Die Sterne über Dalaran - Vierter Abschnitt, Teil 4 (4.4)

Melian

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Der Aufbruch

Der weitere Verlauf der Nacht war ruhig vonstatten gegangen. Imenia Feuerblüte hatte von allen Anwesenden wohl am wenigsten geschlafen. Nahezu unverändert hatte sie die Stunden am Feuer verbracht, dabei die Kommunikationsscheibe, die sie Dairean abgenommen hatte, in den Händen hin und her gedreht. Verian hatte Ylaria bei der Wache abgelöst, später hatte sich Connell ans Lager des verwundeten Sin'dorei gesetzt. Imenia hatte Gedanken an Gedanken gesetzt. Vieles beschäftigte sie und nicht zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie die Verantwortung, die sie hatte, schwer auf ihren Schultern ruhen. Es war auch nicht das erste Mal, dass sie mit Spionage, Schnüffelei und vor geheuchelten Tatsachen zu tun hatte, doch das erste Mal, dass sie einen Spion enttarnt hatte, der ihr so ähnlich war. Trotz allem konnte sie nicht leugnen, dass ihr ein Sin'dorei viel näher stand als ein Mensch, ein Troll oder ein Zwerg. Ihre Gedanken drehten sich ständig im Kreis, aber es war ihr nicht möglich, damit aufzuhören. Irgendwann war sie dann aber doch eingenickt.

„Herrin Feuerblüte?“ Die Männerstimme, die an ihr Ohr drang, sowie der leichte Druck von einer Hand auf ihrer Schulter liessen sie zusammenzucken. „Oh, Verzeihung“, murmelte Verian, der sich neben sie gekniet hatte. „Ich wollte nur sagen, dass ehm.. die Sonne ist aufgegangen.“
Imenia richtete sich auf, räusperte sich und nickte ihm dann zu. „Danke“, krächzte sie, ihre Stimme noch rau vom Schlaf. Verian nickte und erhob sich wieder, um Ylaria wecken zu gehen, die noch neben dem Feuer schlummerte.
Imenia seufzte. Sie spürte jeden einzelnen Knochen in ihrem Körper. Ihr rechter Arm schmerzte und pochte auf eine unangenehme Weise, sie hatte wohl in der Nacht darauf gelegen. Ein prüfender Blick auf den Boden bestätigte ihr, dass sie wirklich mitten in ihren Überlegungen weggedöst sein musste, dann ausser einer zu einem Kissen zusammengewickelten, kratzenden Wolldecke befand sich nichts auf ihrer behelfsmässigen Lagerstätte. Stöhnend rappelte sie sich hoch und streckte sich, so ausgiebig wie es ging.
„Guten Morgen“, kam es von Brionna, die bereits wieder in dem Kochtopf rührte. „Die Sonne führt uns, Miss Tallys“, erwiderte sie und versuchte der Priesterin ein höfliches, gutgemeintes Lächeln zu schenken. Irgendwo in ihrem Geist pochte ein dumpfes Gefühl von Schuld gegenüber der Menschenfrau auf. Sie hatte sie wirklich nicht angemessen behandelt.
Sie setzte sich wieder hin, wobei sie versuchte, eine möglichst bequeme Position zu finden, rieb sich die letzten krümeligen Überreste des Schlafes aus den Augenwinkeln.
„Wisst ihr, wo Lorethiel ist?“, fragte sie Brionna dann. Diese schüttelte nur den Kopf. „Grad nicht. Ich war damit beschäftigt, unser Frühstück zuzubereiten“, antwortete diese. „Hmm.“ Imenia schnupperte und verzog dann gleich das Gesicht. Brionna hob entschuldigend die Augen. „Verzeiht, Mylady, aber wir haben nun mal nichts besseres als..“ „Bohnen, ja ich weiss“, unterbrach Imenia sie.
„Aber die schmecken gut. Ich habe sie mit etwas Maguskönigskraut aus meinem Vorrat angereichert.“
„Maguskönigskraut? Warum das?“
„Es wirkt konzentrationsfördernd und .. nun ja, gegen Kopfschmerzen. Ich dachte, das könnte einigen von uns gar nicht so schaden.“ Sie wurde rot, als sie dies ausführte.
Imenia lachte. „Das ist eine gute Idee, wahrlich. Auch wenn es den Gedanken an Bohnen nicht wirklich angenehmer macht.“
„Oh, ich habe auch noch Erdwurzelstücke hinein geschnitten.“ Brionna lächelte.
„Die sind nahrhaft, stärken den Geist und wirken belebend“, führte sie aus.
Imenia setzte sich etwas bequemer hin und nahm ihren Wasserschlauch, öffnete ihn, um daraus zu trinken. „Ich sehe schon, ihr seid wirklich sehr um unser Wohlergehen besorgt“. Sie schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln, nachdem sie einige tiefe Schlucke getrunken hatte.
„Das ist meine Aufgabe“, erwiderte Brionna schlicht. „Ausserdem.. nun ja.. ich möchte ja auch wieder heil in Dalaran ankommen. Da kann es nicht schaden, wenn meine Gefährten hier gesund und munter die Rückreise antreten.“ Sie lächelte Imenia an, die ihr erneut wohlwollend zunickte.
„Sehr voraus schauend. Doch sagt, habt ihr heute schon nach Sonnenhoffnung gesehen?“
Brionna rührte erneut in dem blubbernden, gräulich gefärbten Bohnengemisch herum. Imenia konnte nur hoffen, dass es ebenso lecker schmeckte wie es roch, denn das Aussehen war wahrlich nicht einladend.
„Da gibt's eigentlich nichts zu sehen. Ich habe seine Wunde gestern mit der Hilfe des heiligen Lichts geschlossen, er hat allerhöchstens noch Kopfschmerzen. Es sah schlimmer aus, als es tatsächlich ist.“ Imenia blickte Brionna an.
„Ihr solltet dennoch nach ihm sehen. In der Nacht.. nun ja..“
Brionna hielt abrupt in der Rührbewegung inne. „Was habt ihr getan?“, fuhr sie hoch.
„Nichts, nichts. Lorethiel hat ihm nur einen Stoss in die Seite gegeben.“
Brionna schnaubte. „Wir brauchten Informationen“, rechtfertigte Imenia sich, obwohl sie nicht einmal wusste warum.
„Kümmert euch lieber um mich.“, kam es da von links. Lorethiel setzte sich neben Imenia. „Dieses Stück Rattenmist hat mich gebissen. Es tut dämonisch weh“, brummte er aufgebracht in Brionnas Richtung und hielt die Hand zur Bestätigung in ihre Richtung. Ein perfekt geformter Halbmond von Bissspuren zeigte sich darauf, geschwollen und gerötet
„Geschieht euch recht“, lachte Brionna. „Aber gut, ich werd's mir anschauen.“ Sie stand auf und drückte Lorethiel den hölzernen Kochlöffel in die unverletzte Hand. „Ich hole Verbandszeug. Ihr rührt derweil weiter. Die Bohnen dürfen nicht anbrennen“, sagte sie ihm im Befehlston.
„So wie das aussieht, würde das wohl auch keinen Unterschied mehr machen“, gab Lorethiel zurück und verzog das Gericht.
Brionna schnaubte. „Verwöhnte Elfen, immer wieder. Wir sind hier halt nicht in euren Adelshäusern, wo es Küchlein und teuren Wein zum Frühstück gibt!“ Noch bevor einer der angesprochenen und relativ verdutzten Elfen etwas erwidern konnte, hatte sie sich schon abgewendet und war weg gestapft.
Verian lachte leise, und blickte zu Ylaria, die sich die Augen rieb. Sie hatte offensichtlich trotz ihrer besseren Schlafstätte nicht viel mehr Erholung gefunden als Imenia.
„Pha“, brummelte Lorethiel, offensichtlich noch schlechter gelaunt als am Tag zuvor. Dann wandte er sich an Imenia. „Die Greifen sind alle reisefertig“, sagte er leise. „Verian und ich haben dafür gesorgt. Connell sagte vorhin eben, dass Sonnenhoffnung nicht wieder aufgewacht ist, oder zumindest keine Anzeichen gemacht hat, aufzuwachen.“
„Alles vorbereitet also, sehr gut. Wir werden relativ rasch aufbrechen.“
„Welche Route wollt ihr nehmen?“
Imenia blickte ihn an. „Wir werden dem Pfad der Titanen folgen.“
„Seid ihr wirklich sicher?“
„Wir müssen möglichst schnell zurück in Dalaran sein. Wer weiss, wer uns sonst auf der anderen Route abfängt. Wir können uns nicht sicher sein, ob Hathorel sich an meinen 'Wunsch' hält.“ Für den letzten Satz senkte sie die Lautstärke ihrer Stimme.
„Ich gebe zu bedenken, dass das zwar der schnellste Weg zurück in die Stadt ist, aber wir haben keinerlei Unterkunftsmöglichkeiten. Wir müssten zumindest eine Nacht, möglicherweise sogar zwei, im Schnee verbringen, nur geschützt durch die Zelte.“
„Ja und? Eine Nacht im Schnee bringt noch keinen um. Und wir können auch magische Barrieren gegen die Kälte und den Schnee schaffen. Seid kein Hasenfuss.“
Lorethiel schnaubte. „Ich bin kein Hasenfuss“, brummelte er.
Brionna hatte sich derweil mit ihrer Verbandstasche neben Lorethiel gesetzt und sagte resolut: „Hand her.“ Lorethiel legte den Kochlöffel beiseite und gehorchte brav, reichte der Heilerin die Hand. Sie kramte in der Tasche, zog einige Stücke Verband, ein Tuch und eine Phiole hervor. „Das kann jetzt etwas schmerzen“, sagte sie, als sie das Stück Tuch mit dem Inhalt der Glasphiole benetzte, und dann anfing, die Bisswunde zu reinigen. Ein leichter Duft nach Kräutern und scharfem Alkohol legte sich in die Luft. Lorethiel verzog das Gesicht, erlaubte sich aber kein Laut des Schmerzes.
„Wie wollt ihr mit Sonnenhoffnung verfahren?“, warf Verian ein.
Imenia strich sich über das Kinn. „Mitnehmen natürlich. Was sonst?“
„Ja, das war mir auch klar, aber wie? Er kann ja wohl kaum auf seinem Drachenfalken fliegen, der entwischt uns ja.“
„Die Künste dieses Tiers im Flug sind wahrlich bemerkenswert“, sagte Ylaria leise.
„Inwiefern?“ Lorethiel blickte Ylaria an.
„Ach, wir haben es gesehen. Manchmal scheint es, als ob der Drache nicht einmal einen Befehl bräuchte, um das Richtige zu tun.“
Lorethiel hob die Hand, die nun verbunden war, und bewegte probeweise die Finger. „Ein ausgebildeter Kurierreiter, nehme ich an. Möglicherweise sogar in einem Fluggeschwader geflogen. Das würde zu dem passen, was ich so erfahren habe.“
„Das ist doch jetzt gar nicht so wichtig“, unterbrach Imenia ihn. „Einer von euch nimmt ihn auf seinen Greifen. Seinem Falken laden wir entweder Gepäck auf, lassen ihn hier oder töten ihn gleich.“
„Einer von uns?“, fragte Verian.
„Ja, natürlich. Er wird sicher nicht allein reiten. Schon gar nicht mit gefesselten Händen, das ist rein technisch nicht möglich.“
„Aber.. ehm.. ich will ihn nicht nehmen“, warf Ylaria ein. Sie war bleich, doch Imenia konnte nicht bestimmen, ob dies auf das Entsetzen über ihre Ankündigung oder doch vielleicht auf mangelndem Schlaf zurückzuführen war. „Ich könnte das nicht.. Er ist ein.. eh... Verräter.. Ja.“
Imenia zog eine Augenbraue hoch. „Ihr werdet meine Befehle selbstverständlich ausführen, Ylaria, sollte ich euch dazu auffordern. Brionna, ist das Essen endlich bereit? Wir müssen bald aufbrechen.“
Brionna schmunzelte, griff nach dem Kochlöffel und streute aus einem braunen Säckchen etwas in die Bohnenbrühe. „In einer Minute, nur Geduld.“
In diesem Moment setzte sich Connell in die Runde und nickte, wandte sich dann an Imenia. „Hier bin ich, M'lady. Ihr wollt mich sprech'n?“
Imenia zog eine Augenbraue hoch. „Wie bitte?“, sagte sie verständnislos.
Connell blickte sie ebenso verständnislos an. „Na, ihr wolltet mich sprechen. Sagte die.. ach ich hab ihren Namen vergess'n. Äh..“ „Wo ist Leireth?“, unterbrach ihn Ylaria, griff nach ihrem Stab und stand rasch auf. „Verdammt, wo ist Leireth?!“
„Ja, genau, die!“, sagte Connell und grinste. „Die sagte, ihr wolltet mich sprech'n. He.. Wo geht ihr alle hin?“ Verwirrt blickte er um sich. Auf Ylarias Worte hin waren die anwesenden Quel'dorei aufgestanden, hatten nach ihren Waffen gegriffen und waren weg gestürmt.

„Die spinnen, die Elfen“, brummelte er in Brionnas Richtung. Diese seufzte nur und rührte weiter in den Bohnen.

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