Es geht auf das Ende zu ...

devil-may-care

Rare-Mob
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Sie sitzt in einer alten Hütte - kaum mehr als ein verfallener Unterstand für Hirten - neben ihr auf dem vermoderten Stroh steht eine flackernde Sturmlaterne. Ihr Blick schweift über die teilweise zerfallenen Wände, die den Sturm von draußen nur mit Mühe abhalten können. Durch das Dacht tropft beständig der Regen. Langsam bilden sich in dem kleinen Raum Pfützen im Stroh.

Sie reibt ihre Hände aneinander, zieht unbehaglich die Schultern hoch und wickelt sich fester in ihren alten, grauen Wollumhang. Auf ihren Knien liegen verschiedene Papiere, eng beschrieben mit ihrer kleinen, knotigen Schrift. Erinnerungen. Alte Erinnerungen. Vor allem … Erinnerungsfetzen. Geschrieben in der Sprache ihrer Kindheit. Einer Kindheit die … Eine Kindheit in … Eine Kindheit welche …

Schreiben hilft die Gedanken zu sortieren. Auch wenn nicht mehr viele Gedanken vorhanden sind. Verrat! Ihre Lippen verziehen sich zu einem freundlosen Lächeln. Verrat … An was? … An wem? … Als würde ihr jemand etwas sagen. Sie war nur - ein Schatten. Nicht einmal. Geringer als das Geringste. Als würde ihr jemand etwas verraten. Aber das mussten die Leute auch nicht. Mit ihr reden. Sie war nur da, unbemerkt. Ein Schatten. Und wer achtet schon auf die stumme Irre?

Ihr Lächeln wird eine Spur tiefer. Und einen Hauch verzweifelter.

Aber sie hatte Ohren. Sie hörte. Geheimnisse, nicht für sie bestimmt. Sie, die Nächte unter Fenstern, in Büschen, auf Bäumen, verkleidet, versteckt, vermummt verbracht hatte. Lauschend. - Sie war nicht mehr als ihre Ohren. Nicht mehr als ihre Ohren und ihre Schrift auf dem Papier.

Sie überflog die geschriebenen Zeilen, zerrt ihren Umhang wieder zurecht. Überfliegt ihre Schrift, ihre Buchstaben, ihre Worte. Berichte, abgefasst in einer Sprache, die nur zwei Personen verstehen. Nein. Eigentlich drei. Sie versteht sie. Ihr Bruder … Nein, ihr Bruder ist tot. Bleibt nur er der verstehen kann, was sie schreibt. Ihr einziger Vertrauter? Ihr Folterknecht. Er, der sie in den Schatten hält. Sie schaudert; nicht vor dem Wind der durch die vermoderten Wände pfeift. Nein, die Kälte die sie gepackt hält sitzt in ihren Knochen. Die Kälte des Todes. Eine Kälte die kein Feuer dieser Welt vertreiben kann. Nicht einmal das Feuer aller Höllen. Ihr freudloses Lächeln schwindet. Die Hölle, dort wird sie wohl alle wiedersehen. Vermummte Schemen ohne Namen, ohne Gesicht. Ohne Geschichte. Sie alle waren nur Schatten. Gebunden durch … Gefesselt an …

Aber: Verrat! Das Wort schneidet tief durch ihren Geist. Ihr Blick wandert wieder durch den Raum, gleitet über das Bündel, welches in einer Ecke liegt, über die klappernden Fensterläden. Bleibt schließlich auf den Papieren in ihren Händen liegen. Auf ihren Händen. Die fehlenden Finger an der rechten fallen kaum auf. Schuldbewusst schließt sie die Augen. Es war Zeit für … Ja, für was? Das Ende … ? Und, was wusste sie schon? Wer hatte ihr schon etwas anvertraut? Ihr - der stummen Irren? Jeder der sie gesehen hatte war tot. - Verraten - Da war nur er, dessen Schoßhund sie war. Ohne ihn war sie nichts. Sie wusste nicht wo er war. Und was er dort machte. Aber es genügte ihr zu wissen, dass er war.
Wo der Herr ist, ist sein Schoßhund nicht weit.

Sie übergab die Papiere in ihren Händen der zitternden Flamme.

Es war Zeit neu anzufangen.

Gewandt steht sie auf, wie eine Katze, die bereit ist wieder zu jagen. Das Lächeln zeigt sich wieder auf ihrem Gesicht. Mit einigen flinken Schritten geht sie zu dem Bündel in der Ecke, schlägt das Tuch weg und blickt befriedigt auf die Leiche. Sieht in das Gesicht der Toten, in das Gesicht, dass ihr eigenes ist. Bedauernd legt sie ihre Dolche der Frau in die Hand. - Wer würde Verdacht schöpfen?

Es war Zeit neu anzufangen.

Sie dreht sich abrupt um wickelt sich fester in ihren Umhang und verlässt die Hütte. Stellt sich dem Sturm. Und auch den Fragen in ihrem Herzen.

Sie hatte jemanden zu suchen.
 
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