ein Brief

Sanner

Quest-Mob
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11.05.2006
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Es ist ein Herbstag, ein Tag wie ich ihn mag, draußen regnet es, drinnen ist es gemütlich und warm. Ich bin zwar nicht ganz fit, aber dennoch schreib ich. Einen Brief an eine Freundin, die ich mittlerweile nur noch mit Mails erreiche.

bewusst erwachsen sein


Eine Kindheit gehabt, die ich niemals missen möchte. Sie war nicht einfach, aber welche ist das schon? Solang ich denken kann, hab ich mich mit meiner Ma immer durchgeschlagen. Ein Junge der stolz war pfeifen zu können, ein Junge der früh am Morgen aufgestanden ist, um seiner Ma ein Frühstück zu machen, ein Junge der alles wissen wollte und für den seine Ma die größte war. Ja, so war ich… Die Samstage, wenn ab 5uhr Trickfilme kamen und erst um 14-15uhr zuende gingen - aber auch die Angst vom Rad zu fallen oder meine Ma zu enttäuschen gab es. Alles Dinge, die mich ausmachten, sicherlich waren da auch Sachen die ich jetzt vielleicht nicht erwähnt habe. Doch im Großen und Ganzen möchte ich meine Kindheit niemals missen.
Heute ist wieder so ein Tag, ich sitz Daheim, draußen regnet es, die „Polizisten“ laufen die Straße entlang. Ein Auto fährt vorm Haus vorbei und ich höre Ben Harper, Jack Johnson, Donavon Frankenreiter, Bill Withers… bei nem angenehm wärmenden Pfefferminztee, der grad noch so lauwarm ist.
Heute fühl ich mich erwachsen, warum heute? Tja – die Kindheit ging über ins Alter, indem man sich Gedanken machte, was will ich mal werden und der große andere Part. Ja DER Part… die Liebe. Ich bin zwar immer aufgefallen und mich kannte so gut wie jeder auf meiner Schule, aber ein Frauenschwarm war ich wohl eher nicht. Meine Ma war mir noch immer sehr wichtig in meinem Leben und meine kleine Schwester, die mittlerweile auch zu uns zählen durfte. Dennoch waren wir drei, immer nur wir drei. Neben der kleinen Familie hatte ich noch meine Videospielkonsole und ein Hobby der Kakteenzucht. Auch hab ich gern gekocht oder in den dunklen Monaten gebacken. Gebacken, haben wir natürlich immer zusammen. Kerzenlicht im Wohnzimmer, die Kassette von Peter Alexander lief und lief – wir backten. Ich glaub, meine Ma war sehr stolz auf mich dabei. Auch wenn ich öfters einen drüber bekommen habe, weil ich mich zu dumm angestellt hatte. So war es oft, unbeholfen und dann kam die Hand von Mutti und sie machte es letztendlich selbst. Per Zufall kam ich dann auch zu meiner ersten Lehre. Ich hab oft geflucht über Chef und Arbeitskollegin, aber ich hab gern als Konditor gearbeitet. Morgens früh an die Arbeit, es war noch stockfinster, bei Wind und Wetter, immer mit dem Rad. Welch Ironie, ich hatte doch so Angst vorm Radfahren und tat es nun jeden Tag. Ich fuhr sogar Strecken bis zur Möhne und zurück.
Der Bund kam, die zweite Lehre als Koch und anschließend eine Ausbildung zum Lebensmitteltechniker auf einer Fachschule. Aber irgendwie fühlte ich mich bei allem nicht wohl. Ich machte es und zog alles durch. Hab Auszeichnungen erhalten, auch mal ein Lob hier und da. Viele Menschen durfte ich kennenlernen. Währenddessen zog ich mich aber immer wieder zurück, dachte nach und spielte. Hm, ja der gute alte „Nintendo“, der sich dann zu einen PC entwickelte. Anfangs spielte ich nicht mit dem PC. Chatten war eine Leidenschaft und hier entdeckte ich eine neue Leidenschaft. Vierzeiler, Gedichte und kleine Verse schreiben gefiel mir. Ich hatte es in meinem Leben schon einmal gemacht, damals für meine erste Liebe. Und nun gefiel es mir, es reizte mich mit Worten zu spielen. Ich fand auch hier Menschen, die meine Leidenschaft teilten. Es hielt vielleicht 1 oder 2 Jahre an. Dann kam ich über einen Arbeitskollegen in der Küche ans Spielen im Internet. Bekannte Spiele hab ich gespielt, jedoch meistens Rollen- oder irgendwelche Strategiespiele. Wie es kommen musste, es kam ein Spiel welches mich fesselte. 5Jahre lang spielte ich dieses Spiel. Und auch hier hab ich Menschen kennengelernt, nebenbei hatte ich mein Hobby des Schreibens ein wenig zurückgeschraubt. Oder auch nicht, hm… im Grunde schrieb ich nun hier im Spiel. Kümmerte mich um die Menschen, die nun um mich herum waren, weil ich sie schätzen lernte. Es war so leicht sich mitzuteilen, aber auch umgekehrt kamen sie auf mich zu. Vielleicht war es so einfach weil es immer die Option gab, den Schalter umzulegen. Aber ich glaube an die andere Option, dass es Menschen waren die Interessen mit mir teilten. Die mich verstanden, mehr als meine Arbeitskollegen oder Schüler in meinen jeweiligen Klassen. Einen guten, besten Freund hatte ich bis zu dem Zeitpunkt leider nicht gefunden. Aber wer so etwas sucht, wird es auch nicht finden. Entweder man hat einen oder nicht. Nun denn, ich war sehr leidenschaftlich bei allem in meinem Leben, so auch bei diesem Spiel. Es nahm mich völlig ein, es wurde mehr als ein Spiel für mich. Es war eine Plattform seine Freunde zu treffen, andere Menschen kennenzulernen und auch vom Tag abzuschalten. Man erlebte Abenteuer direkt Daheim im Schlafzimmer mit Menschen die man liebte, mochte, schätze. Man besuchte sich oder organisierte große Treffen. Dort lernte man die Menschen ein zweites mal kennen. Viele gaben sich anders, aber es gab auch die, die wirklich waren. Menschen, die sich nicht verstellten. Menschen die ich Freunde nennen durfte und noch immer dazu zähle. Dass man hier auch mit der Liebe konfrontiert wurde schockte mich nicht. Ich verliebte mich sogar auf eine ganz eigene Art, dies nicht nur einmal - wie gesagt 5Jahre… Es gab jedoch auch die Kehrseite des Ganzen. Viele hörten auf mit diesen Spiel aus den unterschiedlichsten Gründen und man musste sich mit Menschen umgeben, die man im „richtigen“ Leben nicht mal mit den Arsch angucken würde. Man musste es, wenn man „erfolgshungrig“ wie ich war. Denn ich hatte mir ein Ziel gesteckt, in allem perfekt zu sein und auch bekannt und erfolgreich. Für jemanden der dieses Spiel nicht so gespielt hat wie ich, mag es krankhaft klingen. Aber es war mein Hobby, wie es für andere Sport, Beruf oder die Familie ist. Ich erreichte mein Ziel in vielen Dingen, aber nie völlig und schaute auf mein Leben neben dem Spiel. Auf die Dinge die ich tat oder nicht tat. Und nach exzessiven 5 monatigen Spielens, kam es über mich. Hier ist Schluss. Ich hatte meinen Spaß verloren, die meisten Menschen um mich herum waren nicht mehr meine Freunde, nicht mal Menschen mit denen ich mich identifizieren konnte. Außerdem wollte ich endlich einen Beruf machen, der mich erfüllt. In den Jahren bemerkte ich, dass ich gut im Erklären bin, im Zuhören und Begreifen. Mein Hobby des Schreibens und die Gewohnheit immer Musik zu hören, welches ich nun bewusst mache, haben mir dabei immer sehr geholfen. Denn auch hier kann ich mich „frei bewegen“ und nachdenken, ich brauch es für mich – warum, ich weiß es nicht. So bin ich nun mal, ich brauche Zeit für mich. Als ich es allen mitteilte, dass ich aufhöre glaubte mir erst niemand. Ich organisierte mir selbst einen kleinen Abschied im Spiel, einen Moment der mich bewegte. Wie so viele Momente, Momente der Selbstlosigkeit, Momente der Hingabe, Momente der Freundschaft. Aber verstehen kann es nur der, der es selbst erlebt hat. Auch diese Zeit möchte ich niemals missen. 1 Jahr zuvor begann ich auf dem Kolleg mein Abitur zu machen, denn ich hatte es ja eigentlich schon längst beschlossen. Ich will Lehrer werden. Mich mitteilen, anderen Menschen helfen, sie anleiten und ihnen einen Weg zeigen. Sie motivieren für ihr Leben, ihren Beruf, ihre Zukunft. Doch holte mich die Vergangenheit ein, die Zeit meiner Kindheit und auch die Zeit davor. Ja die Zeit davor… ich dachte soviel nach, oft zu viel. Versäumte es vor die Tür zu gehen, versäumte es, ich zu sein. Der Junge der so stolz war pfeifen zu können. So musste ich eine „Zwangspause“ machen, aber irgendwie kam ich aus dem Loch doch heraus. Eine Seele flüsterte mir: “Mach mal etwas verrücktes! Jeder Mensch macht mal etwas Verrücktes im Leben oder sollte es zumindest tun.“ Und mir schoss eine spontane Idee in den Kopf! Ich werde alle besuchen, die ich hab kennengelernt in den 5 Jahren. Und ich begann „meine Tour“, ich reiste an den Wochenenden nach Berlin, Hamburg, Bochum, Hull, besuchte hier in der Nähe alte Bekanntschaften. Es beflügelte mich und ließ meine Seele wachsen. Wie ein Schwamm sog ich alles auf, die Kulturen… es war unbeschreiblich. Ich entdeckte an mir, die Lust am Reisen. Aber nicht ohne Ziel, immer mit dem Grundgedanken einen Freund zu besuchen. Ja, das war die Zeit, als es mir bewusst wurde. So bin ich, nachdenklich, feinfühlig, einfühlsam auch mal aufbrausend, wenn ich das Gefühl von Ungerechtigkeit habe. Außerdem sehr leidenschaftlich und einen Sinn, die Schönheit in allem zu sehen. Jedoch neige ich auch schnell dazu melancholisch zu werden und mich selbst in Frage zu stellen, an mir zu zweifeln. Auch belastet es mich oft, noch nicht den Seelenverwandten gefunden zu haben. Oft verguckt und dennoch vergriffen. Oder wie kann man es am besten beschreiben, wenn man eine so wunderschöne Stimme gehört hat, einen Geruch nicht mehr aus der Nase bekommt, ein Lächeln in allen anderen sieht und dann feststellen muss, dass es niemals etwas wird. Sei es weil sie mich nicht wahrgenommen hat, weil sie vergeben ist oder weil wir einfach nicht zueinander passen beziehungsweise passen würden. Aber ich weiß nun wie ich bin, nämlich ich. Ist es nicht das, was es ausmacht erwachsen zu sein? Zu wissen wer man ist? Oder zumindest ein Stück von sich selbst zu kennen. Ich denke schon und darum fühl ich mich heute erwachsen, wenn ich über alles kurz Revue passieren lasse. Ich höre nun weiter meine Musik, trink meinen Tee aus und freu mich auf meine weiteren Lebensabschnitte.



So spielt das Leben und es geht immer weiter. :happy:
 
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