Kann mir bitte jemand erklären, was "Kult" ist? Mag sein, daß ich ein reaktionärer Spießer bin, aber die sog. "Kult"-Filme liefen in Underground-Kinos über mehrere Jahre, bis sie sich diesen Begriff verdienten ("Night of the living dead", "Eraserhead", "El Topo", "Rocky Horror Picture Show" - viel mehr gab es da nicht).
Diese Filme waren "anders", weil sie neuartig waren und politischen/ideologischen/interpretatorischen Sprengstoff beinhalteten. Sie waren nicht "cool", weil sie die Defintion von "Coolness" waren, sondern weil sie Themen ansprachen, die sonst keiner anpackte und die Umwelt mit unvertrauten Dingen attackierten!
In dieser Liga findet mit Sicherheit immer noch eine Menge statt, aber die Regisseure dieser Filme heißen "Anderson" oder "Kurosawa" - und nicht "Tarantino":
Mehr gibt es nicht zu sagen, wenn es um moderne "zwischenmenschliche" Beziehungen geht.
Die Antwort auf die Frage, wo das Böse lebt, gibt dieser Film im Schlußakt (und in den letzten Worten von "Simon").
Kurz ein Wort zur sog. Synchronisation: Auf deutsch ist der Film Müll! "Princess", "Billy" und vor allen Dingen "Simon" sagen eine Menge mehr durch ihren Tonfall aus, was durch die deutschen Stimmen völlig egalisiert wurde. Die Synchro zerstört alleine durch die Wahl des Sprechers des "Simon" den gesamten Film! Leider hat Capelight (die zuständige DVD-Firma) auch sonst ziemlichen Müll gebaut: Die Untertitel sind nur in deutsch und werden zu spät eingeblendet. Das reißerische Back-Cover tut sein Übriges (Brad Anderson wird als "Kult-Regisseur" bejubelt). Anderson ist kein Kult, denn wenn Kult nur dazu dient, von einer möglichst großen Masse aufgrund seiner offensichtlichen, aber nicht näher definierbaren "Coolness" bewundert zu werden, dann ist Anderson das Gegenteil davon. Anderson braucht keine Teenies oder leicht verkäufliche Rocksongs für seine Filme. Seine Protagonisten sind längst erwachsen; sie leben in eben jenem monotonen Kreislauf, dem jugendliche Möchtegernrebellen entfliehen möchten; dem eben die Mittdreissiger noch ein Schnippchen schlagen wollen. In "Session 9" holt uns das alles wieder ein, wenn wir zusehen, wie ein Selbständiger einen Knebelvertrag für sich und seine Angestellten (die immer noch den Traum der unbegrenzten Freiheit träumen, während ihr Leben bereits in den gesellschaftlich vordiktierten Bahnen verläuft) eingeht, um seinen kleinen Begriff von "Freiheit" zu verteidigen. "Session 9" ist kein Horror von der Stange; er bietet keinen originell maskierten Bösewicht, der zu kultiger Musik mal eben jemanden auf möglichst originell anmutende Art jemanden wegmeuchelt!
"Session 9" bietet euch allerdings den schlimmsten Bösewicht der ganzen Filmgeschichte (und vielleicht nicht nur das). Mehr als "Simon" geht nicht! Dennoch wage ich zu behaupten, daß zumindest beim zweiten Anschauen ein wenig Mitgefühl für "Simon" vorhanden ist.
"Session 9" bietet euch allerdings auch keine Teenies; keine Mädels; keine Rocksongs; keine "gothic horror scenes" in der Dunkelheit.
"Session 9" bietet euch allerdings ein höchst durchdachtes Konzept; Szenen, die man erst beim Wiedersehen begreift; Stoff zum Nachdenken.
"Session 9" ist kein Film für Teenies. Kein Film für Gorehounds. Kein Film für "gothic freaks".
"Session 9" ist wirklicher Horror. Ohne Monster. Böse bis zum bitteren Ende. Und er ist kein "Who-Donit"! Es ist mehr als das!
"Where do you live, Simon?!
€dit: Heute ist "Kult" alles, was eine kleine Schar von Bewunderern hat. Daniel Küblbock und Dieter Bohlen sind Kult! Die "Akte"-Sendung auf Sat1 ist Kult! "DSDSS" ist Kult! Tarantino ist Kult! Ich fühle mich "Kult"-überflutet!
Die "Rocky Horror Picture Show" ist exzessiver Kult! Die Wiederaufführung eines Filmes wie "Night of the living dead" in einem dritten Programm wird jedoch kaum wahrgenommen. Was soll's: Die "Pink Flamingoes" von Waters sind immer noch "Kult". Ewww, da schiebt sich ein Transvestit mal eben Hundekothaufen rein! Derselbe Regisseur hat mit Johnny Depp gedreht?! Kult!!! Hey, schau mal, wo alle "Kult"-Regisseure hingegangen sind. "Geek-Home"! Außer Hitchcock! Und Bava! Hey, get off the Bava-Cloud!
Hmmm, ob es einen monetären Sinn macht, Bava mit Emo zu verbinden?
Hm, ebenso kein Wort über "Kairo", den ersten Film der Aufzählung? Nö, den könnt ihr euch selbst anschauen! Kurosawa (nicht verwandt mit Akira) lädt zur Diskussion ein! Seinen Film sollte man keinesfalls mit dem dämlichen "Pulse"-Remake auf amerikanischer Seite vergleichen - die haben nicht mal gerafft, wofür das "Red Tape" wirklich steht (im Remake ist es ein Schutz vor den Geistern - im Original ist das ein Zeichen der Isolation, das einen erst zu einem Geist werden lässt. So unglaublich es klingt: Im Original ist es die Einsamkeit, die Geister aus uns macht - im Remake sind es böse Geister, die uns angreifen. Es gibt keine amerikanische Entsprechung zur Szene, als einer der Protagonisten tatsächlich einen Geist fängt und dieser ihm die tatsächliche Bedeutung des "ewigen Lebens" darlegt. Das wäre auch schlimmer als jede christliche Höllenvorstellung - also weg damit).
Seid ihr euch sicher, daß ihr nicht auf einer Website dargestellt werdet, die mit dem Titel "Do you want to see a ghost?" wirbt?
Bimmbamm, der beide oben abgebildete Filme sich wie jedes Jahr wieder angesehen hat