sprengkörpers der Trägerrakete absieht. Da haben sie sich wenigstens noch mal einigen können.«
»Wird ihnen nicht mehr viel bringen. Die Kinder leben hier auf der Straße. Sie haben weder Eltern noch Arbeit, keine Schule, nichts.«
»So wie sie hier?«
»Ja.« Der Junge wendet sich wieder der daliegenden Gestalt zu. »So wie sie. Und weil du hier runtergekommen bist, kann ich jetzt nicht abhauen.«
»Kannst du natürlich!«
»Irgend jemand muss sich um sie kümmern.«
»Tja, da habe ich natürlich keine Zeit. Ich verziehe mich ohnehin lieber schnell, nicht dass Gott noch auf die Idee kommt, mich zu suchen. Mich findet man ja ziemlich schnell.«
»Garantiert. Da, wo das Chaos ist, kannst du nicht weit sein.«
»Exakt! Also, man sieht sich.«
Der Tod reicht ihm die Hand, welche der Junge lächelnd ergreift. »Auf bald.«
Wind kommt auf. Der Tod wird durchsichtiger, wabbelt herum wie Rauch und wird schließlich in alle Richtungen zerstreut.
Der Junge wendet sich wieder dem Mädchen zu. Und ich muss jetzt also auf dich aufpassen... Hm, muss ich eigentlich? Leise über seinen eigenen Witz lachend setzt sich der Junge auf eine andere Matratze und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand an. Dabei beobachtet er ganz genau das Mädchen. »Atmung: regelmäßig. Anzeigen für einen Schock: keinerlei Anzeichen.«
Sie schlägt die Augen auf und beginnt beinahe sofort zu schreien.
»Ich muss mich korrigieren. Anzeigen für einen Schock bestehen. Diagnose: schweres Trauma.«
Sogleich hört sie mit dem Gekreische auf und starrt stattdessen den Jungen an. Dieser grinst nur breit zurück. Irgendwann schließlich bewegt sie ihren Mund. Ihre Stimme bebt bei jedem Wort. »Was... um Gottes Willen... war das... für ein... Vieh?«
»War nur ein guter Bekannter.«
»Er sah aus wie ein Skelett!«
»Du musst dich getäuscht haben. Bist wohl ein wenig benommen. Vielleicht ist dir ja ein Brett gegen den Kopf gefallen oder so...«
Sie schaut ihn noch immer an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Langsam wird ihm das Anstarren unangenehm. »Ist irgend was?«
»Du... wie bist du reingekommen?«
»Durch´s Dach.«
Ihre Augen huschen schnell zu dem Loch, das über ihnen klafft, und richten sich dann wieder auf ihn. »Und was willst du hier?«
»Weiß ich selbst nicht so recht... ich glaube, ich hau wieder ab.« Der Junge erhebt sich, geht auf die Tür zu.
»Willst du... nicht noch ein wenig bleiben?«
Tatsächlich stoppt er. »Bleiben? Wozu?«
»Na ja...« Die Stimme zittert nicht mehr, sie klingt stattdessen hoffnungsvoll. »Ich bin dauernd alleine hier, und ein wenig Gesellschaft...«
»Hm. Warum sind dann hier so viele Matratzen?«
»Sie sind alle schon tot. Oder vom Militär geschnappt worden. Kommt auf´s Gleiche raus.«
»Aha. Ich sehe allerdings keinen Grund, hier noch zu bleiben.«
»Bitte…«
»Hm.« Seine Hand legt sich auf den Türknauf.
»Du bist etwas Besonderes. Ich weiß, dass du etwas verheimlichen willst.«
Die Hand verharrt noch immer auf der Klinke.
Das Mädchen steht ächzend auf, kommt langsam auf ihn zu. »Bitte... bleib hier.«
»Wieso sollte ich etwas Besonderes sein?«
»Intuition?«
Er muss lächeln. »Du kennst mich nicht.«
»Und du hast ´ne Knarre, ich weiß. Aber was, wenn ich dir vertrauen will?«
»Ich weiß nicht mal, ob ich mir selbst vertrauen kann.« Der Junge ist über seine eigenen Worte verwundert. Vor allem seine Stimme überrascht ihn. Sie klingt traurig.
»Dann finde es heraus.«
»Indem ich hier bleibe?«
»Warum nicht?« Sie streckt ihre Hand nach ihm aus, will ihn an seiner nackten Schulter berühren.
Er dreht sich um. »Fass mich nicht an.« Die Stimme klingt nicht abweisend oder kalt, aber bestimmt. Ihre Miene ist ausdruckslos, als das Mädchen die Hand wieder zurück zieht. Er lächelt unsicher. »Tut mir Leid, Charlie, aber es ist besser so. Ich bleibe von mir aus gerne hier, aber... bitte keinen Kontakt.«
Ihr Mund verzieht sich wieder zu einer Schnute. »Na gut.« Sie wendet sich von ihm ab und geht wieder zu ihrer Matratze zurück. Er hingegen verzieht sich in die am weitesten entfernte Ecke und lässt sich dort nieder.
Lange Zeit sitzen sie einfach nur da und sagen nichts. Alle beide hängen ihren eigenen Gedanken nach.
Bis das Mädchen schließlich leise fragt: »Wie heißt du?«
Stille.
»Sandji.«
»Hm.« Sie lächelt ihn an. »Schöner Name.«
Er hebt den Kopf nicht, starrt wieder auf den Boden wie noch vor fast einer Stunde, als er auf der Straße saß. »Danke.«
»Keine Ursache.« Lächelnd legt sie sich auf die alte Matte und rollt sich zusammen wie eine Katze. Dabei legt sie sich so hin, dass sie den Jungen sehen kann.
Dieser scheint ein wenig bedrückt.
Besorgnis liegt in ihren Augen. »Was ist los mit dir?«
»Nichts.«
»Lügen ist zwecklos. Man sieht´s dir richtig an, dass dich was beschäftigt.«
»Meine Sache.«
»Aber deine Last wird leichter, wenn du sie teilst.«
»Ich will dich nicht mit meinen alten Geschichten belasten.«
»Und wenn sie mich interessieren?«
»Du... würdest es nicht verstehen. Später vielleicht. Aber jetzt noch nicht.«
»Na gut. Warum willst du nicht, dass ich dich berühre?«
»Schon mal was von Privatsphäre gehört?«
»Bin ich dir etwa nicht schön genug?«
Er hebt seinen Kopf, lächelt sie an. »Nein. Du bist wunderschön. Aber... ich habe schlechte Erfahrungen gemacht.«
»Schlechte Erfahrungen?« Sie schaut ihn interessiert ins Gesicht, sucht nach einer Regung. »Welche denn?«
»Nicht mehr heute.« Er senkt wieder den Kopf. »Schlaf gut.«
Sie lächelt leicht. »Du auch.«
 
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@Escurona: Danke für das Lob. Ich hoffe, dass die Geschichte auch weiterhin deinen Geschmack treffen wird.

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Flucht

Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch das Loch in der Decke und auf das Gesicht des Mädchens. Sie blinzelt ein wenig, erwacht schließlich vollkommen. Gähnend setzt sie sich auf und schaut sich um.
Er ist weg.
Sofort springt sie auf, sieht gehetzt hin und her. Verdammt...
Da fällt ihr Blick auf etwas, das im Sonnenlicht glänzt. Es liegt in dem dreckigen Regal, blinkt sie fröhlich an. Vorsichtig nähert sie sich dem Ding, ihre Hand streckt sich danach aus.
Zitternd hält sie die Desert Eagle in ihren Händen. Seine Knarre...
Als sie aufschaut, bemerkt sie, dass der Schrank offen steht. Langsam geht sie auf ihn zu. Ein totales Durcheinander herrscht darin. Seufzend betrachtet sie die Unordnung. Mit einem Blick erkennt sie schon, was fehlt: eine schwarze Hose sowie ihr Lieblingsshirt. Dass er mir ausgerechnet das Teil klauen muss... Schräg grinsend stopft sie die Kleidungsstücke wieder zurück und schließt die Schranktür. Dann nähert sie sich wieder dem Regal und sucht ein wenig zwischen den darin stehenden Dosen herum.
Endlich entscheidet sie sich für die Ravioli. Sie hebt die Büchse herunter, zieht ihr Klappmesser, dass sie in der Hosentasche stets bei sich führt, aus eben dieser heraus und sticht hinein. Ein wenig Soße spritzt durch das entstandene Loch. Nach kurzer Zeit ist der Deckel entfernt. Ihre Finger tauchen in die braun-rote Brühe hinein, fischen einige der gefüllten Nudeln heraus, die sie gierig verschlingt.
Da horcht sie auf.
Motorgeräusche.
Ihre Augen weiten sich. Die Büchse fällt auf den Boden, ihr Inhalt schwappt heraus und verteilt sich über das Holz. Es erinnert leicht an eine Pfütze von Blut.
Charlie rennt zur Tür, reißt sie auf, stürzt hinaus.
Ein in Tarnfarben angemalter Truck steht auf der Straße. Ein uniformierter Soldat springt gerade von der Tragfläche herunter, in seiner Hand eines der neumodisch schwarzen Gewehre, die sowohl ein Zielfernrohr als auch ein Magazin von über 50 Schuss besitzen.
Er schaut auf. Sieht sie.
Einen Moment bleibt sie noch stehen, blickt ihn ängstlich an.
Dann dreht sie sich um und läuft los.
»Da! Sie will abhauen!«
»Waf´ nicht rum, schieß!«
Panik macht sich in dem Mädchen breit, die noch verstärkt wird, als ihr eine Kugel hinterher zischt. Schnaufend wirft sie sich hinter eine Mauer. Das Gewehrfeuer verstummt nicht, es rattert unbarmherzig weiter. Kleine Gesteinsbrocken werden hoch gefegt, Staub bildet sich und bleibt in der Luft hängen, als die Kugeln gegen die Backsteine prasseln.
Charlie kriecht weiter, immer in Deckung bleibend. Dann steht sei schnell sie auf, rennt weiter.
»Da!«
Vier weitere Soldaten schießen auf sie. Das Mädchen springt ab, fällt hart auf den dreckigen und von Steinen übersäten Boden. Ihre Knie und Arme sind aufgeschürft, bluten leicht. Doch sie befindet sich wieder in der Sicherheit einer Häuserwand.
Vorerst zumindest. Sie kann schon die eiligen Schritte ihrer Verfolger hören. Ächzend zwingt sie sich selbst, wieder aufzustehen und weiter zu rennen. So schnell sie ihre Beine tragen, läuft sie um eine Ecke, an weiteren kalten Häuserskelette vorbei.
Und krabbelt durch ein kaputtes Fenster in die nächstbeste Wohnung. Dort ist praktisch nichts mehr übrig, nur noch ein altes, halb zerfetztes und ehemals rotes, nun jedoch dreckig braunes Sofa und viel Staub. Hastig schleicht sie weiter, verkriecht sich hinter dem Möbel.
Stiefelabsätze knallen auf den steinigen Untergrund. Die Soldaten hasten vorbei.
Charlie hält noch immer die Luft an. Schon mehr als nur einmal war sie erneut auf der Flucht, weil man ihren Atem gehört hatte.
»Was machst du denn hier?«
Beinahe hätte sie aufgeschrien, doch im letzten Moment kann sich das Mädchen die Hand vor den Mund schlagen. Sie reißt ihren Kopf herum, starrt ungläubig auf die Gestalt, die lässig an der Wand lehnt.
Die Miene des Jungen ist kalt, abweisend. »Ich habe dich was gefragt.«
Sie bringt noch immer kein Wort über die Lippen.
Er zuckt nur mit den Schultern. »Verschwinde wieder. Das hier ist mein Haus.«
»Und du hast mein Shirt an.«
»Hau ab.« Er wendet sich einfach von ihr ab und geht in den angrenzenden Raum. Charlie lauscht noch einen Moment. Von den Soldaten ist nichts mehr zu hören. Endlich bekommt sie genug Mut zusammen, um auf zu stehen und dem Jungen zu folgen.
Das nächste Zimmer ist ebenfalls leer, ausgenommen von der Treppe, die einen Stock höher führt. Fußabdrücke sind im Staub nur allzu deutlich zu erkennen. Neugierig erklimmt sie die Stufen.
Oben sind alle Türen mit Brettern vernagelt, bis auf eine Einzige, die weit offen steht. Vorsichtig nähert sie sich dieser Pforte, blickt hinein.
Der Junge steht am Fenster, schaut auf die triste Umgebung des verlassenen Vorstädtchens, das einst vor Pracht hatte blühen müssen. Nun war nicht mehr viel von dieser Schönheit übrig geblieben.
In einer Ecke steht ein altes, klappriges Bett, in einer anderen ein Schreibtisch. Und auf diesem befindet sich ein Sammelsurium an Disketten und DVD´s. Staunend tritt das Mädchen ein und betrachtet den Flachbildschirm, der auf dem Tisch steht. »Woher hast du das alles?«
Er dreht sich gar nicht erst um, als er antwortet. »Wieso bist du noch immer hier?«
»Was dagegen?« Sie schaut ihn angriffslustig an. »Du hast mir sogar was geklaut! Aber Schuhe hast du keine mehr gefunden, nicht wahr?«
Noch immer sieht der Junge aus dem Fenster. »Ja. Das hier ist mein Zuhause. Und du hast hier nichts verloren.«
»Jetzt mach mal halblang!« Wütend geht sie auf ihn zu. »Ich wurde gerade fast abgeknallt, das Militär rennt noch immer da draußen rum und du willst mich rausschmeißen?«
»So sieht´s aus.«
»Vergiss es!« Trotzig kommt das Mädchen noch näher heran. »Ich bleibe hier, so lange, wie es mir passt!«
Er erwidert nichts. Steht nur da und schaut hinaus.
Charlie steht direkt hinter ihm. Ihre Augen glitzern. Jetzt oder nie.
Sie holt aus.
Und schlägt ihm gegen den Kopf. Der Junge fällt vornüber, stürzt aus dem Fenster hinaus.
Er schreit nicht. Dreht sich in der Luft noch einmal um. Schaut sie an, vollkommen ruhig.
Kracht mit dem Rücken auf die Mauer. Ein lautes Knacken ertönt.
Ohne eine Regung im Gesicht schaut das Mädchen nach unten. Er liegt einfach nur da, rührt sich nicht. Sein Körper ist durch gebogen, erschlafft schließlich. Die Augen werden glasig. Komischer Typ... wenigstens ist er gleich tot. Lächelnd wendet sie sich von dem unschönen Anblick ab, widmet sich den technischen Gerätschaften. Computer, massenhaft Speicher... Was hat der Kerl hier getrieben? Stirnrunzelnd setzt sie sich hin. Sie kann ein leises Summen vernehmen. Anscheinend steht irgendwo in der Nähe ein Aggregat, das allerdings unheimlich leise ist. So leise, dass noch niemand darauf gekommen war, dass in diesem Haus ein Junge seit anscheinend einiger Zeit lebte.
Ihr Finger sucht nach dem Einschaltknopf des Towers.
Als sie ihn drückt, ertönt ein langgezogenes, ohrenbetäubendes Piepen. Erschrocken presst sie erneut den Knopf in das Gehäuse, doch das Warnsignal verstummt nicht. Verzweifelt hämmert sie auf der Tastatur herum. Neben dem langgezogenen Laut ertönen andere, nicht minder schrille.
Mit einem Mal hört es auf. Überrascht betrachtet sie den Bildschirm, auf dem einige Buchstaben herum flimmern.
Na, erschrocken?
Charlie zieht einmal öfters eine Schnute. Der Kerl ist tot und schafft es noch immer, mich zu verarschen...
Schritte.
Sie steht sofort auf. Diesmal legt sie ihr ängstliches Gehabe ab. Diesmal würde sie den Feind einfach töten, bevor er überhaupt noch kapiert, was los ist. Informationen über ein neues Versteck brauchte sie jetzt ebenfalls nicht mehr. Sie hatte gerade eines gefunden.
Hastig holt sie die Nighthawk hervor. Wenigstens die Knarre konnte ich von ihm erbeuten... Das Mädchen lächelt finster, zieht möglichst leise den Kolben nach hinten. Ihr Blick richtet sich auf die Tür.
Die Schritte kommen noch näher.
Sie runzelte die Stirn. Moment mal... irgend was stimmt da nicht…
Das Geräusch wird immer lauter.
Und endlich fällt Charlie auf, was falsch ist.
Die Schritte hören sich nicht an wie Stiefel, die auf den harten Beton knallen.
Sie hören sich an, als würden nackte Füße auf den Stein patschen.
Das Mädchen weicht zurück. Ihre Augen weiten sich.
Vor ihr steht der Junge.
»Nein...« Sie macht noch einen Schritt rückwärts. »Das... ist unmöglich...«
Er kommt auf sie zu. Langsam. Er hat keine Eile.
Charlie hebt die Waffe. »Bleib steh´n!«
Er hört nicht auf sie, sondern lächelt nur müde. »Schieß doch. Du wolltest mich ohnehin gerade umbringen, oder nicht?«
Sie schaut ihn finster und mit einem berechnenden Blick an, dann drückt sie ab.
Die Kugel durchschneidet zischend die Luft.
Und prallt am Kopf des Jungen ab. Fällt leise klackernd auf den Boden.
»Oh, hat das nicht geklappt?« Er ist stehen geblieben. In seinen Augen steht Enttäuschung und vor allem Wut. »Okay, lass uns mal überlegen. Der Sturz hat mich nicht getötet. Die Kugel auch nicht. Was willst du jetzt machen?«
Charlie lässt langsam ihre Waffe sinken, macht einen weiteren Schritt nach hinten. Ihre Augen haben sich geweitet, sie drücken Panik aus. »Verschwinde! Lass mich in Ruhe!«
»Wäre keine schlechte Idee. Nur nehme ich dir leider den Mordversuch übel!«
»Hau -«
Verzweifelt war das Mädchen immer weiter nach hinten getapst, hatte darauf gewartet, die Wand in ihrem Rücken zu spüren. Dann wäre er herangekommen, hätte vielleicht versucht, sie zu schlagen. Aber sie hätte bestimmt abhauen können. Das hatte sie bisher noch jedes Mal geschafft.
Ihre Beine berühren die Steine. Sie lehnt ihren Körper zurück.
Doch statt einen festen Halt zu finden, öffnet sich hinter ihr die Leere des Fensters. Ihre Augen werden noch größer, als sie nach hinten kippt, ein Schrei entringt sich ihrer Kehle. Sie fällt...
Und bleibt ruckartig in der Luft hängen. Ihr wird schlecht, die gesamte Welt ist auf dem Kopf gekippt, das Blut rauscht in ihren Ohren. Als sie aufschaut, sieht sie den Jungen, der weit aus dem Fenster lehnt und ihren Fußknöchel umklammert hält.
Er schaut sie ernst an. »Was soll ich also jetzt mit dir machen?«
Ihre Miene ist panisch, Angst macht sich in ihrem Körper breit. Echte Angst, keine, um Soldaten zu verwirren oder Mitleid zu erregen. »Lass mich bloß nicht los!«
Ein Ruck geht durch ihren Körper, das Mädchen fällt ein winzig kleines Stück tiefer. Sie schreit dabei wie am Spieß. Der Junge grinst nur dreckig. »Ich hatte nicht mal die Gelegenheit dazu bekommen, das Selbe dir sagen zu können.«
»Es tut mir Leid! Es tut mir wirklich Leid!« Sie schwingt ein wenig hin und her, heult Rotz und Wasser. »Ich will nicht sterben! Bitte, lass mich nicht los!«
»Gib mir einen, nur einen guten Grund, warum ich dich hochziehen sollte.«
Sie schluchzt nur noch leise. »Du... du hast doch gesagt, dass... jedes Leben... ganz viel wert wäre?«
Schweigen.
»Schon möglich. Nur war es dir gänzlich egal.«
»Ich... habe es nur gemacht, weil...« Geräuschvoll zieht das Mädchen ihre Nase hoch. »Weil...«
»Weil?«
»Ich... weiß es nicht...«
»Das soll ich dir glauben?« Der Junge klingt gereizt.
»Es ist, weil... hier jeder auf sich selbst angewiesen ist. Die Soldaten haben mich überrascht und... ich brauchte doch ein neues Zuhause!«
»Und dann eben mal schnell den alten Mieter um die Ecke bringen, was?«
»Es war nicht wegen dir!« Ihre Stimme ist fast unverständlich, immer wieder kommen Schluchzer in ihr hoch.
Kurz herrscht Stille, dann antwortet er mit eiskalter Stimme: »Nicht wegen mir? Wegen was denn dann?«
Gerade hatte es Charlie geschafft, ihre Tränen zu verdrängen. Jetzt kommen sie mit aller Macht wieder hervor. »Ich will nicht sterben...«
Eine kurze Weile hängt sie noch da, schluchzt hemmungslos vor sich hin. Dann spürt Charlie, wie sie nach oben gezogen wird. Nachdem er bereits ihre Beine wieder über den Rand des Fensters in den Raum gehoben hat, versucht der Junge, ihr vollkommen hoch zu helfen. Mit einem tränenverschmierten Gesicht ergreift sie seine dargebotene Hand. Kaum steht sie vor ihm, als auch schon ihre Beine nachgeben und sie sich gegen ihn fallen lässt. Ihr Kopf ruht auf seiner Schulter, warme Tränen fallen auf das pinkfarbene T-Shirt. Sie unternimmt nichts, um ihren Gefühlen Einhalt zu gebieten.
Zuerst steht der Junge nur da.
Dann legt er ihr zögerlich einen Arm um.
 
Auf jeden Fall^^Man merkt aber deutlich das sich, ich weiss gar net wie ichs nennen soll^^, dein stil(?) in der geschichte verändert was jetzt nicht grad negativ ist :-)
 
also mir gefällt auch diese story von dir und bin echt begeistert von deinem erzählungsstil^^........weiter so
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Auf jeden Fall^^Man merkt aber deutlich das sich, ich weiss gar net wie ichs nennen soll^^, dein stil(?) in der geschichte verändert was jetzt nicht grad negativ ist :-)
Du hast durchaus Recht. Ich musste bald erkennen, dass die Geschichte in dem Stil, in dem ich sie vorher geführt hatte (also viel Gerede, aber wenig 'Äction') nicht mehr weiter zu führen war, wenn ich tatsächlich all das reinpacken wollte, was mir im Kopf herum schwirrte. Daraus resultierte also ein abrupter Stil-Wechsel zur richtigen Stelle, nämlich jener, an der sich das Leben der Hauptperson drastisch ändert.

Wann das nächste Kapitel kommt, kann ich noch nicht klar sagen. Also unterlasst bitte jegliche Forderungen, Meeps und Moeps, die werden den Vorgang auch nicht beschleunigen.
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ich tu mein bestes dafür das ich die meeps und moeps unterlasse^^
 
Habe die Geschicht nun auch mal gelesen und ich muss echt sagen: Ich zieh mein Hut klasse geschrieben ,mir gefällt es. Weiter so !

PS: Danke für hochladen
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Verwirrung

Charlie sitzt auf dem Bett und stopft bereits die dritte Mahlzeit in sich hinein. Sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, doch innerlich ist sie zutiefst aufgerüttelt. Vor allem verunsichert.
Möglichst unauffällig schaut sie auf und beobachtet den Jungen, der wieder am Fenster steht und hinaus blickt.
»Ist was?«
Sie verschluckt sich, hustet lautstark. »Nein, nichts!« Sofort wendet sie sich wieder den Erbsen zu und schaufelt sie in sich hinein. Verdammt, wieso weiß er, dass ich ihn anschaue?!
Ein wenig verärgert legt sie den noch halb vollen Teller auf den Boden, dann wendet sie sich wieder dem Jungen zu.
Eine Weile herrscht Stille. Bis das Mädchen schließlich den Mund öffnet. »Wie hast du das vorhin gemacht?«
Ihre Stimme ist leise. Ein Raunen, aus dem man Neugier, Verwunderung und auch Furcht heraus hören kann. Gespannt wartet Charlie auf eine Antwort.
Ein leises Räuspern, dann antwortet der Junge: »Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Das weißt du genau!« Wütend, beinahe zornig springt das Mädchen plötzlich auf. »Der Sturz hätte dich umbringen müssen! Du hast da unten gelegen, und zwar tot!«
»Tot? Hm... nun ja, tot vielleicht nicht. Eher geschockt.«
»Geschockt?«
»Geschockt darüber, dass du so einen Mist machst.«
»Oh...« Ihre Wut ist genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war. Schräg lächelnd verschränkt Charlie ihre Arme hinter dem Kopf, überlegt kurz. Dann fragt sie:»Wie hast du das also gemacht?«
Wieder diese fast unheimliche Stille.
»Ich habe nichts gemacht.«
Das Mädchen seufzt leise. »Was machst du dann hier?«
»Stehen und aus dem Fenster schauen.«
»Haha! Sehr lustig!« Sie geht einen energischen Schritt auf ihn zu. »Ich will gefälligst eine ernstzunehmende Antwort!«
»Also gut.« Er stützt sich mit seiner Hand am halb zersplitterten Fensterrahmen ab. »Ich stehe hier und schaue hinaus, damit ich dich nicht mehr ansehen muss.«
Seine ruhige Stimme macht sie noch zorniger, regt sie mehr auf, als wenn er sie ebenso angemotzt hätte wie sie ihn. »Was soll das heißen?!«
»Das heißt, dass ich dich nicht ansehen kann.«
Mit einem einzigen Schritt steht sie direkt hinter ihm. »Ach ja?!«
»Ja.«
Sie packt ihn an den Schultern, reißt ihn herum.
Seine Augen sind geschlossen, das Gesicht ausdruckslos. Charlie bebt inzwischen vor Wut. »Mach deine verdammten Glubscher auf, wenn ich mit dir rede!«
Ein verkniffenes Lächeln umspielt seine Lippen. »Was, wenn nicht?«
»Dann hau ich dir eine rein!«
»Oh, gut. Solange du mich nicht schon wieder töten willst...«
Ihre Hand fegt über seine Wange, hinterlässt kleine, rote Striemen.
Seine Augen sind noch immer geschlossen.
Charlie steht schwer atmend vor ihm, schaut ihn geradezu herausfordernd an. »Na los, willst du dich nicht wehren?!«
»Ich schlage keine Frauen. Und auch keine kleine pubertierende Göre wie dich.«
»Ich geb´ dir gleich was von wegen Göre!« Sie holt wieder aus, schlägt ihm auf die andere Wange. Sein Kopf ruckt herum.
Die Augen sind zu.
Der nächste Schlag zischt heran.
Seine Hand packt die ihre, hält sie fest. Wütend schreit Charlie auf, holt mir der anderen Faust aus. Auch diese wird abgefangen und umklammert. Schnaufend schaut sie in sein Gesicht, sucht nach einer Regung.
Sein Lächeln ist schon lange verschwunden. »Du fragst dich, warum ich dich nicht anschauen kann?«
Charlies Versuche, sich aus dem stahlharten Griff des eigentlich schwächlich wirkenden Jungen zu befreien, verebben. Die blonden Strähnen fallen ihr wirr ins Gesicht, ihre Augen fixieren ihn.
»Du erinnerst mich zu sehr an eine Freundin.«
»Eine... Freundin?«
Er lässt sie los, einfach so. Das Mädchen steht mit noch immer erhobenen Händen vor ihm. Weiß nicht, was es erwidern soll. Bis ihr der Gedanke kommt, dass sie so, wie sie dasteht, ziemlich dämlich aussieht, und die Arme hastig sinken lässt.
Charlie wischt sich das Haar aus dem Gesicht. »Ist es eine schöne Erinnerung?«
»Kann man nicht so sagen.«
»Du kannst aber nicht dauernd blind herum laufen.«
»Oh, das geht schon. Ich konnte deine Schläge abfangen, da ist der Rest doch sicherlich kein allzu großes Problem.«
»Vorhin hast du mich auch angeschaut.« Sie kommt wieder ein Stückchen näher an ihn heran. »Warum jetzt nicht mehr?«
»Weil... der Schmerz wieder hoch kommt.«
»Aber vielleicht kann ich dir ja helfen, den Schmerz zu nehmen.« Sie berührt ihn schon fast, ihr warmer Atem streicht über seine Haut.
Er lächelt leicht. »Ich kann gut und gerne auf die Hilfe einer Göre verzichten, die mich umbringen wollte und jetzt einen auf 'Ich bin dein Freund' macht.«
Charlie zieht eine Schnute, wendet sich von ihm ab und stolziert hinaus. Der Junge hört nur zu gut, wie sie die Treppe hinunter stampft.
»Was, wenn sie es ernst meint?«
»Verdammt, die wenigsten Menschen meinen das ernst, was sie sagen...« Leicht lächelnd öffnet der Junge seine Augen und betrachtet den Mann im schwarzen Umhang, welcher vor ihm steht. »Wie hast du mich denn jetzt schon wieder gefunden?«
Der bleiche Schädel grinst breit. »Ich habe nicht nach dir gesucht, sondern nach der Kleinen da unten.« Er deutete auf den Fußboden.
Der Junge seufzt leise. »Die...«
»Sie erinnert dich an Eluvîn, nicht wahr?«
»Du hast sie selbst gesehen. Ihre Ähnlichkeit ist mehr als nur verblüffend. Nur ist mir das erst aufgefallen, als ich gehört habe, dass sie... tot ist.« Er fährt sich aufgebracht durch das Haar.
»Und du bist an ihrem Tod Schuld.« Grinsend schwebt das bleiche Skelett durch den Raum.
»Wenn schon.« Die Miene des Jungen, eben noch offen und verletzlich, ist hart wie Stein geworden. »Es ist zu spät. Kann mir keine Sorgen darum machen.«
»Stimmt. Du solltest dir lieber Sorgen darum machen, was Gott mit dir anstellt, wenn er dich erwischt.«
»Pah. Soll er doch kommen. Der findet mich sowieso nicht...«
»Mag sein. Aber er ist nicht dumm.« Der Tod ist inzwischen bei seinem Gegenüber angekommen und grinst ihn breit an. »So viel Mist, wie du ihn hier anstellst, bekommt er da oben ´nen Haufen mit.«
»Egal. Hauptsache, ich erreiche etwas damit.«
»Hm. Das tust du allerdings. Sehr zu seiner Missbilligung.«
»Sei mal still.« Der Junge lauscht angespannt. »Verdammt, sie kommt hoch!«
»Bis nächstes Mal!«
Die Gestalt verpufft in einer weißen Nebelwolke, die zur Decke steigt und dort durch die Ritzen zieht. Der Junge schaut ihr kurz hinterher, dann senkt sich sein Blick.
Und trifft jenen des Mädchens, das mitten in der Tür steht und fragend zurück sieht. »Du hast doch gerade mit wem gesprochen, oder?«
»Nein...« Seine Stimme ist leise, flüsternd. Er macht einen Schritt zurück, seine Augen weiten sich, das Gesicht nimmt einen Ausdruck von Schrecken an.
Charlie kommt besorgt näher. »Was ist los?«
»Bleib weg!« Er geht noch weiter zurück, will sie mit seinen Armen davon abhalten, näher zu kommen, obwohl sie am anderen Ende des Raumes steht.
Stattdessen bewegt sie sich rasch auf ihn zu. »Geht´s dir nicht gut? Was hast du?«
»Bleib -«
Der Junge rudert mit den Armen, die Augen werden noch größer.
Dann fällt er durch das Fenster.
Charlie stürzt zu der Öffnung, schaut schockiert nach unten.
Der Junge ist nirgends zu sehen.
 
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