Kapitel 24 – Vertrauen durch Schneidern
Ich dachte angestrengt darüber nach, ob ich mich glücklich schätzen oder meine vorlaute Klappe verfluchen sollte, während ich vor der Tür stand und sie anstarrte.
Sie war ungefähr so dick wie meine Hand lang. Ein kleines Fenster war etwa auf Kopfhöhe hineingesägt worden und mit Gitterstäben gesichert. Von draußen drang warme Luft und der typische Lärm einer großen Stadt herein, auch wenn hier mehr Gegrunze als Worte ausgetauscht wurden.
Ich war direkt hierher gebracht worden. Die Orks, und vor allem ihr Anführer, hatten mich sehr deutlich darauf hingewiesen, dass mir die Ehre einer Unterkunft für einen echten Kämpfer zuteil werden sollte. Sie hatten dabei nicht einmal gelacht, und auch wenn mein geräumiges, rundes Zimmer eher spartanisch eingerichtet war, so fehlte es an nichts: Ich hatte ein Bett, einen Hocker samt hölzernen Tisch mit einer einzelnen Kerze darauf und einen Nachttopf, der regelmäßig geleert wurde. Ich brauchte fast zehn Schritt, um von einer Wand zur gegenüberliegenden Seite zu gelangen. Und dennoch war es nichts anderes als eine bessere Gefängniszelle.
Und sie hatten mir, wenn auch eher widerwillig, die Nachtelfe mitgegeben. An’duna saß jetzt auf der federgefüllten Matratze. Sie sah aus, als hätte sie all ihre Kräfte bereits wiedererlangt, aber sie wirkte etwas unsicher, starrte mich eingehend an und wandte sich nur von mir ab, wenn ich ihrem Blick für eine Weile begegnete und genauso biestig dreinschaute wie sie.
Meine Geldbörse war beschlagnahmt und dem Goblin für das zerstörte Schloss gegeben worden. Ich hatte keine Waffen bei mir. Ich hatte nicht einmal etwas zu essen bekommen. Mein Kopf schmerzte mehr denn je, vielleicht wegen der sengenden Hitze, die hier in Orgrimmar herrschte. Das Einzige, das mich gerade wirklich aufheiterte, war das Gesicht von Aritana, das sich mir regelrecht in den Kopf gebrannt hatte.
Ich musste ein paar Mal blinzeln, als ich durch die Gitterstäbe hinaus schaute, bis ich erkannte, dass es nicht die Vorstellung der Blutelfe war, die ich sah, sondern die Frau in Fleisch und Blut. Sie starrte mich mit demselben unversöhnlichen Blick an, mit dem sie mich vor kurzem im Zeppelin-Kerker gestraft hatte, auch wenn sie es schaffte, noch wütender zu wirken. Sogar ihr Haar schien sich ein wenig zu sträuben. »Bist du stolz auf das, was du dir eingebrockt hast, du verfluchter Einfaltspinsel?«
Ein Lächeln zog sich über meine Lippen, als ich mit beiden Händen die Gitterstäbe umgriff und meine Stirn das Eisen berührte. »Aritana! Was für eine Überraschung. Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal zu sehen.«
»Wahrscheinlich ist es auch das letzte Mal! Die Orks werden dich abschlachten!«
»Die Orks sind ein Problem, das ich später beseitigen werde. Erzähl mir lieber, warum du mich so dringend brauchst, kleine Sin’dorei.«
Sie mahlte mit den Zähnen, während sie überlegte, wie viel sie mir sagen konnte oder wollte. Nach einiger Zeit meinte sie mit gefährlicher Ruhe: »Ich hatte erwartet, jemanden mit den gleichen Zielen und Beweggründen wie die meinen zu finden.«
»Bisher scheinen unsere Ziele und Beweggründe sehr weit auseinanderzugehen«, erwiderte ich mit einem breiten Grinsen.
»Hast du dich nie gewundert, wie du von den Bergen in Loch Modan nach Tirisfal gekommen bist, Gregor?«
Die ersten Gedanken sammelten sich und wurden ausgetauscht. Es ging sehr schnell und verblüffend geordnet, vielleicht deshalb, weil Gregor keine rechte Lust verspürte, mit der Elfe zu reden. Natürlich hatte sich der Untote immer wieder darüber gewundert, aber er war nie auf eine vernünftige Lösung gekommen.
»Was hast du damit zu tun?«, brummte ich leise.
»Einfach. Ich habe dich bis dorthin geschafft.« Ihre Stimme war kühl und hatte wieder diesen leicht überheblichen Ton angenommen, von dem ich dachte, dass ich ihn ihr ausgetrieben hatte. »Manchmal frage ich mich, ob ich dich nicht einfach im verdammten Eis hätte verrotten lassen sollen. Die Kälte muss dein Gehirn eingefroren haben, und scheinbar ist es nie aufgetaut!«
»Hör auf, meinen Bruder zu beleidigen, und sag einfach das, was du sagen willst«, knurrte ich sie an.
»Ich will die Nachtelfe tot sehen!«, schrie sie zurück.
Jetzt wachte Gregor auf. Es schüttelte mich regelrecht vor Hass und Wut, meine Hände umklammerten die Eisenstangen dermaßen, dass sie weißer wurden, als sie ohnehin schon waren, oder meine Fingerknochen zu knacken begannen. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Woher sollte ich wissen, dass sich dein Bruder dermaßen um tote Gestalten kümmert?!«
»Rache«, brummte ich leise, wischte dabei Gregor zur Seite und verbannte das Feuer und seine wütenden Schreie irgendwo in meinen Magen, wo es weiter hell loderte und mir regelrecht Schmerzen bereitete. Ich konnte spüren, wie seine Regungen immer wieder auf meinem Gesicht aufblitzten. »Es geht dir um Rache, und Gregor hätte dir dabei helfen sollen. Oh, er ist Feuer und Flamme dafür, soviel steht fest.«
Aritana starrte mich mindestens ebenso hasserfüllt an, wie sich eine Hälfte von mir gerade fühlte. Aber auch wenn Gregor begann, sich selbst zu verzehren, blieb ich so ruhig, wie es mir eben möglich war. »Weißt du, kleine Sin’dorei, mir fällt da ein Problem auf, das mein wutentbrannter Bruder noch nicht bemerkt zu haben scheint. Du hast seine Leiche also bis nach Tirisfal geschleift, damit er wiedererweckt werden kann, schön und gut. Aber er ist nicht an der Seuche gestorben.«
Tatsächlich beruhigte sich Gregor wieder, und seine Gedanken fingen an zu rasen. Ich achtete gar nicht weiter auf ihn, sondern behielt Aritana fest im Blick, die schon jetzt einen kleinen Schritt zurück machte, mir aber noch immer genauso unversöhnlich wie vorhin in die Augen starrte. »Die Seuche ist das, was die Leichen wieder zum Leben erweckt. Natürlich hat noch kein Apotheker es geschafft, eine neue, bessere Seuche zu entwickeln. Bleibt die Frage, wie Gregor auferstehen konnte. Was für ein Zufall, dass du scheinbar einen guten, wenn auch gefährlichen Draht zu Direflesh hattest.«
Ein fürchterlicher Verdacht begann, sich in Gregors Gedankenwelt zu bilden. Ein Verdacht, den ich schon seit einiger Zeit hegte, aber stets vor ihm versteckt gehalten hatte, um Aritanas Leben willen. »Und Direflesh ist ohnehin ein sehr experimentierfreudiger Untoter gewesen. Vielleicht hatte er es ja tatsächlich geschafft, eine neue Seuche zu entwickeln, die man Toten verabreichen kann. Er musste dafür natürlich irgendwie die Seele des Verstorbenen dem Licht entreißen, aber wenn es um Rache geht, verlieren viele Leute jeglichen Skrupel. Und, oh, da fällt mir ein, du warst es auch, der Gregor nochmal getötet hat. Und was dabei herauskam, war ich.«
Die Blutelfe stand inzwischen vier oder fünf Schritt von der Tür entfernt, während ich sie mit ausdrucksloser Miene beobachtete. »Was bedeutet schon ein Leben, nicht wahr? Vor allem das eines Toten. Sie sind ohnehin nur noch hirnlose Geschöpfe, die man nach Lust und Laune manipulieren und benutzen kann. Sie haben keine Ehre und kein Mitleid. Sie sind nur Werkzeuge für deine Rache.«
Das Feuer war erloschen und einer tristen Leere gewichen, die sich immer weiter ausdehnte. »Tut mir leid, Gregor«, sagte ich, während ich die Frau mit freudlosen Augen anlächelte. »Aber irgendjemand musste dir die Augen öffnen.«
Meine zweite Seele schwieg für eine Zeit. Schließlich, als er sich regte und um Erlaubnis bat, machte ich ihm sofort Platz.
»Aritana.«
Die Blutelfe zuckte zusammen, als wäre die eiskalte Stimme eine Klinge, die sie gerade durchbohrt hatte.
»Weißt du, wo die Nachtelfe ist?«
»Ich… ich habe einige Anhaltspunkte -«
»Spuren«, grollte Gregor. »Finde eine Spur. Wenn wir hier draußen sind, dann werden wir die Nachtelfe jagen. Und wenn sie tot ist…«
Ich konnte spüren, wie er mit sich selbst rang. Dort, direkt vor uns und doch gerade unerreichbar, stand jemand, den er ohnehin schon abgrundtief verabscheute. Jetzt hatte er noch sehr viel mehr Grund dazu.
Aber die Wut brauste nicht auf, der Zorn blieb hinter seinen Schranken, und der Hass – der alles verzehrende Hass, der den Untoten immer weiter getrieben hatte – war auf die Nachtelfe, nicht aber auf die Frau auf der anderen Seite der Kerkertür gerichtet.
Die nächsten Worte kamen sehr gedehnt über meine Lippen. »Wenn sie tot ist… dann verschwinde. Und hoffe – bete, dass du mich nicht wieder siehst, bevor mein Bruder mich zurückgeschickt hat. Selbst er wird dich nicht schützen können.«
Ich lächelte erneut. Stolz wallte in mir auf, den Gregor jedoch gekonnt ignorierte. Wir hatten gesagt, was gesagt werden musste. Ohne einen weiteren Blick wandte ich mich ab und ging gemächlichen Schrittes wieder zu meinem Hocker zurück.
»Ich hatte keine Wahl!«, hörte ich die Blutelfe von draußen herein rufen. Nachdem wir nicht antworteten, dauerte es nicht lange, bis sich Schritte von unserer Tür entfernten.
»Jeder hat eine Wahl«, brummte ich leise genug, dass nur ich es hören konnte.
»Außer du«, gab Gregor ebenso verstimmt zurück.
Ich nickte nur, seufzte dann und starrte wieder die Tür an, als hoffte ich, sie würde unter meinem unnachgiebigen Blick bersten.
Das Rascheln ihrer Kleidung lenkte meinen Blick auf die Nachtelfe, die aufgestanden war. Sie trug noch immer ihre dreckige und fleckige Bluse, die zu weit für sie war, immer wieder von ihrer Schulter rutschte und manchmal sogar den Blick auf das Tuch freigab, das sie um ihren Busen gebunden hatte. Ihre Hose flatterte nicht weniger um ihre Beine, und es grenzte an ein kleines Wunder, dass sie ihr nicht ständig um die Knie herum hing. Ihre Hände waren stets damit beschäftigt, die billigen Kleidungsstücke wieder zurecht zu rücken. Mit einem gewissen Missmut nahm ich zur Kenntnis, dass Untote zwar nicht mehr sonderlich viel auf nackte Haut gaben, aber dennoch ziemlich gut wussten, wie man eine Frau demütigen konnte.
»Du bist ein Priester des Lichts?«, fragte sie in ihrer Muttersprache.
Ich nickte, während ich meinen Blick wieder zurück auf die Tür konzentrierte. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Und vielleicht würde ich es ja tatsächlich schaffen, ein Loch hinein zu brennen, wenn ich sie nur scharf genug ansah.
»Untote können keine Priester des Lichts sein.«
Ich zuckte mit den Schultern. Ich konnte schwören, dass sich die Tür unter meinem Starren kaum bemerkbar verbog.
»Du bist ein Hexer«, murmelte sie mit einer gewissen unterdrückten Wut in ihrer Stimme. »Du bist einen Handel mit Dämonen eingegangen.«
Dieses Mal öffnete ich meinen Mund und grunzte angestrengt. Die Delle, auf die ich gerade starrte, war vorhin doch noch nicht da gewesen, oder?
Ihre Hände packten meinen linken Arm, und ihr Knie rauschte nur einen Wimpernschlag später heran. Der Knochen barst regelrecht unter dieser brachialen Attacke. Ich schrie voller Schmerzen auf, kippte vom Stuhl und schaute erst entsetzt meinen jetzt nutzlosen Arm, dann die Nachtelfe an, die über mir stand und mich erbarmungslos betrachtete.
»Heile dich.«
Nicht einmal, als Gordo mich aus meinem Sarg befreit hatte, hatte ich solche Schmerzen gespürt. Der Knochen musste in unzählige Splitter zerfallen sein, die sich jetzt nach Lust und Laune in mein totes Fleisch bohrten und darin herumwühlten. Mit zusammengepressten Zähnen setzte ich mich hin und achtete dabei darauf, dass ich meinen Arm nicht bewegte. »Du… du verdammte…«
»Ich habe dir gesagt, traue keiner Nachtelfe«, zischte Gregor voller Hass unter meinem Atem hervor. Allmählich hatte ich das Gefühl, dass ich öfters auf meinen Bruder hören sollte.
»Du hast mich geheilt«, sagte An’duna, wobei sie direkt vor mir in die Hocke ging. Ihre silbernen Augen glänzten im Sonnenlicht, das durch das kleine Fenster hinein und direkt auf ihr Gesicht fiel. Es hatte etwas Wahnsinniges an sich. »Heile dich selbst.«
»Warum?!«, schnarrte ich. »Was willst du sehen?«
Anstelle von einer Antwort schlug sie einfach auf meinen verletzten Arm. Es fühlte sich an, als würden sich tausende kleine glühende Nadeln in mich hinein fahren und sich daran erfreuen, mir unendliche Pein zuzufügen.
»Ich kann nicht!«, brüllte ich sie an.
»Warum?«
»Weil ich mein ganzes Mana dafür aufgebraucht habe, dich zu heilen, du dumme -« Ich biss mir auf die Zunge, ein bisschen stärker, als ich eigentlich beabsichtigt hatte, und zu allem Überfluss begann schwarzes Blut meine Zähne einzufärben.
Sie blickte mich forschend an, vielleicht in dem Bestreben herauszufinden, ob ich sie anlog oder ob ich die Wahrheit sagte.
»Warum tötest du mich nicht?«
Für einen Moment ließ ich von meinem Arm ab und starrte sie vollkommen entgeistert an. Erst, als ich merkte, wie Blut zäh zwischen meinen Lippen hervor drang, regte ich mich wieder. »Warum sollte ich dich töten wollen?«
»Du wolltest mich fressen!«
»Ich – was? Nein, ich wollte überleben! Was hast du erwartet, dass ich tun würde, mich zurücklegen und darauf warten, dass mir die Luft endgültig wegbleibt?!«
»Dann werde ich dich jetzt töten, Dareth Twosouls.«
Ich musste ein paar Mal blinzeln, bis ich verstand, was die Frau sagte. Sie musste verrückt sein. Oder eine Fanatikerin. Wahrscheinlich beides.
»Dann tu es«, brummte Gregor aus mir hervor und blitzte sie mit wütenden Augen an. »Ehrloses Spitzohr«, fügte er hinzu und spuckte dabei einen Schwall schwarzen Bluts direkt vor ihre Füße.
Ihre Hände, die sich bereits meinen Hals genähert hatten, verharrten. Ihre kühle Miene wurde lebendig, und Wut spiegelte sich darin. »Was weiß ein Untoter schon von Ehre! Du weißt nichts! Die Natur ist gütig und doch grausam, und nur der Stärkste überlebt!«
»Dann hätte ich dich also in der Zelle lassen sollen?«, spie ich ihr nicht minder wütend entgegen. Und Gregor ergänzte: »Schließlich warst du dumm genug, um dich von einem ehrlosen Untoten gefangen nehmen zu lassen, oder nicht?!«
Die Tür knallte auf. Ein voll gerüsteter Ork, dieses Mal sogar mit einem gehörnten Helm auf dem Kopf, und gezogener Streitaxt stand halb in unserem Zimmer und nahm die Situation innerhalb weniger Sekunden in sich auf.
Gerade, als er seinen Mund öffnen wollte, unterbrach ich ihn bereits. »Kein Grund zur Sorge«, plärrte ich ihn mindestens genauso laut an wie vorher die Nachtelfe, die jetzt ein wenig unschlüssig vor mir stand, sich dann daran erinnerte, wie ihre Hände noch immer nach meinem Hals verlangend ausgestreckt waren, und ihre Arme rasch fallen ließ. Ich warf ihr einen erzürnten Blick zu, während ich meinen Arm so gut wie möglich vom Blick der Wache abschirmte. »Meine Mahlzeit ist nur ein wenig bockig. Wenn ich ein Messer hätte, wäre das alles natürlich sehr viel einfacher.«
Der Ork schaute mich noch für einige Sekunden scharf an, bevor er ein verächtliches Grunzen hören ließ. Die Worte »Verdammte Untoten!« drangen noch von draußen nach innen, als er die Tür hinter sich zuzog und wieder seinen Wachposten bezog, der gleich in der Nähe sein musste.
Wir schwiegen und lauschten. Als wir uns sicher waren, dass sich niemand mehr bei unserer Tür aufhielt, schnaubte ich verächtlich. »Ich habe deinen violetten Hintern gerettet«, schnauzte ich An’duna an, wobei ich mich aufrappelte und schwankend auf die Beine kam. »Ohne mich wärst du wahrscheinlich jetzt schon in der Arena und würdest sterben. Ist es das, was du willst, du verfluchtes Spitzohr? Einen ehrenvollen Tod? So etwas gibt es nicht!«
Sie beobachtete jede meiner Bewegungen, und ihre Finger zuckten noch immer verlangend. »Ich werde dich aus einem sehr einfachen Grund nicht töten, An’duna: Ich bin kein verfluchter Untoter! Ich hasse dich nicht, ich will nicht in deinem Blut baden, und auch wenn du verdammt gut schmeckst, werde ich dich nicht fressen! Sollte das nicht in dem Platz zwischen deinen langen Ohren ankommen, solltest du wirklich so unsagbar dämlich sein und nicht wenigstens versuchen, dein Schicksal ein klein wenig zu verbessern, dann wird sich Gregor gerne um dich kümmern, Arm hin oder her!«
Ich war mir nicht sicher, wie viel sie verstand. Die Sprache der Nachtelfen war nicht für eine solch brutale und direkte Art ausgelegt, und ich wechselte immer wieder in die Gemeinsprache, um mir einige Worte daraus zu borgen. Das Resultat ließ mich vor Wut schnaufend und Gregor voller Erwartung zurück, wogegen die Frau mit versteinerter Miene schwieg.
Schließlich, nachdem ich sie für eine Weile angestarrt, dann fluchend und zeternd den Hocker geholt und mich darauf niedergelassen hatte, fragte sie leise: »Wer bist du?«
Ich stöhnte wehleidig auf. »Bei allem, was dem Licht heilig ist, wieso stellt jede Frau, der ich begegne, diese Frage… Ein Priester des Lichts«, sagte ich, während ich versuchte, den Schaden an meinem Arm zu begutachten, »und ich stecke in einem Körper, der mir nicht gehört, zusammen mit der Seele, dem er gehört.«
Ihr Blick sagte aus, dass sie nicht wirklich viel davon nachvollziehen konnte, aber das war mir im Moment ziemlich egal. Jede Berührung schmerzte, jede Bewegung zu viel war eine unnötige Qual. Und beides verdankte ich einer Nachtelfe, die scheinbar herausfinden wollte, warum ich sie nicht einfach hier und jetzt bis auf die Knochen auffraß, und anstatt zu fragen, wollte sie mich anscheinend dazu bringen, genau das zu tun!
»Wie ist das möglich?«
»Beim Licht, du hast Recht! Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt!« Könnte Sarkasmus Ohrfeigen verteilen, wären nun beide Wangen der Frau rot und geschwollen. Natürlich wusste ich auch zu gewissen Teilen, was mit mir geschehen war, aber ich sah es nicht im Geringsten ein, die Nachtelfe in mein Geheimnis mit einzuweihen.
»Wieso hast du mich befreit?«
»Das ist allerdings eine Frage, die ich mir wirklich selbst stelle«, giftete ich zurück. »Jetzt mehr denn je, um genau zu sein. Was wolltest du mit deinem kleinen Experiment herausfinden? Ob ich ein jähzorniger, blutgieriger, wandelnder Leichnam bin? Bist du überhaupt schon mal Untoten begegnet?«
»Ja.« Ihre Stimme war kalt wie ein Eiszapfen im höchsten Norden. Und mir fiel sogar ein, warum sie so frostig antwortete: Die Orks hatten sie von Untoten erhalten. Natürlich kannte sie Untote. Das Licht allein wusste, wie gut sie die Untoten kannte. Wahrscheinlich viel zu gut. Um genau zu sein, wunderte ich mich jetzt fast schon, dass sie noch so heil aussah.
Ich seufzte leise, richtete mich ein wenig auf meinem Hocker auf und schaute ihr offen ins Gesicht. »Es tut mir leid. Ich habe nicht nachgedacht, bevor die Worte meinen Mund verließen. Aber ich hatte dir schon gesagt, ich bin anders. Ich habe einige ihrer Wesenszüge an mir, aber ich bekämpfe sie. Ich bin nicht dein Feind, An’duna.«
»Wie kannst du nicht mein Feind sein, wenn du genauso aussiehst wie er?«
Ich fühlte mich todmüde. Es waren vielleicht eine oder zwei Stunden vergangen seit meiner kräftezehrenden Heilung auf dem Luftschiff. Ich wollte schlafen – oder einfach nur herumliegen und ruhen – und dabei sichergehen, dass ich danach wieder mit meinem Kopf an meinem Rumpf aufstehen würde. Ich fragte mich inzwischen ernsthaft, was mich dazu bewogen hatte, die Nachtelfe mit in mein Zimmer zu schleifen…
Gregor hatte eine Antwort parat. »Was ist dann mit Illidan Stormrage? Er war ein Nachtelf. Jeder weiß, was aus ihm geworden ist.«
Ein Handlanger, um genau zu sein. Ein Handlanger für die Dämonen der Brennenden Legion, ein Dämon selbst, das Beispiel überhaupt dafür, dass niemand wirklich vor Korruption und Versuchung gefeit war, nicht einmal das reinsten Volk, das jemals existiert hatte. Eine bunt zusammengewürfelte Heldengruppe hatte ihn erschlagen, und niemand konnte sagen, wie sie das bewerkstelligt hatten. Sie waren in Kompaniestärke – 40 Männer und Frauen – ausgerückt und überraschenderweise ebenso zurückgekehrt, und der Tod des verhassten Dämons war überall, von der Allianz ebenso wie von der Horde, gefeiert worden.
Gregor mochte die Geschichte des Nachtelfen. Sie hatte etwas herrlich Erniedrigendes an sich.
»Er sah aus wie einer der euren« drängte ich auf An‘duna ein, als ich glaubte, erste Zweifel in ihren Augen aufblitzen zu sehen. »Und er war so weit entfernt davon, einer zu sein.«
Sie tat sich merklich schwer, mir Glauben zu schenken. Ihre sonst sehr starre Miene bekam dennoch erste Risse, als in ihr der Kampf begann.
»Lass mich ruhen, An’duna. Und später werden wir uns unterhalten. Und ich werde dir alle deine Fragen beantworten, so gut ich kann.«
Ich schleppte mich zum Bett, wo ich mich vorsichtig darauf legte, nicht ohne ungeheure Schmerzen erleiden zu müssen. Wenn ich den verdammten Arm wenigstens hätte schienen können…
»Du hast Angst.«
Ich öffnete erneut meine Augen und starrte die Decke an. Sie war hoch genug, dass man nicht heran kam, nicht einmal dann, wenn man auf den Tisch gestiegen wäre, und bestand aus der Unterseite von roten Ziegeln, welche zugleich das Dach bildeten.
Ich wollte nicht einmal wissen, woher sie das wusste.
»Du hast mir genügend Gründe gegeben, Angst zu haben.«
»Untote kennen keine Angst. Sie kennen nur Hass.«
Ich schloss die Augen wieder. »Du kennst die Antwort, Tochter der Elune.«
Der dicke Sonnenstrahl, der durch das Fenster in unser Zimmer fiel, wanderte mit der Zeit über die Wand. Er war praktisch eine Sonnenuhr; das Einzige, das fehlte, waren die entsprechenden Markierungen auf dem Holz. Ich beobachtete ihn immer wieder, darauf wartend, dass meine magischen Kräfte von alleine zurückkehren würden. Angeblich konnte man es mit entsprechenden Mitteln wie Mana-Tränken oder anderen Gebräuen beschleunigen, aber ich hatte keine Lust, meine Wärter darauf aufmerksam zu machen, dass ich zaubern konnte. Das Schloss der Zelle etwa war einfach unter der Wucht meiner mächtigen Faust in Tausend Stücke zersprungen.
Niemand hatte es mir abgekauft, aber jeder hatte sich mit dieser Erklärung zufrieden gegeben.
Die Nachtelfe hatte sich in der Zwischenzeit den Hocker genommen, an das Ende des Bettes gestellt und sich darauf gesetzt. Seitdem starrte sie mich an wie eine Eule, die ihre Beute fest im Blick behielt. Ich ignorierte sie, so gut ich konnte, aber das war nicht lange möglich. Wenn man unter Beobachtung stand, vor allem unter solch eingehender, wurde man zwangsläufig nervös.
Ich seufzte also leise, richtete mich halb auf, so dass mein strohgefülltes Kissen in meinem Rücken war, und schaute sie an. »Was ist, An’duna? Noch immer am überlegen, ob du mich vielleicht doch im Schlaf meucheln solltest?«
Ihre silbernen Augen blitzten verärgert auf. »Auch wenn es unnatürliche Bastarde wie du verdient hätten, Dareth, werde ich es vorerst nicht tun.«
»Und warum nicht?«
»Ich muss nachdenken.«
»Über das, was ich dir gesagt habe, hoffe ich?« Ich grinste sie breit an, und Gregor sprang mir mit neckender Stimme zur Seite: »Vielleicht siehst du ja ein, dass wir Recht haben. Wunder soll es immer wieder geben.«
Ihre langen Ohren zuckten regelrecht, als sie meine zweite Seele vernahm. »Wer bist du?«, fragte sie misstrauisch.
»Der eigentliche Besitzer dieses Körpers. Ich habe ihn meinem Bruder zur Verfügung gestellt, wenn auch eher unfreiwillig.«
»Gregor ist ein echter… Untoter«, fügte ich entschuldigend hinzu. »Ich treibe es ihm langsam aus.«
»Wie willst du ihn davon abhalten, ein Untoter zu sein?«
»Nun, ich habe ihn schon davon abgebracht, dir einfach die Kehle durchzubeißen«, erwiderte ich in einem möglichst sachlichen Ton. »Und sogar seine alte Feindin – die Blutelfe aus dem Kerker – könnte mit ihrem Leben davonkommen, wenn sie keinen Fehler begeht. Dafür, dass Untote angeblich alles Leben vernichten wollen, sind wir wohl auf dem richtigen Weg.«
An’duna schwieg wieder für eine Weile, in der ich versuchte, es mir möglichst gemütlich zu machen. Die Matratze war viel zu weich und ungewohnt, aber ich zog sie dem erhitzten Boden auf jeden Fall vor.
»Woher soll ich wissen, ob ich dir trauen kann?«
Jetzt horchte ich auf. Ihre Miene hatte sich nicht verändert, aber ihre Augen…
Ich lehnte mich wieder ein wenig zurück, legte mir meine Worte zurecht und versuchte es dann mit einem schmalen Lächeln. »Du weißt es genauso gut wie ich, ob ich dir trauen kann.«
»Du könntest es alles nur vortäuschen. Zwei Seelen in einem Körper – niemand ist dafür geschaffen!«
»Warum hätte ich dich dann aus deinem Kerker retten sollen? Ich hätte von dem Luftschiff verschwinden können. Ich hätte mitten zwischen den Orks hindurch und davonstürmen können. Stattdessen bin ich zurückgeblieben und habe dich geheilt.«
»Weil du Übles im Schilde führst, wie alle Untoten.«
»Ich weiß nicht, ob ich Hilf der blutenden Nachtelfe, die ohne deine Hilfe verrecken wird als Übel bezeichnen würde.«
»Eine Wunde, die du mir zugefügt hast.«
»Weil du mich töten wolltest.«
Die Frau schaute mich unversöhnlich an, beugte sich dann ein wenig nach vorne, wobei ihre Bluse wieder einmal verrutschte, und meinte trocken: »Ich weiß nicht, ob man es töten nennen kann, wenn man die Natur von einem Untoten befreit.«
Ich guckte sie perplex an, und dann fing ich an zu lachen. Selbst Gregor konnte nicht anders, als zumindest ein breites Grinsen beizusteuern. »Hätte nicht erwartet, dass eine Nachtelfe zu so etwas wie Humor fertig ist. Wie alt bist du?«
Sie zögerte nur den Hauch einer Sekunde. »Hundert -«
»Lüge«, kommentierte Gregor mit einem breiten Grinsen. »Versuch es erst gar nicht, mich zu belügen. Ich bin ein ausgebildeter Meuchelmörder und Informationsbeschaffer. Ich weiß, wann Untote zu mir lügen, und sie sind verdammt gute Lügner. Du bist wie ein offenes Buch für mich.«
Röte kroch der Nachtelfe auf die Wangen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich An’duna jemals erröten sehen würde, zumindest nicht so früh. Aber Gregor schien ein Händchen für Frauen zu haben. Abgesehen vielleicht von weiblichen untoten Wachen, mit denen er anbandeln wollte.
»50 Jahre.«
Gregor ließ eine meiner Augenbrauen nach oben wandern, was ein seltsames Gefühl war, wenn man es nicht selbst tat.
»26«, gab sie sehr leise zu.
»Nachtelfen werden einige Hundert Jahre alt«, sagte ich relativ beiläufig. »Du bist also noch so etwas wie ein Kind?«
Ihre Augen wurden hart. Ich glaubte allmählich zu verstehen, was sie antrieb. Sie war sehr jung für eine Nachtelfe, und sie suchte nach einem Weg, sich zu beweisen. Dass sie irgendwie in die Gefangenschaft von Untoten geraten war, musste ihr einen mächtigen Dämpfer verpasst haben. Jetzt versuchte sie wohl erst recht mit allen Mitteln, sich und der ganzen Welt zu beweisen, dass sie etwas wert war.
»Was haben die Untoten mit dir gemacht, als du in ihrer Gefangenschaft warst?«
Ihre Miene blieb unnachgiebig, aber ihre Ohren verrieten sie mit einem nervösen Zucken. Sie wollte nicht darüber sprechen.
»Apotheker?«, brummte ich missmutig.
Sie nickte, langsam.
»Verdammten Schweinehunde. Ohne sie wäre ich beim Licht und Gregor… Gregor wäre irgendwo anders. Weißt du, warum sie dich an die Orks verschenkt haben?«
Sie schüttelte vorsichtig ihren Kopf.
»Haben sie dir irgendwelche Tränke eingeflößt?«
Sie nickte wieder.
Das große Puzzle, das sich vor mir ausbreitete, nahm langsam Struktur an. Die Hauptaufgabe der Apotheker war es, eine neue Seuche zu entwickeln, so hatte es mir Direflesh einmal in einem unserer kleinen Gespräche geschildert. Sehr viel mehr wusste er auch nicht, aber die Vermutung lag nahe, dass Sylvanas Windrunner gerne über die gleiche Macht gebieten würde, die der Lichkönig Arthas innehielt: ein Heer von dummen, zahn- und klauenbewehrten Untoten, die sich auf ihr Kommando hin in den Kampf stürzten.
Und jetzt schenkte man eine Nachtelfe – und Nachtelfen heranzubekommen, war auch für Untote nicht einfach – einfach so an die Orks, um sie in der Arena sterben zu lassen, wahrscheinlich als ein Zeichen des guten Willens zu den Verbündeten in der Horde. Und wenn sie erst einmal tot war, wer wusste dann schon, was mit ihrem Leichnam geschehen würde. Vielleicht gar nichts; vielleicht würden aber auch schon bald sehr grässliche Krankheiten durch Orgrimmar kursieren…
Mitleid kam in mir auf. Wer wusste schon, was sie ihr verabreicht hatten. Vielleicht war es wie bei mir gewesen, und sie hatte nicht einmal Schmerzen gespürt. Aber Gregor sagte mir bereits, dass ich mit meinem Wunschdenken aufhören sollte und genauso gut wie er wusste, wie gerne die Apotheker ihre Versuchskaninchen quälten.
Verdammte Untoten. Ohne sie wäre die Welt wirklich ein besser Platz. Und selbst Gregor stimmte mir zu.
Ich beobachtete sie kurz, wie An’duna wieder einmal versuchte, ihre Bluse zurecht zu rücken. Ein Gedanke kam mir, den Gregor sehr schnell als weibisch und geradezu peinlich verwarf, bei mir aber hängen blieb. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr musste ich lächeln.
Zuerst musste ich jedoch meinen Arm heilen. Ich horchte in mich hinein, auf der Suche nach dem Mana, das sich irgendwo in mir befand und auf meinen Ruf hin antwortete. Ich war mir nicht sicher, ob es reichen würde, aber ich hatte keine rechte Lust, noch länger zu warten. Ich war kein sehr geduldiger Mensch gewesen, außer bei meiner großen Liebe, und der Tod hatte nichts daran geändert.
Der Stich kam nicht direkt unerwartet, war deshalb aber nicht weniger schmerzhaft. Meine Liebe…
Ich scheuchte die Bilder ihres bleichen Gesichts hinfort und konzentrierte mich auf meinen Arm. Ich wusste nicht genau, ob ich Schmerzen erleiden oder ob sich alles einfach magisch zusammenfügen würde.
Die Antwort war schlimmer, als ich sie mir hätte vorstellen können. Nicht nur, dass Gregor wieder mit der Lichtmagie gequält wurde, die seinem ganzen Wesen so zuwider lief; ich konnte spüren, wie die Knochensplitter aus meinem Fleisch heraus wanderten, sich an meinen Muskeln vorbei zwängten und wieder an ihren angestammten Platz zurückkehrten. Ich grunzte und stöhnte, während ich zusah, wie das hell schimmernde Licht meinen gesamten Arm erfasste und ihn wieder richtete, nahe daran, aufzugeben und es lieber später noch einmal zu versuchen. Aber Gregor und ich waren uns einig, dass wir diese Schmerzen nicht noch einmal erleben wollten, also nahmen wir unsere Kräfte zusammen und sorgten dafür, dass alles in seine Ordnung kam, egal, wie lange es dauerte oder wie sehr wir mit den Zähnen mahlen mussten, um nicht aufzuschreien.
Ich konnte nicht sagen, wie lange es dauerte. Als ich fertig war, konnte ich meinen Arm wieder wie gewohnt bewegen, aber es fehlte schlicht die Kraft dazu, ihn in die Höhe zu halten. Ich fühlte mich so ausgemergelt wie ein Hund, dem man seit Wochen nichts mehr zu essen gegeben hatte. Als ich einen müden Blick auf An’duna schmiss, fiel mir auf, dass sie mich neugierig anschaute. »Es tut weh?«
Ich lächelte gequält und nickte. »Hat es bei dir nicht weh getan?«
»Nein. Es hatte sich… gut angefühlt.« Sie sagte den letzten Teil mit einer gewissen Zurückhaltung, als wüsste sie nicht so recht, ob sie damit nicht sich selbst oder gar ihre ganze Rasse verriet.
Ich schwang noch immer stöhnend meine Beine vom Bett herunter und versuchte zitternd aufzustehen. »Gregor war für eine gewisse Zeit ein Hexer gewesen. Scheint so, als würde seine Seele im heiligen Licht verbrennen, wenn ich es herbei rufe.«
Ihre Augen wurden tatsächlich ein wenig größer. »Auch, als du mich geheilt hast?«
»Immer.«
Ich humpelte mehr, als das ich ging, aber ich erreichte die Tür, ohne hinzufallen. Drei Mal ließ ich meine Faust auf das Holz niederfahren, und es zeigte umgehend Wirkung. Das grüne und helmbewehrte Gesicht des Orks tauchte vor dem Fenster auf. »Ja?«, grunzte er.
»Ich will etwas zu essen für mein Essen«, bat ich ihn mit möglichst freundlicher Stimme. »Etwas zu trinken wäre ebenfalls erwünscht. Und besorg mir violetten Stoff, Schere, Faden und eine Nadel.«
Bis hierher hatte der Ork noch keine Regung gezeigt. Beim Stoff allerdings zogen sich seine buschigen Augenbrauen zusammen, und einige Falten zeigten sich auf seiner Schnauze. »Stoff? Wozu?«
»Meine Sorge. Kannst du dich darum kümmern oder nicht?«
»Nicht ohne eine angemessene Spende.«
Ich seufzte innerlich und verdrehte ein wenig die Augen. Wachen waren überall dieselben: korrupt und nur auf sich selbst bedacht. Es gab natürlich auch die eine oder andere Ausnahme, wie etwa die Untoten. Sie waren nur darauf bedacht, das Leben ihrer Gefangenen zur Hölle zu machen.
»Gibt es Wetten beim Arena-Kampf?«
Der Ork nickte.
»Dann werde ich dir die Hälfte meines Wetterlöses geben.«
Die Wache fing an zu grinsen. »Willst auf deinen Tod setzen?«
»Dann hätte ich ja nichts davon«, erwiderte ich kühl. »Ich wette natürlich auf meinen Sieg. Und jetzt besorg endlich die Sachen, oder ich werde mich sehr eingehend mit meinem weißhaarigen Freund unterhalten, wenn er mich einmal wieder besucht.«
Die Erwähnung des Anführers des Orktrupps ließ die Wache eine Verwandlung durchgehen. Er war nicht teil des Trupps gewesen und hatte nur gesehen, dass ich mich mit dem Ork sehr angeregt unterhalten hatte, als er mich in meine Zelle gebracht hatte. Wie viel Einfluss ich hatte, konnte er nicht wissen, sondern nur raten. Und wie jede andere korrupte Wache an seiner Stelle war er der Meinung, dass die Gefahr, in Ungnade zu fallen, größer war als die Mühe, meine relativ einfache Bitte zu erfüllen. Etwas unzufrieden vor sich hin grunzend, trollte er sich und marschierte zu einem kleineren Ork gleich in der Nähe, den er lautstark anbrüllte und der nur wenige Sekunden später Hals über Kopf davon rannte.
Grinsend wandte ich mich von der Tür ab und schleppte mich wieder zum Bett zurück, um mich darauf niederzulassen. An’duna hatte sich die ganze Zeit über nicht bewegt, sondern mich nur starr angeschaut. Jetzt räusperte sie sich. »Gibt es mehr Untote wie du?«
Ich musste nicht einmal überlegen, um diese Frage zu beantworten. »Nein, nicht mehr. Es gab eine Frau, die wohl so war wie ich.«
»Was ist aus ihr geworden?«
Das Gesicht Inessas, wie die schwarze Träne ihrer Wange hinablief und auf meine Finger tropfte, trat so klar vor meine Augen, als wäre es gerade erst geschehen.
»Sie ist tot«, erwiderte ich schwach und zugleich mit einer gewissen Bestimmtheit in meiner Stimme. An’duna verstand wohl den Wink, denn sie bohrte nicht weiter nach. »Was hast du zu der Wache gesagt?«
»Sie wird dir etwas zu Essen und zu Trinken bringen, und noch ein paar andere Sachen. Es sollte nicht allzu lange dauern.«
Tatsächlich warteten wir nur gefühlte fünf Minuten. Ein höfliches Klopfen kündigte an, dass jemand eintreten würde, und der kleine Ork schritt durch die sich öffnende Pforte. Er sah aus, als wäre er etwas außer Atem, und in seiner Hand hielt er einen schlichten Korb, aus dem ein brauner Laib Brot und eine kopfgroße grüne Frucht herausschaute. Der Hals einer Flasche blitzte im Sonnenlicht, und der Geruch von Fleisch, das sich irgendwo im Korb versteckte, stieg mir in die Nase.
In der anderen Hand hielt er einen Ballen violettes Tuch, das dem Anschein nach nicht der besten Qualität entsprach, aber dennoch widerstandsfähig und nicht zu dick sein würde. Zwischen seinen Fingern hielt er außerdem eine Schere und ein Fadengarn, in dem eine kleine Nadel steckte, die ebenso wie die Flasche funkelte.
»Leg den Stoff und das Garn auf den Tisch, mein Freund. Den Korb kannst du der Elfe geben. Und nimm dir ein gutes Stück Fleisch raus, das hast du dir verdient.«
Tatsächlich zeigte sich ein Lächeln auf dem hauerbewehrten Mund des Orks. Gehorsam kam er meiner Aufforderung nach, holte eine gebratene Hühnerkeule aus dem Korb heraus und marschierte dann wieder zur Tür, die er hinter sich zuzog und gewissenhaft den Riegel vorschob.
An’duna betrachtete mit einem gewissen Zurückhaltung den Korb, der jetzt direkt neben ihr stand, und holte schließlich einen kleinen, grünen Apfel heraus. »Danke«, murmelte sie, bevor sie hinein biss.
»Gerne. Jetzt zieh deine Bluse und deine Hose aus.«
Der Bissen blieb ihr fast im Hals stecken. Sie hustete, schluckte schwer, hustete noch ein wenig mehr und starrte mich dann entgeistert an.
Ich verdrehte genauso die Augen, wie ich es erst kurz vorher bei der Wache getan hatte. »Stell dich nicht so an. Die Klamotten sitzen so locker, dass sie mehr entblößen, als sie verbergen.«
Sie errötete schon wieder. Es war erstaunlich, wie einfach das Mädchen, das kurz vorher noch so eiskalt und unnahbar herüber gekommen war, aus der Fassung zu bringen war. Und vor allem, mit welchen Themen.
»Zieh die Fetzen aus, lass mich Maß nehmen, und ich versuche, dir ein Kleid zu schneidern. Mehr nicht.«
Natürlich reichte diese Begründung nicht. Ich verstand durchaus, dass sie sich ungerne entkleiden mochte, erst recht nicht direkt vor einem stinkenden Untoten, der ihr kurz vorher in den Arm gebissen hatte. Aber es brauchte nur einen Gedanken, um Gregor dazu anzustacheln, ihr einige anzügliche Kommentare an den Kopf zu schmeißen, die allesamt mit ihrer geflickten Kleidung zu tun hatten. Ich konnte ihr regelrecht ansehen, wie sie immer mehr mit sich selbst rang, bis sie schließlich mit hochrotem Kopf aufgab.
Sie war hübsch, das konnte man ihr nicht absprechen. Als sie nur in ihrer Unterwäsche bekleidet vor mir stand, den einen Arm schützend vor ihrem Busen haltend, die andere Hand vor ihrer Scham, betrachtete ich sie eingehend von oben bis unten. Sie machte einen zierlichen Eindruck und war nur ein klein wenig größer als ich selbst. Allerdings wusste ich auch aus eigener Erfahrung, dass sie sehr viel stärker war, als ihr Aussehen vermuten ließ.
Ich nahm den Stoffballen zur Hand, rollte einige Schritt davon ab und fing an, sie um ihre Schulter zu legen und von dort nach unten fallen zu lassen. Gregor begnügte sich damit, mich als Waschweib zu beschimpfen, während ich zum merklichen Unbehagen der Nachtelfe hier und dort den Stoff glatt strich und sie prüfend musterte. Dann schnitt ich mit der Schere die richtige Länge ab, legte den übriggebliebenen Ballen zur Seite, deutete auf das Bett und sagte: »Setz dich, das wird eine Weile dauern.«
Sie hastete augenblicklich dorthin, nahm die dünne Decke, die auf der Federmatratze lag, und warf sie sich um. Ihr Blick war niedergeschlagen, als würde sie sich schämen, mir jetzt noch in die Augen zu sehen.
Ich nahm meinerseits auf dem Hocker Platz, legte die Schere neben mir ab und ergriff Nadel und Faden. »Sind Elfen nicht wesentlich freizügiger als Menschen?«
»Untote -«
»Ich bin kein Untoter, An’duna.«
»Seltsame Wesen«, schnauzte sie, »haben kein Recht darauf, mich so zu sehen.«
»Nun, wenn das Kleid fertig ist, kannst du es anprobieren, und wenn es dir nicht gefällt, kannst du gerne wieder deine alten Kleider tragen. Ob das besser ist, sei dir überlassen.«
Sie war kurz davor, etwas zu erwidern, überlegte es sich dann aber doch anders und schaute mich böse an. »Du hast mir keine Wahl gelassen.«
»Wir haben dir nur gesagt, was wir sehen«, antwortete Gregor gehässig. »Ich glaube, die Huren in Stormwind tragen sehr ähnliche Kleider wie jene, die du anhattest. Die billigeren, natürlich, welche in den ärmeren Vierteln ihr Geld verdienen. Du weißt, was eine Hure ist?«
Ihr finsterer Blick sprach Bände. Gregor lachte ein wenig, bevor ich ihn wieder zurück in mich hinein verbannte und die Nachtelfe entschuldigend ansah. »Ich glaube nicht, dass ich viel gegen seinen Humor ausrichten kann.«
Ich widmete mich wieder dem Stoff und fing an, mit der Nadel die ersten Schulterstücke aneinanderzunähen. Es würde nicht einfach werden, das Kleid aus einem einzigen Stück zu schneidern, aber es würde besser aussehen, als wenn ich viele Stücke einfach nur aneinander packte wie einen Flickenteppich.
»Woher weißt du, wie man Kleider schneidert?«
»Eine gute Frage.« Meine Finger bewegten sich wie von selbst, und ich konnte ihr immer wieder einen Blick zuwerfen. »Ich glaube, es früher schon einmal getan zu haben, als ich noch ein Mensch war…«
Der Leichnam meiner Liebe tauchte wieder vor mir auf. Das Kleid, in dem sie begraben lag, war schlicht gewesen, nicht einmal sonderlich anders als jenes, das ich im Sinn hatte. Ich seufzte leise. »Jedenfalls sollte es dir besser stehen als diese Stofffetzen. Und womöglich solltest du ein Bad nehmen.«
Damit hatte ich An’duna wohl vollkommen auf dem falschen Fuß erwischt. Sie schaute mich an wie ein Eichhörnchen, wenn über seinem Kopf ein Donnergrollen hinweg zog.
»Ich kann mir natürlich nicht so recht vorstellen, wie scheußlich ich riechen muss«, fügte ich hinzu, während ich den Stoff ein wenig anhob und mit einem knöchernen Finger prüfend die Naht entlang fuhr. »Aber es muss einige Zeit her gewesen sein, seitdem du dich das letzte Mal waschen konntest. Soweit ich mich erinnere, haben Nachtelfen immer sehr gerne und ausgiebig gebadet. Es hat sie nicht einmal gestört, wenn man ihnen dabei zusah.«
»Woher willst du das wissen, Dareth?«, fragte sie entrüstet. Eine gewisse Sehnsucht schwang in ihrer Stimme mit und nahm ihr damit einiges ihrer Schärfe.
Die Bilder, die in mir aufstiegen, ließen mich verträumt lächeln. Da war sie, meine Liebe, wie sie lachend in einem natürlichen Becken plantschte, das etwas oberhalb von einer warmen Quelle gespeist wurde. Mächtige Bäume standen um uns herum, deren Kronen sich schützend über uns zu einem einzigen, riesigen Blätterdach vereinten. Und einige Nachtelfen hatten sich ihr angeschlossen, waren ebenso nackt wie sie in das Becken gesprungen und bespritzten sich jetzt gegenseitig mit Wasser, scheinbar ohne von mir Notiz zu nehmen. Und mir wurde im Angesicht dieser Menge an nackter Haut sehr, sehr heiß…
»Sagen wir einfach, dass ich es hautnah miterleben konnte, als ich noch nicht in diesem Körper gesteckt habe.«
Es fühlte sich gut an zu wissen, dass meine Erinnerungen nicht für immer verloren waren. Sie kamen zurück.
Ich legte meine Arbeit zur Seite, stand ächzend auf und ging zur Tür hinüber. Dieses Mal musste ich nicht einmal klopfen, denn der kleinere Ork hatte direkt davor Stellung bezogen und drehte sich um, kaum dass er meine schlurfenden Schritte hörte. »Ja?«
»Glaubst du, man kann mir einen Waschzuber bringen?«
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er versuchte, meine Frage zu verarbeiten. »Untote baden?«
»Nicht, dass ich wüsste. Der Zuber ist für die Nachtelfe.«
»Warum solltet Ihr wollen, dass sie baden kann?«
Ich blinzelte ein paar Mal, bevor ich mit einem Schulterzucken erwiderte: »Sie schmeckt besser, wenn sie sauber ist.«
Auch wenn der Ork merklich versuchte, höflich zu sein, konnte er seinen Ekel nicht verbergen. »Woher kennt Ihr Urgrak Silvermane?«
Sein Beiname machte es nicht eben schwer, den weißhaarigen Anführer des Orktrupps mit dem Namen in Verbindung zu bringen. Vorsichtig antwortete ich: »Eine lange Geschichte. Wieso fragst du?«
»Er hasst Untote. Bis auf Euch.«
»Oh.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, grunzte die Wache und marschierte dann hastig los. Sie ließ mich mit einer gewissen Verunsicherung zurück. Ich hatte mich ohnehin gefragt, warum die Orks mir nicht einfach den Kopf von den Schultern geschlagen hatten, kaum dass ich auf dem Zeppelin meinen sehr kurzen Ausbruchsversuch begangen hatte. Und der Anführer – Urgrak Silvermane? – hatte sich auf dem Weg zu meiner neuen Zelle sehr viel belangloses Zeugs von mir erzählen lassen, in der Gemeinsprache wohlgemerkt. Es sah fast so aus, als hätte er mich testen wollen…
Aber für Sorgen war jetzt nicht die rechte Zeit. Ich konnte mir Sorgen machen, wenn der Krieger wieder vor mir stehen und mich aufklären würde, in was für eine Falle ich mich hineinmanövriert hatte.
Es dauerte nicht lange, bis lautes Grunzen und Ächzen vor unserer Tür ertönte. Als sie aufschwang, sah ich den kleineren Ork, der mit gewichtiger Miene voranschritt, und zwei noch kleinere Wesen, die bei weitem nicht so muskulös und sehr viel gedungener als die Wache wirkten. Dennoch sahen sie dem Ork äußerst ähnlich. Gregor nannte sie Peons.
Zwischen sich trugen die Peons einen riesigen hölzernen Waschzuber, von dem Dampf aufstieg und in dem Wasser hin und her schwappte. Als sie ihn mitten im Raum abstellten, zeichnete sich Erleichterung auf ihren dümmlichen Gesichtern ab, während sie sich ihre geschundenen Arme und Hände rieben. Der Wächter nickte mir noch einmal zu, sah dann zusammen mit den Peons mit lüsternen Augen zu der Nachtelfe hinüber, die noch immer in ihrer Decke gehüllt auf dem Bett saß, und scheuchte dann seine beiden Helfer hinaus. Ich war mir fast sicher, dass er wieder direkt vor der Tür seiner Arbeit nachgehen und jetzt vermutlich etwas öfters als sonst einen Blick hineinwerfen würde.
An’duna schaute für eine Weile immer wieder unschlüssig von dem einladenden Bad zu mir und wieder zurück. Ich hatte mich schon längst wieder dem Kleid zugewandt, und inzwischen sah es auch schon ansatzweise aus wie ein Kleid, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich oben herum genug Platz gelassen hatte. Schließlich ließ ich meine Nadel verharren, verdrehte schon zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit die Augen und schaute die Frau an. »Wirst du jetzt endlich in das Bad steigen?«
Als hätte sie nur darauf gewartet, plusterte sie sich regelrecht auf. »Du willst also unbedingt meinen nackten Körper sehen, Dareth? Du bist nicht besser als all die männlichen Menschen, die ich getroffen habe, oder diese primitiven Grünhäute. Ihre Blicke sagen mehr als Worte, und sie sind allesamt von schändlicher Natur.«
»Ich habe dich bereits in Unterwäsche gesehen, An’duna. Glaubst du wirklich, dass noch sehr viel mehr der Vorstellung bedarf?«
Gregor brummte zustimmend, als ich mich wieder dem Kleid zuwandte. »Scheint fast, als hätten wir die prüdeste Nachtelfe auf ganz Azeroth erwischt, Dareth. Und ich frage mich noch immer, warum du sie beschützt hast.«
»Weil ich ein zu gutes Herz habe, schätze ich. Auch wenn es nicht mehr allzu oft schlägt.« Etwas besorgt begutachtete ich meine letzte Naht. An’duna hatte ja zierlich ausgesehen, aber vielleicht sollte ich um die Hüfte herum doch etwas mehr Platz lassen, einfach zur Sicherheit.
»Was willst du tun, wenn du wieder Hunger bekommst?«
Ich schaute nachdenklich auf und betrachtete dabei die Nachtelfe, die meinen Blick mit starrer Miene erwiderte, auch wenn ihre Wangen noch immer leicht gerötet waren. »Hoffen wir einfach, dass der letzte Bissen für eine Weile vorhält.«
»Und was, wenn nicht?«
»Dann hoffen wir, dass ich ein anderes Opfer finde.«
Ich konnte der Frau nicht ansehen, ob sie meine Antwort eher erleichtert oder besorgt aufnahm.
»Und wenn du noch einmal wehmütig zwischen dem heißen Wasser und mir hin und her schaust, An’duna, dann springe ich gleich selbst in den verdammten Zuber.«
Diese Worte Gregors bewirkten, was all mein gutes Zureden nicht zustande gebracht hatte. Mit einer trotzigen Miene stand die Nachtelfe auf, schnappte sich einen der Stofffetzen – ob Hose oder Hemd, konnte man nicht einmal mehr richtig sagen – und marschierte damit zur Tür. Dort angekommen, knotete sie das behelfsmäßige Tuch an das Gitter. Das Licht fiel jetzt nur noch gedämpft in den Raum, aber die Elfe war sichtlich zufrieden mit ihrer Idee, ganz im Gegensatz zur Wache, deren enttäuschtes Schnauben herein drang. Dann ging sie rasch zum Zuber, entkleidete sich unter der Decke, legte ihre Unterwäsche zur Seite und stieg vorsichtig in das heiße Wasser. Zuerst sog sie scharf die Luft ein, seufzte dann aber voller Entzücken, als sie sich vollends hineinsinken und die Decke zur Seite fallen ließ.
Auch wenn der Bottich tief war, war er doch auf keinen Fall tief genug, um sie vollkommen unter Wasser zu verstecken. Und selbst wenn er es getan hätte, war das Wasser klar, abgesehen von den kleinen Dampfschwaden, die nach oben trieben. Sie war wirklich hübsch. Die meisten Frauen würden sie um ihre Figur beneiden und wahrscheinlich sogar dafür töten. Und, was ich zwar schon wusste, mich aber immer wieder verwunderte, nicht ein Haar bedeckte ihre Scham.
Als sie meinen Blick bemerkte, legte sie augenblicklich ihre Arme über ihre Blöße und fauchte mich an: »Ich wusste es! Du bist genauso wie jeder andere Mensch!«
Ich hob grinsend eine Augenbraue, bevor ich wieder die Nadel durch den Stoff gleiten ließ. »Oh, nein. Mir läuft nur das Wasser im Mund zusammen, wenn ich dich so sehe. Wie oft hast du denn schon Menschen gesehen, An’duna?«
Sie antwortete nicht sofort, und das ließ mich nur umso breiter grinsen. »Ein paar Mal«, meinte sie schließlich ausweichend.
»Gregor war einmal in eine Nachtelfe verliebt, wusstest du das?«
»Das geht sie rein gar nichts an!«, brüllte meine zweite Seele augenblicklich, und ich fing an zu lachen. Aritana hingegen betrachtete mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Angst. Ich konnte es ihr nicht verübeln: es musste sehr seltsam aussehen, wenn man erst wütend durch die Gegend plärrte und dann innerhalb eines Wimpernschlags zu lachen anfing. »Nun, An’duna, die meisten Menschen haben dir wahrscheinlich so nachgeschaut, weil sie dich äußerst hübsch fanden. Es ist eine Art… Kompliment.«
»Ja, du solltest dich freuen, dass dutzende bockige Fettsäcke dir hinterher laufen und dich ins Bett zerren wollten.«
Ich musste mir ein weiteres Lachen verkneifen. Ich hatte Gregor selten so wütend erlebt, zumindest nicht über eine solche Kleinigkeit. Es freute mich, so etwas Menschliches in dem sonst so bitterbösen Geist meines Bruders zu finden.
Natürlich beruhigte ich mich schnell wieder und formte lächelnd weiter das Kleid aus dem Stoff. An’duna planschte derweil faul und noch immer darauf bedacht, möglichst viel von sich selbst zu verdecken, in ihrem Zuber, bis sie sich schließlich räusperte.
»Ja?«, brummte ich, ohne von meinem Werk aufzuschauen. Entgegen allem, was man vielleicht denken mochte, fand ich den Beckenbereich am schwersten zu bewerkstelligen. Er musste weit genug sein, dass der Stoff nicht einfach riss, wenn man sich etwa beugte, und doch eng genug, dass er nicht umherflatterte.
»Wenn du kein Untoter bist… was bist du dann, Dareth?«
Ich ließ die Nadel weiter durch den Stoff gleiten, während ich nachdachte. »Ich glaube gerne, dass ich noch immer ein Mensch bin«, murmelte ich schließlich und überprüfte dabei die Naht, zum inzwischen dritten Mal. »Aber wie du schon mitbekommen hast, kann man mich nicht mehr menschlich nennen. Der… Hunger… kann nicht besiegt werden. Nur gestillt.«
Wir schwiegen für eine Weile, bis sich die Nachtelfe wieder regte. Als ich aufsah, hatte sie ihre Arme auf den Rand des Bottichs gelegt und ließ ihren Kopf darauf ruhen, um mich eingehend anzuschauen. »Die Untoten. Die Apotheker, wie du sie nanntest. Sind alle Untoten so?«
Wieder überlegte ich ein bisschen, doch es war Gregor, der antwortete. »Die Apotheker sind die verrücktesten unter uns. Aber nicht die schlimmsten. Du hast es scheinbar noch gut erwischt. Keine Verletzungen, keine Schnitte, keine Verzierungen.«
Unwillkürlich ging meine Hand zu meiner Brust, dort, wo das Mahnmal Blackweavers auf meiner Haut brandete. Ich wusste genau, was Gregor meinte.
»Gibt es nette Untote?«
»Nein«, sagten Gregor und ich gemeinsam.
»Und du?«
Ich lächelte kurz, stand auf, hob dabei das halbfertige Kleid hoch und betrachtete es von allen Seiten. Es machte bisher einen passablen Eindruck. »Ich bin kein Untoter.«
»Das sehe ich.«
Sie lächelte. Es war zaghaft, es war ängstlich, es war verwirrt. Aber es war ein Lächeln.
Ein Kleid und ein Bad, und man gewann das Vertrauen einer Frau.
»Erzähl mir von dir«, sagte ich und setzte mich dabei wieder hin. »Woher kommst du?«
»Ashenvale«, murmelte die Nachtelfe, wobei sie sich wieder vollkommen ins Wasser sinken ließ. Sie wirkte entspannter, ungezwungener. »Untote kamen, als ich jagte, und nahmen mich mit.«
»Normalerweise treiben sich Untote nicht so weit weg von Tirisfal umher.«
»Ich glaube, sie suchten nach uns.« An’duna sprach jetzt sehr leise. Sie hatte ihre Augen geschlossen, und ihre Knie stachen aus dem Wasser hervor wie kleine, nebelumwobene Inseln. »Ich schickte drei von ihnen mit Pfeilen in die Verdammnis, aus der sie entsprungen waren, bis sie mich überwältigten. Sie wollten mich nicht töten. Sie fesselten und knebelten mich, dann verdeckten sie meine Augen mit einem Tuch und flößten mir etwas ein, das mich schläfrig machte. Als ich wieder aufwachte, saß ich in einer kalten Zelle.«
Ich konnte mir gut vorstellen, welche Zellen sie meinte. Die Neugier brannte mir regelrecht auf der Zunge, aber ich wollte sie zu nichts drängen, nicht jetzt, nachdem ich sie endlich aus ihrer harten Schale hervorgelockt hatte.
»Wie warst du als Mensch?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht allzu viele Erinnerungen. Ich wuchs in Lordaeron auf, aber meine Kindheit bleibt mir versperrt.«
»Aber Lordaeron -«
»Wurde von der Geisel überrannt. Ich weiß.«
Betroffenes Schweigen senkte sich über uns, aber nicht für lange. Man merkte der Frau an, dass sie doch noch irgendwo ein kleines, wissbegieriges Mädchen war. »Woran kannst du dich erinnern?«
»An meine Liebe«, murmelte ich genauso leise wie sie vorher. »Sie war wunderschön. Stumm, aber wunderschön. Sie lachte gerne. Sie war eine ausgezeichnete Bogenschützin.« Meine Erinnerung an das Bad kam mir in den Sinn, und fast glaubte ich, ihr helles Lachen wie aus weiter Ferne zu hören. »Ich war mit ihr in Ashenvale, um ihr dort einen Bogen und Pfeile der Nachtelfen zu erstehen. Ich glaube, dort auch deine Sprache gelernt zu haben.«
»Ihr müsst lange dort gewesen sein. Unsere Sprache ist nicht einfach.«
Der Kloß in meinem Hals wuchs. »Möglich.«
»Vermisst du sie?«
Ich hielt inne und starrte auf den Stoff vor mir. So viel war geschehen, in so kurzer Zeit. Sie hätte bestimmt nicht gewollt, dass ich ständig nur um sie trauerte. Aber Gedanken konnte man nicht zerstören, nur zur Seite schieben und verdrängen. Tat man es zu lange, fraßen sie einen von innen auf, bis sie mit aller Macht zurückkehrten.
Gregor war dasselbe widerfahren. Er war besessen von dem Gedanken an Rache. Das war es, was ihn antrieb.
»Ja. Ich vermisse sie.«
An’duna schwieg kurz, bis sie ihre Neugier doch nicht mehr bändigen konnte. »Was war ihr Name?«
Das Messer, das mir die Elfe mitten ins Herz rammte, drehte sich. Es waren Schmerzen, die man nicht begreifen konnte. Es fühlte sich einerseits so an, als wäre die Klinge aus Feuer und würde meinen ganzen Körper erfüllen; und andererseits fühlte es sich so an, als würde es jegliche Emotionen aus mir heraus saugen und mich als eine leere Hülle zurück lassen. Die Welt begann sich zu drehen, in einer wilden Mischung aus Erinnerungen und Klageschreien, und in alledem war eine hässliche Fratze ohne Haar, mit einem grauen Kinnbart und gebrochener Nase zu erkennen, die manisch zu lachen begann und aus deren Maul tiefrotes Blut floss.
Die dicke, schwarze Träne landete mitten auf dem Stoff. Der Spuk war schlagartig verflogen. Ich fluchte leise, strich was auch immer es eigentlich war mit der Hand zur Seite und vergrößerte damit nur den Flecken. Wut stieg in mir auf, wallte hin und her und bohrte sich durch mein Denken, und mit einem zornigen, heiseren Schrei schmiss ich das Kleid zur Seite, um dann mein Gesicht in meinen zitternden Händen zu vergraben.
Es tat gut. Gefühle brachen sich Bahn, die ich lange versucht hatte, zurückzuhalten. Ich hatte gedacht, darüber hinweg zu sein, aber wie konnte man verkraften, genau das zu werden, was alles zerstört hatte, das man jemals geliebt hatte? Selbst Gregor, der das Menschsein schon so sehr verloren hatte, raffte sich auf, um mich zu trösten und trauern zu lassen, ohne einen gehässigen Kommentar von sich zu geben. Meine Schultern bebten, meine Zähne knirschten, als ich sie so stark aufeinanderpresste, wie ich nur konnte.
Es tat so gut, Schwäche zu zeigen.
Ich brauchte einige Zeit, um mich zu beruhigen. Ich mochte gar nicht wissen, wie ich aussah. Meine Hände waren schwarz. Und auch wenn sich ein Trauerschleier über mich gelegt hatte, den ich vielleicht nie wieder von mir ziehen können würde, fühlte ich mich doch ein klein wenig befreit.
An’duna starrte mich entsetzt an. Es war nicht mein Anblick, der sie erschrak. Ich konnte in ihren Augen lesen, dass sie bestürzt darüber war, was ihre Worte angerichtet hatten. Ihre Lippen zitterten so wie kurz zuvor noch meine Hände.
Ich versuchte es mit einem Lächeln, das vermutlich kläglich und traurig aussah. »Ich weiß es nicht«, brachte ich mit erstickter Stimme hervor.
Sie suchte nach den richtigen Worten, aber sie schienen ihr nicht einfallen zu wollen. Dann, sehr vorsichtig, fragte sie: »Können Untote lieben?«
Mein Lachen war freudlos, und ich massierte mir dabei die Finger. Die Knochen knackten laut in der unangenehmen Stille, die folgte. »Nein, Untote können nicht lieben. Sie können hassen und fressen und töten und quälen. Ich habe noch keinen erlebt, der lieben könnte.«
»Du sprichst so… liebevoll von deiner…« Sie verstummte und versuchte es dann von einer anderen Richtung aus. »Du musst etwas anderes sein als ein Untoter.«
»Vielleicht. Ich weiß selbst nicht, was ich bin. Ich versuche mir gerne einzureden, dass ich keiner bin, aber…« Ich seufzte leise, stand auf und hob den Stoff vom Boden auf, um ihn vorsichtig abzuklopfen. »Es macht keinen Sinn, ständig dasselbe zu sagen. Ich weiß selbst nicht, ob meine Worte wahr sind. Ich weiß nicht, ob ich mir selbst trauen kann.«
»Ich vertraue dir.«
»Nein, das tust du nicht«, stellte ich verbittert klar und schaute sie dabei offen an. »Und es ist besser, mir nicht zu trauen.«
»Du hast mich aus der Zelle befreit. Und du hast mich geheilt.«
»Und ich habe dir davor ein Stück Fleisch aus deinem Arm gerissen wie ein wildes Tier. Überhaupt, du scheinst plötzlich sehr darauf aus zu sein, mir zu gefallen. Warum, An’duna?«
Sie schaute erst mich an, dann den Boden direkt vor ihrem Zuber. Die Frage war ihr unangenehm, aber ich verstand es wirklich nicht. Alles musste ihr unangenehm sein. Sie war noch immer eine Gefangene, nur eben die meine. Sie war in der Hand des Feindes, sie war weit von Zuhause weg, und sie war noch ein junges, verängstigtes Mädchen. Ich konnte nicht verstehen, woher dieser Sinneswandel zu kommen schien.
»Du bist verloren«, murmelte sie leise. »Und ich bin auch verloren. Ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte, als ich in der Zelle saß. Nur Schreie drangen zu mir. Wehklagen. Weißt du, wie schön es ist, wieder meine Sprache zu hören?« Sie schenkte mir ein schmales, ehrliches Lächeln, das Steine hätte erweichen können. Aber ihre Stimme wurde jetzt fester, als wäre sie froh, sich endlich diese Dinge von der Seele reden zu können. »Ich weiß nicht, was heute oder morgen geschehen wird. Aber du… du kümmerst dich um mich, Dareth. Du zeigst mir Wärme. Du sprichst nicht wie die Untoten, du handelst nicht wie die Untoten. Du siehst mich nackt –« Sie wurde dabei rot, aber das beschämte Grinsen machte sie nur umso niedlicher – »und schaust dabei nicht lüstern wie die Grünhäute oder die Menschen, die ich kennen gelernt habe. Du kommandierst diese Krieger durch die Gegend, als wären sie deine Leibeigenen, nur um mir ein Kleid schneidern zu können, und bist zu mir freundlich wie niemand anderes! Wenn ich nicht dir vertrauen kann… wem dann?«
Selbst Gregor wusste nicht, was er darauf hätte sagen sollen. Ich war gerührt. Je länger sie geredet hatte, desto besser fühlte ich mich, auch wenn ich sie dabei nicht hatte anschauen können und stattdessen das Kleid fixiert hatte. Jetzt schüttelte ich nur den Kopf. »Du dummes, kleines Ding… Danke.«
Wir schauten uns lächelnd an. Ein Band war geknüpft.