Vinyl or not?

win3ermute

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Die Leute fragen mich immer, ob ich Tyler Durden kenne. Eigentlich nicht. Und eigentlich fragen die Leute das auch nicht. Die Leute fragen mich eher, ob diese altertümliche Schallplatte, die ich da auf meine zeitlose Schönheit einer Bewegt-Raumskulptur lege, tatsächlich besser klinge als die CD.

Ich kann dann in Klischee-Erwartungshaltungen antworten, wie es viele Analogisten tun (nicht ich):

„Natürlich klingt das besser! Unser Ohr hört analog – und die Platte da ist analog! Nur, weil etwas auf dem Papier besser klingt, muß das lange nicht so sein! Ist wie mit Mikrowellen: Gab es die, bevor die erforscht wurden, na, na?! Und ich HÖR das doch, dass das besser klingt!“

Fakt ist: Die CD mag in ihren höchsten und tiefsten Frequenzen begrenzt sein – aber die meisten Boxen jenseits eines bezahlbaren Rahmens konnten und können auch heute diesen Bereich nicht mal im Ansatz abdecken. Die CD braucht keine Sonderbehandlung beim Mastering – die gibt das heute eh digital aufgezeichnete Muster haargenau an den Wandler weiter.

Kommen wir zu den Restriktionen der Schallplatte: Ohne Vorverstärker hört man nix. Tiefste Bässe würden die Nadel aus der Rille hauen; bei den höchsten Höhen würde sie sich fühlen wie der Freier bei einer engen Jungfrau: Nicht genug Platz, um die Nadel in der Rille zu halten! Deshalb ist das Signal verzerrt: Bässe und Höhen biegt der Vorverstärker gerade, der auch dafür sorgt, dass überhaupt ein hörbares Signal an der Anlage ankommt.

Ohne Vorverstärker kann so ein Plattenspieler nix. Hat der Verstärker keinen „Phono“-Eingang mit entsprechendem „Pre-Amp“, kommt auch nix an.

Dieser Eingang ist übrigens nicht mal genormt. Aus einer Zeit, in der die schwarze Scheibe mit dem Loch in der Mitte die Referenz in Sachen „Boah! Kling gut!“ war, bastelten alle Hersteller ihre eigenen Eingangssüppchen. Und so klang denn mal ein Yamaha „spitz“, ein Marantz „basslastig“ und ein Engländer wie Arkham oder Musical Fidelity „neutral“. Wohlgemerkt alle mit demselben Plattenspieler nebst System. Ist unterschiedlichen Eingängen im Phono-Bereich geschuldet.
Leider hält sich diese Prä-CD-Einordnung bis heute, obwohl alle diese Verstärker-Hersteller damals wie heute verdammt neutrale Amps abgeliefert haben! Geschuldet ist dieser „Ruf“ einer Vinyl-Ära, die wir seit Jahrzehnten hinter uns haben.

Ein herkömmlicher Arm eines Plattenspielers trifft übrigens genau zweimal den tatsächlichen Winkel der Schneidmaschine. Darüber und darunter gibt es in jedem Falle Verzerrungen, die sich vor allen Dingen in den Innenrillen einer Schallplatte bemerkbar machen! Abhilfe leisten hier nur Tangentialsysteme, die allerdings aufgrund der meistens sehr günstigen Bauweise weitere Probleme bereiten.

Eine Schallplatte braucht ein spezielles Mastering: Tiefe Frequenzen sollten nicht „stereo“ aufgenommen werden; ferner spielt die Rillenauslenkung eine Rolle: Wird die Nadel dank großer Dynamik herumgeworfen, dann muß auch ein entsprechender Abstand zur Nächstrille vorhanden sein. „Oldtimer“ kennen das vielleicht: Die 45er Maxi hatte einen Klang, den die 33er Vinyl-Version nicht mal im Ansatz bieten konnte. Heutige „Vinyl-Special Editions“ sind denn auch in 45 mit höchstens zwei Songs pro Seite aufgenommen.
Der CD ist sowas mehr als egal!

Die Überlegenheit einer CD über die Schallplatte möchte ich gar nicht wirklich diskutieren. Ein Vorverstärker und ein Abtastsystem sind hier genauso wichtig wie der abtastende Arm und das Chassis. Rumpelt das Laufwerk, überträgt sich das auf die Nadel. Eine nicht haargenau justierte Nadel verzerrt – immer! Das Lager des Armes sowie seine Konstruktion beeinflussen den Klang, zumal man nicht jedes System unter den jeweiligen Arm montieren kann (Nadeln haben durch ihre Gummilagerung eine bestimmte Elastizität und erfordern unterschiedlich schwere Arme). Letztlich ist da der Vorverstärker, der nach Eingangsempfindlichkeit mehr oder weniger Stromdaten zur Verstärkung bekommt.

Eine CD macht das so: Daten da, ab an den integrierten Wandler. Selbst die billigsten Laufwerke liefern hier 100 % ab. Der Wandler besorgt die Aufbereitung – und auch hier sind die billigsten Wandler auf einer hohen Stufe. In Blindtests sind Billig-CD-Player nicht von Zig-Euro-Laufwerken unterschieden worden – solange es rein linear läuft. Seit einiger Zeit gibt es CD-Player, die ihre Daten durch einen „Analog-Filter“ laufen lassen (Wadia und Burmester waren da Vorreiter; Sony zog nach), die die Daten „verfälschen“, um „analoger“ zu klingen. Keine Sorge – diese Verfälschung findet erst in Geräten jenseits der 1.000,-Euro-Klasse statt. Irgendwas muss man halt tun, um sich von der Konkurrenz abzuheben (siehe die absolut lächerlichen Linn, die dennoch damit jede Menge Geld scheffeln).

Warum nu eine Platte hören? Nun, ich nenne mehrere Plattenspieler mein eigen. Neben einem eher optisch langweiligem Onkyo CP-1057F (den ich im Schlaf reparieren kann) mit Quartz-Direktantrieb und eigens für diesen Player designtem MC-System steht hier einer dieser berühmt-berüchtigten Treibrad-Antriebler von PE (die komplexeste mechanische Mistsau, die jemals gebaut wurde) neben einem Braun 550s (die ekeltronsichste Schlampe, die abseits von Sony jemals das Licht der Welt erblickte). Prunkstück und eingangs erwähnte „Raumskulptur“ ist sicherlich ein Transrotor Connoisseur mit der absoluten Diva in Sachen Tonarmen namens SME 3009 imp. mit Ortofon VM Silver – (und der verdammt schönste Arm, der jemals gebaut wurde).

Nun, die liebevoll als „Transe“ bezeichnete Raumskulptur ist nicht nur das optisch schönste, was mir jemals in dem Bereich untergekommen ist. Abseits von der allgemeinen Unbezahlbarkeit bringt dieses Laufwerk einige Tugenden mit: Überdimensioniertes Lager und Motor, die in Gleichlauf und Geräuschentwicklung jedem anderen Riementriebler meiner Erfahrung verdammt überlegen sind. Der Arm ist wie schon gesagt eine Diva. Er entstammt einer „Ära“, in der Abtastsysteme möglichst leicht und „MC“ (brauchen wiederum spezielle Vorverstärker) sein sollten. Mehr als 1,5 p Auflagekraft geht hier konstruktionsbedingt nicht.

Was passiert nu, wenn man eine Platte auf diesem Äquivalent einer formschönen Pendeluhr auflegt? Je nach Vorverstärker und System ist hier ein wesentlich „wärmerer“ Klang zu begutachten. Der ist jedoch nicht der generellen Überlegenheit des Analogsystems zuzuschreiben, sondern schlicht und ergreifend harmonischen Verzerrungen, die als angenehmer empfunden werden können. Höhen und Bass sind genauso präzise wie auf der CD; allerdings „verschwimmen“ Details angenehm, was den weniger „analytischen“ Klang der Platte beschreibt. Etliche Knacker und Krackser sind allerdings in Kauf zu nehmen – selbst neue Platten sollten nach Erwerb mindestens mit einer „Knosti-Plattenwaschmaschine“ „gewaschen“ werden. Das bringt manchmal gar nix; manchmal jedoch fast absolute Knackfreiheit!

Auf weniger guten Systemen ist das Erlebnis allerdings ernüchternd: Neben Knacksern ist nur ein eher verzerrtes Musikerlebnis wahrzunehmen. Und manchmal bessert sich das auch nach Aufrüstung nicht: Manche Scheiben sind so mies gepresst, die bräuchten einen Exzorzisten! Mit wenig Geld kann man durchaus einem Dual 1226 verdammt gute Klänge entlocken. Für ein mehr als befriedigendes Klangerlebnis braucht es allerdings KnowHow, eine Menge Geduld und Experimentierwillen!
Andererseits: Es ist erstaunlich, mit wie wenig Aufwand man durchaus gut Musik von Platte hören kann!

Warum nu Platte hören, wenn CD günstiger, einfacher und eh akustisch besser ist? Nun, einmal ist da das Artwork. Eine CD-Hülle ist nicht wirklich groß – das LP-Pendant hingegen kann durchaus als „Kunst“ durchgehen. Eine Platte schmeisst man zudem nicht einfach ein, sondern man legt sie auf; das Gerät zeigt auch, was es gerade macht. Es ist vielleicht diese Bewußtseinswerdung, dass man nicht einfach auf ein File klickt, sondern dem Gerät bei der Wiedergabe zusehen kann.

Bei mir persönlich, dessen Gerät nicht mal eine Endabschaltung hat, wird Musik-hören zu einem bewussten Vorgang. Das ist in diesem Augenblick nichts nebensächliches mehr, sondern die Hauptbeschäftigung. Daß der Player dabei noch verdammt gut aussieht, wenn er eine Platte bewegt, mag sein Übriges tun.

Seid euch bewusst: Das ist kein billiges Hobby! Ein CD-Player ist immer noch die bessere Wahl, weil einfacher, besser klingend (wenn es objektiv sein soll) und weniger wartungsanfällig. „Einstiegsvinylern“ empfehle ich die Geräte von Technics in der Direkt-Triebler-Ausführung – das sind unverwüstliche und tolle Geräte. Gerade der 1210er ist eine Bank (das ist kein „DJ-Gerät“, sondern ein hochwertiges „Aufsteiger-Erzeugnis“, das erst durch seine Zuverlässigkeit zum Kultgerät wurde). Hab ich mehrmals besessen und auch „verschraubt“. Ebenso – mit Einschränkungen – kann ich jene biederen Dual-Dudler der 70er und frühen 80er empfehlen. So ein 1226er sieht kacke aus; ist jedoch ein tolles Gerät – wenn man den Steuerpimpel ersetzt hat!

Abstand würde ich von den berühmt-berüchtigten „Linn-Killer“ PE2020 nehmen. Sie sind verdammt toll – wenn sie denn laufen. Darunter hängen ein paar Kilo Zahnräder, die gewartet und penibel aufeinander abgestimmt werden müssen. Der Steuerpimpel bei einem Dual ist sehr schnell ersetzt – beim PE wird das eine Wissenschaft! Mit Sicherheit ist die PE-Reihe das absolute Maß aller Dinge, was Mechanik angeht – und für den Laien damit eher uninteressant. Ausnahme: PE33. Als reines Studio-Gerät allerdings kaum zu bekommen. Hat kein Antiskating. Eher auch was für Fortgeschrittene – und für Leute, die einen Scheiß-Dreck auf Optik geben.

Thorens-Klassiker sind natürlich ebenfalls mehr als einen Tip wert. Diese Geräte haben allerdings keinerlei Komfort in der Standardausführung; die „Subchassis“-Balancierung ist ebenfalls nicht ganz einfach. Ein 12.000,- Euro-„Linn“ ist übrigens nur eine Variation dieser wunderbaren Laufwerke! Gibt es in allerlei Variationen und MKs mit verschiedensten Tonarmen bis hin zum SME 3009.

Ebenfalls – wenn in gutem Zustand – ist der Reibrad-Riemenantriebler Braun P500 eine hervorragende Wahl. Allerdings Vorsicht: Das Chassis kann sich in knapp 40 Jahren verzogen haben. Die Preise sind zumindest bei eBay sehr überzogen, weil das gute Stück ein Design-Klassiker ist, dessen Gestalter Dieter Rams etliche Vorlagen für die heutigen Apple-Geräte lieferte).

Abzuraten ist für den Laien die Generation der zwar hochwertigen, aber äußerst elektronischen Geräte von Firmen wie Denon, Sony, Onkyo und auch Braun ab der '80er. Mein Onkyo macht kaum mehr was mechanisch; sein zweiter Motor ist nur für den Arm zuständig. Noch schlimmer ist der Braun: Fast genauso komplex wie ein PE2020 funktioniert hier nicht mal mehr der Lift mechanisch! Sensortasten erledigen die „Auf-Ab-Bewegung“, Antiskating und auch Armbewegung werden durch ein Magnetfeld gesteuert. Der Lift gar hebt sich durch einen Wärmedraht. Der Plattenteller ist gerade mal einen Millimeter dick – und wiegt mehr als ein Kilo. Darunter befindet sich eine Plastikantriebsscheibe, die durch ein Magnetfeld die Drehzahl regelt. Eines der letzten Hightech-Geräte (heutige Hai-Ent-Systeme haben Riemenantrieb mit Synchronmotor – abgesehen vom Brinkmann, der den Direktantrieb des 70er-Duals kopiert mit weniger guten Ergebnissen, dafür weit mehr als 10x so teuer). Die Systemjustierung ist zum Reihern; der Klang für ein ehemaliges „Referenzgerät“ gegen den Onkyo oder gar die Transe bescheiden. Aber faszinierend ist das Designwunder schon!

Systeme wie das hervorragende „Ortofon VM Silver“ kosten selbstverständlich auch ihren Preis: 250,- Euro wollen dafür ungefähr hingelegt werden (Ersatznadeln kaum billiger). Klanglich ist es in seiner Preisklasse sicherlich das einzige (für mehr muß auch mehr Geld hingelegt werden). Passt auf leichte und mittelschwere Tonarme.
„Klang“ ist hier eh ein Problem: Jedes System klingt anders; jeder Vorverstärker – zumal, wenn er nicht einstellbar ist – ebenfalls.

Fazit:
Wer auf das „Klangwunder“ Vinyl setzt, sollte viel Geduld, einen Willen zur Optimierung und auch „mechanisches“ Geschick mitbringen - und nicht zuletzt Geld! Es mag subjektiv besser klingen als CD. Man sollte jedoch nicht erwarten, dass die kleinen Billigboxen gerade ein Klangwunder veranstalten – eher im Gegenteil: Günstiger Mist wird sich hier nicht positiv bemerkbar machen. Nicht jeder Vinyl-Player, für vermeintlich wenig Geld bei eBay gekauft, erweist sich auch als Überflieger. Und wenn man sich durch Begriffe wie „vertikaler Spurwinkel“, „Antiskating“, „Auflagekraft“, „Lagerspiel“, „Spiegellager“ etc. nicht angesprochen fühlt, dann sollte man die Dinger meiden!

Und selbstverständlich sollte man alle Dinger meiden, die gerade als "Plattenspieler" angeboten werden. Das meiste von dem Zeug sind billigste "Fräsen", die nur zur Plattenruinierung taugen!

Sehr guten Klang - und besser als Vinyl - gibt es auf CD! Und da bietet selbst ein günstiger CD/DVD/BD-Player verdammt gute Ergebnisse!

Wenn die Transe aufdreht, der Arm sich gen Einlaufrille senkt und dann die ersten Klänge der Scheibe erklingen, dann fragen mich die meisten Zuhörer nicht mehr, ob das besser als CD klingt. Das, was da kommt, hat dann einige Zuhörer schon zu Vinyl gebracht - trotz meines Hinweises, daß es im Grunde schlechter ist als CD!
Das ist halt verdammt subjektiv und hat wenig mit der Technik zu tun - es klingt tatsächlich nicht besser, sondern einfach nur weitaus schöner! Und bei aller Objektivität - da hört der Streit einfach auf!
 
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