MMORPGs sind Killerspiele?

splen

Rare-Mob
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Wie man in den News lesen kann, wird derzeit von Seiten des Bayerischen Philologenverbandes (bpv) wieder einmal Stimmung gegen Killerspiele gemacht. Unter anderem wird in dem Artikel auch World of Warcraft als solches tituliert. Auch wenn das mittlerweile etwas entschärft wurde, sehe ich mich veranlasst, selbst mal drüber nachzudenken, wie der bpv zu dieser Einschätzung kommt und nach welchen Kriterien ein Spiel als brutal und Gewalt verherrlichend eingestuft wird. Denn nur wenn man weiß, wo in der Politik die Grenze zwischen Killerspielen und „normalen“ Games verläuft, wird man in einer Diskussion die Möglichkeit haben, den „Gegnern“ Paroli zu bieten.

Die größte Sorge der Killerspielgegner bezieht sich ja meist auf die „fließend verlaufende Grenze zwischen virtueller und realer Gewalt“, d.h. die Darstellungen in den Computerspielen werden, vor allem in den Spielen, die das Töten von Gegnern oder anderen Spielerfiguren zum Inhalt haben, mit technischem Fortschritt immer realer und detailreicher. Wasser auf die Mühlen geben wir in solchen Fällen dann noch selbst. Beispiel „Age of Conan“. Das Spiel ist, mit allen Einschränkungen in der Darstellung der Fatalities, bei weitem eines der blutigsten Online-Spiele, die in den letzten Jahren erschienen sind. Und dennoch werden sofort Stimmen laut, dass es völlig überzogen wäre, in Deutschland nur die geschnittene Version zu bekommen.

Die Frage ist doch: Warum braucht es soviel Blut in einem MMO. Ein Genre, das im Kern eigentlich den Schwerpunkt in Teamplay und taktischem Verständnis für sich beansprucht. Und genau da sollte man meiner Ansicht nach auch ansetzen, wenn es in der Diskussion dazu kommt, MMOs anzugreifen. Völlig egal, ob es dann WoW, WAR, AoC oder sonst einem der Games an den Kragen gehen soll. Die Politik unterstellt allen das Töten von anderen Spielern oder Monstern als zentralen Inhalt. Es liegt an uns, aufzuzeigen dass Teamwork und das Bilden eines funktionierenden sozialen Gefüges eigentlich den viel größeren Anteil im Spiel hat. Denn alle Spiele haben eines gemeinsam. Sie zeigen jedem Spieler auf, dass Erfolge schneller erreicht werden können, wenn man mit mehreren gemeinsam an einem Strang zieht.Die eigentliche Gefahr der Online-Spiele, und das muss in einer solchen Diskussion auch von unserer Seite als Spieler kommen, ist nicht die Gewalt, die ja ohne Zweifel zu den Spielen gehört, sondern das Suchtpotential und die daraus resultierenden Verhaltensweisen der Spielerschaft. Ich spiele seit 2002 Online-Rollenspiele und denke, dass ich in etwa einschätzen kann, welche Spielertypen es gibt und wie die Leute auf MMOs abfahren. Und das was ich in dieser Zeit (auch am eigenen Leib) erlebt habe, lässt sich mit einem Wort umfassen: Sucht. In reinster Form mit allen Symptomen. Vor allem das Sozialverhalten ähnelt phasenweise den Beschreibungen, wie man sie von „konventionellen“ Abhängigen ähnllich kennt oder geschildert bekommt. Dabei setze ich voraus, dass sich die Süchtigen selbst bereits eingestanden haben, dass sie ohne das Game nicht können oder wollen. Was man im Folgenden tut, ist, die Sucht je nach Situation zu leugnen oder zu verharmlosen. Andere Aktivitäten werden zugunsten des Spiels zu reduziert bzw. komplett aufgegeben. Freunden wird das Spiel gezeigt, in der Hoffnung sie auch dafür begeistern zu können, andernfalls wird der Kontakt zu ihnen vernachlässigt. Das gleiche passiert mit sonstigen Pflichten, die einem so obliegen. Gezockt wird bis tief in die Nacht – nur noch eine Quest, und schnell noch zum Bankfach, und zum Händler, und ins AH. Danach noch schnell ins Forum schauen, nur noch einen Beitrag schreiben – ah cooler Link. Verdammt – wieder ne Stunde überm selbst gesetzten Limit – egal, gestern wars auch so ... und es ging trotzdem. Die Übermüdung im Büro oder in der Schule wird zum „Business as usual“.

Das schlimme daran ist eigentlich, dass man kaum jemanden kennt, dem es genauso geht. Zumindest im persönlichen Bekanntenkreis. Die Leute im TS reden über so was eigentlich nicht. Da wird nur geprahlt, wie „krass man abgeht“ und „wie easy man die noobs gebasht“ hat. Player left. Der Rettungsanker kam bei mir ganz unverhofft und eigentlich war es so einfach. Zu Zeiten von Star Wars Galaxies haben wir in München begonnen, in gewisser Regelmäßigkeit Stammtische zu veranstalten. Es kamen Leute aus allen Himmelsrichtungen, teilweise mit 150 km Anfahrt, nur um mal mit den Leuten vis-a-vis über das Game zu quatschen. Fachsimpeln, Bierchen trinken, kommunizieren und abzuklopfen, ob es noch mehr so Verrückte gibt, wie einen selbst. Und Bingo – es gibt sie an jeder Ecke. Diese Stammtische haben mich wieder geerdet und eigentlich zocke ich MMOs eigentlich nicht mehr so sehr wegen der Spiele selbst und schon gar nicht wegen der Gewalt, sondern eigentlich nur noch wegen den Leuten hinter dem Avatar.

Vor allem in World of Warcraft. Wenn man sich überlegt, dass weltweit angeblich 10 Mio. Menschen durch Azeroth, die Outlands und bald Northrend geistern. Für mich bedeutet das, dass in jedem U-Bahn-Zug, mit dem ich morgens zum Büro oder abends nach Hause fahre, sitzt mit Sicherheit jemand, mit dem ich mich aus der Hüfte ne Stunde lang unterhalten könnte. Das lässt die anonymen Gesichter in einer Großstadt sofort in einem anderen Licht erscheinen. Klar denkt man sich ab und an mal, dass man gerne mal diesem oder jenem Schurken in RL über den Weg laufen würde, um ihm mal zu verklickern, wie doof man seine Klasse findet, aber was solls. Angela Merkel würde dem Bush auch sicher gern mal eine vor den Latz knallen, aber tut sie das auch? Stattdessen schüttelt man ihm staatsmännisch die Hand und versichert allerseits, wie konstruktiv die Gespräche verlaufen sind. Bla bla. Die Gedanken sind frei.

Mittlerweile haben wir in München einmal im Monat einen MMORPG-Stammtisch und da sitzen alle Seiten friedlich am Tisch und stoßen gemeinsam an. Hordler wie Allies, Hibs und Mids, Imperiale und Rebellen, völlig egal. Denn was zählt, ist die Community, der soziale Aspekt und das gemeinsame Hobby an sich. Für meine Begriffe sind das ganz normale Verhaltensweisen, wie sie in jedem Tischtennis oder Fußballverein bestehen. Das Hobby wird gemeinsam ausgeübt, man tritt in Wettkämpfen zusammen oder gegeneinander an und man unternimmt in Form von verschiedenen Rahmenveranstaltungen Dinge außerhalb des Hobbys um der sozialen Kontakte willen. Der einzige Unterschied besteht eigentlich in der Ausübungsform des Hobbys über das „neuartige“ Medium des Computers.

Vor allem sollten sich die Kritiker meiner Ansicht nach einmal vor Augen halten, wie breit das Genre der MMos mittlerweile in der Gesellschaft gestreut ist. Aus allen gesellschaftlichen Schichten und Berufsgruppen, quer über alle Teile der Erde tummeln sich Spieler in den virtuellen Welten. Ich selbst z.B. bin Polizeibeamter und ich kenne einige Kollegen, die ebenfalls Online-Spiele spielen oder früher ziemlich aktiv Counterstrike o.ä. gespielt haben. Zahnärzte, Steuerberater, Lehrer, alles ... Wenn man wirklich davon ausgeht, dass diese Spiele jemanden zum Amokläufer umpolen können, dann ist es ohnehin zu spät. Ich bitte darum, das nicht falsch zu verstehen. Ich möchte überhaupt nicht ausschließen, dass es Spiele gibt, die in überzogener Art und Weise im Rahmen des Spielinhalts Gewaltanwendung billigen und auch fordern und dass es mit Sicherheit auch bei einzelnen Personen auf Dauer dazu beitragen kann, dass der Blick für die Grenze zwischen virtuellem und realem Leben mitunter etwas verwischt, aber das kann in all diesen Fällen immer nur eine Facette einer komplexen Persönlichkeit sein. Der Grund für solche Ausraster liegt immer sehr viel tiefer verborgen und ich verwehre mich mit Vehemenz dagegen, dass ein generelles Verbot in diesem Punkt weiterhelfen kann. Es krankt meiner Ansicht nach nämlich nicht am Jugendschutzgesetz, sondern an der Einhaltung desselbigen. Nicht die Gesetze müssen schärfer werden, sondern die Umsetzung und die Veranlassung der Erziehungsberechtigten, diese im eigenen Haushalt umzusetzen.

Wo kommt man als demokratische Gesellschaft hin, wenn alles verboten wird, das eventuell jemandem Schaden zufügen kann? Ein Blick nach Amerika gefällig? Dem Land der Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten? Die Kuriositäten der Gesetzgebung und Urteile die auf dem Grundsatz „Jeder kann tun und lassen was er will, solange er dadurch nicht dasselbe Recht anderer Personen einschränkt“ basieren, füllen mittlerweile dicke Bücher. Wenn wir dahin wollen – bitteschön. Aber ich glaub nicht, dass das im Sinne unserer Auffassung von Demokratie sein kann.

Wichtig für uns als Spieler ist, dass wir uns sachlich und unaufgeregt an der Diskussion beteiligen. Es nutzt keinem, wenn wir in aggressiver „LOL“ und „WTF“-Manier den Politikern auf beleidigend auf die Füße treten. Was zählt, sind stichhaltige Argumente und eine geschlossenes Auftreten mit Vertretern, die die Belange der Computerspieler seriös vertreten können. Die Intitiative www.gamingisnotacrime.de hat hier vor einiger Zeit einen guten Anfang gemacht, aber solche Programme müssen auch von uns so wahrgenommen werden, dass sie von den „politischen Gegnern“ richtig verstanden werden. Wenn man die Seite aufruft, sieht man Usernamen wie „Fuck the System“ oder „Flitzekacke“. Da frage ich mich schon, wie das wirkt. Will man nun ernstgenommen werden, oder nicht? Will man in einen Dialog eintreten oder nicht? „Hallo, mein Name ist Flitzekacke.“

Wir wollen, dass man uns Spieler nicht mit irgendwelchen durchgeknallten Amokläufern über einen Kamm schert und uns als (halbwegs) erwachsene Menschen wahrnimmt. Also lasst uns anfangen, uns auch so zu benehmen. Zumindest wenn es um so ein ernstes Thema geht.
 
Definitiv eine sehr umfangreiche und fundierte Auseinandersetzung mit der Problematik von dargestellter Gewalt in Spielen als auch das neu aufgetretene (vielleicht auch nicht so neu, wenn man die Sucht nach Chats mit hinzurechnet.) Online - Sucht bzw. Online - Spiele - Sucht. Ich kann deinen Aussagen nur zustimmen, wie bereits erwähnt, es ist verdammt einfach, sich in einer virtuellen Realität zu verlieren und die virtuelle Realität zur eigenen Wirklichkeit und zum Lebensinhalt werden zu lassen, aber es liegt an einem selbst, dieser auch wieder zu entkommen, wenn man neben dem Hobby Gaming seine sozialen Kontakte nicht schleifen läßt, da es unter Umständen diese Leute sind, die einen auch bei realen Problem auf die Beine helfen werden. Es ist nicht die im Spiel dargestellte Gewalt, die uns aggressiv werden läßt, da wir als vernunftbegabte Wesen in der Lage sind (oder sein sollten), die schmalen Grad zwischen Fiktion und Realität zu erkennen. Nur wenn in einem die Unzufriedenheit über sein tatsächliches Leben gärt und es keinen Ankerpunkt mehr im tatsächlichen Leben gibt, dann passiert es schon mal, daß sich dieser Grad zu Ungunsten des realen Lebens verschiebt. Ich finde deine Aussage wirklich hundertprozentig zutreffend. Eine wirklich klare Ansage. Danke.
 
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