Die Sterne über Dalaran - Vierter Abschnitt, Teil 11 (4.11

Melian

Dungeon-Boss
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Imenia fror am ganzen Körper. Sie zitterte. „Nur einen Moment hinknien“, murmelte sie, und sank in die Knie, in den kalten Schnee. Sie war erschöpft. Zuviel Magie war durch sie hindurch geströmt, und bereits spürte sie, dass sie drohte, instabil zu werden. Magie war gefährlich, Magie war machtvoll. Zuviel Magie innerhalb kurzer Zeit – selbst von der reinen Leylinienmagie – war eine Gefahr für jeden Wirker.
Sie schloss die Augen und versuchte sich auf ihre Atmung zu konzentrieren, legte ihre Hände in den Schoss.
Nachdem der Frostwyrm von ihnen abgelassen hatte, war Brionna sofort zu Connell geeilt. Verian hatte den Schild weiter aufrecht behalten, während Leireth dem Wyrm einen weiteren Zauber hinterher geschleudert hatte.

Sie hörte ein Geräusch. Es hörte sich fast wie das Flattern von Flügeln an. Aber das konnte nicht sein. Ihre Greifen waren doch mit ihnen gelandet.
Ruckartig öffnete sie die Augen und stand auf. Nur wacklig kam sie auf die Beine, aber sie drehte sich sofort zu den Greifen um. Wenn die Tiere flüchten würden, dann wären sie hier verlo..

„Tarnel, Vyen, fliegt zur Unterstützung an die Front. Seht zu, dass ihr diesen Wyrm erledigt.“ Arkanist Melodir Tyballin rief die Befehle an seine Leute, woraufhin sich ein Elf und eine andere Elfe weiterflogen. „Der Rest bleibt hier!“
Die Flügelschläge waren von Tyballins Greifen gewesen! Imenia atmete auf und lächelte, während Tyballin seinen Greifen landen liess. Nur wenige Momente brauchte er, um die Distanz zu ihr zu überwinden, und ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. Die anderen Elfen sicherten sofort die Umgebung, auch wenn der Drache längst weg war, einer versuchte die scheu gewordenen Greifen zu beruhigen, ein anderer eilte zu Brionna und Connell, und versuchte zu helfen.
„Tyballin.. Ihr seid.. hier. Sehr gut“, brachte Imenia noch zustande, versuchte möglichst ruhig zu klingen.
„Imenia, verzeih, wir flogen so schnell wir konnten, als wir den Drachen gesehen haben“, seufzte Tyballin. Imenia gewann langsam etwas an Standfestigkeit.
„Gibt es Verletzte?“, fragte Tyballin.
„Ja.. es hat.. Hammerschmied erwischt. Tallys kümmert sich um ihn.“
Tyballin nickte. „Gut, wir schaffen ihn in die Feste der 7. Legion. Das sind zwar noch einige Stunden Flug, aber wenn er ordnungsgemäss versorgt wird, dürfte das möglich sein. Sonst bauen wir ihm einen Schlitten.“
Imenia klammerte sich an Tyballins Arm, der ihr auf der Schulter lag, und hielt sich fest.
„Dämmerpfeil.. Er.. war hinter uns. Und Silbersang mit dem.. Spion.“
„Also hatten wir Recht“, seufzte Tyballin. „Zum Glück hat euch unsere Nachricht rechtzeitig erreicht.“
„Mhm“, sagte Imenia.
„Wir reden später.“, entschied Tyballin und drehte sich etwas von ihr weg, um Befehle zu erteilen. Es dauerte nicht lange, da war der Mensch, der aus seiner Plattenrüstung geschält worden war, auf einen Greifen gesetzt worden. Er hatte zwar Verletzungen davongetragen, aber offensichtlich keine derart schweren, dass er nicht schon wieder grinsen konnte. Imenia hörte ihn sagen, dass es ein guter Kampf gewesen wäre. Brionna nahm wie selbstverständlich hinter ihm auf dem Greifen Platz. Tyballin befahl seinem Gefolge, den beiden zu folgen und sie bis zur Feste zu eskortieren. Die Silberbundler stiegen auf ihre Greifen und nahmen zusammen mit dem Greif von Brionna und Connell Kurs auf auf die Feste im Osten der Drachenöde.
Tyballin drehte sich zu Imenia, die mittlerweile zu ihrem Greif gegangen war, und sich mühsam auf dessen Sattel gehievt hatte.
„Wo hast du sie zuletzt gesehen?“ Er näherte sich Imenias Greif und nahm die Zügel in die Hand.
Imenia stockte einen Moment. „Hinter uns. Lorethiels Greif.. war langsamer, weil.. er überanstrengt war, glaube ich.“
„Und Silbersang?“
„Noch weiter hinten, glaub ich. Ihr Greif musste doppeltes Gepäck tragen. Ich weiss nicht.. Ich habe mich nicht umgeschaut.“ Imenia liess den Kopf hängen. Wie konnte sie das nicht wissen? Sie schämte sich. Sie war für ihre Leute verantwortlich gewesen, aber sie hatte es zugelassen, dass sowohl Lorethiel als auch Ylaria viele Meter hinter ihnen geflogen waren. Sie hatte angenommen, dass nichts geschehen konnte. „Es tut mir leid, ich sollte das wissen. Ich weiss auch nicht..“
„Und ob du das wissen solltest“, erwiderte Tyballin. „Warum hast du sie überhaupt so weit hinter dir fliegen lassen?“, wollte er wissen.
Verian trat neben Imenia. „Verzeihung, Arkanist. Wir hatten alle wenig Schlaf. Und wir haben alle Ylaria vertraut, dass sie jede Situation bewältigen kann.“
Tyballin brummte. „Das ist keine Antwort, aber lassen wir das vorerst und sehen zu, dass wir die anderen finden, und auch zur Feste schaffen. Inklusive dem Spion.“
„Ja, Sire“, salutierte Leireth, die hinzugetreten war, und eilte zu ihrem Greif.
Imenia wusste nicht, ob Leireths Geschwindigkeit daran lag, dass sie begierig war, den Spion zu erwischen, oder ob sie wirklich pflichtbewusst war. < Früher hätte ich gedacht, sie wäre zweiteres.. Heute.. bin ich mir nicht so sicher >, dachte sie und überhörte eine Frage von Tyballin
„Imenia?“, durchbrach der Arkanist ihre Gedanken.
„Eh.. ja..?“
Tyballin seufzte. „Konzentrier' dich noch einen Augenblick, ihr könnt heute Abend alle ausruhen. Himmelswispern, setzt euch auf euren Greif, na los.“
Verian salutierte, und eitle fort. Erst dann fixierte Tyballin Imenia mit seinem Blick. „Wo ist er?“
Imenia blickte zu Tyballin. Sie wusste, er meinte den Schwertgriff. „Dämmerpfeil hatte ihn“, sagte sie schliesslich. Vermutlich würde sie das ihren Rang kosten, aber sie hatte sich ihre Entscheidung gut überlegt. Tyballin blickte sie immer noch durchdringend an.
„Hör mir zu, wir hatten Kontakt zu..“
„Du kannst es mir nachher erklären, wenn wir das Artefakt wieder in unseren Händen haben. Ich gehe davon aus, dass du einen guten Grund hattest. Ich gehe davon aus.“ Er wandte sich von ihr ab, und stapfte zu seinem eigenen Greif, der aufgeregt mit den Flügeln schlug.
Seine letzten Worte enthielten eine offene Drohung. Imenia wusste, dass er ihr zuhören würde. Sie hoffte nur, dass er ihre Begründung auch akzeptieren würde. „Heiliges Licht sei mir gnädig“, seufzte sie.
Sie gab ihrem Greifen den Befehl, in die Luft abzuheben, und flog dann voran, ungefähr in die Richtung, in der sie Dämmerpfeil und Silbersang erwartete

Es dauerte nicht lang, da erblickte Verians scharfes Auge die Schneewehe, in der ein toter Greif lag. Daneben, nur wenige Meter entfernt, lag eine Gestalt, das Gesicht im Schnee. Imenia konnte in der Luft erkennen, dass der Greif tot sein musste – sein Brustkorb war aufgerissen, und Blut hatte den Schnee weitflächig gefärbt.
Sie liessen ihre Greifen landen.
Imenia hatte die Hoffnung gehabt, dass Lorethiel noch lebte, doch ihre Hoffnung zerstörte sich, als Tyballin die Finger an Lorethiels Hals legte und dann den Kopf schüttelte.
„Er ist tot.“, sagte er, und drehte den Körper des Elfen schliesslich herum.
„Möge die Sonne ihn auf seinem Weg begleiten“, murmelte Verian, und wandte sich etwas ab. Keiner von ihnen hatte Dämmerpfeil wirklich gekannt, aber jeder tote Silberbundler war ein herber Verlust.
Tyballin erhob sich wieder. „Wir nehmen ihn mit“, entschied er. „Himmelswispern, Himmelsflamme, nehmt aus meinem Gepäck die Seilrolle und bindet den Leichnam auf Feuerblütes Greif. Sie wird mit mir fliegen.“
Imenia war zu erschöpft um zu protestieren. Sie hatte sich dem Greifenkadaver genähert, und sich niedergekniet. Es war ihr egal, dass sie mit den Knien in blutgetränktem Schnee aufkam, sie wollte dies hier nur zu Ende führen. Den Kasten zu sich nehmen, aufsitzen, in die Feste fliegen und an ein Feuer sitzen. Nicht mehr. Ein Feuer erschien ihr in diesem Moment wie eine Verlockung, die ihresgleichen suchte. Sie fror, sie war müde, sie war erschöpft, die Versuchung der Magie brannte in ihren Adern.
Ihre Finger fuhren durch die eine Satteltasche und fanden.. nichts?
Sie erhob sich und suchte nach der zweiten Satteltasche, fand sie losgelöst vom Sattel am Boden liegend. Als ihre Hand hineinfuhr, und auch hier nichts fand, starrte sie eine Weile dumpf vor sich hin.
„Hast du den Griff?“, fragte Tyballin, der sich ihr genähert hatte.
Das konnte nicht sein. Sie hatte ihn doch.. „Nein, er ist.. weg.. wie.. kann das.. Ich habe ihn hier hinein getan, ganz sicher.. Ich..“
Tyballin trat einige Schritte näher an den Greif. „Hier sind Fussspuren“, sagte er ruhig und blickte dann in ihre Richtung.
Sie blickte zurück. Sie mussten sich nicht verständigen, um zu wissen, dass sie beide dieselbe Vermutung hatten.
„Sag den anderen vorerst nichts“, befahl Tyballin, und zerrte sie dann mit sich zu seinem Greifen.

Etwas später, viel weiter östlich

Phönix protestierte. Das zweite Mal in wenigen Minuten. Die Abstände zwischen den Flügelschlägen hatten sich immer weiter vergrössert.
Dairean seufzte. Der Drachenfalke war am Ende seiner Kräfte. Er wusste es, und er konnte es nun nicht mehr ignorieren.
Er sah sich um. Noch immer hatte er nicht gefunden, was er suchte.
Trotz der grossen Dosis Blutdistelpulver wurden seine Füsse langsam müde, als er durch den Schnee stapfte. Er wagte es nicht, zurückzublicken. Seit er sie auf den Drachenfalken geladen und sie darauf festgebunden hatte, so gut es ging, hatte sie keinen Ton mehr von sich gegeben.
Er blickte zurück zu ihr, nur um zu sehen, dass sie wohl noch immer ohne Bewusstsein war.
„Na komm Phönix.. Noch ein Stückchen.. Hier um den Felsen, es müsste hier..“
Er brach ab, denn vor ihm tat sich ein Abgrund auf. Nicht tief, vielleicht drei oder vier Meter, aber es war wie eine Schlucht, gehauen direkt aus dem steinernen Untergrund. Die Wände der Schlucht waren reiner Fels, so glatt, dass nicht einmal der Schnee daran haften blieb.
Dairean lächelte.
„Siehst du.. Da unten.. Wir müssen nur noch den Abstieg finden.“
Er zog Phönix mit sich, als er sich umdrehte und begann, der Schlucht zu seiner linken Seite zu folgen.
Wenn ihn nicht alles täuschte, würde dort ein Zugang hinab in die Schlucht führen. Er kniff die Augen zusammen, doch der grelle Schnee blendete ihn, so dass er nicht viel erkannte.
Er hoffte, es war noch so, wie er es damals vorgefunden hatte. Damals, vor wenigen Monaten, als er vom Schneesturm überrascht worden war. Er erinnerte sich ungern an die Stunden zurück, in denen er orientierungslos durch die unendlich wirkende Schneeödnis gestapft war, Phönix an den Zügeln hinter sich her führend, peitschende Winde, die ihm bis ins Mark fuhren. Er hatte gegen den Drang, sich in den Schnee zu legen, ankämpfen müssen, wusste er doch, dass dies für jeden den Tod war, der sich diesem Bedürfnis hingab.
Nach wenigen Minuten und einem weiteren protestierenden Kreischen von Phönix hatte er gefunden, was er suchte – ein Zugang.
Das Hinuntersteigen in die Schlucht war ein Krampf an sich. Phönix schwebte hinunter, doch er rutschte mehr, als er wirklich ging, und landete schliesslich unten Kopf voran im Schnee.
Fluchend erhob er sich wieder, und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht.
Damals war es ihm nicht so gut gegangen. Er war hinuntergestürzt, denn er hatte den Abgrund nicht gesehen, der sich vor ihm abrupt aufgetan hatte. Der Schnee hatte seinen Sturz zwar abgefangen, aber seine Schulter ausgekugelt. Dennoch hatte ihm dieser Sturz damals das Leben gerettet, denn er war direkt vor einer kleinen Höhle gelandet, in die er sich geschleppt hatte.
Sie war nicht warm gewesen, sondern eiskalt, hatte nach verendenden Tierkadavern gestunken aber sie war wenigstens trocken gewesen, und zusammen mit Phönix hatte er ausgeharrt, bis der Sturm endlich vorbei gewesen war.

Und nun stapfte Dairean ein zweites Mal diese Schlucht entlang. Ylaria wimmerte leise, aber ein prüfender Blick von ihm verriet, dass sie immer noch nicht bei Bewusstsein war. Das war wohl auch besser so – er wollte sich gar nicht vorstellen, wie sehr sie schreien würde, wenn sie aufwachte.
Ein Felsen kam ihm bekannt vor, und nachdem sie eine leichte Kurve in der Schlucht hinter sich gebracht hatten, sah Dairean endlich den Zugang zur Höhle. Fast hätte er ihn übersehen, soviel Schnee war davor angehäuft, aber er fand sie.

Er schaufelte den Schnee vom Eingang weg und verfluchte die Ironie des Schicksals, die ihn ein zweites Mal in diese verlassene, elende Höhle geführt hatte. Er wollte nicht darüber nachdenken, warum das so war, denn das würde Fragen aufwerfen, denen er sich nicht stellen wollte.
„Ich hätte hier sowieso halten müssen, nicht wahr, Phönix“, sagte er zu dem Drachenfalken, als er das Tier in die Höhle hinein zerrte. Phönix wehrte sich natürlich, aber gab schliesslich nach, und flatterte durch den engen Zugang.
„Du bist nämlich müde. Sehr müde. Du hättest auch mich nicht die ganze Strecke tragen können, nicht wahr?“
Der Drachenfalke rollte sich auf dem Boden zusammen, und gab ab und zu Laute des Protests von sich, während Dairean Ylaria hinein trug, und sie auf den Boden legte.
Einzig ihren Kopf bettete er auf seinen Oberschenkel, ehe er seinen Umhang stärker um sich zog und sich an den kahlen Felsen lehnte.
„Nur ein paar Stunden ausruhen“, murmelte er. „Dann.. dann..“
Er beendete den Satz nicht, schloss die Augen.
 
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