Chronologie eines totalen Absturz

Balluardo

Rare-Mob
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Es gab keine Vorzeichen, keine Ahnung, keine Warnung. Entgegen meiner Natur hatte ich es geschafft, mich der gesamten Ankündigungs- und Euphoriewelle zum Release von Sim City 5 überraschend nüchtern, ich möchte sogar behaupten desinteressiert zu geben. Sicher habe ich das Game früher auch mal gezockt, aber die Erfüllung ist doch das hochziehen von kleinen Häusern die dann überraschenderweise –plopp- wachsen nun wirklich nicht.

Am Donnerstagabend ein kleiner Tagesabschluss-Espresso mit der Frau in der Stadt. Natürlich muss sie noch kurz in den Müller. Müller, Depot, Butlers und diverse Schuhgeschäfte haben IMMER irgendwas, was wir noch brauchen. Diese Gesetzmäßigkeit hatte ich bereits vor unserer Ehe zügig begriffen, anfangs noch bespöttelt, heute in den Alltag eingegliedert. Ich sitze meist vor dem Geschäft, trinke noch einen Espresso im Stehen und schaue jungen Frau beim Flanieren zu. So ist unser Deal. :blub:

Diesmal kam mir die Werbung für den fünften Teil besagter Sim City Reihe in die Quere. Interessiert, aber skeptisch würde ich meine Gemütslage umschreiben. Dafür jetzt 50 Euro auf den Tisch legen? Für den –Plopp-?

„Ach komm Schatz, Du hast doch länger nicht mehr gespielt und dann hast Du was für zwischendurch.“

Ich lebe in einer Zeit, in welcher meine Frau MICH bittet ein Spiel zu kaufen.
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Angesichts ihrer beeindruckenden Auswahl an Kleinigkeiten (Tagescreme, Fettstift für die Lippen, Klostein in zwei Duftsorten …), wurde ich nicht mal vor die Gewissensfrage gestellt. Also: Basisversion für 49 € in den Korb.

Donnerstagabend Einloggen unmöglich. Habe ich mich schon etwas geärgert. Weniger über die Tatsache, dass ich das Spiel nicht sehen kann, als über die übliche Serviceleistung eines Herstellers. Und natürlich über mich selbst, der ich das alles schon weiß, aber trotzdem am ersten Tag zugreife. Da habe ich etwas von Homer Simpson und diesen Stromstößen, wenn er zum Donut greift.

Freitag gegen Mittag Eingeloggt und das Tutorial gespielt, ganz nett. Dann holt mich meine Frau zum Essen ab und damit sind wir, neben der Erlangen der Spielbox, beim Faktor zwei, welcher mein Schicksal besiegelt. Mädels Wochenende in Davos. Noch ein kleiner gemeinsamer Lunch mit Freundin, dann ist meine Frau bis Sonntagabend unterwegs. Ich setze mich mit den Mädels in die Frühlingssonne, genieße den ersten Aperol des Jahres und bestelle mir eine Pizza. Von den verheerenden Folgen der sich zusammenbrauenden Front ahne ich in diesem Moment noch nichts.

Wie das so ist an einem Tisch mit zwei Mädels, irgendwann kommt der Punkt an dem die beiden sich in ihre eigene Welt reden. Und beim Blick in die Menge, erwische ich mich dabei, wie ich mir darüber Gedanken mache, ab welcher Stadtgröße eine weitere Streife auf der Polizeiwache wohl Sinn ergeben würde? Ich meine, wir alle wollen Sicherheit … hm …

„So ihr zwei kleinen privaten Weltwunder, ich verabschiede mich schon mal, muss heim.“

„Am Forschungsdesign arbeiten? Finde ich gut, da hast Du jetzt ja das ganze Wochenende Zeit in aller Ruhe zu tippen und dabei Selbstgespräche zu führen.“

„… genau!“

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Daheim angekommen, in Straßenschuhen an den Rechner und diese Sache mit der Polizeiwache mal getestet. Irgendwann war meine Frau noch mal kurz da, den Koffer packen und das Snowboard abholen, ich habe es nicht mehr richtig mitbekommen. Beim nächsten Blick auf die Uhr ist es 21:15 Uhr. Irgendwann in der Nacht bin ich ins Bett gefallen, ein Wahnsinn …, aber erst der Anfang.

Samstag Morgen, pure Sonne! What a day!
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Allerdings auch sehr früh, erst halb acht. Da hat mein Lieblingscafé am Samstag noch nicht auf. Spricht für einen Café daheim und wenn man allein ist … kann man auch kurz den Rechner anschalten. Mal einen Blick auf die Simulation werfen, die kann ja auch nebenher im Hintergrund laufen.

Wir alle wissen, was solche Gedanken zur Folge haben.

Um etwa 09:00 Uhr habe ich etwas getan, was man in Suchtkreisen wohl einen letzten, unterbewussten Versuch nennt ein Rettungsanker zu schmeißen. Einem Freund per SMS geschrieben „Was für eine Sonne! Raus aufs Rad? Kleine Runde am See mit Espresso in Arbon?“

Antwort: „Heute nachmittag gern, muss erst noch noch mit Frau einkaufen.“

:stop:

So etwas wie gestern passiert mir nicht noch mal …
Spiel laufen lassen, nebenher rumwuseln. Mal einen Blick drauf werfen und … was ist das? Ich hatte doch das Windkraftwerk da extra … oh, ach so … nein, das muss ich natürlich anders, also da … ach weg mit der Müllhalde! Shit, das hätte ich nicht so schnell … also noch mal eben …

14:30 Uhr, SMS: „Auf drei auf´s Rad?“

Rad? Blick aus dem Fenster … Sonne. Wer will denn jetzt Rad fahren? Noch kurz hier die Sache mit der Industrie, so ganz geheuer ist mir das nicht. Ich hatte das mit der Windrichtung zu spät ganz kapiert. Jetzt husten die hier um die Wette und beschweren sich über Keime. Das muss natürlich vollständig umgeplant werden, den gesamten Bereich muss ich verlegen.

15:00 Uhr „Hallo? Ist da Leben auf Deinem Planeten? Rad?“

Alter, ich muss die ganze Industrie verlegen Mann! Das ist eine große Nummer, bei schwankender Haushaltslage. Hast Du schon mal die gesamte Schwerindustrie verprellt?

Antwort: „Nein, ich bin am schreiben!“

Wunderbar, die erste Lüge. Wie unfassbar leicht sie mir von den Lippen ging.

Gegen 19:30 Uhr habe ich zum ersten Mal ein Hungergefühl. Kurzer Gang in die Küche, dabei zwangsweise am langgezogenen Spiegel auf dem Flur vorbeigekommen. Kurzer Blick …, kurzer Gang zurück, erneuter Blick. Unfassbar, sind das meine roten, kleinen Augen? Menschen die geistig halbwegs auf der Höhe sind, hätten sich jetzt mal kurz raus an die Luft begeben. Mich hingegen beschäftigt eher die Frage, brauche ich eine Eisenbahn, oder nicht? Ich meine, die Schienen wollen ja auch alle gelegt sein. Andererseits erhoffe ich mir einen besseren Anschluss an die Region. Hat das Auswirkungen auf den Tourismus. Ich liebe den Tourismus, hatte ich das schon erwähnt?

Der charakteristische Unterschied zu Abstürzen dieser Art von vor 20 Jahre äußert sich evident darin, das ich durch langjährige Ausbildung einen Status erreicht habe, der mir Zugang zu anderen Ressourcen gewährt. Das bedeutet, mein Fertiggericht kommt mittlerweile aus dem Bioladen und statt billigen kalifornischen Rotwein, erfreut meinen Gaumen nur was Parker mit ausreichenden Punkten versehen hat. Kann man nicht meckern, hat sich der Stress ja gelohnt.

Zurück zum wichtigen, ich meine Essen kann man ja nebenher. Die Verlagerung meines gesamten Industriesektors ist in den Nachwehen natürlich gründlich danebengegangen. Solche großen Dinger gehen bei mir regelmäßig daneben, fällt mir die Ruhe glaube ich. Ich beschließe einen kompletten Neustart. Ja sicher! Aus, Schluss, vorbei! Das ziehen wir neu auf. Nennen wir es lediglich einen ersten Versuch. Jetzt geht es los! Diesmal nichts mit Baukasten-Weichei-Variante. Normales Spiel, einfach mal testen …

20:30 Uhr SMS: „Morgen dabei zum boarden?“

Ich habe einen Status erreicht, welcher Erlebnissen aus dem Hanf Universum ähnelt. Man denkt auf mehreren Schienen. Ganz hinten, auf Schiene 4 denke ich zum Beispiel: „Boarden, morgen?“

Auf Schiene 3 läuft: „Nicht vergessen, ich wollte mich mehr um Spezialisierungen in der Stadt kümmern.“

Schiene 2: „Jetzt einfach mal laufen lassen, nicht eingreifen. Ein paar Plopps noch und die Kasse sprudelt. Das ist gut so … einfach mal ein paar Minuten laufen lassen. Never change a winning Team!“

Und Schiene 1: „Stadion! JETZT, SOFORT! Ich kann es mir doch leisten!!!!“

Es ist 01:30 Uhr als ich auf die Uhr schaue, in den Spiegel schaue ich lieber gar nicht erst. Himmel, ich darf nicht dran denken was ich heute eigentlich so alles machen wollte. Von sollte rede ich nicht erst. Keine SMS beantwortet, wo ist überhaupt das Handy? Was macht meine Frau? Wo ist sie überhaupt? Da steht was von boarden. Morgen? Also dann heute? Auf keinen Fall … Toilette, … Bett.

Bin total fertig.
 
Bin sprachlos glücklich mit deinem Blog. Das muss ich nur erstmal sprachlich ausdrucken ;)
 
Ach das kommt mir so unfassbar bekannt vor. Herrlich, dass es nicht nur mir so geht :D
 
Lach, mir auch. Muss sagen ich kann Deinen Absturz noch toppen. Als Du diese Zeilen verfasst hast lag ich mit dem Kopf auf der Tastatur nach einer durchzockten Nacht in Azeroth. *grins*
 
Sonntag morgen ... *grübel
:-)
 
Ich hab die drölfzigste Stadt angefangen. Irgendwas stört mich immer. Die Lager in meinem Recyclingcenter sind auch voll. Was mach ich damit? Eine größere Feuerwehr muss auch dringend her.

Oh... Unterricht... ich sollte versuchen so auszusehen als würde ich aufpassen.

Gibts auch sowas wie einen Zoo? Ich mag Zoos...
 
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