win3ermute
Welt-Boss
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Huhu,
Horrorfreaks entscheiden sich nicht für ihr Lieblingsgenre, sondern der
Horror findet sie, jagt ihnen eine Heidenangst ein, hält sie ein paar
Nächte wach - und lässt sie in einem Zustand der masochistischen
Verzückung zurück, der sie den Kick der Angst immer und immer wieder
suchen lässt. Der Horror gebiert in einem kurzen Moment seine Jünger -
und es ist ihm egal, an welchem Ort die Heimsuchung stattfindet.
Meine ersten Begegnungen mit Horror waren natürlich die Märchen. Die
ideale Mutter für einen werdenden Horrorfreak ist jene, die ihm im
zarten Alter kurz vor dem Schlafengehen eine kräftige Portion düsteren
Thrill und Perversität verpasst. Meine Mutter leistete bei dieser
heiklen Aufgabe Vortreffliches, und so kannte ich mich bald in düsteren
Wäldern, mit bösen Stiefmüttern, sprechenden Katern oder abgeschnittenen
Zehen bestens aus.
So wundert es nicht, daß das erste Fernsehbild, welches mich des Nachts
heimsuchte, der im Schneegestöber erscheinende Zeichentrick-Kopf der
"Schneekönigin" war. Die Tür meines Kinderzimmers hatte in Augenhöhe ein
fernsehgroßes Sichtfenster[1], das sich im Dunkeln etwas heller gegen
die Umgebung absetzte. So oft ich - von einem inneren Zwang getrieben -
den Kopf unter der Bettdecke hervorhob und auf das Fensterchen starrte,
glaubte ich, daß sich das grausame Gesicht mit den bösen Augen gleich
dort zeigen mußte. Die Schatten, die sich auf dem Fenster zu bilden
schienen, nahmen alsbald schemenhaft die Umrisse eines Kopfes an -
meiner verschwand schnell wieder unter der Bettdecke, denn die
Schlangen, die sich darunter befinden mochten, erschienen mit einem Mal
als das kleinere Übel. _Mein_ Herz sollte dieses Miststück nicht bekommen.
Die prägendste Begegnung mit Horror fand jedoch am letzten Tag vor den
ersten großen Ferien an jenem Ort statt, an dem Eltern ihre Brut vor
solchen Ausgeburten vermeintlich in Sicherheit wägen; nämlich in der
Schule. Mit großen Augen und noch größerem Interesse lauschte ich der
Geschichte von Georg, dem "Gespenst vom Schloßhotel", festgehalten auf
einer Kassette des beliebten Hörspiel-Labels "Europa" (wie es der Zufall
so wollte, schenkten mir später meine Eltern ausgerechnet dieses Tape zu
Nikolaus. Dieses unzählige Male abgespielte und dementsprechend
ausgenudelte Exemplar besitze ich noch heute).
Eine Woche lang schlief ich nicht besonders gut - danach war ich süchtig
nach diesem Stoff. Schrieb die Fernsehzeitschrift einen phantastischen
Film aus, begehrte der Sprößling der Familie Sichtung - wohlwissend, daß
die Nacht unangenehm werden könnte, aber auch bewußt, daß der Thrill das
durchaus aufwiegen würde. Während des Heranwachsens blieben eine Menge
Filmszenen im Gedächtnis dieses Sorgenkindes der BPjS: Christopher Lees
Silhouette in der Grufttür (Dracula; 1957); Barbara Steeles
Wiederbelebung als Hexe Asa in Bavas atemberaubend schönen "Die Stunde,
wenn Dracula kommt"; der Kampf eines kleinen Mannes gegen eine riesig
anmutende Spinne (Arnolds "Unglaubliche Geschichte des Mr. C."; 1957);
Opales brutaler Angriff auf einen Passanten ("Das Testament des Dr.
Cordelier"; 1959); das mit Hunden in der Antarktis kämpfende Monster aus
einem Eisblock ("Das Ding aus einer anderen Welt"; 1951); ein
durchscheinendes Gespenst mit grausamen Gesichtszügen in einem einsamen
Landhaus ("Der ungebetene Gast"; 1944); eine über den Köpfen einer
Menschenmasse einstürzende Kathedrale ("Die Schrecken der Medusa";
1978); das schreckliche Gesicht von Erik in den Katakomben der Pariser
Oper ("Das Phantom der Oper"; 1925); der grausig entstellte Geist eines
Schwerverbrechers ("Das Testament des Dr. Mabuse"; 1933) oder auch ein
sich aus einer Rauchwolke manisfestierender Dämon direkt aus den
Untiefen der Hölle, auf den ich noch zu sprechen kommen werde.
Manchmal sollte man die filmischen Leichen der Kindheit in den tiefen
Grüften der Erinnerung ruhen lassen, denn nicht selten erweisen sie sich
in der Rückschau lächerlich ("Das schwarze Loch"; "Dracula jagt
Mini-Mädchen") oder gar langweilig ("Tarantula"; "Die brennenden Augen
von Schloß Bartimore"). Zudem merke ich (manchmal zu meinem Leidwesen),
wie sehr sich doch die Rezeption der Streifen geändert hat: Plötzlich
bemerke ich bei Szenen, die mir als Kiddie eine Heidenangst bescherten,
die absolute Durchschaubarkeit der Spezialeffekte oder Kulissen. Wo
früher kurzzeitig der Film zur Realität wurde, werden nun andere Details
wie Lücken in der Story oder Kameraarbeit, Schauspielkunst und
Schnittechnik beachtet.
Die Veränderung der Sehperspektive wurde mir als ungefähr 15jährigem
beim erneuten Betrachten von "Horror of Dracula" klar. Als Kind habe ich
erst um die arme Frau, die Harker um Hilfe bittet, gebangt, um mich
dann, als sie sich als Vampir entpuppt, zu fürchten und tiefer in den
Sessel zu verkriechen, worauf meinen vibrierenden Nerven das plötzliche
Auftauchen von Dracula den Rest gab. Als Teenie entdeckte ich eine
andere Dimension der Szene: Sobald die junge Dame auf dem Bildschirm
auftauchte, war meine Aufmerksamkeit von ihrem Kleid - genauer gesagt,
von den zwei Dingen, die dieses Kleid vortrefflich zur Geltung brachte -
absolut gefesselt. Statt mich im Sessel zu verkriechen, beugte ich
mich interessiert vor. Erstmals wurde mir die verruchte sexuelle
Anziehungskraft, das wahre Wesen dieses untoten Gesindels, wirklich
bewußt[2]. Nur am Rande bemerkt: Der erotischste Kurzauftritt eines
Filmvampirs dürfte jener von Monica Bellucci (barbusig, Jungs! Garg!) in
Coppolas fantastischer "Dracula"-Version sein.
Kehren wir zu einer Zeit in meiner Kindheit zurück, in der Weibchen
lediglich hübsche Gesichter hatten und ansonsten oft nervten (naja, so
viel hat sich nun ausser des hinzugekommenden Interesses meinerseits am
weiblichen Körper doch nicht geändert *duck*). Ich kann nicht genau
lokalisieren, wann ich das erste Mal auf jenen Film gestoßen bin, der
mir vor vielen anderen Highlights ein unbeschreibliches Gefühl des
wohligen Schauerns beschert hat. Bestimmte Szenen standen immer klar vor
meinen Augen, wenn ich durch Zufall in irgendeinem Artikel oder Lexikon
auf den Namen des Films stieß. Da war ein Dämon - eine rauchende
Ausgeburt aus den Tiefen der Hölle -, der langsam auf sein schreiendes
Opfer zuschwebte; da war ein Clown, der einen fürchterlichen Sturm
heraufbeschwor; da war ein Mann, der des Nachts vor einem unsichtbaren
Monster, dessen Fußspuren klar erkennbar waren, in einem Wald davonlief;
da war ein hochspannendes Finale auf Bahngleisen. An die Geschichte
erinnerte ich mich nicht so genau, da waren lediglich Fragmente von
einem unheimlichen Hexenmeister, der seine Opfer verflucht und von eben
jenem Dämon zur Strecke bringen lässt.
Später sah ich weitere Werke des Regisseurs Jaques Tourneur wie z. B.
"Cat People" (dem Paul Schrader ein eher unrühmliches Remake mit
Nastassja Kinski und Malcom McDowell verschaffte), "I walked with a
Zombie" oder auch die schwarze Komödie "Ruhe Sanft GmbH", in der ein
Totengräber auf die wunderbare Idee kommt, für seine Kundschaft selbst
zu sorgen. Keiner dieser Filme - wenngleich für sich genommen
einflußreiche und sehenswerte Höhepunkte des Genres - hinterließ den
nachhaltigen Eindruck eines "Fluch des Dämonen", was natürlich auch
durch mein zunehmendes Lebensalter bedingt wurde.
Aus diesem Grunde war mir ein wenig mulmig zumute, als ich endlich die
DVD in Händen hielt und damit nach mehr als 20 Jahren die Gelegenheit
des Wiedersehens bekam. Würde der Film meine hochgesteckten Erwartungen
nicht erfüllen - zumal Kritiker gerade das Monster, welches Tourneur
eigentlich gar nicht zeigen und nur auf Druck der Produzenten eingefügt
wurde, bemängelt hatten -, lief ich in Gefahr, eine schöne
Kindheitserinnerung zu zerstören und damit etwas Liebgewonnenes zu
verlieren. Erfahrungen sind jedoch da, um gemacht zu werden und so schob
ich selbstverständlich die Silberscheibe in den Player, löschte schnell
das Licht, drehte die Anlage auf, machte es mir auf dem Sofa bequem und
startete die Wiedergabe.
Ein Bild von Stonehenge erscheint auf dem Bildschirm; eine
schicksalschwangere Stimme erzählt von uralten Ritualen, die den
Menschen zerstören. Ein Mann fährt zu einem einsamen Landhaus und
bekniet dort verzweifelt den Bewohner, doch den Fluch zurückzunehmen.
Der Mann, offenbar beruhigt, fährt nach Hause, parkt den Wagen - und
erstarrt. Aus einer Rauchkugel materialisiert sich der Dämon. Da ist er
- genau wie in meiner Erinnerung und kaum einen Deut weniger unheimlich.
Die Nahaufnahme ist vielleicht ein wenig gummimäßig, aber trotzdem schön.
Nun, es wird ein Quentchen weniger interessant, als die Hauptpersonen,
wie in den Filmen der 50er Jahre üblich, ausführlich vorgestellt werden.
Der Held trifft das erste Mal auf Dr. Karswell, der offenbar für den
Fluch verantwortlich ist. Es geschieht etwas Seltsames: Szenen, die ich
nicht mehr gegenwärtig hatte, steigen vor meinem geistigen Auge auf,
bevor sie auf dem Bildschirm zu sehen sind. Merkwürdig: Es gibt Filme,
die ich erst vor wenigen Monaten gesehen habe, an die ich mich weniger
gut erinnere. Dann endlich kommt der Sturm; der Klown ist
selbstverständlich Karswell. Die Atmosphäre wird immer finsterer und
bedrohlicher; manches übertrifft die Erinnerung noch. Durch
menschenleere Flurbögen hallt ein nervenaufreibendes Geräusch; ein
Todeszeitpunkt wird exakt angekündigt. In einer finsteren Sturmnacht
entdeckt der Held die verderbnisbringenden Runen, die ein Eigenleben zu
entwickeln scheinen, während der Wind um das Haus pfeift. Ein
wunderschöner Alptraum entfaltet sich; eine Hand, die den Held praktisch
verfolgt, lässt die lang vermißte Gänsehaut wiederentstehen. Gebannt
fürchte ich um den Helden, als ihn das unsichtbare Monster verfolgt,
obwohl ich weiß, wie die Geschichte ausgeht. Zum Schluß bin ich wieder
Kind; die Realität ist abgeschaltet, das Geschehen auf dem Bildschirm
die Wirklichkeit. Nach dem Ende bleibe ich noch etwas ruhig sitzen.
Jetzt entsinne ich mich sogar, daß ich diesen Film nicht zuhause gesehen
habe, sondern bei meiner Großmutter. Ich erinnere mich an Einzelheiten
der Wohnung, an die ich lange nicht mehr gedacht habe. Ich glaube sogar,
den /Geruch/ von damals wahrzunehmen. Leicht verärgert stelle ich fest,
daß das Gefühl der nostalgischen Erinnerung schon wieder vorbei ist und
widme meine Gedanken dem Film.
Ich könnte nun erzählen, wie geschickt die Story aufgebaut ist, die den
anfänglichen Skeptiker immer mehr in den Bann des Übernatürlichen zieht,
das sich mit Brachialgewalt in seine Welt bohrt. Ich könnte seitenlang
über Tourneurs photographische Meisterleistung bei der Bildkomposition
in den unheimlichen Szenen schreiben, sezieren, analysieren. Ich könnte
wahrscheinlich noch genügend Verweise auf Psychologie, den damaligen
Zeitgeist oder die Bedeutung der Symbolik suchen - aber zerstört nicht
das die Magie manches Films? "Der Fluch des Dämonen" ist, wie
Hahn/Jansen ausnahmsweise treffend feststellen, ein "bemerkenswerter
Beitrag zum Horrorkino". Das ist für mich im Augenblick mehr als genug!
Manchmal sollte man die filmischen Leichen der Kindheit in der
Erinnerung ruhen lassen, weil sonst ein Stück Kindheit verloren gehen
kann. Manchmal gewinnt man allerdings genau diesen Teil der Kindheit für
einen kurzen Augenblick zurück. Danke, lieber Dämon.
Grüße
Hannes
[1] Liebe Mütter, die ihr dies liest, solltet ihr solche Türen vor den
Kinderzimmern haben, wechselt sie doch bitte aus. Ich begreife bis heute
nicht, wie die Mütter von phantasievollen Kindern, die Fernsehen als
Fenster zu einer anderen Welt betrachten, deren Abbildung zumindest im
Moment des Betrachtens zur Realität wird, die Ähnlichkeit von solchen
Sichtluken zur Mattscheibe übersehen. Andererseits könntet ihr damit
eure Blagen um ein paar interessante Lebensaugenblicke bringen.
[2] Was lernen die Eltern unter euch aus dieser Episode? Horrorfilme
sind für die sexuelle Entwicklung eurer Sprößlinge einfach
unentbehrlich. Wer diese Art von Filmen seinen Blagen vorenthält, gerät
in Gefahr, eine Horde von verklemmten Spießern (oder noch schlimmer:
potentielle Serienkiller) auf die Gesellschaft loszulassen!
Edit: Das Ding wurde vor mehr als 10 Jahren geschrieben und ich halte das immer noch für eine meiner besten "Besprechungen". Es ist aus der Usenet-Zeit, als Leute durchaus noch die Aufmerksamkeitsspanne hatten, eine sog. "Wall of Text", die ausreichend gegliedert ist, durchzulesen. Sollte ich jemals "schreiberlings" einen besonders guten Ausfall gehabt haben, dann ist er hier zu finden.
Horrorfreaks entscheiden sich nicht für ihr Lieblingsgenre, sondern der
Horror findet sie, jagt ihnen eine Heidenangst ein, hält sie ein paar
Nächte wach - und lässt sie in einem Zustand der masochistischen
Verzückung zurück, der sie den Kick der Angst immer und immer wieder
suchen lässt. Der Horror gebiert in einem kurzen Moment seine Jünger -
und es ist ihm egal, an welchem Ort die Heimsuchung stattfindet.
Meine ersten Begegnungen mit Horror waren natürlich die Märchen. Die
ideale Mutter für einen werdenden Horrorfreak ist jene, die ihm im
zarten Alter kurz vor dem Schlafengehen eine kräftige Portion düsteren
Thrill und Perversität verpasst. Meine Mutter leistete bei dieser
heiklen Aufgabe Vortreffliches, und so kannte ich mich bald in düsteren
Wäldern, mit bösen Stiefmüttern, sprechenden Katern oder abgeschnittenen
Zehen bestens aus.
So wundert es nicht, daß das erste Fernsehbild, welches mich des Nachts
heimsuchte, der im Schneegestöber erscheinende Zeichentrick-Kopf der
"Schneekönigin" war. Die Tür meines Kinderzimmers hatte in Augenhöhe ein
fernsehgroßes Sichtfenster[1], das sich im Dunkeln etwas heller gegen
die Umgebung absetzte. So oft ich - von einem inneren Zwang getrieben -
den Kopf unter der Bettdecke hervorhob und auf das Fensterchen starrte,
glaubte ich, daß sich das grausame Gesicht mit den bösen Augen gleich
dort zeigen mußte. Die Schatten, die sich auf dem Fenster zu bilden
schienen, nahmen alsbald schemenhaft die Umrisse eines Kopfes an -
meiner verschwand schnell wieder unter der Bettdecke, denn die
Schlangen, die sich darunter befinden mochten, erschienen mit einem Mal
als das kleinere Übel. _Mein_ Herz sollte dieses Miststück nicht bekommen.
Die prägendste Begegnung mit Horror fand jedoch am letzten Tag vor den
ersten großen Ferien an jenem Ort statt, an dem Eltern ihre Brut vor
solchen Ausgeburten vermeintlich in Sicherheit wägen; nämlich in der
Schule. Mit großen Augen und noch größerem Interesse lauschte ich der
Geschichte von Georg, dem "Gespenst vom Schloßhotel", festgehalten auf
einer Kassette des beliebten Hörspiel-Labels "Europa" (wie es der Zufall
so wollte, schenkten mir später meine Eltern ausgerechnet dieses Tape zu
Nikolaus. Dieses unzählige Male abgespielte und dementsprechend
ausgenudelte Exemplar besitze ich noch heute).
Eine Woche lang schlief ich nicht besonders gut - danach war ich süchtig
nach diesem Stoff. Schrieb die Fernsehzeitschrift einen phantastischen
Film aus, begehrte der Sprößling der Familie Sichtung - wohlwissend, daß
die Nacht unangenehm werden könnte, aber auch bewußt, daß der Thrill das
durchaus aufwiegen würde. Während des Heranwachsens blieben eine Menge
Filmszenen im Gedächtnis dieses Sorgenkindes der BPjS: Christopher Lees
Silhouette in der Grufttür (Dracula; 1957); Barbara Steeles
Wiederbelebung als Hexe Asa in Bavas atemberaubend schönen "Die Stunde,
wenn Dracula kommt"; der Kampf eines kleinen Mannes gegen eine riesig
anmutende Spinne (Arnolds "Unglaubliche Geschichte des Mr. C."; 1957);
Opales brutaler Angriff auf einen Passanten ("Das Testament des Dr.
Cordelier"; 1959); das mit Hunden in der Antarktis kämpfende Monster aus
einem Eisblock ("Das Ding aus einer anderen Welt"; 1951); ein
durchscheinendes Gespenst mit grausamen Gesichtszügen in einem einsamen
Landhaus ("Der ungebetene Gast"; 1944); eine über den Köpfen einer
Menschenmasse einstürzende Kathedrale ("Die Schrecken der Medusa";
1978); das schreckliche Gesicht von Erik in den Katakomben der Pariser
Oper ("Das Phantom der Oper"; 1925); der grausig entstellte Geist eines
Schwerverbrechers ("Das Testament des Dr. Mabuse"; 1933) oder auch ein
sich aus einer Rauchwolke manisfestierender Dämon direkt aus den
Untiefen der Hölle, auf den ich noch zu sprechen kommen werde.
Manchmal sollte man die filmischen Leichen der Kindheit in den tiefen
Grüften der Erinnerung ruhen lassen, denn nicht selten erweisen sie sich
in der Rückschau lächerlich ("Das schwarze Loch"; "Dracula jagt
Mini-Mädchen") oder gar langweilig ("Tarantula"; "Die brennenden Augen
von Schloß Bartimore"). Zudem merke ich (manchmal zu meinem Leidwesen),
wie sehr sich doch die Rezeption der Streifen geändert hat: Plötzlich
bemerke ich bei Szenen, die mir als Kiddie eine Heidenangst bescherten,
die absolute Durchschaubarkeit der Spezialeffekte oder Kulissen. Wo
früher kurzzeitig der Film zur Realität wurde, werden nun andere Details
wie Lücken in der Story oder Kameraarbeit, Schauspielkunst und
Schnittechnik beachtet.
Die Veränderung der Sehperspektive wurde mir als ungefähr 15jährigem
beim erneuten Betrachten von "Horror of Dracula" klar. Als Kind habe ich
erst um die arme Frau, die Harker um Hilfe bittet, gebangt, um mich
dann, als sie sich als Vampir entpuppt, zu fürchten und tiefer in den
Sessel zu verkriechen, worauf meinen vibrierenden Nerven das plötzliche
Auftauchen von Dracula den Rest gab. Als Teenie entdeckte ich eine
andere Dimension der Szene: Sobald die junge Dame auf dem Bildschirm
auftauchte, war meine Aufmerksamkeit von ihrem Kleid - genauer gesagt,
von den zwei Dingen, die dieses Kleid vortrefflich zur Geltung brachte -
absolut gefesselt. Statt mich im Sessel zu verkriechen, beugte ich
mich interessiert vor. Erstmals wurde mir die verruchte sexuelle
Anziehungskraft, das wahre Wesen dieses untoten Gesindels, wirklich
bewußt[2]. Nur am Rande bemerkt: Der erotischste Kurzauftritt eines
Filmvampirs dürfte jener von Monica Bellucci (barbusig, Jungs! Garg!) in
Coppolas fantastischer "Dracula"-Version sein.
Kehren wir zu einer Zeit in meiner Kindheit zurück, in der Weibchen
lediglich hübsche Gesichter hatten und ansonsten oft nervten (naja, so
viel hat sich nun ausser des hinzugekommenden Interesses meinerseits am
weiblichen Körper doch nicht geändert *duck*). Ich kann nicht genau
lokalisieren, wann ich das erste Mal auf jenen Film gestoßen bin, der
mir vor vielen anderen Highlights ein unbeschreibliches Gefühl des
wohligen Schauerns beschert hat. Bestimmte Szenen standen immer klar vor
meinen Augen, wenn ich durch Zufall in irgendeinem Artikel oder Lexikon
auf den Namen des Films stieß. Da war ein Dämon - eine rauchende
Ausgeburt aus den Tiefen der Hölle -, der langsam auf sein schreiendes
Opfer zuschwebte; da war ein Clown, der einen fürchterlichen Sturm
heraufbeschwor; da war ein Mann, der des Nachts vor einem unsichtbaren
Monster, dessen Fußspuren klar erkennbar waren, in einem Wald davonlief;
da war ein hochspannendes Finale auf Bahngleisen. An die Geschichte
erinnerte ich mich nicht so genau, da waren lediglich Fragmente von
einem unheimlichen Hexenmeister, der seine Opfer verflucht und von eben
jenem Dämon zur Strecke bringen lässt.
Später sah ich weitere Werke des Regisseurs Jaques Tourneur wie z. B.
"Cat People" (dem Paul Schrader ein eher unrühmliches Remake mit
Nastassja Kinski und Malcom McDowell verschaffte), "I walked with a
Zombie" oder auch die schwarze Komödie "Ruhe Sanft GmbH", in der ein
Totengräber auf die wunderbare Idee kommt, für seine Kundschaft selbst
zu sorgen. Keiner dieser Filme - wenngleich für sich genommen
einflußreiche und sehenswerte Höhepunkte des Genres - hinterließ den
nachhaltigen Eindruck eines "Fluch des Dämonen", was natürlich auch
durch mein zunehmendes Lebensalter bedingt wurde.
Aus diesem Grunde war mir ein wenig mulmig zumute, als ich endlich die
DVD in Händen hielt und damit nach mehr als 20 Jahren die Gelegenheit
des Wiedersehens bekam. Würde der Film meine hochgesteckten Erwartungen
nicht erfüllen - zumal Kritiker gerade das Monster, welches Tourneur
eigentlich gar nicht zeigen und nur auf Druck der Produzenten eingefügt
wurde, bemängelt hatten -, lief ich in Gefahr, eine schöne
Kindheitserinnerung zu zerstören und damit etwas Liebgewonnenes zu
verlieren. Erfahrungen sind jedoch da, um gemacht zu werden und so schob
ich selbstverständlich die Silberscheibe in den Player, löschte schnell
das Licht, drehte die Anlage auf, machte es mir auf dem Sofa bequem und
startete die Wiedergabe.
Ein Bild von Stonehenge erscheint auf dem Bildschirm; eine
schicksalschwangere Stimme erzählt von uralten Ritualen, die den
Menschen zerstören. Ein Mann fährt zu einem einsamen Landhaus und
bekniet dort verzweifelt den Bewohner, doch den Fluch zurückzunehmen.
Der Mann, offenbar beruhigt, fährt nach Hause, parkt den Wagen - und
erstarrt. Aus einer Rauchkugel materialisiert sich der Dämon. Da ist er
- genau wie in meiner Erinnerung und kaum einen Deut weniger unheimlich.
Die Nahaufnahme ist vielleicht ein wenig gummimäßig, aber trotzdem schön.
Nun, es wird ein Quentchen weniger interessant, als die Hauptpersonen,
wie in den Filmen der 50er Jahre üblich, ausführlich vorgestellt werden.
Der Held trifft das erste Mal auf Dr. Karswell, der offenbar für den
Fluch verantwortlich ist. Es geschieht etwas Seltsames: Szenen, die ich
nicht mehr gegenwärtig hatte, steigen vor meinem geistigen Auge auf,
bevor sie auf dem Bildschirm zu sehen sind. Merkwürdig: Es gibt Filme,
die ich erst vor wenigen Monaten gesehen habe, an die ich mich weniger
gut erinnere. Dann endlich kommt der Sturm; der Klown ist
selbstverständlich Karswell. Die Atmosphäre wird immer finsterer und
bedrohlicher; manches übertrifft die Erinnerung noch. Durch
menschenleere Flurbögen hallt ein nervenaufreibendes Geräusch; ein
Todeszeitpunkt wird exakt angekündigt. In einer finsteren Sturmnacht
entdeckt der Held die verderbnisbringenden Runen, die ein Eigenleben zu
entwickeln scheinen, während der Wind um das Haus pfeift. Ein
wunderschöner Alptraum entfaltet sich; eine Hand, die den Held praktisch
verfolgt, lässt die lang vermißte Gänsehaut wiederentstehen. Gebannt
fürchte ich um den Helden, als ihn das unsichtbare Monster verfolgt,
obwohl ich weiß, wie die Geschichte ausgeht. Zum Schluß bin ich wieder
Kind; die Realität ist abgeschaltet, das Geschehen auf dem Bildschirm
die Wirklichkeit. Nach dem Ende bleibe ich noch etwas ruhig sitzen.
Jetzt entsinne ich mich sogar, daß ich diesen Film nicht zuhause gesehen
habe, sondern bei meiner Großmutter. Ich erinnere mich an Einzelheiten
der Wohnung, an die ich lange nicht mehr gedacht habe. Ich glaube sogar,
den /Geruch/ von damals wahrzunehmen. Leicht verärgert stelle ich fest,
daß das Gefühl der nostalgischen Erinnerung schon wieder vorbei ist und
widme meine Gedanken dem Film.
Ich könnte nun erzählen, wie geschickt die Story aufgebaut ist, die den
anfänglichen Skeptiker immer mehr in den Bann des Übernatürlichen zieht,
das sich mit Brachialgewalt in seine Welt bohrt. Ich könnte seitenlang
über Tourneurs photographische Meisterleistung bei der Bildkomposition
in den unheimlichen Szenen schreiben, sezieren, analysieren. Ich könnte
wahrscheinlich noch genügend Verweise auf Psychologie, den damaligen
Zeitgeist oder die Bedeutung der Symbolik suchen - aber zerstört nicht
das die Magie manches Films? "Der Fluch des Dämonen" ist, wie
Hahn/Jansen ausnahmsweise treffend feststellen, ein "bemerkenswerter
Beitrag zum Horrorkino". Das ist für mich im Augenblick mehr als genug!
Manchmal sollte man die filmischen Leichen der Kindheit in der
Erinnerung ruhen lassen, weil sonst ein Stück Kindheit verloren gehen
kann. Manchmal gewinnt man allerdings genau diesen Teil der Kindheit für
einen kurzen Augenblick zurück. Danke, lieber Dämon.
Grüße
Hannes
[1] Liebe Mütter, die ihr dies liest, solltet ihr solche Türen vor den
Kinderzimmern haben, wechselt sie doch bitte aus. Ich begreife bis heute
nicht, wie die Mütter von phantasievollen Kindern, die Fernsehen als
Fenster zu einer anderen Welt betrachten, deren Abbildung zumindest im
Moment des Betrachtens zur Realität wird, die Ähnlichkeit von solchen
Sichtluken zur Mattscheibe übersehen. Andererseits könntet ihr damit
eure Blagen um ein paar interessante Lebensaugenblicke bringen.
[2] Was lernen die Eltern unter euch aus dieser Episode? Horrorfilme
sind für die sexuelle Entwicklung eurer Sprößlinge einfach
unentbehrlich. Wer diese Art von Filmen seinen Blagen vorenthält, gerät
in Gefahr, eine Horde von verklemmten Spießern (oder noch schlimmer:
potentielle Serienkiller) auf die Gesellschaft loszulassen!
Edit: Das Ding wurde vor mehr als 10 Jahren geschrieben und ich halte das immer noch für eine meiner besten "Besprechungen". Es ist aus der Usenet-Zeit, als Leute durchaus noch die Aufmerksamkeitsspanne hatten, eine sog. "Wall of Text", die ausreichend gegliedert ist, durchzulesen. Sollte ich jemals "schreiberlings" einen besonders guten Ausfall gehabt haben, dann ist er hier zu finden.