Eines lässt sich jedenfalls schonmal festhalten: Der Thread hier ist äußerst spannend und lehrreich. Im Hinblick auf die Gedankenwelt anderer Menschen, unterschiedliche Perspektiven und Argumentationstechniken. Danke an alle, die hier gepostet haben. Das ist der zweite Thread bei buffed überhaupt, der mich beim Argumentieren fordert... Sollte es öfter geben.
Das ist natürlich einfach eine Diskussion nicht weiterführen zu wollen, weil sie sich um moralische Vorstellungen dreht. Moral an sich, wie von dir oben beschrieben, ist in meinen Augen kein Tabu Thema, dass als Vorwand genutzt wird, anderen seine Vorstellungen von Recht und Unrecht aufzudrängen. Denn interessanterweise orientiert sich das Moralempfinden eines Menschen, abgesehen von einigen Querläufern in Einzelfällen, an der Sichtweise der momentanen Gesellschaft. Sich nicht über über ein Thema unter dem Vorwand der Moral auszulassen, ist gleichbedeutend damit, die Gesellschaft, also die Masse zu ignorieren, der man ja selbst als großes Ganzes angehört.
Nun gut, du willst die Diskussion nicht führen, ich zwinge dich nicht dazu. Das ist meine moralische Vorstellung von Tolleranz und Akzeptanz.
Über das, was Du jetzt sagst, können wir gerne reden (wieso gibt es in diesem Forum eigentlich nicht meinen Lieblingssmiley, der, der mit den Augen zwinkert?).
Wobei wir es hier - nach meinem Dafürhalten - schon wieder mit zwei verschiedenen Dingen zu tun haben... Dank an die Wikipedia, dass sie mal wieder die passende Definition parat hat.
1. Der Ausdruck Moral bezeichnet dabei das, was als richtiges Handeln angesehen wird, sei es von einem Individuum, einer Gruppe oder einer ganzen Kultur. Der Ausdruck kann deskriptiv und normativ verwendet werden.
Moral beschreibt, was Menschen faktisch für richtig halten, bzw. was sie gemäß ihrer Vorstellungen vom richtigen Handeln tun.
2. Der Begriff subsumiert aber auch die Forderungen und Erwartungen an andere, die erfüllt oder auch enttäuscht werden. Moral wird dabei oft als Fairness, Respekt gegenüber anderen, Rücksichtnahme, Achtung der Rechte anderer usw. verstanden.
Moral bezeichnet also zwei verschiedene Dinge. Erstens das, was ich selber für richtig halte - sei es auf der Basis eigenen Nachdenkens oder meiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Kultur. Zweitens das, was andere von mir erwarten, das ich für richtig halten soll.
Zwischen diesen beiden Spielarten von Moral wird in Diskussionen in den allermeisten Fällen nicht differenziert. In allen Fällen, in denen mich mich auf ein Gespräch über Moral eingelassen habe, ist folgendes passiert:
1. Ich bringe ein sachliches Argument ein. Nehmen wir ein Beispiel aus dieser Diskussion, ich stelle Behauptungen auf hinsichtlichkeit der Gefährlichkeit eines bestimmten Verhaltens. Nun kann ich vieles behaupten, wenn der Tag lang ist. Wenn jemand anderer Ansicht ist, bringt er ein ebenfalls sachliches Gegenargument in die Debatte ein, auf das ich dann wiederum erwidern kann. Am Ende "gewinnt" derjenige den Disput, der entweder hieb- und stichfeste Beweise einbringt, besser argumentiert oder einfach glaubhafter rüberkommt. So funktioniert eine normale Diskussion.
2. Sobald jedoch jemand mit Moral argumentiert, ist die Diskussion automatisch totgeschlagen. Im ersten Fall kann man über sachliche Argumente reden und abwägen, welches dieser Argumente besser ist. Im zweiten Fall geht es nicht mehr um belegbar oder nicht belegbar, glaubhaft oder unglaubhaft. Vielmehr wirft man sich Wertungen an den Kopf. Der eine wertet auf die eine, der andere auf die andere Weise. Diese Debatte führt niemals zu irgendeiner Art von Ergebnis. Da die sachlichen Argumente fehlen, wird nämlich keine Überzeugungsarbeit geleistet. Vielmehr zielt die Argumentation darauf ab, die Ansicht des Gegners als moralisch unzulängich einzustufen und sie dadurch herabzuwürdigen. In der Regel hat derjenige, der das Wort Moral als erster in den Mund nimmt, einen solchen Disput bereits gewonnen. Indem er für sich in Anspruch nimmt, der moralisch hochstehende Teil zu sein, drängt er seinen Gegner automatisch in die Defensive. Und alles, was aus der Defensive heraus gesagt hat, wirkt wie eine Rechtfertigung - was nach außen hin als Eingeständnis überkommt, tatsächlich moralisch unterlegen zu sein.
Daher meine Ablehnung. In eine derartige Defensivposition werde ich mich ganz sicher nicht begeben.
Aber wenn wir korrekt differenzieren, warum nicht. Zu Definition Nr. 2 habe ich ja schon alles gesagt. Nur, weil Du das Wort Moral verwendet hast, muss ich noch nicht automatisch denken, fühlen und handeln wie Du. Ich bin ein Individuum, ich bin frei, mir ein eigenes Urteil zu bilden. Nur, weil Du etwas für moralisch verwerflich hältest, muss ich das nicht auch tun. Insofern ist jede Aufforderung, dass ich mich "moralisch" verhalten soll, natürlich ein Manipulationsversuch.
Was aber nicht aussagen soll, dass wir über das Thema nicht reden sollten, im Gegenteil. Es wäre sehr unklug von mir, Deine Argumente nicht zur Kenntnis zu nehmen, vielleicht sagst Du ja etwas, das ich bislang übersehen habe. Wenn ich Dir zuhöre, habe ich eine viel bessere Grundlage, mir meine eigene Meinung zu bilden. Natürlich habe auch ich Überzeugungen, Prinzipien. Natürlich gibt es Dinge, die ich für richtig oder falsch halte. In diesem Sinne handele auch ich also moralisch, allerdings im Sinne der ersten Definition, nicht im Sinne der zweiten. Es handelt sich, und darauf habe ich oben ja auch schonmal hingewiesen, um meine Prinzipien. Die darauf beruhen, dass ich selber mir Gedanken mache. Ich bin nicht verpflichtet, die Sichtweise eines anderen unkritisch zu übernehmen, nur weil dieser es so möchte.
Du hast vollkommen recht. Die meisten Menschen sind sich im Hinblick auf moralische Grundfragen einig. Das hat auch einen Grund. Seufz. Damit sind wir jetzt mitten in der Evolutionstheorie. Hatte ja befürchtet, dass wir dahin kommen, obwohl ich es eigentlich vermeiden wollte. Der Evolutionsgedanke besagt, dass derjenige überlebt, der sich am besten an die Notwendigkeiten anpasst, die das Überleben fördern. Darwins ebenso einfacher wie genialer Gedanke wird leider allzu oft auf Selbstbehauptung gegenüber anderen reduziert, was aber natürlich nicht korrekt ist. Der Mensch arbeitet vor allem dann effizient, wenn er die unterschiedichen Fähigkeiten seiner Individuen in der Gruppe bündelt. Sprich, alles, was die Gruppenbildung begünstigt, Freundschaft, Liebe, Fürsorge, Altruismus, Rücksichtnahme ist ein evolutionärer Vorteil, der dem Menschen dabei hilft, besser überleben zu können. Das ist auch der Grund, warum sich die Mitglieder einer Gruppe oder Gesellschaft in aller Regel über grundlegende moralische Fragen einig sind. Diejenigen, die anderer Ansicht sind, können sich in die Gruppe nicht integrieren. Als Einzelperson ist ihre Überlebensfähigkeit jedoch drastisch reduziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie evoluitionär erfolgreich sind, überleben, sich vermehren und ihre Ansicht an die nächste Generation weitergeben, ist also verschwindend gering. Die Abweichler verschwinden also einfach über kurz oder lang. Darwins Gedanke der Selektion.
Die Natur des menschlichen Geistes in all seiner Widersprüchlichkeit beruht völlig auf diesen beiden Prinzipien. Selbstbehauptung auf der einen, Altruismus auf der anderen Seite. Der Mensch kann sich wie das hinterletzte Arschloch aufführen, der gleiche Mensch kann sich liebevoll um seine Mitmenschen kümmern. Weil ihm beides dabei hilft, zu überleben. Jemand, der sich selbst um die Belange der anderen wegen aufgibt, wird am Leben scheitern. Jemand, der die Gesellschaft völlig missachtet aber auch.
Und genau das ist der Grund, warum es niemals gelingen wird, alle Menschen davon zu überzeugen, sich auf die eine oder andere Weise zu verhalten. Bei dem einen Menschen ist der Altruismus ausgeprägter, bei dem anderen der Fürsorgetrieb. Die Gesellschaft, so sehr sie es auch leugnen mag, braucht beide Arten von Menschen. Die Verschiedenartigkeit der Menschen, ihre unterschiedlichen Fähigkeiten, Anlagen und Begabungen sind das, was die Gruppe so schlagkräftig macht. Was sich definitiv festhalten lässt: Kein Mensch existiert ohne seine dunkle Seite. Kein Mensch könnte existieren ohne sie. Ohne den Selbstbehauptungstrieb, den Instikt, sich durchsetzen zu wollen.
Alle von einer bestimmten Haltung überzeugen zu wollen, erscheint mir einfach utopisch. Es ist ein Kampf wider die menschliche Natur.
So, das ist nu lang genug für einen Post, fahre mal im nächsten fort.