Die Sterne über Dalaran - Dritter Abschnitt, Teil 6 (3.6)

Melian

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Dairean wog das Buch in den Händen, während er es betrachtete. Auf dem aus Leder gefertigtem Einband waren nur wenige schlichte Verzierungen, zwei gekreuzte Klingen auf der Vorderseite, Schnörkel auf der Hinterseite. Es wirkte nicht besonders wertvoll. Dairean war sich bewusst, dass dieser Eindruck täuschte.
Er hob den Kopf gen Himmel und genoss den letzten Sonnenstrahl, der sich noch über die westlichen Gebirge stahl, ehe die schimmernde Kuppe der Sonne schliesslich ganz verschwand und der Dämmerung einsetzte.

Es war erstaunlich einfach gewesen, das Buch zu besorgen. Er hatte überlegt, ob er sich heimlich in die Bibliothek schleichen sollte, doch in Anbetracht der Umstände, dass die Ausmasse der Sammlung im Wyrmruhtempel sicherlich zu gross für ihn sein würden, hatte er diesen Plan schnell fallen lassen. Zumindest nahm er bei Wesen, die ihr Wissen bereits seit vielen Jahrtausenden anhäufen konnten, an, dass ihre Sammlung riesig war. Waren Drachen nicht besonders begierig auf Schätze?

Er schüttelte schmunzelnd den Kopf, ehe er sich einen Blick ins Buch erlaubte. Bereits nach wenigen Seiten erblickte er eine Darstellung der einen prismatischen Klinge, genauer und weniger stilisiert als auf dem Einband. Er strich mit den Fingern die gezeichnete leichte Rundung der Schneide nach und überlegte, was die Runen wohl zu bedeuten hatten.

Schliesslich hatte er sich anders entschieden und hatte einfach auf gut Glück gefragt. Nach einem kurzen Besuch des Hordenvertreters im Tempel, der ihm widerwillig seinen Siegelring auf ein Stück Pergament setzte, damit er sich als Hordenmitglied ausweisen konnte, hatte Phönix ihn in die zweite Etage des Turmes geführt. Dort verweilte Lord Afrasastrasz, ein Drache in einer menschlichen Gestalt, der ihm ebenso widerwillig wie der Orc Zugang zu seiner Bibliothek gewährte. Das war alles passiert, noch bevor Ylaria und Imenia ihre Audienz hatten, geschweige denn diese überhaupt angekündigt. Noch bevor sie gemeinsam die erste Mahlzeit am Tag eingenommen hatten.

Er war fast verzweifelt beim Anblick der unzähligen Bücherregale. Als er sich nach dem Drachen umgesehen hatte, war dieser verschwunden gewesen. < Wenn du schon was von uns willst, such's wenigstens selber, hm?>. So stellte Dairean sich die Gedanken des Drachen vor.

Dairean schloss die Augen und lehnte sich mehr an die Säule, an die gestützt er sass. Erneut liess er sich die Szene, die dann darauf gefolgt hatte,m durch den Kopf gehen.

„Nanu..? Wen haben wir denn da in unserer Bibliothek?“
Dairean schreckte aus seinen Gedanken hoch. Vor ihm stand eine humanoide Gestalt, die elfische Züge aufwies und in eine kunstvolle, in Rot- und Brauntönen gehaltene Robe gehüllt war. Sein weisses Haar und das Mienenspiel auf dem Gesicht des Elfen, sowie die zahlreichen Fältchen zeichneten das Bild eines betagten Wesens. Der Elf hatte ihn in Thalassisch angesprochen. Dairean wandte sich vom Bücherregal um und verbeugte sich. „Die Sonne führt uns“, sprach er den traditionellen Gruss, der zwischen Hoch- und auch Blutelfen verwendet wurde.
Der Elf vor ihm lächelte. „Euch ebenso. Es ehrt mich, dass ihr mich als einen von euch ansprecht.“
Dairean hob den Kopf wieder. „Selbst wenn ihr es nicht wärt, so gleicht ihr doch unserem Volke.“ Er versuchte zu lächeln, doch es misslang ihm. Die Bedeutung der Worte sickerten nur langsam in seinen Verstand. < Wenn der hier sich nicht als unser Volk betrachtet, dann ist er... vielleicht.. äh..>
„Mein Name ist Krasus. Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Mein Name ist Dairean.“, erwiderte der Angesprochene. Er starrte den Elfen an. Krasus war der Lehrmeister von Rhonin, soviel wusste er. „Und ja, ich bin nicht von eurem Volke, obgleich ich schon diese Gestalt bevorzuge, wenn ich unter den Lebenden weile.“
„Ihr seid.. ein.. äh.. Drache?“, stotterte Dairean, und verfluchte sich im Stillen. Verdammt, er machte sich hier noch zum Narr.
„So ist es.“
„Oh, verzeiht, ich wusste nicht.. das.. ich..“ Er verbeugte sich erneut.
„Wie konntet ihr auch.. Macht euch keine Gedanken und hört auf euch zu verbeugen.“ Krasus lächelte. „Dairean, also.. Tragt ihr keinen Familiennamen? Das ist in eurem Volke doch üblich, hm?“
Dairean rieb sich etwas verlegen den Nasenflügel. „Ja. Üblich schon. Doch ich habe ihn abgelegt, da er mich an Dinge erinnert, die ich nicht mehr im Kopf haben möchte.“
Krasus blickte ihn einen Moment an, fast schien Dairean, als würde ihm der Blick bis ins Mark fahren.
„Und ich erinnere euch daran. Verzeiht diese Unhöflichkeit.“
„Nn.. nein. .Das ist doch keine.. ihr konntet es ja nicht wissen. Ich sollte mir einen neuen Namen zulegen“, murmelte Dairean. „Das taten viele meines Volkes, als wir uns aus der Asche erhoben wie ein stolzer Phönix.“
Krasus nickte. Daireans Blick zuckte kurz zum Bücherregal rechts neben sich.
„Ich gehe davon aus, dass ihr ein Buch sucht, Dairean? Afrasastrasz hat mir darüber berichtet.“
Dairean straffte sich etwas. „So ist es. Ich bin im Auftrag meines Meisters hier, und natürlich im Auftrag der Sonnenhäscher. Magister Jorith Hathorel von ebendiesen lässt beste Grüsse an den Tempel ausrichten.“
„Ah.. Hathorel. Dieser Name ist mir geläufig. Wie geht es ihm?“
„Ich kann es als einfacher Untergebener natürlich nicht beurteilen, aber er scheint zufrieden. Hektisch und etwas nervös wie immer, aber zufrieden mit dem Verlauf der Dinge.“
Krasus lachte mit angenehm tiefem Klang der Stimme. „Das klingt nach ihm.“
Dairean erlaubte sich ein beherrschtes Lächeln. Noch immer war er innerlich sehr angespannt. Er wusste nicht, wieweit Krasus informiert war in die Geschehnisse, in den Konflikt Silberbund – Sonnenhäscher oder gar in die wichtigen und grossen Familien Silbermonds. Er wusste nicht, ob es viele seines Namens gab, möglicherweise konnte der Drache seinen Vornahmen sogar zum Nachnamen Sonnenhoffnung zuordnen. Seine Familie hatte diesen Namen weitergeführt, und sich nicht dem Trend angeschlossen, den Namen zu ändern. Dairean spürte, wie sich einzelne Schweissperlen auf der Stirn bildeten. Er biss sich auf die Innenseite der Wange und konzentrierte sich auf eine unauffällige langsame, aber tiefe atmung. < Mach dich nicht verrückt >, die Erfahrung, die er seit langer Zeit hatte, halfen ihm, ruhig zu werden.
„Nun, welches Buch sucht Magister Hathorel denn so dringend, dass er einen Elfen hierhin schickt, wo doch jede Kraft im Norden gebraucht wird?“
Dairean behielt sein beherrschtes Lächeln aufrecht. „Die Legende der Zwillingsklingen von Arlean Dämmerbann“, antwortete er.
„Ein interessantes Werk. Umso schade, dass es nun wieder nach Dalaran gehen muss. Es wurde uns erst vor kurzer Zeit retourniert.“ Krasus' Blick wanderte über die Regale. „Wisst ihr, warum es gebraucht wird?“
„Verzeiht, Sire, ich bin nur ein einfacher Bote, ich weisst nicht, warum mein Meister es braucht.“
Krasus fixierte ihn mit dem Blick, dann setzte er sich in Bewegung. Einige wenige Minuten strich er durch die Regale, ehe er schliesslich ein Buch herauszog, sich zurück zu Dairean begab, und es ihm überreichte.
„Dessen bin ich mir nicht so sicher, Dairean von den Sonnenhäschern. Aber ich werde mich hüten, mich erneut in die Belange der Sterblichen einzumischen.“
Dairean verbeugte sich erneut tief, hielt das Buch in den Händen fest.
„Vielen Dank für die Hilfe, Sire Krasus. Ich werde nun gehen, ich habe noch einen weiten Weg vor mir“, sprach er leise. Krasus' Worte liessen einen kalten Schauer über seinen Rücken wandern.
„Eines noch, Dairean von den Sonnenhäschern.“
Dairean blickte ihn an.
„Richtet eurem Meister aus, er soll sich sehr gut überlegen, wer es führen soll.“
„Äh..“, kam es nur geistreich von Dairean.
„Er wird wissen, was ich meine. Shorel'aran.“
Der Drache benutzte die traditionellen Worte und verschwand dann aus der Bibliothek.


Dairean liess sich diese kryptische Botschaft noch einmal durch den Kopf gehen, während er ein Stück feinen Seidenstoff aus seinem Gepäck zog, das Buch darin einwickelte und es ganz zuunterst verstaute. Gerade noch rechtzeitig.

„Guten Abend Leyan“, sprach eine ihm wohlbekannte Stimme. Er wandte den Kopf nach rechts, lächelte. Ylaria lächelte zurück, strahlte schon fast und setzte sich neben ihn.

XXXX
 
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