Die Panik holt mich wieder ein - Klausurzeit inc.

Khanor

Dungeon-Boss
Mitglied seit
09.01.2008
Beiträge
672
Reaktionspunkte
0
Kommentare
1.795
Buffs erhalten
162
Kanada ist zur Hälfte erschlossen. In der 7. "Mission" von Railroad Tycoon II muss der Spieler, zur Festigung der innerstaatlichen Beziehungen, eine Bahnlinie von Osten bis Westen in Kanada errichten, was in Anbetracht der teilweise sehr dürftigen Besiedlung gar nicht so einfach ist.

Als ich gestern das Spiel verließ lief noch alles äußerst reibungslos. Vor Aufträgen konnte ich mich kaum retten, Frachten und Personen gab es an annähernd jedem Bahnhof im Überfluss. Nach dem Programmstart heute sah all das ganz erbärmlich anders aus. Je Bahnhof wartete selten mehr als eine Ladung Fracht auf meine Züge, der Personentransport kam annähernd zum erliegen. Ottawa wie ausgestorben, Toronto auch nicht viel besser. Sogar Quebec, einstmals neben Montreal Mittelpunkt meiner Handels- und Reiserouten lagen geradezu brach.

Es war mir möglich dennoch zumindest den Bargeldbestand meiner Gesellschaft auf unverändertem Stand zu halten, doch 5 Millionen Dollar reichen nicht aus um noch zwei Drittel des Landes mit einem Schienennetz, Bahnhöfen, Umschlagseinrichtungen sowie Zügen zu bestücken.

Ein wenig ernüchternd, ich habe fast die Vermutung, dass sich der Einfluss der gerade erschlossenen nördlichen USA negativ darauf ausgewirkt hat. Schließlich muss irgendjemand die Schuld tragen.

Unterdessen haben Frodo, Sam und Pippin das Auenland hinter sich gelassen und mit der Bockenburger Fähre nach Bockland übergesetzt, nachdem Bauer Maggot sie das letzte Stück mit seinem Gespann unterstützt hat. Auch Merry stieß nun endlich zu ihnen, der mit dem Umzugswagen voraus geeilt war, um die erste häusliche Einrichtung in Frodos neuem Heim in Bockland vorzunehmen, nachdem er Beutelsend an die verhasste Tante Lobelia Sackheim-Beutlin verkauft hatte. Schon vor Beginn seiner schicksalsträchtigen Reise ahnte er, dass er nicht zurückkehren würde und trat das geliebte Beutelsend unter dem Bühl an die verhasste Verwandschaft ab.

Während die vier Gefährten nun gerade mit Dick Bolger in Frodos neuem Esszimmer einen riesigen Korb Pilze, Bier und andere Leckereien vertilgen und Frodo das - den anderen bereits bekannte - Geheimnis zu offenbaren versucht, welche Beweggründe er hatte um diese Schritte einzuleiten wird mir wieder einmal bewusst, wie sehr sich die Bücher doch von der Filmumsetzung Der Herr der Ringe unterscheiden.

Als damals bekannt wurde, dass die Reihe nach runden 60 Jahren doch endlich angemessen verfilmt wird ließ ich mich von einem Freund drängen die Bücher zu lesen. Vor dem Kinostart, versteht sich. Die ersten beiden Bücher (der sechsteiligen Fassung) schloss ich erst zwei Wochen vor dem Kinobesuch ab und war begeistert von beiden Versionen der Geschichte. Doch nun, nach so vielen Jahren und unzähligem Sehen der Filme, war mir vollkommen entfallen, dass bis zum Eintreffen in Bruchtal annähernd zwei verschiedene Geschichten erzählt werden.

Die Gründe sind verständlich, denn um einen Kinobesucher (vielleicht sogar einen, der das Buch nicht gelesen hat) zu fesseln ist es nötig mehr Dynamik einzubringen als es die Bücher vermochten. Während das Buch sich mit vielen Wanderungen und noch mehr Erzählungen vor dem Kamin beschäftigt werden im Film einige Teile erst wesentlich später, auf sehr eigentümliche Art, offenbart.

Der Genuss des Lesens ist und bleibt dennoch etwas vollkommen anderes, kaum vergleichbar mit den Filmen, und beide eine Klasse für sich, will ich meinen.

Gestern war es auch mal wieder an der Zeit einigen Dienst im Labor zu erledigen. Die Arbeit war recht angenehm, da sie keine geistigen Höchstleistungen erforderte und nebenbei genug Spielraum für Unterhaltungen mit einem Kommilitonen war. Dennoch scheint mich unter anderem die dreistellig gewichtete Stahlwanne, die es zu beseitigen galt, etwas erwischt zu haben. Besonders seit gestern nachmittag spüre ich, dass ich mir einen Wirbel verdreht zu haben scheine, der oberhalb der Schulterblätter liegt und daher nicht ohne weiteres mit etwas Drücken und Pressen seinen Platz wiederfinden will. Heiße Duschen und auch eine ungenügende Nachtruhe konnten dem leider keine Abhilfe schaffen, so dauerte es heute einige Zeit bis ich von allein aus dem Bett steigen konnte. Die Hälfte aller Armbewegungen - unabhängig vom bewegten Gewicht oder Richtung - treiben mir die Luft aus der Lunge und lassen die Arme unter Schmerzen und ohne mein Zutun wieder sinken, sitzen ist auch nicht ohne weiteres schmerzfrei und sämtliche Bewegungen wollen wohl durchdacht und langsam ausgeführt werden.

Nicht die besten Voraussetzungen, doch habe ich schlimmeres überstanden.

Ich habe mich nun aber aufgerafft um mir noch ein wenig Klarheit über Statik zu verschaffen. Das ist dringend erforderlich, denn in zwei Wochen stehen die Klausuren in Statik und Massivbau an. Noch versuche ich vieles weitestgehend zu verdrängen, beispielsweise gesonderte und knifflige Aufgaben- und Problemstellungen, doch holt mich die blanke Panik bereits ein.

Was, wenn ich es nicht schaffe?

Niemand würde mir einen Vorwurf machen, dessen bin ich sicher. Doch für mich selbst wäre es der Untergang, fürchte ich. Ein unerreichtes Ziel, wieder einmal. Und, zu allem Überfluss, würde eine nicht bestandene Klausur (bei beiden Fächern) nicht nur ein weiteres Semester bedeuten sondern ebenso, dass ich zum dritten - und letzten (!) - Versuch in diesem Fach antreten müsste. Sollte der fehlschlagen hieße das für mich das deutschlandweite Aus im Bauingenieurwesen.

So weit wollen wir aber erst einmal nicht denken. Und in Statik war es schließlich die eigene Überheblichkeit, die mir keinen ärztlichen Urlaubsschein für die vergangene Klausur bescherte, sondern mein Vertrauen darauf, dass ich es sowieso nach den Ferien schaffen werden würde.

Nach gestern allerdings bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Die Problematik liegt im kleinsten Detail, wie so oft. Das Herangehen an eine Aufgabe beginnt zu 85 % mit der Bestimmung der statischen und/oder geometrischen Unbestimmtheit. Ich will das hier nicht weiter ausführen, allerdings anhand dieser simplen Methoden wird der spätere Rechenaufwand ermittelt. Und sollte das Ergebnis falsch sein ist die Aufgabe natürlich auch nicht richtig, es gibt jeweils nur eine Lösung.

Bisher liefen uns ausschließlich Systeme über den Weg, die ein-, zwei- oder maximal dreifach unbestimmt waren, wobei letzteres für eine Klausur unpraktikabel ist. Je nach Unbestimmtheit sind Gleichungssysteme erforderlich, die dann mit einer Matrix berechnet werden müssen um nach vielen weiteren Berechnungen ans Ziel zu gelangen. Wenn ich allerdings allein dabei, wie gesagt den Grundlagen, bei allen Aufgaben 4- bis 8-fache Unbestimmtheit ermittele ist es absolut unbrauchbar, da es a) unmöglich für eine Klausur ist uns ein solches System vorzusetzen und
cool.png
ich ohne die korrekte Antwort keinerlei korrektes weiteres Ergebnis erbringen kann.

Doch ich merke schon, dass ich schon wieder zu viel darüber verliere. Ich bin nur sehr matt deswegen, dabei habe ich noch gar nicht wirklich richtig mit dem Lernen begonnen. Ich könnte schon wieder resignieren, wünsche mir Ferien, keinen Stress, einfach nur mal wieder etwas geregeltes Leben. Nicht komplett nach Fahrplan, das wäre tierisch langweilig, nur möchte ich nicht immer nur im permanenten Zeitdruck stehen, den Stress als ewigen Begleiter ansehen müssen und gelegentlich - ca. zwei bis drei Mal im Jahr - einige Tage wirklich frei haben, in denen mich anfangs all das nicht los lässt und ich am Ende nicht mehr in den alten Trott finde. Da vergeht einem auf Dauer das Lachen.

Ich halte es für bedenklich, dass heutzutage jeder Mensch etwas ganz außerordentliches ist, bzw. der Meinung ist zu sein. Es gibt keine dummen Kinder mehr und Eltern sind auch von ihren Sprösslingen, die sich mit 9 Jahren nicht einmal die Spucke vom Kinn wischen können, der Meinung, dass sie hochbegabt und unterfordert sind und nur deswegen noch immer nicht 1+1 rechnen können. Als vor einigen Jahren den Leuten die Klischees über wankelmütige 25-30 jährige Herren zu doof wurden erfand man plötzlich den Begriff "quarter-life crisis" und von da ab war alles entschuldigt. Work-o-holics sind Menschen, die sich durch ihre Arbeit definieren, Spaß daran haben und ansonsten eigentlich nichts im Leben brauchen, aber plötzlich nennt sich jeder, der täglich 10 Stunden arbeiten muss einen Work-o-holic, ebenso diejenigen, die einfach nur mit ihrem Privatleben nicht klar kommen und sich so wenigstens nicht den eigenen vier Wänden stellen müssen - egal wie unproduktiv sie im Beruf sind. Nach zwei Wochen wird es vielen Leuten zu viel, wenn sie sich nur noch um eine Sache drehen (bei beruflichem Stress), was sich immer weiter steigert, bis sie nach sechs Wochen spätestens davon sprechen, sie seien kurz vor dem so genannten Burnout, wobei man sich doch vielleicht eher verständlicherweise erschöpft fühlt, was eindeutig nicht das gleiche ist.

Worauf ich hinaus will ist folgendes: dieses aufbauschende Verhalten, dass mittlerweile ganz normal ist und nirgendwo mehr wirklich auffällt, bringt mich dazu in den meisten Dingen bei mir persönlich nichts besonderes mehr zu entdecken oder zu vermuten. Wenn mich jemand mit solchen "Absonderlichkeiten" in Verbindung bringt winke ich meist ab und rede die Sache auf den 'normalen' Sprachgebrauch herunter. Ganz gemäß dem alten Sprichwort, dass es immer jemanden gibt, dem es noch schlimmer ergeht.

Vor +/- einem Jahr sagte ein Kommilitone mal, ich müsse kürzer treten und einige Dinge auch mal auslassen, wenn ich sie nicht auf die Reihe kriegen würde oder mir einfach mal einige Tage Ausgleich schaffen um mich selbst dabei nicht zu verlieren. Klar wusste ich, dass er recht damit hatte, doch wenn nun einmal Abgabetermine anstehen müssen diese auch eingehalten werden, wann sollte ich mir da denn reinen Gewissens eine Pause gönnen, die länger als eine Stunde TV o.ä. dauert? Er jedoch sprach weiter und sagte, dass er das nicht aushalten würde. Zu groß der Druck, zu mächtig die Gefahr hinterher auf der Strecke zu bleiben.

"So wie du unterwegs bist", sagte er, "steuerst du direkt auf einen Burnout zu. Du bist fertig, wenn du ins Berufsleben trittst. Ich habe einiges darüber im Fernsehen gesehen, auch wenn da immer viel erzählt werden kann.
Da war ein Kerl, sehr erfolgreich an der Börse, doch 24/7 nur darum bemüht und sonst nichts. Eines Tages, auf dem Weg ins Büro, ist der durch den Park gegangen, blieb stehen, fing an zu grinsen, öffnete seinen Koffer, nahm das Notebook heraus und warf es in hohem Bogen weg. Sein Handy versenkte er im Teich und seitdem lebt er in dem Park. Ohne alles.
Und da seh ich dich auch, wenns so weiter geht."

Kranke Sache. Was davon stimmt oder nicht weiß ich nicht. Ich tat es schwer lächelnd ab, stimmte ihm jedoch auch zu, dass Stress die Menschen fertig machen kann.

Doch heute, ehrlich gesagt, bin ich an vielen Tagen dazu geneigt mich einfach dieses Anglizismuses zu bemächtigen, ihn über meine Lippen zu bringen und dabei sogar mit mir selbst zu verknüpfen, obwohl mir so etwas grundsätzlich widerstrebt. Vielleicht ist es ja wirklich einfach nur Stress pur und - wovon ich schon viele Jahre überzeugt bin - ich bin schlicht nicht so intelligent, dass meine Ziele wirklich realistisch sind. Ich habe nicht einmal genug Erinnerungsvermögen um mir zu erschließen, welche Aufgaben in den vergangenen Klausuren dran kamen. Allein aus diesen Gründen bin ich so fertig und es ist die eigene Schuld, weil ich ja nicht kürzer treten wollte.

Und wieso soll es nun ausgerechnet auf mich zutreffen, wo doch so viele andere Leute tatsächlich richtige Probleme und Krisen zu bewältigen haben und nicht nur mit dem eigenen Wissensstand kämpfen müssen? Warum genieße ich es Student zu sein und - auch wenn ich so gern auf dem Sofa festwachsen würde - finde es eigentlich ein tolles Gefühl an vier bis fünf Tagen pro Woche in die Hochschule zu gehen? Warum habe ich Spaß daran, wenn mal etwas klappt und ich es verstanden habe? Weshalb sollten mich die Dinge überhaupt noch interessieren, die wir in den Vorlesungen behandeln (wobei mich natürlich bei weitem nicht alles interessiert)?

Und doch ist es so.

Ich fühle mich ausgebrannt.

Während ich das sage kriecht mir die Scham den Nacken rauf und ich bekomme eine Gänsehaut auf dem Rücken. Das darauf folgende erschrockene Schütteln quittiert mein Rücken mit stechendem Schmerz, na herzlichen Dank auch
wink.png


Ich habe keine Lust darüber zu diskutieren, wenn es soweit ist. Das sind Kämpfe, die ich mit mir selbst ausfechte und es gibt immer nur einen Verlierer dabei, niemals einen triumphierenden Sieger. Die nächste Schlacht kommt bestimmt, die Gegner werden wieder die gleichen sein, ich und ich selbst. Spreche ich nach außen hin etwas an habe ich das Gefühl nicht verstanden zu werden warum meine Beweggründe so sind wie sie sind und verstehe zwar die Gegenargumente, doch empfinde ich sie als nutzlos und unpraktikabel.

Ich kämpfe mit jedem Mal, das der Stress mich wieder einholt. Immer wieder will ich einfach aufgeben, oder Tempo raus nehmen, oder es anders gestalten und doch bleibe ich dabei wie es ist. Denn anders kann es nicht funktionieren, scheint mir. Und doch beweisen Tausende, dass es anders geht. Jeden Tag, jedes Jahr. Und ich komme aber einfach nicht aus mir selbst heraus, was ich mir in den Kopf gesetzt habe setze ich auch durch. Da kommt nichts gegen an, niemand anderes und nicht einmal ich selbst, weder Vernunft noch Hilfeschreie.

Und das ist mein Problem.

In den letzten Wochen will ich einfach nur wieder zurück zur Musik, doch sitze ich am Instrument habe ich keine Lust mehr. Ich will zocken, Spiel um Spiel, doch kommt es mir dann eher vor wie ein Zwang anstatt das Spiel selbst zu genießen. Ich möchte gern schlafen, doch erscheint mir jede Minute die ich liege als verschenkt.

Immer wieder geht es auf und ab. Noch vor einiger Zeit, lang ist sie nicht her, war ich glücklich mit allem, und jetzt bin ich wieder sehr unglücklich damit wie alles ist. Und nach den Klausuren, sofern sie halbwegs gut gelaufen sind, wird es wieder bergauf gehen, ich werde interessiert und motiviert sein. Bis es wieder abwärts geht, weil neben den Vorlesungen noch gearbeitet werden muss und zum Sommer dann ja auch meine Bachelorarbeit ansteht.

Wenn ich dieses auf und ab schon wieder bedenke ist es noch peinlicher überhaupt mit dem ganzen Thema angefangen zu haben. Es macht mir auch deshalb keinen Spaß über so etwas zu reden, weil es sich ja doch wieder ändern wird und jedes Wort umsonst war. Nicht nur umsonst, sondern es erweist sich dann ja sogar offensichtlich als falsch. Darüber reden nervt. Es in sich behalten macht wahnsinnig.

"Ganz dünn und ausgemergelt, wie Butter auf zu viel Brot verstrichen", sagte Bilbo. Doch kaum legte er den Ring einmal ab erging es ihm sofort besser...

Aber wie praktikabel wäre das nun für mich?

Ich habe keine Lust, darüber zu reden. Keine Lust dazu Fragen zu beantworten. Keine Lust darüber nachzudenken oder mir zureden zu lassen, denn: am Ende bleibt doch alles so, wie es ist. Die Sonne wird täglich einmal auf- und untergehen, ich werde so weitermachen wie bisher und es wird sich alles schon irgendwie regeln, egal mit welchem Ende, und unsere Bärte werden länger und länger und bis ins Tal hinab reichen.
 
Zurück