Kapitel 36

Evilslyn

Rare-Mob
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Karl erwachte als die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Es kam häufig vor, dass er den halben Tag verschlief, besonders wenn er in der Nacht zuvor gejagt hatte.
Wenigstens hatte er es sich über die Jahre hinweg abzugewöhnen geschafft, nach seinen Streifzügen im Wald zu erwachen. Was ihm als Worg als gemütliches Bett erschien, hatte sich nur allzu oft, in seiner menschlichen Form als unbequem oder einfach nur ekelig entpuppt.
Er schlüpfte aus dem Bett und streckte sich, begleitet von einem herzhaften Gähnen.

Er zog sich ein Hemd und eine Hose über, die er wie jedes Mal, auf dem Stuhl neben seinem Bett deponiert hatte. Und lief nach unten um sich eine Schüssel Wasser zu holen, mit der er sich waschen konnte.
Als er aus seinem Haus trat, war Lohenscheit schon längst erwacht.
Überall liefen Menschen herum, die ihrem Tagwerk nachgingen.
Das rege Treiben im Dorf, war jedoch nur auf den ersten Blick normal.
Wer genauer hinsah, hätte schnell bemerkt, dass in Lohenscheit gar nichts in Ordnung war.
Dazu kam es jedoch nicht, da wie jeden Tag, nur vertraute Gesichter die Straßen durchstreiften. Es war ewig her, dass sich der letzte Fremde nach Lohenscheit verirrt hatte.
Nicht seit sich die Kunde verbreitete das Worgen die Wälder ringsum durchstreiften und manche Spukgeschichte über ihr Dorf kursierte.

Obwohl Karl sich kaum noch an die Zeit erinnern konnte, als es anders gewesen war, vermisste er es schon ab und an. Seine Erinnerung war fast verblasst, nur noch wenige Bilder waren geblieben.
Eines davon war, wie zur Erntedankfestzeit der ganze Dorfplatz zu einem riesigen Festbankett ausgebaut war, wo unzählbare Köstlichkeiten aufgetischt wurden. Die Erntezeit war ohnehin die Zeit der Händler, und sie kamen in Scharen, ihre Waren feil zu bieten. Karl hatte es geliebt durch die engen Gassen zu ziehen, die exotischen Gerüche in der Nase, und hier und da etwas zu naschen.
Diese Erinnerung war auch dicht mit einer anderen Verknüpft, nämlich die an seine Freunde mit denen er damals seine Zeit verbrachte.
Einerseits war da die Erinnerung an sein Bruder, Marl der sich Aufgrund seines höheren Alters stets als Anführer gebärdete - dabei war er gerade mal zwanzig Minuten vor ihm geboren. Dieses Verhalten hatte er gelinde gesagt auch als Worg nicht abgelegt, es war eher noch schlimmer geworden.
Andererseits jene an Ellenora.
Beim Gedanken an sie befiel ihn ein tiefes Gefühl der Trauer.
Sie hatte ihm stets sehr nah gestanden. Täglich hatten sie Marl und er Lohenscheit gemeinsam unsicher gemacht, und sich in einem ständigen Wettstreit um ihre Gunst befunden.
Sie waren noch Kinder gewesen, nie mehr als Freunde. Doch wenn Karl heute zurück Blickte, war er sich fast sicher, dass früher oder später eine Liebe zwischen ihr und einem von ihnen beiden entstanden wäre.
Doch der Tag der Worgen hatte alles verändert.
Er und Marl waren zu Worgen geworden, und Ellenora war in jener dunklen Nacht gestorben.

Karl blinzelte die Tränen weg, die ihm in die Augen steigen wollten, und zog den Eimer aus dem Brunnen nach oben. Was geschehen war, war nun einmal geschehen. Er musste das beste daraus machen.
Kurze Zeit nachdem er ins Haus zurück gekehrt war, ertönte die kleine Glocke die am Eingang befestigt war, und kündigte Besuch an.
Karl, der gerade sein Gesicht eingeseift hatte, verdrehte die Augen und eilte nach unten.
Schon auf der Treppe erkannte Karl das es nur Marl sein konnte.
Wie es seine ungeduldige Natur normal war, hämmerte er bereits an die Tür.
“Karl! Karl, komm schon, mach auf! Es ist schon nach Mittag!”
Karl öffnete die Tür und machte sich direkt wieder auf den Weg nach oben.
“Ich weis wie viel Uhr wir haben. Trotzdem werde ich nicht wegen dir meine Rasur unterbrechen. Was gibt es denn heute wieder so wichtiges, dass du mir fast die Tür einrennen musst?”, rief er über seine Schulter zu Marl, der sich sofort an seine Fersen geheftet hatte, zurück.
“Och, möchte mein Bruderherz seine Stöpelchen stutzen?”, höhnte Marl.
Sein Bruder liebte es ihn mit seinem spärlichen Bartwuchs aufzuziehen. Er war nie dicht genug geworden, um einen ernsthaften Bart stehen zu lassen, und so rasierte sich Karl täglich, während Marls Gesicht ein Bart zierte wie er dichter kaum sein konnte.
“Wolltest du mir nicht irgendetwas bahnbrechend wichtiges erzählen?”, fragte Karl, und schaffte es seine Verärgerung über Marls Seitenhieb, kaum in seiner Stimme mitschwingen zu lassen.
“Ja, stimmt. Sieh du nur zu das du den Wendigo aus deinem Gesicht vertreibst, und hör zu.”
Karl verdrehte die Augen, schnaufte einmal kurz durch, und begann sich den Schaum aus dem Gesicht schaben. Es hatte keinen Sinn mit Marl zu diskutieren, und hätte ihm sicher nur noch mehr Schmähungen eingebracht.
Marl achtete gar nicht weiter darauf, platzierte sich auf dem kleinen Holzschemel der neben dem Badezuber stand, und redete direkt weiter drauf los.
“Wie du ja vielleicht mitbekommen hast - wenn Seniore nicht wieder die ganze Nacht Trübsal geblasen, und den Mond angeheult hat - hatten wir gestern wieder Scherereien mit diesen verdammten Flüchtlingen, die sich in ihrem elenden Lager am Greymanewall verschanzt haben.”, er räusperte sich lautstark, und dem Geräusch zu folge auch äußerst erfolgreich. Karl befürchtet schon er würde ihm auf den Boden spucken. Doch Marl schwang sich von dem Schemel, öffnete das Badefenster und spuckte die grüngelbe Ladung auf die Dachschindeln.
Während Karl dies aus dem Augenwinkel wahrnahm, und angeekelt das Gesicht verzog, was ihm einen schmerzhaften Schnitt seiner Rasierklinge einbrachte, nickte Marl zufrieden, schloss das Fenster und fuhr fort als wäre nichts gewesen. “Gestern Nacht haben sie sechs von uns getötet. Haben sie verbrannt wie Dreck. In ihren Augen sind wir nicht mehr als ein Übel das es zu tilgen gilt. Und der ältesten Rat verbietet noch immer sie anzugreifen.”, angewidert verzog er bei der Erwähnung des Rats das Gesicht. “Ich meine, gut, wir haben viele Verluste erlitten nachdem sie sich auf unsere Übergriffe eingestellt hatten. Aber ich sage durch dieses ewige defensive herum gehocke, werden sie früher oder später uns alle erledigen. Wir sollten zuschlagen, mit unserer gesamten Stärke, und sie entweder töten, oder zu einem von uns machen.”
“Das kann doch nicht dein Ernst sein”, entgegnete Karl entrüstet. “Er erinnere dich wie wir zu Worgen wurden. Wir wären nicht besser als Arugals Gefolge, wenn wir so handelten. Ich könnte es mir nicht verzeihen. Ich jage um zu töten, wenn ich es muss.”
Marl lächelte ihm spöttisch zu, “Das war schon immer dein Problem Bruderherz. Du bist einfach zu weich. Was war ist Vergangenheit. Wir sind ihnen Körperlich weit überlegen. Sollen wir denn auf Ewig hier herum sitzen und warten bis sie eines Tages eine Armee gegen uns entsenden. Und glaub mir, früher oder später wird es so kommen.”
Vom vor dem Fenster liegenden Hof ertönender Lärm unterbrach ihr Gespräch. Irgendetwas ging dort unten vor sich.
Karl schaute nach draußen und entdecke sah eine ganze Traube Menschen die zwei Personen umringten.
Der eine trug nur noch seine Hosen, welche zum größten Teil in Fetzen von ihm herabhingen.
Karl erkannte in ihm Hetsch. Schon bevor er zum Worgen geworden war, war er als Dorfschläger und Trinker bekannt. Das Worg Dasein hatte ihn aber erst zu einem echten Kotzbrocken gemacht. Er war rücksichtslos und gefährlich.
Er und seine Schergen, pflegten in der Nacht den umliegenden Wald zu durch streifen und arglose Reisenden, zu bestehlen, und nicht selten sogar zu verspeisen. Karl hatte schon oft das Gefühl gehabt, Hetsch sei in seiner Worgform, mehr er selbst, denn als Mensch.
Was viel mehr seine Aufmerksamkeit in Bann zog, war der junge Mann den er bei sich hatte. Seine Kleidung war mehr oder weniger intakt, auch wenn sie ziemlich verdreckt war. Das Gesicht des Jungen schätzte Karl auf maximal achtzehn Lenze. Obgleich Karl von seinem Fenster aus, gut zwei Steinwürfe vom Geschehen entfernt war, konnte er die Angst in den Augen des Jungen erkennen.
Karl war klar warum. Dieser Junge kam nicht aus Lohenscheit, dessen war er sich sicher.


Ellenora erwachte aufgrund aufgeregter Rufe, und setzte sich auf. Sie fragte sich gerade, was wohl passiert sein mochte, als der Eingang ihres Zeltes stürmisch zur Seite gerissen wurde. “Ellenora, kommen sie schnell, Miras...”, Lestitus brach seinen Satz ab und wendete sich peinlich berührt ab, als er bemerkte das Ellenora unbekleidet war.
Ellenora schmunzelte, schwang sich aus dem Bett, zog sich ein Hemd über, und schlüpfte in ihre Hose.
“Na los, spuckt es schon aus.”, herrschte sie während dessen Lestitus an, der offenbar vergessen hatte, warum er da war.
“Äh, ja. Miras. Er...”
“Jetzt drucks nicht so herum sondern sprich Klartext. Du tust ja so als hättest du noch nie eine nackte Frau gesehen.”, sie schnallte sich locker ihren Schwertgurt um die Hüfte und preschte an ihm vorbei ins Freie.
Lestitus eilte ihr nach.
“Miras, er will euch sehen, es gibt Probleme. Der Worg...”
Weiter kam er nicht. Bei Ellenora gingen bei seinen Worten alle Alarmglocken an. Sie rannte los, und bekam seine Rufe gar nicht mehr mit.
Der Worg. Sie hatte so viel in diesen Fang investiert. Wenn jemand ihn getötet, oder zugelassen hatte, dass er sich selbst tötet, würde sie ihn zu Rechenschaft ziehen.
Doch was sie erwartet war viel schlimmer als sie es erwartet hatte.
Der Käfig war leer.
Überall war helle Aufregung.
Zwei Wächter trugen einen zugedeckten Leichnam, auf einer Bare davon.
Mitten in dem Chaos stand Miras, und verteilte Aufgaben an die herum stehenden Männer.

...to be continued

MfG
eure Evi
 
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