In vier Tagen um die Welt - oder: 66 Jahre altern leicht gemacht

Khanor

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Nach einem sehr erholsamen und angenehmen verlängerten Wochenende in Hamburg und Hannover sowie den Bundesautobahnen nördlich und südlich davon war ich eigentlich davon ausgegangen ein wenig Kraft geschöpft zu haben für die vor uns stehenden Klausuren. Schließlich habe ich alle Abgabetermine in diesem Semester eingehalten und die Testatleistungen alle selbst erbracht und habe trotzdem gerademal in knapp acht Vorlesungen gefehlt. Vom Zeitmanagement her ein absolutes Disaster, ein Supergau in Sachen Freizeitgestaltung.

Doch falsch gedacht, der erholte Start in die Woche sah gleich ganz anders aus, als ich ihn mir eigentlich vorgestellt hatte.

Sonntag: ein 5-köpfiger Stapel Studenten trifft sich, um eine Ausarbeitung in Bauwirtshaft zu beenden, am darauf folgenden Tag ist Abgabetermin. Man hatte ja nur seit der vierten Woche des Semesters Zeit dafür...

Die Aufgabe: Setzen Sie ein Haus auf dieses Grundstück und berechnen Sie den Kaufpreis und den ermittelten Gewinn - oder Verlust.

Bei unseren vorherigen Treffen kristallisierte sich schon eine vorläufige Aufgabenverteilung heraus, die wir so auch am Sonntag beibehielten: Die Jungs rechnen, die Mädels zeichnen die Pläne und basteln das Modell.

Hier kommt nun allerdings keinerlei maskuliner Drang zur Unterdrückung des weiblichen Geschlechts zum tragen. Es ging hier nicht darum, dass malen und basteln Frauensache sind.

David hatte nur einfach keinen Bock darauf
wink.png


Und letztlich schwingt da auch einfach etwas Selbstschutz mit. Ich setze einen Blinden auch nicht ans Steuer eines Busses in einer mittel-indischen Rush Hour. Zwei der drei Mädels besuchten die Vorlesungen in Bauwirtschaft ca. ... hm... die Anzahl ist so gering, dass der Aufwand einfach zu hoch wäre jetzt mit dem Zählen zu beginnen. Es sei einfach erwähnt, dass die eine Dame von 15 Vorlesungen wöchentlich zzgl. diversen freiwilligen Terminen zu oftmals nur 5 Terminen in zwei Wochen erscheint, eine weitere Dame zwar häufiger Anwesend ist aber entweder schwatzt, rauchen geht, schläft oder unterwegs in die Mensa ist um einen Eistee käuflich zu erwerben (mal ehrlich, die kauft sich jede Vorlesung einen Eistee. Da nehm ich mir doch lieber was von zuhause mit Oo), und zu guterletzt Dame 3, die zwar mehr Grips im Köpfchen hat als die anderen beiden Damen, aber leider immer zu den Zeiten, wenn wir unsere Ausarbeitung durchgehen wollten arbeiten musste.

Ich und Wirtschaft - wir werden niemals Freunde sein. Wirtschaft ist etwas, womit ich so meine Probleme habe. Bei dem Gedanken an die Wirtschaftskrise stelle ich mir ein lebendes Wesen aus Zahlen und Paragraphen vor, dass am Wohnzimmertisch sitzt und in sein Bier heult, weil es gerade (mal wieder) in der Midlifecrises steckt. Ich kann hinter Gesetzestexten, die den ganzen Spaß regeln sollen, einfach keine Struktur erkennen, die Wirtschaft - egal in welcher Form - für mich zu mehr macht als ein abstraktes Kunstwerk oder eine sinnlose Überhäufung von unverständlichen Sätzen.

Manchmal glaube ich einfach, dass alle möglichen öffentlichen Schriften in Verordnungen und Gesetzen früher vom Adelsstand diktiert wurden und das absichtlich in so einer komplizierten Art und Weise, dass die Arbeiterklasse diese sowieso nicht verstand. Das hatte dann den Vorteil, dass jeder Adelsmann situationsbedingt die Richtlinien nach seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen dem Bauernflegel "erklären" konnte. Der Gewinner steht hier eindeutig fest.

Und wenn dem tatsächlich so wäre, würde mich mal interessieren, wieso das bis heute noch niemand abgeschafft hat. Ganz ehrlich: wieso ist es so schwer die Dinge, nach denen wir alle uns richten sollen - und meistens einfach müssen, um unsere Freiheit zu behalten - in einer Sprache zu verfassen, die wir auch alle verstehen? Ich meine, ich möchte mich mit der Aufgabe nun auch nicht befassen. Aber das liegt schlicht daran, dass ich zu dem Typ Mensch gehöre, der bei dem Gedanken an irgendwelche Wälzer mit der imaginären Aufschrift "§ inside - sind sie zu stark bist du zu schwach" Juckreiz unter den Fingernägeln bekommt, der sich nur durch das graben eines sechs Fuß tiefen Lochs erträglich gestalten lässt.

Kürzer gesprochen: Die Informationen, die so wichtig sind, sollten nicht so kompliziert verpackt werden. Bürokratie abschaffen ist eine Sache, doch das ist nicht allein damit getan zwei Antragsformulare für Langzeitarbeitslose abzuschaffen und den Inhalt - revolutionär - in einem zu vereinigen oder gar dadurch, dass das Arbeitsamt nun länger geöffnet hat. Nein, es sind die viel kleineren Dinge des Lebens.

Vielleicht würden wir alle weniger Verkehrsdelikte begehen, wenn wir die Verordnungen verstehen könnten.

Oder vielleicht weniger Steuern hinterziehen - dann aber wohl auch einen Weg finden auf legalem Weg 90 % der Lebenshaltungskosten steuerlich abzusetzen. Und den 400" Flatscreen natürlich auch.

Eine kleine Frage: Was fällt euch auf?

Richtig - ich schweife ab. Es ist aber auch so schwer um diese Uhrzeit einen halbwegs klaren Gedankengang beizubehalten. Und da das für mich schon tagsüber schwer genug ist stellt sich das morgens quasi als unmöglich in den Weg.

Also, ääähm... Bauwirtschaft... Ich bekam unfreiwillig die Einteilung in den berechnenden Part der Gruppe. Also erst einmal wieder durchsteigen woher nun was kommt, was man alles berechnen muss und - Hauptteil des Geschehens - was man wo und wie in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) anrechnen darf.

Paragraphen hier, Absätze da, bescheuerte Formulierungen und im Endeffekt doch nichts sinnvolles.
Es beginnt schon damit, dass es mir aufstößt, dass anstatt beispielsweise "55 %" sowas doofes wie "55 vom Hundert" in der HOAI steht. Vom Hundert. Warum? Ist das noch Zeitgemäß? Oder ist 'Hundert' eine männliche Person?
"Von wem hast du denn die 55?" - "Na vom Hundert, der gibt einen Aus."
Oder wie jetzt?

Nachdem ich aber nun doch nicht drum herum kam in vielen Absätzen auf diese Formulierung zu stoßen lernte ich mit der Zeit, meinen Brechreiz zu bekämpfen.

Dafür wuchs allerdings die pure Mordlust in mir, als ich dann für unsere Situation spezifische Werte suchte. In der HOAI steht erst einmal alles mögliche für den Architekten drin. Der Architekt plant und koordiniert nämlich alles und deswegen packt man knapp 60 §§ lang alles mögliche, was man irgendwie unverständlich formulieren konnte, in die Verordnung hinein und hofft einfach darauf, dass niemand so blöd ist sich den Schrott durchlesen zu wollen.

"Irgendjemanden wird es schon geben, der über Generationen hinweg überliefert bekommen hat, wie das funktioniert, also brauchen wir das auch nicht verständlicher schreiben."

Das Inhaltsverzeichnis ist für die Katz, die Adobe-Schlagwortsuche leider auch nutzlos (was nicht an Adobe sondern an der Formulierung des Textes liegt) und mit jeder Sekunde steigt das Hämmern im Kopf in Lautstärke und Schmerzhaftigkeit an.

Einen - je nach Bauart und Situation - bestimmten Prozentsatz von dem, was der Architekt bekommt, geht ebenso an den Ingenieur. Jetzt kommt aber nicht auf die dumme Idee, diesen Schrott irgendwo suchen zu wollen. Ab § 61 ging es dann so langsam aber sicher los, dass wir so ungefähr in unsere Richtung kamen, wobei es sich hier dann aber meistens um sog. "Ingenieurbauten" handelte (also große, teure und oftmals eigentlich nur irgendwelche-Projekte, in denen die Menschheit sich wieder einmal beweisen will, wie toll sie geforscht hat, wie toll sie Berechnungen über naturwissenschaftliche Gesetze gelegt hat und wie herrlich man zum Grünflächen eingrauen imstande ist. Ein Haus ist kein Ingenieurbau).

Knapp drei Stunden später hatten wir also langsam den Einstieg gefunden, nutzten dann aber doch den Telefonjoker.

Ein Blick auf die Uhr ernüchterte immer aufs neue. Erst 17:00 Uhr, dann 18:30 Uhr, irgendwann jenseits von 20:00 Uhr. Eigentlich wollten wir so nach ein "paar Stündchen" durch sein.

Mein Mittagessen musste ausfallen, da wir quasi aus Hannover hier ankamen und ich gleich weiter musste. Mein Abendessen liegt bis heute noch im Gefrierschrank, da die Uhr an diesem Abend unerbittlich weiter tickte und ich schließlich gegen 2:30 Uhr am Montag morgen die Wohnungstür hinter mir schloss, die Treppen hinaufstieg und einfach erst einmal alles von mir warf.

Zweieinhalb Stunden Schlaf, die besten Vorraussetzungen für eine benotete Präsentation...

Einschlafen gegen 3:30 Uhr, also zweieinhalb Stunden minus eine.

Wecker... hm... ich weiß jetzt, beim drüber nachdenken, dass Yvonne mich wohl wecken wollte und ich sie angefaucht habe... aber an die Weckergeräusche erinnere ich mich nicht. Auch nicht daran, dass ich aufgestanden bin und den Wecker ausgeschaltet habe.

Eineinhalb Stunden plus zweieinhalb.

!!!

Erwachen um 7:57 Uhr, Montag morgen.
Aufstehen in: -180 Minuten.
Vorbereitung der Unterlagen in: -120 Minuten.
Busabfahrt in: -53 Minuten.
Durchgehen der Unterlagen in: -50 Minuten.
Treffen mit der Gruppe in: -7 Minuten.
Beginn der Vorlesung in: 33 Minuten.

Meine Gedanken überschlagen sich für etwa zwei Minuten, stolpern dabei aber immer wieder über ihre eigenen Füße und ich muss den Gedankengang immer wieder von vorne beginnen. Klingt in meinem Kopf etwa so:

"Oh Mist, ich muss los. Was brauch ich alles? Kaffee gibts dann auch keinen, Frühstück machen auch ni...Oh Mist, ich muss los. Was brauch ich alles? Kaffee gibts dann auch keinen, Frühstück machen auch ni...Oh Mist, ich muss los. Was brauch ich alles? Kaffee gibts dann auch keinen, Frühstück machen auch ni...Oh Mist, ich muss los. Was brauch ich alles? Kaffee gibts dann auch keinen, Frühstück machen auch ni..." usw, usw...

Während dessen schreibe ich noch eine SMS an David:
"Sollte ich erwähnen, dass ich gerade erst aufgestanden bin? Keine Ahnung ob ichs noch schaffe, ich lass mir was einfallen."

Abschalten meines Gehirns nach 5 Minuten. Ich trotte durch die Wohnung, wasch mich und springe in irgendwelche Klamotten, packe irgendeinen Rucksack und irgendeinen Laptop, kämme irgendwen im Spiegel, steige in irgendwelche Schuhe und komme zu dem Schluss, dass die Woche schon irgendwie gelaufen ist.

Ein rasender Wirbelwind fährt mich zur Hochschule (LKWs, Schleicher und wirklich jede rote Ampel registriere ich nur hinter einem grauen, aparten Vorhang) und setzt mich noch beinahe pünktlich ab. Glaubt ihr an Wunder? Das hier ist meins :happy:

Ich betrete das Gebäude und sehe, wie einen Eingang weiter die beiden nicht so häufig anwesenden Mädels meiner Gruppe mit dem 1,2*0,8 Meter messenden Modell unseres Grundstücks hinein huschen.

"Wir haben verschlafen..."

Ja, ich auch. Ich mache ihnen keinen Vorwurf, mein Gedankengang geht allerdings dahin, dass wir die Ausarbeitung in deren WG gemacht haben und sie daher dirkt um 01:30 Uhr ins Bett gehen konnten und bis 07:00 Uhr hätten schlafen können. Wie man da noch verschlafen kann ist mir schleierhaft, aber ich halte mich bedeckt.

Technische Probleme des Dozenten lassen unsere 5 Minuten Verspätung dann doch noch pünktlich erscheinen.

Glück gehabt.

Da ich aber noch nicht einmal 45 Minuten wach bin, weder Kaffee noch Frühstück noch Zahnbürste gesehen habe mache ich auf alle den Anschein als hätte sich meine Freundin von mir getrennt und meine Mutter wäre gestorben und ich erhalte binnen kürzester Zeit hundertfache Anfragen, ob denn alles okay mit mir sei.

Ca. zwei Stunden später tritt Yvonne einer Gruppe im StudiVZ bei, deren Name etwa "Morgens ist mein Freund ein anderer Mensch" lautet.

Die Vorlesung nimmt ihren Lauf, die ersten freiwilligen schleichen nach vorne und präsentieren ihr Projekt. In dieser Zeit beschäftigt mich der Gleiche Gedanke wie die ganze Fahrt über: Was tun gegen den totalen Blackout?

Ich habe keine Ahnung, was wir 13 Stunden lang am Sonntag gemacht haben und wüsste nicht eine Sache, die ich zur Präsentation beitragen könnte.

Glücklicherweise vergeht die Vorlesung, ohne dass eine weitere Gruppe vom Dozenten ausgewählt werden muss. Es finden sich genug freiwillige Gruppen, sodass wir zwar unsere Ausarbeitungen abgeben müssen, aber die Präsentation auf kommenden Montag verschoben wird.

In der Mathematikvorlesung beschäftige ich mich ausgiebig mit zwei Kaffee aus der Fachschaft und finde langsam einen Einstieg in den Tag. Die Müdigkeit bleibt trotzdem vorhanden.

EDV vergeht ernüchternd. Ich bin einer von den wenigen, die in diesem Semester die Hausübungen und Prüfungsvorleistungen allein programmiert und nicht einfach kopiert haben, ich bekomme aber keinerlei Ansätze und funktionierende Subroutinen hin.

Als ich nachmittags nach hause komme steht noch Bauzeichnen an, womit ich mich bis abends um zehn beschäftige. Damit endet mein Erinnerungsvermögen.

Dienstag morgen ist keinerlei Erholung zu verspüren, der Tag vergeht, die Übungsklausur in Hydromechanik zeigt mir auf, dass ich keinerlei Ahnung von dem Fach habe. Nachmittags beginne ich mit dem Nachweis nach Energieeinsparverordnung (EnEV) für mein Reihenhaus in Baukonstruktion und will früh ins Bett.

Um halb zwölf schaffe ich das dann auch, der EnEV-Nachweis wartet trotzdem noch auf seine Fertigstellung. Naja, Abgabe ist ja erst am Donnerstag...

Mittwoch morgen - Gegenwart. Der Wecker klingelt, ich stehe auf...

Zumindest vermute ich das, denn ich kann mich auch daran nicht wirklich erinnern. Meine Müdigkeit steigt exponentiell an in den letzten Tagen, ich fühle mich um viele Jahrzehnte gealtert. Ich glaube ich habe auf der Couch gesessen und irgendetwas cerialisches in mich hineingeschaufelt während ich auf den Kaffee wartete... Als ich die Augen wieder öffnete war er endich durchgelaufen.

Während dem dritten Kaffee beginne ich diesen Blog zu schreiben, will eigentlich nur kurz einleitend erwähnen, dass ich wegen Bauwirtschaft nicht viel Schlaf bekommen habe und will den Satz mit dem exponentiellen Ansteigen der Müdigkeit loswerden. Während dessen schweife ich ab, habe Schwierigkeiten mich an verständliche Satzbauten zu halten und entschließe mich, den Blog erst fertig zu schreiben und eine Driviertelstunde zu spät zu Tragwerklehre zu kommen - ist sowieso "nur" Wiederholung, mit dem Stoff sind wir durch.

7:45 Uhr, Fertigstellen der Blogarbeiten. Jetzt muss ich doch wieder hetzten, der Bus fährt in 25 Minuten.

Heute nachmittag steht dann also die Fertigstellung der EnEv an, nebenbei möcht ich gern mit Miu zum Tierarzt und in eineinhalb Wochen schreibe ich Klausuren, konnte aber noch nirgendwoher die Zeit nehmen dafür zu lernen.

Und der Abwasch wartet seit zwei Wochen auf mich...
 
"Mein Freund ist morgens unzurechnungsfähig" .... jaha. Und du hast mich angefaucht, und dann war ich beleidigt, obwohl ich hätte aufstehen können *schäm

Das Schlimmste an diesem Morgen war für mich eigentlich nur die Sekunde, in der ich auf die Straßenbahn zugefahren bin, dann auf die Gegenfahrbahn und dann auf der Gegenfahrbahn an einer roten Ampel stand -.-

Ich hoffe, dass bald alles besser wird. Ich hoffe es wirklich. Ich weiß nicht, wie ICH das im nächsten Jahr überstehen soll, und ob ich mir nicht zu viel vorgenommen habe. Ich wünschte, ich könnte dir einen tollen Sommer machen, der voller Erholung ist, die du verdient hast. Ich hoffe immernoch auf Frankreich. Leztendlich wird es aber einfach nur dabei bleiben : Yvonne, gelegentlich Eis, Amaretto, Mario Kart, kleine Weltreisen und das Gefühl nicht allein zu sein.
 
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