Impressionen eines Abends in der World of Warcraft

Nohdolas

NPC
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29.04.2008
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Wir schreiben ein nicht näher zu erwähnendes Jahr des dritten Jahrtausends, ein ganz gewöhnlicher Samstagabend in einer noch viel gewöhnlicheren Vorstadtidylle. Nachdem der liebevolle Familienvater die Blagen in's Bett und die Frau zur Tupperparty geschickt hat, lässt er sich mit einem Seufzer der Erleichterung an der Stätte seines Wirkens nieder. Behaglich knarzt das durchgesessene Leder des ausgemusterten Bürostuhls aus einem ehemaligen Politbüro der SED, während ein beleidigt wirkender Bruce Springsteen aus den teuren Sennheiser-Boxen vor sich hin jammert.

Alles ist schön, alles ist toll und eine selten dagewesene Aura der Zufriedenheit erfüllt den Raum, als sich Papa mit seinem frisch 70 gewordenen Jägersmann auf einem handelsüblichen World of Warcraft Server einloggt. Die bekannten virtuellen Gesichter tummeln sich in Shattrath und von der Gilde wird man freundlich und warmherzig wie immer begrüßt. Fröhlich vor sich hechelnd wartet der im Schergrat gezähmte Köter namens Blondie (Papa ist sich ja der zweifelhaften Traditionen bewusst) darauf, dass irgendwas passiert. Fehlanzeige.

Mit Befremden folgt das virtuelle alter Ego einer hitzigen Debatte über das Für - und Wider der Daseinsberechtigung von Vergelterpaladinen im Handelschannel. Nachdem die Teilnehmer sich schlussendlich gegenseitig fragwürdiger Sexualpraktiken mit der eigenen Mutter bezichtigten, hat auch der biedere Vorstadtpapa die Nase voll und schaltet den Handelschannel ab. Nach der leuchtenden Erkenntnis, wenigstens etwas rudimentär sinnvolles an diesem Abend zu erledigen, fasst man schliesslich den Entschluss, sich einer Reisegruppe in das berühmt berüchtigte Karazhan anzuschliessen. Kharazan... ehrfürchtig denkt man an diesen sagenumwobenen Ort der, wenn man den üblichen Geschichten in gängigen Foren Glauben schenkt, geradezu das KaDeWe der world of Warcraft ist. Ein El Dorado für all jene, die sich für größere Abenteuer wappnen wollen. Schnell hat sich eine Truppe virtueller Schnäppchenjäger gefunden, welche den Waidmann herzlich willkommen heisst. In freudiger Erwartung auf die Ausrüstung, die ihm in Kürze zugeworfen werden wird, zeigt unser Protagonist noch schnell der Sanitärkeramik wer der Herr im Haus ist.

Zurück in der World of Warcraft...

Nachdem man sich von den Mitstreitern durch den Äther direkt zum Ort des Geschehens teleportieren liess, gab es erstmal eine umfassende Erklärung des Reiseleiters, was einen auf der Butterfahrt erwartet. Kompetent und fröhlich erläutert er die Räumlichkeiten und Standorte der virtuellen Wühltische. Voll freudiger Erwartungen auf die wartenden Reichtümer stürmt Papa mit seinen Mitstreiten durch die Tore. Schnell die wichtigsten Buffs verteilt und schon geht's los. Übermütig stürzt sich der Reiseleiter auf einen ziemlich friedlich aussehenden Gaul... und stirbt prompt. Nachdem der erboste Klepper auch den Rest der Reisegruppe in die ewigen Jagdgründe geschickt hat, kratzt sich unser Held verwirrt am Kopf - davon wurde aber nichts gesagt. Sei's drum, schnell ein neues Rödelheimer Pils eingeschenkt und weiter im Text. Erneut stürzen sich die Helden auf den knöchernen Vierbeiner und nach langem, zähen Ringen können sie den Kampf schlussendlich für sich entscheiden. Nachdem dieser offenbar verirrte Geist aus dem Weg geräumt war, konnte man sich nun endlich die Reichtümer aus den Regalen nehmen - wäre da nicht... verdammt.

Die Fingernägel des Protagonisten haben wenig zu lachen, als sein virtuelles alter Ego vor einer ganzen Herde dieser rabiaten Viecher steht.... ach du Scheisse! Ungeachtet der Bedenken stürzt man sich johlend ins Getümmel - Erlebnisshopping.

5 Stunden später

Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass der Reiseleiter wohl irgendwie etwas übersehen haben muss, glich doch das erlebte in keinster Weise seinen blumigen Schilderungen. Fassungslos und schweissgebadet hängt der Vorstadtvater wie ein Schluck Wasser in seinem Ledersessel angesichts des Chaos vor ihm. Die Gruppe hat sich unter teilweise bis dato unbekannten Schimpfworten aufgelöst, der Jägersmann steht samt Waldi zerkratzt und gedemütigt in einer dunklen Ecke und will von dem ganzen Scheissdreck eigentlich nichts mehr wissen.

Tief haben sich die Fingernägel in die Fichtenholztischplatte eingegraben und auch die Haare sind nicht mehr so korrekt gescheitelt wie am frühen Abend. Nervös vor sich hin summend schleicht Papa zur Stereoanlage und fummelt eine Best of Peter Alexander CD in das dafür vorgesehene Laufwerk... seufzend lehnt er sich an die Wand, während die letzten, schalen Tropfen Bier aus der Flasche seine Kehle hinabrinnen. Ein letztes mal schweift sein Blick durch den Raum während ihn endlich der barmherzige Schlaf umfängt.

Mutti kommt irgendwann von der Tupperparty nach Hause und wundert sich kein Stück, als sie ihren Mann mal wieder auf dem Flokati des Arbeitszimmers, dessen Luft eher der einer ganzen Brauerei gleicht, rumliegen sieht. Kopfschüttelnd steigt sie die Treppe zum Schlafzimmer hinauf und murmelt etwas von Männern und ihrem Gezocke.

Als Papa dann am nächsten Morgen mehr oder weniger gut gelaunt die Küche betritt um sich die üblichen zehn Eier mit totem Schwein in den Kopf zu stecken, fängt er sich den üblichen, missbilligenden Blick seiner geliebten Gattin ein und murmelt "Ach komm... dir würde das sicher auch Spass machen. Eigentlich ist World of Warcraft doch ein Gesellschaftsspiel wie jedes andere auch... weiss garnicht was du hast?!"

"Jaja die jungen Leute heutzutage" kichert Oma Elfriede von Nebenan vor sich hin, als ein lautes Klirren ertönt und der teure PC samt Tastatur und Maus im hohen Bogen in ihren Vorgarten segelt...

Wer nun dem PC das fliegen beibrachte, mag sich der gefällige Leser bitte selbst ausdenken... es geht doch nichts über ungeklärte Enden.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
 
Schon wieder jemand der sich mit Damokles messen will
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Nene, guter Text, schön geschrieben und einige sehr gute Metaphern darin!

9/10 Punkte!
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MfG, Seryma
 
Gut geschrieben, nur die einleitung ist ein klein wenig zu langantmig für meinen geschmack, deswegen auch von mir: 9/10
 
Spassig zu lesen : Schön, das nicht alle Spieler wie die von dir im Handelschannel beschriebenen sind. Wobei, jetzt wo dein Rechner im Garten liegt habe ich Angst vor dem Aussterben derjenigen
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Totes Schwein? Du meinst wohl den im Abendland üblichen Schinken.
 
Schön schön ich mag solche Erlebnisberichte .

7/10 mehr davon bitte !!
 
Das hört/liest sich doch grad wie von einem Damokles dem Zweiten... auf jeden mehr davon
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öhm... die mutti schnell zur tupperparty schicken? lol

deswegen au von mir 9/10 sternchen ^^ mehr davon !!
!
 
Mir fehlt da irgendwie die Pointe... der Punkt, der mich so richtig zum Lachen bringen soll...

aber trotzdem 7/10, weils sauber geschrieben ist und auch recht ausgeschmückt
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