Clint Eastwood oder warum man jeden Film des Mannes sehen sollte

win3ermute

Welt-Boss
Mitglied seit
20.08.2011
Beiträge
1.531
Reaktionspunkte
184
Kommentare
13
Buffs erhalten
6
Angefangen hat Eastwood bei Jack Arnold: Er ist der maskierte Flieger, der die Riesenspinne mit dem lächerlichen Namen "Tarantula" erledigte. Als "Bademeister" half er, dem Viech aus der "Black Lagoon" die letzte nasse Ruhestätte bequem zu machen.

Man muß sich das vorstellen: Die Damen und Herren drehten gerade den "Karl May"-Film "Der Schatz im Silbersee" und machten sich gleichzeitig über jenen kleinen Italiener lustig, der nur ein paar Kilometer weiter mit einem amerikanischen Seriendarsteller einen "Western" drehte, der stoisch jegliche darstellerische Impression verweigerte.

Der "kleine Italiener" hieß Sergio Leone; der amerikanische Seriendarsteller Clint Eastwood. Beide wurden Ikonen ihrer Zunft, wobei Eastwood erst einmal nur dank seiner "Nichtdarstellung" in gleich drei Filmen Weltruhm erlangte. Die "Karl-May"-Darsteller mochten grinsen - wenige Kilometer von ihnen wurde Filmgeschichte geschrieben!

Drei Filme später war Eastwood nicht mehr irgendwer, sondern ein internationaler Star. Die "Dollar"-Trilogie prägte das US-Filmgenre überhaupt - den Western! Nirgendwo sonst kämpften auf- und rechte Menschen gegen das Gewürm der Untermenschen wie böse Buben und Indianer - selbstverständlich mit Ausnahme von John Ford, der mit seinem "The Searchers"geradezu die Antithese des Hollywood-Western entwarf und John Wayne als rassistischem Südstaaten-Soldaten die übelste Rolle seiner gesamten Laufbahn darstellen ließ.

Leones "Helden-Entwurf" zeigte einen dreckigen, völlig unangepassten Helden, der aus reinem Fuck heraus (und "Für eine Handvoll Dollar", wie der deutsche Titel suggeriert) eine Geschichte eskalieren ließ.

Zugegeben: Das alles war Szene für Szene aus Kurosawas "Yoyimbo" geklaut. Wer sich heute beide Filme "back to back" anschaut, der merkt, daß nicht nur Story, sondern gleich Kameraeinstellungen etc. genau kopiert wurden (Leone wurde deswegen auch beklagt und mußte Geldbuße leisten). Lustigerweise ist auch Kurosawas "Yoyimbo" eine Adaption des amerikanischen Romans "Red Harvest" - wie des öfteren kopierte hier Kurosawa eine ausländische Geschichte in den japanischen Film (siehe "Ran" oder "Throne of Blood", die als die besten Shakespeare-Interpretationen überhaupt gelten, ohne auch nur im Ansatz dessen Verse zu verwenden - Kurosawa ist ein anderes filmtechnisches Genie, dem ich hoffentlich noch in einem späteren Blog die verdiente Aufmerksamkeit erweisen werde).

Eastwood stieg mit Hilfe dieser billigen und bahnbrechenden Italo-Western zur Ikone auf. Es waren allerdings nur drei Filme (im letzten und besten überwarf er sich dank überzogener Gagenforderungen mit Leone), die ihm seinen Ruf einbrachten.

Es war Don Siegel, der vorher mit "Bodysnatchers" einen bis heute bedeutsamen Film inszenierte, jedoch ansonsten kaum Bedeutung im Hollywood-A-Kino hatte, der die rettende Idee ausbreitete:

Den "namenslosen Fremden" aus den Western in die damalige Realität zu integrieren.

Hört sich lächerlich an, war es mit Siegels "Coogan" auch. Über den zweiten Versuch lachte keiner mehr; ganz im Gegenteil: "Dirty Harry" war ein Hit; davon ab kontrovers diskutiert. Der "Fremde ohne Namen" hatte nicht nur ein Gesicht, sondern schien erzreaktionär; geradezu der Gegenentwurf der Hippiegeneration. "Dirty Harry" ist ein Fossil des "aufrechten Amerikanismus", der mit einer Magnum eine ausser Kontrolle geratene Gesellschaft beschützt, in dem er gnadenlos jene Subjekte entfernt, die keine Rolle in unserer Kapitalismusgesellschaft spielen. Im Ende ist der Streifen jedoch aktueller und bitterer als alles zuvor: "Dirty Harry" foltert einen Verdächtigen, um ein entführtes Mädchen zu retten (Na? Parallelen zu aktuellen Fällen?), scheitert aber grandios. Am Schluß rettet er zwar die Gesellschaft vor dem Psychopathen (übrigens nach den damals aktuellen "Zodiac-Morden dargestellt); schmeißt allerdings die Marke der Zivilisation weg.

Der "Impact" des Films war ungeheuer: Clint Eastwood war plötzlich der Feind der Hippiegeneration! Gleichzeitig kam mit dem "Poliziotti" in Italien plötzlich ein neues Genre auf, daß in Form eines gegen völlig unverständliche Gesetzregelungen kämpfenden Kommissars den Krieg gegen die "liberale" Ordnung mit Helden wie Franco Nero und dem unvergleichlichen Maurizio Merli inszenierte (so gut wie alle diese Filme sind absolute Highlights des Kriminalfilms; wenn auch teilweise schwer zu bekommen. Dem "Poliziotti" werde ich wohl mehr als ein Kapitel widmen müssen - und selbst heute kann ich es kaum glauben, wie verdammt gut diese Filme sind).

Eastwood selbst glaubte nicht an seinen Ruhm. Er gründete seine eigene Filmproduktion (Mal Paso - was "schlechter Tritt" bedeutet) und drehte seinen ersten eigenen Film. "Play Misty for me" war ein kleiner, aber feiner Psychothriller mit einem völlig anderen Eastwood. "Misty" nahm einen Hit wie "Fatal Attraction" vorweg, hatte aber eine große Attraktion in Form des eher unsicher aufspielenden Don Siegel, der erstmals in seiner Karriere vor der Kamera stand, während er auch sonst Eastwood Nachhilfe erteilte.

Fortan wechselte Eastwood: Mit gewöhnlichen Rollen machte er Geld, während er sich selbst in der Regie versuchte. Sein "Outlaw Josey Wales" gehört für mich zu den besten Western aller Zeiten, während er fast im selben Jahr für einen Neuling wie Cimino die zweite Geige in einem sehenswerten Gangster-Streifen namens "Thunderbolt and Lightfoot" spielte (und damit Jeff Bridges als auch dem Regisseur zu Weltruhm verhalf).

Es ist eine Ironie der Filmwirtschaft, daß "High Plane Drifter" bis heute indiziert ist. Eastwood ist hier mehr als sonst der "Fremde ohne Namen", der einer Stadt seine Hilfe gegen die seit Kurosawa übliche Gangsterbande anbietet.
Dieses Ding ist eines der dreckigsten und besten Western überhaupt: Hier wird eine ganze Stadt für Feigheit bestraft! Die Indizierung beruht wahrscheinlich weniger auf Gewaltexzessen, sondern auf einer Vergewaltigung: Eastwood selbst zwingt ein Mädel zum Verkehr, was diese nach ein wenig Gegenwehr genießt!
Das ist verdammt harter Tobak - zumal, wenn selbst am Ende des Streifens nur eines gesagt wird: "Who are you?" "You know who I am!"

Die deutsche Version, die ausnahmsweise treffend mit "Ein Fremder ohne Namen" betitelt wurde, fügt hier einen Hintergrund hinzu, der dem biblischen Racheengel und dem Titel überhaupt nicht angemessen ist - da wird der "Fremde" plötzlich vermenschlicht, während er im Original eher Engel oder Dämon oder gleich beides ist!

Man muß den "Fremden ohne Namen" und dazu den Gegensatz "Outlaw Josey Wales" gesehen haben, um die widersprechenden Persönlichkeiten des Herrn Eastwood annähernd zu begreifen. Jahre später folgte eine "Quasi-Neuverfilmung" des "Drifters", die durch das Fehlen von Subtilität aufwartete:

"Pale Rider" führt Eastwood ein, als ein Mädchen zu Gott betet, er möge doch bitte ihre Eltern von den bösen Leuten befreien, die das Land stehlen wollen.

Das ist Eastwood-Christus in Reinkultur; weniger verschlüsselt als noch im "Fremden ohne Namen". "Pale Rider" ist denn auch der letzte Film, den ich mir von Eastwood antun wollte, zumal er vorher in dem absolut dreckigen "Dirty Harry IV" (ebenfalls von ihm inzseniert) das Hohelied der Selbstjustiz sang.

Es ist ein großer Sprung zum "Regie-Eastwood". Während er "Pale Rider" oder "High Plain Drifter" oder völlig uninteressante Streifen wie "Im Auftrag des Drachen" inszenierte, plante er völlig unabhängige Filme wie "Honky Tonk Man" oder "Bird". Der "aufrechte Rechte" setzte sich mit "Mitternacht im Garten von Gut und Böse" plötzlich für die Rechte von Homosexuellen ein oder schilderte wie in "Bird" die Autobiographie eines schwarzen Musikers!

"Unforgiven" ("Erbarmungslos") erzählt eine ganz andere Geschichte: Von betrunkenen Cowboys, die sich an ihre "Heldentaten" gar nicht erinnern; von Attentaten auf dem Klo; von Schüssen in den Rücken. Eastwood ist erst (betrunken) die Ikone, der alles und jeden einfach über den Haufen schießt. Das ist die amerikanische Demontage des Westerns schlechthin; in verdammt bitteren Pillen dargereicht. Der verdiente "Oscar" für den "besten Film" und "Regie" macht erst richtig deutlich, was Eastwood hier vollbracht hat: Das ureigene Genre der Amerikaner (der Western) endgültig demystifziert und zu Grabe getragen! Neben Peckinpahs unglaublichem "The Wild Bunch" ist das vielleicht der wichtigste und beste Western der Filmgeschichte!

Nach einer durchaus fruchtbaren Phase als Regisseur als auch Darstellers folgte ein Film wie "Mystic River". Das ganze Ding ist selbstproduziert, mit eigener Musik unterlegt und selbstverständlich selbst inszeniert.
Man achte auf die "Bösen" in diesem Film: Sie alle tragen Kreuze (der Kirchenmann zu Anfang, der die Tragödie erst auslöst - und Sean Penn in der grandiosen Schlußszene des Filmes! Es ist übrigens bezeichnent, daß die 20:15 Uhr-Austrahlungen immer um den grandiosen Schlußdialog gekürzt sind, was dem Film den Sinn raubt! - Jugendschutz geht offenbar über Verständnis eines Meisterwerkes!).


"Million Dollar Baby" zu besprechen bedeutete einen eigenen Blog. Bei den beiden Kriegsfilmen, die "Back2back" gedreht wurden, muß man bei "Letters from Iwo Jima" anmerken, daß hier ein amerikanischer Regisseur die Darsteller japanisch sprechen ließ und der Film auch dementsprechend untertitelt im Heimatland gelaufen ist - was seiner Popularität keinerlei Abbruch tat.

"Gran Torino" war Eastwoods bisher größter Hit - und er führt die "Dirty Harry"-Figur endgültig in die Neuzeit: Ein rassistisches Arschloch wird nicht nur "umgekehrt", sondern führt die Selbstjustiz des "Dirty Harry" auch zu Ende, indem er den Gedanken entlarvt und etwas völlig neues in seiner Filmlandschaft daraus macht.
"Gran Torino" ist übrigens ein "Lückenfüller" - entstanden, als während der Drehunterbrechungen für den wahrhaft grandiosen "Changeling", den kaum mehr jemand nach "Gran Torino" wahrgenommen hat, Luft herrschte.

Großartig sind beide Filme. Im Oscar-Rennen liegt der alte Mann derzeit mit "Edgar J." mit dem immer wieder sich selbst überbietenden Leonardo DiCaprio. Produktion hat wieder Eastwood gemacht; Musik ist auch von ihm.

Der alte reaktionäre Sack, der seit Jahrzehnten liberale Ideen vertritt, ist wahrscheinlich der beste Filmemacher, den Hollywood derzeit hat.

Hut ab, Mr. Eastwood!
 
Zurück