Oh Bildung, where are thou'? oder...

Khanor

Dungeon-Boss
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..."Wenn die Kacke an der einen Stelle schon dampft schwehlt es meist auch schon woanders".

Ich habe mich ja gestern über den Missstand mit einem unserer Professoren beklagt, welches meiner Meinung nach untragbar ist. Nach einer Unterhaltung mit meiner Cheffin im Baustoffkundelabor heute gibt es gleich das nächste, was irgendwie nicht ganz stimmig sein kann.

Jeder Fachbereich bekommt eine gewisse Menge an zusätzlichen Stellen zur Verfügung gestellt, die neben Professoren an wissenschaftliche Mitarbeiter vergeben werden kann. Über den Einsatzort dieser Mitarbeiter kann der Fachbereich frei entscheiden, so hat das Straßenbaulabor beispielsweise einen Auszubildenden zum Baustoffprüfer aufgenommen und eine Baustoffprüferin, die im Wintersemester einige Gruppen der Verkehrsvertiefer durch das Labor schleust und über das ganze Jahr gelegentlich noch weitere Labore durchführt. In der Wasserbauhalle sitzen insgesamt drei Mitarbeiter, die ausschließlich für Laborübungen zuständig sind. Ein weiterer Ingenieur ist für den Themenbereich Vermessung zuständig, wobei ich da allerdings nicht weiß, was der im Wintersemester überhaupt macht - die einzige Übungen finden im Sommer statt.

Im Bereich Baustoffkunde findet sich... niemand.

Vor zwei Jahren ging der zuständige Herr in den Ruhestand, seither ist seine Stelle unbesetzt, weil das Präsidium der Hochschule Darmstadt der Meinung ist, dass dieser nicht benötigt wird. Seither arbeiten drei studentische Hilfskräfte (einer davon bereits mit akademischen Grad) im Labor und halten den Laden am Laufen. Putzen, Vorlesungen vorbereiten, Bestellungen und alles weitere, was getan werden muss um das Labor überhaupt führen zu können werden also von drei Studenten und sogar der Professorin selbst erledigt mit der steten Hoffnung, dass die Stelle neu besetzt wird.

Einfach mal von der Seite von Frau Professor aus gesehen: Wenn sie an einem Tag vier Vorlesungen in drei verschiedenen Gebäuden oder Räumen hat, nebenbei aber auch Material zusammenstellen muss für die jeweilige Vorlesung, dies ggf. auch 500 Meter zwischen den Gebäuden hin und her transportieren muss, Klausuren und Berichte kontrollieren, Bestellungen erledigen und alles Organisatorische mit den Studenten regeln muss muss man schlicht sagen, dass die einzelnen Arbeitstage für all dies zu kurz sind.

Sieht man es nur schlicht von der Seite der studentischen Hilfskräfte (also meiner Seite): wenn etwas passiert und sei es nur eine noch so kleine Dummheit mit den Geräten, gibt es hier jede Menge Probleme, da kein festangestellter Mitarbeiter im Labor zu finden ist. Im letzten Jahr habe ich die Laborprüfungen der Erstsemester mit durchgeführt - nicht einmal das dürfen wir rein rechtlich, da es keinen immer anwesenden festen Mitarbeiter gibt, der an den Geräten ausgebildet ist und diverse andere rechtliche Vorschriften abdeckt.

Mittlerweile hat das Hochschulpräsidium allerdings Farbe bekannt: die Stelle wird nicht frei gegeben. Es wird niemanden geben, der für das Labor zuständig ist. Was heißt das nun im Klartext?

In der Prüfungsordnung ist festgelegt, dass für die Teilnahme an den Baustoffkundeklausuren die Laborübungen absolviert wurden, die allerdings rechtlich und versicherungstechnisch so nicht zulässig sind.

Man sollte natürlich nicht andere Stellen kürzen um dieses Loch zu stopfen, aber irgendwo muss etwas unternommen werden, da wir uns nicht nur auf dünnem Eis, sondern eigentlich bereits seit zwei Jahren im freien Fall befinden.

Frau Professor zieht nun ihrerseits die Konsequenzen: alle weiteren Laborübungen werden gestrichen. Die Erstsemester können dementsprechend keine Laborübungen absolvieren und nicht an der Klausur teilnehmen, ebenso die höheren Semester, denen dieses Labor noch fehlt.

Drastische Maßnahmen, allerdings muss man beachten, dass sie andererseits jederzeit mit einem Bein im Gefängnis steht und sicherlich nicht scharf darauf ist mehrere Jahre gesiebte Luft zu atmen.

Ich finde diese pure Bürokratie einfach schwachsinnig. Paragraphenreiten und Sparmaßnahmen hin oder her, ein wenig Weitsicht muss doch bewiesen werden können. Die Hochschule Darmstadt genießt (oder genoss?) den Ruf, sehr praxisorientierte Ausbildung zu liefern. Bereits in meinem ersten Semester konnten nur drei der ursprünglich sechst Laborübungen durchgeführt werden, einfach weil niemand außer zwei Professoren in der Lage war die Geräte zu bedienen - diese aber beide auch Vorlesungen halten mussten und schlecht pro Semester 3 x 200 Stunden in 6er-Gruppen durch 90 Minuten Labor schleusen konnten. Wer nun besonders Rechenstark ist dem fällt auf, dass das bei drei Gruppen täglich über eineinhalb Monate dauern würde.

Und in jedem Semester werden mehr Studenten aufgenommen, obwohl die Hochschule die Ressourcen einfach nicht hat. Mein Jahrgang war der größte aller Zeiten mit 230 Immatrikulationen - und es war gewaltig eng in jeder Vorlesung, jedem Labor, jeder Übung und jedem Tutorium. Ein Jahrgang später waren es 330 Immatrikulationen und in der Vermessungstechnik konnten wegen dem Zeitaufwand der Übungen nur 240 Übungsplätze angeboten werden... Merkt man da etwas?

Hier scheint man allerdings schlicht wirtschaftlich motiviert zu sein. Für jeden immatrikulierten Erstsemester wird der Hochschule ein gewisser Betrag für das kommende Jahr zur Verfügung gestellt. Je mehr Studenten aufgenommen werden umso mehr Geld gibt es also. Der Hochschule - und auch den Professoren - ist allerdings klar, dass diese Anzahl schlicht zu viel für die Kapazitäten ist, also wurden in den vergangen Jahren die Klausurniveaus in vielen Fächern derart angehoben, dass ein großer Teil der Studenten das zweite oder dritte Semester nicht mehr erlebt hat, weil er sich von der Hochschule wegen übertriebener Härte verabschiedet hat.

Viele der höheren Semester wechseln noch vor der Bachelorarbeit an andere Hochschulen oder Universitäten, weil auch organisatorisch nicht wirklich alles so läuft, wie es soll.

Bevor ich hier begonnen habe zu studieren stand die h_da eigentlich in den Umfrgen überall ziemlich hoch im Kurs. Versteht mich nicht falsch, ich bin noch immer gerne hier und käme nicht im Traum auf die Idee, den Standort zu wechseln. Noch nicht, zumindest. Aber wo soll das denn alles noch hin führen?

Professoren, deren Auftragslage in der Firma sie seit zwei Jahren nicht mehr dazu befähigt Vorlesungen in der Hochschule zu halten werden vom Dienst frei gestellt, behalten ihre Stelle aber. Statt dessen schickt man uns Lehrbeauftragte, die fachlich bei weitem nicht ausreichend sind und noch dazu unterbezahlt, sodass sie nach einem Jahr im Zwist mit der Hochschule wieder das Weite suchen.

Alles von vorn bis hinten wirklich schlimme Geschichten, aber das schlimmste daran ist, dass ganz Deutschland immer nach Ingenieuren ruft und jammert, aber sich niemand darum kümmert, dass die Ausbildung der Ings zunehmend schwieriger und minderwertiger wird.

Um auf das Beispiel unseres Baustoffkundelabors zurück zu kommen: man rechnet als Bauingenieur ggf. sein Leben lang, mindestens aber vier Semester mit Druck- und Zugfestigkeiten, Spannungs-Dehnungs-Verhalten und allen anderen Materialwerten von vielen Baustoffen, die obendrein noch reichlich abstrackt klingen. Die Laborübungen dienen dazu zu zeigen, wie diese Werte überhaupt gemessen werden, was sie bedeuten und vermitteln einen breiten Fächer an Hintergrundwissen, der absolut sinnvoll und nötig ist um nicht zum totalen Theoretiker zu werden - und genau das steht auf den Fahnen der Hochschule Darmstadt.

Man gibt sich praxisnah, man wirbt auf jedem Flyer und Infoblatt mit Bildern aus Laboren, organisiert mehrfach jährlich Treffen mit ehemaligen Studenten, die aus dem Berufsleben berichten oder veranstaltet die Messe "meet @ h_da", auf der sich Firmen sowohl vorstellen als auch auf Ingenieursfang gehen.

Ich finde derartige Handlungen wahnsinnig kontrovers. Es kann schlicht nicht sein, es darf nicht so sein.

Würde man an der Technischen Universität hier ein Labor schließen wäre die Presse sofort informiert und sofort würden tonnenweise Politiker Schlange stehen und ihre Meinung dazu abgeben. Nichts gegen die TU, allerdings hat sie auch einen großen Namen, genießt weltweit Ansehen und dient Darmstadt als Prestigeobjekt. Hier interessiert es scheinbar niemanden, dass wir überhaupt existieren.

Die Einführung des Bachelor- und Mastersystem an deutschen Hochschulen diente dazu um uns Studienabgängern international die Tore zu öffnen, allerdings auch um die Kluft zwischen Universität und Hochschule zu schließen. Dass die Universitätsabgänger dennoch eine Gehaltstufe höher einsteigen lassen wir nun einmal als (ungerecht) dahin gestellt. Aber warum verfährt man dann mit uns nicht ebenso und gibt uns die gleichen Chancen?

An der TU wird ein neues Gebäude gebaut, weitere werden Grundsaniert, die Labore werden regelmäßig gut ausgestattet und die Mensa hat eine neue Einrichtung spendiert bekommen. Unsere Rechner sind nun zwar auf Windows 7 hochgeschraubt worden, zeigen beim Booten allerdings einen Werbebildschirm eines Sponsors und sind schlicht zu langsam für brauchbare Anwendung für Arbeiten mit Rechenprogrammen etc. Unsere Vorlesungsräume sehen schlimm aus, sind allein schon seitens der Fenster sanierungsbedürftig, die Heizungsanlage kennt nur die Stufen Vollgas und Arschkalt und die beiden einzigen Treppenhäuser hier sind so schmal, dass ich täglich hoffe, dass hier niemals ein Brand ausbricht.

Und nun nimmt man uns auch noch Stück für Stück die Qualität des uns vermittelten Wissens und die Grundlage für einen brauchbaren Abschluss?

An welche Stelle sollte man sich da wenden? Alljährlich demonstrieren zu gehen scheint ja nichts zu nützen - mal ganz abgesehen davon, dass unsere Vorlesungen in der Zeit trotzdem weiter gehen und wir Stoff verpassen, den wir an anderer Stelle hart nacharbeiten müssen, sofern wir nicht auf der Strecke bleiben wollen.

Ich bin reichlich ratlos, was das angeht.

Während der Einführungsveranstaltung vor zwei Jahren prangte über dem Eingang des Staatstheaters ein leuchtend rotes Banner mit der Aufschrift:

"Du bist h_da"

Ich war stolz darauf, ganz ehrlich. Aber langsam frage ich mich nach der Bedeutung dieser Worte. "Du bist h(ier)_d(er)a(rsch)? Du bist h(ilflos)_d(u)a(rmleuchter)?

Da können wir ehrlich gesagt drauf verzichten. Da sind wir lieber Papst!
 
Naja, es wird wohl überall gespart... die TU ist auch kein hochglänzendes Bauwerk... wir hatten im Labor die mieseste Ausstattung, aber die Prestige-Labore für Kinder waren high end. Von dem Grubenparkplatz, bei dem sie es nicht mal schaffen etwas Teer aufzufüllen, damit sich nicht jeder die Stoßdämpfer zerfetzt hab ich dir ja schon erzählt.
Ich weiß nicht nach welchem Prinzip an den Hochschule gewirtschaftet wird, aber man hat nun mal die Wahl. In Heidelberg sollen sogar die Toiletten richtig schnieke aussehen. Wir haben da wohl geloost :(
 
Wo ich das ganz so lese bin ich ganz froh nicht studiert zu haben ;) Ich hoffe die Meisterschule läuft auch recht problemlos :)
 
Kopiere deinen Blog und sende ihn der Presse oder schreibe einen netten Brief an deinen Hochschulrat der TU Darmstadt.
 
Traurig aber wahr, was Du da schreibst. Natürlich kann ich die Situation speziell an der Hochschule Darmstadt nicht beurteilen, aber generell schaut es auch an anderen Hochschulen nicht gerade rosig aus.

Letztens hatte ich dann das Vergnügen, anlässlich eines Vortrages mal in einer private Hochschule reinzuschauen...mein lieber Herr Gesangsverein, dass die Wasserhähne nicht vergoldet waren, war auch schon alles. Aber wer kann und will sich das schon leisten?
 
Um ehrlich zu sein kam mir die Idee mit dem Blog kopieren auch ;)

Ich weiß auch gar nicht, ob ich Lust dazu hätte in einem sterilen Prunkbau zu studieren in dem mir jeden Tag ein Pförtner die Tür öffnet. Aber die Frage muss ich mir auch nicht stellen, weil ich es mir sowieso nicht leisten kann.
 
Es geht ja in solchen Hochschulen nicht nur um die Ausstattung. Auch um die Leute die dort lehren...
An der Privatschule, an der ich war, hat man das schon gemerkt, dass da ein andere Wind weht, auch wenn sie ziemlich heruntergekommen ist.
 
Passend zu der ganzen Thematik hat der AStA (Allgemeiner Studierenden Ausschuss oder so) in die nächste Veranstaltung eine Information und Diskussion darüber aufgenommen, dass die Regierung Koch einen 10 %igen Professorenstellenabbau in Hessen bis 2015 beschlossen hat.

Wenn man sich einmal ansieht, dass viele Fächer bei uns hoffnungslos überlaufen sind und mancher Kurs schon längere Zeit nicht mehr angeboten werden kann, weil nicht genug Leute da sind ist das schon erschreckend.
 
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