Oshii, die erste: The Sky Crawlers

win3ermute

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Oshii ist - vor allen Dingen, wenn man japanische Maßstäbe anlegt - nicht gerade der produktivste Regisseur. Nach seinem "Ghost in the Shell", der international bekannt und zu einem der einflußreichsten Animes überhaupt wurde, folgte wenig: Erst 6 Jahre später erschien "Avalon"; ein Realfilm, der polarisierte: War "Ghost" bereits ein eher ruhiger Film mit Fokus auf die philosophischen Ansätze, so legte "Avalon" abseits der wenigen, dafür imposanten, jedoch mit kühler Distanz inszenierten "Action-Szenen", eine geradezu meditative Langsamkeit vor, die nötig war, wollte man mit der überbordenden Menge an verschiedensten Informationen, die in kleinen Häppchen dem Zuschauer dargereicht wurden, überhaupt noch mitkommen.
Großartig vermarktbar war das schon nicht mehr, denn "Avalon" ist ein anstrengender Film, der abseits dauernder eigener Interpretation wenig Sinn ergibt - und kaum zwei Zuschauer werden zu denselben Schlussfolgerungen kommen.
Für die einen ist denn auch "Avalon" ein langweiliger, sinnloser Streifen - für die anderen eines der aufregendsten Werke der jüngeren Zeit.

"The Sky Crawlers" wird im Trailer als actionreicher SF-Film verkauft, was sicherlich für herbe Enttäuschungen sorgen wird: Die Luftkampfszenen sind zwar ein absoluter Augenschmaus; sie sind aber selten und nicht die Hauptsache des Filmes. "SC" spielt in einer Welt, in der Kriege nicht mehr von Staaten, sondern Konzernen ausgetragen werden. Sie bedienen sich dabei sogenannter "Kildren": Kampfpiloten in Propellermaschinen, die nicht erwachsen werden können.
Der Fokus liegt wie auch bei "GitS" und "Avalon" auf der philosophischen Seite. Ich würde sogar behaupten, ohne Vorkenntnisse in Sachen Existentialismus und vor allen Dingen Camus' Abhandlung "Mythos von Sisyphos" ergibt die gesamte Geschichte kaum einen Sinn für den Zuschauer:
Schon sehr früh am Anfang wird ein Satz aus Camus' "Der Fremde" zitiert; das "Absurde" der Existenz ist neben der Frage nach der eigenen Identität (ebenfalls ein Lieblingsthema Oshiis) ein bestimmendes Thema, um gegen Ende sich gar scheinbar gegen eine der Hauptthesen des "Sisyphos" zu stellen, um nach dem Abspann(!) jedoch wieder eine Brücke zu schlagen. Ein bisserl Freud spielt auch noch mit. Jupp, ächz!

"SC" folgt in der Inszenierung bereits der aus "Avalon" bekannten Struktur und setzt sie im Anime um: Viele wunderschöne Bilder in langen Einstellungen; vom Hofkomponist Kawaii wie gewohnt mehr als passend begleitet, wenig Dialog, wenig Informationen, so daß sich ein Großteil des Settings wieder erst im Laufe der Handlung zusammensetzt: Ein Puzzle, das dauernde Reflexion erfordert; unterbrochen von aufsehenerregenden, jedoch emotionsmäßig distanzierten "Action-Sequenzen" (sprich: Auch wenn man das Geschehen öfters aus dem subjektiven Blickwinkel präsentiert bekommt, so ist das doch eher beobachtend denn auf Spannung getrimmt, zumal den Konfliktzielen hier kaum Bedeutung zukommt).

Für den geneigten Zuschauer ist "Sky Crawlers" eine wahre Fundgrube, was das ungewöhnliche Setting, die Detailverliebtheit, der Ideenreichtum, die Philosophiegedanken und selbstverständlich die Bebilderung und Musikuntermalung angeht.
Hier liegt allerdings meiner Meinung nach auch ein Problem des Filmes: Oshii setzt viel, viel zu viel, voraus. Zwar bietet der Film abseits der existentialistischen Auseinandersetzung weitere, teilweise provozierende Ideen wie etwa über die Rolle des Krieges in unserer Gesellschaft, jedoch wird das Grundthema nicht erläutert oder dem unerfahrenen Zuschauer in irgendeiner Weise zugänglich gemacht. Daß er damit im Laufe des Filmes einen Teil seiner Audienz verliert, weil ihr komplett der Zugang fehlt, scheint Oshii nicht zu stören.

So wird auch "Sky Crawlers" genau wie "Avalon" wieder polarisieren: Für die einen ist es ein zwar schön anzusehender, aber langweiliger Streifen, für die anderen eine teilweise provokante Diskussionsgrundlage für Stunden der Unterhaltung (riesiger Mehrwert bei einem Film!). Schade, daß sich Oshii nur an einen Teil des Publikums richtet, während er den Rest recht elitär einfach ausschließt. Und bei aller Liebe zu den ruhigen Einstellungen des Films: Zeit für ein wenig Grundlagenvermittlung wären in den zwei Stunden Laufzeit durchaus drin gewesen, ohne den Rhytmus zu zerstören!

Für mich ist "SC" nach "Avalon" und "GitS" der bisher beste Film Oshiis. Im Gegensatz zur recht freien Interpretierbarkeit eines "Avalon" wirkt "SC" wieder geschlossener; damit allerdings auch eine Nummer kleiner. Ich würde behaupten, Fans von "GitS" und "Jin-Roh", an dem Oshii ebenfalls maßgeblich beteiligt war, dürften sich hier wohl fühlen. Wer nach dem Trailer imposante und leichte Action-Unterhaltung erwartet, wird nur enttäuscht werden!
 
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