Nerd-Zeug: High End oder die Kunst, richtigen Dreck teuer zu verkaufen

win3ermute

Welt-Boss
Mitglied seit
20.08.2011
Beiträge
1.531
Reaktionspunkte
184
Kommentare
13
Buffs erhalten
6
Schaut man sich die Auktionen bei eBay an, so findet man dort überall den Begriff "High End" an Einstiegs- und Mittelklassengeräten, die weder vom Aufbau noch vom Materialeinsatz auch nur im Ansatz diesen Begriff verdienen - das ist halt Verkaufstaktik, um den letzten Schrott noch möglichst gewinnbringend zu versteigern.

Der Begriff "High End" hat zurecht in den letzten Jahren auch unter Hifi-Enthusiasten heftig gelitten. Ursprünglich bezeichnete er das "letztlich machbare"; ohne Rücksicht auf Materialeinsatz oder Geschmack.

Die meisten Leute kennen solche "High End"-Geräte nur aus Fachzeitschriften, die den letzten Pups aus den Schmieden dieser Hersteller bejubeln und mit Begriffen wie "geschmeidiger; Bühne ausfüllender; dynamischer" etc. pp. bedenken - letztendlich Worthülsen, die alles und nix beschreiben.

Im Gegensatz zu den meisten Bejublern besitze ich so ein "High End"-Gerät. Es hört auf den Namen "Transrotor Connoisseur" (wuha!) und ist ein Plattenspieler - laut Hifi-Zeitschriften hängt so ein "High Ender" jeden CD-Spieler ab, wenn der Benutzer denn mit sauteuren Kabeln und entsprechender Elektronik alles richtig macht.

Und es ist schwierig, hier "alles richtig" zu machen: Transrotor hat seinerzeit im Auslieferungszustand diesem "High Ender" ein ebenso "high-endiges" MC-System verpasst; nämlich das Ortofon X3. Superbes System; nix einzuwenden.

Nur: Warum verpasst die "High End"-Schmiede Transrotor einem Arm wie dem ausgelieferten und passend hartvergoldetem Arm SME 3009 imp. gerade dieses System, das nicht mal im Ansatz den Spezifikationen dieses Arms genügt?

Egal, welche Quellen man nachschlägt; egal, in wievielen Foren man nachfragt; egal, wie oft man die vorgegebenen Werte selbst nachrechnet: Das X3 gehört nicht unter diese "Diva"; das passt vorne und hinten nicht!

Der Arm ist ein Spezialfall: Angelehnt an das Design seines Vorgängers; des legendären SME 3009, zollte er einer Mode der Zeit Tribut: Es hieß, je leichter der Arm und das System, desto weniger Plattenabnutzung; desto besserer Klang. Superleicht konnte er auch nur entsprechend superleichte Systeme aufnehmen - klang allerdings meist nach Müll. Etliche Zubehörteile sollten die Mankos des Armes wettmachen - alle Systeme, die für diesen Arm konzipiert wurden, sind längst verschwunden, weil kaum eines sich als tauglich erwies.

Designtechnisch ist der SME3009 imp. auch für meine Begriffe der schönste Arm, der jemals verbaut wurde - andererseits ist er Design-Müll, der am besten in eine Vitrine gehört. Es gibt heute kaum mehr bezahlbare Systeme, die den Arm zum klingen bringen - und selbst die sind unter anderen, weniger schönen Armen, bedeutend besser aufgehoben.

Was bringt also einen "High Ender" wie Transrotor dazu, diese verkackte Diva mit einem völlig unpassendem System serienmäßig zu verbauen?

Offenbar hatte Räke (der Ingenieur hinter Transrotor) ein großes Kontingent von gerade diesen Armen und genau diesem System. Wen interessieren Klang, physikalische Zusammenhänge etc., wenn es darum geht, möglichst gewinnbringend zu verkaufen?

Mit "High End" hat das wenig zu tun. Umgerechnet mußte man 5.000,- Euro für einen "Connoisseur" hinlegen, um einen mehr als zweifelhaften Arm mit völlig unpassendem System zu erwerben. Der Rest der Konstruktion ist dem Prinzip der "Kleinhersteller" geschuldet: Synchron-Motor von Pabst, der neben dem Plattenspieler aufgestellt wird; aufwendige Acryl-Optik; einfachstes Prinzip.

Das Prinzip der Einfachheit wurde zum "High End" erhoben: Riementriebler ohne jeglichen Komfort! Alles, was mehr war, wurde als "störend" und "klangbeeinflußend" deklariert. Je weniger, umso mehr.

Sind jetzt alle "Direkttriebler" oder komfortable Automatikplayer weniger wert, weil Transrotor das einfachste Prinzip zum "klangtechnisch besten" erhoben hat?

Nö! Die Antwort ist ganz einfach: Richtiges "High End" ist teuer; die Transrotoren beruhen hingegen auf dem billigsten Prinzip überhaupt: Riemenantrieb über Synchronmotor; sonst nix!

Direkttriebler wie ein 1210er - völlig zu Unrecht als "DJ-Plattenspieler" verschrieen - sind von der Konstruktion her für Kleinsthersteller wie Transrotor gar nicht bezahlbar. Im Gegensatz zu den Riementrieblern hat ein Direktantrieb absolute Vorteile wie geringeren Rumpelfaktor als auch Gleichlauf. Eine Kleinstfirma wie die Nobelmarke "Brinkmann" hat mittlerweile einen Direkttriebler im Programm, dessen Motor nur eine unwesentliche Modifikation des Dual-701-Motors aus den '70ern bietet und diesen selbstredend als "wegweisend" anbietet - für knappe 6.000,- Euro natürlich.

Richtiges "High End" erwirbt der geneigte Interessent heute noch mit dem Sony-"Biotracer". Dort beruhte jegliche Einstellung auf Mikroprozessoren, die "Plug and Play"-mäßig jedes System übernahmen: Der Benutzer konnte im laufenden Betrieb Einstellungskraft, Dämpfungsfaktor und Antiskating einstellen. Die Dreher waren dermaßen komplex, daß sie einen C64 locker in den Berechnungen übertrafen! Die gesamte Entwicklung der "Biotracer" wurde mit dem Siegeszug der CD eingestellt - wer tatsächliches "High End" in Sachen Plattenspieler möchte, ist hier bestens bedient! Es gibt keine besseren Dreher als die direktangetriebenen Biotracers.

Leider ist ein Biotracer auch völlig im Arsch, wenn irgendwas nicht stimmt - Ersatzteile gibt es gar nicht mehr; Leute, die die Dinger reparieren, gab es selbst im Neuzustand nicht (man mußte mit Mittelwellenradios den Mikroprozessor "abfragen" bzw. auf dessen Geräusche lauschen, um Fehler herauszufinden - Computerschnittstellen gab es eben nicht).

Welche Entwicklung diese Dreher genommen hätten, wenn nicht die CD dazwischengekommen wäre, worauf jede wirkliche "High End"-Schmiede sofort die Produktion eingestellt hat, wissen wir leider nicht! Nur wären tatsächliche "High Ender" heute mit Sicherheit keine einfachen riemengetriebenen Masselaufwerke, die uns die "Flachpresse" unermüdlich anpreisen möchte.

Die ganze Szene um "High End-Plattenspieler" ist eh sehr merkwürdig. Es ist seit fast einem Jahrhundert bekannt, daß die "normalen" Tonarme nur ein schlechter Kompromiß sind, weil sie nur an zwei Punkten der Platte den korrekten Winkel einnehmen. Abhilfe schaffen hier tangentiale Tonarme, die es ebenfalls schon sehr lange gibt.
Nur: Die sehen beschissen aus und fristen deshalb trotz Überlegenheit nur ein Nischendasein! Sie sind auch nur aufwendig herzustellen, weswegen sie für die "High Ender" wie Transrotor keine Option darstellen. Nur Clearaudio hatte einen sauteuren Tangential-Tonarm im Programm, der sich aufgrund der Optik (und des völlig überzogenen Preises) nicht durchsetzen konnte.

Es ist bezeichnend, daß eine der größten Entwicklungen trotz halbwegs bezahlbaren Zuspielern überhaupt keine Rolle bei Transrotor oder Clearaudio spielt: Der berührungsfreie Laser-Plattenspieler existiert und wird für den moderaten Preis von 10.000 Euro verkauft (ein Schnäppchen, wenn man sich Wohnraumskulpturen von Transrotor jenseits der 100.000,- Euro-Grenze ansieht).
Es ist hier nicht der Klang, sondern die Exklusivität, die verkauft wird - nur leider mit den falschen Gründen erkauft.

Was sich durch die "Plattenspielerszene" seit Jahrzehnten durchzieht, ist im Verstärkerbau nicht anders: Dort sind Konstruktionen primitivsten Aufbaus; gepaart mit einer unüblichen Optik; die "Stars" in der Referenzklasse. Seit zwei Jahrzehnten klingen die sauteuren Dinger immer wieder so, "als würde ein Vorhang weggezogen" (man fragt sich langsam, wieviele Vorhänge vor exzellenten, bezahlbaren Boxen der "Hifi-Steinzeit" hangen, daß sie immer und immer wieder weggezogen werden können. Meine völlig "verhangenen" uralten TED4 (auch Teddies genannt) wurden seit den '90ern Jahren immer und immer wieder diese Stoffetzen derart in den Tests unter den Sockeln weggezogen, daß sie heute ja eigentlich nur noch Sonderschrott sein sollten - bis "audio" sie als "alte Helden" feierte, die auch heute noch problemlos mithalten können. Ja, was denn nu?!)

Dieses angemerkte Vokabular ist dieser Szene offensichtlich angeboren: Vorhänge wegziehen; die Frau aus der Küche hervorlocken, die bei Kabelwechseln trotz Hifi-Allergie den Klangzuwachs merkt etc.

Es gibt die berüchtigt-berühmten "Wiener Blindtests". Dort kommen alle paar Jahre erfahrene "Spezialisten" zusammen, die sich an herausragenden Boxen verschiedenste Verstärker, Kabel und CD-Player anhören. Im Gegensatz zu den uns möglichen Testaufbauten dient hier eine korrekte Lautstärkeeinmessung und eine professionelle Umschalteinheit als Grundlage. Dort hören die "Profis" verschiedenste Verstärker etc. unsichtbar gegeneinander. Jedes Jahr ist das Ergebnis dasselbe: Sauber aufgebaute Verstärker jeder Preisklasse sind nicht unterscheidbar; Kabel sind nicht hörbar; selbst der günstigeste CD-Player klingt nicht merklich anders als die "High End"-Boliden.

Deckt sich mit meiner Erfahrung: Die Boxen machen den Klang; statt Herumprobiererei mit Kabeln bringt es erheblich mehr, den Hörraum zu optimieren (mit drastischen Klangverbesserungen; während Kabel nix bringen).

Als Transrotor-Besitzer und anderer Kleinigkeiten wie eben einem Yamaha CX70 (ist der mittlerweile Gold wert oder warum zahlen die Leute auf eBay so ein Heidengeld dafür?) ist es nicht meine Absicht, Geräte schlecht zu machen.

Niemand würde sagen, eine Rolex sei Müll. Sie zeigt eben die Zeit korrekt an. Kostet eine Menge Geld; korrekte Uhrzeit bekommt man allerdings günstiger.

Ebenso würde niemand sagen, eine Rolex zeige die Zeit korrekter als alle sonstigen günstigen Funkuhren an. Sie macht nix besser; sie ist nur teurer und exklusiver und weit besser verarbeitet! Niemand kauft eine Rolex, weil sie besser als andere Uhren die Zeit anzeigt!

Ein guter Verstärker macht eben genau das: Alles richtig; ist nur billiger als sein Konkurrent von Accuphase oder McIntosh. Wären Hifitests fair, würde genau das in den Hifi-Zeitschriften stehen! Statt dessen macht man eine Art "Religion" daraus.

Versteht mich nicht falsch: Boxenklang ist ein ewiges Thema bei mir. Und sicherlich möchte ich einen Accuphase haben - im Bewußtsein, daß er die triviale Sache der Stromverstärkung nicht besser macht als mein Onkyo! Das Auge isst mit.

Und weil das Auge mitisst, liebe ich meinen liebevoll "Transe" genannten Transrotor! Ich weiß, daß ich das Luder mit einem anderen Arm verbessern könnte - aber der gehört eben dazu! Dank des super-primitiven Aufbaus habe ich keinerlei Probleme mit der Transe - und wenn ich dann mal Platte höre, dann ist die "Transe" ein ästhetischer Genuß, den ich nicht missen möchte!

Denselben Klang bekommt man auch günstiger hin (mit besserem Arm sogar noch eine Klasse höher mit weniger Ausgaben) - aber schöner wird es nicht!

Nur ich kann das zugeben, ohne mich mit "Klang" rechtzufertigen. Ich hätte gerne noch einen Tangential-Biotracer nebenher - nur den kann ich mir derzeit nicht wirklich leisten! Sieht nicht so toll aus; ist aber ebenso faszinierend für mich!

Und wäre es nicht schön, wenn Hifi-"Fachzeitschriften" endlich mal die Ergebnisse aus der Realität akzeptieren würden und statt Klang bei ausgezeichneten Verstärkern oder CD-Playern einfach deren Optik und Verarbeitung heraustellen würden? Wenn man statt esotherischem Geschwafel lesen würde: "Klingt ausgezeichnet, läßt sich einwandfrei messen - aber diese und diese Boxen passen unserem Geschmack nach gut dazu!"

Gilt in verstärktem Maße für CD-Player - die sich nun mal wirklich völlig gleich anhören; egal, welche Preisklasse!

Gut, gilt nicht für Plattenspieler - da ist die Bandbreite von Armen und Systemen weitaus höher. Aber auch hier sind "Klassifizierungen nach Preis" nicht wirklich sinnvoll. Auch ein Thorens TD 124 (und das ist absolute Steinzeit-Technik; wenn auch sauteuer bezahlt - und mein derzeitiger Traumplayer) klingt geil, wenn Arm und System stimmen. Hier ist allerdings absolute Subjektivität Trumpf.

Ein Blindtest mit verschiedenen Tonabnehmersystemen und Plattenspielern steht eh noch aus. Das würde mich ebenfalls interessieren!
 
Zurück