Das wichtigste...

Khanor

Dungeon-Boss
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Es gibt eine Folge bei Star Trek - Deep Space Nine, in der Chief Miles O'Brien als Spitzel in einen Schmugglerring eingeschleust wird um einen Maulwurf in der Föderation zu enttarnen. Er stellt im weiteren Verlauf fest, dass der Geheimdienst ihn hintergangen hat und es nicht nur um das Enttarnen des Maulwurfs geht, sondern auch darum, dass der Anführer der Schmuggler den Tod finden sollen.

An dieser Stelle beginnt er mit sich selbst und seinen Überzeugungen zu hadern, denn er hat mittlerweile hinter der angeblich so finsteren und skrupellosen Gestalt einen Menschen kennen gelernt, für den Familie und Kinder das wichtigste sind. Oft genug tauchen derlei Äußerungen seinerseits auf. "Haben Sie eine Familie? Familie ist überhaupt das wichtigste..."

Am Donnerstag blieb ich nach einer Fragestunde für Statik noch in der Hochschule und wir lernten noch ein wenig für Massivbau, ich und einige Leute, mit denen ich sonst eigentlich nicht meine Zeit verbringe, da ich den Großteil davon nicht unbedingt zu Personen zähle, die ich in meinem näheren Umfeld gern sehe.

Mit dabei war eine Komillitonin, die in fast allen Fächern ganz vorn mit dabei ist, wenn es um gute Noten geht. Ihre schlechteste Note ist bisher eine 3,3 und ich finde, das spricht weitestgehend für sich. Ich hielt sie bisher für sozial inkompetent, wieso auch immer. Irgendwie gar nicht der Typ Mensch, den ich für lohnenswert erachte.

Wie das beim Lernen nunmal so ist führt auch mal das eine Wort zum anderen und man schweift vom Thema ab. Mit dabei der Hans, der einen bereits 8-jährigen Sohn hat. Die Komillitonin sprach ihn darauf an und erzählte kurz danach, dass sie kürzlich bei einer derzeit im Studium pausierenden Komillitonin war, die im letzten Sommer (übrigens ernsthaft absichtlich vom Timing her geplant) in den Semesterferien ein Kind bekommen hat. Sie schwärmte davon wie süß es sei.

Anhand ihres Fachwissens konnte ich mir bisher kaum vorstellen, dass sie so etwas wie ein Privatleben hat. Auf die Frage von Hans wie lange sie für die Spannbeton Hausübung gebraucht habe, meinte sie (so richtig gewichtig, als wäre es ein harter Schlag gewesen): "Puh, so mindestens einen ganzen Tag!"

Hallo? Ich brauche für die "leichten" Hausübungen einen ganzen Tag. Für die Hausübung in Spannbeton habe ich - wie sich mancher Leser vielleicht erinnern kann - neben diversen Tagen, die ich daran gesessen habe auch die letzten vier Nächte vor der Abgabe bis nachts um drei, vier und sogar fünf gesessen, bevor ich mir noch ein bis zwei Stunden Schlaf gönnte. Wer so etwas drauf hat ist eigentlich bewunderungswürdig, aber kann doch unmöglich auch für zwischenmenschliche Beziehungen geschaffen sein.

Hans erzählte dann noch fröhlich von einem Sektfrühstück mit Freunden, welches sich bis in den Nachmittag ausgedehnt hatte und man danach noch spontan bis zum übernächsten Mittag mit dem Wohnwagen zu viert durch die Welt gefahren sei.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, doch auf Hans' Frage hin sagte die Komillitonin: "Natürlich, Familie und Freunde sind überhaupt das wichtigste. Sonst gehst du unter und wirst verrückt."

Ich saß schweigend da, kurze Zeit. Dann murmelte ich vor mich hin so etwas wie "ich habe keine Freunde mehr". Ich will ja gar nicht sagen, dass ich der einsamste Mensch auf diesem Planeten bin oder dass die Welt so gemein zu mir ist. Schließlich habe ich nicht sonderlich dazu beigetragen Kontakte aufrecht zu halten, weder als ich noch in der Heimat gewohnt habe noch jetzt, 400 km entfernt. Aber bis auf eine Freundschaft ist wirklich alles eingeschlafen.

Ich habe privat mit niemandem zu tun. Die einzigen Kontakte die ich habe liegen in der Hochschule begründet und nur dort sehe ich die Leute, dementprechend sind auch unsere Gesprächsinhalte wenig privater Natur. Kleinigkeiten, klar, aber wirklich tiefgründige Freundschaften habe ich dort nicht.

Und die Familie? Nun... Zwei bis drei Mal im Jahr schaffe ich es, die Heimreise anzutreten oder hier einmal Besuch zu empfangen.

Ich wüsste auch gar nicht, woher ich die Zeit nehmen sollte. Klar, gelegentlich gibt es kleinere oder etwas größere Luftlöcher, aber mich so richtig auf andere Konzentrieren, tiefgründig zu werden, Kontakt zu halten... Woher nehmen andere die Zeit? Egal ob Mega-Brain oder nicht, ich verstehe nicht wie andere das machen.

Ganz ehrlich: es ist schwer genug Yvonne nicht so sehr zu vernachlässigen, dass sie denkt ich würde sie ignorieren, wobei sie der Drehpunkt meines Lebens ist.

Es ist immer ein komisches Gefühl dabei, wenn ich ans Alter denke. Es bleiben mir mit jeder Freundschaft, die ich jetzt nicht halten kann, viele Schmerzen bei einer Beerdigung erspart. Aber das ist auch das einzig positive dabei, vermute ich.

Versteht mich nicht falsch, ich bin schon lang nicht mehr der Mensch, der einfach so irgendwas gern macht oder mitmacht sondern genieße es am meisten gemütlich auf dem Sofa zu sitzen und zu zocken - gern aber auch mit anderen. Solche Vorlieben werden nur schwerlich geteilt und wird den meisten Menschen schnell zu langweilig, daher sind viele Freundschaften eingeschlafen und werden auch kaum wieder zu reanimieren sein. Und "suchen" nach Menschen, die diese Plätze wieder füllen könnten, ist ausschließlich sinnlos.

"Freunde und Familie sind überhaupt das wichtigste...". Harte Kost, in meinen Augen.
 
Freunde und Familie...... mann hört oft von Menschen, die an der Schwelle des Todes standen, sei es durch schwere Krankheit oder Unfall, fast immer Sätze wie: " da merkt man überhaupt erst was wichtig ist im Leben " oder " Dinge die für mich früher Superwichtig waren sind in wirklichkeit Kinderkram " Anscheinend bewirkt eine solch einschneidende Lebenserfahrung eine komplette Neuordnung der eigenen Prioritätenliste. Und dort stehen dann, so scheint es, sehr weit oben die Menschen auf die man sich verlassen kann......... und wer das ist, hat sich in dieser schweren Zeit offenbar auch gezeigt. .........Familie und Freunde.
 
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