Kapitel 40

Evilslyn

Rare-Mob
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Ellenoras spürte ihre Nackenhaare bitzelten, als ob sie elektrisch geladen wären.
Doch ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig.
Ihn hatte sie schon früh zu kontrollieren gelernt.
So nah wie heute, war sie schon seit ihrer Flucht vor so vielen Jahren, nicht mehr bei Lohenscheit gewesen.
Erinnerungen durchzuckten ihren Geist, als sie die vertrauten Palisaden, und die dahinter aufragenden Dächer erblickte.
Einerseits waren es positive, an Marl und Karl, an Framier und Edina.
Doch sie mischten sich an mit jenen an die Nacht der Worgen.
Sie konnte in ihrem Geist noch immer die Entsetzensschreie vernehmen. Konnte sich an den beißenden Rauchgeruch erinnern welcher in der Luft gelegen hatte.
Und immer wieder tauchten zwei Bilder vor ihrem inneren Auge auf.
Zum einen, das von Edina, die zusammengesunken dalag und sich nicht mehr bewegte.
Zum anderen das Gesicht Framiers, der von den Palisaden zu ihr herab sah, ihr sagte wie sehr er sie liebte, kurz bevor er wieder nach Lohenscheit zurückgekehrt war um Edina zu holen, und nie wieder kehrte.
Tränen stiegen in Ellenoras Augen, funkelten kurz auf, um im nächsten Moment von ihr weg geblinzelt zu werden.
Nur seine Gefühle für Edina, hatten Framiers Leben gekostet, das wusste sie heute.
Außerdem konnte sie eine verschwommene Sicht, hier nicht leisten.
So nah am Feind.
Sie stieg von Framier ab, und band ihn mit einem losen Knoten an einem Baum an.
Er schnaubte gedämpft, für seine Sinne waren die Spuren der Worgen sicher noch wahrnehmbar. Jedes Pferd, welches nicht eine so eingehende Ausbildung wie Framier genossen hätte, wäre sicher bereits durchgegangen und über alle Berge.
Sie tätschelte liebevoll seinen Hals, und flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr.
Dann wandte sie sich einem großen Baum zu, und begann hinauf zu klettern.

Von ihrem Platz im dichten Blätterdach, konnte sie Lohenscheit komplett überblicken. Ruhig und idyllisch lag es da.
Kleine Rauchwölkchen kräuselten sich über den Schornsteinen.
Ellenora konnte etliche Menschen ausmachen, die auf den Straßen unterwegs waren. Sie erzählten, schafften Dinge von A nach B, scherzten und lachten.
Ellenora wurde ganz schlecht beim Anblick dieses oberflächlich so normalen Alltags. Sie kannte die Wahre Natur dieser Bestien, dieser Worgen im Schafspelz.
Sie, konnten sie nicht täuschen.
Sie ließ ihren Blick weiter über das Dorf gleiten, als er plötzlich auf dem Dorfplatz an etwas hängen blieb.
An einem Holzkäfig.
Um ein Haar hätte sie ihn gar nicht bemerkt, da er von der Ecke eines Hauses fast verdeckt war.
Er war offenbar auf die Schnelle, aus Latten, die man gerade zur Hand hatte, zusammen gezimmert worden.
In ihm konnte Ellenora eine sitzende Gestallt ausmachen.
Auch ohne auf die Distanz Einzelheiten erkennen zu können, wusste sie, dass es sich nur um Tesius handeln konnte.
Er lebte also noch.

Sofort suchte sie nach einer Möglichkeit wie sie zu ihm gelangen konnte.
Doch schon nach kurzem sank ihr Herz.
An allen Eingängen des Dorfes, waren Wachen aufgestellt.
Selbst wenn sie in der Lage gewesen wäre, diese zu umgehen, waren doch überall im Dorf Menschen unterwegs.
Gerade dachte sie darüber nach, auf den Überraschungseffekt zu vertrauen, auf Framier direkt unter sie zu preschen, den Käfig zu öffnen und mit Tesius wieder zu verschwinden, ehe sie recht verstanden was geschah, als der Baumstamm in ihren Händen begann zu vibrieren.

Während sie sich noch fragte, wie das sein konnte, erhob sich ein Lärm, wie sie ihn noch nie vernommen hatte.
Bersten von Holz, knirschen von Stein, und zischende Luft, vermischten sich zu einem Geräusch, als ob die Erde selbst aufstöhne.
Wie Donner.
Nur das dieser Donner nicht, noch im Moment seines Auftretens wieder verstummte, sondern dass er lauter und lauter wurde.
Der Baum vibrierte immer stärker, und Ellenora musste sich verzweifelt festklammern um nicht den Halt zu verlieren.
Sie wandte sich um, und konnte durch die Blätter vage erkennen, dass etwas auf sie zukam. Etwas wie sie es nie zuvor gesehen hatte.
Alle Gedanken an Lohenscheit waren aus ihr gewichen.
Alles woran sie noch dachte, war nicht den Halt zu verlieren.
Sie umklammerte den Stamm des Baumes und stieß ein Stoßgebet aus.
Das Gebet war an niemand bestimmtes gerichtet.
Sie war bereit auf die Milde ein jeder Macht zu hoffen die sie hörte.
Egal ob Waldgeist, die Ahnen, das Licht oder Elune selbst.
Dann erreichte sie der Donner.
Sie wurde in die Höhe gerissen.
Blätter, Erde, Äste, Zweige und Steine hüllten sie ein.
Als sie den Halt um den Baumstamm verlor, durchzuckten Bilder von Miras, Tesius und ihrem Pferd Framier ihren Geist, und sie hoffte, dass ihnen mehr Glück beschienen sei als ihr.
Dann fiel sie, und Dunkelheit umfing sie.


Karl saß im Schneidersitz im Schatten seines Lieblingsbaumes, und dachte nach.
Er zog sich oft hierher zurück, in die Abgeschiedenheit und Ruhe des Waldes, wenn ihm das Leben in Lohenscheit zu viel wurde.
Hier hatten sie als Kinder oft gespielt, Marl, Ellenora und er.
Er verband viele schöne Erinnerungen mit diesem Ort, und noch immer zog es ihn hier her, wenn ihn etwas beschäftigte.
Der Baum war nicht weit von Lohenscheit entfernt, und doch tief genug im Wald, um die Sicht auf das Dorf zu verstellen.
Karl hatte des Öfteren Momente, in denen es ihm Guttat, wenn er Lohenscheit nicht sehen musste.
Das Dorf und seine Bewohner erinnerten ihn Immerzu an das Los, welches sie in jener verfluchten Nacht, vor so vielen Jahren ereilt hatte.
Besonders hatte er damit zu kämpfen, dass viele nur allzu bereit schienen, dieses zu akzeptieren.
Ja es sogar zu genießen schienen.

Allen vorweg Marl, welcher ihn immer mit großen Reden, von den Vorteilen des Worgseins, zu überzeugen suchte.
Selbst die Blutgier und Wildheit, die ihnen in Worgform eigen war, rühmte er als Geschenk. Ein Werkzeug, dessen man sich nur zu bedienen brauchte, um alles erreichen zu können.
Eine Meinung die Karl einfach nicht teilen konnte.

So kam es auch, dass Marl in Lohenscheit der Besprechung beiwohnte, was mit ihrem Gefangenen, welchen Hetsch am Vortag bei seiner Flucht gemacht hatte, geschehen sollte, während er selbst es vorzog, sich hier in den Wald zurück zu ziehen.
Die Besprechung war ohnehin eine Farce.
Das Schicksal des armen Wichts stand praktisch schon fest, als er Lohenscheit mit Hetsch betrat.
Er würde Lohenscheit nicht mehr verlassen.
Entweder würden sie ihn zu einem der ihren machen, oder, und das war wahrscheinlicher, gefoltert werden bis er alles an nützlichen Informationen herausgegeben hätte, und danach als Mitternachtssnack enden.
Karls Magen rumorte beim bloßen Gedanken daran, Menschenfleisch zu essen.
Er widerte sich selbst an, dachte er daran, dies als Worg bereits selbst getan zu haben.
Dann erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit, und verdrängte seine gerade noch so akuten Gedanken.
Die Erde hatte begonnen zu beben, begleitet von einem bedrohlichen dröhnen.

Er drehte sich in die Richtung aus der das Dröhnen zu kommen schien, doch der Wald schränkte seine Sicht stark ein.
Unschlüssig stand er da, bis plötzlich mehrere Rehe aus dem Dickicht brachen, und Richtung Lohenscheit rannten. Die Panik in ihren Augen, reichte ihm völlig an Information.
Er drehte sich, um und begann zu rennen.
Gerade als die Baumreihe hinter ihm, knirschend zu explodieren schien.


Alred und Flugur saßen an einem Fluss, nicht weit von dem kleinen Ort entfernt, welchen das Ortschild als „Dämmerungszuflucht“ auswies, an einem kleinen Feuer, über dem zwei Forellen brieten.
Bis zur Ortsgrenze, hatte Arled die beiden Worgen am Vorabend verfolgt. Dann war er umgekehrt um Flugur zu holen.
Der Ort lag noch ein ganzes Stück hinter Grimmgal, und Arled war nie zuvor dort gewesen.

Zuerst hatte es ihn überrascht, als die Worgen, nach ihrer Mahlzeit nicht den Weg nach Grimmgal einschlugen.
War ihnen aber dennoch gefolgt, da er um keinen Preis den Anschluss an sie verlieren wollte.
Als dann tatsächlich ein Dorf aufgetauchte, war sein Anspannung fast greifbar.
Hier musste er einfach Informationen finden, was mit ihm und Flugur passiert war.
Auf dem Weg, als er Flugur suchte, beschäftigte ihn jedoch vor allem der Geruch, der von Dämmerungszuflucht ausgegangen war.
Der kleine Ort roch, wie ein Hundekorb.
Der Geruch nach Worgen war so stark gewesen, dass es sogar für seine empfindliche Nase kaum möglich war, verschiedene Gerüche auseinander zu halten, geschweige denn abzuschätzen wie viele Worgen, den Ort durchstreiften.
Definitiv jedoch mehr als jene zwei die er verfolgt hatte.

„Jetzt hör mir mal zu Arled.“, sagte Flugur gerade, in jenem Ton, den seine Stimme immer dann annahm, wenn er versuchte ihm seine jugendlichen Flausen auszutreiben. „Ich glaube dir. Nur findest du es nicht selbst seltsam, dass wenn nur annähernd so viele Worgen in Dämmerungszuflucht leben wie du behauptest, es nicht viel mehr Meldungen gab? Ich meine, du weist so gut wie ich, wie triebgesteuert man in der ersten Nacht als Worg reagiert. Wie sollte es also möglich sein, so viele Worgen geheim zu halten?“
„Ich weis, ich weis. Aber dennoch weis ich auch, was ich gerochen habe.“, entgegnete Alred trotzig.
Die Zweifel Flugurs verletzten ihn, wenn er sie auch nachvollziehen konnte.
Sie hatten es nicht vor Sonnenaufgang nach Dämmerungszuflucht geschafft, und so war es Flugur nur mit seinen menschlichen Sinnen, möglich gewesen, den Ort in Augenschein zu nehmen. Arled musste zugeben, dass für ihn als Mensch, auch nichts an dem Ort seltsam wirkte.
Doch seine Erinnerung an diesen wilden Geruch der Stadt, wie der Geruch eines Zwingers, nur viel intensiver, war nach wie vor präsent.
„Wie dem auch sei, bis zum nächsten Vollmond werden wir eh abwarten müssen. Ich würde sagen wir schlagen heute Nacht hier unser Lager auf, und machen uns Morgen auf den Heimweg. Dann können wir nächsten Monat wiederkommen und uns Gewissheit verschaffen.“, sagte Flugur beschwichtigend. Er kannte Arled gut genug, um zu erkennen wie sehr ihm die Sache zusetzte.
„Ja, so können wir es machen. Aber lass uns doch wenigstens für diese Nacht ein Quartier im Dorf beziehen. Vielleicht können wir ja auch so etwas herausfinden. Was kann es schon Schaden?“, entgegnete Arled.
„Also gut, abgemacht. Dann werden wir uns, dieses Dämmerungszuflucht mal genauer ansehen. Aber zuerst essen wir mal unseren Fisch. Ich habe einen Bärenhunger.“, sagte Flugur mit einem Nicken, und machte sich daran, die Fische an ihren Stöcken aus dem Feuer zu holen.

Sie hatten die Fische noch nicht zur Hälfte gegessen, als Donnergrollen in der Ferne, ein Gewitter ankündigte. Sie würden sich beeilen, wollten sie nicht durchnässt nach Dämmerungszuflucht einlaufen.
„Wir sollten uns beeilen. Hörst du auch den Donner?“, als ein Antwort Flugurs ausblieb, schaute Arled von seinem Fisch auf, und sah dass Flugur wie gebannt auf einen Ort hinter ihm blickte.
„Was hast du denn? Steht ein Geist hinter mir?“, fragte er belustig und wandte sich um.
Mitten im Kauen hielt er inne.
Teile seines letzten Bissens, fielen ihm unbemerkt aus dem Mund.
Auf breiter Front, rollte etwas heran.
Etwas das, etwas wie… er fand keine Worte.
Es war wie eine Welle, wie eine Lawine, und es wälzte sich durch das gesamte Land.
Erst als er Flugurs Hand auf der Schulter spürte, und durch den immer lauter werdenden Donner das Wort „LAUF!“ vernahm, erwachte er aus seiner Starre.
Wandte sich um, und rannte hinter Flugur her, auf das kleine Örtchen Dämmerungszuflucht zu, welches angesichts des Weltuntergangs hinter sich, geradezu einladend wirkte.

Sie rannten so schnell sie konnten.
Sie rannten bis ihre Lungen brannten, und ihre Muskeln aus Säure zu bestehen schienen.
Sie rannten um ihr Leben.
Doch die Welle rollte so noch weit schneller, als sie selbst als Worgen in der Lage gewesen wären, zu rennen.
Auch wenn das Crescendo des Donners, und das Bild, welches sich ihnen bei einem Schulterblick darbot, ihre letzten Kraftreserven freisetzte, hatten sie gerade einmal die Hälfte der Strecke zurück gelegt, als die Welle sie erreichte.
Sie hatten das Gefühl von einer riesigen Hand niedergedrückt zu werden, unendlich schwer zu sein.
Dann brach um sie die Erde auf.
Grassoden und Gesteinsbrocken flogen um sie in die Höhe, und trennten die beiden.
Nahmen Arled die Sicht und die Hoffnung.
Er versuchte noch Halt zu finden, als ihn ein umher fliegender Stein am Kopf traf, die Welt vor seinen Augen verschwamm, und er in das warme weiche Schwarz der Besinnungslosigkeit driftete.

… to be continued

Mit freundlichen Grüßen
Eure Evi
 
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