Abmarsch

Dencarion

Rare-Mob
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12.06.2006
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Ich schlug die Augen auf, und benötigte einen Moment um mich zu orientieren. Ich lag auf einem harten Feldbett, in einem Zelt. Ich drehte den Kopf zur Seite, und sah ein zweites Feldbett, darauf lag schlafend ein weiterer Troll.
Ich reckte mich ausgiebig und gähnte müde, worauf der Troll neben mir auch die Augen aufschlug und die Stirn runzelte.
„Dencarion, Du bist zwar ein wirklich angenehm leise schlafender Zeltgenosse, aber ich hatte noch nie einen Kameraden, der so laut aufgewacht ist wie Du.“
Grinsend drehte ich mich zu Bulljin um und schlug die Magiestoffdecke zur Seite.
„Tja, und Du bist der am lautesten schnarchende Soldat der ganzen Horde. Mit Dir brauchen wir keine Trommeln und Trompeten um uns anzukündigen! Wir brauchen Dich nur schlafen zu legen, und schon weiß jeder, daß die Horde kommt.“
Beleidigt zog Bulljin eine Schnute und drehte mir den Rücken zu, während ich langsam meine Beinschützer anlegte und die Verschlüsse überprüfte. Draußen konnte ich Elvenshrek brummen hören, als auch er sich streckte und den neuen Tag in dieser neuen Welt begrüßte.
Gerade gestern erst waren wir hier in der Scherbenwelt gelandet, und unser Bataillon hatte sich in einem langen Marsch, der bis in den späten Abend dauerte, bis hierher nach Shattrath begeben. Vor den Mauern der Stadt hatten wir dann unser Lager aufgebaut und müde und staubig unser Abendmahl bereitet.
Elvenshrek war sehr mißmutig gewesen, da ich ihn hier in dieser neuen Umgebung noch nicht alleine jagen lassen wollte. Bei ihm weiß man ja nie, ein echter Elfenjäger wie er, hätte mir vielleicht, aus Versehen, einen unserer neuen Verbündeten angeschleppt. Ich kann es mir richtig ausmalen, wie er ins Lager kommt, auf leisen Pfoten, das goldgelbe Fell blutbespritzt, und die Schwanzspitze freudig erhoben, einen dieser mageren Blutelfen quer im Maul. Und wie die Taurenwache am Tor dann versucht ihm das Leckerli weg zu nehmen, nur um es schnell und unauffällig verschwinden zu lassen.
Bei diesem Gedanken mußte ich grinsen, und Bulljin, der mittlerweile auch seine Kampfroben angelegt hatte, schaute mich fragend an.
Gerade als ich den Mund öffnete um ihm eine Antwort zu geben, wurde die Zeltklappe zur Seite geschlagen und Ursharok, unser Zugführer und Klinge der Horde, blickte ins Zelt.
Der Ork schaute uns beiden kurz in die Augen und sagte dann:
„Kommt mit, der Kriegsfürst will uns sehen.“
Damit drehte der Krieger sich um, und stapfte davon. Bulljin und ich schauten uns kurz überrascht an, und schnappten uns dann eilig unsere Waffen und Umhänge. Im Vorbeigehen warf ich Elvenshrek noch schnell eine geröstete Wachtel zu, der sie auffing und zufrieden zu fressen begann, während ich Ursharok und Bulljin folgte.
Unser Weg führte uns in die Mitte des Lagers, wo Nearchus, unser Kriegsfürst sein Zelt hatte. Ich bemerkte, daß wir nicht die Einzigen waren, die sich zu Nearchus begaben. Wie es schien marschierte eine große Anzahl an Kämpfern zum Zelt. Ich schätzte so ungefähr eine Kompanie dürften wir gewesen sein.
Wir blieben stehen und ich schaute mich um. Die meisten Kämpfer kannte ich, wenn auch oft nur vom sehen, zu meiner Linken sah ich Ràgnàrók, den großen Taurenkrieger, der abwesend über die Schneide seiner Axt strich. Etwas weiter vorn konnte ich den Rücken von Einstecher, einem Schurken aus meinem Stamm, erkennen. Langsam verstummten die Gespräche und alle schauten gebannt auf das Zelt des Kriegsfürsten. Spannung lag in der Luft.
Dann wurde die Zeltklappe zur Seite geschlagen und unser untoter Kriegsfürst trat vor das Zelt. Langsam ließ er seine gelblich glühenden Augen über uns wandern, ohne auf einem von uns zu verharren. Schließlich holte er tief Luft und sprach mit lauter, befehlsgewohnter Stimme:
„Kämpfer der Zweiten Sturmgarde! Unsere Kundschafter und Astronomen haben ein kleines Scheibenfragment etwas unterhalb von Nagrand und Terokkar entdeckt. Wie es scheint befindet sich darauf, neben einigen einheimischen Lebensformen, eine Kapsel des Naaru Dimensions-Schiffes.“
Überraschtes Gemurmel erhob sich.
„Das Wissen, das aus diesem Fund geborgen werden könnte, muß enorm sein für die Horde und eine unschätzbare Hilfe im Kampf gegen unsere Feinde. Leider haben die Spione der Allianz diese Information bereits gestohlen, und eine Expedition der Allianz macht sich in diesem Moment bereit, das Scheibenfragment zu erobern.“
Zornig schnappte ich nach Luft. Diese verdammten Spione. Überall steckten sie ihre Allianznasen hinein, und suchten unsere Errungenschaften zu korrumpieren oder zu stehlen.
„Es herrscht zwar nach wie vor ein Waffenstillstand mit der Allianz, und es gibt keinen Grund einen neuen Krieg auszufechten, aber wir alle wissen, wie genau sich die Allianz sich an die Verträge hält. Wir wissen wie gerne sie vergißt uns zu informieren, wenn es wichtige Neuigkeiten gibt. Daher müssen wir sicherstellen, daß wir die Kapsel der Naaru zuerst finden, und so den uns zustehenden Anteil an dem ungeheuren Wissen erhalten.“
Wieder ließ er seine Augen über uns wandern, doch diesmal schaute er jedem von uns kurz und fest in die Augen.
„Eure Aufgabe ist es nun, mit dieser Kampfgruppe die Allianz-Expedition zu stoppen, und das Fragment für die Horde in Besitz zu nehmen.“
Nearchus blickte nach links und nickte dem Ork, der dort stand, zu. Der stämmige Krieger, mit grauen Zöpfen und einem buschigen Backenbart, trat mit seinem Helm unter dem Arm vor. Das Sonnenlicht spiegelte sich in den Orden auf der breiten Brust, als er uns allen zunickte.
„Kriegsherr Cripp wird die Kampfgruppe leiten, und Euch zum Sieg führen.“
Darauf stieß Nearchus die Faust gen Himmel und rief:
„Ruhm und Ehre!“
Ein vielstimmiger Chor erhob sich, als die Kämpfer ebenfalls die Fäuste in den Himmel stießen und laut und siegesbewußt riefen:
„Für die Horde!“
Cripp nickte Nearchus knapp zu und wandte sich dann an uns:
„Wir sammeln uns in 10 Minuten am Tor. Seid abmarschbereit. Nehmt nur eure Waffen, Begleiter, und leichtes Marschgepäck. Wir müssen uns beeilen, und auf Bequemlichkeiten können wir keine Rücksicht nehmen.“
Mit diesen Worten drehte er sich um, und stapfte in Richtung seines Zeltes. Lautes Gemurmel erhob sich, als sich die versammelten Kämpfer zu ihren Zelten begaben. Ràgnàrók schaute kurz zu mir herüber, und machte mir ein siegessicheres Zeichen mit der Hand, bevor auch er sich auf den Weg machte. Ursharok kam von hinten näher und klopfte mir auf die Schulter.
„Ha! Sieht so aus, als wäre dieser Ausflug doch nicht so langweilig wie ich befürchtet hatte.“
Er rieb sich freudig die Hände.
„Diesen Allianz Touristen werden wir mal zeigen wie man so etwas macht, und wie man einen Landstrich in Beschlag nimmt. Also, beeilt euch, wir treffen uns am Tor.“
Ich schaute ihm noch kurz mit hochgezogener Augenbraue nach. Als ich mich abwandte fiel mein Blick auf Ansaar Runetotem, unseren Geistheiler. Mit gerunzelter Stirn stand er vor seinem Zelt, ganz in seine Notizen versunken. Als ich ihn so ansah überkam mich Besorgnis. Wir alle waren ziemlich besorgt gewesen, als wir informiert wurden, daß die Zweite Sturmgarde in die Scherbenwelt ziehen würde. Ein Punkt der viele von uns beunruhigte, war die Möglichkeit in dieser fremden Welt zu sterben.
Sicher, auf Azeroth konnte keiner von uns mehr wirklich sterben. Solange unsere unsterbliche Seele intakt war, und unsere Zeit noch nicht gekommen, konnten uns die Geisterheiler immer wieder in die Welt zurückholen. Es konnte zwar unter Umständen sehr unangenehm sein, doch die Übelkeit und Schwäche nahm ein jeder von uns gerne in Kauf, solange er nur wieder zurück nach Azeroth kam.
Als das dunkle Portal geöffnet wurde, gab es viele Gerüchte über die Scherbenwelt, und eines dieser Gerüchte besagte, daß die Geisterheiler keinen Kontakt zu unseren Seelen hätten, und wenn wir in der Scherbenwelt sterben würden, und so wäre unsere Seele für immer im Netherwirbel gefangen. Wir würden weder sterben, noch in die Welt der Lebenden zurückkehren. Ein schrecklicher Gedanke.
Doch unsere Vorgesetzten und unsere Wissenschaftler hatten uns glaubhaft versichert, die Geisterheiler könnten uns auch in der Scherbenwelt jederzeit zurückholen.
Ich blickte noch einmal zu Runetotem, und begab mich dann auch zu unserem Zelt.

***

Das Grimmen in seinem Bauch wollte einfach nicht schwinden. Ansaar war schrecklich nervös. Seine Schutzbefohlenen würden heute, zum ersten Mal auf der Scherbenwelt, in den Kampf ziehen. Heute würde er, das erste Mal in dieser Welt, Kontakt mit der Seele eines Gefallenen aufnehmen; heute würde er erfahren ob die neue Methode wirklich funktionieren würde.
Er schaute noch einmal auf den Brief von Maara, der obersten Geistheilerin von Thunder Bluff. Genau beschrieb sie ihm nach welchen Strömen und Energien er spüren mußte, welche Formel er sprechen mußte. In ihrer Nachricht hörte es sich so einfach an. Doch würde Ansaar diese neue Frequenz wirklich spüren können? Würde er in diesen neuen Energieströmen die Seelen seiner Kameraden wirklich finden könne? Hätte er die notwendige Kraft, die Seele aus dem Netherwirbel zu ziehen und wieder in eine körperliche Erscheinung zu binden?
Er faltete Maara’s Brief und verstaute ihn wieder in seiner Kutte. Schließlich schnaubte er einmal laut und schüttelte seine Mähne. Es nutzte nichts darüber zu grübeln, er würde sich darauf verlassen müssen, daß Maara und die anderen Gelehrten Recht hatten, und daß er, Ansaar, die Kraft hätte, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Er richtete sich auf, nahm sein Marschgepäck, und schritt mit geradem Rücken zu den Gehegen.

***

Neugierig schaute mir Elvenshrek entgegen, und als ich nah genug heran war, hob er den Schwanz und schritt auf mich zu, stieß seine Schnauze fest in meine dargebotene Handfläche, und strich mir dann einmal um die Beine. Ich klopfte ihm zur Antwort leicht auf den Brustkorb.
„So mein Großer, anscheinend darfst Du heute doch noch jagen.“
Als hätte er mich verstanden schnurrte er laut, und drückte sich fest gegen mein Bein, bevor er sich laut gähnend streckte, und sich neben den Zelteingang setzte.
Bulljin stand im Zelt und überprüfte noch einmal seinen Reiserucksack, das Reitgeschirr seines Kampfraptoren lag bereits daneben. Da ich gestern viel zu müde zum Auspacken gewesen war, lag mein Rucksack noch verschlossen neben dem Feldbett, und ich brauchte ihn nur aufzunehmen. Das Reitgeschirr meines Frostwolfheulers hing am Zeltpfosten, und ich nahm es vom Haken als ich das Zelt verließ. Die Zeit drängte, und so begaben wir uns direkt zum Gehege und riefen unsere Reittiere. Schnell waren die Tiere gesattelt und das Marschgepäck vertraut. Schließlich ritten Bulljin und ich, mit Elvenshrek an unserer Seite, zum Tor, wo sich bereits ein Großteil der Kampfgruppe versammelt hatte. Nach und nach trudelten auch die letzten Mitglieder ein, und wir nahmen die Marschformation ein.
Kriegsherr Cripp schaute noch einmal über die Schulter zu uns, und gab dann das Zeichen zum Abmarsch.
Unsere Kampfgruppe verließ mit leisem Klimpern und Kleppern der Reitgeschirre, den vielen Stimmen der Begleiter, und dem Schnauben der Reittiere das Lager, und begab sich auf einen ungewissen Weg an den Rand der Scherbenwelt.

Ende Prolog
 
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