Kapitel 49

Evilslyn

Rare-Mob
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Arled konnte seinen Augen nicht trauen. Wie konnte das nur möglich sein? Das gesamte Dorf schien anwesend zu sein. Und alle waren Worgen. Große, Kleine, Dicke und Dünne, Erwachsene und sogar Kinder saßen da. Dann bemerkte Arled deren Kleidung. Dass sie Kleidung trugen verwunderte ihn nicht einmal, er selbst hatte sich auch nie entkleidet wenn er zum Worgen wurde, doch ihre Kleidung passte. Schien extra für ihre Körpermaße gefertigt zu sein. Ihre Mode schien auch nicht wild zusammengewürfelt, wie man es hätte erwarten können. Die Männer trugen Gehröcke, und Anzüge, die Frauen Röcke und Blusen, und selbst die Kinder waren mit Miniaturausgaben der Kleidung ihrer Eltern versehen. Arled konnte es nicht fassen. Was noch erschwerend hinzukam war ihre Art, wie sie sich verhielten. Nichts deutete auf ein Rudelverhalten im Worgensinne hin. Er konnte sehen wie Köpfe zusammengesteckt wurden, getuschelt wurde, und vielsagende Blicke ausgetauscht wurden. Sie verhielten sich wie Menschen.
Dann fiel sein Blick nach vorne zum Altar, und er entdeckte Hespa.
Da stand sie, im Ornat einer Priesterin. Ihr dichter Pelz stand am Kragen ab, ihre langen Ohren ragten aus der Kappe hervor die auf ihrem Worgenschädel ruhte. Die lange weiße Robe reichte bis auf den Boden, und war auf der Hinterseite geschlitzt um ihrem buschigen Schweif Platz zu bieten. Links und rechts wurde sie von zwei Messdienern flankiert, in denen Arled Ragi und Hun erkannte. Beide trugen ebenfalls passende Ornate.
Was ging hier nur vor?
Im Gesicht von Hespa stand Unmut geschrieben, über die Unterbrechung ihres Gottesdienstes, oder was immer hier abgehalten wurde.
„Entschuldigt die Unterbrechung, Ehrwürdige. Wir haben diesen kleinen Spion dabei erwischt wie er die Kirche beobachtete.“, brachte einer seiner Führer entschuldigend vor.
Einen Moment trat Überraschung auf Hespas Züge, doch sie verschwand sofort wieder, und kühle Souveränität kehrte zurück.
„Ah, sehr interessant.“, ihre Worte waren kühl und nachdenklich gesprochen. „Das muss bedeuten du hast deine Medizin nicht genommen. Macht an den so etwas?“ Sie blickte Arled vorwurfsvoll an. Dieser war viel zu beschäftigt über alles was hier vorging nachzudenken, um zu antworten. Aber Hespas Frage war ohnehin obligatorischer Natur. Sie fuhr direkt fort.
„Nun denn, früher oder später musste es so kommen. Ich hatte nicht vor das es hier und heute geschieht, doch nun müssen wir uns für einen Weg entscheiden damit umzugehen.“ Sie wandte sich der Gemeinde zu und hob die Stimme, auf dass sie jeder hören konnte.
„Liebe Bewohner Dämmerungszufluchts! Hört mich an. Wie viele von euch wissen, kam mit dem großen Zwischenfall ein Fremder in unser Dorf.“ Getuschel brandete durch die Reihen.
„Ich beriet mich mit dem Stadtrat eingehend, wie mit dem Fremden zu verfahren sei. Es gab viele Stimme die dafür waren ihn sterben zu lassen. Andere waren dafür ihn seinem Schicksal zu überlassen, und ihn nach der nötigsten Grundversorgung irgendwo weit ab unseres Ortes auszusetzen. Warum diese Vorschläge kamen ist wohl klar.“ Wieder wurden Köpfe zusammengesteckt und getuschelt. Arled schnappe Worte auf wie: Gefahr, besser, Soldaten, Fluch. Hespas Stimme durchschnitt den Chor als sie fortfuhr.
„Aber! Wie ihr alle wisst, widme ich schon fast mein ganzes Leben der Erhaltung und Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens. Ich war mir der Gefahr bewusst, die mit einem unbeteiligten, Fremden einherging den wir in unsere Mitte ließen. Ich verpflichtete mich, mich um ihn zu kümmern. Dafür zu sorgen das unser Geheimnis gewahr bliebe.“
Ein großer Worg im feinen Frack, in der zweiten Sitzreihe stand auf: „Und was ist daraus geworden? Schön habt ihr euch gekümmert. Was macht er dann hier?“.
„Genau!“, „Er hat recht!“ wurden vereinzelt Stimmen im Saal laut.
„Wie es scheint, ist er intelligenter als ich dachte.“, gab Hespa zu. „Ich glaubte ihn mit meinem Trunk kontrollieren zu können. Doch das spielt nun keine Rolle. Was geschehen ist, ist geschehen. Was uns nun bleibt, ist eine Entscheidung zu treffen wie wir damit umzugehen gedenken.“
„Er muss weg!“, „Er darf nicht entkommen, er wird die Armee alarmieren!“, „Sie werden kommen und uns jagen! Dieses Risiko können und dürfen wir nicht eingehen!“, die meisten der Losschreienden waren Männer. Arled sah wie Worginnen schützend ihre Arme um ihre Kinder legten und deren Köpfe schützend an sich pressten. Bei der Erwähnung der Armee begannen einige der Worgenkinder doch tatsächlich zu Schluchzen und zu weinen.
In Arleds Kopf drehte sich alles. Was war das hier? War es ein Traum. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Worgen in einer Nacht ohne Vollmond. Die debattierten!? Alle Diplomatie zwischen ihm und seinem Vater als sie sich in Worgenform gegenüberstanden, war es gewesen im Kampf das Alphatier unter ihnen klarzustellen. Danach war es ganz einfach, einer führte der andere folgte. Aber das Verhalten, dass diese Worgen hier an den Tag legten, war fernab jeder Rudelhirachie. Im Grunde war es ihm egal wie sich diese Gesellschaft hier aufbaute, aber immerhin berieten sie gerade darüber, ob es ein eingehbares Risiko darstellte ihn am Leben zu lassen. Angst machte sich als dicker Klos in seiner Magengegend breit.
„…wenn es bedeutet unser aller Leben zu retten, ist er ein annehmbares Opfer!“, legte gerade einer der Worgen aus der Menge seine Meinung zu der Sache aus.
„Genau!“, „Weg mit ihm!“, „Für uns alle, für Dämmerungszuflucht!“ wurden Zustimmungsrufe ausgestoßen.
Arled hing in den Armen seiner beiden Träger und schüttelte verzweifelt den Kopf. Es war alles nicht wahr. Er würde gleich aufwachen und in seinem Bett auf der Farm liegen, es würde die Sonne durchs Fenster scheinen und in seinem Gesicht kitzeln. Er würde nach unten laufen und mit seiner Mutter und seinem Vater Frühstücken, und über diesen „echt seltsamen, realistischen Traum“ berichten.
Doch er wurde nicht wach. Es wurde nicht besser. Es wurde immer schlimmer.
Hespa die versuchte mit erhobenen Pranken der die Menge zu beruhigen, kam immer weniger gegen das Schreien des Mobs an. Worginnen verließen mit ihren Kindern teilweise die Kirche. Es schien als erwarteten sie bald Vorgänge, die für Kinderaugen nicht bestimmt wären.
Der Klos in Arleds Magen verdichtete sich. Er musste hier weg. Musste einen Weg finden diesem Irrsinn zu entfliehen. Galle brannte in seiner Speiseröhre. Sein Herzschlag dröhnte in seinen Ohren. Adrenalin schoss durch seine Adern, und Schweiß trat auf seine Stirn.
Fast greifbar war manifestierte sich seine Angst. Vor seinem inneren Auge war es eine Kugel aus reiner Dunkelheit die im Innern seines Körpers immer fester und fester komprimiert wurde. Die ihm den Atem nahm.
Und dann geschah etwas Bemerkenswertes. Es war als ob die Kugel von innen heraus gesprengt wurde. Gleißendes Licht brach aus ihr hervor, durchströmte ihn. Spülte die Angst und Beklemmung hinfort. Unterhalb seines Kinns erstrahlte ein Licht. Erst nur vage, doch schnell an Intensität zunehmend, erhellte es die untere Hälfte seines Sichtfelds. Die Kraft und Vitalität die ihm angesichts seiner ausweglosen Lage verloren gegangen war, kehrte in Arleds Glieder zurück. Erstaunensrufe ertönten aus der Menge.
Arled stellte sich wieder auf seine Füße, und richtete sich auf. Sein gesamter Körper schien zu vibrieren. Das Licht welches von Unterhalb seines Kinns erstrahlte war so hell geworden, dass es ihm fast selbst die Sicht nahm. Die Worgen, welchen ihn vor den Altar geschleppt hatten, ließen ihn los und traten einige Schritte zurück. Aus großen leuchtenden Augen starrten sie ihn entgeistert an. „Was beim Licht?“, stieß einer von ihnen hervor.
In diesem Moment spürte Arled wie die Sonne und er Mond, welche Narbenartig in seiner Haut prangte, zu bitzeln begannen. Erst nur vage, inmitten des wohligen Gefühl das sich in ihm ausgebreitet hatte, dann immer bestimmter, und schließlich mit wilder Inbrunst.
Was geschah nur mit ihm?
Er hob die Hände und konnte kaum glauben was er sah.
Haare schossen aus seiner Haut. Weiße Haare. Seine Finger verformten sich, wuchsen. Seine Fingernägel schossen in die Länge und formten sich zu Klauen.
„Das ist unmöglich!“, hörte er die gehauchte Stimme eines der Nahestehenden, der nur aussprach was er selbst dachte. Wie konnte das sein? Entgeistert starrte er auf seine Pranken, blickte an sich herab, tatsächlich, er wurde zum Worgen, doch warum? Warum jetzt? Es stand kein Vollmond am Himmel, es war bereits mitten in der Nacht. Die fassungslosen Gesichter der Worgen um ihn herum, zeigten deutlich dass auch sie nicht wusste was da gerade geschah.
Hespa war die erste die sich wieder fing. „Äußerst bemerkenswert.“, konnte Arled ihr Flüstern vernehmen. Dank seiner Worgensinne war es als stünde sie neben ihm. Sie klang weniger geschockt, denn … interessiert.
„Schnappt ihn euch! Er darf nicht entkommen! Wir brauchen ihn lebend!“, schrie sie auf die perplex herumstehenden Worgen los, die jedoch noch immer wie gebannt wirkten und nicht reagierten.
Arled konnte sich diesen Luxus nicht leisten. Er musste die Gelegenheit nutzen und entkommen. Über die Vorgänge würde er sich später Gedanken machen können.
Er schickte einen Blick gen Ausgang, wo aber bereits Worgen bereit standen um ihn aufzuhalten. Soweit hätte er es unter keinen Umständen geschafft, ohne das sich jemand auf ihn gestürzt hätte. Sein Blick wanderte weiter, und blieb an der Kanzel hängen. Er ging in die Knie, drückte sich ab, und sprang mit einem gewaltigen Satz an ebendiese, wo er seine Krallen ins Holz schlug, und einer Spinne gleich hängen blieb. Der Blick hunderter goldgelber Augen folgte ihm. Wieder drückte er sich mit aller Kraft ab, und brach durch die Buntglasscheibe des Seitenfensters, welches unter gewaltigem Getöse in abertausende Splitter zerbarst. Arled hatte den Kopf abgewandt, um seine Nase und Augen vor den Splittern zu schützen und nutzte den Moment als er sich genau auf der Schwelle zwischen Drinnen und Draußen befand, für einen letzten Blick auf die erstaunte Menge. Wie Schafe auf einer Weide, saßen und standen sie da, alle den Mund halb offen, und blickten ungläubig zu ihm auf.
Hespa stand wild mit den Armen fuchtelnd am Altar. Sie schrie auf die Menge ein, doch keiner schien wirklich von ihr Notiz zu nehmen.
Dann war Arled auch schon ihm freien, wendete den Kopf, und fing seinen Sturz ab. Er fand sich auf dem Friedhof Dämmerungszufluchts wieder, der sich neben die Kirche duckte. Er verschwendete keine Zeit damit die Gräber weiter zu beachten, und preschte davon in die Dunkelheit. Hinter ihm in der Kirche erhob sich Stimmengewirr. Offenbar war mit dem Glas auch der Bann der auf einigen Lag gebrochen.
Keine Zeit zurück zu schauen.
Er rannte.
Als er die Friedhofsmauern hinter sich gelassen hatte, vernahmen sein feines Gehör das öffnen der Kirchenpforte. Spätestens ab jetzt wurde er als verfolgt.
Er legte den Kopf nach vorn, und rannte noch schneller.
Seine Worgenpfoten boten ihm guten Halt, und jeden Mensch hätte er weit hinter sich gelassen. Doch dummerweise verfügten seine Verfolger über die gleichen Fähigkeiten.
Die Nacht war dunkel, doch die Kombination der Informationen von Ohren, Nase und Augen, formten ein Bild der Umgebung, dass selbst am Tag nicht hätte deutlicher sein können.
Er rannte und rannte. Hinter sich, jedoch in einiger Entfernung konnte er Rufe vernehmen und Gekläff. Er musste den Fluss erreichen, den Fluss an dem die ganze Geschichte mit Dämmerungszuflucht ihren Anfang genommen hatte. Das Wasser würde seine Spur verwischen. Würde seinen Geruch mit sich nehmen. Wenn überhaupt, dann hatte er nur so die Chance seinen Verfolgern zu entkommen.

…to be continued

Mit freundlichen Grüßen
Eure Evi
 
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