Superbia: Hochmut und Eitelkeit
Eines kann die Todsünde Eitelkeit mit Sicherheit garantieren: hohe Einschaltquoten. Wenn sie da nun wieder in der Reihe stehen wie jede Saison, die Mädchen für Heidi Klums Show "Germany's Next Topmodel", alle hübsch, alle ähnlich, wird deutlich, dass Eitelkeit einen Kampf bis aufs Messer bietet, spektakulär, denn hier geht es für viele auf Leben und Tod. Knapp vier Millionen verfolgten in der vergangenen Saison die Schlacht. Wöchentlich.
Die Kandidatinnen werden sich Schlangen umlegen lassen, bei Minustemperaturen in Miniröcken herumstöckeln und lächeln. Sie werden hemmungslos weinen, wenn sie ausscheiden. Sie werden durchs öffentliche Feuer geschickt werden, vorwärtsgepeitscht von einer penetrant gutgelaunten blonden Kerkermeisterin, deren Geschäft die Schönheit und deren Adressatin die Eitelkeit ist.
Ein mörderisches Geschäft. Selbst Profis können da in die Knie gehen. Wie anstrengend es ist, die Selbstvergottung permanent zu betreiben, erleben derzeit Brad Pitt und Angelina Jolie. Der eine ist Achilles. Die andere ist bis zur Makellosigkeit perfekt, die Lippen, der Busen, die Taille. Nicht nur das. Sie ist eine Supermutter mit drei eigenen und drei adoptierten Kindern.
Wenn die beiden Gutes tun, dann geschieht es in Superlativen. Ein Paar wie ein Unternehmen, mit zahllosen Angestellten. Ihr gemeinsames Vermögen wird auf 235 Millionen Euro geschätzt.
Ein Paar auf dem Hochseil, dem das Massenpublikum aus der Tiefe einer anderen Todsünde heraus, dem Neid, zuschaut. Auch dessen scheele Schwester, die Gehässigkeit, steht in den Startlöchern und wird bald losstürmen, wenn es sich bewahrheiten sollte, dass die Beziehung der Göttlichen wackelt. Dann werden sich alle die Augen reiben und fragen, warum sie sich dem Glauben hingeben konnten, dass dieser blendende Celebrity-Fries keine Risse bekommen und von Dauer sein würde.
Kann sich irgendeiner "Brangelina" als Rentnerpaar in Florida vorstellen?
"Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang", schrieb Rilke. Hat er die Gefahren für diese narzisstischen Supernovä vorausgeahnt, die, nur fragil durch eine Reihe von Kindern verbunden, womöglich doch jede ihr eigenes Planetensystem braucht?
Verläuft nicht überhaupt die Partnerwahl in einer komplett veräußerlichten Gesellschaft wie die Suche nach einem passenden Accessoire? Die Brautsuche, die der Scientologe Tom Cruise betrieb und die ihm schließlich die Schauspielerin Katie Holmes bescherte, soll dem Vernehmen nach durchgeführt worden sein wie die sorgfältige Auswahl einer edlen Zuchtstute.
Doch sind wir anders, sind wir besser? Wir legen den Kopf in den Nacken, und da es unter einem entgötterten Himmel niemanden mehr gibt, den wir anbeten könnten, nehmen wir mit ein paar Kinoplakaten vorlieb, und jedes davon ruft uns den Vorwurf zu: Wir sind perfekt, warum seid ihr es nicht, ihr Würmer?
Das ist mittlerweile ein Alltagsvorwurf, in jeder Großstadt das gleiche Spießrutenlaufen. Am Times Square in New York sieht dieser Vorwurf nicht anders aus als auf Berlins Unter den Linden und auf jeder anderen Innenstadtmeile. Haushoch räkeln sich die Models auf Plakatwänden, um Taschen zu verkaufen oder Unterwäsche, aber in erster Linie wohl sich selbst und ihre Schönheit.
Sie flirten mit uns, und sie schüchtern uns ein in ihrer Perfektion, ein Trommelfeuer aus trägen Blicken, durchtrainierten Torsi, endlosen Beinen, die auf eine neue Gefechtslage schließen lassen. Das Motto: Die Welt können wir nicht verbessern, aber wir können unser Aussehen optimieren.
Die Kirchenväter, die den Katalog der Todsünden zusammengestellt haben, paarten die Eitelkeit mit Hochmut und Stolz, eine weise Entscheidung. Was anderes ist es als Hochmut, zu glauben, man könne die eigene Schönheit beliebig formen? Was anderes als Stolz, durch Schönheit andere überglänzen zu wollen? Die ehrwürdigen Väter aber haben vergessen, darauf hinzuweisen, dass Eitelkeit einen hohen Preis fordert: Einsamkeit. Wer sich nur um sich selbst dreht, ist allein.
Der universelle Schönheitskult schlägt Kapital aus der todtraurigen Todsünde Eitelkeit in noch nie dagewesenem Maße. Fitnesscenter, Kosmetika, Botox-Kliniken, Wellnessfarmen setzen rund 20 Milliarden Euro allein in Deutschland um, und sie schicken ihre Kunden in ein Rennen, das sie nie gewinnen können.
Dieser Kampf einer alternden westlichen Gesellschaft ist tragisch und komisch zugleich. Wir setzen keine Kinder mehr in die Welt, sondern wollen die ewige Jugend für uns selber. Dabei sind die Karten gezinkt. Auf uns alle warten Verfall und Tod, und keine Epoche hat das drastischer bebildert als der Barock mit seinen Vanitas-Darstellungen, keiner hat es anrührender beklagt als Shakespeare in seinen Tragödien und Sonetten.
Dabei stand ein durchaus harmonischer Körperkult an der Wiege unserer Zivilisation. In den Gymnasien Athens wurde dem Ideal der "Kalokagathia" nachgeeifert, schöner Wuchs und schöne Gesinnung wurden zusammengedacht, wenn auch Platon bereits vom Körper als "Gefängnis der Seele" sprach. Paulus nannte den Körper den Tempel des Heiligen Geistes - immerhin Tempel -, doch die großen Asketen des frühen Christentums waren zunächst damit beschäftigt, den Körper und seine Begierden zu domestizieren.
Die gar nicht prüde Renaissance zeigte Haut, zeigte Lust an Schmuck und Prunk und entwickelte eine durchaus anziehende Kultur der Eitelkeit, die erst mit der Aufklärung jäh an ein Ende kam. Die Puritaner, die kalten Verstandesmenschen, wollten über die Natur und die Sinne triumphieren, sie schlossen den Kragen der Frauen hoch und verbargen sie unter schwarzen bodenlangen Kleidern.
Dass es nun ausgerechnet im katholischen und aufgeklärten Paris eine Kommission gibt, die die Burka, die Ganzkörperverhüllung für muslimische Frauen, verbieten möchte, ist eine der Pointen in der Sittengeschichte der Religionen. Und dass es auf der anderen Seite Frauen gibt, die um das Recht auf Verhüllung kämpfen wollen, eine weitere.
Da trifft in der Stadt der Mode und der Genüsse die libertäre Eitelkeit auf die organisierte Uneitelkeit, das System des Narzissmus auf die Dogmatik der Unterwerfung.
Die Frauen allerdings werden das Spiel nicht mitmachen. Wer die Augen aufmacht, etwa in den Shopping Malls der islamischen Golfstaaten, sieht unter manchem schwarzen Schleier goldene Armreifen blitzen, sieht Nagellack, sieht sogar Ansätze von Spitze.
Tatsächlich aber kann eine Betrachtung über Hochmut und Eitelkeit nicht ohne kurzen Rekurs auf die männliche Seite auskommen. Ist eigentlich schon Signor Presidente erwähnt worden, unser haartransplantierter, mehrfach gelifteter Silvio Berlusconi?