Zwischenspiel: Glück der Nachtschleicher
Prolog: Blutgebadet
Blut. Wunderschönes, köstliches, warmes Blut. Es klebte an seinen Händen, hing an seinen Wangen, lief seine vernarbte Rüstung hinab. Da schwamm es am Boden, versuchte in den Fugen des Pflasters zu verschwinden. Versuchte, ihm zu entkommen. War es nicht undankbar? Schließlich hatte er es aus fleisches Hülle befreit. Rangar steckte seine verschmierten Dolche zurück in die Scheiden und kniete sich hin. Blut. Es gab für ihn nichts schöneres. Selbst wenn er sich an seine Lebzeit zurückerinnerte, sah der Todespirscher nichts, was dem Gefühl frischen Blutes nah kam. Sacht tauchte er die beiden nackten Handflächen in die Lache. Er hatte seinen Verstand mit Alkohol in rage versetzt oder mit Kraut besänftigt. Es waren interessante, ja schöne Gefühle gewesen. Gefühle und Wallungen, die ihn immer wieder verlockten. Er hatte stets nach dem gesucht, was ihn am meisten in Extase versetzten konnte. Doch selbst eine Frau, die sich wehrte, war nicht so berauschend wie der Kuss warmen Blutes auf seiner kalten Haut. Das Blut ließ mit seiner Wärme auch sein Leben dahinströmen. Auf seiner Haut teilte es dieses Leben mit ihm. Erst hatte er das Leben genommen. Jetzt kam es zu ihm. Sachte bemalte er sein Gesicht mit dem Blut der Männer, die ihn aufhalten wollten. Sie haben ihr Leben verschwendet. Rangar konnte das nicht von sich sagen. Ein morbides Grinsen lag auf seinem Gesicht, als er, ein Liedchen summend, weiterging.
Durch Blut gewatet, vom Blut geküsst.
In Blut gebadet, mein Knochengerüst.
Er war kein Dichter, aber das hielt ihn nicht auf. Immer sang er dieses Lied, nach dem er getötet hatte. Es war sein Brauch.
Ich bin der flinke Arm, des kalten Todes.
Es beschenkt mich warm, das Gefühl des Blutes.
Es war herrlich. Tote, dumme Bücher waren in totem, nutzlosen Holz überall um ihn herum aufgestapelt. Er selbst war der einzige Funken Leben in dieser Einöde des Wissens. Er war der Befreier des Blutes! Was interessierten ihn da Bücher? Sieben waren es, die er stehlen sollte. Sieben einzigartige Bände, alle bis auf einen von Priestern und Gelehrten der Abtei Northshires geschrieben. Sieben war eine verdammt gute Zahl. Sie brachte Glück. Rangar griff mit seinen schmierigen Händen nach seinem Anhänger und hinterließ eine rote Sieben darauf. Sieben. die perfekte Zahl, die sich nur durch sich selbst teilen ließ. Oder die eins. Aber wer sollte etwas durch eins teilen wollen? Eigentlich war es so unsinnig, wie Bücher über das Licht zu stehlen. Aber Auftrag war Auftrag.
Sieben Tage lang hatte er mit dem Raub gewartet und nur beobachet. Hatte alles ausgespäht und die Bibliothekare und Wachen ausgehorcht. Nun ging er durch dieses Sanktum der Schrift und nahm sich, was er brauchte, eine rote Spur hinterlassend. Er verließ den Raum und stieg eine Treppe hinab. Flüsternd ging er nochmals die Liste der Bücher durch, die er für seinen Auftraggeber stehlen sollte. Das Oberhaupt der Priester hatte große Erkenntnisse versprochen, sollte man ihm die Bücher bringen können. Und wenn Allister bittet, befiehlt die Fürstin für gewöhnlich. Einem niederen Bittsteller als Allister hätte man sicher ausgelacht und ihn selbst nach Stormwind laufen lassen. Aber der Schattenpriester genoss Beliebtheit bei der dunklen Fürstin. Scheinbar hatte er sie beeindrucken können. Rangar stopfte ein weiteres Buch in seinen Ranzen. Was ein Schattenpriester mit diesem Gebrabbel über das Licht anfangen konnte, war ihm schleierhaft. Doch im Grunde konnte es ihm egal sein. Summend suchte er nach den letzten Büchern auf seiner Liste. Das wichtigste von allen, eine Abhandlung über die 'Seelenkräfte der Gläubigen', fehlte ihm noch. Er würde es...
"Stehen bleiben. Rühr dich nicht vom Fleck."
Rangar tat wie ihm geheißen. Hatte da jemand die erkaltende Warnung weiter oben nicht verstanden? Es schien so.
"Dreh dich langsam um und halte deine Hände still."
Rangar drehte sich langsam um und setzte sein Grinsen wieder auf. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass sein blutverschmiertes Gesicht auf die meisten sehr einschüchternd wirkte. Doch kaum hatte er sich umgedreht, erstarrte sein Lächeln schon. Im diffusen Licht der Laterne war zwar nicht viel zu erkennen. Aber diese Narbe, diese Nase, dieses Rabenschwarze Haar...
"Scheinbar kennen mich sogar die Untoten, oder siehst du immer aus, wie ein Schwachsinniger?"
Mathias Shaw, Chef der Informantengilde Stormwinds. Legende unter jedem Schattenkämpfer, Schurken und Krieger der Nächte. Jeder, der sich gern im Verborgenen hielt, kannte diesen Namen, diese Narbe und die Geschichten, die dazu gehörten. Selbst in seinen großen Umhang und Kapuze gekleidet war der große Mann zu erkennen. Rangar sammelte sich.
"Ich schau nur so aus wenn ich auch dumm begafft werde."
Das war keine einfallsreiche Erwiederung. Aber etwas besseres fiel ihm nicht ein. Wieso hatte er kein Glück?
"Und jetz?"
Shaw antwortete nicht, sondern musterte den Untoten weiterhin.
"Kämpfen wir, oder kann ich weitermachen?"
Zum ersten mal ließ die Ausdruckslose Mine von Mathias einen Hauch von Gefühl hindurch. Es war Belustigung, erkannte Rangar, selbst weniger glücklich. Die Allermeisten verbargen ihr Gesicht, um nicht erkannt und verfolgt zu werden. Shaw aber zeigte sich offen. Sein Ruf war ihm ein besserer Schutz als seine Annonymität. Da sprang Mathias auch schon ohne jede Vorwarnung nach vorn und hielt zwei kurze, schmale Schwerter in den Händen. Schwerter, die kein Licht reflektierten. Das hatte Rangar bisher nur ein mal gesehen. Doch zum Nachdenken war keine Zeit. Er ließ den Rucksack mit den dummen Büchern fallen und zog seine klebrigen Dolche, während er sich zur Seite hechtete. Mal sehen, ob Shaw tatsächlich so gut war, wie alle behaupteten.