Renaissance der Jugend - Auflage 2 - Blutgeld

Balluardo

Rare-Mob
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Ein weiteres Dossier meines Lebenslauf. Gerade 18, konfrontiert mit den, in diesem Lebensabschnitt üblichen Widrigkeiten. Ich hoffe wenn ich in 20 Jahren mal meine aktuellen Blogs lese, habe ich auch nur annähernd so viel Spaß wie bei meinen alten. Diesen habe ich jedenfalls etwas überarbeitet und aktuellen Gedanken eingebracht. Es ist also praktisch ein Blog im Prozess des Lebens.

Phase Eins: Idee und Planung

Die Idee kam relativ fix. Einer der ersten Sommertage des Jahres, völlige Langweile und wir saßen in meiner Dachwohnung. Wie üblich waren wir ausgestattet mit einem sehr begrenzten Vorrat an Bargeld. Da wir nicht gedachten auch den Rest des Tages in dieser Langweile zu verbringen, man allerdings für sämtliche Aktivitäten welche unser Interesse weckten, ein gewisses Maß an finanziellen Background benötigte, war klar, dass wir an Geld kommen mussten. Aus sicherer Quelle hatte ich erfahren, dass man für ein „geselliges“ Blut abnehmen, pro Kopf etwa 20 € verdienen könne. In meinem Bericht an meinen Freund Ferrit, rundete ich diesen Betrag allerdings, verständlicher Weise auf großzügige 25 € auf. Es erschien mir sinnvoll, um Ferrits Grundmotivation in dieses Geschäft einzusteigen zu stärken.

Diese Strategie erwies sich als erfolgreich. Er zögerte kurz, die simple Rechnung, bei welcher insgesamt 50 € zur Gestaltung des Abendprogramms auskamen, stimmte ihn allerdings schnell um. Sie gefiel ihm sogar so sehr, dass wir bereits grobe Schätzungen bezüglich regelmäßiger Einnahmequellen dieser Art überschlugen.

„Für Blutplasma bekommt man meines Wissens nach noch mehr Geld!“

Das Lachen auf Ferrits Gesicht kannte keine Grenzen. Wir werden professionelle Blutspender, dass stand in diesem Augenblick fest.
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Wunderbar.

Jetzt erschien mir der richtige Zeitpunkt den ersten Haken an der Geschichte aufs Spielfeld zu schicken. Die ganze Spendenaktion würde nicht hier stattfinden, sondern in Bielefeld. Also etwa 45 km entfernt, was in der logischen Weiterführung des Gedanken bedeutete, dass wir uns irgendwie dorthin bewegen mussten. Das Startkapital war allerdings etwas bescheiden und reichte so eben für den Sprit bis NACH Bielefeld.

Das wir nicht das Geld für die Rückfahrt einkalkulierten, sollte sich als eine der ersten bitteren Erfahrungen unseres jungen Unternehmertums erweisen. Jedenfalls erschien uns eine begrenzte Investition, gerade zum Beginn der Operation „Blutspende“ durchaus akzeptabel, schließlich stand am Ende ein lukrativer Gewinn ins Haus.

Phase Zwei: Realisierung und Umsetzung.

Ran an die Tankstelle und rein was die Geldbörse hergibt. Damals reichte das noch für locker 4-7 Liter Sprit. Für den Rest organisierten wir kleine, schmackhafte Snacks, man will ja auch gut genährt ankommen am Saugrohr der Lebensretter. Anschließend direkt auf die Bahn Richtung Bielefeld, Ferrit am Steuer.

„Wohin?“

Ich kaute etwas langsamer, … wohin?
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Ohne Zweifel war diese Frage von Bedeutung. Bielefeld ist eine, zumindest für eine gezielte Blutspende, große Stadt und unser Treibstoffrest verlangte nach einer präzisen Ortsbestimmung. Leider wusste ich nicht mehr als den Slogan: „Geld gegen Blut in Bielefeld.“

„Tja, also Sarah hat mir das erzählt. Die ist eigentlich zumeist an der Uni. Da ist das wohl üblich. Also würde ich sagen sind wir da richtig!“

Ich verlieh den Worten so viel Selbstsicherheit und Vertrauen wie möglich … und er schluckte es. Irgendwie auch selber Schuld, er kannte mich ja lang genug.

Kurz vor dem Ort des Wissens schlug die Tanknadel schon bedenklich gegen Rot. Aber egal, bald sollte der Rubel rollen. Aus dem Wagen hinein in die Hallen der Weisheit und erstmal Ernüchterung. Es sah so gar nicht aus wie …, na ja wie eine „Blutspendenklinik“ eben aussehen sollte. Es sah aus wie eine Uni, wie auch immer die aussehen sollte. Ich hatte ja noch nie eine Uni von innen gesehen. Sowohl Ferrit, als auch ich waren in sogenannten bildungsfernen Elternhäusern aufgewachsen. Was nun die Lage und Orientierung nicht unbedingt verbesserte. Ich hatte so eine Art große Schule erwartet. Aber doch nicht eine ganze Stadt!

Während wir diesen Schock verdauten und nach Blutspendeaktivtäten suchend durch die Hallen streunten, überlegten wir uns für Phase Drei „Aktion und Bares“ schon mal einen denkbaren Dialog. Es ist ja doch etwas pikant direkt mit der Frage nach Geld ins Gespräch einzusteigen. „An wie viel denn da jetzt genau gedacht sei?“ Bei genauer Überlegung, ist es ja doch irgendwie Ehrensache Blut zu spenden. Aber für lau will man es ja irgendwie auch nicht machen und wir schon mal gar nicht!

In die Erarbeitung des Dialoges vertieft, streiften wir durch die Hallen. Tja, mal sehen, … also irgendwo muss ja eine Art Büro sein. Allerdings nicht hier oben. Mal eben durch das Café, die Halle runter, sehr nett. Vor allem die Damen, ich glaube damals kam mir zum ersten Mal der Gedanke, das dieses studieren doch eine gute Perspektive darstellen könnte für mein Leben. Man braucht nur die richtige Inspiration, zum richtigen Zeitpunkt. Der Rest ergibt sich.

Da steht etwas von sanitären Einrichtungen, könnten die Klos sein, kann aber auch … Der Gang mündete in einer Treppe, welche offensichtlich zu unterirdischen Räumlichkeiten führt und damit wahrhaftig zur „Ambulanz“. Warum verschafft man so immens wichtigen Stellen immer so unbedeutende Plätze innerhalb eines öffentlichen Komplexes?

Bisher allerdings noch niemand zu sehen, der auf Liegen gebettet sein Blut gibt.

Phase Drei: Aktion und Bares

Ah, da war ja schon eine junge Dame. Auffallend jung sogar.
Na, die wird uns doch wohl nicht das Blut selber abnehmen oder? Da hätte ich schon gerne einen richtigen, … also einen Arzt. Chefarzt wäre schön, ist aber keine Bedingung.

Viel los ist ja nicht hier.

Nachdem das Mädchen scheinbar keinen Grund gegeben sah, einen von uns beiden anzusprechen - obwohl wir ja nun mittlerweile bereits mitten in der Ambulanz standen -, begann ich zaghaft die Unterhaltung.

„Ähm … äh, ja. Wir kommen wegen der Spende“.

Sie dreht sich langsam um.

„Welcher Spende?“
„Mhhh, die wo man 25 € verdienen kann?“


Den Satz bereute ich sofort und schob ein ziemlich genuscheltes und leises,

„ … hat man uns hier so … also … die anderen … erzählt“ hinterher.
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„Hier kann man kein Blut spenden.“

Sie dreht sich um. Die Unterhaltung scheint für sie damit beendet zu sein.
Ferrit und ich sehen uns kurz sprachlos an. Einer dieser Blicke welche ganze Unterhaltungen ersetzten. Unser beider Erstaunen, dann erschrecken. Ferrits Vorwürfe und meine beteuerten Entschuldigungen.

„Ja, … aber man kann doch Blut spenden oder nicht?“

„Ja, schon aber das ist in der Stadt, direkt am Jahnplatz. Da gebt ihr erstmal eine Probe ab und nach ein paar Wochen bekommt ihr dann das Ergebnis ob ihr spenden könnt“

Ein paar Wochen? Eine Probe?

„Wie ist das denn mit der Probe? … Bekommt man da denn auch schon … etwas für … also, ich sag mal Geld?“

„Nein, dafür kriegt man nichts, aber am besten lasst ihr euch dort vor Ort beraten Jungs“,

sprach sie und entschwand.

Phase Vier: Rückzug und Demütigung

Da standen wir nun einsam im Neonlicht des sterilen Raumes.

Viel zu sagen hatten wir uns nicht. Gedemütigt krochen wir die Treppenstufen wieder empor. So ungern ich es sagen wollte, ein Thema musst doch angeschnitten werden. Auch dieser Tag würde zu Ende gehen und auch heute würde ich ihn gern in meinem Bett beenden.

„Sag mal Ferrit, wie kommen wir eigentlich nach Hause?“

Ein schwacher Blick von rechts. Bisher schien für dieses Problem keine Lösung zu existieren. Mir fiel im Grund nur ein Weg ein und der war nicht gerade erbauend für mich. Meine Informantin studierte an dieser Uni und mit der lief gerade so eine Art … tja, hoffnungsvolle Affäre? Ich meine, ich war 18 und etwas planlos, sie 24 und Studentin. Ich hatte mich da bereits in der Ausgangssituation etwas verhoben.

Diese galt es nun um Geld zu bitten, vielleicht etwas erniedrigend diese Situation.

Also durchfragen zu Vorlesungen für Jura. Auch schon amüsant in der Erinnerung. Geht mal an eine Uni und fragt irgendwen, wo denn hier etwas über Jura erzählt wird. Die Nachforschung führte uns direkt zum Audimax, in welchem wir die gesuchte Dame dann auch ausspähten.

„Hi, was habt ihr denn nun wieder angestellt?“

Warum stellt sie gleich so eine Frage? Ich meine, dass setzt ja schon voraus, dass wir irgendwas falsches gemacht haben. Ich zapple etwas rum und schaue suchend zu Ferrit. Sicher würde er einschreiten! Aber Ferrit schaut nur etwas verlegen zu Boden und schart mit den Füßen Spuren in den nicht vorhandenen Staub.

„Tja, also nichts. Wir sind nur mal so … hier. Das ist ja auch klasse, so eine Uni. Genau wie Du es gesagt hast“

Ausladende Bewegung mit den Armen an dieser Stelle.

„Ja schön, leider muss ich jetzt in die Vorlesung, wenn ihr wollt können wir ja gleich Café trinken zusammen.“

„Also, … eigentlich wollten wir … nach Hause und, äh … wir haben kein Spritgeld.“

„Wieso kommt ihr ohne Geld für Sprit nach Bielefeld?“

„Das ist eine, … etwas längere Geschichte.“

Warum sagt Ferrit nichts?

„Ich glaub ich will sie nicht hören“

Sie lacht, gibt uns aber das entsprechende Geld für die Heimfahrt.
Eigentlich kein Wunder, dass die Frau mich dann im Spätherbst verlassen hat.

Bilanz der Aktion: Zumindest langweilig war es nicht.
 
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