win3ermute
Welt-Boss
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Bereits 1912(!), also wenige Monate nach der tatsächlichen Tragödie, entstand die erste filmische Auseinandersetzung mit dem Untergang der "Titanic". Seitdem schlachteten eine Vielzahl von Streifen die Katastrophe insgesamt oder nur am Rande aus. Am Bekanntesten ist selbstverständlich Camerons Version von 1997, die auf drei Stunden Liebesgeschichte mit Untergang verband. Vielen Kritikern und Zuschauern gilt jedoch die englische Fassung von 1958 als die akurateste und beste Verfilmung.
"A Night to remember" von Roy Ward Baker stützt sich auf ein Buch von Walter Lord, das den damaligen Erkenntnisstand nach Augenzeugenberichten und Untersuchungen wiedergab (Lord diente auch Cameron als Berater).
Eine "richtige" Hauptperson gibt es hier nicht: Verschiedene Charaktere und das Umfeld der "Titanic" werden in der ersten halben Stunde des 120-minütigen Films eingeführt; der Rest gehört der Nachzeichnung des Untergangs - und der ist abgesehen von weniger "Bombast" nicht weniger packend in Szene gesetzt als bei Cameron. "Titanic"-Fans werden ganze Szenenfolgen nebst Kameraeinstellungen wiederfinden sowie eine Menge von Cameron ausgesparter Fakten wie z. B. der "Californian"-Affäre (das Schiff lag wahrscheinlich nicht sonderlich weit entfernt von der "Titanic", unterließ jedoch jeglichen Versuch der Hilfeleistung. Der Vorwurf konnte nie eindeutig geklärt werden, weil eine genaue Positionsbestimmung nicht möglich war. Den Augenzeugen zufolge lag aber ein Schiff in Sichtweite; die Besatzung der "Californian" stritt das jedoch ab).
Auch ist die Charakterzeichnung der historischen Persönlichkeiten völlig anders: Der Kapitän wirkt bei Cameron unfähig; der 2. Offizier Lightoller gar fast als hysterischer Feigling, obwohl er sich tatsächlich äußerst kompetent verhielt.
Solche Interpretationen verkneift sich Baker völlig und hält sich an die Fakten, allerdings bekommt auch hier die "Upper Class" mit ihrem teilweise ekelhaftem Verhalten ihr Fett weg - aber es wird auch gezeigt, daß es "heldenhaftes Verhalten" auf allen Seiten gab.
Baker, der sonst hauptsächlich als "Hammer-Regisseur" und dort besonders für den hervorragenden "Quatermass an the Pit" bekannt ist, hat hier seine beste Leistung abgeliefert. Die vielfältigen Anekdoten werden zu einer stimmigen Story zusammengesetzt, die auf allzu große Gefühlsdusselei verzichtet, denoch zu berühren weiß. Selbst die Musikspur kommt eher selten zum Einsatz, was den Schwarz-Weiß-Bildern eine zusätzliche Wucht verleiht, an die nicht mal Camerons opulente Neuverfilmung heranreicht.
Was Baker aufgrund des eher geringen Budgets und der Laufzeit des Streifens nicht leisten kann, ist eine Einführung der Titanic als "zusätzlichen Hauptdarsteller". Cameron nutzt die Titanic nicht nur als Kulisse, sondern unterstreicht ihren Pomp; inszeniert sie detailbesessen und benutzt sie schließlich, um sein ewiges Thema "Mensch vs. Maschine" auszuarbeiten, wobei hier die Maschine genauso ein Opfer der Naturgewalten ist wie der Mensch. Bei Baker ist die "Titanic" neben Symbol für die Arroganz der technikgläubigen Menschen wenig mehr als Kulisse, allerdings mußte er auch auf einem ausgemusterten Schiff drehen und konnte nicht auf kostenintensive Bauten zurückgreifen.
Fazit: Zwei Filme, große Ähnlichkeiten, unterschiedlicher Ansatz. Für Filmfreaks natürlich schon aufgrund des Vergleichs interessant, aber auch für alle, die keine Berührungsängste mit s/w-Filmen haben (habe mir sagen lassen, daß fehlende Farbe tatsächlich für viele jüngere Menschen ein Problem darstellt), mehr als nur einen Blick wert.
Die US-Criterion-DVD hat ein ordentliches Bild im richtigen (anamorphen) Bildformat und bietet einen Audiokommentar sowie ein einstündiges "Making Of". Wie gut die deutsche Scheibe unter dem Titel "Die letzte Nacht der Titanic" ist, weiß ich nicht - sie enthält aber keinerlei Extras, die bei so einem Klassiker eigentlich unverzichtbar sind!

"A Night to remember" von Roy Ward Baker stützt sich auf ein Buch von Walter Lord, das den damaligen Erkenntnisstand nach Augenzeugenberichten und Untersuchungen wiedergab (Lord diente auch Cameron als Berater).
Eine "richtige" Hauptperson gibt es hier nicht: Verschiedene Charaktere und das Umfeld der "Titanic" werden in der ersten halben Stunde des 120-minütigen Films eingeführt; der Rest gehört der Nachzeichnung des Untergangs - und der ist abgesehen von weniger "Bombast" nicht weniger packend in Szene gesetzt als bei Cameron. "Titanic"-Fans werden ganze Szenenfolgen nebst Kameraeinstellungen wiederfinden sowie eine Menge von Cameron ausgesparter Fakten wie z. B. der "Californian"-Affäre (das Schiff lag wahrscheinlich nicht sonderlich weit entfernt von der "Titanic", unterließ jedoch jeglichen Versuch der Hilfeleistung. Der Vorwurf konnte nie eindeutig geklärt werden, weil eine genaue Positionsbestimmung nicht möglich war. Den Augenzeugen zufolge lag aber ein Schiff in Sichtweite; die Besatzung der "Californian" stritt das jedoch ab).
Auch ist die Charakterzeichnung der historischen Persönlichkeiten völlig anders: Der Kapitän wirkt bei Cameron unfähig; der 2. Offizier Lightoller gar fast als hysterischer Feigling, obwohl er sich tatsächlich äußerst kompetent verhielt.
Solche Interpretationen verkneift sich Baker völlig und hält sich an die Fakten, allerdings bekommt auch hier die "Upper Class" mit ihrem teilweise ekelhaftem Verhalten ihr Fett weg - aber es wird auch gezeigt, daß es "heldenhaftes Verhalten" auf allen Seiten gab.
Baker, der sonst hauptsächlich als "Hammer-Regisseur" und dort besonders für den hervorragenden "Quatermass an the Pit" bekannt ist, hat hier seine beste Leistung abgeliefert. Die vielfältigen Anekdoten werden zu einer stimmigen Story zusammengesetzt, die auf allzu große Gefühlsdusselei verzichtet, denoch zu berühren weiß. Selbst die Musikspur kommt eher selten zum Einsatz, was den Schwarz-Weiß-Bildern eine zusätzliche Wucht verleiht, an die nicht mal Camerons opulente Neuverfilmung heranreicht.
Was Baker aufgrund des eher geringen Budgets und der Laufzeit des Streifens nicht leisten kann, ist eine Einführung der Titanic als "zusätzlichen Hauptdarsteller". Cameron nutzt die Titanic nicht nur als Kulisse, sondern unterstreicht ihren Pomp; inszeniert sie detailbesessen und benutzt sie schließlich, um sein ewiges Thema "Mensch vs. Maschine" auszuarbeiten, wobei hier die Maschine genauso ein Opfer der Naturgewalten ist wie der Mensch. Bei Baker ist die "Titanic" neben Symbol für die Arroganz der technikgläubigen Menschen wenig mehr als Kulisse, allerdings mußte er auch auf einem ausgemusterten Schiff drehen und konnte nicht auf kostenintensive Bauten zurückgreifen.
Fazit: Zwei Filme, große Ähnlichkeiten, unterschiedlicher Ansatz. Für Filmfreaks natürlich schon aufgrund des Vergleichs interessant, aber auch für alle, die keine Berührungsängste mit s/w-Filmen haben (habe mir sagen lassen, daß fehlende Farbe tatsächlich für viele jüngere Menschen ein Problem darstellt), mehr als nur einen Blick wert.
Die US-Criterion-DVD hat ein ordentliches Bild im richtigen (anamorphen) Bildformat und bietet einen Audiokommentar sowie ein einstündiges "Making Of". Wie gut die deutsche Scheibe unter dem Titel "Die letzte Nacht der Titanic" ist, weiß ich nicht - sie enthält aber keinerlei Extras, die bei so einem Klassiker eigentlich unverzichtbar sind!