Sorry, dass ich nicht alles gelesen habe, bevor ich hier poste. Ist ja auch schon ein bisserl lang geworden... Werde das sicherlich irgendwann nachholen. Im Augenblick habe ich aber nur die letzten 20 Posts überflogen. Daher keine Garantie, dass ich nichts wiederhole, was schon gesagt worden ist.
Meines Erachtens entstehen Religionen in mehreren Phasen.
Phase 1: Die Suche nach Herkunft und Sinn
Die Menschen haben keine Erklärungen dafür, warum irgendetwas existiert, warum der Planet existiert, auf dem sie leben, warum sie existieren. Menschen brauchen jedoch solche Erklärungen. Denn nur dann, wenn sie wissen, woher sie kommen, erkennen sie, wohin sie gehen und warum sie dorthin gehen. Das Bewusstsein der eigenen Vergangenheit weist einen Weg in die Zukunft. Also beginnen sie, nach Erklärungen zu suchen. Erst dann, wenn sich die Welt erklären lässt, kann der Mensch schlußfolgern, wie er selbst sich verhalten sollte.
Phase 2: Beobachtung
Der Mensch fängt also an, seine Umgebung zu beobachten. Er erkennt beispielsweise, dass es Vulkane gibt, dass sie bisweilen ausbrechen und dass der Ausbruch ihm gefährlich wird. Das Problem ist also erkannt. Der Mensch kann nunmehr anfangen, nach Lösungen zu suchen.
Phase 3: Versuch der Erkenntnisfindung
Der Mensch versucht in dieser Phase, aus dem Wissen, das er über die Welt erworben hat, Schlussfolgerungen für sein eigenes Verhalten zu ziehen. Ich weiß, dass es Vulkane gibt, ich weiß, sie werden mir gefährlich. Ich kann allerdings nie so genau sagen, wo und wann einer ausbrechen wird. Wie verhalte ich mich also? Erster Schritt: Ich halte mich fern von großen, dampfenden Hügeln. Denn ich weiß, dass diese hin und wieder Feuer spucken. Aber wie wappne ich mich gegen neu entstehende Vulkane, gegen Risse im Boden, die sich unter meinen Füßen auftun?
Phase 4: Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit
An dieser Stelle erkennt der Mensch dann meist, dass ihm noch 2.000 Jahre Wissenschaftsgeschichte fehlen und er noch gar nichts über die Kugelgestalt der Erde, den Aufbau des Planeten, Plattentektonik, Seismographie und ähnliche Dinge weiß, mit deren Hilfe man Vulkanausbrüche vorhersagen kann. Der Mensch erkennt seine eigenen Unzulänglichkeit. Er erkennt, dass die Gefahren zwar bestehen, es aber keinen Weg gibt, wie er sich gegen sie schützen könnte.
Phase 5: Furcht
Der Mensch verfällt in Furcht. Die Welt ist groß, bedrohlich, unerklärlich und voller Gefahren. Der Mensch ist klein, unwissend, hilflos und diesen Gefahren schutzlos ausgesetzt. Sein Leben ist hart und kurz.
Phase 6: Hoffnung
Angesichts seiner prekären Ausgangslage bliebe dem Menschen eigentlich nur, sich von der nächsten Klippe zu stürzen und seinem hoffnungslosen Dasein ein schnelles Ende zu bereiten. Aber die Evolution hat den Menschen auf Arterhaltung programmiert. Das Gehirn sagt dem Menschen, dass er überleben möchte. Der wissens-, hilf- und machtlose Mensch braucht also irgendetwas, an dem er sich festhalten kann. Etwas, das ihm Hoffnung gibt. Hoffnung, dass er gegen die Gefahren bestehen kann. Hoffnung, dass er trotz seiner Unvollkommenheit überleben kann. Hoffnung, dass sein Dasein nicht sinnlos ist. Hoffnung, dass es eine Richtung gibt, in die er gehen kann.
Phase 7: Interpolation
Da dem Menschen die Erklärungen fehlen, erschafft er sie sich eben selbst. Es gibt keinen Seismographen, mit dessen Hilfe sich Erdbeben vorhersagen lassen? Das macht nichts. Der Mensch erfindet einen eigenen Schutzmechanismus. Menschen wissen, dass Vulkane ein bedrohliches Donnergrollen von sich geben, bevor sie ausbrechen. Menschen wissen auch, dass das bei ihren eigenen Artgenossen nicht anders ist. Da brodelt es auch manchmal ziemlich in ihrem Inneren, bevor ein Wutausbruch zutage tritt. Nur, dass der Ausbruch beim Vulkan ein bisschen größer ist. Die Schlußfolgerung ist einfach - das Wesen, das da vor sich hingrummelt, bevor es ausbricht, muss ein bisschen mächtiger und größer sein, als es der Häuptling ist, der sich über wiederholtes Versagen bei der Jagd auf das verfluchte weiße Mammut aufregt. Ein Naturgeist vielleicht. Oder der Geist von Onkel Fritz, der konnte schließlich ebenfalls mächtig aus der Haut fahren, wenn er mal nicht genug zu trinken hatte. Wenn man ihm dann eine Flasche Wachholderschnaps hingelegt hat, war er aber rasch wieder besänftigt. Und was bei Onkel Fritz funktioniert, kann bei so einem Naturgeist ja nicht falsch sein. Also bringt man dem Geist, der die Vulkane zum Ausbrechen bringt, ein paar Opfergaben dar, um ihn zu besänftigen.
Phase 8: Ritualisierung
Das verhindert dann zwar auch nicht, dass die Vulkane ausbrechen. Trotzdem haben die Menschen auf einmal signifakant verbesserte Überlebenschancen. Die Opfergaben, die man dem Naturgeist darbringt, müssen in einer Welt der knappen Ressourcen erstmal herbeigeschafft werden. Bislang gab es vier Jäger, da man aber ein Mammut mehr braucht, um es zu opfern, werden noch zwei weitere abkommandiert. Die feststellen, dass sie gemeinsam sehr viel größere Jagderfolge erzielen. Sie machen mehr Beute, was dazu führt, dass die Nachkommen besser ernährt werden. Die Kindersterblichkeit sinkt. In ein paar Jahren streifen weitaus mehr Jäger durch die Gegend, dringen in Regionen vor, die dem Stamm bislang verborgen geblieben sind. Und stellen fest, dass dort der Boden dampft. Also zieht der Stamm eiligst von dannen und entkommt dadurch dem nächsten Vulkanausbruch. Aus der Annahme, dass das Opfer den Geist besänftigt, wird Gewissheit - auf einmal sterben weitaus weniger Menschen als zuvor. Aus dem Opfer wird ein Ritual.
Phase 9: Weitergabe an die nächste Generation
Die scheinbaren Erkenntnisse werden schon den kleinsten Kindern beigebracht. Kinder haben die Eigenart, dass sie alles glauben, was Erwachsene ihnen sagen. Wissen, das mit absoluter Gewissheit vermittelt wird, stellen viele ihr Lebtag hinweg nicht mehr in Frage. Für die nächste Generation ist es deshalb völlig klar, dass der Naturgeist existiert und dass man ihn durch Opfer besänftigen kann. Egal, welche Erkenntnisse auch dagegen sprechen - das Wissen wird mit aller Gewalt verteidigt, da es von den Eltern kam. Zudem lässt sich ja auch scheinbar der Zusammenhang nachweisen - die Sterblichkeit ist zurückgegangen, seit die Rituale gepflegt werden. Wie sollte das wohl kommen, wenn nicht durch das Eingreifen des besänftigten Naturgeistes?
Phase 10: Wahrheit
Da sich das Ritual als nützlich erwiesen hat, wird der Grund, warum man es durchführt, zur Wahrheit erklärt. Zwar ist die Annahme, dass die Opfer den Naturgeist besänftigen, objektiv nicht wahr. Der Mensch zieht aber trotzdem seinen Vorteil daraus. Denn indem er glaubt, dass das Opfer nützlich ist, führt er es weiterhin durch. Um die Opfer bewerkstelligen zu können, müssen alle mitarbeiten. Das befördert den Gruppengeist, es gelingt dem Menschen also besser, die Fähigkeiten des Einzelnen in eine Richtung zu bündeln, die allen nützt, nicht nur dem Individuum. Das verbessert die Überlebenschancen des Stammes.
Phase 11: Absolute Wahrheit
Irgendwann gehen Menschen her und ziehen die Existenz des Naturgeistes in Frage. Die Anführer des Stammes wittern darin eine Gefahr für ihre Gesellschaft. Denn wenn die Menschen nicht mehr an den Naturgeist glauben, führen sie auch keine Opfer mehr durch. Dann arbeiten sie nicht mehr zusammen. Die Gemeinschaft verfällt und kann sich nicht mehr so gut gegen die Gefahren des Lebens wappnen. Also erklärt man die Existenz des Naturgeistes zur absoluten Wahrheit, die nicht in Zweifel gestellt werden darf, um dadurch Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Abweichler werden unter Strafe gestellt.
Phase 12: Aufstieg
Der Stamm wächst über seine ursprünglichen Grenzen hinaus und gründet eine Zivilisation. Die Gefahren von einst erscheinen weniger bedrohlich. Man weiß jetzt, wo Vulkane entstehen und wo nicht. Gefährliche Tiere werden von hunderten von Jägern zu Tode gehetzt. Das Opfer verliert an Bedeutung, da der Mensch nicht mehr so hilflos ist wie früher und es nicht mehr zwingend auf jeden Einzelnen ankommt. Abweichlerisches Gedankengut macht sich breit, und die Zivilisation geht doch nicht unter. Der Mensch ist zahlreich geworden. Und er ist mächtig geworden.
Phase 13: Herrschaft
Die Führungselite kennt, dass sie das Volk mit den alten Geschichten nicht mehr zu fesseln vermag. Der Naturgeist ist passé, er ist nicht mehr zeitgemäß. Also wird seine Geschichte umgeschrieben. Aus dem einstigen Naturgeist, der die Vulkane zur Explosion brachte, wird ein strahlender Sonnengott, der das auserwählte Volk zu Macht und Wohlstand führen wird. Unter seinem Banner kann man die Soldaten des Reiches versammeln, um Krieg gegen die Nachbarn zu führen. Der gemeinsame Feind schafft eine neue Einheit im Volk. Der Glaube an den Sonnengott schweißt das Reich wiederum zusammen.
Phase 14: Vielfalt
Da ein Sonnengott nicht alle Errungenschaften des Reiches zu erklären vermag, gibt man ihm eine Reihe von Verwandtschaft mit auf den Weg. Eine Göttin für die Liebe, einen Schmiedegott, einen Gott des Krieges. Für jeden Zweck ist etwas dabei. Dem Sonnengott sind aber alle treu ergeben. Sprich - egal, wer was glaubt, sie kämpfen doch alle für das gemeinsame Ziel. Auf diese Weise hält die herrschende Klasse das Reich zusammen.
Phase 15: Aufruhr
Völkerscharen werden überrannt und in das Reich, nennen wir es das Römische, assimiliert. Den starken Armeen des Römischen Reiches können die gebeutelten Israeliten nichts entgegensetzen. Wohl jedoch ihren Gott. Die Römer besetzen Isreal und bedrohen die kulturelle Integrität seine Volkes? Wir wissen uns wohl zu wehren, denn der gemeinsame Glaube an Jahwe schweißt uns zusammen und widersteht dem Assimilationsdruck. Das Römische Imperium schafft Frieden im Reich, indem es die Gottheiten unterworfener Völker in ihr eigenes Pantheon integriert? Es besteht also die Gefahr, dass wir auf diese Weise mundtot gemacht werden? Nicht mit Jahwe. Wir definieren, dass Jahwe keine anderen Götter neben sich duldet. Er ist ein Gott, stark und mächtig, mächtig im Streit. Er gibt uns eine gemeinsame Basis. Hoffnung. Einen Grund, weiterzukämpfen, zu überleben, zusammenzuhalten. Aufrecht zu stehen, auch wenn der Feind uns drängt. Er wird uns aus der Knechtschaft befreien.
Hundert Jahre später - und noch immer in römischer Gefangenschaft. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass Jahwe nicht kommt, um zu helfen. Immerhin - der Glaube an ihn hält das Volk zusammen. Der Monotheismus verhindert die Assimilation durch die Römer. Also ersinnt Paulus einen kühnen Plan. Das Reich zu Fall zu bringen, indem er Jahwe zu den Römern bringt. Das Judentum kennt keine Missionierung, also ersinnt er seine eigene Religion. Und beginnt, den Gott Jahwe, der ursprünglich nur für die Juden geschaffen war, um das Volk zusammenzuschweißen und zu einen, ins Reich zu exportieren.
Die orthodoxen Juden verlieren durch die Zerstörung des Tempels zu Jerusalem an Macht? Der Evangelist Markus setzt sofort nach. Er schreibt das erste Evangelium, im Jahr der Zerstörung des Tempels. Und wendet sich an die Juden, die ihre alten Machthaber verloren haben. Diese nehmen seine Lehren mit in die Diaspora, tragen sie hinein ins römische Reich. Und verbreiten sie. Man spricht ganz gezielt die Menschen an, die von den Römern am schlechtesten behandelt werden. Frauen. Sklaven. Minderheiten. Man behandelt sie gut, gibt ihnen Hoffnung. Die Menschen strömen in Scharen herbei. Im gleichen Maße, wie die Gemeinden wachsen, wachsen auch die Regeln. Geburtenkontrolle wird verboten. Dadurch steigt die Zahl der Christen im Reich. Frauen werden gut behandelt - es ist also sichergestellt, dass sie die Kinder zum Christen erziehen. Schwangerschaftsabbruch ist verboten - die Heiden tun dies, auf diese Weise stagniert ihre Zahl, die der Christen jedoch wird größer und größer. Luzifer, der babylonische Gott der Morgenröte, ist ein mächtiger Konkurrenzgott? Kein Problem, wir setzen ihn mit dem Satan gleich, dadruch wird er böse. Und wer möchte schon einem bösen Gott folgen? Auf diese Weise werden die Menschen missioniert. "Hinabgetiegen in das Reich des Todes" heißt es im Glaubensbekenntnis - und das ist im römischen Reich der Orkus oder Hades? Das vertuschen wir dann später, nachdem wir den Glauben an Hades ausgemerzt haben, und werfen die entsprechende Schrift, die diesese Ereignis beschreibt, aus der Bibel. Wir predigen Nächstenliebe - im Schmelztiegel des Reiches, wo 90 % der Bevölkerung in Armut leben, wirkt dies wie sozialer Kitt.
Phase 16: Den Spieß umdrehen
In einem Akt der politischen Selbstrettung dreht Kaiser Konstantin den Spieß um und erklärt das Christentum zur Staatsreligion. Die zahlreich und mächtig gewordenen Christen stehen nun auf Seiten des Kaisers und sind nicht mehr gegen ihn. Zudem übernehmen sie für ihn die Aufgabe, die Anhänger der heidnischen Religionen zu missionieren. Dadurch werden die zahlreichen Streitigkeiten im Reich beendet, die es zuvor nahezu unregierbar gemacht hatten. Jedoch übernehmen die Christen dadurch viele Eigenarten, die sie zuvor als typisch römisch abgelehnt hatten. Etwa die Prunksucht, der später so gerne gefrönt wurde.
Phase 17: Untergang des Reiches
Da die christlichen Gutmenschen nicht mehr kämpfen wollen, werden mehr und mehr germanische Söldner angeheuert. Nicht eingehaltene Zusagen seitens des Kaisers versetzen dem Reich den Todesstoß. Alarich ist der erste, Odoaker muss nur noch nachtreten. Die Christen lernen dadurch, dass Nächstenliebe ohne Macht wertlos ist - und richten sich darauf ein.
Phase 18: Herrschaft
Die Religion wird weiter genutzt, das Reich - in diesem Fall das Karls des Großen - zusammenzuhalten. Im Namen Gottes werden Kriege geführt, Morde begangen, Folter ausgeübt.
Phase 19: Wissenschaft
Aus diesem Grund wird Wissenschaft leidenschaftich bekämpft. Jede Erkenntnis, die getroffen wird, gefährdet die Macht der herrschenden Klasse, die sich auf der Religion gründet. Die Religion basiert auf erfundenen Geschichten, auf Interpolation. Die Wissenschaft vermittelt tatsächliche Erkenntisse. Wo immer eine Erkenntis so offensichtlich wahr ist, dass sie sich nicht mehr unterdrücken lässt, wird sie durch die Theologie in den biblischen Kontext eingeordnet. Auf diese Weise bleibt der Kern der Religion unangetastet. Die Nichtexistenz Gottes lässt sich schließlich nicht beweisen. Auf diese Weise sichert die Kirche bis heute ihre Existenz und ihre Macht.
Phase 20: Indoktrination und Manipulation
Und so funktioniert es bis heute. Kinder werden mit der Religion indoktriniert. Was sie als Kinder gelernt haben, ist eine Wahrheit, die sie später nie mehr in Frage stellen. Kluge Köpfe benutzen die Religion, um andere Menschen in ihrem Sinne zu manipulieren. Wer an absolute Wahrheiten glaubt, lässt sich auch einreden, wie er sich um der absoluten Wahrheit willen verhalten soll. Das kann der andere in seinem Sinne nutzen. Wer glaubt, lässt sich auch beeinflussen. Von denen, die vorgeben, Gottes Willen zu kennen. Und ihn erfinden, damit andere sich in ihrem Sinne verhalten. Es gibt keinen Gott - aber das Wissen lässt sich hervorragend verwenden, die Menschen zu steuern und je nach Bedarf zusammenzuschweißen oder zu spalten.