Nostalgie, miese Abzocke und alte Leiden

Balluardo

Rare-Mob
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Wenn man sporadisch einen Blog Eintrag verfasst, oder nennen wir es tollkühn einfach einen Tagebucheintrag, ist das Schöne, das man nach Jahren so einen Kram wieder in die Hände bekommt und schmunzeln muss. Wie wenig man sich doch verändert ...

Heute Morgen sind mir ein paar Notizen in die Hände gefallen, verfasst direkt nach meinem ersten Studium. Das dürfte jetzt so etwa 8 Jahre her sein. Und irgendwie ...

Eintrag vom 18.11.2005

Es war eine recht surreale Woche die hinter mir liegt.
Eigentlich war es die Woche, von der man lange träumt und genau weiß, was man so alles macht in dieser Woche.
Es war die Woche, nachdem man endlich sein Studium beendet hat und ein aufatmen durch die gesamte Verwandtschaft geht.
Es war die Woche, in welcher man die ganzen Dinge tun wird, die man sich so vorgenommen hat für die Woche nach dem Studium, und das waren ja nicht wenige.

Es war die Woche, die richtig scheiße gelaufen ist!

Freitag die letzte Prüfung, alles super! Samstag Glückwünsche und bereits am Sonntag am Telefon dann die Frage, welche meine Woche eindrucksvoll versauen sollte: „Was machst Du jetzt eigentlich bis im Februar Dein Referendariat anfängt? Hast Du schon was?“

Habe ich schon was? Ja, frei!

„ Ich wollte eigentlich nur am PC zocken, die Beine hoch legen, ins Café gehen, lesen, boarden und …“ .merkwürdige Ruhe in der Telefonleitung, „…also ich wollte natürlich auch etwas arbeiten und da werde ich gleich Morgen mal sehen was es gibt.“

Das also war der Auftakt meiner Woche nach dem Studium. Zugegeben, ist meine finanzielle Lage beängstigend, aber eigentlich schwebte mir nicht gleich der nächste Job vor.

Kurz hatte ich noch die Hoffnung, eine kleine Alibiarbeit zu finden. Etwas wo man für 2 Stunden die Woche neue Computerspiele auspackt und in Regale stellt, oder für 20 € die Stunde Arzneimittel zu Apotheken fährt. Wie gesagt, die Hoffnung hatte ich nur kurz.

Dankeswerter Weise erwähnte ein guter Freund, in großer Runde, es gäbe da einen gut bezahlten Job im Call-Center. Ja super! Wie passend! „Ja, also klar … ich meine …“

Ich sah meine Stunden am PC und auf schneebedeckten Hängen an mir vorbeiziehen und wusste nicht mich zu wehren. Dummerweise habe ich schon mal im Call-Center gearbeitet.

Vorstellungsgespräch war gleich am Dienstag. Schnell sind sie, das muss man Ihnen lassen.

8 Bewerber und nur 2 freie Stellen, gute Chancen durchzufallen. Im Nachhinein hatte ich allerdings wohl 1-2 Espresso zuviel vor dem Vorstellungsgespräch. Weil mir ohnehin alles egal gewesen ist, bin ich dann wohl auch der mit Abstand entspannteste aller Bewerber gewesen. Mittwoch die Zusage: Vollzeit, 8 Stunden Call-Center jeden Tag!

Ich frage mich ernsthaft, warum in diesem Land so viele Menschen keine Arbeit finden, die händeringend danach suchen und ausgerechnet ich eine bekomme. Die moralische Zwickmühle besteht darin, dass der Job saugut bezahlt ist und ich eine Wunschliste an technischen Geräten habe, welche sich quer durchs gesamte Sortiment eines Mediamarktes zieht.

Also Kompromiss für mich: Ich nehme den Job an und arbeite bis Weihnachten. Dann mache ich vom Kündigungsrecht Gebrauch und bin somit wohl der einzige Arbeitnehmer, der sich glücklich schätzt, das der Kündigungsschutz derartig locker gestaltet ist.

Montag geht es los. 8 Stunden Telefontarife anbieten.
Wer weiß, vielleicht rufe ich auch bei euch an, erzählt mir dann ja nicht ihr spielt gerade Computer!

Nachtrag, Dezember 2013

Das amüsante an dem Job war, das es sich um eine totale Abzocker-Firma gehandelt hat. Ich bin mir nicht sicher, ob die Telekom wirklich wusste mit wem sie da zusammenarbeitet. Ich habe genau einen Tag in dieser Firma gearbeitet, um anschließend den wohl stylishten Abgang hinzulegen, den ich jemals bei einem Arbeitgeber abliefern werde.

Man musste dort am Telefon alten Leuten, teurere Telekomtarife verkaufen. Also: Alter Tarif ist ja Quatsch, der neue viel besser. "Sie schicken einmal im Jahr eine Mail mit Bild an ihre Tochter? Da brauchen sie auf jeden Fall DSL."

Dabei haben sich dann noch ständig Controller zugeschaltet und mitgelauscht. Morgens wurden dann im Mitarbeiterkreis immer der/die besten Verkäufer des Vortages belobigt. Dazu wurden Give aways der Telekom verteilt, also Regenjacken und so ein Plunder. Wahrscheinlich waren die eigentlich zur Weihnachtszeit, einfach so von der Telekom verschickt worden. Der schlechteste Mitarbeitet hing mit seinen Zahlen am schwarzen Brett vorn aus. Es war ein perfektes Szenario für Stern TV.

Zweiter Tag, Mitarbeiter-Meeting:

"Gestern angefangen und die besten Zahlen ... wooooow! Eine Regenjacke für Ben!"

Und dann, perfekter Abgang: "Ja, danke dafür. Ich möchte diesen Moment direkt dazu nutzen, um zu kündigen. Ich halte diese ganze Firma für total unseriös und eine riesen Abzocke. Ich schäme mich schon für meine Arbeit am gestrigen Tag. Leute, das hier muss sich niemand antun. Die ziehen euch und alle anderen über den Tisch. Mieseste Nummer. Ich bin raus und meine Regenjacke schenke ich Dieter, da passt es ja farblich."

Ich fand es soooo cool.

Ja, bis ich meine damalige Freundin anrief und ihr völlig euphorisch von meiner Heldentat berichtete. Die Reaktion habe ich noch genau im Ohr.

Ruhe ... "Soll das jetzt heißen, Du bist den Job direkt wieder los?"

Ähm ...
blush.gif


Ich habe die Zeit dann aber extrem sinnvoll genutzt und in WoW diesen Winterfrostsäbler aus Winterquell gefarmt. Das war ja echt eine Aufgabe für blöde mit viel Zeit damals. Ganz wunderbarer Winter war das ... *hach
 
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