Die Sterne über Dalaran - Vierter Abschnitt, Teil 12 (4.12)

Melian

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Finderlohn

Imenia sass nahe des Feuers in der Gaststube des Gasthauses in der Feste Wintergarde.
Ihre Hände schlossen sich etwas enger um die Tasse, die ihr die freundliche Gastwirtin gegeben hatte. Sie war gefüllt mit einem heissen Getränk, dass sie nicht identifizieren konnte. Süss schmeckte es, und gleichzeitig stark. Es schien alle Sinne zu beleben, und sie von innen heraus zu wärmen.
Sie hatten noch mindestens eine, wenn nicht sogar zwei Stunden damit verbracht, nach dem Griff, dem Spion oder – was noch viel schlimmer war – Ylaria zu suchen. Doch sie hatten nichts gefunden.Weder hatten sie sie lebendig angetroffen, noch ihre Leiche. Nur vereinzelte Blutspuren, von denen sie nicht genau bestimmen konnten, ob sie zu der Elfe gehörten oder zum toten Greifen. Der Schnee war zu aufgewühlt gewesen, um Spuren zu erkennen.
Und dann mussten sie die Suche abbrechen. Gerade noch rechtzeitig hatten sie die Feste Wintergarde erreicht, bevor ein von den nördlichen Bergen ausgehender Sturm über sie hinweggefegt war.
Sie seufzte. Müdigkeit, so schwer wie ein Brocken Mithrilerz, hatte sich über sie gelegt. Immer wieder musste sie dagegen ankämpfen, die Tasse wegzuschieben, den Kopf in die Arme zu legen, und einfach hier am Tisch einzuschlafen. Doch es war ihr nicht erlaubt, das hatte Tyballin klar gemacht.
Sie rieb sich die Augen, als er sich sich zu ihr setzte, ihr gegenüber. „Connell ist versorgt, und alle sind zu Bett“, sagte er und deutete der Gastwirtin, sie solle sich entfernen.
Die Feste Wintergarde hatte sowieso selten Besucher, und die waren um die späte Uhrzeit längst im Bett. Die Gastwirtin war auch froh, zu Bett gehen zu können, das sah man ihr an.
Imenia blickte in die Tasse, und nahm noch einen Schluck des heissen Gebräus.
„Gut“, murmelte sie und hob den Blick nicht.
„Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche“, kam es postwendend in eisigem Tonfall zurück. Imenia zuckte etwas zusammen. Sein Blick durchbohrte sie.
Sie erwartete Wut zu sehen, aber eigentlich wirkte er nur enttäuscht.
„Und nun erkläre mir, was geschehen ist. Ausführlich.“
Imenia seufzte. So schnell würde sie wohl nicht zu Schlaf kommen.
„Wir bekamen deine Nachricht gestern Abend.“, fing sie an zu erzählen. „Lorethiel erreichte uns direkt nachdem ich und Silbersang von der Audienz bei den Drachen zurückgekommen sind.“
Tyballin nickte. „Fahr fort“.
„Leireth war bei mir. Dämmerpfeil hat den Fehler gemacht, sie auch für vertrauenswürdig zu halten, und so erfuhr sie, dass er ein Spion war. Wir konnten nicht mehr überlegen, was wir tun sollten, denn sie hat ihn angegriffen.“
„Sie hat.. Was?“
„Gegen die Wand geschleudert. Wir konnten sie nur noch mit Mühe davon abhalten, noch weiteren Unsinn zu machen. Hammerschmied hat sie dann betäubt. Das war's dann mit der Heimlichkeit.“
Tyballin seufzte.
„Ich entschloss mich für eine vorwärts gerichtete Taktik und liess sein Gepäck durchsuchen. Er hatte das Buch dabei, welches uns die Drachen nicht entleihen konnten, weil ein Sonnenhäscher schon dagewesen sei. Bereits bei der Nachricht war mir klargeworden, dass wir womöglich beobachtet wurden. Ich fand auch einen Kommunikator.“
„Das kann ich mir vorstellen.. Wo hattest du eigentlich deinen eigenen? Ich konnte dich nicht erreichen.“
Imenia trank noch einen Schluck. „Ich weiss es nicht. Ich habe ihn eingepackt, aber ich nehme an, der Spion hat ihn entfernt oder zerstört.“
„Gut möglich. Fahr bitte fort.“
„Als ich den Kommunikator benutzte, zeigte er mir ein zu festes Bild. Es war eine Täuschung. Ich zwang ihn also letzte Nacht, seine Hände darauf zu legen, und hatte auch tatsächlich Kontakt mit seinem Auftraggeber.“
Tyballin verengte die Augen. „Sag mir, wer es war!“, verlangte er.
„Es war Magister Hathorel. Ich habe ihn sofort erkannt.“
Tyballin sprang auf und ballte eine Faust. „Der Bastard, ich hätte wissen müssen, dass..“
Imenia unterbrach ihm. „Ich habe ihm gedroht, und gesagt, wir würden den Spion töten, wenn er uns nicht in Ruhe nach Dalaran zurück kehren liesse. Aber dann wurde die Verbindung unterbrochen, denn der Spion biss Dämmerpfeil, und die Verbindung brach ab.“
„Ihr müsst mir nicht jedes Detail verraten“, schnaubte Tyballin. „Kommt zum Punkt.“
„Der Punkt?.. Nun.. ich entschied, dass wir am nächsten Tage aufbrechen würden.“ Imenia überlegte hin und her, ob sie Leireths erneuten Angriff oder zumindest den Versuch auch erwähnen sollte und entschied sich schliesslich dagegen. „Am nächsten Tag brachen wir auf und.. wie du gesehen hast, hatten wir einen unerfreulichen Zusammenstoss und dann.. den Rest weisst du.“
Tyballin setzte sich wieder und blickte sie an, verschränkte die Arme.
„Ich wollte.. den Spion nicht im Tempel lassen, ich wusste nicht, ob er dort sicher verwahrt würde. Ausserdem dachte ich, er wäre möglicherweise ein Druckmittel, wenn Hathorel sich dazu entschliessen würde, uns 'entgegenzukommen' und ihr uns verpassen würdet.“ Imenia nahm den letzten Schluck, beliess die Hände aber immer noch um die Tasse. „Das war keine gute Idee“, schlussfolgerte sie.
„Die Expedition verläuft gar nicht so, wie ich es wollte, aber das war eine bessere Idee als ihn dazu lassen, das muss ich zugeben. Aber..“ Tyballin erhob sich wieder etwas und stützte die Hände auf den Tisch, beugte sich leicht zu ihr herunter und starrte sie an. „Was bei den dreckigen Kanälen Sturmwinds hast du dir gedacht, dass du den Schwertgriff weggegeben hast?“
Er hatte sich so schnell in Rage geredet, dass ein kleiner Spuckefleck auf ihrer Wange landete. Sie schnaubte, und erhob sich, stützte die Hände ebenfalls auf den Tisch.
Er fuhr fort, sie auszuschimpfen.„ Es war deine Aufgabe, und du hättest ihn nehmen müssen. Wie konntest du dieses wertvolle Relikt in Lorethiels Hände geben? Es hätte in deine Hände gehört und..“
„Hör auf, mir Dinge zu erzählen, die ich schon weiss, Arkanist Melodir Tyballin“, fuhr sie dazwischen. „Was denkst du denn, was passiert wäre, wenn ich den Griff verwahrt hätte? Die Sonnenhäscher hätten ihn sofort gefunden, wenn wir tatsächlich auf sie gestossen wären. Dämmerpfeil hatte den Auftrag, bei Feindkontakt sofort auszuscheren und zu fliehen. Sie hätten ihn ziemlich sicher nicht verfolgt!“
Tyballin starrte sie an, und sie starrte zurück, wich seinem Blick nicht aus. „Und es hätte auch funktioniert“, fuhr sie fort, „wenn uns dieser Wyrm nicht dazwischen gekommen wäre. Das weisst du genau.“
Tyballin entfuhr ein „Hmpff“, und er hob die Hände vom Tisch und setzte sich wieder, etwas seitlich von ihr abgewandt. Imenia setzte sich wieder und unterdrückte ein Lächeln. Dieses Argument war auf ihrer Seite, aber sie wollte sich nicht so siegessicher fühlen.
„Warum hast du den Spion und Silbersang soweit hinten fliegen lassen?“, fuhr Tyballin sie schliesslich an, im beleidigten Tonfall des Verlierers einer Diskussion.
Ylaria hob die Hände leicht abwehrend. „Ich weiss es nicht. Als ich zurück geschaut hatte, sah es so aus, als würde sie direkt bei Dämmerpfeil fliegen. Aber das ist keine Entschuldigung. Das war mein Fehler. Ich hätte die Gruppe zusammenhalten sollen.“
„Ja, das hättest du tun müssen“, giftete Tyballin, aber er klang schon nicht mehr so verärgert. „Du weisst so gut wie ich, dass dies Konsequenzen nach sich zieht.“
Imenia nickte nur. „Das ist mir klar“, sagte sie leise. Es war ihr auch egal. Jede Strafe war ihr Recht – sie selbst fühlte sich als Versagerin. Sie konnte nur hoffen, dass Ylaria oder der Griff noch gefunden werden würde, ansonsten hätte sie zwei Tote Silberbundler, einen verletzten Soldat sowie den Verlust von Relikt und dem Spion zu verantworten. „Ich akzeptiere alles, was du mir auferlegst“, fügte sie tonlos nach.
Tyballin antwortete nicht sofort, sondern legte eine Hand auf ihre, die wieder die Tasse umklammert hatte. „Keine Sorge, Imenia. Du hast fast alles richtig gemacht. Der Frostwyrm und Leireth, das kann man dir nicht zu Last legen. Ich enthebe dich nur vorerst von der Leitung der Expedition. Wenn wir wieder in Dalaran sind, sehen wir weiter.“
Imenia nickte. Es war ihr alles Recht. Selbst wenn sie alles richtig gemacht hätte, wäre die Verantwortung über die Expedition mit seinem Eintreffen sowieso an Tyballin gefallen.
„Und nun – geh zu Bett. Du siehst grauenhaft aus. Du brauchst Kraft für Morgen. Wir setzen die Suche weiter fort.“
„Danke“, brummelte Imenia. Sie zögerte nicht lange, erhob sich, nickte Tyballin mit einem kurzen Abschiedsgruss zu, und steig die Treppe des Gasthauses hoch zu ihrem zugewiesenen Zimmer, das sie mit Leireth teilen musste.
Das raue Federbett, in das sie sank, fühlte sich an wie das Bett einer Königin.

In der Schlucht

Ein Wimmern weckte Dairean abrupt. Alarmiert schlug er die Augen auf, aber er konnte nichts Verdächtiges erkennen. Sein Herz klopfte dennoch. Brennender Hunger rumorte in seinem Magen, sein Kopf schmerzte und er fror. Er wusste nicht, wie viele Stunden vergangen waren, seit er weg genickt war, doch die Höhle war fast ganz schwarz. Kein Licht fiel mehr durch den kleinen Eingang.
„Verfluchte Drachenfalkenpisse“, murmelte er, und rieb sich mit den Händen die Oberarme etwas – eine verzweifelte Bemühung, gegen die Kälte anzukämpfen, die auch in die Höhle eingedrungen war. Der nackte Felsen unter ihm fühlte sich an wie Eis.
In der Ecke lag der Drachenfalke immer noch zusammengerollt da, doch bei Daireans Fluchwort fiepte das Tier leise. „Ist ja gut, Phönix. Ich bin hier“, sagte Dairean beruhigend. In weiser Voraussicht hatte er die eine Satteltasche nahe neben sich gelegt, so musste er nicht lange tasten, um sie zu erreichen.
Erneut drang ein Wimmern an seine Ohren und dann ein leichtes Zähneklappern. < Ylaria! >, fuhr es ihm durch den Kopf und erneut fluchte er. Anstatt nach der Satteltasche zu greifen, seufzte er und rieb sich mit der Hand durch die Haare. Er konnte nur hoffen, dass sie noch etwas länger ohne Bewusstsein blieb. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie mit zu schleppen?
Er hörte das Flattern von Flügeln, und schliesslich kam Phönix auf ihn zu geglitten. Das Fliegen fiel dem Tier etwas schwer in der Höhle, aber dennoch schaffte er es. Dairean wusste, dass sich Drachenfalken zu einem gewissen Teil auch der Magie bedienten, um sich fortzubewegen.
Ein Flügel schmiegte sich um seinen Hals.
„Ja, ich weiss, es ist kalt“, murmelte Dairean. „Aber ich kann es nicht ändern. Ich kann dir auch nichts zu fressen geben, tut mir leid.“
Das Wimmern Ylarias wurde konstanter, und schliesslich keuchte sie auf. Dairean legte ihr eine Hand auf die Stirn, während er mit der anderen den rechten Oberschenkel massierte, der unangenehm prickelte. In der ungewohnt sitzenden Position war nicht nur er eingeschlafen, sondern auch Teile seines Körpers. Er hasste dieses eklige Gefühl.
„Ssscht“, flüsterte Dairean. Sie wachte auf. Ein erneutes Wimmern ging übergangslos in einen schmerzerfüllten Schrei auf, ehe die Elfe wohl endgültig erwachte und zusammenzuckte, versuchte den Kopf zu heben.
Dairean wünschte sich, er hätte zumindest ein klein wenig Licht, um die Höhle für sie zu beleuchten, aber genauso, wie er nicht im Besitz der Kommunikationsscheibe war, die ihm Imenia genommen hatte, besass er auch keine Waffe mehr, kein Fleisch für Phönix, kein Holz für Feuer, keine Decken gegen die Kälte.
„Ganz ruhig, Ylaria“, sagte er, und versuchte, ruhig zu klingen. „Ganz ruhig. Du bist verwundet. Beweg' dich nicht.“
Ylaria keuchte erneut, ihr Atem klang angestrengt und sie klapperte mit den Zähnen. Und natürlich bewegte sie sich. Dairean konnte nur ahnen, dass sie wohl versuchte, aufzustehen. Ein durchdringender Schmerzensschrei bestätigte seine Vermutung, und belehrte Ylaria. Sie sank aber nicht zurück mit dem Kopf auf seinen Oberschenkel, eher entnahm er dem Rascheln und Scharren auf dem felsigen Boden, dass sie sich versuchte von ihm zu entfernen. „Ich. . .was.. wo..“, stammelte sie, und blieb dann liegen. „Mein Bein.. Arrgh..“
„Ja, dein Bein“, versuchte Dairean wieder ganz leise und ruhig zu sagen. „Bitte, beruhige dich. Wir sind in einer Höhle. Es ist Nacht. Ganz ruhig, Ylaria.“
Ylaria schluchzte leise, ihr Atem ging immer noch schneller. Verdammt, das war gar nicht gut. Er musste kein Heiler sein, um zu wissen, dass sie nicht so schnell atmen durfte. Das erhöhte nur die Panik.
„Ylaria, ganz ruhig, hör mir zu. Konzentriere dich. Ich habe kein Licht. Du bist Magierin. Konzentriere dich. Kannst du ein magisches Feuer herbei beschwören?“, versuchte er sie abzulenken.
Sie schluchzte erneut, und gab keine Antwort, doch Daireans aufmerksame Ohren vernahmen, dass ihr Atem langsamer wurde. Das Klappern der Zähne blieb aber weiterhin aufrecht. Er streckte eine Hand aus, tastete ganz langsam nach ihr, doch fand sie nicht. Er nahm an, dass sie sich in eine sitzende Position aufgerichtet hatte.
Er ächzte, als er seine Beine etwas bewegte und in ihre Richtung kroch. Er kam direkt hinter ihr zu knien, und legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter.
„Ganz ruhig, Ylaria“, wiederholte er, in der Hoffnung, sie würde ihm zuhören. „Du bist hier sicher.“
„K.. k.. kalt“, murmelte Ylaria.
„Ja, es ist kalt. Ich kann es nicht ändern. Aber du. Bitte“, drängte er sie, und legte die andere Hand auf die andere Schulter.
Ylaria tat nichts, klapperte weiter mit den Zähnen. „Schm.. Schmerz.. au.. Ich..“, schluchzte sie, und keuchte erneut auf. Vermutlich hatte sie versucht, sich zu bewegen. Dairean murmelte einen leisen Fluch, und griff dann doch nach der Satteltasche. Nach einem kurzen Moment des Suchens zog er den kleinen Beutel aus der Tasche, die im Moment seinen wertvollsten Besitz beinhaltete.
Blutdistelpulver hatte nicht die Fähigkeit, Verletzungen zu kurieren, oder Schlaf zu bringen. Aber es brachte Entspannung, und bis zu einem gewissen Grad betäubte es auch Schmerzen. Dies rief sich Dairean in den Kopf, als er das Säckchen öffnete, und einen Teil davon auf seine Hand schüttete. Das Säckchen war fast leer.
Ylaria war erschöpft und müde. Er drückte ihr die Hand mit dem Pulver an die Nase, und schloss mit der anderen ihren Mund. Als sie durch die Nase nach Luft schnappte, und gezwungen war, das Pulver die Nase hochzuziehen, konnte er nur hoffen, dass es nicht nur ihre Schmerzen betäuben würde, sondern sie in ihrem Zustand auch etwas wegtreten liesse..

Er hielt sie davon ab, sich mit den Fingern in die Nasenlöcher zu fahren, um sich von dem scharfen und sicherlich auch brennenden Pulver zu befreien. Sie schluchzte, weinte, beschimpfte ihn mit unvollständigen Wortfetzen, doch dann wurde sie langsam ruhiger. Er schloss die Arme um sie, und drückte sie an seine Brust, um sich an ihr zu wärmen. Oder sie an ihm?
< Wie bin ich bloss in diese Situation hineingeraten >, fragte er sich nicht zum ersten Mal an diesem Tag.
Er sehnte den Morgen herbei.

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