Der Toporc, Kapitel 4: Das Schicksal der Finsterblut

buechse

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Der Prokurator der Finsterblut blickte voller Genugtuung von seiner Sänfte, während die Wahnsinnigen den Verräter bei lebendigem Leib verspeisten.
»Wieviele Exempel soll ich noch statuieren, damit ihr versteht?« Der Zerschlagene ballte seine Hand zur Faust. Aus der Grube, um die fast alle anwesenden Draenei versammelt waren, ertönten die letzten Schreie. Die unheimliche Stille wurde nur unterbrochen durch unwirkliche Schmatzgeräusche. Die Genugtuung war der Wut gewichen.
Der Prokurator zeigte auf die Grube, die allgemein als Verräter-Schlund bekannt war.
»Dieser da, hätte unser aller Tod bedeuten können, wenn ich ihn nicht seiner gerechten Strafe zugeführt hätte. Die Drachenmäler sind sehr zornig in diesen Zeiten. Und für Draenei, die Verräter verbergen, haben sie nur wenig Verständnis.«
Stumpf und aphilisch starrten die Zerschlagenen auf die Wahnsinnigen in der Grube, wie sie sich die Bäuche mit einem der ihren voll schlugen. In manchen dieser „Kreaturen“ mochte sich ein letzter Rest von Moral, ein letzter Rest Ekel regen. Doch es war keine Kraft mehr übrig, diesem Lichtstrahl in der Dunkelheit der Miene Ausdruck zu verleihen. Und so verlief sich die Menge der Draenei. Langsam, um nicht zuviel Kraft zu vergeuden.
»Seid wachsam meine Brüder!« rief Mojabbi von seiner Sänfte, den alle nur als Prokurator kannten, den Verteidiger der Finsterblut. »Zögert nicht, einen Verräter unter uns anzuklagen! Er ist kein Bruder mehr, wenn er sich gegen das Drachenmal stellt. Arbeitet hart und folgsam, dann werden wir diesen Ort bald verlassen.«
Die letzten Arbeiter verschwanden in einem Seitengang, ihrem Schicksal ergeben, weiter Netherkristalle für Illidan auszugraben, gedemütigt und ausgebeutet von den Orcs des Drachenmalclans.
»Sie sind gebrochene Kreaturen, Darris. Niemand von ihnen wird diesen Ort jemals wieder verlassen.“ Mojabbis Stimme klang beinahe traurig. Er verlagerte sein Gewicht auf die andere Seite seiner thronartigen Sänfte und klopft auf die Schulter des Zerschlagenen, der mit einem Leidensgenossen dazu auserkoren war, Mojabbi durch die finstren Gänge der Nethermiene zu tragen. Die Sänfte schwankte wie ein Schiff Kurs Maelstrom, fand aber stabilen Halt auf den ausgemergelten Schultern der beiden Träger. »Hörst du, Darris?«
Der Angesprochene antwortete jedoch nicht. Auch die Träger schwiegen. Vielleicht hätten sie die Sänfte mitsamt Mojabbi in die Grube geworfen, vor Zorn über die offenbaren Lügen, die der Prokurator ihren Brüdern erzählte, wenn sie ihn nur Hören könnten. Mojabbi hatte ihnen jedoch die Ohren und die Zunge abschneiden lassen, auf dass sie kein Wort seiner privaten Unterredungen hören oder weitersagen konnten. Zu wichtig für den Fortbestand der Finsterblut war völlige Diskretion. Einzig Darris, sein Nachfolger, wurde in Dinge eingeweiht, die kein anderer Mienen-Finsterblut hören würde, hören durfte.
»Du bist schweigsam in den letzten Tagen.« Ein joviales Lächeln entstand in seinem Gesicht, welches tiefe Furchen durchzogen und auch die ein oder andere Narbe. »Darris, was betrübt dein Gemüt? Fehlt dir das Sonnenlicht? Möchtest du nach draussen? Nur für ein paar Augenblicke, natürlich.«
Darris seufzte tief. Er blickte zu Mojabbi hinauf, der sein prachtvolles Gewand trug, in grünlich-blauen Farben.
»Werter Prokurator, diese Kreaturen, wie du sie nennst, sind unsere Brüder. Ich denke, sie werden in der Tat sterben. Sie sind zu schwach, um noch länger hier überleben zu können. Dies ist der lebensfeindlichste Ort, der mir in meinem Leben je begegnet ist und den ich mir vorstellen könnte.«
Mojabbi lachte leise. »Was weißt du schon von lebensfeindlich, Junge! Sagt dir der Name Schwarzfels etwas, Darris?«
Der junge Draenei schüttelte den Kopf. Er schlug die Kapuze seines Lumpengewandes zurück, um den Prokurator besser verstehen zu können. Er wußte, dass jetzt eine interessante Geschichte bevorstand, die Mojabbi irgendwann in seinem vor interessanten Geschichten nur so strotzendem Leben gehört oder erlebt hatte. Diese Erzählungen lenkten ihn ab, wenn sie so durch die Gänge der Miene patrouillierten und er das Elend, dass er erblickte, nicht mehr ertragen konnte. Er würde jedes Detail wie ein Schwamm aufsaugen, wie jemand, der bis auf die Nethermiene nur die trostlos-schroffe Umgebung des Schattenmondtals kennen gelernt hatte.
»Der Schwarzfels, oder auch Blackrock, wie er in einem altertümlichen menschlichen Dialekt genannt wird, ist der höchste Berg, den ich bisher sah.«
»Größer als Oshu’Gun? Was ist mit Gul’dans Hand?«
»Elekkhaufen im Vergleich zum mächtigen Schwarzfels. Es überrascht mich nicht, dass du nichts über ihn weißt. Diejenigen, die ihn mit eigenen Augen sahen, weilen nicht unter uns. Es ist viele Jahre her, aber die Erinnerung ist kaum verblasst. Die Wolken flogen respektvoll in großen Bögen um seine Spitze herum, oh ja, die Elemente haben Respekt vor diesem Berg, der majestätisch in den Himmel ragt. Den Himmel der Welt jenseits des großen Portals.«
Darris blieb wie angewurzelt stehen, riss die Augen auf; ihm stockte der Atem. Er holte die paar Schritte zur Sänfte auf und fragte erstaunt und ungläubig zugleich:
»Du… du warst auf Azeroth? Der heilen Welt?«
»In der Tat.«
»Du hast es nie erwähnt!«
»Nein.«
»Warum, Prokurator?«
»Es war nicht wichtig.«
»Wie ist es dort? Man sagt, Azeroth wäre wie die Scherbenwelt zu der Zeit, als die Draenei hier ankamen… ein wundervoller Ort, wo die Elemente in Einklang mit den Geschöpfen des Lebens sind…«
»Ich erzähle dir von diesem wundervollen, lebensfeindlichen Ort…
Der Schwarzfels ist kein schöner Ort, er ist mit Sicherheit nicht im Einklang mit den Kräften. Er ist das Tor zur Hölle, lass dir das Gesagt sein von jemandem, der dort war.
Das Gebiet um den schwarzen Riesen ist ein einziges Ascheland, die Luft ist voll mit Asche und Russ, und sie ist so heiss, dass jeder Atemzug mehr brennt als der vorherige. Der Boden unter deinen Füßen brennt, er versengt Stoffschuhe und lässt sie in Flammen aufgehen, und wenn du Pech hast fängt deine restliche Kleidung Feuer und du verbrennst jämmerlich, wenn du nicht eh in eine der vielen Lavagruben tappst, die dich bis auf dein Skelett verbrennen. Einzig mit einer Rüstung aus sogenanntem Dunkeleisen war es möglich, sich dem Schwarzfels ungefährlich zu nähern. Kleine Wesen aus Erde hatten einst einen gewaltigen Dom in sein Inneres gehöhlt, und es ist wahrhaftig das Tor zu den Feuern der Hölle. Die Hitze versengt die Haare, unter schmalen Graten brodelt unter dir ein See aus Lava. Steinerne Giganten halten an Ketten eine Felseninsel über dem Lavasee. Ich war mir sicher, es muss die Heimstatt des Teufels sein. Die kleinen Wesen in meiner… Begleitung sagten, dies wäre der Eingang in den Geschmolzenen Kern, den Mittelpunkt ihrer Welt. Sie schienen auf diesen Frevel auch noch Stolz zu sein! Ich war fassungslos, wollte diesen lebensfeindlichsten Ort, den ich jemals erlebt hatte, so schnell wie nur möglich verlassen. Dagegen sind diese Netherminen geradezu anheimelnd, Darris. Aber diese Zwerge – bärtige, gesellige Männer, die etliche Danar kleiner sind als unsereins -«
»Prokurator, du sagst, sie seien aus Erde? Hatten sie ein Erdschild? Vielleicht waren sie schamanistisch begabt, Brüder im Geiste!« Darris konnte seine Aufregung nicht mehr unterdrücken und sich in Zurückhaltung üben, die Mojabbi so oft von ihm forderte.
»Nein, Darris. Sie waren nicht aus Erde, sie hatten kein Erdschild und standen erst recht nicht im Bund mit den Kräften der Natur. Sie sagten von sich selbst, ihre Vorfahren wären von Göttern aus Erde und Fels erschaffen worden, was wahrscheinlich geschichtlicher Nonsens ist. Sie waren ständig betrunken von so einem Gesöff, welches ich grundsätzlich ablehnte, da es den Geist verwirrte und den Körper beeinträchtigte.«
»Die Orcs von oben trinken es auch, in den verschiedensten Variationen. Aber erzähle mir, wie du nach Azeroth kamst. Was du dort erlebt hast. Und wieso du zurückkamst.«
Noch während Darris sprach, kniff Mojabbi die Augen zusammen und richtete sich etwas in seinem Thron auf, als hätte etwas seine Aufmerksamkeit erregt.
»Später, Darris.« Panisches Geschrei ertönte von weit hinten im Gang. Die schwachen Draenei um sie herum hörten erst auf, den Felsen mit Hacken zu bearbeiten, als etliche Draenei in Todesangst durch den Tunnel rannten.
Mojabbi und Darris sahen ihre angstverzerrten Gesichter, wie ihre Körper im Lebenserhaltungstrieb die letzten Reserven aufzehrten, um sich vor irgendeiner Gefahr in Sicherheit zu bringen.
»Sie scheinen auf der Flucht zu sein« meinte Darris, ohne den Blick von der Meute zu nehmen, die sich auf sie zu bewegte. Auch einige Arbeiter aus Stollen 9 ließen jetzt die Hacken fallen und schlossen sich den Flüchtenden an.
Mit einer Geste seines Stockes befahl Mojabbi seinen Sänftenträgern, ihn an den Stollenrand zu bewegen. »Darris, separier einen von ihnen. Wir wollen wissen, was dieser Aufruhr zu bedeuten hat.«
Der junge Draenei griff mit einem brutalen Ruck nach einem kleineren Draenei, als die Meute kopflos an ihnen vorbeirannte, ohne jegliche Ehrerbietung an Mojabbi.
Der Draenei schrie heiser auf und wand sich unter Darris Griff, konnte sich jedoch nicht befreien, was ihm offensichtlich Panik bereitete.
Der Prokurator holte mit seinem Stock aus, der am Knauf mit einem schillernden grünen Stein verziert war, und schlug den Draenei mit einem Streich ins Gesicht. Leicht verstört hielt dieser sich die Wange und blickte zu Mojabbi auf.
»Wovor lauft ihr weg, Kriecher?«
Der Kriecher stotterte vor sich hin, bis Mojabbi ihn auf die bekannte Art und Weise halbwegs zur Vernunft brachte.
»Die Schinder greifen an, Prokurator! Wir sind in Stollen 2 in einen Hohlraum gebrochen, der voll mit trächtigen Schinderweibchen ist. Die Männchen haben uns sofort angegriffen, der Stollen war voll mit ihnen, und sie breiten sich in der Miene aus, Herr!«
»Was ist mit den Wachmannschaften, die bei jeder Sprengung zugegen sein sollen?« brüllte Mojabbi wütend, und der kleine Draenei zuckte gestresst zusammen.
»Sie hatten keine Chance, H-Herr. Wir müssen flüchten, Prokurator, bevor sie hierherkommen!« Sein zerkratztes Gesicht bekam einen flehenden Ausdruck.
»Das glaube ich nicht«, knurrte der alte Draenei. »Darris, hol den Schindertrupp.«
Sein Lumpengewand anhebend, stob Darris davon, sprang über Bröckchen hinweg und wich größeren Felsbrocken aus, die hie und da verstreut lagen.
Mojabbi klopfte seinem Vorderträger auf die Schulter, das Zeichen zum absetzen. Fast auf Augenhöhe zu dem dreckigen Kriecher musterte er diesen kurz. Sein Schädel war haarlos und seine Kinntentakel waren abgeschnitten worden, da sie ihn bei seiner Aufgabe hätten behindern können. Der Kriecher war ein Sprengstoffexperte. Wobei Experte übertrieben war, eigentlich war er nur ein armseliger Zerschlagener, der dazu verdammt war, den Sprengstoff zu tragen und anzuwenden. Da er nicht sehr groß war, hatte ihn die Herrin der Miene wohl deshalb als Kriecher eingeteilt. Wenn Stollen erweitert werden sollten, wurde ein kleiner Tunnel gegraben, gerade groß genug, um einem Kriecher Platz zu bieten. Dieser platzierte den Sprengstoff am Ende des Tunnels und entzündete ihn. Die Explosion brachte oftmals den ganzen Stollen zum Einsturz und den Kriecher um sein Leben, manchmal aber kroch er schnell genug, um der Explosion und dem Abraum zu entkommen.
Mit einer Geste befahl Mojabbi seinen Trägern, die Umgebung zu beobachten und ihn selbst notfalls zu beschützen.
»Und passt auch noch auf den kleinen Kriecher hier auf«, sagte er – wohlwissend, dass seine Diener ihn nicht hören konnten - mit einem Blick auf den Zerschlagenen von der traurigen Gestalt. Seine Kleidung hing in Fetzen von seinem dünnen, knochigen Körper. Die Arme und der Rücken waren übersäht mit schlecht verheilten Kratzspuren und Aufschürfungen. Der Kriecher war in Sprengungstunnels gekrochen, die nicht sonderlich sauber gegraben wurden und spitze Kanten hatten ihn gepeinigt auf seinem panischen Rückweg.
»Wenn man um sein Leben kriechen muss, nimmt man solche Blessuren in Kauf, nicht war? Wie heisst du?«
»Norabi. Und ja, Herr, diese Narben zeichnen einen guten Kriecher aus. Es gibt nur wenige mit so vielen Narben wie mich.« Er zögerte und senkte den Kopf. »Sokrani aus Stollen sieben hat noch mehr. Er ist schon ein Jahr länger in der Miene, Herr. Wenn er noch lebt… Herr, wir sollten wirklich- «
»Mein lieber Norabi«, sagte Mojabbi mit einer Schärfe, die jeden Widerspruch Norabis im Keim ersticken ließ, »du bist dir anscheinend bewusst, dass dein erbärmliches Leben am seidenen Faden hängt, aber das nicht, weil die Netherschinder jede Sekunde um die Ecke springen könnten, nein, weil den Drachenmälern dieser Zwischenfall nicht verborgen bleiben wird.«
Des Prokurators Zorn schwoll ebenso an wie die Lautstärke seiner Stimme.
»Und sie werden einen Schuldigen suchen, der für die wahrscheinliche Evakuierung der Nethermiene verantwortlich ist und damit für das Brachliegen eines kompletten Arbeitstages und das Ausbleiben einer gesamten Tagesausbeute an Netherkristallen!«
Norabi war auf die Knie gesunken und hielt die Arme abwehrend vor sich.
»Solange diese Situation nicht wieder unter Kontrolle ist, bleibst du als Mitglied der schuldigen Kriechergruppe bei mir, damit ich dich den geifernden Orcs vor die Füße werfen kann, wenn sie extra wegen uns Zerschlagenen in diese verdammte Miene müssen um hier aufzuräumen, was ein paar missratene Kriecher aus Stollen zwei angerichtet haben!«
Die Verzweiflung war Norabi anzusehen. Tränen rannen sein Gesicht hinab, seine Brust zuckte als er sich zu Boden warf und hemmungslos zu weinen begann, unverständlich um sein Leben brabbelnd.
Morabbi wandte seinen abfälligen Blick von dem Kriecher zu der Richtung, in der Darris davongelaufen war.
»Besser, du bittest die Naturgeister, dass der Schindertrupp die Lage bereinigen kann.«
 
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