L
LaVerne
Guest
Das soll keine Rubrik getreu dem Motto "Ey, seh isch grad; find ich toll" sein, sondern hier dürft ihr vor allen Dingen die Filme besprechen, die sonst im allgemeinen Werberummel untergehen.
Deshalb erlaube ich mir selbstherrlich, wie ich nun mal bin, folgende Regeln aufzustellen:
Struktur:
Titel; Regisseur; Produktionsjahr (deutscher Titel)
a) Inhaltsangabe: Beschreibt kurz, worum es geht. "Ey, datt haut euch wech!" ist keine Inhaltsangabe!
b) Persönliche Wertung des Filmes (wobei durchaus in diesem Thread akzeptiert werden sollte, daß dies ausschließlich subjektiv stattfindet).
c) Warum der Film eurer persönlichen und deshalb völlig subjektiven Meinung nach gesehen werden sollte (richtet sich wieder nach meiner persönlichen Vorliebe - ich schreibe eben nicht gerne über etwas, das ich nicht mag. Hier ist also das gern gesehen, was ihr wirklich mögt).
Das sind keine "Reihenfolgenangaben"; nur Hilfestellungen! Euer Text darf natürlich die Ebenen vermischen und muß nicht der vorgegebenen Struktur entsprechen. Er _sollte_ allerdings diesen Vorgaben zumindest indirekt entsprechen!
Und kein Mensch braucht die 1456. Besprechung eines Hollywoodblockbusters in ähnlichen (und meist schlechteren) Worten (und auch die "Vorgaben" sind selbstvertändlich diskussionswürdig und nicht diktatorisch erteilt)!
Ich fange mal an:
"Fallen Angels", Wong Kar Wai, 1995
Wong Kar Wai ist einer jener Regisseure, bei denen es in der Rückschau schwer fallen wird, einen schlechten Film auszumachen. "In the mood for love" oder "2046" sind derart perfekt, daß das "Frühwerk" zu verblassen droht. Relativ am Anfang seiner Karriere hat der Mann einen Episoden-Film gedreht, der sich grob um das Liebesleben zweier Cops rankte: "Chungking Express" verwebte zwei Episoden um die Begehrungen und Irrungen zweier Polizisten. Als Konterpart sollte ein Profikiller in Erscheinung treten; aufgrund der Lauflänge von "Chungking Express" entschied sich der Macher jedoch, diesen Teilen einen eigenen Film zu spendieren: "Fallen Angels".
"Gefallene Engel" sind sie allemals; und sie taumeln stets bei Nacht in den wunderschönen, wenn auch verstörenden Bildern von Christopher Doyle (meines Erachtens der Welt bester Kameramann) vor sich hin: Da ist der Profikiller, der gefühllos Dutzende von Menschen auslöscht, während er sich nach einem "normalen" Leben sehnt, das er gleichermaßen fürchtet wie verabscheut. Da ist seine Partnerin, die ihm nicht nur die Aufträge verschafft, sondern auch seine Wohnung säubert und in seinem Bett masturbiert. Taumelnd begegnen sie dem (freiwillig?) stummen Kleinkriminellen, der allabendlich in ein Geschäft einbricht, um daraufhin "seine" Dienstleistungen zufällig vorbeikommenden Menschen aufzuzwingen, bis diese entnervt bezahlen. Dem Profi und dem kleinen Amateur begegnen in kurzen Intermezzos Frauen, die die Welt für sie bedeuten. Im Schluß wird nichts gelöst sein - aber die Momente dazwischen bedeuten für die Akteure (zumindest teilweise) tatsächlich so etwas wie die Ausflucht aus dem Wahnsinn, in dem sie täglich gefangen sind; eine Art "Sinn" in einem bedeutungslosen Dasein (und damit: "alles").
Nichts in "Fallen Angels" ist gewöhnlich; weder die Story, noch die Machart. Der ganze Film ist ein Taumel: Durch die Großstadt; durch die Charaktere; durch die Intentionen seiner Protagonisten - und vor allen Dingen durch unsere Emotionen, wenn wir uns auf die Bilder und Geschichten einlassen. Nichts wird erklärt; alles wird unserer Auslegung überlassen. Schnelle hektische "Action" wechselt sich mit sehr ruhigen Bildern ab, die dennoch nicht genügend Zeit für Reflektion lassen, weil der Film schon wieder weitergeht und mit einer Flut an einmaligen Bildern und Schnitten zu überwältigen weiß.
"Fallen Angels" ist gigantisch: Doyle hievte sich eine 30kg-Kamera auf die Schulter; drehte ohne jegliche Genehmigung und unter höchstem Druck teilweise hektische, teilweise betörend schöne ruhige Bilder, die trotz des extremen Weitwinkelobjektivs authentischer und näher an den Charakteren wirken als alle bisherigen gewollten "Wackelfilmer" zusammen[1]. Jeder Winkel; jede Bewegung stimmt; jedes Bild erzählt eine Geschichte. Und der Film selbst erzählt eine Geschichte: Von "Freaks"; von weniger schönen Ereignissen im Leben von Extrempersönlichkeiten - und von den Sehnsüchten und Einsamkeiten in uns selbst! Die im wahrsten Sinne des Wortes "entfesselte Kamera" unterstreicht mit dem dauerhaften Einsatz des Weitwinkelobjektives in jeder Szene nur eines: Unsere Distanz zu den Dingen und vor allen Dingen zu den Mitmenschen!
"Happy" geht hier nichts aus - und dennoch ist's ein positives, wenn auch ein wenig wehmütiges Gefühl, das in mir nach Ansehen dieser gefallenen Engel aufbrandet. Diese liebenswerten Freaks mit all ihren unerfüllten Sehnsüchten nach genau einer Sache machen die Welt aus - und genau deshalb kann man diese Welt mit all ihren Freaks auch vorwurfsfrei lieben; jeden Tag auf's neue gerade die in den eigenen Augen eigentlich verachtenswertesten Persönlichkeiten zumindest dulden: Weil alle nur nach derselben _einen_ Sache gieren.
Und eventuell ist's gar nicht mal so wichtig, geliebt zu werden - das Gefühl, etwas einfach mal so aufgrund seines eigentlich völlig unbedeutenden Daseins zu lieben, ist vielleicht noch viel wichtiger als die Entgegnung - weil genau das meine Einmaligkeit ausmacht; mein Gefühl, etwas geliebt zu haben, was in dieser Form für mich nicht austauschbar ist!
"Fallen Angels" ist mit Sicherheit nix für das "Blockbuster"-Publikum. "Fallen Angels" braucht die Aufmerksamkeit des Zuschauers; will interpretiert und zu Ende gedacht werden. Dennoch wird auch jeder Zuschauer, der mit dem Streifen überhaupt nichts anzufangen weiß, bestimmte Bilder bzw. Handlungstränge für den Rest seines Lebens mit nach Hause nehmen - typisch halt für ganz großes Kino!
Noch ein Wort zum Transfer: Die "Arthaus / Kinowelt"-Scheibe ist "over-the-top". Wer wie ich bisher nur die chinesischen Video-/DVD-Ausgaben bzw. die deutsche Fernsehaustrahlung mitbekommen hat, erlebt tatsächlich etwas völlig neues: Endlich sind die beeindruckenden Bilderwelten eines Doyle auch entsprechend ansehnlich für den Konsumenten erhältlich. Bloß nicht verpassen (zumal es die Box mit den Filmen "Chungking Express / Fallen Angels / Happy Together" mittlerweile recht günstig zu erwerben gibt).
***Werbung: Quentin Tarantino hat nicht nur die frühen Streifen Wong Kar Wais auf DVD in restaurierter Fassung (siehe oben; die Hongkong-Ausgabe der DVD war schlicht eine Unverschämtheit) veröffentlicht, sondern bezeichnet den Regisseur auch noch als "wichtige Inspirationsquelle". Motive des Filmes finden sich übrigens auch in Johnny Tos fulminanter Hommage an das "gewalttätige Kino schlechthin" namens "Full Time Killer" wieder - über dieses Kleinod des modernen Films werde ich nach erneuter Sichtung berichten! *** Werbung ****
Wie ihr seht, habe ich mich nicht nach den _strukturellen_ Vorgaben des Threads gerichtet - ansonsten war hoffentlich alles drin!
Der Diskussion über Inhalte etc. der hier "beworbenen" Filme sind selbstverständlich keine Grenzen gesetzt!
[1] Was wiederum zeigt, wie bemüht gerade ein "[Rec]" ist - selbst Amateurfilmer bemühen sich stets um ein "wackelfreies" Bild.
Deshalb erlaube ich mir selbstherrlich, wie ich nun mal bin, folgende Regeln aufzustellen:
Struktur:
Titel; Regisseur; Produktionsjahr (deutscher Titel)
a) Inhaltsangabe: Beschreibt kurz, worum es geht. "Ey, datt haut euch wech!" ist keine Inhaltsangabe!
b) Persönliche Wertung des Filmes (wobei durchaus in diesem Thread akzeptiert werden sollte, daß dies ausschließlich subjektiv stattfindet).
c) Warum der Film eurer persönlichen und deshalb völlig subjektiven Meinung nach gesehen werden sollte (richtet sich wieder nach meiner persönlichen Vorliebe - ich schreibe eben nicht gerne über etwas, das ich nicht mag. Hier ist also das gern gesehen, was ihr wirklich mögt).
Das sind keine "Reihenfolgenangaben"; nur Hilfestellungen! Euer Text darf natürlich die Ebenen vermischen und muß nicht der vorgegebenen Struktur entsprechen. Er _sollte_ allerdings diesen Vorgaben zumindest indirekt entsprechen!
Und kein Mensch braucht die 1456. Besprechung eines Hollywoodblockbusters in ähnlichen (und meist schlechteren) Worten (und auch die "Vorgaben" sind selbstvertändlich diskussionswürdig und nicht diktatorisch erteilt)!
Ich fange mal an:
"Fallen Angels", Wong Kar Wai, 1995
Wong Kar Wai ist einer jener Regisseure, bei denen es in der Rückschau schwer fallen wird, einen schlechten Film auszumachen. "In the mood for love" oder "2046" sind derart perfekt, daß das "Frühwerk" zu verblassen droht. Relativ am Anfang seiner Karriere hat der Mann einen Episoden-Film gedreht, der sich grob um das Liebesleben zweier Cops rankte: "Chungking Express" verwebte zwei Episoden um die Begehrungen und Irrungen zweier Polizisten. Als Konterpart sollte ein Profikiller in Erscheinung treten; aufgrund der Lauflänge von "Chungking Express" entschied sich der Macher jedoch, diesen Teilen einen eigenen Film zu spendieren: "Fallen Angels".
"Gefallene Engel" sind sie allemals; und sie taumeln stets bei Nacht in den wunderschönen, wenn auch verstörenden Bildern von Christopher Doyle (meines Erachtens der Welt bester Kameramann) vor sich hin: Da ist der Profikiller, der gefühllos Dutzende von Menschen auslöscht, während er sich nach einem "normalen" Leben sehnt, das er gleichermaßen fürchtet wie verabscheut. Da ist seine Partnerin, die ihm nicht nur die Aufträge verschafft, sondern auch seine Wohnung säubert und in seinem Bett masturbiert. Taumelnd begegnen sie dem (freiwillig?) stummen Kleinkriminellen, der allabendlich in ein Geschäft einbricht, um daraufhin "seine" Dienstleistungen zufällig vorbeikommenden Menschen aufzuzwingen, bis diese entnervt bezahlen. Dem Profi und dem kleinen Amateur begegnen in kurzen Intermezzos Frauen, die die Welt für sie bedeuten. Im Schluß wird nichts gelöst sein - aber die Momente dazwischen bedeuten für die Akteure (zumindest teilweise) tatsächlich so etwas wie die Ausflucht aus dem Wahnsinn, in dem sie täglich gefangen sind; eine Art "Sinn" in einem bedeutungslosen Dasein (und damit: "alles").
Nichts in "Fallen Angels" ist gewöhnlich; weder die Story, noch die Machart. Der ganze Film ist ein Taumel: Durch die Großstadt; durch die Charaktere; durch die Intentionen seiner Protagonisten - und vor allen Dingen durch unsere Emotionen, wenn wir uns auf die Bilder und Geschichten einlassen. Nichts wird erklärt; alles wird unserer Auslegung überlassen. Schnelle hektische "Action" wechselt sich mit sehr ruhigen Bildern ab, die dennoch nicht genügend Zeit für Reflektion lassen, weil der Film schon wieder weitergeht und mit einer Flut an einmaligen Bildern und Schnitten zu überwältigen weiß.
"Fallen Angels" ist gigantisch: Doyle hievte sich eine 30kg-Kamera auf die Schulter; drehte ohne jegliche Genehmigung und unter höchstem Druck teilweise hektische, teilweise betörend schöne ruhige Bilder, die trotz des extremen Weitwinkelobjektivs authentischer und näher an den Charakteren wirken als alle bisherigen gewollten "Wackelfilmer" zusammen[1]. Jeder Winkel; jede Bewegung stimmt; jedes Bild erzählt eine Geschichte. Und der Film selbst erzählt eine Geschichte: Von "Freaks"; von weniger schönen Ereignissen im Leben von Extrempersönlichkeiten - und von den Sehnsüchten und Einsamkeiten in uns selbst! Die im wahrsten Sinne des Wortes "entfesselte Kamera" unterstreicht mit dem dauerhaften Einsatz des Weitwinkelobjektives in jeder Szene nur eines: Unsere Distanz zu den Dingen und vor allen Dingen zu den Mitmenschen!
"Happy" geht hier nichts aus - und dennoch ist's ein positives, wenn auch ein wenig wehmütiges Gefühl, das in mir nach Ansehen dieser gefallenen Engel aufbrandet. Diese liebenswerten Freaks mit all ihren unerfüllten Sehnsüchten nach genau einer Sache machen die Welt aus - und genau deshalb kann man diese Welt mit all ihren Freaks auch vorwurfsfrei lieben; jeden Tag auf's neue gerade die in den eigenen Augen eigentlich verachtenswertesten Persönlichkeiten zumindest dulden: Weil alle nur nach derselben _einen_ Sache gieren.
Und eventuell ist's gar nicht mal so wichtig, geliebt zu werden - das Gefühl, etwas einfach mal so aufgrund seines eigentlich völlig unbedeutenden Daseins zu lieben, ist vielleicht noch viel wichtiger als die Entgegnung - weil genau das meine Einmaligkeit ausmacht; mein Gefühl, etwas geliebt zu haben, was in dieser Form für mich nicht austauschbar ist!
"Fallen Angels" ist mit Sicherheit nix für das "Blockbuster"-Publikum. "Fallen Angels" braucht die Aufmerksamkeit des Zuschauers; will interpretiert und zu Ende gedacht werden. Dennoch wird auch jeder Zuschauer, der mit dem Streifen überhaupt nichts anzufangen weiß, bestimmte Bilder bzw. Handlungstränge für den Rest seines Lebens mit nach Hause nehmen - typisch halt für ganz großes Kino!
Noch ein Wort zum Transfer: Die "Arthaus / Kinowelt"-Scheibe ist "over-the-top". Wer wie ich bisher nur die chinesischen Video-/DVD-Ausgaben bzw. die deutsche Fernsehaustrahlung mitbekommen hat, erlebt tatsächlich etwas völlig neues: Endlich sind die beeindruckenden Bilderwelten eines Doyle auch entsprechend ansehnlich für den Konsumenten erhältlich. Bloß nicht verpassen (zumal es die Box mit den Filmen "Chungking Express / Fallen Angels / Happy Together" mittlerweile recht günstig zu erwerben gibt).
***Werbung: Quentin Tarantino hat nicht nur die frühen Streifen Wong Kar Wais auf DVD in restaurierter Fassung (siehe oben; die Hongkong-Ausgabe der DVD war schlicht eine Unverschämtheit) veröffentlicht, sondern bezeichnet den Regisseur auch noch als "wichtige Inspirationsquelle". Motive des Filmes finden sich übrigens auch in Johnny Tos fulminanter Hommage an das "gewalttätige Kino schlechthin" namens "Full Time Killer" wieder - über dieses Kleinod des modernen Films werde ich nach erneuter Sichtung berichten! *** Werbung ****
Wie ihr seht, habe ich mich nicht nach den _strukturellen_ Vorgaben des Threads gerichtet - ansonsten war hoffentlich alles drin!
Der Diskussion über Inhalte etc. der hier "beworbenen" Filme sind selbstverständlich keine Grenzen gesetzt!
[1] Was wiederum zeigt, wie bemüht gerade ein "[Rec]" ist - selbst Amateurfilmer bemühen sich stets um ein "wackelfreies" Bild.
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