Gilmenels Geschichte

19. Mission erfolgreich?

Seit Andorhal mied Gilmenel die Straße. Im Wald war sie auch ohne ihre besondere Fähigkeit für den flüchtigen Betrachter schwer auszumachen. Die Liebe zur Natur hatte ihre Mutter ihr in die Wiege gelegt, und so wusste Gilmenel ihre Naturverbundenheit instinktiv geschickt zu nutzen. Sie blieb stehen. Vor ihr stiegen schroffe Klippen in die Höhe. Sie sah wie sich die Straße weiter nördlich durch eine schmale Öffnung zwängte. Die Straße war dort durch ein Bollwerk blockiert. Sie schlich sich, soweit ihr der Wald Deckung bot, an das Bollwerk heran. Wachen patrouillierten in mehreren Zweiergruppen das Bollwerk auf und ab. Es war keine Möglichkeit für ein Durchkommen erkennbar. Die Berge auf der anderen Seite erschienen ihr allerdings weniger schroff. Sie ging ihren Weg wieder ein wenig zurück, und querte außerhalb der Sicht der Wachen die Straße vor dem Bollwerk.
Sie näherte sich den Bergen auf der anderen Seite des Durchbruchs. Die kleinen Hügel boten keine Herausforderungen. Einige Kletterpartien in den dahinter liegenden Bergwänden meisterte sie ebenfalls. Vorsichtig kroch sie auf den Grat des Bergrückens. Vor ihr lag ein Abgrund. Die Berge die auf ihrer Seite noch bezwingbar waren, fielen auf der abgewandten Seite steil ab. Es gab nun nur noch den Weg den Bergrücken weiter hinauf zu klettern, und zu hoffen, dass es irgendwo eine Abstiegsmöglichkeit gab.
Der Bergrücken führte sie weit nach Norden, bevor sie eine Möglichkeit zum Abstieg sah. Am Fuße des Berges sah sie eine große burgähnliche Anlage. Eine große Halle mit einem spitzen Turm stand in ihrem Zentrum. Auf dem Weg zu der Burg konnte sie viele Soldaten in einem Wams, auf dem eine silberne Hand prangte, sehen. Sie beschloss den Bergrücken noch weiter nach Norden zu folgen. Kurz bevor der Bergrücken in einer Steilküste zum Meer endete, fand sie einen schmalen Pfad der sie ins Tal brachte. Sie wusste allerdings, dass das Tal an dessen Ausgang von der Burg bewacht wurde. Schweren Herzens kletterte sie auf der anderen Seite des Tales den dortigen Berg wieder hinauf. Der sanfte Hang auf der anderen Seite des Berges war ihr eine willkommene Abwechslung. Schnell erreichte sie den Wald an dessen Ende. Sie beschloss auf einem der hohen Bäume die hereinbrechende Nacht zu verbringen.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, erstarrte sie zu Eis. Am Fuße des Baumes hatte ein Trupp Skelettkrieger sein Lager errichtet. Sie sah auch einige Ghuls, deren bestialischen Gestank sie bis zu ihrem hochgelegenen Schlafplatz riechen konnte. Sie war der Panik nahe.
„Ausgeburten des Lichs!’, fuhr es ihr durch den Kopf.
Ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust.
„Es ist ein Lebender in der Nähe!“, kreischte ein Ghul, und fing an in der Gegend herum zuschnüffeln.
„Dort auf dem Baum!“, zischte ein Skelettkrieger.
Gilmenel war entdeckt. Die herbeigeeilten Skelettkrieger zückten ihre Bogen und schickten Pfeile in ihre Richtung. Flink wie ein Eichhörnchen sprang Gilmenel von Baum zu Baum. Die Skelettkrieger folgten ihr am Boden. Vor sich sah Gilmenel den Rand des Waldes kommen. Hinter einer Wiese sah sie Äcker und einen Bauernhof. Vielleicht würde sie dort Hilfe finden, dachte sie noch, als der Ast unter ihr brach. Die Axt eines Skelettkriegers hatte ihn getroffen. Sie hatte nicht genügend Schwung, um den nächsten Ast zu erreichen. Sie fiel, rollte sich geschickt ab und rannte in Richtung Bauernhof los.
Plötzlich wurden ihre Beine von etwas getroffen. Ein geworfener Streitkolben hatte sein Ziel gefunden. Sie ging zu Boden. Als sie aufstehen wollte, spürte sie einen stechenden Schmerz in ihrem linken Knöchel. Die Skelettkrieger näherten sich unaufhaltsam.
‚Nun hilft mir die Verstohlenheit nichts mehr. Nun muss ich kämpfen!’, dachte sie voll Grimm, und zog ihr kleines Schwert, ‚Mal schauen, was meine Schwertübungen bei dem Schwertlehrer der Waldläufer wert sind.’
Sie robbte zu einem Baum, den sie als Schutz von hinten benützte. Der erste Skelettkrieger kam auf sie zu. Sein Schwert mindestens viermal so groß wie das ihre. Sie erzitterte. Der Skelettkrieger holte aus. Gilmenel hob ihr Schwert zur Verteidigung.
„Sonnenbrunnen gib mir Kraft!“, schrie sie.
Ein riesiger gelber Blitz traf den Skelettkrieger. Er war nur noch ein Häufchen Asche. Die anderen anstürmenden Krieger hielten inne. Sie wanden sich von Gilmenel ab und stürmten hinter einen Baum. Kampfgetümmel und Schwerterklirren war zu hören. Gelbe und orange Blitze schossen hinter dem Baum hervor. Es wurde ruhig.

„Das nenn ich gerade noch rechtzeitig.“, hörte Gilmenel eine Frauenstimme hinter einen der Bäume triumphieren, „Was für ein Spaß!“
Ein Krieger im Silberhandwams kam hinter dem Baum hervor, und nahm dem Helm ab. Es war eine Menschenfrau. Sie schüttelte ihre rotbraunen Haare aus. Gilmenel fiel die Burg wieder ein.
„Gut, dass ich gerade vorbeikam.“, sagte sie zu Gilmenel.
Mit einem enormen Kriegshammer deutete die Kriegerin auf das Schwertchen
„Ich denke, dass kannst du jetzt wegstecken. Ich tu dir nichts, Kleine.“, versuchte sie Gilmenel zu beruhigen.
Gilmenel steckte langsam ihr Schwert ein.
„Vielen Dank. Bist du eine Kriegerin aus Lordaeron?“, fragte Gilmenel.
Die Kriegerin lachte lauthals, „Nein, die hätten gegen diese Verseuchungen nicht bestanden. Ich bin ein Paladin.“
„Ein was?“, stutzte Gilmenel.
„Ein Paladin. Wir haben uns geschworen alle Schwachen zu beschützen und das Böse in jeder Form zu bekämpfen. Das Licht gibt uns die Kraft. Unser Kloster ist auf der anderen Seite des Berges. Mein Name ist Xandriana.“, erklärte die Paladin.
„Die Burg!“, entfuhr es Gilmenel.
„Wer bist du?“, stutzte Xandriana, und hob ihren Hammer, „Jeder hier kennt unser Kloster! Nimm die Kapuze ab und zeige mir dein Gesicht!“
„Haltet ein! Ich bin nur eine harmlose Wanderin.“, sagte Gilmenel und nahm ihre Kapuze ab.
„Beim…..“, rief Xandriana, „Was bist du?“
„Ich bin ein Hochelf.“, sagte Gilmenel stolz.
„Ich habe von euch gehört, aber gesehen habe ich noch keinen.“, sagte Xandriana.
„Ja, wir halten uns wenn möglich gerne im Hintergrund. Unsere Vergangenheit macht uns bei den restlichen Völkern Azeroths nicht gerade beliebt.“, seufzte Gilmenel.
„Habt ihr nicht eure Heimat weit nördlich von hier?“, rätselte der Paladin, „Ich wundere mich was du dann hier bei uns herumwanderst. Vielleicht solltest du das meinem Kommandanten erklären.“
Gilmenel versuchte aufzustehen, aber der Schmerz in ihrem Fuß lies sie wieder zu Boden gehen.
„Was hast du?“, fragte Xandriana.
„Mein Knöchel scheint gebrochen zu sein. Ein Streitkolben hat mich dort getroffen.“, seufzte Gilmenel.
„Wenn es weiter nichts ist.“, lächelte Xandriana, „Das haben wir gleich.“
Sie hob ihre Hände. Ein warmes Licht durchdrang Gilmenel. Sie fühlte wie der Schmerz verschwand.
„Das sollte reichen. Nun kannst du aufstehen.“, sagte der Paladin.
Gilmenel stand auf. Der Schmerz war verschwunden.
„Wie hast du das gemacht?“, fragte sie verdutzt.
„Ich sagte schon, das Licht gibt uns Kraft.“, lächelte Xandriana.

Gilmenel beschloss mit Xandriana zu gehen. Vermutlich hätte sie wenig Chancen einen so geübten Paladin zu entkommen, dachte sie bitter.
„Erklär mir doch schon mal, warum du hier bist.“, sagte Xandriana als sie einen Weg betraten, der an einem See eine Rampe hochführte.
„Ich habe Kräuter gesucht.“, sagte Gilmenel.
„Guter Versuch, aber wo sind dann deine Kräuter?“, fragte Xandriana.
„Die habe ich auf der Flucht verloren.“, versuchte Gilmenel zu erklären.
„Nein. Das nehme ich dir nicht ab. Für ein paar Kräuter würde kein Mensch soweit reisen, und wenn würde er alles dafür tun sie dann nicht zu verlieren. Also die Wahrheit!“, drohte Xandriana, und zog ihren Kriegshammer.
Gilmenel spürte Unbehagen in sich aufsteigen. Die Wahrheit sollte so gut wie möglich verdeckt bleiben.
‚Diese Menschen haben auch Angst und sie haben große Kräfte. Vielleicht könnten sie uns helfen.’, dachte Gilmenel.
„Ja, gut. Steckt den Hammer weg, edle Paladin.“, sagte Gilmenel, „Ich bin eine Botschafterin unseres Volkes. Wir haben von einer dunklen Bedrohung gehört. Nachdem wir keine Antworten von den Menschen aus Lordaeron erhalten haben, wurde ich ausgeschickt um Neuigkeiten von dort zu bekommen.“
„Botschafterin, eh?“, rümpfte Xandriana die Nase, „Riecht mir eher nach Spionin.“
„Nein, nein. Wir haben keine bösen Absichten.“, beschwichtigte Gilmenel.
„Gut, das soll der Kommandant klären.“, sagte Xandriana, „Wir sind da.“
Vor ihnen erhob sich das Kloster. Erst jetzt wurde Gilmenel die schiere Größe der Gebäude aus grauen Steinen bewusst. Xandriana ging auf einen der Posten zu. Der salutierte.
„Gut. Kommandant Mograine übt gerade dort hinten auf dem Trainingsplatz.“, sagte Xandriana zu Gilmenel, „Komm los!“

Der Kommandant übte mit einem imposanten Streitkolben. Der Baumstamm, der ihm als Ziel diente, sah bereits ziemlich mitgenommen aus. Xandriana ging zu ihm und salutierte.
„Kommandant, das hier sollten sie sich einmal ansehen.“, sagte sie zu ihm.
Gilmenel fühlte sich ein wenig heruntergesetzt. ‚Das?’, fuhr es ihr durch den Kopf, ‚Bin ich ein Ding?’
Der Kommandant nahm ein Tuch und wischte sich den Schweiß von seinem nackten Oberkörper ab. Auch das hastig übergeworfene Hemd konnte seine enormen Muskeln nicht verbergen. Er kam auf Gilmenel zu.
„Kapitän, dann wollen wir mal sehen, was ihr…’, er stockte, „Beim Licht!“
Gilmenel wunderte sich langsam, ob hier noch nie jemand einen Hochelf gesehen hat.
„Lange her, dass ich jemanden von eurem Volk vor Augen hatte.“, fuhr der Kommandant fort, „Rasch setz deine Kapuze wieder auf. Es ist klüger, dass deine wahre Natur so wenige wie möglich hier erkennen. Es könnte sein, dass einige noch eine Rechnung mit den Hochelfen offen haben. Folgt mir beide in meine Bibliothek.“
Eine lange überdachte Treppe führte zum Kloster hinauf. Der Kommandant führte sie durch viele Gänge.
‚Nicht so elegant wie unsere Gebäude in Silbermond.’, dachte Gilmenel beeindruckt, ‚Aber sicherlich sehr wehrhaft.’
Der Kommandant blieb vor einer Tür stehen. Er nahm einen Schlüssel und schloss auf.
„Tretet ein, und nehmt Platz.“, sagte er.
Der Raum war rund. An seinen Seiten säumten Buchregale mit prächtigen Folianten die Wände. Einige Stühle standen gegenüber der Türe. Sie nahmen alle Platz.
„Gut. Nun, Kapitän gebt mir einen detaillierten Bericht wie ihr unseren Gast gefunden habt.“, forderte er Xandriana auf.
Diese berichtete von dem Kampf im Wald und ihren Weg zum Kloster. Sie zitierte wörtlich alles, was Gilmenel ihr gesagt hatte.
„Hm, solche Verseuchungen der Kultisten so nahe bei uns? Das ist bedenklich.“, raunte Mograine, „Aber nun zu dir, Elf. Es scheint mir, dass deine Absichten nicht ganz klar sind. Momentan bin ich eher geneigt dich in Ketten legen zu lassen.“
Gilmenel erschrak. Ihr bereits von Natur aus blasses Gesicht wurde noch blasser.
„Kommandant, dazu besteht keine Veranlassung.“, sagte sie geschockt, „Wir haben keine bösen Absichten. Im Gegenteil, uns plagen dieselben Sorgen um Azeroth wie euch. Doch leider bekommen wir von den anderen Völkern nur sehr schwer Informationen. Wir haben nun allerdings vernommen, dass etwas Böses in Lordaeron geschieht. Ich wurde daher geschickt, um uns hier Klarheit zu verschaffen.“
„Tja, das habt ihr arroganten Hochelfen euch selbst zuzuschreiben, dass ihr unbeliebt seid.“, sagte der Kommandant mürrisch, „Aber das spielt keine Rolle. Was mich stört ist die Heimlichtuerei. Warum sucht ihr keine offiziellen Kontakte?“
„Das haben wir versucht, Kommandant. Nur niemand gab uns Antwort.“, sagte Gilmenel resigniert.
„Wir hätten. Jeder Verbündete in Kampf gegen das Böse ist uns willkommen.“, sprach Mograine.
„Wir hatten keine Kenntnis von eurer Gemeinschaft.“, flüsterte Gilmenel.
„Nun gut. Was war dein Ziel?“, fragte sie der Kommandant.
„Ich wollte nach Lordaeron und mich dort umsehen. Vielleicht hätte ich dort ein wenig aufgeschnappt.“, antwortete Gilmenel, und hoffte die Ehrlichkeit der Antwort würde sich ihn ihrem Gesicht widerspiegeln.
Mograine lachte lauthals, „Einfältige Elfen! Nach Lordaeron, was? Niemand geht zurzeit so einfach in Lordaeron ein und aus. Der König hat alle seine Streitkräfte zur großen Heerschau dorthin bestellt. Du siehst, wir schlafen nicht. Der König verfolgt mit Argwohn die Aktivitäten des Kults der Verdammten. Es wird gesagt Kel’Thuzad ist dessen Kopf. Sie haben sich der Nercomanie verschrieben. Ihre Pläne sind uns noch unbekannt. Doch lässt dein Erlebnis vermuten, dass sie nun beginnen diese in die Tat umzusetzen. Der König ist sehr besorgt.“
„Ja, wir vermuten auch, dass Kel’Thuzad dahinter steckt. Aber wir befürchten eine weit größere Macht hinter ihm. Den Lick-König Ner’zhul selbst.“, bestätigte Gilmenel.
„Wenn das wahr ist, dann stehen wir wahrlich vor dem Abgrund, und brauchen jeden Verbündeten. Ich kann nichts versprechen, Elfe.“, sagte Kommandant Mograine, „Wie es morgen aussieht weis niemand. Ich halte es aber für wichtig, dass du in deine Heimat zurückkehrst, und euren Herrschern mitteilst, dass die Paladine der silbernen Hand an offiziellen Kontakten interessiert sind. Xandriana wird dich bis zum Bollwerk begleiten, und dafür sorgen, dass du es ohne Probleme passieren kannst.“
Xandriana hatte einen Trupp Paladine zusammengestellt. Dieser sei notwendig, da nun die Kultisten so aktiv seien, und selbst die Gegend um das Kloster wohl nicht mehr sicher sei, versicherte sie. Gilmenel hatte ihre Zweifel, dass dies der einzige Grund war.
Sie erreichten rasch das Bollwerk. Gilmenel erinnerte sich an die mühsame Kletterei auf den Bergen im Hintergrund. Xandriana wechselte einige Worte mit einem Offizier.
„Alles klar. Du kannst passieren.“, sagt sie zu Gilmenel, die sich bemühte so wenig wie möglich aufzufallen, „Hier. Diesen Brief hat mir Kommandant Mograine mitgegeben. Du sollst ihn euren Anführern überbringen. Leb wohl!“
Gilmenel verabschiedete sich und eilte durch das Tor des Bollwerks in Richtung Andorhal. Als sie den Eindruck hatte unbeobachtet zu sein, verschwand sie wieder im Wald. Sie fand die zwei Latten in Alexje’s Stall immer noch locker vor. Dieser war auch nicht weiter überrascht, sie plötzlich wieder zusehen.
„Ah, du bist zurück. Erfolg gehabt?“, fragte er.
„Ich vermute.“, antwortete Gilmenel unsicher, „Aber letztendlich kann das nur Sylvanas Windläufer beurteilen. Ich muss rasch weiter.“
„Warte bis zum Einbruch der Nacht.“, sagte der Stallmeister.
„Ich danke euch.“, sagte Gilmenel, „Seid vorsichtig. Der Kult der Verdammten beginnt seine Operationen in Lordaeron.“
„Das sind sehr schlechte Nachrichten.“, seufzte Alexje, „Aber vielen Dank für die Warnung. Ich werde versuchen zu erreichen, dass wir uns hier vorbereiten.“
Die Nacht brach ein. Alexje öffnete das Stalltor. Gilmenel stieg auf Khal’El auf, und ritt langsam zum Tor. Das Pferd stoppte bei Alexje.
„Es war schön dich wieder zu sehen, mein Mädchen. Trage nun deine Reiterin sicher und geschwind nach Silbermond.“, flüsterte er Khal’El ins Ohr, „Lebt wohl ihr beiden!“
Khal’El schüttelte ihren Kopf und ritt mit Gilmenel davon in die Nacht.

Gilmenel war froh, dass die Reise zu den Toren von Quel’Thalas ungestört blieb, und Dank Khal’Els Geschwindigkeit wie im Flug verging. Sie fand die Generalin in einem Heerlager an den Toren des Thalassischen Passes vor. Sylvanas Windläufer nickte ihr zu. Sie gingen in ihr Zelt.
„Ich bin erleichtert dich wieder zu sehen, Gilmenel.“, freute sich die Generalin, „Dein Auftrag war dadurch schon fast ein Erfolg. Sage mir hast du Neuigkeiten?“
„Ja, die habe ich.“, antwortete sie der Generalin und gab ihr einen genauen Bericht ihrer Reise. Zum Schluss händigte sie ihr den Brief von Kommandant Mograine aus.
„Das sind schlechte, aber auch gute Nachrichten.“, sagte Sylvannas Windläufer bitter, „Aber diese Paladine. Ich wusste nicht, dass sie bereits soweit sind.“
„Ihr kennt die Paladine?“, stutzte Gilmenel.
„Nein, ich habe nur von ihnen gehört. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie solche Fähigkeiten besitzen.“, antwortete die Generalin stirnrunzelnd.
„Nun, dann hoffe ich, dass wir sie als Verbündete gewinnen können.“, sagte Gilmenel hoffnungsvoll.
„Das bleibt abzuwarten.“, zweifelte die Generalin, „Deine Mission war ein voller Erfolg, Gilmenel. Nun ruhe dich rasch aus. Die nächste Aufgabe wartet bereits auf dich.“
 
20. Den Feind erkennen

„Nun, Mithrandir? Hast du alles im Hain klären können?“, fragte Erlendur besorgt und gleichzeitig neugierig den Istari. Sie waren die Einzigen in der Magistratshalle.
„Hm. Es gibt noch viele Rätsel.“, sagte Mithrandir nachdenklich, „Die Hüterinnen im Hain konnten mir wenig sagen. Sie berichteten nur von einem Elb, der die Matrone immer wieder aufgesucht hat. Manchmal wurde er von einem Menschen begleitet. Der Elb war es auch, der nach und nach alle Hüterinnen in den Bann zog.“
„Der Bann? Hast du ihn brechen können?“, fragte Erlendur.
„Das war nicht notwendig. Die neue Matrone hatte schon begonnen ihn von ihren Schwestern zu nehmen.“, erklärte Mithrandir mit Erleichterung in der Stimme, „Momentan versetzen sie die Gebäude des Hain wieder in ihren alten Zustand.“
„Ja, dieses Blendwerk muss beseitigt werden.“, sagte der Magistrat resolut, „Ich frage mich nur, ob dies nicht eine Idee der Atalantë war.“
„Die Atalantë? Hm, ja. Wir müssen dringend herausfinden, woher diese Atalantë kommen. Sie geben sich als Nachfahren Numénors aus, und doch trägt ihr Handeln und Streben die Handschrift des Bösen.“, rätselte Mithrandir.
„Die Geschehnisse des Untergangs Numénors liegen fern in der Vergangenheit.“, sinnierte der Magistrat, „Selbst die Königreiche der Überlebenden in Mittelerde liegen in Ruin, oder sind ihrer einstigen Größe und Glanz beraubt. Erhoffen diese Atalantë etwa von hier aus die unsterblichen Lande zu erreichen? Wenn es so sein sollte, sind ihre Anstrengungen vergebens. Manwë selbst stellte unsere Königin damals zu Zeiten der Entrückung vor die Wahl, ob die fünf Inseln den Weg von Aman und Valinor einschlagen, oder hier in Arda verbleiben sollten. Sie entschied sich für das Bleiben, bis Amaldëar bei den Valar Gnade gefunden hätte. Deshalb sind nun auch für uns die unsterblichen Lande fern, und wir können selbst nur den einmaligen Weg ohne Wiederkehr aller Eldar dorthin mit unseren Schiffen besegeln. Was also erhoffen die Atalantë?“
„Nun, wenn sie unter der Herrschaft desjenigen sind, den ich vermute, dann ist es nicht der Weg nach Valinor den sie suchen. Dieser ist in der Tat verschlossen.“, antworte der Istari nachdenklich, „Vielmehr denke ich, sollen eure Inseln einen Brückenkopf bilden für die bevorstehenden dunklen Machenschaften des Feindes. Eure Inseln sind abgelegen und vergessen in den Geschichten von Mensch, Zwerg oder Elb. Sie sind ideal für die geheimen Operationen des Feindes. Mich zu rufen, war daher das Klügste, das du tun konntest, Freund. Doch wir müssen mehr herausfinden.“

„Wie sollen wir das tun?“, zuckte Erlendur ratlos mit den Schultern.
„Die Streitkräfte von Königin Ëarmeneliene geben sich Mühe die südlichste Insel gegen die komplette Übernahme durch die Atalantë zu verteidigen. Die Festung, die sie dort erbauen, ist bereits sehr mächtig. Eure unermüdliche Flotte verteidigt die anderen Inseln bis jetzt erfolgreich. Doch leider ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Atalantë hier Verstärkung bekommen. Nein, der offene Kampf kommt für uns nicht in Frage. Wir müssen listig vorgehen.“, sagte Mithrandir.
„Was also tun?“, seufzte der Magistrat.
„Den Feind mit seinen eigenen Mitteln schlagen.“, orakelte Mithrandir in seinen grauen langen Bart, „Die Atalantë haben versucht, oder versuchen immer noch, die Elbengemeinschaft der fünf Inseln zu spalten. Die Vorgänge hier im Hain zeigen uns deutlich wie sie vorgehen. Nachdem ihre Gehirnwäsche entfernt wurde, mögen nun alle Hüterinnen wieder loyal zur Königin stehen, doch bin ich mir sicher, dass es noch weitere Verbündete der Atalantë hier gibt, die der Sache des Bösen freiwillig dienen. Die Geschehnisse hier werden daher den Atalantë bereits bekannt sein. Diese Niederlage werden sie nicht hinnehmen. Sie wissen um die Wichtigkeit des Haines für euch. Denn wer ihn beherrscht, hat die spirituelle Macht über die fünf Inseln. Wir müssen dafür sorgen, dass er den Atalantë in die Hände fällt.“
„Was?“, entfuhr es dem Magistrat, „Niemals! Wir haben ihn gerade zurückerobert. Nein, Mithrandir das ist kein guter Rat.“
„Warte, warte.“, beruhigte der Istari ihn, „Das letzte Mal hatten wir kein Wissen um die Geschehnisse. Dieses Mal geben wir den Gang der Dinge vor. Der Hain ist nur der Köder. Haben die Atalantë angebissen, dann hoffe ich, werden wir die gewünschten Informationen bekommen. Aber dazu benötigen wir einen Verräter.“
„Ah, ich verstehe.“, sagte Erlendur erleichtert, „Wir geben die Regeln vor. Doch warte, Mithrandir. Wir müssten sicher sein, dass der Verräter auf unserer Seite ist, und keinen Argwohn bei den Atalantë auslöst.“
„Du hast Recht. Alle Elben denen wir vertrauen, sind bei den Atalantë sicher bekannt, und würden durchschaut.“, sagte Mithrandir mit einem verschmitzen Leuchten in seinen Augen, „Aber wir haben das Glück, dass wir durch Zufall jemanden in unserer Mitte haben, der für die Atalantë ein unbeschriebenes Blatt ist, und für sie aber von starken Interesse sein dürfte.“
„Der Fremde!“, sagte der Magistrat und schlug sich mit der Hand auf die Stirn.
„Ja, jener.“, stimmte ihm Mithrandir zu, „Es freut mich, dass du die Lösung auch siehst. Die Atalantë dürften mittlerweile ziemlich neugierig sein, wer das ist. Ja, vielleicht erzeugt dieses Unwissen bei ihnen sogar Furcht.“
„Aber wie können wir sicher sein, dass er auf unserer Seite steht?“, zweifelte der Magistrat.
„Das ist sicher eine berechtigte Sorge.“, murmelte Mithrandir, „Nach allen was wir nun über ihn wissen, stammte er nicht aus Mittelerde.“
„Umso besorgniserregender.“, mahnte Erlendur, „Denn könnte er nicht den Heerscharen des Bösen angehören, die aus fernen unbekannten Landen Ardas kommen?“
„Nein, das denke ich nicht.“, versicherte Mithrandir dem Magistrat, „Ich hatte ein langes Gespräch mit der Matrone über den Fremden, und sie teilt mit mir die Auffassung, dass nichts Böses aus Mittelerde oder anderen Teilen Ardas in ihm ist. Leider stimmte sie nur zögerlich meinen Plan zu.“
„Nunja, das ist verständlich.“, grinste der Magistrat, „Aber wenn jemand den Fremden beurteilen kann, dann ist sie es. Gut, ich vertraue ihr in diesen Punkt voll und ganz. Wie geht es nun weiter?“

„Nun,“, brummte der Istari, „müssen wir leider etwas abwarten. Der Fremde muss sich unserer Sprache und der Sprache der Atalantë erst bemächtigen. Zumindest Quenya redet er schon in Bruchstücken. Die alte Sprache der dunklen Könige Numénors ist leider in eurem Volk nicht bekannt. Ich muss in selbst darin unterrichten. Ich hoffe dabei richtig in der Annahme zu liegen, dass dies die Sprache unseres Feindes ist.“
„Ich hoffe bei allen Valar, dass er schnell ausgelernt hat.“, seufzte der Magistrat. „Die Zeit drängt. Was soll danach geschehen?“
„Wir können dies nicht steuern.“, antwortet Mithrandir mit sorgevollen Blick, „Der Fremde muss alleine zur Festung der Atalantë.“
„Werden sie nicht Verdacht schöpfen, wenn er so plötzlich auftaucht?“, fragte der Magistrat zweifelnd.
„Sicher werden sie das.“, stimmte Mithrandir zu, „Deshalb muss seine Geschichte auch glaubwürdig klingen. Ich habe der Matrone bereits alles erklärt.“
„Erfahre ich auch was du planst?“, wollte Erlendur wissen.
„Sei nicht böse, alter Freund.“, sagte Mithrandir beruhigend, „Je weniger die genauen Details kennen, umso besser. Vetrau mir. Es ist alle geregelt.“
„Gut, ich vertraue dir.“, nickte der Magistrat, „Wir werden das schon schaffen.“
„Das kannst du auch.“, versicherte Mithrandir ihn, „Doch leider werdet ihr es alleine schaffen müssen, denn ich muss euch bald verlassen.“
„Jetzt? Zu diesen schweren Zeitpunkt?“, verzweifelte der Magistrat.
„Ja. Ich spüre, dass düstere Dinge sich in Mittelerde wieder zu regen beginnen. Dinge die wir bereits für besiegt hielten. Die Atalantë sind bereits ein sehr aktiver Teil davon.“, erklärte Mithrandir geheimnisvoll, „Doch sei versichert. Ich werde bei den grauen Anfurten Círdan um Beistand für euch bitten. Er dürfte die alten Bande zu seinem eigenen Volk nicht vergessen haben.“
„Eru möge seine Gedanken in die richtige Richtung lenken.“, flehte Erlendur, „Wir können gewiss jede Hilfe gebrauchen.“
Mithrandir stand auf und verließ die Magistratshalle mit wehendem Umhang.
 
21. Heile Welt leb wohl

„Ich gehe gerne hier am Strand spazieren.“, sagte der Fremde bekümmert, „Hier kann ich die Fremdartigkeit deiner Welt vergessen, und mich zu Hause wähnen.“
„Ja, ich liebe den Strand auch.“, antwortete Eärdaliene ihm, „Er ist so nahe am Meer, zu dem mein Volk immer schon eine besondere Liebe empfand.“
„Dein Volk.“, schluckte der Fremde und schüttelte resigniert seinen Kopf, „Dein Volk.“
„Was ist mir dir?“, fragte Eärdaliene besorgt.
„Jedes Wort, jeder Ort hier, ja selbst die Sterne machen mir immer wieder deutlich, dass ich sehr weit weg von zu Hause bin. Alles hier ist so fremd für mich.“, resümierte der Fremde.
„Aber du bist nicht alleine.“, beruhigte sie ihn, „Wir alle helfen dir.“
„Ja, das ist das einzig Tröstliche hier.“, stimmte er melancholisch zu.
Sie gingen eine Weile schweigend an den weißen Strand der Insel entlang. Das Meer spülte sanfte Wellen an die Gestade.
„Weist du, ich finde es erstaunlich, wie schnell du unsere Sprache beherrscht hast. Deine Fortschritte in den letzten Tagen sind beträchtlich.“, begann Eärdaliene das Schweigen zu brechen.
„Du schmeichelst mir.“, bedankte sich der Fremde.
„Nicht ohne Grund.“, setzte Eärdaliene schnell hinzu, „Denn alles, was wir bis jetzt von dir wissen ist sehr spärlich. Wir, nein, ich würde gerne mehr von dir wissen. Es ist nur sicher, dass du nicht aus einer uns bekannten Gegend Ardas stammst. Woher kommst du? Wer bist du?“
Eärdaliene warf dem Fremden einen schnellen schüchternern Blick zu. Der Fremde setzte sich in den Sand. Er vergrub seine Füße in den Sand und legte seine Hände auf die Knie. Er starrte zum fernen Horizont. Eärdaliene setzte sich neben ihn.
„Woher ich komm?“, sinnierte der Fremde lange, „Der Name meiner Heimat ist schnell gesagt, nur ist er bedeutungslos, denke ich.“
„Wieso sagst du das?“, wunderte sich Eärdaliene, „Die Heimat ist wichtig. Jedes Lebewesen braucht einen Bezugsort in seinen Leben. Einen Ort den man liebt, kennt und schätzt.“
„Solch einen Ort kenn ich nicht.“, schüttelte der Fremde seinen Kopf, „Ich war immer auf der Wanderung, ja manchmal sogar auf der Flucht. Aber stets war ich auf der Suche nach neuen Wissen.“
„Das klingt nach einem sehr rastlosen Leben. Aber trotzdem musst du doch irgendwo her kommen?“, fragte Eärdaliene.
„So gesehen hast du Recht.“, stimmte der Fremde ihr zu, „Außerdem ist es durchaus so, dass meine Herkunft mich beeinflusst. Doch ist das alles vermutlich unglaublich weit von hier entfernt, und daher bedeutungslos.“
„Nein, das ist es nicht.“, sagte Eärdaliene leicht verärgert.
„Sei nicht böse mit mir. Das alles hier ist für mich vollkommen fremd.“, sagte der Fremde und breitete seine Arme aus, wie wenn er ganz Arda umschlingen wollte, und lies sie wieder resigniert sinken, „Ich bin verloren. Siehst du. Ich habe nächtelang eure Sterne studiert. Sie sagen mir nichts. Es gibt kein Sternbild, das ich erkenne. Es stehen keine Monde am Himmel, die mir ihr vertrautes fahles Licht schenken. Die Sterne meiner Heimat Azeroth scheinen hier nicht.“
Der Fremde deutete auf das Meer, „Diese Wasser brandeten nicht an die Küste von Quel’Thalas, dem Land meiner Geburt. Diese Luft hat nie durch die Straßen von Silbermond geweht.“
Eärdaliene sah ihn fragend an.
„Ja, je intensiver ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir. Ich bin nicht mehr in meiner Welt.“, verzagte der Fremde. Ein leises Schluchzen entfuhr ihm.
„Dann hatte Mithrandir Recht, und du stammst nicht aus Arda.“, schüttelte Eärdaliene den Kopf, „Nur wie kamst du hierher?“

„Vermutlich bin ich an meinem Schicksal selbst schuld.“, sagte der Fremde achselzuckend, „In meiner Heimat, und besonders in meinem Volk, haben wir viel Wissen über die Magie. Arkane Energie hierzu steht uns in uneingeschränkten Mengen zur Verfügung. Es gibt daher sehr viele Magier wie mich bei den Hochelfen.“
„Hochelfen?“, staunte Eärdaliene, „Nein, von diesen Volk habe ich auf Arda noch nie gehört. Aber was deine Magie wirken kann, dass haben wir hier leider schon bitter erfahren müssen. Solch eine Macht wäre schon lange bekannt geworden. So starke Zauber beherrschen nur die Valar und ihre Diener. Selbst die mächtigen Istari verfügen nicht über derartige Fähigkeiten.“
„Ja, ich erinnere mich. Es tut mir sehr leid.“, sagte der Fremde und lies den Kopf hängen, „Ich wollte deine Mitschwester am Tor des Hains nicht töten. Aber ihr verfügt auch über einige magische Fähigkeiten.“
Eärdaliene schluckte und begann zu weinen. Das Bild der sterbenden Matrone war ihr in das Gedächtnis eingebrannt. Diese Schuld würde sie für alle Zeiten mit sich tragen.
„Ja.“, seufzte sie, „Die haben wir in der Tat. Doch beherrschen sie nur sehr wenige von uns. Die Teleri und alle Eldar versuchen aus dem Einklang der Dinge ihr Können zu ziehen. Wir versuchen mit den Geschenken von Eru und den Valar zu leben, und ihre Kraft auszunützen. Wissen und Beobachtung sind unsere Magie. Die Verschmelzung mit der Schöpfung ist unser Zauber. Die Natur ist uns heilig.“
„Das klingt sehr naturverbunden.“, staunte der Fremde, „Es erinnert mich an ein anders Volk in meiner Heimat. Die Nachtelfen, nahe Verwandte der Hochelfen, lieben ebenfalls die Natur über alles. Bei ihnen ziehen die Druiden ihre Magie aus ihr.“
„Das Wirken von Magie scheint sehr viel zu bedeuten in deiner Welt.“, schauderte es Eärdaliene, „Für die Eldar ist sie nur nebensächlich.“
„Das hätte sie für mich besser auch sein sollen.“, seufzte der Fremde, „Aber nein, der neunmalkluge Aliasan Mindmaker wollte den Dingen einmal mehr auf den Grund gehen ohne die Warnzeichen zu sehen.“
Aliasan schlug mit der Faust in den Sand.
„Nein, ich werde Azeroth nie wieder sehen!“, schrie er in den Wind.
„Möge Manwë deine Verzweiflung hören, und dir Kraft und Rat senden.“, sprach Eärdaliene sanft.
„Die wird er dringend brauchen.“, sagte eine tiefe Stimme in ihrem Rücken.
Eärdaliene drehte sich erschreckt um. Mithrandir stand wenige Schritte hinter ihnen.
„Keine Angst.“, beruhigte er sie.

„Mithrandir!“, rief Eärdaliene.
„Es ist gut dass ich euch beide zusammen hier alleine antreffe, Matrone.“, sagte der Istari.
Eärdaliene errötete, „Nennt mich doch nur weiterhin einfach Eärdaliene. Außerdem hat die Ernennungszeremonie noch nicht stattgefunden.“
„Nur ein formeller Akt.“, ergänzte der Istari, „Aber wie dem auch sei. Es gibt wichtigere Dinge zu besprechen. Was macht die Sprachausbildung unseres fremden Freundes?“
„Ich denke, dass ich euere Sprache schon gut beherrsche.“, sagte Aliasan bevor Eärdaliene antworten konnte.
„In der Tat euer Quenya ist fast perfekt.“, staunte Mithrandir.
„Ich hatte auch eine geduldige Lehrerin.“, sagte Aliasan und warf Eärdaliene einen sehr vertrauten Blick zu. Eärdaliene drehte sich schüchtern weg.
„Gut, gut.“, schmunzelte Mithrandir, dem der Blick nicht entgangen war.
„Unser Freund hat mir ein wenig von sich erzählt.“, sagte Eärdaliene, „Nun weis ich auch endlich wie er heißt. Und du hattest richtig vermutet, Mithrandir. Aliasan kommt aus einer anderen Welt. Soviel erachte ich als sicher. Er hat hier in Arda keine Wurzeln.“
„Das ist für uns vielleicht von Vorteil.“, sagte Mithrandir mit einem Stirnrunzeln, „Aber er muss uns freiwillig helfen wollen. Die Aufgabe ist gefährlich. Sehr gefährlich.“
„Aufgabe?“, Aliasan blickte Eärdaliene und Mithrandir fragend an.
„Ja, Aliasan. Wir benötigen leider deine Hilfe.“, sagte Eärdaliene mit einem niedergeschlagenen Blick in den weißen Strand, „Ich wollte, ich hätte dich darauf vorbereiten können.“
„Nun, ich habe schon viele Abenteuer überstanden.“, lachte Aliasan, „Wenn ich euch damit helfen kann, und euch so für eure Gastfreundschaft danken kann, dann sei es.“
Eärdaliene wollte ihn spontan um den Hals fallen, aber besonn sich im letzten Moment. Doch ihr freundliches Lächeln für Aliasan konnte sie nicht mehr unterdrücken.
„Das freut mich zu hören.“, sagte Mithrandir, „Eärdaliene kann dir alles sagen, was zu tun ist. Allerdings ist Eile geboten. Aliasan muss die Sprache der Atalantë noch beherrschen, doch es gebricht dazu an Zeit. Ich muss euch heute noch verlassen.“
„Mithrandir! Das sind schlechte Neuigkeiten.“, sagte Eärdaliene bestürzt.
„Es muss sein.“, sagte der Istari mit fester Stimme, „Andere Dinge benötigen dringend meine Aufmerksamkeit.“
„Aber ich kann ihm die Sprache der Atalantë nicht lehren.“, verzweifelte Eärdaliene.
„Nun, dann muss es ohne gehen.“, schüttelte Mithrandir seinen Kopf, „Ich kann nicht…“
„Verzeiht, aber vielleicht kann ich da helfen.“, unterbrach Aliasan ihn.
„Wie?“, entfuhr es Eärdaliene und Mithrandir gleichzeitig sichtlich überrascht.
„Auch ich habe ein Geständnis zu machen.“, sagte Aliasan verlegen, „Ich habe eure Sprache nur deshalb so schnell gelernt, weil ich mit einem Zauber das Wissen von Eärdaliene über ihre Sprache erworben habe.“
Eärdaliene schaute ihn ungläubig an.
„Verzeih mir Eärdaliene, ich wollte mich mit dir so schnell wie möglich unterhalten können. Ich habe dies aber nur langsam tun können, da ich es nicht wagte den Zauber zu intensiv anzuwenden.“, sagte der Magier, „Bei euch, Mithrandir, habe ich mich nicht getraut. Eure Magie ist zu groß. Ihr hättet selbst den kleinsten Zauber bemerkt. Doch nun wo Eile geboten ist, und mit eurer Erlaubnis, wäre dies auch bei euch möglich.“
„Hm.“, murmelte der Istari, „Nun, es ist möglich. Nur werde ich meinen Geist vorher von anderem Wissen zu eurem Schutz säubern. Nehmt alles Wissen das ihr vorfinden werdet.“
Mithrandir nahm seinen Stab und faltete seine Hände wie zum Gebet um ihn. Er schloss seine Augen und murmelte einige unverständliche Worte. Der Stab leuchtet kurz hell auf.
„Beginne!“, sagte er wie in Trance.
Aliasan nahm seinen Stab und deutete auf den Istari. Ein blauer Strahl züngelte auf Mithrandir zu und hüllte ihn in blaues Licht. Aliasan schloss die Augen. Nach einigen Minuten fielen beide erschöpft zu Boden. Das blaue Licht verschwand. Mithrandir erhob sich und murmelte wieder einige Worte. Sein Stab leuchtete erneut kurz auf.
„Es ist vollbracht.“, sagte er müde, „Es hat die Dinge sehr erleichtert.“
„Soviel Wissen!“, stöhnte Aliasan der mit gesenktem Kopf auf allen Vieren im weißen Sand kauerte.
„Aliasan? Was ist mit dir?“, fragte Eärdaliene besorgt und kniete sich neben den Hochelf, und nahm ihn zärtlich in ihre Arme.
„Ich habe ihm nicht nur die Sprache der Atalantë gelehrt, sondern sämtliches Wissen gegeben, dass ihm hier von Nutzen sein könnte.“, beruhigte Mithrandir sie, „Er erfuhr alles über die Eldar, die fünf Inseln, Numénor, dessen Fall und die bevorstehende Aufgabe.“
„Das ist in der Tat ein gewaltiges Wissen.“, staunte Eärdaliene.
Aliasan schüttelte den Kopf benommen, und stand auf.
„Was für eine Welt! Was für Geschichten!“, sagte er noch leicht benommen, „Azeroth ist ein Nichts dazu! Mithrandir ich danke dir. Es wird meinen Aufenthalt hier sehr erleichtern. Meine Aufgabe ist schwer, aber ich denke ich werde sie meistern, auch wenn die heile Welt ganz vergeht.“
„Nun denn!“, ermutigte Mithrandir alle, „Lasst uns die Atalantë schlagen! Lebt wohl!“
Mithrandir eilte den Strand entlang. Ein Boot wartete nun plötzlich wenige hundert Meter von ihnen entfernt.
„Leb wohl, Freund!“, winkten ihm Eärdaliene und Aliasan zu.
 
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22. In Amt und Würden

Der Raum der Matrone war wieder schlicht, so wie er sein sollte. Der Pomp, den die Matrone Oboëlindë einrichten lies, war wieder dem schlichten und meditativen Stil, der hier die Zeitalter über herrschte, gewichen. Eärdaliene kniete tief im Gedanken versunken in der Mitte des Raumes auf den unbedeckten Boden. Eine Elbin trat in die Türöffnung.
„Bist du bereit?“, sagte Gwäedaliene sanft.
Eärdaliene hob langsam den Kopf und öffnete die Augen.
Sie schaute Gwäedaliene fragend an, „Kann ich das jemals sein?“
„Du wirst es schaffen.“, versuchte Gwäedaliene ihr zu versichern.
„Weist du noch, wie du vor noch nicht allzu langer Zeit eine gedankenverlorene unbedeutende Hüterin am Strand gesucht hast, damit sie ihrer ehrenvollen Aufgabe nachkommt?“, fragte Eärdaliene nachdenklich, „Und nun soll sie die geistige Führerin unseres Volkes werden?“
„Ja, ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen.“, sagte Gwäedaliene, „Doch die Pläne Erus sind manchmal undurchsichtig für uns. Ich bin mir sicher, dass er alles zum Guten fügen wird. Du hast dich als wahre Verteidigerin des Hains ausgezeichnet. Deine spirituellen Fähigkeiten suchen ihresgleichen. Wenn nicht du, wer dann?“
“Verteidigerin?“, seufzte Eärdaliene aus tiefsten Herzen, „Ich hoffe es wird nicht zur Sitte, dass die Mörderin der Matrone ihre Nachfolgerin wird.“
„Mörderin? Unsinn!“, winkte Gwäedaliene ab, „Oboëlindë hat uns an die Atalantë verraten. Sie war nur ein weiteres Opfer dieses sinnlosen Krieges.“
„Ich wünschte ich könnte dies so sehen.“, schüttelte Eärdaliene den Kopf, „Es wird meine Schuld für immer sein. Doch stehen zu viele Dinge momentan auf dem Spiel. Ich kann hier nicht dem Trübsinn verfallen. Ein Teil meines Herzens wird für immer schwer sein, aber ich muss mich nun auf die Aufgaben, die vor mir liegen, konzentrieren, und du auch.“
„Ich?“, wunderte sich Gwäedaliene, „Was kann ich als einfache Hüterin tun?“
„Nun, du kannst viel tun, aber nicht als einfache Hüterin.“, nickte Eärdaliene ihr zu, „Ich will, dass du meine Stellvertreterin wirst.“
Gwäedaliene holte tief Luft. Ein flüchtiges Grinsen huschte über ihr Gesicht, bevor es ernste Züge annahm.
„Ich? Nein!“, sagte sie abwehrend, „Dazu bin ich nicht würdig genug.“
„Doch, das bist du.“, redete Eärdaliene ihr zu, „Du warst die einzige Getreue, die dem Wahnsinn Oboëlindës nicht erlegen ist. Ich wüsste keine andere, der ich vertrauen könnte, und die ich an meiner Seite haben wollte.“
„Ich habe nur überlebt weil du gekommen bist.“, antwortete Gwäedaliene, „Doch dein Vertrauen ehrt mich, und deshalb will ich dich nicht enttäuschen. Ich akzeptiere die Bürde und das Amt.“
„So sei es.“, sagte Eärdaliene und stand auf, „Nun lass uns gehen, damit sie nicht wie üblich einen Suchtrupp nach mir schicken müssen.“

Die beiden Elbinnen schlugen den kurzen Weg zum Innersten des Haines ein.
„Die Königin ist leider nicht gekommen.“, flüsterte Gwäedaliene ihr zu, „Ihre Berater hielten es für zu gefährlich. Aber sie hat einen Gesandten mit einer Botschaft geschickt.“
„Das ist auch ausreichend.“, antworte Eärdaliene leise, „Außerdem gibt es ja keine fest vorgegebene Zeremonie. Oboëlindë war erst die zweite Matrone seit der Erschaffung der Inseln.“
Sie betraten das Innerste. Der weite Hain, der sich im Innersten eines Wäldchens befand, lag vor ihnen. Nur ein symbolisches Tor trennte ihn von den anderen Gärten des Ordens mit ihren leichten und zierlichen Gebäuden. Der gesamte Magistrat stand am Tor und verbeugte sich vor ihr. Die Hüterinnen hatten sich um den innersten Ring der heiligen Bäume, die den See mit der Wassersäule Ulmos umgaben, gestellt. Innerhalb des Baumringes durften sich nur die Matrone und die Königin aufhalten. Doch selbst für sie war die Berührung der Wasser des Sees, oder gar der Wassersäule, tabu.
Sie näherten sich den Bäumen. Ihre Stämme glänzten silbern wie Mithril. Die feinen Blätter leuchteten wie Smaragdjuwelen mit grünem Feuer. Eärdaliene erinnerte sich an den Schmuck der großen Halle.
‚Nein,’, dachte sie, ‚kein Elbenwerk kann sich mit den Schöpfungen der Valar messen.’
Auf dem halben Weg zu den Bäumen stand ein Elb. Er musste eine hohe Position innehaben, denn alle Elben, die den Hain betraten, blieben für gewöhnlich am Tor stehen. Zu groß war die Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten.
„Ich überbringe euch die Grüße der Königin Ëarmeneliene.“, sprach der Elb in salbungsvollen Tonfall.
Eärdaliene erschrak. Ein Stutzen huschte kurz über ihr Gesicht. Auch wenn der Tonfall ein anderer war, die Stimme war dieselbe, die sie in der großen Halle vernommen hatte. Die Stimme, die sie betören wollte. Schnell versuchte sie die Fassung wieder zu erlangen.
‚So nah an der Königin sitzt also schon der Verrat.’, dachte sie bitter, ‚Aliasans Auftrag wir immer schwerer.’
„Der Segen Erus möge unsere Königin und euch erfüllen.“, antwortete sie wieder gefasst.
„Die Königin bedauert, dass sie nicht persönlich anwesend sein kann, aber die Zeiten werden immer dunkler. Eine Reise wäre zu gefährlich. Gerne ist sie dem Rat Mithrandirs gefolgt, euch als neue Matrone zu berufen. Ihr Segen und die besten Wünsche mögen euch in dem schweren Amt stets begleiten. Eru sei gepriesen.“, trug der Elb seine Botschaft vor.
‚Glaubt er, dass ich ihn nicht erkenne?’, wunderte sich Eärdaliene.
„Ich danke der Königin für ihre Worte, und euch für die Überbringung.“, sagte sie, „Euer Weg war sicher gefahrvoll. Bitte bleibt deshalb doch noch und nehmt an unserem kleinen Fest nach der Zeremonie teil. Es wäre mir eine Ehre.“
Der Elb verbeugte sich und sagte, „Ich verweile gerne in der Ruhe des Hains.“

Eärdaliene nickte ihm kurz zu und setzte ihren Weg zu den heiligen Bäumen fort. Wundervolle leichte Musik aus goldenen Elbenkehlen erfüllte plötzlich die Luft. Eärdaliene hatte sich eine kleine Melodie gewünscht, und die Auswahl der Chorleiterin überlassen. Sie hielt inne. Tränen liefen vor Rührung über ihr Gesicht.
‚Die letzte Strophe!’, dachte sie überrascht, ‚Dessen bin ich nicht würdig.’
Sie ging zögerlich weiter. Gwäedaliene, die bis jetzt an ihrer Seite ging, reihte sich nun in den Ring der Hüterinnen ein. Es waren nur noch wenige Schritte durch den Ring der Bäume zum See. Das kristallblaue Wasser des Sees lag ruhig in der Sonne. Die Gewalt der Wassersäule in der Mitte erzeugte keinerlei Wellen im glatten Spiegel des Sees. Sie schaute auf die Wassersäule. In wilder Gischt schoss das Wasser nach oben. Tausende von Regenbogen umgaben sie. Sie lies ihre Robe zu Boden fallen. Zwei Hüterinnen näherten sich. Sie entfalteten eine weiße Robe, wie sie Eärdaliene getragen hatte. Nur der schmale Streifen von gewebten Mithril an deren Seite unterschieden sie von ihrer alten Robe, und zeichneten sie so als Matrone des Haines aus. Sie legte sie an und trat in den Baumkreis an den See.
„Eru sei gepriesen!“, sang sie mit erhobenen Händen, „Möge er mich als seine Dienerin annehmen zum ewigen Wohle des Haines. Ulmos Vermächtnis an die Kinder Illuvatárs werde ich stets schützen. Allen Schwachen, Trostsuchenden und Kranken mögen vom Orden und mir Stärkung zu Teil werden.“
Sie verstummte und lies die Hände sinken. Langsam ging sie rückwärts vom See weg. Als sie die Bäume erreichte drehte sie sich um und blieb stehen. Die Hüterinnen begannen sich ihr von links und rechts zu nähern. Jede erwies ihr mit einer tiefen Verbeugung die Ehre, und nahm einen Platz zur Seite des Wegs zum Tor ein.
Gwäedaliene war die Letzte, die ihre Loyalität gegenüber der neuen Matrone mit ihrer Verbeugung zum Ausdruck brachte. Eärdaliene verbeugte sich ebenfalls von ihr und wies ihr den Platz zu ihrer Rechten zu.
„Schwestern! Alle schrecklichen Dinge sollen hier an diesen heiligen Ort vergessen sein.“, sprach Eärdaliene, „Unsere Aufgabe ist das Gedenken an unsere Herkunft, und der Beistand für alle Hilfesuchenden. Ulmo selbst hat uns diesen Auftrag vor Zeitaltern gegeben. Lasst uns alle würdig sein diesen zu erfüllen. Frieden ist unser Ziel. Sanftmut und Liebe sind unsere Waffen. Eru wache über uns alle.“
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort, „Schwestern! Ich möchte euch Gwäedaliene als meine Stellvertreterin vorschlagen.“
Alle Hüterinnen nickten in stiller Zustimmung gleichzeitig mit dem Kopf. Eärdaliene ging im Spalier der Hüterinnen gefolgt von Gwäedaliene auf das Tor zu. Diese reihten sich zu zweit hinter der Matrone ein, nachdem sie vorbeigegangen war.

Der Zug näherte sich dem Tor. Aliasan stand darin. Er hatte seine rote Robe angelegt. Seinen Zauberstab hielt er wie eine Wache, die mir ihrer Hellebarde jemanden den Weg versperren wollte. Seine Gesichtszüge waren ernst. Eärdaliene blieb stehen.
„Ich gratuliere dir.“, sagte Aliasan mit Hochmut in der Stimme, „Ich hoffe die Schuhe deiner ermordeten Vorgängerin passen dir.“
Er drehte sich brüsk um und verlies den Hain.
„Was?“, schüttelte Eärdaliene verdutzt den Kopf. Aus den Augenwinkeln heraus konnte sie einen überlegenden Blick des königlichen Botschafters auf den davoneilenden Aliasan erhaschen.
‚Es war zwar nicht so geplant, aber umso besser.’, dachte sie.
Erlendur kam auf sie zu.
„Matrone, sollen ihn die Wachen stellen?“, fragte er besorgt.
„Nein. Lasst ihn ziehen. Seine Macht ist zu groß.“, antwortete ihm Eärdaliene, „Ich werde später herausfinden, was das zu bedeuten hatte. Eigentlich war er als Gast zur Feier eingeladen, aber nun ist es besser, dass er gegangen ist. Sein Verhalten ist in letzter Zeit sehr merkwürdig. Wenn das der Dank für seine Rettung war, dann soll er mir aus den Augen gehen.“
„Ja, wirklich merkwürdig.“, nickte Erlendur nachdenklich.
„Aber nun lasst uns feiern, Freund.“, munterte Eärdaliene ihn auf.
Eärdaliene führte alle aus dem Gelände des heiligen Hains und des Ordens hinaus. Auf dem Platz vor dem Zugangstor zu den Orden war bereits ein Fest für alle Bewohner der kleinen Siedlung vorbereitet. Wie Ulmo es vor Zeitaltern verfügte, war es immer noch die einzige Siedlung der Teleri auf dieser Insel. Die Elben der Siedlung vollbrachten hauptsächlich die Arbeiten, die die Hüterinnen des Ordens nicht selbst ausführen konnten. Nun waren alle vor dem Hain versammelt. Als die neue Matrone den Hain verließ, verbeugten sich alle Bewohner vor ihr. Offiziell war sie nun das Oberhaupt über alle Teleri dieser Insel, und nur der Königin untertan und Rechenschaft schuldig.
„Teleri dieser heiligen Insel Ulmos!“, richte Eärdaliene das Wort an die Versammelten, „Eru möge stets über euch wachen, und Ulmo uns alle schützen. Wie es seit Alters her der Brauch ist, so will auch ich den Magistrat der Insel anerkennen. Mögen er auch weiterhin die weltlichen Geschicke unserer kleinen Schar hier überlegt und mit der Weisheit, die Manwë ihn geben möge, lenken. Nun lasst uns die Geschehnisse dieser düsteren Tage für kurze Zeit vergessen. Die Feier möge beginnen!“

Die Feier war dem würdevollen Anlass angemessen. Ein Barde unterhielt alle mit dezenten Klängen seiner Leier. Die Elben der Siedlung gratulierten alle nochmals einzeln Eärdaliene.
„Eine schöne Feier.“, sagte der Botschafter der Königin zu ihr, „Sie lässt mich die dunklen Ereignisse fast vergessen.“
„Es sind nur wenige Augenblicke der Ruhe. Wir sind uns hier sehr bewusst, dass wir unseren Frieden dem Blut unserer Kämpfer auf der südlichen Insel und den tapferen Seeleuten verdanken.“, antwortete sie ihn, „Doch wurden wir einander noch nicht vorgestellt. Sagt wie ist euer Name?“
„Man nennt mich Atrahandil.“, antwortete der Botschafter und verbeugte sich.
„Nun ihr müsst der Königin sehr nahe stehen. Sie hätte euch sonst nicht mit so einer ehrenvollen Aufgabe bedacht.“, schmeichelte Eärdaliene ihn in der Hoffnung mehr von ihm zu erfahren.
„Nein, ich bin nur einer ihrer vielen Berater.“, antwortete er mit einer sanften Stimme, die Eärdaliene fast vergessen lies, was diese Stimme vermochte, „Die Königin hat mich wohl deswegen ausgewählt, weil ich oft zwischen den Inseln reise, und die momentanen Gefahren gut kenne.“
‚Ja, das ist kein Wunder wenn du mit den Atalantë paktierst.’, dachte sie für sich.
„Sagt mir, wie steht es um unsere südliche Insel?“, fragte sie Atrahandil.
„Nun,“, zögerte der Botschafter, „Die Atalantë sind mächtig. Noch halten unsere Verteidigungslinien. Allerdings ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die Truppen der Atalantë Ersatz bekommen. Ob wir dann standhalten können ist fraglich. Vielleicht sollten wir eine Art Waffenstillstand mit ihnen verhandeln.“
‚Verräter!’, kochte die Wut in Eärdaliene auf.
„Das wäre nur ein letzter Ausweg.“, sagte sie nun laut, „Diese Inseln sind unser seit Zeitaltern. Sie waren Ulmos Gabe an unser Volk.“
„Gewiss ihr habt Recht.“, stimmte Atrahandil listig zu.
Ein roter Feuerball explodierte mit einem lauten Donner in tausend kleine Flammen, die noch eine zeitlang in der Luft tanzten. Die Elben erstarten.
„Die Atalantë! Sie greifen uns an!“, schrieen einige.
Andere riefen, „Wir sind verloren!“
Alle rannten aufgeschreckt hin und her.
Nun fegte ein blaues Blitzgewitter über die Köpfe der panischen Elben.
„Ruhe, Schwestern und Brüder! Es richtet keinen Schaden an.“, sagte Eärdaliene mit ruhiger Stimme. Die obwohl sie leise und sanft sprach, von allen gehört wurde. Sie begann ein Lied zu singen. Die Elben spürten wie ihre Angst wich und Mut sie erfüllte.
„Lasst uns den Grund für diese Phänomene suchen!“, rief sie ihnen zu.
Tausende von goldenen Kometen fielen nun aus dem Himmel.
„Dort!“, rief ein Elb und deutet auf den Rand der Siedlung.
Ein goldener Lichtstrahl ging vom Boden in Richtung Himmel. Eärdaliene und der oberste Magistrat liefen in die angedeutete Richtung. Atrahandil folgte ihnen.
„Aliasan!“, rief Eärdaliene dem Magier aus Azeroth zu, „Was hat das zu bedeuten?“
Aliasan lies seinen Stab sinken. Der Lichtstrahl erlosch.
„Ich wollte euch nur erfreuen, Matrone.“, sagte er.
„Ihr habt alle fast zu Tode erschreckt.“, rügte Eärdaliene ihn, „Wir dachten die Atalantë greifen an.“
„Es waren nur harmlose Illuminationen.“, schüttelte der Hochelf den Kopf, „In meiner Heimatwelt Azeroth ist diese Magie bei Festen sehr beliebt.“
„Das mag sein.“, sagte Eärdaliene ernst, „Aber hier nicht. Ich untersage euch die Anwendung jeglicher Magie auf dieser Insel ohne sie vorher mit mir besprochen zu haben.“
„Ich…“, zögerte Aliasan, „Wie eure Heiligkeit befiehlt!“
Er verbeugte sich vor ihr in einer verhöhnenden Art, und verließ stolz schreitend den Platz in Richtung der Hütte. Atrahandil beobachtete alles sehr interessiert.
„Ihr undankbarer Geselle!“, raunte Eärdaliene Aliasan nach, und wandte sich an die herangeströmten Elben, „Elben! Wir haben diesen Gestrandeten hier Gastfreundschaft entgegen gebracht, und werden dies auch weiterhin tun. Doch ist er hier nun nur noch geduldet, und der Umgang mit ihm auf das Wesentlichste zu beschränken. Die Feier ist nun beendet. Lasst uns zur Ruhe gehen.“
Still und nachdenklich verließen alle Elben den Platz. Eärdaliene kehrte mit den Hüterinnen in den Hain zurück. Einzig Atrahandil blieb noch im Gedanken versunken stehen.
 
23. Neue Herren

„Hey du, Fischer“, rief Aliasan dem Fischer in seinem Boot zu, dass am Pier der Siedlung lag. Er sprang zu ihm in das Boot, „Du weist zu was ich fähig bin?“
Blaue Funken sprangen von Aliasans Händen. Der Elb nickte nur erschrocken.
„Gut.“, grinste Aliasan finster, „Dann bringe mich zur südlichen Insel. Ich bin sicher du findest einen Weg, wenn dir dein Leben lieb ist.“
Der Fischer löste die Leinen und setzte das kleine Segel des Bootes. Es nahm schnell Fahrt auf.
„Versuche keine Tricks!“, mahnte ihn Aliasan mit zornigen Blick, „Steuere nach Süden und nicht nach Norden!“
„Herr! Verzeiht, aber wir müssen unsere Insel im Norden umrunden, um durch die Gewässer zwischen den Inseln mit diesen kleinen Boot sicher nach Süden zu gelangen.“, erklärte der Fischer ihm eingeschüchtert.
„Nun gut.“, knurrte Aliasan, „Ich muss wohl deinen seemännischen Rat vertrauen.“
Aliasan setzte sich auf den Bug des Bootes und beobachtete den Fischer argwöhnisch. Dieser steuerte das Boot in Sichtweite der Küste nach Norden.
„Meine Partnerin wird mich vermissen, und nach mir suchen.“, sagte der Fischer nachdenklich, „Vermutlich wird sie den Magistrat aufsuchen.“
„Da macht dir mal keine Sorge, einfältiger Tropf.“, verspottete Aliasan ihn, „Sollte jemand auf die Idee kommen uns zu folgen, dann wird er sein blaues Wunder erleben. Sorge lieber dafür, dass wir unentdeckt bleiben, und schnell vorankommen.“

„Eärdaliene, Aliasan ist fort.“, sagte der oberste Magistrat besorgt, als er in den Raum der Matrone stürzte.
„Matrone, verzeiht. Ich konnte ihn nicht aufhalten.“, sagte die ihn begleitende Elbin, die momentan an der Pforte des Hains wachte, untertänig.
„Vielen Dank, Schwester. Es ist gut.“, beruhigte Eärdaliene die Hüterin, „Nun lass uns alleine.“
Der Magistrat warf dem anwesenden Atrahandil einen misstrauischen Blick zu.
„Atrahandil hat uns neue Botschaften von der Königin gebracht.“, antwortete Eärdaliene auf den Blick des Magistrats, „Ich wollte ihm gerade meine Antwort an sie geben.“
„Vielleicht sollte ich noch etwas verweilen.“, sagte Atrahandil nachdenklich, „Es scheint sich etwas Wichtiges ereignet zu haben.“
„Wie ihr wünscht.“, nickte die Matrone ihm zu, „Der Hain hat keine Geheimnisse vor der König oder ihren Vertrauten. Was ist geschehen, Magistrat?“
Erlendur stutze wegen der förmlichen Anrede.
„Die Partnerin des Fischers hat uns gemeldet, dass sie gesehen hat, wie Aliasan das Boot des Fischers betreten hat, und diesen bedroht hat. Sie stachen dann zusammen in See, und nahmen einen nördlichen Kurs.“, erklärte der Magistrat.
„In der Tat?“, antwortete ihn Eärdaliene stirnrunzelnd, „Ich dachte nicht, dass er so weit gehen würde, nachdem ich ihm seinen Stab genommen habe. Aber nun hat er sich erklärt.“
„Ihr habt was?“, schüttelte der Magistrat den Kopf.
„Ich habe ihm seinen Stab, die Hauptquelle seiner Magie, genommen.“, sagte sie ruhig.
„Wieso bei Eru?“, entfuhr es dem Magistrat.
„Nun, mir sind Meldungen zu Ohren gekommen, dass er seit der Feier das Magieverbot sehr oft gebrochen hat.“, sagte sie fest, „Daraufhin bat ich ihn zu kommen. Er ist tatsächlich gekommen. Ich befahl ihn mir seinen Stab auszuhändigen. Natürlich lehnte er ab, und verhöhnte mich. Aber ich konnte ihn mit einem lähmenden Lied betäuben. Doch trotzdem entkam dem Stab ein Feuerblitz. Dort bei der schwarzen Stelle an der Wand schlug er ein. Ich entriss ihm den Stab. Als er wieder zur Besinnung kam, stürzte er mit wilden Beschimpfungen und Flüchen, die ich nicht wiederholen will, aus den Hain.“
„Warum habt ihr das nicht gemeldet, Matrone?“, fragte der Magistrat verblüfft.
„Dies war eine Sache des Hains.“, antwortete sie kühl.
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor.“, murmelte Erlendur und sagte laut vorwurfsvoll, „Nun, er ist weg. Ich hoffe nur der Fischer kommt gesund zurück. Ich lasse ein Boot klarmachen und ihn verfolgen. Es sollte ihn vielleicht noch einholen können.“
„Nehmt mein Schiff.“, bot Atrahandil dem Magistrat an, „Es ist bei weitem schneller als eure Boote. Außerdem ist eine kampferfahrene Mannschaft an Bord, falls sich dieser Fremde wehren sollte. Es liegt vor der Insel auf Reede.“
„Ich nehme euer hilfreiches Angebot gerne an, wenn ich vermutlich vom Hain schon keine Hilfe mehr erwarten kann.“, sagte der Magistrat und warf Eärdaliene einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Vielleicht können wir ja auch seinen Stab mitnehmen, und gegen ihn einsetzen.“, sagte der Botschafter hoffend.
„Nein, das glaube ich nicht.“, erwiderte Eärdaliene ablehnend, „Es war sicher nur Glück, dass ich ihn überwältigen konnte. Der Magistrat und ich wissen, wie sehr der Fremde und sein Stab verbunden sind. Ich habe ihn deshalb an einen sehr sicheren Ort verbracht. Das ist Alles was der Hain in dieser Angelegenheit zu tun vermag.“
„Gut, ich denke es ist besser wir brechen auf. Hier erreichen wir nichts mehr. Gehen wir, Botschafter.“, sagte der Magistrat wütend, und verließ mit dem Botschafter die Matrone.

„Setzt volles Zeug!“, befahl Atrahandil bereits dem Kapitän seines Schiffes, als er hinter dem Magistrat gerade die Seilleiter an Bord kletterte, „Kurs Nord! Die Küste entlang. Ausguck besetzen. Kampbereitschaft!“
„Aye, Botschafter.“, rief der Kapitän, und gab die notwendigen Anweisungen an die Besatzung des weißen Schiffes weiter. Die Segel der drei Masten begannen sich im Wind zu blähen. Soldaten nahmen mit ihren Bögen Aufstellung an der Reling.
„Kurs liegt an. Alle Soldaten sind auf Kampfposition, Botschafter.“, meldete der Kapitän wenig später.
„Gut, Gut.“, nickte im Atrahandil zu, der gerade mit dem Magistrat die Brücke des Segelschiffes betrat, „Ich denke wir sollten dieses Individuum bald eingeholt haben, Magistrat.“
„Eingeholt ja.“, grübelte Erlendur, „Aber ob wir seiner auch habhaft werden, das bezweifle ich sehr.“
„Dies ist eines der neuen großen Schlachtschiffe der königlichen Flotte mit über hundert Elitesoldaten.“, sagte Atrahandil stolz, „Das sollte reichen, denke ich.“
„Hm. Ihr habt keine Ahnung wen wir verfolgen, und was er vermag.“, zweifelte der Magistrat.
„Nein, die habe ich nicht.“, lachte Atrahandil, „Aber seine Lichteffekte bei der Feier waren harmlos. Wenn das alles ist, was er vermag, dann sehe ich kein Problem.“
„Nein, das waren nur Spielereien.“, schüttelte der Magistrat den Kopf, „Unser ehemaliger Gast Aliasan kann weit mehr. Er tötet mit seiner Magie, wenn es sein muss. Ich war dabei, als er eine Hüterin damit getötet hat.“
„Wie bitte?“, stutze der Botschafter, „Und hier habt ihn nicht bestraft, sondern in der Siedlung frei herumlaufen lassen?“
„Nun, er war damals nicht bei Bewusstsein und konnte seine Taten nicht steuern.“, erklärte Erlendur mit gesenkten Kopf, „Sein wahres Gesicht zeigte er erst kurz vor der Ernennungszeremonie der neuen Matrone. Doch hätten wir schon vorher stutzig werden sollen. Seine Magie ist mit keiner in ganz Arda vergleichbar. Wir vermuteten schon früh, dass er kein Kind Illuvatárs ist. Wie wir später erfuhren stammt er aus einer anderen Welt. Er nannte sie Azeroth.“
„Wieso habt ihr sein Erscheinen nicht sofort der Königin gemeldet?“, fragte Atrahandil vorwurfsvoll.
„Verzeiht mir Botschafter, das hatten wir.“, antwortete ihm der Magistrat, „Vielleicht zog die Königin euch hier nicht zu Rate, da Mithrandir bald darauf bei uns zu Gast war.“
„Mag sein, mag sein.“, sagte der Botschafter, und rieb sich nachdenklich am Kinn.
„Auf seinen Rat hin überließ sie uns die Beaufsichtigung Aliasans. Wir sollten erst mehr über ihn erfahren. Aber wir haben wohl versagt.“, sagte Erlendur voll Verbitterung.
„Das bleibt abzuwarten, mein Freund.“, munterte Atrahandil ihn auf, „Der Wind steht günstig. Wir machen gute Fahrt. Der Ausguck sollte ihn uns bald melden.“

„Diese Narren!“, rief Aliasan ungläubig, „Sie kommen tatsächlich.“
„Eru sei gepriesen.“, sagte der Fischer erleichtert.
„Freu dich nicht zu früh.“, zischte Aliasan ihm zu, „Sie werden es noch bereuen, sich eingemischt zu haben.“
Das Kriegsschiff näherte sich dem kleinen Fischerboot rasch.
„Fischerboot voraus!“, meldete der Ausguck des Schlachtschiffes.
„Wir haben ihn!“, triumphierte Atrahandil, „Kapitän, bringen sie uns auf Schussweite längsseits.“
Der Kapitän lies die Segel raffen, um das Schiff der Geschwindigkeit des Fischerbootes anzupassen.
„Nun ist es an euch, Magistrat.“, sagte Atrahandil, „Ich denke es ist das Beste, dass ihr mit ihm redet.“
„Ich kann es versuchen.“, zweifelte der Magistrat, und trat an die Reling.
„Heyho, Fischerboot!“, rief er mit lauter Stimme, „Aliasan! Hört ihr mich?“
„Was wollt ihr?“, donnerte Aliasan zurück.
„Kommt zurück zum Hain, Freund.“, rief Erlendur.
„Freund?“, höhnte der Magier, „Behandelt ihr so Freunde? Besonders diese heimtückische Hexe von Matrone.“
„Ja, sie hat überreagiert.“, rief der Magistrat, „Aber wir werden eine Lösung finden.“
„Ist es eine Lösung mir meine Magie zu verbieten?“, rief Aliasan grimmig, „Ich glaube nicht. Außerdem hat sie etwas, das mir gehört. Und ich denke nicht, dass sie es mir freiwillig wiedergibt. Aber ich weis, wer mir helfen wird es wiederzuerlangen.“
„Nun, die Königin wird euch nicht helfen.“, rief jetzt Atrahandil.
„Königin?“, lachte Aliasan, „Eine Königin, die selbst Gefangene in ihrem Palast ist, weil sie es nicht schafft ihr lächerliches Königreich zu verteidigen? Nein, sie hat keine Macht mehr. Neue Herren werden bald über die fünf Inseln herrschen.“
„Die Atalantë?“, rief der Magistrat erstaunt, „Ihr wollt zu denen?“
„Richtig erkannt, alter Thor.“, höhnte Aliasan vom Fischerboot herüber, „Vermutlich wissen sie meine Magie mehr zu schätzen. Sie werden euch bald vernichtet haben.“
„Ich habe genug gehört.“, sagte Atrahandil zum Magistrat, „Kapitän, die Bogenschützen sollen Warnschüsse vor den Bug des Fischerbootes geben.“
„Bogenschützen!“, kommandierte der Kapitän, „Warnschüsse ab!“
Ein Pfeilhagel brachte das Meer vor dem kleinen Fischerboot zum brodeln.
„So sei es also!“, zürnte Aliasan mit finsterer Miene, „Ihr Narren!“
Eine blaue Lichtkugel formte sich zwischen den Händen von Aliasan.
„Glaubt ihr ich brauche meinen Stab für meine Magie.“, lachte er teuflisch, „Ihr irrt euch!“
Blitze durchzuckten die Lichtkugel. Aliasan schleuderte sie vor den Bug des Schlachtschiffes.
Aus dem Meer um das Schlachtschiff herum erhoben sich blau glitzernde scharf gezackte Eisberge, die den grausamen Wassern des Helcaraxë selbst entstammen könnten, und schlossen es ein. Es bewegte sich nicht mehr.
„Nun, lebt wohl!“, lachte Aliasan, „Wir werden und wieder sehen!“
Aliasan erhob die Hände. Ein tosender Wind setzte ein. Das Segel des Bootes knarrte laut im Wind. Sein Kiel pflügte mit vorher nie erreichter Geschwindigkeit durch die See.
 
24. Vertrauen?

„Gut, Fischer.“, sagte Aliasan als er aus dem Boot an den Strand der südlichsten Insel sprang, „Kehre zurück. Richte der armseligen Matrone im Hain aus, dass sie es bereuen wird, mich so behandelt zu haben.“
Der Fischer nickte nur kurz und schob das angelandete Boot zurück ins Meer. Aliasan zog die Kapuze seines Umhanges tief in sein Gesicht. Das Land ringsum schien verlassen. Ein lichter Wald zog sich die Küste entlang. Aliasan beschloss die Deckung des Waldes zu nutzen, als er seinen Weg in südliche Richtung fortsetzte. Soweit er es beurteilen konnte, waren sie kurz vor der Festung der Atalantë angelandet. Der Wald machte einen ungepflegteren Eindruck als die prächtigen üppigen Wälder der Insel des Hains. Das Grün des Grases war weniger saftig. Aliasan folgte dem Strand im Wald für ein paar Stunden.
Aliasan blieb stehen. Der Wald endete einige Schritte vor ihm. Das Land jenseits des Waldrandes war öd und leer. Die Stümpfe von einst mächtigen Bäumen ragten aus welkem Gras. Aliasan erstarrte. Ein Verteidigungswall durchschnitt die Einöde. Massive steinerne Wehrtürme unterbrachen den Erdwall alle zweihundert Schritte. Elbenkrieger standen auf den Türmen Wache.
‚Gut, das sie nur die andere Seite beobachten.’, dachte Aliasan nur teilweise erleichtert. ‚Allerdings dürfte Nichts auf der anderen Seite ihren Blicken entgehen. Ich muss eine Schwachstelle finden.’
Aliasan schlich zum Waldrand und suchte hinter einem Baum Deckung. Das Land war flach. Zu seiner linken war der Strand an dem er gelandet war. Wenn er seine scharfen Elfenaugen stark bemühte, so konnte rechts in der Ferne gerade noch den Strand der anderen Inselseite ausmachen. Der Wald zog sich auf halben Weg zum anderen Ufer weiter zurück um einer imposanten Festung Platz zu machen. Die Flagge der Teleri der fünf Inseln mit dem silbernen Delphin auf meerblauen Grund wehte auf den mächtigen Zinnen aus weißem Stein im Wind. Aliasan war tief beeindruckt.
‚Eventuell war es ein Trugschluss von mir aus der Schlichtheit der Gebäude des Haines meine Schlussfolgerungen zu ziehen.’, dachte er nachdenklich als er die sehr wehrhafte Anlage und das weite Heerlager aus weißen Zelten um die Festung betrachtete. Es wurde ihm klar, dass landeinwärts kein Durchkommen war, ohne entdeckt zu werden.
Auf der anderen Seite des Walls sah er dunklen Rauch aufsteigen. Die Höhe des Walls aber verwehrte ihm den Blick auf die Dinge dahinter.
‚Ich muss ihn überwinden oder umgehen.“, dachte er mit einem Blick in Richtung des Meeres. Vorsichtig und verstohlen schlich er wieder tiefer zurück in den Wald. Nach einigen hundert Schritten schlug er den Weg zum Strand ein.
‚Dem Sonnenbrunnen sei Dank, haben diese Elben alles wieder in meine Taschen getan.’, freute er sich, als er eine kleine kirschenähnliche Frucht aus der Innentasche seiner Robe holte, und sie aufaß. Für eine Stunde könnte er es nun den Fischen gleichtun, und unter Wasser atmen. Er sah den Strand entlang. Mit wenigen Schritten war er im Wasser und lies sich sinken.

Das Wasser war kristallklar und der Meeresboden sandig.
‚Ich sollte es vermeiden zuviel Sand aufzuwirbeln.’, dachte er, als er ruhig vor der Küste abtauchte. Als der Grund unter ihn jäh in die Tiefe stürzte, drehte er nach rechts und schwamm in Richtung des Stützpunktes der Atalantë. Auf der Höhe des Erdwalls hielt er inne. Der Wall hatte eine Fortsetzung unter Wasser. Starke Netze riegelten den Zugang zur Seite der Atalantë ab. In regelmäßigen Abständen waren Seile von den Netzen Richtung Land gespannt. Aliasan hatte keine Zweifel, dass sich am anderen Ende irgendeine Alarmvorrichtung befand. Es blieb ihm Nichts weiter übrig als den Netzen ins Meer hinaus zu folgen. Die Strömung wurde stärker und er hatte Mühe gegen sie anzuschwimmen. Die Netze machten einen Bogen und schienen nun parallel zum Strand zu verlaufen. Er wollte bereits wieder umdrehen, und eine andere Möglichkeit an Land suchen, als er das Ende der Netze erreichte. Um nicht die Orientierung zu verlieren folgte er ihnen auf der anderen Seite wieder in Richtung Ufer. Als er den Meeresboden unter sich ansteigen sah, tauchte er auf. Der Erdwall lag nun hinter ihm. Der Wall der auf der Seite der Elben leicht anstieg, fiel auf der Seite der Atalantë senkrecht ab, bis er in einem Wassergraben endete. Das Land jenseits des Wassergrabens war auf viele Hundert Schritte ohne jegliche Deckung. Die Festung der Atalantë lag dahinter.
Die Atalantë hatten wohl wenige Baumaterialien mitgebracht und so bestand die Festung vorwiegend aus dem Holz der Bäume, die sie hier gefällt haben mussten. Ein Palisadenwall mit spitzen Baumstämmen bildete die Begrenzung. Dahinter waren Wehrtürme aus Holz zu sehen. Aliasan tauchte wieder unter und schwamm weiter die Küste entlang. Ein Paar Delphine schwammen in der Nähe. Aliasan schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit. Nach einiger Zeit näherte sich ihm einer der beiden Delphine. Er schnitt Aliasan den Weg ab, und machte ein fiependes Geräusch.
‚Ich habe jetzt keine Zeit zum Spielen mit dir.’, dachte Aliasan.
Der Delphin wiederholte das Geräusch. Aliasan tauchte weiter. Der Delphin schwamm wieder zu seinem in der Ferne wartenden Partner. Plötzlich begannen beide auf Aliasan zuzukommen. Sie schossen knapp vor ihm vorbei.
‚Was wollt ihr?’, dachte er irritiert.
Die Delphine wendeten und kamen nun langsam auf ihn zu. Einer begann ihn in Richtung des Netzes zu schieben.
‚Was?’, wunderte sich Aliasan, ‚Delphine!’
Aliasan kam die Flagge der Teleri mit dem Delphin in den Sinn.
‚Trainierte Delphine! Diese Elben sind immer für eine Überraschung gut.’, dachte er als er versuchte gegen den Druck des Delphins anzuschwimmen, ‚Lange halte ich es nicht mehr gegen diesen Unterwasserwächter aus.’
Er versuchte nun dem Delphin seitlich in Richtung des Strandes zu entkommen. Der Delphin zögerte kurz und schob Aliasan nun ebenfalls in Richtung Strand.
‚Wenn ich hier auftauche bin ich in Sichtweite einer der Wehrtürme.’, dachte Aliasan besorgt, ‚Ich muss dem ein Ende setzen.’
Ein violetter Blitz entfuhr seinen Händen und traf den Delphin, der panisch und ziellos davonschwamm. Sein Partner beobachte alles aus der Ferne. Aliasan sah mit Bestürzung, wie sich der panische Delphin dem Netz näherte und sich darin fing. Der zweite Delphin schwamm schnell in Richtung des Wassergrabens davon.
‚Ich muss mich beeilen.’, dachte Aliasan sorgenvoll, ‚Wer weis was nun geschieht.’
Er schwamm so schnell er konnte Richtung Land. Als er am Strand auftauchte, hörte er wildes Glockenläuten aus dem Wehrturm, der dem Strand am nächsten war. Die Alarmseile hatten die Berührung des Netzes an den Posten weitergemeldet. Der zweite Delphin war vor dem Posten aufgetaucht und zwitscherte aufgeregt. Aliasan lief den Strand so schnell er konnte in Richtung der Palisade der Atalantë. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu hören, wie der Alarm von Wehrturm zu Wehrturm weitergegeben wurde.

Er war nun genau in der Mitte zwischen den Fronten. Von beiden Seiten konnte er wilde Kommandos hören. Er konnte nur hoffen, dass die Atalantë sein Heranstürmen nicht als Angriff verstanden. Die Absicht der Elbenkommandos war ihm klar, als ein Pfeilschauer knapp hinter ihm einschlug.
Aliasan hatte viel Mühe den Pfeilen zu entkommen. Geschickt wie ein Hase schlug er seine Haken mal in diese Richtung mal in jene, und näherte sich so langsamer als gewünscht dem Stützpunkt der Atalantë. Ein kleines Tor öffnete sich in der Palisade der Atalantë. Ein Trupp schwer gerüsteter Krieger lief auf ihn zu. Aliasan deutete es als gutes Zeichen, dass sie noch nicht ihre Schwerter gezogen hatten, sondern nur mit ihren Schildern die Pfeile der Elben abwehrten, die nun auch auf sie niedergingen. Aliasan rannte ihnen so gut es ging entgegen.
Als Aliasan und der Trupp sich trafen, wurde er von einem der Krieger der Atalantë gepackt und unter dessen Schild gezogen. Der Trupp machte kehrt und stürmte mit Aliasan zu dem kleinen Tor. Es wurde hinter ihnen zugeschlagen. Aliasan hörte wie ein letzter Pfeilschauer bedeutungslos auf das Tor niederprasselte.
„Gut gemacht Leute!“, sagte einer der Krieger.
Aliasan hatte Mühe ihn zu verstehen die Sprache hatte zwar Ähnlichkeit mit der, die ihn Mithrandir gelehrt hatte, aber die Worte klangen anders.
„Nun was haben wir da.“, sagte nun der Krieger an Aliasan gewandt, „Einen Elb der sich der erhaben Macht der Atalantë ergeben möchte? Hoffentlich bist du auch zu irgendwas nutze, damit sich unser Risiko gelohnt hat. Aber um das Lager zu putzen taugst du allemal.“
Aliasan hörte amüsiert zu. Ein leichtes ironisches Lächeln spielte um seine Lippen. Bevor der Krieger sich wehren konnte traf ihn ein blauer Strahl aus Aliasans Hand, und hüllte beide ihn einen blauen Schein. Der Krieger sackte zusammen.
„Vielen Dank für die Sprachlektion.“, sagte Aliasan nun mit dem richtigen Klang der Wörter.
Der blaue Schein verblasste.
„Natürlich kann ich euer Lager putzen.“, verhöhnte er nun die Krieger, „Aber ich denke, es findet sich bessere Arbeit für mich. Los, bringt mich zu eurem Anführer!“
Der Krieger stand langsam wieder auf. Der Trupp zog seine Schwerter. Von den Palisaden stürmten die Wachen heran.
„Das würde ich nicht tun!“, rief ihnen Aliasan mit donnernder Stimme entgegen.
„Halt, Männer!“, sagte der Krieger als er wieder auf den Beinen war, „Wir scheinen hier einen besonderen Elb gefangen zu haben.“
„Erlaubt, dass ich euch verbessere.“, grinste Aliasan hochmütig, „Ihr habt mich nicht gefangen. Ich bin freiwillig hier. Und nun bringt mich endlich zu eurem Anführer hier, bevor wir noch mehr unnütze Worte verlieren.“
„Nun mal langsam.“, sagte der Krieger, „Nehmt erst eure Kapuze ab, damit wir euer Gesicht sehen, Elb!“
Aliasan schob langsam die Kapuze seines grauen Umhanges zurück. Mit einem Ruck löste er den Verschluss und schleuderte den Umhang zu Boden.
Die Krieger wichen erstaunt zurück, als Aliasan sich in seiner prächtigen purpurroten goldbestickten Magierrobe mit leuchtenden blauen Augen stolz vor sie hinstellte.
„Bei Melkor! Wer oder was bist du?“, entfuhr es dem Krieger.
„Ich bin Aliasan Mindmaker, Magister des ersten Sanktums von Silbermond in Quel’Thalas, und ich biete den Atalantë meine Dienste an.“, sagte Aliasan kühl mit erhoben Kopf.

Die Vorgänge am Tor mussten sich wie ein Lauffeuer im Lager verbreitet haben. Aus allen Richtungen rannten nun Krieger der Atalantë in ihren hastig angelegten glänzenden schwarzen Rüstungen zum Tor. Aus einem der scharlachroten Zelte trat ein Soldat mit einer reich verzierten Rüstung. Wo er ging wichen die Soldaten zurück. Die silbernen Intarsien seiner Rüstung glitzerten in der Sonne. Der imposante blutrote Helmbusch seines Helmes wehte im Wind.
„Hauptmann! Was sollte dieses waghalsige Manöver?“, donnerte er, als er zu Aliasan und dem Krieger gelangt war.
Der Krieger salutierte, indem er die rechte Faust auf seine linke Schulter schlug.
„General Korthandes, dieser Elb hier rannte auf unsere Lager zu.“, meldete er, „Seine Absichten waren unklar. Wir mussten ihn abfangen.“
„Wieso ein Risiko eingehen und abfangen?“, raunzte General Korthandes, „Wer sich unserem Lager ohne Erlaubnis nähert, der wird abgeschossen.“
„General, seine Artgenossen schossen bereits auf ihn.“, berichtete der Hauptmann, „Das legte die Vermutung nahe, dass sie seine Absichten missbilligten.“
„So ich habe mir genug Gewäsch angehört!“, zischte Aliasan ungeduldig, „Ihr seit also der General der Atalantë?“
„Vorsicht General!“, rief der Hauptmann, „Dies ist scheinbar einer dieser Elbenzauberer vor denen uns unser König gewarnt hat.“
„Bin ich den hier denn nur von Schafen umgeben!“, lachte Aliasan, und mit einem kurzen Lichtblitz aus seinem Fingern verwandelte sich der Hauptmann in ein Schaf.
Die umstehenden Krieger stürmten auf ihn los. Ein weiterer Blitz aus Aliasans Fingern lies sie am Boden festfrieren. General Korthandes beobachtete alles skeptisch.
„Krieger! Halt!“, befahl er, „Es ist genug!“
„Ja, hört auf, bevor ich noch jemanden verletzen muss.“, verhöhnte Aliasan die Krieger.
Der General wandte sich an Aliasan, „Also was willst du hier Elb!“
„Ich biete euch meine Dienste an, General.“, sagte Aliasan mit einer tiefen Verbeugung, und fügte mit einem verächtlichen Blick auf den wieder menschlichen Hauptmann hinzu, „Und damit meine ich nicht Putzen.“
„Putzen?“, lachte Korthandes schallend, „Das wäre wohl Verschwendung. Kommt mit in mein Zelt.“
Der General winkte einigen Kriegern. Sie nahmen Aliasan in die Mitte, blieben aber respektvoll auf Distanz. Korthandes führte den Trupp weiter in das Lager. Aliasan konnte sehen, das hier und dort mit den Bau von Befestigungen aus schwarzen Stein begonnen worden war. Sie passierten ein bereits fertig gestelltes Tor von beeindruckender Größe. Aliasan konnte nun das Ende der Insel in einigen tausend Schritten Entfernung erkennen. Das Lager war riesig. Zelt an Zelt reihte sich bis an die Palisade hinter der sich unmittelbar das Meer befand. An Molen, die weit in Meer hinausragten, lagen große schwarze Schiffe mit grimmigen gehörnten Dämonen als Galionsfiguren. Zwischen dem Tor und den Molen wurde an einer Burg gearbeitet. Die bereits sichtbaren Fundamente waren gigantisch. Davor stand ein großes imposantes scharlachrotes Zelt. Eine schwarze Fahne mit einer silbernen Rune, die Aliasan nicht lesen konnte, fladerte davor im Wind. Aliasans Wache nahm Aufstellung vor dem Zelt. General Korthandes und Aliasan betraten das Zelt.

Das Innere des Zeltes war mit schwarzen Teppichen ausgelegt, die silberne Ornamente schmückten. An den Wänden hingen allerlei Fahnen und Karten. Ein massiver Holztisch Stand in der Mitte. Einige Stühle standen im Raum verteilt. Vier Wachsoldaten bewachten den Raum und die Durchgänge, die scheinbar in weitere Räume des riesigen Zeltes führten.
„Nun,“, sprach der General und lies sich in auf einen der Stühle nieder, „was meinst du, kannst du für uns tun, Elb? Ich muss zugeben, deine Vorstellung am Tor war wirklich imposant.“
„Es freut mich, General, dass ich euch beeindrucken konnte.“, antwortete Aliasan, „Verzeiht mir aber, wenn ich euch nun verbessern muss. Ich bin Aliasan Mindmaker, ein Magier der Hochelfen.“
„Hochelfen?“, stutze Korthandes, „Nie gehört. Aber fürwahr, wie einer dieser langweiligen Elben siehst du nicht aus. Ich habe so etwas wie dich auch noch nie gesehen.“
„Nein, ich komme auch nicht aus Arda.“, erklärte Aliasan, „Meine Welt liegt in den fernen Weiten von Eä. Ein Unglück brachte mich hierher, wo ich am Strand der Insel des heiligen Haines strandete.“
Der General wurde auf einmal aufmerksam, „Heiliger Hain? Fahre fort.“
„Ja. Die dortigen Elben pflegten mich zuerst gesund, um mich dann zu erniedrigen. Diese Elben!“, zürnte Aliasan mit Zornesröte im Gesicht, „Sie werden bereuen, was sie mir angetan haben! Besonders diese Hexe von Matrone!“
„Nun beruhige dich wieder.“, sagte General Korthandes, „Zorn ist ein starkes Gefühl, doch vernebelt es den Verstand. Nun erkläre mir was du meinst für uns tun zu können.“
„General, ich kann euch den heiligen Hain zu Füßen legen, wenn ihr mir vertraut.“, sagte Aliasan mit voller Überzeugung.
„Vertrauen?“, entgegnete Korthandes ihm, „Nun, wir werden sehen.“
 
25. Ein schwieriger Auftrag

„Schnell hier hinein, eure Majestät.“, der Paladin schob den Prinz von Sturmwind sanft in die richtige Richtung. Das Gewölbe war finster und nur dürftig mit Fackeln beleuchtet. Doch war die Kammer tief in ihren felsigen Fundamenten der sicherste Ort, den die Burg Sturmwind bieten konnte. Eine ganze Garnison an ausgesuchten Elitesoldaten sicherte den schmalen verwinkelten Zugangstunnel. Dieser war so eng, dass ein Mann zu seiner Verteidigung ausreichend war. In die Kammer allerdings durften nur der Prinz selbst und eine von Lord Bolvar Drachenwill persönlich ausgesuchte Wache. Der Paladin verriegelte die massive Zwergenstahltür der Kammer hinter ihnen mit enormen Balken aus Eisenbaumplanken.
„Nun sind sie sicher, eure Majestät“, versicherte der Paladin.
„Wir wollen es hoffen, Paladin.“, sagte der Prinz trotz der Geschehnisse und seines kindlichen Alters ruhig.
„Nun, nach dem ihr den Tunnel mit mir betreten habt, hat die Wachgarnison den Tunnel hinter uns besetzt. Das sollte reichen.“, sagte der Paladin.
„Ich weis nur nicht mehr, wem ich vertrauen kann.“, schüttelte der Prinz den Kopf, „Die Ereignisse im Thronraum lassen mich daran zweifeln. Kann ich euch trauen?“
„Ich verteidige euch bis in den Tod, Majestät“, salutierte der Paladin.
„Gut, gut.“, nickte der Prinz, „Ich will es euch glauben. Aber den Männer aus der Wachgarnison?“
„Und Frauen.“, ergänzte der Paladin als sie ihren Helm abnahm, „Ihnen könnt ihr ebenfalls vertrauen. Ich kenne sie alle seit ihrer frühesten Ausbildung. Lord Drachenwill hat alle persönlich ausgesucht, als er die Wachgarnison der Paladine des Königs aufstellte.“
Der Prinz seufzte, „Ich will es hoffen, aber das Blendwerk von Lady Katrana Prestor, oder soll ich besser sagen dieser widerlichen Drachenbrut Onyxia, war perfekt.“
„Ich habe keine Kenntnis, eure Majestät, was genau zu eurer Flucht hierher führte. Für mich zählt einzig eure Verteidigung hier.“, sagte der Paladin.
„Ja, wackere Paladin, aber der Verrat saß direkt mir zur Rechten.“, sagte der junge Prinz mit düsterer Miene, „Marshall Windsor ist zurückgekehrt, und hat Lady Katrana Prestor als den Drachen Onyxia enttarnt. Könnt ihr euch das vorstellen? Ein bösartiger Drache jahrelang an meiner Seite? Und noch viel mehr. Selbst meine eigenen Gardewachen waren zum Teil getarnte Drachen. Aber mehr bekam ich nicht mit, da Lord Drachenwill mich sofort hierher schickte, als der Kampf entbrannte. Nun können wir nur noch abwarten.“
„Wir sind hier sicher, und unsere Vorräte reichen Monate.“, versicherte sie den Prinzen, „Doch will ich hoffen, dass bald das Zeichen für eure Rückkehr gegeben wird.“
„Wir werden sehen.“, sagte der Prinz.

Der Prinz setzte sich auf einen Stuhl, und lies die Beine baumeln.
„Sagt mir Paladin, wie ist euer Name?“, fragte er.
„Ich werde Gilluine genannt, eure Majestät.“, antwortete sie.
„Das ist ein sehr schöner Name.“, nickte der Prinz, „Wie kamt ihr zu den Paladinen?“
„Das ist eine kurze und schnell erzählte Geschichte.“, seufzte sie, als ob sie einen sehr dunklen Gedanken beiseite schieben wollte. „Meine Eltern waren angesehene Kaufleute in Lordaeron. Als die Geißel über uns kam, war ich gerade sechzehn Jahre alt.“
Gilluine hielt inne, und schlug die Augen zu Boden.
„Ich verstehe, Paladin.“, versuchte sie der Prinz zu beruhigen.
„Meine Eltern flohen, als Arthas den Königsthron raubte, und sich mit der Geißel verbündete. In einem Bauernhof nahe der Burg Schattenfang fanden wir Zuflucht. Wir wähnten uns dort sicher. Zu spät erkannten meine Eltern ihren Irrtum. Mit Arthas, der nun selbst der Lich-König war, verbündete Werwölfe überfielen den Hof und töteten alle. Ich überlebte, weil ich mich in einem Schrank versteckte. Doch wäre ich vermutlich auch tot, wenn nicht ein Trupp Paladine des scharlachroten Kreuzzugs, der zufällig vorbeikam, die Werwölfe alle getötet hätte. Leider kamen sie für meine Eltern zu spät.“
Tränen begannen leise über ihre rosenfarbenen Wangen zu laufen. Sie wischte sie schnell mit ihren Wappenrock weg. Der Prinz blickte gnädig zur Seite.
„Nun, die Paladine brachten mich zu ihrem Kloster. Dort waren bereits mehrere Flüchtlinge versammelt. Der Kommandant dort wusste aber, dass Lordaeron nicht mehr sicher war, und so schickte er uns alle auf den Weg nach Sturmwind. Einige seiner Paladine begeleiteten uns bis Süderstadte. Nach einer langen und schweren Reise erreichten wir schließlich Sturmwind. Dort wurde ich in das Waisenhaus bei der Kathedrale gebracht.“
„Ihr habt wahrlich schon viel erlebt, Paladin.“, sagte der Prinz sanft, „Ich sehe es war dann nur noch folgerichtig, dass ihr selbst einer wurdet.“
„Ja, eure Majestät, ich brannte darauf es Arthas und der Geißel heimzuzahlen.“, zitterte ihre Stimme voller Wut, „Mein inneres Feuer fiel der Heimleiterin auf, und sie erzählte dies Lord Fingolf Darnwacht. Er besuchte uns im Waisenhaus, und spürte meinen Zorn.“
„Aber Paladine sollten doch mit Sanftmut kämpfen?“, fragte der Prinz.
„Und dem heiligen Zorn des Lichts.“, fügte Gilluine hinzu, „Lord Darnwacht sagte der Heimleiterin, dass er mich mitnähme und als Paladin ausbilden lassen würde. Mein Zorn müsste in die richtigen Bahnen gelenkt werden, sagte er. Und so geschah es, dass ich als Paladin ausgebildet wurde. Leider war meine Ausbildung erst nach den letzten Schlachten gegen die Geißel zu Ende, aber ich diente seitdem viel in den Pestländern. Ich bekämpfte das Böse überall wo es ging, als mich der Befehl erreichte, mich bei Lord Drachenwill zu melden. Er bot mir die Kommandantur der neu gegründeten Paladine des Königs an. Ich nahm geehrt an. Nun wache hier bei euch.“
„Ich fühle mich bei euch sehr sicher, Paladin.“, sagte der Prinz, und lächelte ihr aufmunternd zu.

Ein Teil der Kammerwand begann grün zu leuchten.
„Das Signal!“, rief der Prinz freudig, und lief zur Türe.
„Geduld, eure Majestät.“, versuchte ihn Gilluine zurückzuhalten, „Wir müssen erst das Bestätigungssignal abwarten.“
„Ihr habt Recht, Gilluine.“, nickte der Prinz und setzte sich wieder auf den Stuhl.
„Diese Türe ist so dick, dass wir kein Geräusch von außen vernehmen. Das zweite Signal wird aber unmittelbar vor der Türe durch eine geheime Vorrichtung ausgelöst.“, erklärte sie, „Damit ist auch sichergestellt, dass ihr die Kammer gefahrlos verlassen könnt. Nur vier Personen im ganzen Königreich kennen die Vorrichtung. Selbst ich weis nur von ihrer Existenz, aber nicht wo sie ist, oder wie sie bedient wird.“
„Gut. Warten wir.“, sagte der junge Prinz, und schwieg. Gilluine begrüßte dies sehr. Die Erinnerung an ihre Jugend hatte sie zu sehr bewegt. Tief in ihrem Inneren bedauerte sie es, dass sie sich vor dem Prinz gehen ließ.
Ein weiterer Teil der Wand fing nach einigen Minuten an grün zu leuchten.
„Majestät, wir könnten nun die Türen öffnen.“, meldete Gilluine, „Erteilt ihr diesen Befehl?“
„Ja, Paladin. Öffnet die Türe.“, befahl der Prinz.
„Tretet bitte in die dortige Ecke zurück, Majestät.“, bat sie den Prinzen.
Der junge Prinz lief in die angedeutete Ecke der Kammer. Gilluine entfernte lautlos die schweren Holzbalken. Sie zog ihr großes Zweihandschwert und klopfte mit dessen Knauf ein Signal auf der Türe. Sie hob ihr Schwert. Ein Klopfsignal von der anderen Seite brachte die Türe zum Dröhnen. Sie öffnete sich langsam. Ein Ritter trat ein.
„Alles sicher, Paladin.“, sagte Lord Drachenwill ruhig.
Gilluine senkte das Schwert, und salutierte, „Hier ebenfalls, mein Lord.“
„Gut, gut.“, sagte Lord Drachenwill und wandte sich dem Prinz zu, „Majestät, der Kampf ist vorüber. Die widerwärtige Drachenbrut Onyxia ist geflohen, aber alle ihre Wächter hier sind vernichtet.“
Er senkte den Blick und umklammerte sein Schwert.
„Leider muss ich euch aber berichten,“, sagte er bitter, „dass Marshall Windsor im Kampf gefallen ist. Tapfer hat er für euch gestritten bis der Drache ihn tödlich verwundete. Er starb in meinen Armen.“
„Das sind gute, aber auch bittere Nachrichten, mein Lord.“, sagte der Prinz traurig, „Es sei hier eine einwöchige Trauer im ganzen Königreich ausgerufen für Marshall Windsor. Er möge in allen Ehren in der Kathedrale des Lichts aufgebahrt werden, bevor er dort in der Heldengruft seine letzte Ruhestätte finden wird. Alle Regimenter meiner Heere sollen Ehrenwachen schicken. Alle Bürger und Adligen des Königreichs ihm die letzte Ehre erweisen. Verkündet dies in ganz Sturmwind.“
„Das ist nobel von euch, mein Herr.“, sagte Lord Drachenwill und verbeugte sich vor dem Kind, „Doch werden nicht alle eure Soldaten diesen Befehl ausführen können. Es gibt wichtige Kunde einzuholen.“
Er drehte sich zu Gilluine um, „Kommandantin, diese Geschehnisse haben mir gezeigt wie tief der Verrat selbst in unseren Reihen sitzen kann. Ich weis, dass ich euch und eurer Garnison vertrauen kann. Nehmt eure Leute, und schick sie zu unseren Verbündeten nach Theramore, Darnassus, Eisenschmiede und den anderen Gebieten. Sucht nach Zeichen des Verrats. Legt dazu eure königlichen Wappenröcke ab und geht verschwiegen vor. Offenbart euch nur dem, dessen Loyalität dem König gegenüber ihr sicher seid. Geht nun. Der Prinz ist jetzt sicher in meiner Obhut.“
„Aye, mein Lord.“, Gilluine salutierte und wollte die Kammer verlassen.
„Einen Augenblick noch, Kommandantin.“, sagte Lord Drachenwill.
„Mein Lord?“, antwortete Gilluine.
„Für euch habe ich zusätzlich noch eine besondere Aufgabe.“, sagte der Lord finster, „Bringt mir den Kopf dieses widerlichen Drachens.“
„Wie ihr befehlt.“, bestätigte die Paladinkommandantin.
„Nun macht euch auf eure Mission. Möge das Licht mit euch sein.“, befahl Lord Drachenwill.
Gilluine salutierte stumm und verließ den Raum.

Die Wachgarnison war bereits auf Befehl des Lords wieder in ihre Baracken eingerückt. Die Wache salutierte vor Gilluine, als sie durch das Tor den Innenhof der Unterkünfte betrat. Gilluine stellte sich in die Mitte des Platzes.
„Alle Mann angetreten zum Appell!“, donnerte ihr Befehl über den Innenhof.
Die Türen zu den Räumen der Mannschaft flogen auf. Männer und Frauen der Wachgarnison stürzten eilig auf den Innenhof. Manche legten dabei noch einige letzte Rüstungsteile oder Waffen an. Jeder der fünfzig Kopf starken vier Züge der Garnison nahm an seiner Seite des Innenhofs Stellung ein.
„Paladine des Königs!“, rief Gilluine, „Ihr habt euch bewährt! Nun ist es an uns einen ehrenvollen Auftrag unseres Hochlords Drachenwill persönlich auszuführen. Dieser Auftrag ist gefährlich und schwierig. Doch ihr werdet ihn meistern. Eure Hauptmänner werden euch in einer Stunde den Auftrag erklären. Bis dahin suche jeder von euch Rüstung und Waffen, die nicht das Zeichen unserer Garnison tragen und lege sie an. In einer Stunde erfolgt ein neuerlicher Appell hier. Bis dahin gilt für alle Redeverbot. Garnison weggetreten! Hauptmänner zu mir!“
Die Hauptmänner jedes Zuges kamen auf Gilluine zu.
„Lord Drachenwill ist besorgt.“, erklärte ihnen Gilluine, „Er vermutet weiteren Verrat innerhalb der Allianz. Einzig dieser von ihm persönlich ausgesuchten Truppe vertraut er. Deshalb ist es sein Befehl, dass wird alle Zeichen ablegen, und unauffällig nach weiteren Verrätern suchen. Alle uns bekannten Lande sollen untersucht werden. Jeder Verbündete ob Mensch, Elf, Gnom, Zwerg, Goblin oder was auch immer könnte ein Verräter sein. Die Paladine sollen vorsichtig vorgehen. Ihre wahre Identität dürfen sie nur im absoluten Notfall preisgeben. Jedem Zug wird ein Teil der Gebiete von Azeroth zugewiesen. Jeder Paladin meldet nur an seinen Hauptmann, und ihr nur an mich. Die Nachrichten werden im Code unserer Garnison verschlüsselt. Jeder Paladin erhält genügend Gold aus der Garnisonskasse für seine Ausgaben und seinen Lebensunterhalt. Soweit alles klar?“
Die Hauptmänner nickten.
„Gut. Dann lasst uns im Kartenraum die weiteren Details festlegen.“, sagte Gilluine und ging in Richtung einer großen Türe in einer der Ecken des Innenhofes.

Gilluine schritt die Reihen der Paladine ab. Die prächtigen silbernen Rüstungen mit ihren blauen Ornamenten und dem königlichen Wappenlöwen waren verschwunden. Die Helme mit dem stolzen Helmbusch aus blausilbrig schimmernden Federn lagen in den Kammern in den Truhen. Viele der Paladine trugen nun kein Schild und Schwert, sondern Waffen verschiedenster Art.
„Gut, Paladine.“, rief sie als sie wieder in der Mitte des Hofes stand, „Euere Hauptmänner werden euch nun die Befehle in euren Baracken geben. Weggetreten!“
Die Paladine gingen wieder zurück in ihre Unterkunft. Gilluine blieb nachdenklich im leeren Innenhof stehen. Es kam ihr so vor, als ob mit den schicken Rüstungen auch die Moral etwas gesunken wäre, da viele nun gebeugter gingen, oder gar nur gemütlich dahinschlenderten. Doch vermutlich war es nur ein wenig Angst vor der Unsicherheit, da der Befehl noch nicht klar war. Sie verschränkte die Hände hinter ihren Rücken und wippte auf den Fersen auf und ab. Sie dachte an ihren Spezialauftrag.
‚Der Drache wird nicht einfach zu besiegen sein.’, dachte sie nachdenklich, ‚Ich werde vermutlich Verbündete benötigen. Aber als erstes muss ich seinen Hort aufspüren. Ich denke ich weis, wer hier Informationen besitzen könnte.“
Die Türen zum Innenhof öffneten sich wieder. Die Garnison nahm erneut Aufstellung. Jeder Hauptmann erstattet Gilluine kurz Bericht, bevor er sich zu seinem Zug begab.
„Paladine!“, rief Gilluine, „Der Befehl ist erteilt! Nun geht und helft unser Land auf diese Art ehrenvoll zu verteidigen! Möge das Licht mit euch sein! Marsch!“
Die Züge der Garnison lösten sich auf. Die Paladine nahmen ihre Bündel und verließen den Innenhof zu zweit.
‚Viel Glück!’, dachte Gilluine, ‚Ihr werdet es brauchen.’
 
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26. Alles Käse?

Sie rümpfte die Nase als sie das Geschäft am Marktplatz von Sturmwind betrat.
‚Na hoffentlich sind die Informationen kein Käse, wie der Rest des Angebots hier.’, dachte sie und versucht möglichst nicht durch die Nase zu atmen.
Ohne dass jemand etwas dagegen gehabt hat, ging sie die Treppe zur Empore hinauf. Dort stand er. Vertrauenswürdig sah er nicht gerade aus mit seiner Augenklappe und dem ungepflegten Bart.
„Hallo.“, sagte sie, „Ich benötige Informationen.“
„Wir haben verschiedene Arten von Käse.“, antwortete er, „Ich berate euch gerne.“
„Ich meinte eher andere Informationen.“, sagte sie und schwenkte ihre Geldbörse in der das Klimpern von Goldstücken zu hören war.
„Ah, solche.“, sagte der dunkelhaarige Mann nickend, „Nun Kommandantin, was wollt ihr wissen?“
„Kommandantin?“, stutze sie, „Ihr müsst mich verwechseln, Elling. Ich bin nur eine Söldnerin auf der Suche nach Abenteuer.“
„Ich verstehe.“, grinste Elling Trias unter seinem gewaltigen schwarzen Schnurrbart, „Solange auch das Gold einer Söldnerin gut ist.“
„Es sollte gut genug für euch sein.“, gab Gilluine zurück, „Aber nun zum Geschäft. Dieser Beutel sei euer, wenn ihr mir sagt wo ich Onyxia’s Hort finde.“
„Sch!“, sagte der Käsemeister und legte den Zeigefinger auf den Mund, „Seid vorsichtiger. Manche Namen erwähnt man nur hinter vorgehaltener Hand.“
„Naja, die Ereignisse in der Burg müssten sich ja bereits herumgesprochen habe.“, schüttelte Gilluine den Kopf.
„Gewiss.“, sagte Elling Trias, „Aber es muss ja nicht jeder wissen, dass ihr den Drachen sucht.“
„Da habt ihr wohl recht.“, stimmte sie ihm zu, „Aber nun zum Geschäft. Wisst ihr etwas?“
„Das kann schon sein.“, sagte er listig, „Gebt mir zuerst das Gold.“
„Für wie verrückt haltet ihr mich?“, lachte Gilluine, „Hier, die Hälfte! Das ist mein Angebot der Rest nach den Informationen.“
„Gut, gut.“, nickte er, „Ich weis leider nicht wo der Hort ist. Aber euer Gold soll nicht umsonst sein. Ich habe von einer Magierin gehört, die sehr in diesen Dingen bewandert ist. Man sagt sie hält sich sogar eigene Drachen. Wenn jemand den Ort des Hortes kennt, dann sie.“
„Wo finde ich sie?“, fragte Gilluine sichtlich genervt.
„Nun, sie hat hier in Sturmwind im Magierviertel ein kleines Stadthaus.“, antwortete Elling Trias, „Aber das benutzt sie nur sehr selten. Am besten ist es ihr sucht sie dort wo Drachen leben. Ich habe gehört sie pflegt kranke Drachenwelpen in der brennenden Steppe, und macht sich damit nicht gerade beliebt. Am besten ihr fragt dann bei Morgans Wacht noch mal nach ihr.“
„Das sind sehr spärliche Informationen.“, grummelte Gilluine, „Gebt mir wenigstens noch ihren Namen.“
„Namen?“, grinste Elling Trias, „Namen? Ich kann mich so schlecht an Namen erinnern. Das ist nicht gut für das Geschäft. Aber wenn ich euch nun um den zweiten Teil meiner Bezahlung bitten dürfte?““
„Nun gut.“, sagte sie unzufrieden, „Die Information ist zwar die Summe nicht wert, aber Handel ist Handel, und ich hab immerhin einen Anhaltspunkt. Ade.“
„So ist es. Lebt wohl.“, rief der Käsemeister der davoneilenden Kommandantin nach.

Gilluine verließ den Käseladen und ging nachdenklich langsam in Richtung des Greifenmeisters.
‚Ich kann nur hoffen, dass ich bei Morgans Wacht mehr erfahre über diese dubiose Magierin.’, dachte sie, als sie den Greif bestieg der sie zur Wacht bringen sollte.
Es fiel ihr auf, dass sie Sturmwind schon lange nicht mehr verlassen hatte, als sie über den Wald von Elwynn flog. Viel Zeit war vergangen als sie in der dortigen Kathedrale ihre Ausbildung zum Paladin begonnen hatte. Ob ihr die vielen Wölfe, die sie als Ausbildungsziele töten musste, inzwischen verziehen hatten, dachte sie amüsiert lächelnd.
Der Greif flog nun in Seenhain ein. Sie wurde schwermütig.
‚Warum nur musst du hier drüber fliegen, du dummer Greif?’, dachte sie wohl wissend, dass der Greif nur der gelernten Route folgte. Aber es nützte nichts. Traurige Gedanken holten sie aus fernen Tagen ein. Sharidan war ein junger Krieger aus der Stadtwache. Wann immer es ihr möglich war, besuchte sie ihn. Beinahe hätte sie ihre Kariere als Paladin für ein Leben mit ihm geopfert, aber ihr Pflichtbewusstsein hatte obsiegt.
‚Wo er nun wohl sein mag?’, dachte sie melancholisch. Zu ihrer Erleichterung flog der Greif bereits den Gebirgspass zur brennenden Steppe an.
‚Der Unterschied zu den grünen saftigen Wiesen von Seenhain könnte nicht krasser ausfallen.’, dachte sie mit einem Schaudern, als die verbrannte Steppe unter ihr vorbeizog.
Der Greif machte eine letzte Kurve und setzte sanft beim Greifenmeister der Wacht auf. Gilluine stieg ab, und sah sich um. Außer den üblichen Abenteurern hatte ein Handvoll Händler, Forscher, Soldaten und Priester in dem improvisierten Stützpunkt ihre Zelte aufgestellt.
‚Vermutlich kann mir die Gemischtwarenhändlerin am ehesten Auskunft geben.’, dachte Gilluine als sie noch schnell ihr Bündel vom Greif nahm, ‚Jeder muss ab und zu was essen oder trinken.’
Gilluine ging zu dem kleinen Handelsstand.
„Grüße.“, sagte Gilluine zur Händlerin, die ihr hinter ihrem Stand den Rücken zudrehte.
„Hallo, wie kann ich euch helfen?“, antwortete ihr die Händlerin, als sie sich zu Gilluine wendete, nachdem sie schnell etwas in einem Sack versteckt hatte.
„Ich hätte gerne drei Äpfel.“, sagte Gilluine.
Die Händlerin nahm die Äpfel und gab sie Gilluine, „Das macht ein Silberstück und 50 Kupferstücke.“
„Ganz schön teuer.“, schüttelte Gilluine ihren Kopf, „Aber dieses Goldstück sei euer, wenn ihr mir eine Auskunft geben könnt.“
Die Händlerin schaute sie stutzend an, „Welche Auskunft benötigt ihr?“
„Es heißt hier in der Gegend lebt eine Magierin, die Drachen pflegt.“, fragte Gilluine fast beiläufig, „Ihr wisst nicht zufällig, wo ich diese finde?“
„Nein.“, antwortete die Händlerin hastig, „Behaltet euer Gold. Und nun lebt wohl. Ich muss schließen.“
Die Händlerin kramte eilig ihre Waren zusammen und schloss den Vorhang des Standes. Gilluine verfolgte das Geschehen verblüfft.

‚Vermutlich hat er Recht.’, dachte sie stirnerunzelnd, ‚Ich muss vorsichtiger vorgehen. Vielleicht versuche ich es bei dem Säufer da drüben einmal.’
Ein Zwerg saß am Boden und stemmte einen gewaltigen Bierkrug.
„Hey, Lust auf einen besonderen Schluck?“, rief sie ihm zu.
„Aye, Kleine!“, lallte der Zwerg, „Wir haben immer Durst. Aber hier gibt es nichts Ordentliches zu trinken.“
„Ha, das trifft sich gut.“, lachte Gilluine und stemmte ihre Hände in die Hüften, „Vielleicht habe ich ja was hier für euch, dass euren Gaumen würdevoll benetzen wird.“
Der Zwerg blickte neugierig von seinem Krug auf, „Was denn, schöne Frau?“
„Hier habe ich feinsten Brandy aus Eisenschmiede.“, sagte sie als sie dem Zwerg ein kleines Fässchen aus ihrem Bündel unter die Nase hielt, und den Korken entfernte, „Riecht!“
„Hmmmmmmmmmmm.“, tönte es aus der Kehle des Zwerges, „Diesen edlen Duft kennt Oralius wohl.“
„Ja. Dieser Brandy kommt geradewegs aus den Kellern eures Königs.“, sagte Gilluine als sie das Fässchen wieder verkorkte.
„Gebt ihn mir!“, flehte Oralius sie an, „Käpt'n Winky und ich wollen ihn haben!“
Gilluine schaute sich um. Sie waren alleine, „Käpt'n Winky?“
„Aye, mein Kumpel Käpt'n Winky hier neben mir hat auch nichts gegen einen ordentlichen Schluck.“, sagte der Zwerg gierig.
‚Oje.’, dachte Gilluine verblüfft, ‚Wieder eine Niete gezogen.’
„Käpt'n Winky sagt, dass er alles dafür tun würde.“, nickte Oralius gierig.
‚Vielleicht komme ich doch noch zu meinen Informationen.’, dachte sie.
„Nun gut.“, sagte sie, „Ich benötige nur einige Informationen. Wenn Käpt'n Winky sie mir gibt, dann bekommt ihr das Fässchen.“
Oralius nickte heftig.
„Ich habe gehört, dass es hier in der Gegend viele Drachen gibt.“, fragte sie den Zwerg.
„Ja, von diesen verdammten Viechern gibt es hier genug. Jau, und wenn ihr mir fünfzig Bälge von ihnen bringt macht ihr mich noch mehr glücklich. War es das? Her mit dem Brandy!“, grinste der Zwerg, und griff nach dem Fässchen.
„Halt!“, stoppte ihn Gilluine und hielt das Fässchen empor, „Nicht so schnell, Freund. Das war ja wohl diesen edlen Tropfen nicht wert. Lasst uns schauen, ob ihr mir noch mehr sagen könnt.“
„Macht keine Spielchen mit mir, Kleine!“, warnte sie Oralius, „Obwohl das ein oder andere Spielchen mit euch könnte mir schon gefallen, Süße. Nicht wahr, Käpt'n Winky?“
„Süße?“, Gilluine hob die rechte Augenbraue, „Glaube mir, ihr würdet den Kürzeren ziehen, Herr Zwerg“
„Käpt'n Winky sagt, dass ihr nicht wisst mit wem ihr redet.“, rief Oralius als er mit gezogenem Schwert auf Gilluine zustürmte, „Kommt leistet keinen Widerstand. Wir wollen in ein ruhigeres Eck des Lagers gehen, damit…“
Ein Lichtstrahl aus Gilluines Händen traf den Zwerg. Dieser verharrte wie vom Blitz getroffen starr in seinem Ansturm.
„Ich kann euch nur raten, von eurem niederen Ansinnen abzusehen, Herr Zwerg.“, grinste Gilluine, „Und da ich nun vermutlich wieder eure Aufmerksamkeit habe, beantwortet mir doch meine Frage. Wo finde ich diese Magierin, die die Drachen pflegt?“
Oralius begann sich wieder langsam zu regen.
„… ich euch … Verdammt! Ihr habt mich überrascht.“, stammelte der Zwerg, „Für eine zierliche Söldnerin habt ihr erstaunliche Fähigkeiten.“
„Sagen wir es so.“, antwortete Gilluine, „Beurteilt die Leute nie nach ihrem Aussehen. Also die Magierin?“
„Diese Hexe, sagt Käpt'n Winky“, rief der Zwerg angewidert und spuckte auf den Boden, „Pflegt diese Mistviecher gesund. Was wollt ihr von der?“
„Das geht euch eigentlich nichts an.“, sagte Gilluine und betrachtete beiläufig ihr Schwert, „Aber sagen wir es einmal so. Ich habe das ein oder andere ernste Wörtchen mit ihr zu wechseln.“
„Ha!“, jubelte der Zwerg, „Endlich mal jemand der sich traut der Hexe eine einzuschenken. Käpt'n Winky sagt, dass ihr sie im Norden in einem Zelt am Hang findet. Direkt von hier hinter dem Schreckensfels. Zeigt es ihr, Kleine!“
„Danke und lebt wohl.“, sagte Gilluine als sie dem Zwerg das Fässchen zuwarf, und Richtung Tor ging.
„Wieder eine, die bald ins Gras beißen will.“, sagte Käpt'n Winky, „Prost!“
 
27. Endlich!

Gilluine schaute von der Höhe des Lagers über die Ebene der brennenden Steppe. Der Schreckensfels lag auf der anderen Seite der Ebene ein wenig entfernt im Hitzeflimmern dieses höllisch heißen Teils von Azeroth vor ihr.
‚Puh, das ist wirklich der letzte Ort, wo ich leben möchte.’, dachte sie als sie einen Schluck aus ihrem Wasserkanister nahm, ‚Zu Fuß ist es zu weit. Ich werde wohl mein Schlachtross rufen müssen. Ich hoffe es fällt nicht so auf.’
Nach einer kurzen Beschwörung schwang sie sich auf den Sattel des herbeigerufenen Pferdes. Das prachtvolle goldene und blaue Pferdegeschirr glitzerte in der unerbittlichen Sonne.
‚Gut das alle Schlachtrösser der Paladine gleich ausschauen.’, dachte sie, ‚Paladine gibt es wohl auch unter den Söldnern genug. Meine wahre Identität sollte also sicher sein.’
Sie gab ihrem Pferd die Sporen. Sie beschloss den Schreckensfels im Osten zu umrunden. Die Ebene war flach, und sie kam gut voran. Einige Worgs versuchten sie anzugreifen, konnten aber mit der Geschwindigkeit ihres Schlachtrosses nicht mithalten, und gaben kläffend auf.
‚Ja, dies ist eindeutig Drachenland.“, dachte sie als sie ein Rudel Drachenwelpen auf sich zukommen sah. Da sie in der Nähe ausmachte, wie ein großer ausgewachsener Drache seine Bahnen zog, wich sie dem Rudel lieber aus.
Ohne weitere Probleme erreichte sie die nördliche Seite des Schreckensfels. Ein wenig entfernt sah sie eine Staubwolke. Gilluine hielt an. Die Staubwolke kam in ihre Richtung. Es war ein Reiter, der es offenbar ziemlich eilig hatte. Gilluine blickte ihm nach.
‚Ist das nicht die Händlerin?’, dachte sie verwundert, ‚Was tut die hier soweit vom Posten in diesem gefährlichen Gebiet?’
Die Händlerin entfernte sich wieder von ihr. Gilluine setzte ihren Weg fort. Die nördlichen Berge der brennenden Steppe lagen nun vor ihr. Sie ritt den Fuß der Berge entlang. Der Schreckensfels wanderte zur Linken immer weiter in ihren Rücken.
‚Hier ist nirgends eine Spur.’, dachte sie enttäuscht, ‚Der versoffene Zwerg hat mich wohl in die Irre geschickt. Na warte!’

Sie wollte gerade wieder umdrehen und zur Wacht zurück reiten, um es dem Zwerg heimzuzahlen, als sie eine frische Pferdespur in die Berge hinein und wieder heraus führen sah. Ein kleiner, nur schwer auszumachender Pfad, wand sich zwischen den Hügeln in die Höhe.
‚Kann es hier sein?’, fragte sie sich, ‚Hier muss vor kurzem jemand geritten sein, der es sehr eilig hatte.’
Ihr kam die Händlerin wieder in den Sinn. Sie folgte den Pfad in die Höhe. Nach einigen Dutzend Windungen gelangte sie an den Rand eines kleinen Plateaus, das von der mehrere hundert Meter tiefer liegenden Ebene nicht zu sehen war. Einige Zelte verschiedener Größe schmiegten sich an die gegenüberliegende Bergwand. Aus einen der Zelte floss ein kleiner Bach, der links über die Plateaukante in die Tiefe stürzte. Ein angenehm kühler Wind lies die Hitze der Ebene vergessen. Sie stieg ab. Aus den Zelten konnte sie einige tierische Laute vernehmen. Ein Feuerball schlug vor ihren Füssen ein.
„Der Nächste trifft, Söldnerin!“, rief eine Frauenstimme. „Verschwinde sofort von hier, und sag deinen Auftraggebern, dass es meine Sache ist, was ich tue.“
Gilluine ergriff ihren Schild. Ihre Blicke folgten der Stimme. Eine Frau stand rechts auf einen der Hügel, die das Plateau zur Ebene hin abschirmten. Sie trug einen grauen Umhang, der perfekt die Farben des Felsens annahm, und sie so tarnte. Nur der feurige Schein ihrer Hände verriet ihre Position. Gilluine ging langsam auf sie zu.
„Ich sehe, ihr seid genauso dumm wie eure Vorgänger!“, kreischte die Magierin, „Nun dann folgt ihnen ins Jenseits!“
Ein Feuerball formte sich zwischen ihren Händen. Sie schleuderte ihn Gilluine entgegen. Die Paladin hob ihren Schild. Der Feuerball prallte ab und schlug in die Wand des Berges ein. Rotglühendes Gestein splitterte aus dem Berg. Die Magierin schaute erstaunt auf die Bergwand, bevor sie von ihrem Hügel sprang und mit erhobenen Funken sprühenden Händen auf Gilluine zu rannte. Ein wahres Gewitter an Blitzen ging auf die Kommandantin nieder. Sie hob deshalb ihre Hände und ein Lichtschild schloss sie ein. Ein weiterer Lichtblitz aus ihren Händen heilte die Wunden, die die Blitze der Magierin verursacht hatten.
„Verschwindet oder sterbt!“, schrie die Magierin wie eine Furie.
Nun schleuderte sie Eisstücke auf Gilluine, die diese am Boden festfroren. Gilluine machte eine Bewegung und eine goldene Lichtwolke umschloss ihre Füße. Sie stieg aus dem Eis.
„Nun reicht es mir langsam!’, rief sie der Magierin zu, „Ich will nur mit euch sprechen.“
„Ha!“, schrie die Magierin, „Das soll ich euch glauben? Zu viele haben schon versucht mich zu töten, weil es einigen nicht passt, dass ich die Drachen pflege. Aber ich wurde rechtzeitig gewarnt.“
‚Die Händlerin!’, kam es Gilluine in den Sinn, ‚Deshalb hatte sie es so eilig.’
„Seht ich lege meine Waffen ab.“, sagte Gilluine als sie ihre Schwerter auf den Boden legte, „Verzeiht aber, wenn ich meine Rüstung und mein Schild anbehalte. Und ja, es geht um Drachen. Aber ich benötigte nur eine Information von euch. Was ihr hier tut ist für mich ohne Belang.“
„Ihr seit entweder wahnsinnig dumm, oder sprecht die Wahrheit.“, sagte Magierin und lies ihre Hände sinken, „Einerlei, seit gewiss, wenn ihr mich täuscht, habt ihr keine Zeit mehr für ein letztes Gebet. Kommt langsam dort zu dem Gatter.“
Gilluine ging vorsichtig in Richtung des Gatters, das rechts am Ende des Plateaus war. Sie hielt ihre Hände deutlich sichtbar vor sich. Sie ging langsamen Schrittes, die Magierin nie aus den Augen lassend.
„Halt! Das genügt.“, rief die Magierin und kam auf Gilluine zu.
Nun konnte Gilluine die Magierin besser sehen. Unter ihrem grauen Umhang blitzte eine prachtvolle weiße Magierrobe hervor. Die Kapuze des Umhanges bedeckte ihre schwarzen Haare. Sie blickte finster unter ihr hervor. Ihr dunkler Teint unterstrich ihren ernsten Gesichtsausdruck noch. Ihre braunen Augen musterten Gilluine von oben bis unten.

„Nun, was wollt ihr, Söldnerin?“, sagte sie herausfordernd zu Gilluine mit einer angenehmen dunklen Stimme, „Es muss wichtig sein, sonst würdet ihr nicht so ein Risiko eingehen.“
„Das ist es.“, antwortet Gilluine mit erhobenem Kopf, um zu signalisieren, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließe, „Ein Freund hat mir geraten euch aufzusuchen.“
„Ein Freund?“, lachte die Magierin, „Das ist mal ein guter Freund, der euch in den sicheren Tot schickt.“
„Ja, ich werde wohl noch mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen.“, grummelte Gilluine.
„Aber nun genug der Plaudereien! Was wollt ihr?“, fragte die Magierin ungeduldig.
„Wie ich bereits sagte, such ich nur Informationen über Drachen.“, sagte Gilluine ruhig, „Genauer gesagt such ich nur eine Information über einen Drachen.“
„Drachen gibt es viele.“, sagte die Magierin skeptisch, „Aber wenn ihr genau einen sucht, muss das ein ganz besonderes Exemplar sein.“
„Ja, das ist sie.“, sagte Gilluine kopf nickend, „Mein Auftraggeber zahlt einen guten Preis für ihren Kopf.“
„Ihr wollt ausgerechnet von mir Informationen über einen Drachen, um ihn zu töten?“, schnaubte die Magierin, „Ihr müsst komplett verrückt sein! Ihr wisst nicht was ihr verlangt!“
„Hört mich erst weiter an.“, versuchte Gilluine sie zu beruhigen, „Es handelt sich ja nicht um irgendeinen Drachen. Sie ist ein Großdrache, der viele Menschen getötet hat. Ihre Machenschaften, die sie in Menschengestalt ausgeführt hat, haben viel Leid gebracht. Sie muss bestraft werden. Sie verdient den Tod!“
„Warum sollte ich euch helfen?“, zuckte die Magierin mit den Schultern, „Täglich werden viele Menschen von Menschen selbst getötet. Drachen geben wenigstens meistens ehrlich zu, dass sie nur ihren eigenen Vorteil im Auge haben. Nein, erwartet von mir keine Hilfe. Nun verlasst mich.“
Die Magierin drehte Gilluine den Rücken zu, und ging in Richtung eines der Zelte.
„Dann bleiben ihre verachtenswerten Taten ungesühnt.“, schüttelte Gilluine den Kopf, „Dann hat sie also doch über uns triumphiert. Sei verflucht, Onyxia!“
Die Magierin blieb stehen.
„Wer sagtet ihr?“, murmelte sie.
„Onyxia!“, wiederholte Gilluine, „So heißt diese widerliche Drachenbrut.“
„Onyxia?“, flüsterte die Magierin, „Endlich!“
„Ihr kennt sie also?“, sagte Gilluine.
Die Magierin drehte sich wieder Gilluine zu.
„Ja, ich kenne sie.“, sagte die Magierin finster, „Sie gehört wahrlich nicht zu den edlen Drachen.“
„Dann helft ihr mir nun?“, fragte Gilluine, „Wo ist ihr Hort?“
„Langsam, Söldnerin.“, zögerte die Magierin, „Ich denke es ist mehr hinter euerer Suche als nur ein Kopfgeld. Sagt mir erst den wahren Grund. Für eine einfache Söldnerin geht ihr mir ein zu großes Risiko ein.“
„Ich habe wohl keine andere Wahl.“, sagte Gilluine.
„Nein, die habt ihr nicht.“, stimmte die Magierin zu, „Sagt die Wahrheit oder geht.“
Gilluine erhob stolz die Brust und löste einen Verschluss an ihrem Schild. Eine Metallplatte in der Mitte des Schildes fiel zu Boden. Ein Löwenkopf aus blauen Edelsteinen leuchtete auf silbernen Wappengrund in der Sonne.
„Ich bin Gilluine, Mündel von Lord Fingolf Darnwacht, Kommandantin der Paladine des Königs von Sturmwind.“, sagte sie stolz, „Mein Befehlshaber Hochlord Drachenwill persönlich gab mir den Befehl Onyxia zu suchen und zu töten. Hört nun warum.“
Gilluine erzählte der Magierin die Vorfälle in der Burg von Sturmwind. Die Magierin hörte aufmerksam zu.
„Hm, ich hatte richtig vermutet, dass irgendetwas passieren wird, als ich erfuhr, dass Marshall Windsor wieder aufgetaucht ist.“, sagte sie nachdenklich, „Onyxia, da also hast du dich all die Jahre versteckt.“
„Ich sehe, auch ihr habt scheinbar mit dem Drachen ein Rechnung offen.“, sagte Gilluine listig.
„Ja, die habe ich.“, antwortet die Magierin, „Allerdings geht euch das nichts an. Ich werde euch nur unter einer Vorraussetzung sagen, wo sich ihr Hort befindet.“
„Die wäre?“, wollte Gilluine wissen.
„Ich, Spaia, will sie töten.“, sagte die Magierin fordernd.
„So sei es!“, stimmte Gilluine zu.
 
28. Reite wie der Wind

„Wir müssen handeln!“, sagte Sylvanas Windläufer und schlug mit geballten Fäusten auf die Verandabrüstung der Jagdhütte von Quel'Lithien am Rande der Höhen des Passes nach Quel’Thalas. Vor ihnen lagen im Dunst des Morgens die Ruinen der zerstörten Dörfer in der Ebene von Nordarathor. Sie drehte sich brüsk um.
„Wir werden mit unseren Truppen angreifen.“, erklärte sie den anwesenden Hauptmännern, „Arthas darf das äußere Elfentor nicht durchschreiten.“
„Generalin, wieso sollen wir das riskieren?“, fragte einer der Hauptmänner besorgt, „Das innere Tor kann er ohne den Schlüssel der drei Monde niemals passieren.“
„Nein, darauf dürfen wir nicht vertrauen, Hauptmann“, schüttelte die Generalin den Kopf, „Gilmenel ist bei ihrer letzten Erkundung knapp mit dem Leben davongekommen. Ihr Bericht vom Verrat Arthas und den Fähigkeiten Kel’Thuzads lässt mir das Blut in den Andern gefrieren. Wir wissen nicht, was diese alles noch vermögen. Ich sage, Angriff ist die beste Verteidigung.“
„So sei es.“, verbeugte sich der Hauptmann.
„Trotzdem dürfen wir nicht kopflos vorgehen.“, sagte Sylvannas Windläufer überlegend, „Wir müssen für alles gewappnet sein.“
Gilmenel saß in einer Ecke der Veranda am Boden und verfolgte die Gespräche nur am Rande. Sie spielte nachdenklich mit ihrem kleinen Schwert, und dachte über die Erlebnisse der letzten Tage nach. Der Anblick der zerstörten Dörfer und Landschaften ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie dachte zurück an ihre erste Reise nach Andorhal und Lordaeron. An die Menschen, die Wälder und Tiere. All dies hatte sie nun verwüstet vorgefunden. Nur mit Mühe konnte sie unentdeckt bleiben. Die Schergen der Geisel waren überall. Der Weg zurück zum Pass von Quel’Thalas, wo die Generalin auf Kunde wartete, wurde zum Spießrutenlauf. Sie hatte es nur der Schnelligkeit von Khal’El zu verdanken, dass sie überlebte. Die Wunde des Pfeils, der sie bei der stürmischen Flucht in die Schulter traf, schmerzte sehr, als sie mit letzter Kraft den Stützpunkt erreichte. Trotzdem berichtete sie noch umgehend der Generalin. Sylvanas nahm ihren Bericht mit gesengtem Haupt entgegen. Gilmenel hätte es nun allzu gerne vermieden ihr weiteren Grund zur Sorge zu bereiten, aber die Wunde siegte. Als sie zusammenbrach fingen sie die starken Arme der Generalin auf.

„Nun lasst mich bitte alleine.“, hörte Gilmenel die Generalin durch den Schleier ihrer Gedanken sagen.
Die Hauptmänner verließen die Veranda. Sylvanas Windläufer ging zur Brüstung und schaute ins Tal hinab.
„Gilmenel, ich wage es kaum dich zu bitten.“, seufzte die Generalin, „Ich weis deine Wunde schmerzt noch. Aber ich brauche dich.“
Gilmenel schreckte aus ihren Gedanken hoch. Sie stand auf und ging zu Sylvanas Windläufer.
„Ja, ich helfe dir wo ich nur kann, Sylvanas.“, antwortete Gilmenel der Generalin.
Irgendwie war es für sie noch ungewohnt die Waldläufergeneralin der Hochelfen so persönlich anzureden, aber Sylvanas hatte darauf bestanden. In den Monaten in denen Gilmenel bisher in ihren Diensten stand, wurde das Vertrauen der Generalin in sie schnell tiefer. Viele ihrer Aufträge waren entweder riskant oder pikant oder beides. Immer persönlicher wurden ihre Dienste. Sie war eine der wenigen die zu jeder Stunde zur Generalin vorgelassen wurde. Einige Male musste sie die Generalin dabei auch wecken. Mancher Auftrag wurde daher eher zu einer persönlichen Bitte, als zu einem Befehl. Als Sylvanas Windläufer ihr anbot, sie beim Vornamen zu nennen, war längst eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Gilmenel war damals sehr dankbar, sie hatte wieder eine Art Familie, und das trotz ihres von allen geschmähten Vaters.
„Das weis ich.“, nickte die Generalin ihr zu, „Du hast mich nie enttäuscht. Doch nun habe ich Angst. Angst dich zu schicken. Du bist mir wie eine Schwester geworden. Ich würde dich daher viel lieber in Sicherheit in Silbermond wähnen. Aber ich habe die dunkle Vorahnung, dass wir bald nirgends mehr sicher sein werden. Vielleicht ist es daher besser, dass du direkt mit der Gefahr konfrontiert wirst, als nur dumpf abzuwarten bis diese zu dir kommt.“
„Was ist zu tun?“, fragte Gilmenel zustimmend.
„Nun, ich werde mit den Waldläufern angreifen müssen.“, sagte die Generalin mit Trauer in der Stimme, „Viele unserer Freunde werden dabei den Tod finden. Aber wir werden nur den Feind vor uns sehen. Ich brauche jemanden der auch den Feind hinter dem Feind sieht.“
„Ich verstehe.“, nickte Gilmenel.
„Ja, du musst im Rücken des Feindes nach Informationen suchen.“, sagte die Generalin, „Alles was sich hinter den kämpfenden Truppen ereignet muss ich wissen. Hier mit diesen Kristall kannst du mir Nachrichten schicken.“
Gilmenel nahm den kleinen blauschimmernden Kristall. Sie hatte davon gehört, dass die Magier in Silbermond eine Möglichkeit gefunden hätten, Nachrichten über große Entfernungen auszutauschen.
„Ich habe ebenfalls einen. Jedes Licht bringt sie zum Leuchten.“, erklärte Sylvanas, und hielt ihren Kristall in die Sonne. Der Kristall in Gilmenels Hand begann ebenfalls zu leuchten.
„Wenn du ihn nun mit der Hand abdeckst, dann kannst du einen Code übermitteln.“, fuhr die Generalin fort, „Hier in diesem Büchlein ist der Code. Lerne ihn auswendig bevor du losreitest.“
Gilmenel blätterte durch die Seiten. Jeden Buchstaben des Elfenalphabets waren verschieden lange Hell- und Dunkelphasen zugeordnet.
„Du solltest mit deiner großen Musikalität keine Probleme haben.“, lächelte Sylvanas sie an.
„Ja, das glaube ich auch.“, versicherte Gilmenel.
„Ich habe dich schon lange nicht mehr singen hören.“, schüttelte Sylvanas den Kopf, „Komm, sing uns ein frohes Lied. Es ist vielleicht das letzte das wir hören.“
Gilmenel schaute sie überrascht an und begann zu singen. Ein Lied erfüllte die Luft, es sang von Frühling und vom Erwachen der Natur. Es schwebte über der Jagdhütte, und alle die es hörten, wurden mit tiefer Hoffnung und Mut erfüllt.

Gilmenel sattelte Khal’El früh am nächsten Morgen. Sylvanas kam aus der Jagdhütte auf sie zu.
„Leb wohl, Gilmenel.“, sagte Sylvanas zärtlich, „Unser Schicksal erwartet uns. Wir müssen beide die Erfahrungen machen, die uns bevorstehen. Ich werde dich und deinen bezaubernden Gesang wohl lange Zeit nicht mehr hören, wenn überhaupt jemals wieder. Möge dir die Sonne immer scheinen, meine Schwester!“
„Sylvanas, deine Freundschaft ist mir zum Wichtigsten in dieser Welt geworden.“, antwortete ihr Gilmenel und blickte tief in die traurigen Augen von Sylvanas, „Die Musik die uns einst im Windläuferturm zusammenbrachte wird nie vergehen. Sie wird uns ewig wie eine Familie verbinden. Bis wir uns wieder sehen wird sie immer bei dir sein, meine Schwester! “
Sie fielen sich in die Arme, und umarmten sich lange Zeit herzlich. Gilmenel begann das Lied von einst zu singen. Es sang von der Sonne über Quel’Thalas.
„Nun reite, meine Schwester!“, sagte Sylvanas aufmunternd.
Gilmenel stieg auf Khal’El, und verließ im raschen Galopp Quel’Lithien. Sie drehte sich nicht mehr um. Der Abschied war ihr zu schwer gefallen.

Sie beschloss in Richtung Stratholm zu reiten. Sie wusste zwar, dass die Geisel dort am stärksten war, aber deshalb würden dort auch die meisten Informationen zu finden sein. Khal’El lies sie in einer kleinen versteckten Lichtung am Hang der Berge zurück. In Stratholm fand sie im Dachstuhl eines ehemaligen Bürgerhauses ein geeignetes Versteck. Auch wenn es durch die Instabilität der abgebrannten Häuser gefährlich war, nutzte sie die Dächer um sich in Stratholm zu bewegen. Die Straßen mit ihren vielen Schergen der Geisel, wären noch viel gefährlicher gewesen. Irgendwie hatte sie auch den Eindruck, dass diese nie nach oben schauten. Sie konnte von ihren hohen Beobachtungsposten alles sehen. Täglich gab sie Sylvanas ihre Entdeckungen durch. Sylvanas quittierte sie stets mit einem sehr persönlichen Gruß.
Als sie eines Tages ihr Dachversteck verlassen wollten, um ihre Vorräte ihn einen von der Geisel unverwüsteten Keller wieder aufzufrischen, sah sie wie der ehemalige Baron Rivendare die alte Garnison aufsuchte. Der Baron hatte sich ganz der Geisel verschrieben, und war nun nur noch eine Abnormität seines einstigen Selbst. Gilmenel folgte ihm bis in die Garnison. Die hohen Zinnen und Dachgestühle boten ihr auch hier viele Möglichkeiten unbemerkt zu bleiben. Der Baron betrat einen Saal in der Garnison. Gilmenel hing kopf über vom Dach und schaute durch eines der Fenster. Sie erschrak. Ein Schreckenslord der Geisel stand im Saal.
Gilmenel zitterte am ganzen Körper. Doch jetzt durfte sie sich keine Gefühle erlauben. Angst durfte sie nun nicht leiten. Sie schloss ihre Augen, und summte ein beruhigendes Lied. Ruhig und vorsichtig lies sie sich auf das äußere Fenstersims gleiten. Sie legte ihr Ohr an die Scheibe.
„Wie gut, dass diese Schreckenslords, auch eine schrecklich laute Stimme haben.“, dachte sie lächelnd, als sie der Unterredung lauschte.
„Arthas, braucht mehr Unterstützung, Baron.“, tobte der Schreckenslord.
„Mein Gebieter, wir schicken ihm alles was wir haben.“, versuchte sich der Baron zu erklären.
„Das reicht nicht.“, donnerte der Lord.
„Lord, erlaubt mir die Frage, warum Arthas mit diesen Hochelfen soviel Probleme hat.“, fragte der Baron untertänig.
„Das ist eigentlich unwichtig.“, schmetterte der Lord, „Aber diese Waldläufer der Hochelfen, und besonders ihre Anführerin, sind kräftiger und tapferer als wir glaubten.“
„Kann uns da nicht der Verräter helfen?“, sagte der Baron ruhig.
„Nein, der wird für eine andere Aufgabe benötigt.“, rief der Lord.
„Eine andere Aufgabe?“, rätselte der Baron.
„Ja, den nachdem Arthas endlich Zugang zu den beiden Elfentoren hat, muss der Schutzschild des Elfenreiches gebrochen werden. Dar’Khan weis wie. Er hat bereits zwei der drei Mondkristalle.“, erklärte der Lord.
Gilmenel hielt den Atem an. Nur am Rande bekam sie nun noch mit, dass der Baron dem Lord zusicherte noch mehr Truppen von Untoten und Skelettkriegern Arthas zum Ersatz zu schicken, bevor beide sich trennten.
‚Ein Verräter!’, dachte sie bitter, als sie wieder auf das Dach des Saales zurückkletterte, ‚Und ausgerechnet Dar’Khan!“
Sie kannte ihn. Wenn es auch nur flüchtig war. Sie traf ihn einmal im Labor ihres Vaters. Ihr Vater bezeichnete ihn als stolzen und eitlen Ehrgeizling, der nur auf sein Wohl und Erfolg aus war. Gilmenel konnte das nicht begreifen, denn Dar’Khan war einer der angesehensten Bewohner von Silbermond und hatte großen Einfluss und den Respekt aller. Sie verstand ihren Vater damals nicht, und so war es ihr ein Leichtes seine Meinung wieder seiner Verschrobenheit zuzuordnen. Aber nun im Lichte der neuesten Ereignisse musste sie sich eingestehen, dass er wohl Recht mit seiner Meinung gehabt hatte.
‚Mit wie vielem Anderen hatte er noch Recht?’, dachte sie fragend.
Sie nahm ihren Kristall aus der Tasche. Sylvanas musste dies sofort erfahren. Sie hielt den Kristall in die schwache Sonne, und bedeckte ihn mit ihrer Hand im Rhythmus des Buchstabencodes. Das gewohnte Bestätigungssignal von Sylvanas blieb aus. Sie steckte ihren Kristall ein. Sie würde es nun alle halbe Stunde probieren. Es war nicht ungewöhnlich, dass die erste Meldung nicht bemerkt wurde. Sie kletterte wie eine Katze über die Dächer zurück zu ihrem Unterschlupf.

Gilmenel war besorgt. Es war nun schon der Mittag des nächsten Tages nach dem Treffen des Barons mit dem Schreckenslord, und noch immer hatte sie keine Antwort von Sylvanas auf eine ihrer halbstündlichen Botschaften. Sie beschloss daher, dass sie sie selbst überbringen müsste. Sie verließ ihr Versteck und kletterte Richtung Stadtmauer. Ein beherzter Sprung auf einen nahe stehenden abgestorbenen Baum und sie war wieder außerhalb der Stadt. Sie lief die Berge hinauf zu der versteckten Lichtung. Khal’El war nicht da. Sie war höchst besorgt. Sie legte ihre Hände an den Mund. Der Gesang einer Nachtigal ertönte. Ein Wiehern war etwas weiter entfernt zu hören. Khal’El sprengte durch die Büsche heran. Sie hatte noch Gras im Maul.
„Khal’El!“, rief sie und streichelte die Schnauze des Pferdes, „Los, wir müssen so schnell wie der Wind reiten! Wir haben eine wichtige Nachricht für unsere Freundin.“
Noch als sie sich auf Khal’El schwang, preschte diese los. Als sie endlich fest auf den Rücken des Pferdes saß, war es bereits zu spät. Mit einen Riesensatz sprang Khal’El über die Patroullie von Geißelkriegern. Pfeile schossen an ihren Ohren vorbei. Mit vollen Tempo lies sie Khal’El einen Haken nach dem anderen schlagen. Sie drehte sich um. Der Pfeilschauer hatte aufgehört. Allerdings nahmen nun untote Krieger auf ihren Skelettrössern die Verfolgung auf. Khal’El schnaubte heftig, als sie ihr die Sporen gab.
„Verzeih mir, alte Freundin, aber Eile tut Not!“, sagte sie und klopfte der Stute trotz vollen Galopps liebevoll auf den Hals. Khal’El wieherte kurz wie zur Bestätigung, und schoss noch schneller davon. Sie wagte es sich kurz sich umzudrehen. Die Reiter waren nun weiter entfernt und fielen zurück.
 
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29. Eine unverhoffte Nachricht

Ihr wilder Ritt hatte sie weit südlich gebracht. Trotzdem war sie froh, dass sie ihre Verfolger so leicht abschütteln konnte. Aber nun war es Zeit nach Norden zum Pass von Quel’thalas zu reiten. Sylvanas Windläufer musste die Information aus Stratholm so schnell wie möglich erhalten.
Trotzdem gönnte sie Khal’El eine kleine Verschnaufpause. Das Land um sie herum war verwüstet. Alles sah krank aus. Ein fauler Geruch lag schwer in der Luft. Sie wunderte sich. Seitdem die Skelettreiter aufgegeben hatten, war sie keinen Kräften der Geisel mehr begegnet. Das Gelände vor ihr wurde sumpfig. Der grüne Schleim des Sumpfes war ihr nicht geheuer. Er fing an zu blubbern. Ein schleimiger Berg herhob sich aus dem Sumpf. Er näherte sich ihr rasch. Khal’El scheute und wieherte wie wild. Gilmenel fiel vom Rücken des Pferdes. Der Schleimberg hatte nun Augen, Mund und Hände. Er versuchte nach ihr zu greifen. Gilmenel schwang sich auf den Rücken von Khal’El. Eine schleimige Hand des Sumpfmonster ergriff ihren Fuß und zog sie von Khal’El weg. Das Monster schleifte Gilmenel zum Sumpf. Sie versuchte mit ihrem Schwert den Arm des Monsters zu treffen, doch all ihre Schläge blieben erfolglos im Schlamm des Monsters stecken.
‚Es darf mich nicht in den Sumpf ziehen.’, dachte sie verzweifelt.
Sie rammte ihr Schwert so fest sie es konnte in den Boden. Mit beiden Händen umklammerte sie den Griff des Schwertes. Sie fragte sich wie lange sie sich so noch halten könnte. Das Sumpfmonster zerrte heftig an ihren Fuß. Er brannte wie Feuer.
‚Wenn es nur fest wäre. Dann könnte ich den Arm abhauen.’, dachte sie, ‚So fest wie Eis.’
Ihr fiel ein Lied aus ihrer Jugend ein. Ein Lied über das Eis im Nordmeer ihrer Heimat. Sie fing an es zu singen. Es war kalt und eisig. Es sang von den stürmischen Winden des Nordens. Das Sumpfmonster wurde langsamer und erstarrte. Die starre Hand des Monsters umschloß immer noch ihren Fuß. Sie zog das Schwert aus dem Boden und hieb auf den Arm des Monsters ein. Sie hat damit gerechnet, dass sie den Arm abtrennen würde, doch das Monster zersprang in tausende kleiner grüner Eisstücke.

„Zu spät ich bin.“, rief eine dunkle Männerstimme.
Gilmenel sprang auf. Sie hielt ihr Schwert vor sich.
„Ruhig, kleine Elfe.“, sagte der Mann, „Schwert ich am wenigsten fürchten müsste.“
Er trug eine riesige Holzkeule. Sie passte zu seiner enormen Körpergröße. Er war gut dreimal so groß wie Gilmenel und komplett in grünen und braunen Leder gekleidet, das seine tierische Herkunft nicht ganz leugnen konnte. Gilmenel schaute zu ihm auf. Seine Knollennasse und sein langer schwarzer Bart liesen ihn komisch aussehen, doch irgendwie strahlte sein Gesicht und seine schwarzen Augen Vertrauen aus.
„Gesang allerdings hüten ich sollte.“, lachte er, und deutete auf die Eisstücke des Monsters, „Rasch weg von hier wir müssen. Wenn Eis wieder getaut, Monster wieder leben wird.“
Gilmenel nickte nur kurz.
„Komm mit.“, sagte der Riese, „Meine Hütte weiter oben ist. Dein Fuß Medizin braucht.“
Gilmenel nahm die Zügel von Khal’El und folgte leicht hinkend dem Riesen.
„Mein Name Ungbar ist.“, stellte er sich vor, als sie nach einigen Stunden auf steilen Bergpfaden seine Hütte erreichten.
Gilmenel blickte sich verwundert um. Im Umkreis von vielen hundert Schritten um die Hütte, war alles saftig und Grün. Vögel zwitscherten in den Bäumen.
Ungbar nahm einen Bottich und füllte ihn mit Wasser aus der Quelle die neben der Hütte aus dem Berg sprudelte. Er rieb einige Kräuter in das Wasser.
„Steck Fuß da hinein.“, befahl Ungbar.
Gilmenel zog die verätzten Reste ihres Stiefels aus, und stieg mit dem Fuß in das Wasser. Es war angenehm kühl. Sie fühlte wie das Feuer verschwand.
„Was suchen eine kleine Elfe wie du hier?“, fragte er sie.
„Ich … Ich wollte nach Silbermond reiten.“, antwortet Gilmenel ihn zögernd, „Ich heisse Gilmenel. Mein Volk braucht meine Hilfe.“
„Silbermond? Große Stadt.“, murmelte Ungbar, „Weg dorthin gefährlich geworden ist. Ungbar denken, dass kleine Elfe es nicht dorthin schaffen werden.“
„Wieso, Ungbar?“, schaute ihn Gilmenel entsetzt an.
„Böse Dinge im Tal vorgehen.“, erklärte Ungbar finster.
Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Doch nun schon spät ist.“, gähnte Ungbar, „Schlafen wir nun müssen.“
„Aber, ich muss schnell weiter.“, schüttelte Gilmenel den Kopf.
„Zu spät es ist, kleine Elfe.“, sagte Ungbar eindringlich, „Besser bleiben Nacht hier. Zuviele Gefahren in Dunkelheit lauern.
Gilmenel sah zur Sonne, die gerade hinter den Bergen verschwand. Sie musste sich eingestehen, dass Ungbar wohl Recht hatte. Sie sah sich um. Das frische Grün um die Hütte gab ihr Hoffnung. Sie fühlte sich hier zum erstenmal seit langen wieder sicher.
„Ja Ungbar, du hast recht.“, stimmte sie ihm zu.
„Ungbar immer Bestes wissen.“, grinste der Riese, „Du schlafen in Hütte. Ungbar heute Nacht bei Pferden in Stall schlafen.“
Ungbar winkte Khal’El zu. Gilmenel sah staunend zu wie Khal’El hinter Ungbar in den Stall neben der Hütte trottete.

Ein Sonnenstrahl weckte Gilmenel. Sie rieb sich die Augen und setzte sich auf. Das Innere der Hütte hatte sie gestern kaum erkannt. Nur das riesige Bett hatte sie sofort gesehen. Die Ausstattung der Hütte war einfach und der Größe und dem Gewicht ihres Besitzers angepasst. Ein Tisch, ein paar Stühle, ein Ofen mit einer einsamen Pfanne, einen Schrank mehr konnte sie nicht erkennen. Links vom Schrank führte eine Tür vermutlich in einen weiteren Raum. Sie hörte Ungbar vor der Hütte singen.
„Sonne wieder da ist, kleine Elfe.“, grüsste er sie, als sie aus der Hütte kam, „Ungbar Essen gemacht hat.“
Auf einen Tisch vor der Hütte standen ein Krug mit Wasser, ein Becher, etwas Brot und ein Stück gepökeltes Fleisch in dem ein Messer steckte.
„Guten Morgen, Ungbar.“, lächelte Gilmenel, „Vielen Dank.“
Sie setzte sich an den Tisch, und aß etwas Brot und trank einen Becher Wasser. Sie hörte ein Wiehern aus dem Stall.
„Pferde sich gut verstanden haben.“, grinste Ungbar.
„Du hast ein Pferd?“, stutzte Gilmenel.
„Nein, Ungbar kein Pferd brauchen.“, erklärte der Riese, „Ungbar leben in Berge. Pferd gefunden. Verletzt es war. Pferd sich bei Ungbar wohlfühlen, und nicht mehr gehen wollen.“
‚Das kann ich verstehen.’, dachte Gilmenel, ‚Hier fühlt man sich sicher.’
Khal’El kam mit einem stattlichen schwarzen Hengst aus dem Stall getrottet.
„Grimmhuf!“, rief Gilmenel.
„Du kennen Pferd?“, fragte Ungbar.
„Ja, ich kenne es.“, nickte Gilmenel, „Es gehörte einen Freund in Andorhal.“
„Andorhal?“, rätselte der Riese, „Weiten Weg es gelaufen sein muss. Vielleicht dann du können brauchen Einziges was Pferd dabei hatte.“
Ungbar ging in die Hütte. Gilmenel hörte ihn im Schrank kramen. Er kam zurück und hielt einen vergilbten Briefumschlag in den Händen. Er gab ihn Gilmenel.
„Ungbar das nicht lesen kann.“, sagte er, „Du vorlesen.“
Gilmenel nahm den Brief. Ihre Hände zittern. Auf dem Umschlag stand:

Für Sylvanas Windläufer, Silbermond.
Von Alexje, Andorhal

Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen, als sie den Umschlag öffnete. Sie lass ihn mit schwankender Stimme vor.

„Liebe Freundin,

wir sind verloren! Deine Botschafterin hatte uns gewarnt. Doch der Plan von Kel’Thuzad und seinem Kultisten ist zu perfide, als dass wir ihn rechtzeitig erkennen hätten können. Ihre Hexenkessel verseuchen unser Land und unser Getreide. Jeder der davon isst wird ein geistloser Untoter der Kel’Thuzad bedingslos zu Diensten ist. Auch ich habe davon gegessen, und spüre wie mein Leben schwindet. Doch wenn ich diesen Brief beendet habe, hoffe ich, dass mir noch genug Zeit übrig bleibt meinem Leben beizeiten selbst ein Ende zu setzen.
Wir haben versucht sie zu bekämpfen, aber jeder unserer tapferen Männer, der im Kampf fiel, erhob sich als Untoter wieder und fing an auf der Seite des Bösen zu kämpfen. Es werden immer mehr, je stärker wir uns wehren. Das gesamte Land ist bereits verseucht, und vermutlich kann die Geißel nur aufgehalten werden, wenn das Land selbst wieder gesundet.
Zu spät! Ich hoffte, dass ich diesen Brief wenigstens noch ein Stück selbst tragen hätte können. Ich schicke dir Grimmhuf mit dem Brief. Er kennt den Weg zum Windläuferturm und wird dich finden.

Möge der Sonnenbrunnen dir immer scheinen,
dein Freund Alexje.“

Gilmenel schluchtzte aus tiefsten Herzen.
„Warum du weinen?“, fragte Ungbar tröstend, und legte seine riesige Hand väterlich auf ihre Schulter. Gilmenel drehte sich um, und umarmte den Riesen. Er nahm sie sanft ihn seine Arme.
„Es ist alles so sinnlos. …“, heulte Gilmenel, „Was für ein sinnloser und furchtbarer Tod!“
Ungbar klopfte ihr zärtlich auf den Rücken.
„Er war ein guter Freund.“, sagte sie nun etwas gefasster, „Er wollte uns vor den Übel das dieses Land befallen hat warnen. Aber zu spät!“
„Ungbar wenig verstehen, was vorgehen in der Welt da unten.“, murmelte der Riese, „Doch Ungbar fühlen, dass Böses da ist. Böses gehen muss.“
„Ja, du hast Recht.“, stimmte sie ihm zu, „Ich muss weiter. Ich habe Nachrichten, die vielleicht helfen, dass Böse zu vernichten. Aber dazu muss ich nach Silbermond. Ich muss zum Pass von Quel’Thalas.“
„Hmmmmmmm.“, brummte der Riese, „Pass? Lange nicht mehr gewesen da. Aber Weg zum Pass versperrt ist.“
„Versperrt? Wieso?“, schreckte Gilmenel aus ihrer Trauer hoch.
„Viele böse Wesen vor Pass seien.“, erklärte er, „Du kommen mit und sehen.“
Ungbar lies Gilmenel los und ging zu einem kleinen Pfad der weiter den Berg hinaufführte. Gilmenel folgte ihm. Der Pfad endete bei einer Felsnase, die wie eine Kanzel über dem tief darunterliegenden Tal hing.
„Dort unten Sumpf ist.“, deutete Ungbar mit seinem enormen Zeigefinger ins Tal.
Gilmenel konnte den Sumpf erkennen. Von ihr oben sah er klein aus, doch wusste sie wie groß er wirklich war. Sie folgte den Finger Ungbars, der nun weit nach rechts deutete.
„Dort seien Menschensiedlung.“, erklärte er, „Corrins Kreuzung sie genannt wird. Dort hinten ganz weit weg, Pass liegen. Und davor. Du sehen!“
Gilmenel sah und verstand. Ein enormes Heer lag zwischen ihnen und den Pass. Die Landschaft war schwarz vor Körpern. Wenn sie ihre scharfen Elfenaugen anstrengte konnte sie allerdings sehen, dass die Massen vor dem Pass in einen Bogen zurückwichen.
‚Sylvanas und die Waldläufer müssen bis zum Äussersten kämpfen.’, dachte sie bitter, ‚Aber gegen diese Übermacht haben sie keine Chance. Ich muss zu ihnen!’
„Ungbar!“, flehte sie den Riesen an, „Ich muss zum Pass!“
„Ungbar zwar nicht verstehen, aber Ungbar vielleicht Weg wissen.“, schüttelte der Riese den Kopf und nickte gleichzeitig.
Sie gingen wieder zurück zur Hütte.
„Gut.“, sagte der Riese als sie dort angekommen waren, „Wir gehen. Pferde da bleiben. Wir sie nicht brauchen. Pfad ist nichts für Pferde. Hier, Ungbar dir neue Stiefel gemacht haben. Du anziehen.“
Ungbar hielt Gilmenel ein Paar Lederstiefel hin, die er vorher aus dem Stall geholt hatte. Gilmenel betrachtete die braunen mit Fell ausgegkleideten Stiefel. Sie schienen ihr viel zu groß. Aber um den Riesen nicht zu beleidigen, nahm sie sie und zog sie an. Die Stiefel schrumpften und schmiegten sich wie eine zweite Haut an ihre Füße und Beine.
„Ungbar, das ist erstaunlich.“, rief sie, „Vielen Dank.“
„Nun wir können gehen.“, sagte Ungbar und nahm das Bündel an Proviant, dass er unterdessen geschnürt hatte.
 
30. Erinnerungen

Ungbar führte Gilmenel einen schmalen Pfad am Hang der Berge entlang.
„Wir in Berge nicht weitergehen können.“, erklärte er plötzlich, „Wir nun müssen Tal durchqueren. Ungbar Tal nicht mögen.“
Gilmenel sah Ungbar mit ihren großen leuchtenden Elfenaugen an.
„Gut. Wir nun runtersteigen.“, gab er nach, „Dicht am Wasser wir uns halten. Monster nicht mögen Wasser.“
„Ungbar, ich vertraue dir.“, lächelte sie ihm zu, „Du wirst schon wissen was das Beste ist.“
„Ungbar wissen.“, nickte er, „Ich nun klettern.“
Ungbar nahm die zarte Elfe in seine Hand und setzte sie auf seinen Rücken. Er stemmte sich einen Kamin in der Felswand der Berge hinunter ins Tal. Gilmenel hielt sich so gut sie konnte an Ungbar fest.
‚Na, hier vermutet uns keine Geißelkreatur.’, dachte sie erleichtert.
Der Kamin endete in einen kleinen Teich, dessen Wasser aus einer Quelle im Berg gespeist wurden.
Ungbar nahm einen Schluck aus der Quelle.
„Wasser noch frisch. Trink.“, sagte er, „Wasser im Tal verpestet ist.“
Gilmenel nahm ebenfalls einen Schluck, und füllte ihre Wasserflaschen.
„So, wir weitergehen.“, sagte der Riese.
Ungbar kletterte nun im Wasserfall dem Tal entgegen. Als sie den Talboden erreichten setzte er sie ab. Gilmenel sah den kleinen Bach nach. Keine Dutzend Schritte von dem Wasserfall entfernt wurde das Wasser trübe und braun.
„Fluss uns fast bis auf andere Seite führen.“, sagte er als er lostrottete.
Gilmenel hat Mühe ihm zu folgen. Im leichten Laufschritt rannte sie hinter dem Riesen her.

Ungbar machte keine Pause.
‚Vermutlich treibt ihn sein Widerwille gegen das Tal an.’, dachte sie.
„Halt!“, rief Ungbar, „Böses in der Nähe ist!“
Gilmenel verharrte regungslos.
„Dort!“, flüsterte Ungbar und zeigte etwas weiter flussabwärts.
Ein Trupp von zwanzig Skelettkriegern kam auf sie zu.
„Zu viele selbst für Ungbar es sind.“, sagte Ungbar, „Wir besser ausweichen.“
Ein schriller Schrei zerriss die Luft.
„Zu spät, Ungbar.“, rief Gilmenel, „Wir müssen kämpfen.“
Ein Teil des Trupps rannte mit gezogenen Schwertern auf sie zu. Der Rest nahm seine Bögen und begann Pfeile auf sie zu schießen. Ungbar und Gilmenel wichen ihnen aus. Die Schwertkämpfer kamen nun näher.
„Du in Deckung gehen.“, schrie Ungbar.
Ungbar schob Gilmenel von sich in Richtung eines Baumstammes. Sie versuchte, so gut sie es konnte, sich hinter dem verfaulten Holz zu verstecken. Ungbar hob seine enorme Keule und schlug auf den ersten Krieger ein. Er zersplitterte in tausende kleiner Knochensplitter. Die anderen Krieger blieben nun auf Distanz. Ein wildes Heulen entfuhr seiner Kehle. Er stürmte auf sie los. Die Bogenschützen konzentrierten nun ihr Feuer auf Ungbar. Von vielen Pfeilen getroffen erreichte er die zurückweichenden Schwertkämpfer, und sank auf die Knie.
„Ungbar!“, schrie Gilmenel, „Nein!“
Ein Lied kam ihr in den Sinn. Ein Lied in ihrer Elternsprache vom Kampf gegen einen übermächtigen Gegner. Es war ein kämpferisches Lied voll von Mut und Zuversicht. Sie fing an zu singen.
Ungbar lauschte dem Lied und erhob sich plötzlich wieder. Die Skelettkrieger boten den energischen Schwüngen seiner Keule keinen Widerstand. Gilmenel sah aber, dass die Bogenschützen ihn weiter beschossen. Sie dachte nun darüber nach, wie sie ihn heilen könnte. Sie erinnerte sich an ein Lied, das ihr ihre Mutter vorgesungen hatte, als sie sich einmal verletzt hatte. Ihre Wunde war danach wie von selbst verschwunden. Mit lauter Stimme begann sie es zu singen.
Ungbar rannte nun mit großen Schritten auf die Bogenschützen zu. Sie überdeckten ihn mit einem Pfeilschauer, aber seine Wunden wurden alle sofort wieder geheilt. Die leichte Rüstung der Schützen war kein ausreichender Schutz gegen die tobende Keule Ungbars.
Der Kampf war schnell vorüber. Gilmenel rannte zu Ungbar.
„Ungbar!“, rief sie besorgt, „Bist du verletzt?“
„Ungbar gesund.“, sagte er resolut, „Ungbar deine Musik gehört haben. Du große Zauberin seien.“
„Ich?“, antwortet Gilmenel verblüfft, „Ich weis nicht. Es war die Musik.“
„Aber du kennen Zauberlieder.“, sagte er, „Deine Stimme dem Zauber Leben gibt.“
Gilmenel blieb stumm, und überlegte. Szenen ihrer Jugend huschten an ihr vorbei.

Sie saß am Ufer eines Flusses. Sein Wasser glitzerte in der Sonne. Auf beiden Seiten des Flusses war ein dichter Wald. Alles war friedlich und still. Sie beobachte ein Paar Wasservögel bei ihrer Jagd nach Fischen, und summte dabei ein kleines Liedchen.
„Sie hat deine Stimme, meine Liebe.“, sagte eine Männerstimme in ihrem Rücken.
„Ich weis, und es macht mir Angst.“, erwiderte eine weibliche Stimme sanft aber mit Besorgnis.
„Umso mehr musst du sie ausbilden.“, sagte die tiefe Stimme.
„Ich wage es nicht.“, schluchzte die Frau.
„Aber was passiert, wenn ihr Talent ungeführt bleibt?“, sorgte sich der Mann.
Die beiden Wasservögel waren ihr nun sehr nahe. Sie wollte sie näher betrachten. Vorsichtig stand sie auf. Sie hatte schon öfters beobachtet, dass man sich Tieren mit einer beruhigenden Stimme nähert. Sie summte eine sanfte Melodie, als sie sich ins Wasser zu den Vögel gleiten lies. Die Vögel verweilten. Sie streckte ihre Hand aus, und streichelte sie.
„Sieh!“, rief der Mann.
„Unglaublich!“, schüttelte die Frau ihren Kopf.
„Sie macht das bereits von ganz alleine.“, staunte der Mann, „Du musst sie unterrichten!“
„Ich werde es wohl versuchen müssen.“, resignierte die Frau.

„Kleine Elfe?“, rief Ungbar und schüttelte sie sanft, „Weiter wir müssen!“
„Was?“, Gilmenel schreckte aus ihren Erinnerungen hoch, „Ja, weiter!“

„Ungbar diese Seite des Tals weniger kennt.“, murmelte der Riese, nachdem sie einige Stunden weitergegangen waren.
„Aber du weist den Weg?“, sorgte sich Gilmenel.
„Ja, ich kennen.“, versicherte Ungbar, „Aber Landschaft sich geändert hat. Viele Bäume tot. Grässliche Narben in Boden gibt.“
Ungbar blieb stehen. Ein Schaudern lief über seinen riesigen breiten Rücken, als er die Verwüstungen sah, die die Geißel dem Land angetan hatte.
„Wer so was machen?“, schüttelte er den mächtigen Kopf, „Ungbar Schmerzen hier haben. Schnell wir weiter müssen.“
„Wo, Ungbar?“, fragte Gilmenel in besorgt, als sie weitergingen. Ungbar Schritte waren nun schwer und schlürfend.
„Du nicht können sehen Wunde.“, sagte der Riese gequält.
„Ja, du bist unverletzt.“, sagte Gilmenel, nachdem sie den Riesen intensiv betrachtet hat.
„Schmerz hier.“, seufzte Ungbar, und schlug sich mit der Faust auf die Brust, „Ungbar spüren wie verseuchtes Land ihm Leben stiehlt.“
„Wie ist das möglich?“, fragte Gilmenel.
„Ungbar Hüter der Natur ist.“, erklärte er nun fast flüsternd, „Natur und Ungbar eins sind.“
Gilmenel verstand plötzlich. Ihr kam die Hütte Ungbars in ihrer grünen Oase wieder in den Sinn.
Ungbar strauchelte und fiel.
„Ungbar!“, schrie Gilmenel.
Sie kniete sich neben den Kopf des Riesen, und nahm ihn in ihren Schoß. Sie wischte ihm die Haare aus dem Gesicht. Ungbar stöhnte tief.
„Brauchen… rein…“, stammelte der Riese.
Gilmenel überlegte. Sie nahm ihre Wasserflasche, die sie in den Bergen noch aufgefühlt hatte.
„Trink das, Ungbar.“, sagte sie und führte dem Riesen ihre Flasche an die Lippen.
Ungbar trank in großen Schlücken. Kurz bevor die Flasche leer war, nahm sie Gilmenel und schüttete den Rest über Ungbars Kopf und Füße.
„Besser wird.“, sagte Ungbar noch schwach. Er erhob sich langsam, „Nun wir müssen machen schnell.“
„Ja, wir haben kein Wasser mehr.“, sorgte sich Gilmenel, „Du musst so schnell wie möglich raus aus dem Tal.“
Die Berge der anderen Talseite waren bereits zum Greifen nah.
„Wir nun direkten Weg zu Berge gehen. Fluss zu großer Umweg seien.“, sagte der Riese, und ging kerzengerade auf die Berge zu.
Sie erreichten die ersten Ausläufer der Berge bei Anbruch der Nacht.
„Wir in Nacht weitergehen müssen.“, sagte Ungbar, der nun bereits wieder stärker wirkte.
Die Auswirkungen der Geißel waren hier scheinbar noch nicht so groß. Ab und zu war sogar noch ein grüner Grashalm in der ansonsten braun verfärbten Landschaft zu sehen. Ungbar ging immer noch zielstrebig auf die Berge zu. Die Luft wurde frischer.
„Wir nun rasten können.“, erklärte Ungbar, „Baum dort noch gut.“
Eine einsame Tanne stand auf einem Hügel. Ihre Nadeln waren noch grün und saftig. Sie ließen sich unter ihren Ästen für die Nacht nieder.
 
31. Nur einen Wurf entfernt

Ungbar hatte Gilmenel wieder auf seinen Rücken genommen. Seit dem frühen Morgen kletterte er eine fast senkrechte Bergwand hinauf.
„Ungbar spüren gesunde Natur hinter Bergen.“, sagte er mit Sehnsucht.
„Ja, das ist Quel’Thalas. Die Heimat meines Volkes ist noch unberührt von der Geißel.“, antwortete ihm Gilmenel.
„Ungbar fühlen, etwas Mächtigeres als Ungbar Natur dort schützen.“, rätselte der Riese.
„Das ist der Sonnenbrunnen.“, erklärte Gilmenel ihm, „Er schützt unser gesamtes Land.“
„Der Sonnenbrunnen! Wenn er der Geißel in die Hände fiele.’, sie wagte nicht weiterzudenken.
Die Ereignisse in Stratholm kamen ihr wieder in den Sinn. Vergeblich hatte sie die letzten Tage immer wieder versucht Sylvanas durch den Kristall zu benachrichtigen. Sie verstand auch, warum sie keine Antwort bekam, aber wenn die Geißel das innere Tor mit Hilfe des Verräters überwinden würde, wäre Silbermond und der Sonnenbrunnen hilflos.
„Ungbar, wie weit ist es noch bis zum Pass? Die Zeit läuft uns davon.“, fragte sie den Riesen besorgt.
„Pass nicht mehr weit seien.“, sagte der Riese, „Wir sehen von nächsten Gipfel.“
Ungbar kletterte wie eine Bergziege auf allen Vieren die schroffen Felsen hinauf. Der Gipfel bot einen guten Ausblick. Gilmenel sah in der Ebene von Nordarathor das Heer der Geißel. Sie folgte ihm mit ihrem Blick weiter in die Berge. Sie stutzte. Von den Waldläufern und ihrer Verteidigungslinie war nichts mehr zu sehen. Die Horden der Geißel drängten sich den engen Pass hinauf. An den Seiten krochen untote Spinnen die Berge hinauf. Der Pass schlängelte sich weiter auf Gilmenel und Ungbar zu. Die Waldläufer waren auch hier nicht zu entdecken.
‚Sind sie schon besiegt?’, kochte die Verzweiflung in ihr auf.
„Ungbar, wir müssen vor den Bösen dort unten an der Brücke des Passes sein.“, sagte Gilmenel.
„Schwierig werden.“, schüttelte Ungbar den Kopf, „Wir versuchen.“
Ungbar setzte Gilmenel wieder auf seinen Rücken. Wie ein Berglöwe sprang er nun über die Felsen.
Hinter ihnen hörten sie ein Zischen. Einige der Spinnen hatten den Gipfel auf denen sie soeben noch standen erreicht und waren ihnen nun auf den Fersen. Ungbar wich ihren Fangnetzen geschickt aus, als er eine Senke zwischen den Bergen übersprang. Die Spinnen setzten nach. Ungbar rannte ohne einen einzigen Stein in Bewegung zu setzen das Geröllfeld am Fuße des nächsten Berges hoch.
„Sie kommen näher!“, schrie Gilmenel, die ständig die Spinnen beobachtete.
Am Ende des Geröllfeldes blieb Ungbar stehen. Er ergriff einen riesigen Felsblock und warf ihn zu Tal. Mit einem Donner krachte dieser auf das Geröllfeld unter ihnen. Das gesamte Geröllfeld geriet in Bewegung. Die Spinnen versuchten zu fliehen, aber die Gesteinslawine begrub sie unter sich.
„Sehr gut, Ungbar.“, sagte Gilmenel zu dem Riesen, der bereits wieder eine Felswand hochkletterte.
Als sie den Gipfel erreichten deutete Ungbar ins Tal, „Dort Brücke seien.“
Der Pass mündete in eine breite Senke, die von einem Fluß geteilt wurde. Zu beiden Seiten der Senke floß er in einem tiefen Tal. Gilmenel sah die zierliche Elfenbrücke in der bewaldeten Senke zu ihren Füssen liegen. Einige kleinen Gestalten liefen auf der Brücke. Sie trugen die Farben der Waldläufer.
‚Es sind doch nicht alle besiegt worden.’, dachte sie und schöpfte neuen Mut.

Ungbar hechtete die Flanke des Berges hinunter. Gilmenel hatte Mühe sich an ihm festzuhalten. Sie waren nun schon fast bei der Brücke. Sie sah wie sich die Waldläufer von der Brücke entfernten. Ein Zucken ging durch den Brückenkörper. Sie fiel zusammen.
„Was haben sie getan?“, schrie Gilmenel.
„Brücke zerstört.“, sagte Ungbar ruhig.
„Ja, das sehe ich.“, sagte sie zornig, „Verzeih meinen Ton, Ungbar, aber ich bin verzweifelt. Wie soll ich das andere Ufer erreichen? Die Strömung des Flusses ist viel zu stark um zu schwimmen.“
„Tal umgehen müssen.“, sagte Ungbar, „Viele Tage dauern werden.“
„Die Zeit bleibt mir nicht, Ungbar.“, seufzte sie.
„Hmmm…“, brummte Ungbar, „Ungbar vielleicht Möglichkeit wissen.“
Mit gewaltigen Sätzen sprang Ungbar wieder den Berg hinauf und rannte den Grat am Rande des Tales entlang. Gilmenel sah wie das Tal sich zu einer bodenlosen Schlucht verengte. Die beiden Bergrücken an den beiden Seiten des Flusses, der tief in der Schlucht toste, liefen sehr eng zusammen.
„Andere Seite nahe.“, sagte Ungbar und deutete auf die einige Dutzend Schritte entfernte Gegenseite, „Schlucht sonst nirgends so eng seien.“
„Was ist dein Plan?“, stutze Gilmenel.
„Zu weit zum Springen für dich oder Ungbar seien.“, sagte der Riese, „Aber Ungbar stark und werfen dich können.“
Gilmenel schluckte. Die andere Seite des Tales sah nicht gerade einladend aus. Die Felsen waren schroff und überhängend. Ungbar musste sie genau auf den Bergrücken werfen.
‚Ich habe wohl keine andere Chance.’, dachte sie.
„Und was wird aus dir, Ungbar?“, sorgte sie sich, „Du weist was dich im Tal von Stratholm erwartet?“
„Berge Ungbar schützen.“, sagte der Riese, und streichelte zärtlich den Fels, „Ungbar langen Weg in Bergen um Tal herum zu Hütte nimmt.“
„Ich hoffe du kommst wieder nach Hause.“, lächelte Gilmenel den Riesen an, „Grüße Khal’El und Grimmhuf. Leb wohl, mein großer Freund.“
„Leb wohl, kleine Elfe.“, sagte Ungbar und nahm sie zärtlich bei der Taille.
Er schleuderte sie mit einem gewaltigen Schwung über den Abgrund. Gilmenel streckte sich. Die Gegenseite kam näher, aber der Wurf war zu kurz. Ihre Fingerspitzen berührten die Felskante des Bergrückens. Aber sie konnte sie nicht fassen, und rutschte ab. Sie hörte von der anderen Seite Ungbar aufheulen. Sie sah eine zerzauste Kiefer knapp unter der Kante aus dem Fels wachsen. Mit einer schnellen Bewegung korrigierte sie ihren Flug und fasste einen Ast der Kiefer. Mit einem eleganten Umschwung landete sie auf den Ast. Ungbar jubelte. Sie kletterte auf der Kiefer nach oben. Auf den höchsten Zweig fing sie an auf diesen zu springen. Wie auf einem Trampolin schoss sie in die Höhe, und konnte so die wenigen Schritte Höhe zum Bergrücken überwinden. Als sie ihren Stand dort gesichert hatte, drehte sie sich um und winkte Ungbar zu. Ungbar grüsste zurück und verschwand hinter dem Bergrücken.
Gilmenel stürzte fast den Berg hinunter zur Passstrasse. Sie musste sich beeilen. Denn wenn der Schlüssel für das innere Elfentor entfernt würde, gäbe es kein Hindurchkommen mehr. Mit einem Sprung nahm sie die letzte Felswand vor der Straße und rollte sich auf dieser geschickt ab. Einige Waldläufer liefen noch von der zerstörten Brücke weg.
„Ihr Waldläufer Quel’Thalas’ wartet!“, rief sie ihnen nach.
Die Waldläufer sahen sich um und blieben stehen.
„Wer bist du?“, rief ihr einer entgegen.
„Gilmenel, Sonderkundschafterin der Generalin.“, antwortete sie.
„Schnell beeil dich!“, rief ihr ein Waldläufer zu, „Wir schließen das innere Tor!“
Sie holte mit schnellen Schritten die Waldläufer ein. Das innere Tor lag vor ihnen. Sie passierten es.

Auf der anderen Seite sah Gilmenel, dass sich die Waldläufer sammelten.
‚Dem Sonnenbrunnen sei Dank.’, dachte sie, ‚Es sind nicht alle gefallen.’
Sie blickte sich um. Das große Tor schloss sich. Sie wusste die Magie des Sonnenbrunnens würde es von außen unpassierbar machen.
‚Nun haben wir etwas Zeit.’, dachte sie, ‚Ich hoffe wir können den Verrat noch verhindern.’
Ein Offizier kam auf sie zu.
„Ich habe gehört du bist Gilmenel?“, rief er ihr zu.
„Ja, die bin ich.“, antwortete sie.
„Die Generalin hat oft von dir gesprochen in den letzten Tagen.“, sagte der Offizier.
„Hat?“, stockte Gilmenel der Atem, „Ist sie… ?“,
„Nein, sie ist bereits etwas weiter gezogen mit ihrem Bataillon.“, beruhigte sie der Offizier, „Eile dich. Du findest sie am Ende des Passes.“
„Danke.“, rief Gilmenel dem Offizier zu und rannte los, „Leb wohl!“
‚Sie lebt!’, jauchzte sie innerlich, ‚Es gibt noch Hoffnung!’
Gilmenel bemerkte schnell, dass es viele der Waldläufer durch das Tor geschafft haben. Sie sahen müde aus, von den Strapazen der letzten Tage.
‚Es ist unfair.’, dachte sie, ‚Ich laufe hier nur frisch wie ein Reh durch ihre Reihen, weil Ungbar mich die meiste Zeit getragen hat, und sie haben gekämpft bis zur totalen Erschöpfung.’
Sie begann ein aufmunterndes Lied zu singen. Alle Waldläufer, die es hörten, hoben die gesenkten Köpfe und spürten ihre Kräfte erneuert.
Sie sah das Banner der Generalin schon von weitem. Sylvanas hatte sich mit ihren Offizieren auf einen Hügel postiert, von der sie das Ende des Passes einsehen konnte. Die Waldläufer sammelten sich alle um den Hügel. Sylvanas’ persönliche Garde schützte den Hügel. Gilmenel lief auf sie zu.
„Zu Sylvanas!“, rief sie den Gardisten zu.
Diese sahen sie und ließen sie wie gewohnt sofort passieren. Gilmenel rannte direkt auf Sylvanas Windläufer zu.
„Generalin!“, rief sie und salutierte, „Ich habe wichtige Nachrichten!“
Sylvanas Windläufer drehte sich um und schaute sie ungläubig an.
„Gilmenel!“, rief sie, „Du? Wir wähnten dich tot!“
„Nein, mir geht es gut. Ich hatte eine große Hilfe.“, sagte sie, „Aber das muss alles warten. Ich habe sehr wichtige Neuigkeiten.“
„Gut, komm lass uns etwas abseits gehen.“, sagte Sylvanas Windläufer.
Die Generalin ging mit Gilmenel etwas von den immer noch staunenden Offizieren den Hügel hinunter.
„Sprich, was hast du gefunden?“, sagte sie drängend.
„Wir haben einen Verräter in Silbermond, der Arthas das innere Elfentor öffnen wird.“, sprudelte es aus Gilmenel heraus.
„Wen?“, rief Sylvanas Windläufer entsetzt.
„Dar’Khan Drathir.“, erwiderte Gilmenel.
„Dar’Khan?“, wiederholte die Generalin, „Beim Sonnenbrunnen, das ist sehr übel. Ich danke dir für die Information. Wir müssen schnell handeln.“
Sylvanas lief zurück zu den Offizieren. Gilmenel folgte ihr.
„Wir müssen sofort nach Silbermond aufbrechen.“, wies sie die Offiziere an.
Gilmenel betrachtete den Brief Alexjes in ihren Händen.
‚Vermutlich ist es besser ihn ihr jetzt nicht zu geben.’, dachte sie bitter und steckte ihn wieder ein.
 
32. Die letzte Botschaft

Sylvanas zögerte. Sie wollte das innere Elfentor nicht schutzlos zurücklassen. Doch wenn Dar’Khan seine Pläne verwirklichen konnte, wäre es sinnlos. Gilmenel fand sie deshalb etwas abseits der Straße tief im Gedanken versunken.
„Sylvanas?“, sagte Gilmenel zärtlich.
Die Generalin nickte müde.
„Ich hätte es dir gerne erspart.“, sagte Gilmenel traurig, „Aber ich denke dies hier enthält sehr wichtige Informationen.“
Sie hielt Sylvanas Windläufer den Umschlag mit Alexjes Brief hin.
„Es sind die letzten Worte eines sehr treuen Freundes.“, sagte sie mit trauriger Stimme.
Sylvanas nahm den Brief und öffnete ihn. Ihre Hände begannen zu zittern als sie ihn las. Sie senkte den Kopf und verbarg ihre Augen mit den Händen. Sie schluchzte leise. Der Brief fiel zu Boden. Gilmenel hob ihn rasch auf, und drehte sich diskret um.
„Alter Freund, dein Tot soll nicht vergeblich sein. Ich hoffe du findest Ruhe, wo immer dich dein Glauben im Jenseits hinführen mag.“, sagte sie und summte leise ein Trauerlied.
„Nun, noch ein Grund mehr rasch nach Silbermond aufzubrechen.“, sagte sie plötzlich gefasst und voller Stärke, „Vielleicht vermögen ja unsere Magier etwas gegen diese schauderhafte Methode.“
„Ich hoffe es sehr, Sylvanas.“, versuchte Gilmenel aufmunternd zuzustimmen, „Letztendlich sind sie die Besten in Azeroth.“
„Gut, rasch! Reiten wir!“, sagte die Generalin.
„Ich…“, zögerte Gilmenel, „…habe kein Reittier mehr.“
„Khal’El?“, fragte Sylvanas erstaunt.
„Ich musste sie zurücklassen. Sie ist auf der anderen Seite des Tales von Stratholm.“, erklärte Gilmenel, „Ich hoffe, dass sie bei einem neuen Freund sicher ist. Von ihm habe ich auch den Brief erhalten. Grimmhuf und Khal’El stehen unter seinem persönlichen Schutz.“
„Ich hoffe er kann sie gut beschützen. Wer immer er auch ist.“, sagte Sylvanas, „Aber nun suche dir einen freien Schreiter, und folge mir dann.“
Sylvanas stieg auf ihren Schreiter und ritt zum Kommandoposten auf dem Hügel. Gilmenel sah, wie die Hauptmänner salutierten und jeder rasch zu seinem Batallion ritt. Die Waldläufer erhoben sich. Um die provisorischen Lager abzubrechen, die sie errichtet hatten, blieb keine Zeit. Die Waldläufer bestiegen ihre Schreiter, oder machten sich fertig zum Abmarsch. Einige Wagen fuhren die Ränge der Waldläufer ab, und nahmen die Verwundeten auf. Gilmenel beschloss die Wagen zu begleiten.
„Ihr Waldläufer, hört mein Lied.“, rief sie den Verwundeten in jeden Wagen zu, den sie auf dem Weg nach Silbermond aufsuchte. Die verwundeten Waldläufer lauschten der Melodie. Erstaunt spürten sie ihren Kraft und Mut zurückkehren. Verwundert sahen sie zu wie ihre Wunden sich schlossen. Nach und nach wurden die Wagen leer, und ihre ehemaligen Fahrgäste schlossen sich wieder ihren Kameraden im Heereszug an.

Gilmenel sah wie ein Reiter aus Richtung des Passes auf die Waldläufer wie ein Pfeil zugeschossen kam. Sie spornte ihren Schreiter an, und ritt auf den Reiter zu. Es musste sich um einen der freiwilligen Späher handeln, die Sylvanas in den Bergen am inneren Elfentor zurückgelassen hatte. Gleichzeitig gelangte sie mit ihm zu der Generalin in der Mitte des Trosses.
„Generalin!“, meldete der Späher noch sichtlich außer Atem, „Das innere Elfentor ist gefallen!“
Sylvanas hielt ihren Schreiter so abrupt an, dass er beinahe gestürzt wäre. Sie drehte sich zu dem Späher um.
„Berichte!“, sagte sie kurz.
„Das Tor öffnete sich plötzlich.“, fing der Späher an, „Massen an Skelettkriegern strömten hindurch. Sie legten sofort Feuer an das Tor, und zerstörten es bis auf die Grundmauern. Danach ging alles sehr schnell. Wie ein schwarzer Nebel überzogen sie den Pass und die Berge. Alle Späherposten wurden ausgelöscht. Einzig ich konnte mich bis zu euch durchschlagen. Sie nähern sich rasch. Es wird nur noch eine Frage von sehr wenigen Stunden sein, bis sie hier sind.“
„Ich hatte gehofft wir kämen weiter, aber der Verräter hat sein Werk zu früh vollendet.“, seufzte die Generalin, „Nun gut, dann müssen wir uns hier zum Kampf stellen.“
Sylvanas gab einige Anweisungen und die Waldläufer begannen sich zu formieren. Im Dunst der Berge konnte man bereits einen Schatten ausmachen, der sich nicht mit der Sonne bewegte.
„Gilmenel, such die fähigsten und schnellsten unserer Boten aus, und schicke sie mit einer Warnung nach Silbermond. Dann komm zu mir zurück.“, sagte Sylvanas.
Gilmenel nickte kurz, und rannte zu dem kleinen Trupp der Boten, der sich immer möglichst in der Nähe der Generalin befand.
„Boten, übermittelt König Anasterian und der Versammlung von Silbermond unsere Lage. Teilt ihnen mit, dass die Elfentore offen sind und zerstört wurden, und Quel’Thalas nun schutzlos ist. Erklärt ihnen, dass wir hier versuchen den Feind vor der Stadt aufzuhalten, dass wir aber zahlenmäßig weit unterlegen sind.“, sagte Gilmenel, „Teilt ihnen mit sich für den Verteidigungsfall zu rüsten. Sie sollen den Sonnenbrunnen bis zum letzten Elf verteidigen. Sagt dem König, dass Sylvanas Windläufer die Festnahme von Dar’Khan Drathir befiehlt, wenn sie seiner habhaft werden können. Er wird des Verrats beschuldigt.“
Die Boten nickten.
„Reitet zu zweit.“, fuhr Gilmenel fort, „Jede Gruppe nimmt einen anderen Weg nach Silbermond. Nun reitet. Möge das Licht des Sonnenbrunnens euch sicher leiten.“
Gilmenel grüsste alle. Die Waldläuferboten stiegen auf ihre Schreiter und ritten in die verschiedenste Richtungen davon.
„Sie sind fort.“, sagte Gilmenel als sie zu Sylvanas zurückkam, „Nun bleibt dir nur noch eine Botin.“
„Ich weis.“, lächelte die Generalin.
„Ich hoffe sie kommen durch.“, sagte Gilmenel bitter, „Aber ich habe mir eingebildet berittene Geißelkrieger, bereits im Tal und in den nahen Hügeln gesehen zu haben.“
„Deine Sinne täuschen dich leider nicht.“, sagte die Generalin finster, „Unsere äußeren Flanken sind bereits im Kampf.“

Nun waren die Horden der Geißel deutlich sichtbar, wie ein Schwarm Ameisen fielen sie über die blühenden Landschaften Quel’Thalas her, und hinterließen nur verseuchten Boden und eine tote Landschaft. Sylvanas musste einsehen, dass sie auf verlorenen Posten kämpften. Langsam schloss sich der Kreis der Geißel um die Waldläufer. Der Kampf war nun bereits bis zu ihnen vorgedrungen. Mit ihrem Bogen vernichtete Sylvanas Windläufer die Untoten in den Hunderten. Gilmenel versuchte so gut es ging an ihrer Seite zu bleiben, sollte sie sie als die letzte Botin nutzen wollen. Sie bemühte sich, alle mit ihren Liedern zu ermuntern, und die Verletzten zu heilen. Sie merkte langsam wie ihre Stimme versagte. Der Kampf war zu heftig. Die Zahl der Toten und Verwundeten stieg zu rasch an.
„Gilmenel!“, rief Sylvanas Windläufer.
„Hier!“, antwortete sie, und lief auf die Generalin zu.
„Es steht schlecht um uns.“, sagte Sylvanas müde, „Wir können uns kaum noch halten. Der Ring der Geißel hat sich fast um die Waldläufer geschlossen. Du musst sofort nach Silbermond aufbrechen. Wir können ihnen dort nicht mehr helfen. Sie müssen für sich selbst sorgen. Sage dem König die Waldläufer sind aufgerieben. Unsere Lage ist hoffnungslos.“
„Aber wir könnten doch Richtung Hafen am Windläuferturm fliehen, und auf dem Meer nach Silbermond segeln.“, sagte Gilmenel.
„Nein, wir hätten nicht genug Schiffe für alle.“, antwortete die Generalin, „Wir bleiben hier und kämpfen. Komm! Ich gebe dir noch Deckung solange ich kann. Rasch! Leb wohl, teure Freundin!“
„Leb wohl, Sylvanas!“, rief ihr Gilmenel unter Tränen zu.
Sie saß auf ihren Schreiter auf, und ritt so schnell sie konnte davon. Sylvanas Pfeile trafen jeden, der sich Gilmenel näherte. Der Weg vor ihr war nun frei. Sie trieb den Schreiter in Richtung der Straße nach Silbermond. Sie erinnerte sich wie sie diese Straße nahm, als sie in die Dienste der Waldläufer treten wollte. Es kam ihr vor wie vor Jahrhunderten.
‚Was war ich damals für ein naives junges Ding.’, dachte sie mit einem Kopfschütteln.
Sie dachte über alles nach was sie seither erlebt hatte. Ein jämmerliches Kreischen lies sie hochschrecken. Am Straßenrand lag ein verwundeter Schreiter. Ihr stockte der Atem. Zwei tote Waldläuferboten lagen auf das übelste verstümmelt neben ihn. Ihre Gliedmassen waren in unnatürliche Haltungen gedreht und ihre Ohren abgeschnitten.
‚Es wird wohl niemand der Boten geschafft haben.’, dachte sie bitter, als sie den Schreiter mit ihrem Bogen von seinen Qualen erlöste. Sie stieg ab und verbeugte sich vor den Toten.
‚Mir bleibt zwar keine Zeit, aber so sollten sie nicht liegen bleiben.’, dachte sie, als sie Arme und Beine der Toten wieder in eine normale Haltung brachte.
Sie wollte gerade wieder aufsitzen, als eine Lanze ihren Schreiter traf. Eine Trupp Geißelkrieger rannte auf sie zu. Gilmenel versuchte nicht sich mit ihnen zu messen, und lief in die nahen Hügel so schnell sie konnte. Sie konzentrierte sich. Langsam verschmolz sie mit dem Wald. Geschickt und leise kletterte sie auf einen der hohen Bäume, und setzte sich auf einen Ast in dessen Wipfel. Sie traute sich kaum zu atmen. Die Krieger kamen den benachbarten Hügel herauf und liefen auf Gilmenels Baum zu. Sie erstarrte, doch die Krieger liefen vorbei.
Gilmenel nutzte ihren hohen Posten, um sich umzusehen. Sie sah in der Ferne undeutlich die Türme von Silbermond. Aber zwischen ihr und der Stadt nahm sie bereits die Horde der Geißel war. Sie sah keine Möglichkeit zur Stadt durchzubrechen. Sie blickte zurück zum Pass. Die schwarzen Wellen der Geißel hatten die Waldläufer schon fast überschwemmt. Hier und da sah man einige Inseln von Waldläufern aus den Massen an Untoten herausragen. Sie erkannte das Banner Sylvanas. Sie versuchte ihre Sicht zu schärfen.
Sylvanas stand in einem Kreis von Untoten. Sie kämpfte mit einem gewaltigen dunklen Ritter. Gilmenel erkannte das Schwert des Ritters. Es war das Schwert Arthas’. Sylvanas und Arthas kämpften. Die umgebenen Massen feuerten Arthas an. Sylvanas Windläufer ging zu Boden. Gilmenel konnte den Schrei, der ihrer Kehle entfahren wollte, gerade noch verhindern.
‚Nun ist alles verloren.’, dachte sie als die Hoffnung sie verlies, ‚Es gibt keine Hoffnung mehr.’
Gilmenel stieg von ihrem Baum und sank am Boden auf die Knie. Dicke Tränen flossen über ihr Gesicht, als sie es in den Waldboden vergrub. Ein Leuchten schien aus einer Rocktaschen. Sie holte den Kristall hervor.
„Wi...r…si…nd…be...sie…gt.“, buchstabierte der Lichtcode.
‚Sie lebt!’, jubelte sie, ‚Ich muss zu ihr und versuchen ihr zu helfen.’
Gilmenel sprang auf. Die Strapazen der vergangenen Tage waren vergessen. Der Mut und die Hoffnung der Verzweiflung trieben sie an. Sie rannte so schnell sie es konnten in Richtung des Gefechtes von Sylvanas und Arthas. Sie nutzte ihre Verstohlenheit und jede Deckung um den Geißelschergen auszuweichen. Sie konnte nun Sylvanas liegen sehen. Arthas beugte sich über sie. Er winkte zwei Ghuls. Sie packten Sylvanas und trugen sie fort.

Gilmenel beschloss ihnen zu folgen. Sie musste vielen Geißelkriegern ausweichen, und verlor Sylvanas und die Ghuls fast aus den Augen. Die Ghuls trugen die leblose Sylvanas in eine Gruft. Gilmenel folgte ihnen. Sie legten den erschlafften Körper der Waldläufergeneralin auf einen der steinernen Sarkophage, und verließen die Gruft. Gilmenel schlich zu ihr.
„Sylvanas!“, sagte sie zärtlich.
Die Generalin öffnete die Augen.
„Gil…“, flüsterte Sylvanas, „Fliehe!“
Gilmenel sang ein Lied. Doch dieses Mal versagte die Heilung. Die Wunden schlossen sich nicht. Sie brach weinend über der tödlich verwundeten Sylvanas zusammen.
„Du!“, rief eine dunkle finstere Stimme, „Wer bist du?“
Gilmenel schrak hoch und drehte sich um. Arthas stand vor ihr.
„Ich bin …“, versuchte Gilmenel zu sprechen.
„Schweig!“, donnerte der Todesritter, und wischte mit einer Handbewegung Gilmenel in eine Ecke der Gruft, „Es ist auch egal. Ich befasse mich später mit dir.“
Gilmenel spürte wie eine unsichtbare Kraft sie auf den Boden hielt. Arthas ging auf die fast leblose Sylvanas Windläufer zu.
„Zulange hast du mich aufgehalten!“, zischte Arthas.
„Beende es!“, sagte Sylvanas leise, „Ich habe ein sauberes Ende verdient.“
„Nach alldem?“, grinste Arthas teuflisch, „Nein!“
Er hob seine Hände und sprach Worte in einer Sprache, die Gilmenel nicht verstand. Der Körper von Sylvanas bäumte sich auf, und begann zu leuchten. Ein Nebel stieg aus ihm auf. Er schwebte über den toten Korper der Waldläufergeneralin und nahm langsam die spukhafte Gestalt einer Elfe an. Doch wo einst Schönheit und Harmonie war, war nun Schrecken und Hass. Ein wildes Kreischen entfuhr der Geistergestalt.
„Erhebe dich meine willige Banshee!“, rief Arthas.
Der Körper von Sylvanas zuckte kurz und fiel dann kraftlos zusammen. Die Geistererscheinung schwebte vor Arthas.
„Du hast mich zurückgebracht!“ sagte die Banshee heiser, „Warum?“
„Damit du mir dienst!“, befahl Arthas
„Mein Herr und Gebieter.“, kreischte die Banshee, „Mein Hass und Zorn seien euer!“
„Gut.“, sagte Arthas, „Sag mir wer du bist!“
„Ich bin euere Bansheesklavin.“, sagte sie, „Ich erinnere mich an einen Namen. Sylvanas Windläufer.“
„Das ist richtig.“, sagte der Todesritter, „Aber nun ist dein Name ohne Bedeutung.“
„Wie ihr wünscht, mein Lord Arthas.“, zischte die Banshee.
Arthas deutete auf Gilmenel, „Wer ist das?“
„Eine Hochelfe. Sie ist die Tochter von Aliasan Mindmaker.“, erklärte die Banshee ohne eine Regung in der Stimme, „Sie hat große magische Fähigkeiten. Sie war die persönliche Botschafterin von Sylvanas Windläufer.“
„Hm, interessant.“, sagte Arthas, „Aliasan, so so, ein Magister des ersten Sanktums wie ich mich erinnere, der auch die Magielehrer der Kirin Tor in Dalaran ausbildete.“
„Ja.“, zischte die Banshee, „Nur hat sie keine Ahnung davon.“
„Trotzdem scheint sie einige Fähigkeiten zu haben.“, sagte Arthas überlegend, „Sie wäre sonst nicht soweit hier herein gekommen. Ich denke wir heben sie uns für später auf.“
„Wie ihr wünscht, mein Meister.“, sagte die Banshee Sylvanas Windläufer.
Ein Trupp Skelettkrieger und Ghuls kam die Treppe herunter.
„Fesselt sie!“, befahl Arthas, „Und bringt sie in unseren Kerker nach Stratholm.“
„Meister, befehlt, dass man sie auch knebelt.“, sagte die Banshee Sylvanas Windläufer, „Ihre Stimme hat magische Kräfte.“
„Tut es!“, nickte der Totesritter.
Die Skelettkrieger fesselten Gilmenel. Ein Ghul knebelte sie mit einer seiner stinkenden Bandagen.
„Nun, meine willige Banshee, werden wir uns um Silbermond kümmern.“, sagte Arthas finster, „Es steht mir im Weg zum Sonnenbrunnen und muss zerstört werden. Alle Elfen werden getötet.“
„Wie ihr befehlt.“, sagte die Banshee kalt.
Arthas und die Banshee Sylvanas Windläufer verließen die Gruft. Gilmenel fühlte wie sie sich wieder ein wenig bewegen konnten. Die Krieger packten sie und schleiften sie die Treppen hinauf. Erst jetzt reagierte ihr Körper auf das Geschehen in der Gruft. Sie fiel in eine tiefe Ohnmacht.
 
33. Sterne

Gilmenel öffnete die Augen. Sie wollte schreien. Alles kam ihr vor wie ein böser Traum. Aber als sie die Skelettkrieger und Ghuls sah, die sie bewachten, wusste sie, dass alles so geschehen war. Sie konnte nicht einmal mehr weinen. Sie hatte keine Tränen mehr. Ihr Körper war außerstande die enorme Trauer über den Verlust der teuren Freundin auszudrücken.
Sie schaute sich um. Ihre Wache hatte sie auf dem Deck eines Zeppelins abgelegt.
‚Goblins!’, dachte sie zornig, ‚So konnten Arthas und seine Geißel so schnell den Fluss überqueren. Diese kleinen grünen Fieslinge tun doch wirklich alles für ihren Profit.’
Der Zeppelin nahm Kurs auf die Passhöhe. Er stieg über die Berge. Das Tal von Stratholm lag nun unter ihnen. Gilmenel sah den Fluss, den sie noch vor wenigen Tagen mit Ungbar folgte. Sie schüttelte verzweifelt den Kopf.
‚Alles aus!’, weinte sie, ‚Silbermond wird fallen. Dieser Streitmacht haben sie nichts entgegenzusetzen. Und …’
Sie wagte nicht weiterzudenken. Sylvanas Windläufer war nun eine Banshee. Eine willenlose Sklavin des Lich-Königs. Sie würde jeden seiner Befehle ohne das geringste Zögern ausführen. Arthas alleine könnte mit seinen Truppen und seinen Fähigkeiten Silbermond schon leicht vernichten, aber nun mit dem Wissen der ehemaligen Waldläufergeneralin an seiner Seite wäre es nur noch ein Handstreich für ihn.
‚Ich kann nichts mehr für sie tun. Ich kann nicht einmal mehr was für mich tun.’, verzagte Gilmenel und versank in Lethargie.
Der Zeppelin näherte sich langsam Stratholm. Die Mauern und Türme der Stadt waren im Dunst der Ferne sichtbar. Der Zeppelin sank. Als er die Stadt erreichte, machte er an der Stadtmauer fest. Die Krieger packten Gilmenel. Sie lies es willig über sich ergehen. Sie trugen sie auf den Straßen, die Gilmenel früher von den Dächern aus ausspionierte, zum Kerker. Über finstere spinnwebenverhangene Treppen und Korridore führte ihr Weg in die Keller der Bastion. Die Abnormitäten die Gilmenel dabei sah, hätten ihr das Blut in den Adern gefrieren lassen. Momentan beachtete sie sie aber kaum. Ein Ghul sperrte eine Zellentür auf. Die Krieger warfen Gilmenel unsanft hinein. Die Tür wurde hinter ihr verschlossen.

Sie wusste nicht mehr wie lange sie in ihrer Zelle gelegen hatte, als die Tür aufging.
„Nicht da hinein, du hohler Totenschädel.“, sabberte ein Ghul.
„Es ist kein Platz mehr woanders.“, raunzte der Skelettkrieger der Geißelwache, „Alle Zellen sind voll. Viel Experimentierfleisch.“
„Aber da ist diese Elfenhexe drin, die Arthas sich selber vornehmen will.“, sagte der Ghul schmatzend.
„Die hat sich schon seit Tagen nicht mehr bewegt.“, krächzte ein anderer Krieger, „Die ist längst tot.“
„Gnade dir wenn es so ist und Arthas das erfährt.“, verhöhnte ihn der Ghul, „Na gut, dann rein mit dem Elfenpack.“
„Vorwärts!“, zischte ein Skelettkrieger, „Da rein!“
„Lasst uns frei!“, jammerte ein Hochelf.
Gilmenel hörte noch weitere schluchzende Stimmen von Hochelfen. Die Geißelwachen stießen alle unsanft in Gilmenels Zelle.
Im schwachen Schein des Fackellichts, das durch die Gitter des Gucklochs in der Zellentür fiel, konnte Gilmenel sechs Elfengestalten erkennen.
„Was die mit uns wohl vorhaben?“, sagte ein Elf.
„Bestimmt nichts Gutes.“, schluchzte eine Hochelfin.
„Wir müssen schauen, dass wir von hier fliehen können.“, sagte eine andere Stimme fest.
Gilmenel durchfuhr es wie ein Blitz. Sie fühlte wie ein Funke Hoffnung sich in ihr zu regen begann.
‚Diese Stimme!’, dachte sie plötzlich wieder klar, ‚Kann es denn sein?’
Sie begann sich in ihrer Zellenecke zu bewegen, so gut es ihre Fesseln zuließen.
„Hmmmm….Hmmmmm….“, stöhnte sie durch den Knebel.
„Was ist das?“, sagte ein Elf.
„Lasst es uns überprüfen.“, sagte die Stimme.
Gilmenel sah wie ein Elf auf sie zukam, und vor ihr auf die Knie fiel.
„Gil!“, rief der Elf, und löste ihren Knebel.
„Dene!“, rief Gil unter Tränen.
„Schnell!“, rief Deneathor, „Löst ihre Fessel!“
Zwei weitere Elfen begannen ihre Fesseln zu lösen. Gilmenel setzte sich auf, und fiel Deneathor schluchzend um den Hals.
„Alle tot.“, sagte sie unter bitteren Tränen, „Sylvanas….“
Ihr versagte die Stimme.
„Ja, ich weis.“, sagte Deneathor bitter, „Ich habe sie gesehen, die Banshee, die sie nun ist. Sie tötete kalten Herzens viele ihres ehemaligen Volkes. Wir hatten Arthas und ihr wenig entgegenzusetzen.“
Denathor verstummte. Gilmenel hob den Kopf von seiner Schulter.
„Erzähle mir bitte, auch wenn es bitter ist, was geschehen ist.“, sagte sie niedergeschlagen.
„Alles ist verloren.“, seufzte Deneathor, „Meine Familie ist tod. König Sonnenwanderer ist gefallen. Die Versammlung hat Arthas eigenhändig niedergemetzelt. Die Bevölkerung wurde erschlagen, oder einige wenige, wie wir, für perverse Experimente verschont. Quel’Thalas ist verwüstet. Silbermond wurde zerstört. Der…“
Denathor hielt inne und schlug die Augen zu Boden.
„Der Sonnenbrunnen ist explodiert.“, fuhr er leise fort.
Gilmenel schaute ihn mit entsetzt aufgerissen Augen an.
„Aber trotzdem alles zerstört ist, müssen wir fliehen.“, sagte er auf einmal kämpferisch, „Prinz Kael’Thas war nicht in Silbermond. Er muss es zurückerobern!“
„Ja.“, nickte Gilmenel, „Er ist in Dalaraan.“
„Nun, dann müssen wir zu ihm und ihm berichten.“, sagte Deneathor entschieden.
„Wie?“, seufzte Gilmenel.
„Als erstes müssen wir hier raus.“, sagte Deneathor, „Zum Glück haben sie mich nicht gut genug durchsucht, oder hielten dies hier für nicht gefährlich.“
Deneathor holte einen Kahliahbogen aus seiner Westentasche.
„Dein Bogen!“, sagte Gilmenel erstaunt, „Du hast ihn noch?“
„Naja, so ganz konnte ich die Khaliah und dich nicht vergessen.“, sagte Deneathor mit einem Lächeln.
Gilmenel erinnerte sich, wie sie Deneathor den Bogen zu seinem Geburtstag geschenkt hat. Es war ein Meisterbogen aus Mithril.
„Nun wird er uns einen letzten ehrenvollen Dienst erweisen.“, seufzte Deneathor.
Deneathor gab den Bogen einen Elf mit auffällig kräftigen Armen.
„Tu es, Schmied.“, sagte er traurig.
Mit einigen geschickten Handgriffen bog der Elf den Bogen in einen Dietrich und knackte das Zellenschloss.
„Gelernt ist gelernt.“, sagte der Schmied und öffnete die Zellentüre.

Deneathor blickte vorsichtig aus der Zelle.
„Hm.“, sagte er, „Keine Wachen.“
„Die sind garantiert nicht weit.“, flüsterte Gilmenel als sie zu ihm trat, „Aber besser wir gehen jetzt. Ich denke, dass ich einen Weg in Sicherheit weis.“
„Du?“, stutzte Deneathor, „Warst du schon einmal hier?“
„Ja.“, sagte Gilmenel fest, „Ich erklär es dir bei Gelegenheit. Seit unserem Abschied im Immersangwald ist einiges passiert. Wir haben uns beide sicher viel zu erzählen. Aber nun folgt mir alle leise.“
„Sollen wir nicht die anderen Zellen öffnen?“, sagte Deneathor, „Da vorne rechts in der Zelle bildete ich mir im Vorbeigehen ein auch welche von unserem Volk zu sehen.“
„Keine Zeit.“, schüttelte Gilmenel traurig den Kopf, „Außerdem wissen wir nicht was dort noch eingekerkert ist.“
Gilmenel schlich den Zellenkorridor entlang. Deneathor und die Elfen folgten ihr.
‚Wenn wir nur eine Etage höher kommen.’, hoffte sie, ‚Dann gibt es einen Weg in Sicherheit.’
Der kleine Trupp war nun an der Wendeltreppe zur nächsten Etage angelangt. Gilmenel schlich voraus. Sie verschmolz fast perfekt mit den Schatten. Deneathor hatte Mühe sie zusehen. Sie blieb am obersten Treppenabsatz stehen. Vor ihr lag der Wachraum des Kerkermeisters. Ein Dutzend Ghuls und Skelettkrieger hielten sich darin auf. Eine riesige Monstrosität stand am Ausgang zum Hauptgang, der ins nächste Stockwerk führte.
„Dene, haltet euch alle die Ohren zu.“, sagte Gilmenel bestimmt, „Wenn ich euch ein Zeichen gebe stürmt los, und schnapp euch irgendeine Waffe, und versucht das Monster dort zu töten.“
„In Ordnung, Gil.“, sagte Deneathor.
Alle Elfen hielten sich die Ohren zu. Gilmenel hoffte, dass es klappen würde. Sie begann zu singen. Es waren düstere Töne, die Tot und Verderben in sich trugen. Die Geißelschergen zogen ihre Waffen und stürmten auf sie los. Sie kamen nicht weit. Einer nach dem anderen viel zu Boden, und war von seinen untoten Qualen erlöst. Die Monstrosität rannte nun auf Gilmenel zu. Sie gab den Elfen das Zeichen. Die Elfen stürmten die Wachkammer. Sie griffen sich jede Waffe die sie sahen, und schlugen damit auf die Monstrosität ein. Sie schwankte bereits nach Kurzem, und stürzte mit einem heftigen Krachen zu Boden. Sie war besiegt.
„Schmied, siehst du dort das Gitter?“, fragte Gilmenel, „Versuch es zu öffnen. Ihr müsst dann den Schacht dahinter hinaufklettern.“
„Ihr?“, fragte Denathor verblüfft, „Kommst du nicht mit? Du musst mir das erklären, wie du die Wachen töten konntest.“
„Nein, ich bleibe, und versuche alle Elfen zu befreien, die ich finden kann.“, sagte Gilmenel, „Ich würde es dir gerne erklären. Es ist eine Fähigkeit, die ich vergessen hatte. Vertraue mir nur einfach, dass ich mich hier durchaus zu wehren weis.“
Gilmenel erklärte ihm den Weg auf den Dächern von Stratholm aus der Stadt heraus.
„Du hast dich sehr verändert, kleine Gil.“, sagte Deneathor zärtlich.
„Ja Dene, wir alle haben das.“, erwiderte sie, und küsste ihn, „Nun geht rasch!“
„Die Sonne scheine immer für dich, leb wohl.“, winkte ihr Deneathor als er als Letzter in den Schacht kroch.
„Leb wohl, mein tapferer Verteidiger.“, rief sie ihm zu.

Gilmenel schlich zurück zu den Zellen. Sie blickte durch das Gitter. Sie schreckte zurück. Knochen über Knochen stapelten sich bis unter die Zellendecke. Sie sah durch die nächste Zellenluke. Elfinnen kauerten auf dem Boden. Gilmenel schloss die Türe mit dem Dietrich auf.
„Folgt mir rasch!“, rief sie den Elfen zu.
Diese sahen sie träge an. Sie erhoben sich wie in Trance und begannen ihr zu folgen. Keine sprach ein Wort. Gilmenel war dies unheimlich. Sie erreichten die Wachstube.
„Halt!“, sagte eine kalte Stimme, die wie in einer tiefen Gruft hallte.
Gilmenel blieb angewurzelt stehen. Sie war unfähig sich zu bewegen. Die Banshee Sylvanas Windläufer schwebte in der Mitte des Raumes.
„Danke, meine zukünftigen Schwestern.“, sagte sie und winkte den Elfinnen zu, „Ihr könnt nun zurückgehen.“
Die Elfinnen drehten sich um und verschwanden in Richtung der Zellen.
„Sylvanas!“, rief Gilmenel voll Entsetzen, „Was ist aus dir geworden?“
„Ich bin eine treue Sklavin der Geißel.“, sagte die Banshee Sylvanas Windläufer, „Sylvanas Windläufer existiert nicht mehr.“
„Erinnerst du dich nicht an das, was du einmal warst?“, versuchte Gilmenel sie zu erreichen, „An Alles was wir erlebt haben? An unsere Hoffnung? An unsere Heimat, der du geschworen hast ewig zu dienen!“
„Ich diene nun einer größeren Macht.“, sagte die Banshee ohne eine Regung in der kalten seelenlosen Stimme, „Du wirst bald die wirklichen Wahrheiten erkennen. Du wirst es alles einsehen und der Geißel treu dienen.“
„Nein, niemals werde ich das aus freien Stücken tun!“, schrie ihr Gilmenel entgegen, „Erinnere dich, Sylvanas!“
Gilmenel begann zu singen. Die Melodie fühlte den finsteren Kerker. Die Wände verschwanden. Sie standen beide auf der Spitze des Windläuferturms und sahen die blühenden Landschaften Quel’Thalas’ unter sich. Sylvanas stand wieder als Waldläufergeneralin an ihrer Seite.

„Siehst du!“, sagte Gilmenel und deutete auf Silbermond am Horizont, „Erinnere dich, Sylvanas!“
„Das…“, sagte Sylvanas Windläufer zögernd, „… kann nicht sein! Gilmenel?“
„Ich bin hier, Sylvanas.“, sagte Gilmenel zärtlich.
„Quel’Thalas ist zerstört!“, sagte Sylvanas mit trauriger Stimme, „Ich habe dabei geholfen. Meine Schuld ist groß.“
„Wir werden es gemeinsam wieder aufbauen.“, versicherte Gilmenel ihr.
Sylvanas Windläufer schloss die Augen und senkte den Kopf.
„Nein!“, kreischte Sylvanas mit der kühlen Stimme der Banshee, „Es ist eine Illusion!“

Der schrille Schrei der Banshee durchschnitt die Luft. Die blühenden Landschaften von Quel'Thalas verschwanden. Die Kerkerwände kehrten zurück. Das Lied zerbarst in einzelne Töne, die wie Staub in der Sonne aufblitzen, bevor sie verklangen. Gilmenel verstummte. Die schreckliche Banshee Sylvanas Windläufer stand wieder neben ihr.
„Schweig! Ich habe keine Zeit für Spielchen.“, sagte die Banshee gefühllos, „Ich hatte Recht dich nicht zu unterschätzen. Deine Fähigkeiten stellen ein außergewöhnliches Potential, aber auch eine Gefahr für meinen Gebieter und mich dar. Ich glaube, wir sollten eine Lösung für dieses Problem finden. Folge mir!“
Gilmenel spürte, wie ihre Füße sich ohne ihren Befehl bewegten. Sie folgte der Banshee willig durch die Straßen von Stratholm. Sie betraten einen der Zigurate, den die Geißel hier erbaut hatte.
„Leg dich nieder!“, sagte die eisige Stimme der Banshee Sylvanas Windläufer, „Du warst mir im Leben die beste Kundschafterin, du wirst es auch im Tod für mich sein. Deine ganze Ergebenheit und Treue wird bald der Geißel gehören.“
Sylvanas deutete mit einer spektralen Hand auf den Altar im kreisförmigen Innersten des Zigurats.
„Sylvanas…. Nicht….“, konnte Gilmenel nun mühsam sagen.
„Du wirst bald erkennen, dass es das Beste ist.“, sagte die Banshee, „Dem Lich-König kann sich niemand mehr in Azeroth entziehen. Die Geißel wird siegen! Wir werden siegen!“
Gilmenel kämpfte dagegen an, doch ihr Körper legte sich wie von einer unsichtbaren Hand gezwungen auf den Steinaltar.
Die Banshee schwebte näher. Sie nahm einen Dolch, der neben dem Altar lag. Sie umschloss ihn mit beiden Händen.
„Ein Opfer für dich Ner’zhul, unser Gebieter!“, kreischte sie, und rammte Gilmenel den Dolch ins Herz.
Gilmenel wurde schwarz vor Augen. Mit ihrem letzten Atem flüsterte Gilmenel, „Sylvanas, möge dir die Sonne …“

Gilmenels Gedanken sammelten sich langsam. Sie vereinigten und verdichteten sich. Schattenhaft konnte sie ihre Umgebung wahrnehmen. Sie sah ihren Körper auf dem Altar liegen. Sie schwebte wie ein Schemen über ihn. Die Banshee war ein düsterer zorniger Schatten. Er sprach dunkle Worte der Beschwörung.
Gilmenel rief um Hilfe. Sie hatte keine Stimme. Der Himmel über ihr wirbelte in einem gewaltigen dunklen Mahlstrom. Er sog sie an. Sie spürte wie sie immer schneller dorthin gezogen wurde. Es war kalt. Sie fühlte das Böse in mannigfacher Form in den Wirbeln des Mahlstroms lauern. Ein finsterer und abgrund böser Geist musste sich im Inneren des Mahlstroms befinden.
„Ich bin Sargeras! Herr des wirbelnden Nether! Gebieter der brennenden Legion!“, donnerte eine dämonische Stimme, „Du wirst mir für alle Zeiten dienen!“
‚Nein!’, schrie ihre Seele, ‚All ihr Götter helft mir!’
„Hier gibt es nur einen Gott!“, grollte die Stimme Sargeras, „Spüre meine Macht!“
Schwarze Blitze begannen im Mahlstrom aufzublitzen. Gilmenels Gedanken wurden von Schmerzen überschattet. Sie spürte einen eisigen Hauch wie ein scharfes Schwert ihren Geist durchfahren. Sie wollte vor Schmerz schreien.
„Ja, unendliche Schmerzen und Qualen für alle, die sich mir widersetzen!“, bellte die düstere Stimme Sargeras’, „Nun wähle zwischen ewiger Pein oder meiner Macht!“
Ein düsterer schwarzer Finger berührte ihre Gedanken. Sie spürte wie reine Macht durch ihre Gedanken floss. Sie war absolut böse und finster, und doch spürte Gilmenels Geist ein Verlangen danach. Sie schien ihr unendlichen Möglichkeiten zu eröffnen.
‚Mit dieser Macht würde ich viel vermögen.’, dachte Gilmenel.
Sie merkte wie ein Teil des schwarzen Fingers sich mit ihren Gedanken verwob.
„Ja, nimm mein Geschenk.“, dröhnte die Stimme des absolut Bösen in Gilmenels Gedanken, „Werde zu meiner willigen Dienerin!“
Sie spürte, wie ihre Gedanken langsam schneller wurden. Sie erinnerte sich an ein Lied. Es war das Lied ihrer Mutter. Es war ein heiliges Lied. Ihre Gedanken verdichteten sich zu seiner Melodie. Sie versuchte es mit all ihren Gedanken zu singen, aber sie konnte dabei nur an den Schrei der Banshee denken.
„Deine Versuche dich zu wehren, werden dir nichts nützen, unwürdige Kreatur!“, hallte die Stimme Sageras’ durch den Mahlstrom.
‚Nie!’, schrien Gilmenels Gedanken, ‚Niemals werde ich dir dienen!’
„Dann stirb, und vergehe im wirbelnden Nether!“, donnerte Sargeras.
Sie spürte wie eine eisige Kälte ihre Gedanken lähmte. Ihr Mut sank. Hilflos sog sie der Mahlstrom an.
‚Mutter…’, seufzten ihre Gedanken mit letzter Kraft.
Töne erklangen leise im Tosen des wirbelnden Nether. Sie sammelten sich zu einem Lied. Das Lied wurde lauter. Es steigerte sich zu einer gewaltigen Melodie. Gilmenel spürte unendliche Macht und Kraft in ihrem Klang. Die Wolken des wirbelnden Nethers wichen zurück. Helle Sterne begannen in dem enstehenden Spalt vertraut auf samtschwarzen Himmel zu leuchten. Sie strahlten Ruhe und Hoffnung aus. Die Wolken des Wirbels wurden immer mehr von den Sternen zurückgedrängt. Gilmenel spürte wie sie das Licht der Sterne vom Wirbel des Nethers wegdrückten.
‚Elbereth!’, jubelte sie, ‚Die Sterne meiner Geburt!’
Sie hörte die Banshee Sylvanas Windläufer wütend aufkreischen. Der Himmel schloss sich wieder. Das Innere des Zigurats nahm wieder Gestalt an. Ihre Gedanken schwebten über ihren Körper. Sie versuchten etwas zu sagen, aber es war nicht möglich. Die Banshee nahm eine Fackel und steckte Gilmenels toten Körper in Brand.
‚Meine Seele lebt, aber mein Körper ist verloren.’, dachten Gilmenels Gedanken, als ihr Körper auf dem Altar in Flammen aufging.
Die Banshee verließ den Raum. Gilmenels Geist folgte ihr.
‚Sylvanas!’, dachte Gilmenel voll tiefer Trauer, ‚Ich schwöre bei Illuvatár und dem Sonnenbrunnen, dass ich dich von deinem traurigen Schicksal erlösen werde, wenn ich eines Tages jemals dazu wieder im Stande bin.’
 
34. Illusion

Aliasan schaute den Wellen zu, wie sie an die Pier brandeten. Er kam oft hierher ans Ende der langen in die See hinausragenden Molen. Er hob seinen Kopf und lies den Blick über den fernen Horizont schweifen. Er seufzte.
‚Was habe ich überhaupt mit dieser Welt zu schaffen?’, dachte er melancholisch.
Er fühlte Heimweh, doch wusste er, dass es unbefriedigt bleiben würde. Er war gestrandet. Gestrandet in Zeit und Raum. Er seufzte abermals. Er nahm einen Gegenstand aus seiner Robentasche. Der Manakeks war bereits härter wie Stein.
‚Es sind nur noch wenige übrig.’, dachte er verdrossen.
Er aß den Manakeks, und spürte, wie seine arkanen Magieenergien wieder aufgeladen wurden. Er hatte nur noch eine Handvoll. Danach würde er sich auf seine eigenen Regenerationsfähigkeiten verlassen müssen.
‚Wenn ich doch nur meinen Stab hätte. Die letzten Tage waren zu anstrengend.’, dachte er müde.
General Korthandes hatte ihn immer wieder gefordert. Jeden Tag hatte er befohlen, dass Aliasan mit den Truppen ausrücken und ihnen mit seiner Magie beim Kampf gegen die Elbenfestung helfen sollte. Aliasan hatte stets versucht mit einem Minimum an Mana auszukommen. Gleichzeitig musste er aber die Atalantë davon überzeugen, dass seine Zauber ihnen einen großen Vorteil brächten. Er hoffte, dass er bald das Vertrauen des Generals gewonnen hätte.
Er kaute verdrossen auf den alten Keks herum, und beobachtete gedankenverloren die Möwen die über das Meer flogen. Schritte kamen hinter ihm näher. Er drehte sich um. Eine Wache der Atalantë näherte sich. Mittlerweile erkannte er die verschiedenen Manipel und Ränge. Es musste wichtig sein. Es war ein persönlicher Adjutant des Generals. Der Adjutant salutierte.
„Magister Aliasan, meldet euch umgehend beim General.“, sagte der Atalantë mit einem leichten Befehlston.
„Gut, gehen wir.“, sagte Aliasan beiläufig.
Aliasan schmunzelte innerlich. Die durch und durch militarisierte Gesellschaft der Atalantë machte einen Rang für ihn erforderlich. General Korthandes wollte allerdings keinen der normalen Atalantëränge verwenden, da er dann Unruhe in der Truppe befürchtete, in der jeder Soldat durch eiserne Disziplin und drakonische Prüfungen seinen Rang verdienen musste. Aliasan konnte ihn daher leicht überzeugen, dass der neue Rang des Magisters wohl der Beste sei. Der General machte es allen seinen Soldaten dennoch klar, dass dieser dem Rang eines persönlichen Beraters des Generals entsprach. Die Offiziere seines Stabes murrten anfänglich gegen diese de facto Gleichstellung eines Fremden, aber die Leistungen Aliasans im Kampf gegen die Elben überzeugten sie.
Sie gingen die lange Mole zurück zum Festland. Die Flotte der Atalantë beeindruckte ihn immer wieder. Die mächtigen schwarzen Kriegsschiffe, die hier festgemacht waren, würden in Azeroth sicher großes Aufsehen erregen.
Er folgte dem Adjutanten durch das Lager. Die Bauarbeiten an der Festung der Atalantë hier auf der äußersten Spitze der südlichsten Insel waren weit fortgeschritten. Die Burg im Herzen der verschiedenen Schanzen und Bollwerke wirkte bereits äußerst bedrohlich. Wenn sie fertig gestellt würde, wäre sie für die Elben ein uneinnehmbarer Brückenkopf der Atalantë. Um dies zu untermauern hatte Korthandes bereits sein Zelt aufgegeben, und seinen Befehlsstand und Quartier in die ersten fertig gestellten Hallen und Räume der Feste verlegt. Die Architektur des Bauwerkes machte seinen Zweck jeden sofort deutlich, Schutz der im Innern befindlichen Truppen und Vernichtung jedweden Angreifers.
Aliasan und der Adjutant durchschritten den Wassergraben der Burg. Die Wehre die das Meerwasser zurückhielten waren noch geschlossen. Mit Wasser gefüllt wäre der riesige Graben ein unüberwindliches Hindernis für die Angreifer, während von den hohen Bastionen unendliche Schauer an Pfeilen, Steinen und Pech auf sie herniedergehen würden. Sie kletterten eine Leiter empor, die sie auf die steinerne Zugangsbrücke der Burg brachte. Die einzelnen Verbindungsstücke zwischen deren Pfeiler waren so konstruiert, dass sie von der Burg aus versenkt und wieder gehoben werden konnten. Das bereits fertig gestellte Haupttor verschluckte den Elf und Menschen wie ein gigantisches Drachenmaul.
‚Die Architektur der Atalantë ist wahrlich titanisch.’, dachte Aliasan.
Er verglich sie mit der Schlichtheit der Elfengebäude des Haines. Die Hütten und Gebäude des Haines wirkten auf ihn grazil und zerbrechlich im Rückblick. Aber sie fügten sich organisch in die Natur der heiligen Insel ein. Die Elfenburg gegenüber der Atalantëlagers war bereits deutlich wehrhafter. Aber dennoch machte sie mit ihren weißen zarten Zinnen und Türmen einen geradezu zerbrechlichen Eindruck im Vergleich zu den gigantischen schwarzen Quadern der Atalantëbauwerke. Aliasan bezweifelte es jedoch in keinster Weise, dass die Elbenburg weniger wehrhaft wäre. Die Elben bauten mit der Natur und nutzen die Eigenschaften der verwendeten Materialen auf das Geschickteste. Jeder Stein, jeder Holzbalken und sogar die Farben waren vermutlich sorgfältig für ihren jeweiligen Einsatz ausgesucht. Aliasan war sich außerdem nicht sicher, ob die Elben nicht zusätzlich den einen oder anderen Zauber verwendeten. Aliasans arkaner Spürsinn schlug manchmal an, als er sich der Burg zu sehr näherte.

„General, Magister Aliasan!“, salutierte der Adjutant dem General als sie die Halle betraten, die als Kartenraum diente.
„Gut, weggetreten!“, befahl der Korthandes dem Adjutanten.
„General, ihr wolltet mich sprechen?“, sagte Aliasan.
„Immer noch nicht an das Militär gewöhnt, Magister?“, verhöhnte Korthandes ihn.
Aliasan genoss es trotz des Hohns sichtlich mit seinem neuen Rang angesprochen zu werden. Er war ein Echo seiner fernen verlorenen Heimat. Er war nun wieder Aliasan Mindmaker, Magister des ersten Sanktums von Silbermond in Quel’Thalas. Auch wenn Quel’Thalas unerreichbar für ihn war.
„General, ich bemühe mich.“, sagte Aliasan schmeichelnd, und klopfte im Stil des Saluts der Atalantë mit der rechten Faust schwach auf seine Brust.
„Gut, gut.“, nickte der General, „Es wird Zeit, dass wir weiterplanen. Diese Geplänkel mit den Elben von gegenüber gehen schon zu lange.“
„General, eure Flotte könnte jederzeit die Hauptstadt der Inseln im Handstreich nehmen.“, schlug Aliasan vor.
„Wir könnten. Wir könnten.“, sinnierte Korthandes, „Doch der Ausgang wäre ungewiss.“
„Ungewiss?“, stutzte Aliasan, „Eure Streitkraft wäre den Elben überlegen.“
„Wart ihr schon einmal in der Hauptstadt?“, fragte der General.
„Nein, ich kenne nur den Hain.“, musste der Magister eingestehen.
„Wir waren dort.“, sagte der General mit einem fast unmerklichen Schaudern in der Stimme, „Wir dachten auch es wäre nur ein Handstreich. Die Belagerung begann recht viel versprechend, aber als die Elben beherzter zu den Waffen griffen, war es als wäre die Natur selbst gegen uns. Wir konnten uns nur zurückziehen, und uns darauf beschränken kleinere Siedlungen anzugreifen.“
„Das waren wohl keine Heldentaten.“, sagte Aliasan unvorsichtig.
„Pass auf was du sagst, Elf.“, ermahnte Korthandes ihn grimmig, „Aber es ist wahr. Wir fühlten keine Ehre bei diesen Kämpfen. Daher beschlossen wir hier diesen Posten zu bauen. Die Elben reagierten prompt und errichteten den Wall und ihr Heerlager dahinter. Seit dieser Zeit sind wir hier mehr oder minder gefangen. Unsere Ehre verlangt nach großen Taten, doch unsere Stärke reicht dazu nicht aus.“
„Wie ich erfahren habe,“, sagte Aliasan beiläufig, „habt ihr euch noch an andere Methoden versucht.“
General Korthandes schaute Aliasan finster an.
„Ich habe euch ja meine Geschichte bereits erzählt, General.“, erklärte der Elf, „Die Vorgänge im Hain sind mir bekannt. Euer Kollaborateur unter den Elben hat versagt. Das die Fähigkeiten dieser Hexe Eärdaliene so groß sind, damit konnte er ja nicht rechnen.“
„Ja, dieser Plan ist schief gegangen.“, sagte Korthandes mit bitterer Stimme, „Allerdings war es der Plan des Elbs. Ich habe ihm nur mit großen Misstrauen zugestimmt. Für die Atalantë ist nur der offene Kampf ruhmreich. So wie unsere geehrten Ahnen ihn führten.“
„Trotzdem General, verzeiht mir wenn ich dies sage, wir müssen geschickt vorgehen.“, sagte Aliasan anbiedernd, „Der Plan des Elbs war richtig. Er kennt die Elbengesellschaft wohl sehr gut. Der heilige Hain und die ganze Insel auf der er liegt sind den Elben heilig. Wenn wir diesen eingenommen und die Insel komplett zerstört haben, dann wird der Schock für die restlichen Elben so groß sein, dass ihre Kampfeslust verschwinden wird. Sie werden stattdessen nur noch um den Verlust trauern, und leichte Beute sein. Nun, da wir wissen, was uns erwartet, müssen wir uns aber erst um diese Hexe kümmern, bevor ihr angreift.“
„Nun, du scheinst leider Recht gehabt zu haben.“, rief General Korthandes in den Nachbarraum.

Ein Elb kam durch die Tür.
„Ihr?“, schüttelte Aliasan ungläubig den Kopf, „Aber ihr seit doch ein enger Vertrauter der Königin?“
„Und was hat das zu bedeuten, Aliasan?“, sagte Atrahandil hochmütig, „Die Königin lebt nur noch in der Vergangenheit. Sie wartet auf die Rückkehr ihres verwunschenen Vaters. Doch nicht alle Elben lieben den Stillstand. Wir wollen weiterkommen. Wir wollen diese Inseln verlassen. Aber nicht nur nach Aman, wie es Ulmo uns gebot, sondern wir wollen wieder alle Gewässer Ardas befahren. Die Teleri der fünf Inseln müssen wachgerüttelt werden.“
‚Dafür gibt es auch andere Mittel als den Krieg.’, dachte Aliasan.
Erinnerungen an die vielen Kriege in der Geschichte Azeroths stiegen in ihm hoch.
„Das ist euere Angelegenheit.“, winkte Aliasan ab, „Ich gehöre nicht zu den Elben. Ich will nur wieder haben, was mir gehört. Aber in einen anderen Punkt stimmen wir noch überein. Ich muss auch von diesen verlassenen Inseln. Ich bin mir sicher, dass es irgendwo in dieser Welt eine Macht gibt, die mich auf der Suche nach meinen Weg nach Hause unterstützen kann.“
„Gewäsch! Euere Motive sind den Atalantë einerlei.“, raunzte Korthandes wütend, „Ihr seit beide wertlos für uns, wenn ihr uns nicht bei der Eroberung der Inseln helfen könnt.“
„General, das kann ich.“, diente sich Aliasan an, während Atrahandil noch den Wutausbruch des Generals verdaute, „List kann nur ein Teil des Planes sein, General. Kampf und Ehre sind auch gefragt.“
„Wie sieht dann euer Plan aus, Elf!“, sagte General Korthandes mürrisch.
„Nun,“, lächelte Aliasan, und machte eine Handbewegung, „Als erstes ist die Hexe dran. Danach habt ihr leichtes Spiel.“
General Korthandes und Atrahandil sahen staunend zu, wie ein weißer glänzender Nebel Aliasan kurz umgab.
„Seht ihr,“, sagte nun eine dunklere Stimme, „Wenn ich erst einmal als ihr Freund zu ihr gelangt bin, wird sie für mich kein Problem darstellen.“
„Erlendur!“, entfuhr es den Elb.
„Falsch, Atrahandil.“, sagte Aliasan, „Es ist nur eine mehr als ausreichende Illusion.“
„Wer ist das?“, fragte General Korthandes.
„Dies ist der oberste Magistrat des Insel des heiligen Haines.“, sagte Atrahandil, „Er hat das uneingeschränkte Vertrauen der Matrone.“
„Nun, das stimmt nicht ganz.“, sagte Aliasan, „Ich bin immer noch Aliasan. Wenn ich mit dieser Illusion zu ihr gelange, dann ist der Rest ein Kinderspiel. Sobald die Matrone beseitigt wurde, General, könnt ihr mit eurer Flotte die Insel und den Hain angreifen. Ihr werdet keinen Widerstand finden.“
„Was ist aber wenn der richtige Erlendur euch entdeckt?“, fragte Atrahandil.
„Das ist euer Part in dem Plan.“, sagte Aliasan nur beiläufig, „Beseitigt ihn.“
„Ja, das hört sich viel kurzweiliger an als deine Pläne, Atrahandil.“, sagte der General, „So machen wir es. Nun lasst uns die Details ausarbeiten.“
 
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35. Pracht

Eärdaliene saß am weißen makellosen Strand der Insel. Sie war auf die andere Seite der Insel gewandert, um alleine zu meditieren. Die goldene Sonnenscheibe berührte nun schon fast den Horizont. Bald würden die Sterne mit vollem Glanz am Himmel erscheinen. Neben ihr lag der Stab Aliasans. Sie seufzte.
‚Ich hoffe, Mithrandir, du weist was du mir zumutest.’, dachte sie verzweifelnd.
Der Istari wäre nun eine große Hilfe. Doch Mithrandir hatte sie verlassen. Die Elben müssten ihr Schicksal hier selbst finden, sagte er zu ihr orakelnd bei einem ihrer letzten Treffen im Hain. Eärdaliene fühlte sich alleingelassen mit dieser gewaltigen Aufgabe. Sie hoffte, dass sie die Kraft und den Mut dazu hätte.
Sie Sonne versank langsam hinter dem Horizont. Eärdaliene fröstelte. Sie wusste nicht, ob es die Kühle des Abends war, oder die Angst vor der Zukunft.
‚Es ist an der Zeit für die Abendzeremonie.’, dachte sie, und stand auf.
Sie nahm den Stab und ging eiligen Schrittes zurück zum Hain. Es würde etwas dauern bis sie die andere Seite der Insel erreicht hätte. Sie sah einen Elb etwas weiter in Richtung der Siedlung am Strand stehen, und ebenfalls den Sonnenuntergang betrachten.
„Grüße, Erlendur.“, sagte Eärdaliene, „Es wird eine kalte Nacht werden.“
„Ja Matrone, es fühlt sich so an.“, sagte der Magistrat, „Eine solche Kälte war mir bis jetzt unbekannt auf unseren Inseln.“
„Ihr fühlt es auch?“, horchte Eärdaliene auf, „Es kommt mir so vor als wäre der ganze Helcaraxë auf den Weg zu unseren Inseln.“
„Was das wohl bedeutet?“, sagte Erlendur mit einem tiefen Stirnerunzeln als er neben ihr herging.
„Ich weis es nicht.“, sagte Eärdaliene besorgt, „Ich dachte, es wäre nur meine Angst.“
„Dann wäre es nicht nur eure, Matrone.“, sagte der Magistrat und betonte kühl Eärdalienes Titel.
„Erlendur, ich weis ihr seit gekränkt.“, sagte Eärdaliene und schlug ihre Augen nieder, „Aber glaubt mir, alles musste bis jetzt genau so geschehen. Doch nun scheint etwas zu passieren, dass nicht in Mithrandirs Plan vorgesehen war.“
„Wer weis.“, rätselte Erlendur, „Die Methoden der Istari sind manchmal sehr merkwürdig.“
Erlendur blickte erstaunt zu Eärdaliene. Er sah den Stab Aliasans in ihren Händen. Die Juwelen an seinem Ende leuchteten hell.
„Ihr tragt den Stab dieses Subjektes mit euch?“, entsetzte er sich.
„Ich…“, stammelte Eärdaliene verlegen.
„Gehört das auch zu den Plänen, die ich nicht wissen darf?“, sagte der Magistrat sichtlich verärgert.
Eärdaliene Gesichtzüge verhärteten sich. Sie hielt den Stab fest im Griff. Sie blieb stehen und drehte sich harsch zu Erlendur um.
„Was wisst ihr schon?“, fuhr sie den Magistrat an.
Erlendur sah sie ungläubig an. Er erkannte die kleine naive Hüterin von einst kaum noch.
„Verzeiht, Erlendur.“, sagte sie nun versöhnlich als sie weitergingen, „Aber als Matrone steht mir die volle Macht von Ulmos Wassersäule zur Seite. Dies ist eines der Geheimnisse der Hüterinnen. Bitte glaubt mir, wenn ich euch sage, dass es mir sehr viel Angst macht, was ich damit vermag. Mehr allerdings kann und darf ich euch nicht verraten. Ist dies schon genug.“
„Die Wassersäule?“, sagte der Magistrat verblüfft, „Sicher alle Elben wissen, dass sie magische Kräfte hat. Sie spendet Trost und Zuversicht.“
„Viel mehr noch.“, fügte Eärdaliene leise hinzu, „Ich hätte Oboëlindë nicht töten können, wenn ich sie damals nicht überrascht hätte.“
„Das habe ich vermutet.“, nickte der Magistrat.
„Erlendur, sichert euch ab!“, sagte Eärdaliene besorgt, „Ihr dürft ab jetzt nie wieder ohne Wache sein. Überall! Versteht ihr?“
„Wieso das?“, schüttelte der Magistrat den Kopf, „Ich bin hier vollkommen sicher.“
„Es wird bald der Tag kommen, an dem ihr euren Teil in dem Plan erfüllen müsst.“, sagte Eärdaliene.
„Ihr redet schon fast so rätselhaft wie ein Istari, Eärdaliene“, schmunzelte Erlendur.
„Das mag sein.“, murmelte sie kaum hörbar, „Die Fähigkeiten der Matrone sind nicht weit davon entfernt.“
„Wie bitte?“, fragte der Magistrat.
„Einerlei.“, winkte Eärdaliene ab, „Vielleicht sollte ich euch doch genauer warnen.“
„Ein bisschen mehr an Informationen wäre vielleicht sinnvoll, damit ich eure Besorgnis verstehen kann.“, sagte der Magistrat.
„Erlendur, ich habe euch von dem Elb erzählt der alle Hüterinnen mit dem Zauber belegt hat.“, erklärte Eärdaliene.
„Ja, ich erinnere mich.“, nickte der Magistrat.
„Ich weis wer der Verräter ist. Ich habe seine Stimme wiedererkannt.“, sagte Eärdaliene.
Ihr Gesicht zeigte deutliche Abscheu.
Die Sonne war nun untergegangen. Die Sterne glänzenden am wolkenlosen samtschwarzen Himmel. Sie funkelten wie Eärdaliene es noch nie gesehen hat. Sie flackerten so stark, dass sie manchmal verschwanden. Die entfernten Lichter der Siedlung wurden schwach durch den Wald sichtbar. Der Wind trug Elbengesang vom Hain herüber.
„Die Abendzeremonie!“, fasste sich Eärdaliene an die Stirn, „Gwäedaliene wird sich Sorgen machen, und bereits einen Suchtrupp aufgestellt haben. Ich muss zurück.“
Eärdaliene drehte sich um und lief mit flinken Schritten in Richtung Hain.
„Der Verräter?“, rief ihr der Magistrat nach.
„Atrahandil!“, antwortete sie ihm von der Ferne.
Erlendur schüttelte den Kopf, „Kann das wirklich sein?“

Erlendur fand in dieser Nacht keine Ruhe. Gegen Mitternacht setzte ein heftiger Wind aus Norden ein. Er stand auf und ging vor seine Hütte. Der Wind war eisig. Die Kälte fuhr Erlendur bis tief in die Knochen. Er ging zurück in die Hütte. Er schürte seinen Kamin zum ersten Mal seiner Wärme wegen ein. Das lodernde Feuer des Kamins diente sonst seiner Meditation. Er dachte daran, dass seine Hütte einer der wenigen mit einer solchen Feuerstelle war. Die milde Natur der Insel machte es normalerweise überflüssig sich am Feuer zu wärmen.
‚Was hat der Wind zu bedeuten?, dachte er besorgt, ‚Ist er eine weitere Teufelei der Atalantë?’
Er überlegte. Soweit ihm bekannt war, lag die Heimat der Atalantë im tiefen Süden von Mittelerde. Ihre Festung lag ebenfalls südlich des Hains. Der Wind kam aber aus Norden.
‚Wo liegt der Zusammenhang?’, fragte er sich.
Der Norden hatte für die Atalantë keinen Reiz. Atrahandil hatte ihm ein wenig über sie erzählt.
‚Atrahandil!’, schauderte es ihn, ‚Kann ich seinen Aussagen überhaupt trauen?’
Er erinnerte sich an die Jagd nach Aliasan. Atrahandil hatte sofort seine Hilfe angeboten. Als sie Aliasan verfolgten kamen sie über die Atalantë ins Gespräch. Der Botschafter hatte sie als geschickte Seefahrer dargestellt.
Ihr Reich lag im äußersten Süden von Mittelerde. Sie bezogen ihre Abstammung auf den letzten König von Numénor. Als dieser seine Flotte gegen Aman führte, war der Flottenteil ihrer Ahnen in einen Sturm geraten, und weit in den Süden abgetrieben worden. Der Subadmiral versuchte die Flotte des Königs wieder zu erreichen. Doch die gigantischen Wellen des Untergangs Numénors fegten sie über das Meer. Sie strandeten an einer fernen südlichen Küste Mittelerdes. Dort bauten sie über die Jahrhunderte ein Königreich im Sinne des alten Numénor auf. Es wurde von der Familie des einstigen Subadmirals regiert. Diese huldigten wie die dunklen Könige den schwarzen Kulten, die Sauron in Numénor eingeführt hatte, und regierten ihr Volk tyrannisch mit eiserner Faust. Der Subadmiral gab den Elben die Schuld am Untergang Numénors. Der Hass seines Volkes auf alle Elben steigerte sich im Laufe der Generationen zum Wahn.
‚Er hatte sehr detaillierte Kenntnisse über die Atalantë.’, hielt Erlendur in seinen Gedanken inne, ‚Woher?’
Er musste sie entweder von den Atalantë selbst, oder von den Gelehrten und Informanten am Hof der Königin haben. Es wäre gut möglich, dass einzelne Atalantë bei den Gefechten in Gefangenschaft geraten sind. Es war schließlich seine Aufgabe als Botschafter der Königin Informationen zu suchen.
‚Sein Wissen allein beweist noch nichts.’, kam er zum Schluss.
Er dachte an sein Gespräch mit Eärdaliene zurück. Er erkannte sie kaum wieder. Er dachte an ihren besonderen Gesang.
‚Sie hatte ihn bis auf einmal immer zum Guten eingesetzt.’, überlegte er.
Der Tod Oboëlindës war tragisch, aber nicht zu vermeiden.
‚Hätte Eärdaliene es nicht getan, wer weis wozu Aliasan damals im Stande gewesen wäre, als ihm die Matrone den Weg versperrte.’, dachte er mit einem Schaudern.
Viel tragischer war aber der Verrat Oboëlindës an den Elben. Eärdaliene hatte ihm alles erzählt. Trotzdem, so musste er sich eingestehen, war ihr Verhalten merkwürdig. Als sie den Fund Aliasans damals meldete, war sie eine kleine Hüterin.
‚Vielleicht hat sie die neue Macht nun auch korrumpiert?’, dachte er bitter, ‚Der Stab!’
Ihm kam der Stab in den Sinn. Sie hatte ihn bei ihrem Gespräch getragen. Die Juwelen leuchteten. Er hatte Aliasan oft mit dem Stab gesehen. Er hat ihn fast nie abgelegt. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, hatte er ihn manchmal neben sich liegen. Die Juwelen waren dann dunkel.
‚Kann sie seine Macht nutzen?’, kam es ihm in den Sinn.
Er hatte tausend Fragen an die Matrone Eärdaliene, und noch viel mehr an die Elbe Eärdaliene.

Der Morgengesang der Hüterinnen lag über dem Hain. Das Lied begrüßte den neuen Tag mit der Hoffnung, dass Illuvatár und die Valar die Schöpfung schützen mögen. Die Hüterin an der Zugangspforte zu den Gebäuden des Hains nickte dem Magistrat nur kurz zu, als dieser das Tor durchschritt. Erlendur fühlte sich elend. Es war ein Gefühl, das er als Elb so noch nie kannte. Doch die Gedanken der letzten Nacht verstärkten die Schwermut seiner Rasse in ihm. Eärdaliene kam ihm entgegen. Die Hüterin an der Pforte musste ihr sein Kommen signalisiert haben. Sie trug wieder den Stab Aliasans.
„Guten Morgen, Erlendur.“, sagte sie frisch und ausgeruht, „Die Valar schützen euch!“
„Vielen Dank, Matrone.“, verbeugte sich der Magistrat vor ihr.
„Bitte keine Verbeugungen.“, seufzte sie, „Ich habe sie bereits hier im Hain abgeschafft. Da bedarf es auch von anderen Elben nicht dieser überholten Ehrenbezeugung. Schon gar nicht mir gegenüber.“
‚Sie ist immer noch bescheiden.’, dachte der Magistrat.
Er fragte sich, ob dies ein gutes Zeichen sei.
„Ich muss mit euch reden.“, sagte er.
„Gut.“, sagte sie, „Dann kann ich euch etwas zeigen, dass ich entdeckt habe.“
Sie führte ihn zum Allerheiligsten des Hains. Der Magistrat zögerte kurz als sie das Zeremonientor durchschritt.
„Folgt mir ruhig.“, sagte sie beruhigend, „Wir gehen nicht in die Nähe des Baumkreises oder der Wassersäule.“
Der Magistrat folgte ihr vorsichtig. Eärdaliene ging am Rand des Haines entlang. Auf der anderen Seite der kreisförmigen Lichtung blieb sie stehen. Ein Stein stand vor einem Durchgang in den angrenzenden Wald.
„Die Wassersäulen-Lichtung ist zum Inselinnern hin komplett von dichten undurchdringlichen Wald umgeben.“, erklärte Eärdaliene, „Ein Durchgang hier war mir unbekannt. Ich habe ihn zufällig entdeckt, als ich hier vor kurzen meditieren wollte.“
„Aber der Stein versperrt den Durchgang.“, stutzte der Magistrat.
„Ja, aber nur scheinbar.“, sagte Eärdaliene. Sie berührte den Stein mit dem Stab. Ein kurzes Aufleuchten durchfuhr beide.
‚Sie kann ihn benutzen!’, durchfuhr es den Magistrat wie ein Blitz.
Eärdaliene sah den Gesichtsausdruck des Magistrats.
„Ja.“, sagte sie nur kurz, „Ohne den Stab wäre es unmöglich.“
Der Stein bewegte sich von Ihnen weg. Er gab Treppenstufen frei, die nach unten führten. Eärdaliene ging voran. Der Stab spendete nun ein helles Licht. Der Magistrat folgte ihr staunend. Die Treppe aus Stein führte durch einen Tunnel nach unten dessen Wänden in den Boden geschmolzen zu sein schienen. Die Treppe endete in einer kleinen Halle. Das Licht des Stabes beleuchtet an deren anderen Ende ein Tor, das silbern wie Mithril schimmerte. Ein riesiges grünes Blatt aus grünen Steinen zierte es. Eärdaliene schritt auf das Tor zu und berührte es mit dem Stab. Das Licht des Stabes erlosch. Es wurde dunkel. Der Magistrat spürte wie sie seine Hand nahm.
„Folgt mir.“, hallten ihre Worte merkwürdig.
Sie führte ihn durch die Dunkelheit.
„Vorsicht, Stufen!“, sagte sie plötzlich.
Magistrat konnte einige Stufen unter seinen Füssen spüren. Er folgte ihr vorsichtig aufwärts.
„Halt, bitte dreht euch um.“, sagte Eärdaliene.
Sie begann ein Lied zu singen. Der Magistrat erkannte es. Es war die letzte Strophe. Licht durchflutete den Raum. Der Magistrat erstarrte vor Staunen.
„Willkommen in der geheimen Halle der Lichtelben!“, grüsste ihn Eärdaliene mit stolzer Stimme.
„Ich wusste es!“, durchzuckte es den Magistrat, „Du bist auch eine!“
Eärdaliene schmunzelte.
„Nein, Erlendur. Ich gehöre nicht zu den willenlosen Verrätern.“, beruhigte sie ihn, „Meine Loyalität gehört Eru, den Valar, der Königin und allen Teleri dieser Inseln. Es war mehr oder minder Zufall, dass ich diese Halle fand. Meine Mitschwestern konnten sich an sie nicht mehr erinnern, nachdem ich sie vom Ban Atrahandils befreit hatte.“
Erlendur entspannte sich etwas. Die Pracht der Halle erdrückte ihn. Er kannte sie bereits aus der Schilderung Eärdaliene. Aber die Wirklichkeit übertraf sie bei Weitem.

„Nun, Erlendur.“, sagte Eärdaliene, „Hier sind wir vollkommen ungestört. Kein Elb des Hains kennt diesen Ort.“
Erlendur wollte etwas sagen.
„Bevor ihr fragt, warum ich mit dem Stab umgehen kann.“, kam sie ihm zuvor, „Ich weis es nicht. Aliasan hat mir nur kurz einmal gezeigt, wie man ihn anwenden kann und was man damit machen kann. Es war ein einfacher Zauber, der eine Blume zum Blühen brachte. Allerdings führte er dabei auch meine Hand.“
„Aber ihr habt hier mehr getan.“, quoll es aus Erlendur heraus.
„Ja, ich weis.“, nickte sie, „Ich hatte den Stab bei der Wassersäule versteckt. Dort würde ihn kein Elb der Teleri suchen. Die Nähe der Wassersäule schützte ihn auch gegen andere Lebewesen. Neulich prüfte ich ob er noch dort war, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Ich hob ihn beiläufig auf und seine Juwelen begannen zu leuchten. Ich lies ihn vor Schreck fallen, und rannte davon.“
„Wer wäre das nicht?“, entspannte sich der Magistrat.
„Ich kehrte ein wenig später zurück.“, fuhr sie fort, „Ich wollte nachschauen, ob er nicht beschädigt war. Das Leuchten war erloschen. Ich beugte mich über ihn, um ihn genau zu betrachten Er begann wieder zu Leuchten, allerdings schwächer. Ich stand auf. Das Leuchten erlosch fast. Ich streckte die Hand nach ihm aus. Das Leuchten der Juwelen erstrahlte. Ich berührte ihn. Die Juwelen leuchteten mit voller Kraft.“
„Was bedeutet dies alles?“, schüttelte Erlendur den Kopf.
„Ich kann es euch nicht sagen.“, seufzte sie, „Ich bekomme keine Antwort auf meine Fragen von den Valar.“
„Ihr redet mit den Valar?“, staunte Erlendur.
„Indirekt, Magistrat.“, erklärte sie sichtlich verlegen, „Vergesst nicht, ich bin die Matrone und Hüterin der Geheimnisse der Wassersäule Ulmos.“
„Gut, ich will da gar nicht tiefer nachfragen.“, versicherte der Magistrat, „Aber der Stab?“
„Nun ich habe ihn aufgehoben.“, sagte Eärdaliene, „Ich suchte eine Blütenknospe am Rande der Lichtung. Ich konzentrierte mich, wie es mir Aliasan zeigte, und berührte die Blüte. Sie öffnete sich in voller Pracht. Ich habe noch einiges probiert, was mir in den Sinn kam. Manches funktionierte manches nicht. Ich habe herausgefunden, dass ich nicht in der Lage bin auf die Ferne Zauber mit dem Stab zu wirken. Ich muss stets damit etwas berühren. Doch dann setzt der Stab meine Gedanken um. Last mich euch etwas demonstrieren. Habt keine Angst.“
Sie berührte mit dem Stab Erlendurs Schulter. Die Kleidung des Magistrats wurde durch eine prachtvolle silberne Robe mit Stickereien in Blattform aus grünen Juwelen ersetzt. Eärdaliene berührte sich selbst. Sie trug eine ähnliche Robe und ein Diadem aus Mithril in den grüne Edelsteine in Blattform prangten.
„Die Kleidung, der Lichtelben.“, lächelte sie.
„Prächtig!“, staunte der Magistrat, „Aber nicht so ganz mein Geschmack. Wenn ihr so freundlich wärt?“
Eärdaliene nickte. Mit zwei weiteren Berührungen kehrten ihre alten Kleider zurück.
„Ich habe diese Halle untersucht.“, sagte sie und ging auf eine Säule zu auf der etwas von einem Tuch verdeckt lag. Sie hob es an.
„Dies ist das Einzige was ich noch gefunden habe.“, sagte sie nachdenklich. Sie zeigte auf eine Kugel aus dunklem Kristall. Wirbelnde Linien aus dunkelrotem Licht durchströmten sie.
„Ich wage es nicht es zu berühren.“, sagte sie ängstlich, „Eine Stimme in mir sagt mir, dass es ein böses Artefakt der Atalantë ist.“
Sie bedeckte es schnell wieder.
„Ich denke die meisten Fragen mit denen ihr gekommen seid, sind nun beantwortet.“, sagte sie.
„Ja, das sind sie. Aber nun haben sich Dutzende neue ergeben.“, sagte der Magistrat, „Ich weis nun aber wo ihr steht. Ich vertraue nun darauf, dass ihr sicher wisst das Atrahandil der Verräter ist.“
„Atrahandil?“, zögerte sie, „Ihr hattet Zweifel? Gut ich will euch noch den letzten Teil meines Wissens über ihn offenbaren. Er wird bald versuchen euch umzubringen!“
Erlendur stockte der Atem.
„Wird er Erfolg haben?“, entsetzte er sich.
„Das vermag ich leider nicht zu sagen.“, schüttelte Eärdaliene traurig den Kopf, „Nicht wenn wir es verhindern können, mein Freund.“
Erlendur nickte.
„Es ist Zeit zu gehen.“, sagte Eärdaliene.
Der Magistrat und sie verließen die Halle. Das Tor schloss sich hinter ihnen. Als sie kurz vor dem Ende der Treppe waren, kam es Eärdaliene so vor als würde sie eine Gestalt aus dem Oval des Tageslichts am Ausgang zur Oberfläche huschen sehen.
 
36. Morgen

Die Bugwelle schlug mit ihrer weißen Schaumkrone heftig gegen die Schiffswand des schwarzen Flagschiffes des Generals. Aliasan stand ganz vorne am Bug mit verschränkten Armen. Der General hatte ihn gelobt, dass er den Wind nun gebot die Flotte schnell voranzutreiben. Aliasan behielt es lieber für sich, dass er sich ebenfalls über den heftigen Wind wunderte, und hatte das Lob ohne Widerspruch angenommen.
Die Flotte hatte den Stützpunkt der Atalantë vor zwei Tagen in der Nacht Richtung Süden verlassen. Zurückblieben waren nur so viele Soldaten, wie zur Verteidigung des Stützpunktes notwendig waren. General Korthandes beschloss, dass die schwarzen Kriegsschiffe einen großen Bogen machen sollten, und sich der Insel des heiligen Haines dann von Norden nähern sollten, da er befürchtete, dass der Süden unter strengerer Beobachtung stand als der Norden.
Aliasan dachte gerade an die Reise zu den Atalantë in dem kleinen Fischerboot nach, dessen Eigentümer den Kurs durch die ruhigen Gewässer zwischen den Inseln bevorzugte. Die mächtigen Schiffe der Atalantë waren für die raue See gebaut. Sie nahmen es mit Wind und Wetter leicht auf.
‚Bald, schon bald werden wir uns wieder sehen, Eärdaliene.’, seufzte der Hochelfenmagier innerlich.
Er dachte an seine Zukunft in dieser Welt. Er wusste nicht, ob es einen Weg nach Hause gab. Er würde es sicherlich versuchen wieder die Luft von Azeroth atmen und die Pracht Quel’Thalas sehen zu können. Andererseits lockte ihn der Reiz hier eine ganze Welt erforschen zu können. Außerdem war da noch ein anderes für ihn bisher fremdes Gefühl, dass ihn an diese Welt binden wollte. Er war verwirrt. Ein kräftiges Schulterklopfen riss ihn aus seinen Träumen.
„Was grübelst du, Magister?“, sagte die sonore tiefe Stimme Korthandes’.
Aliasan salutierte knapp.
„General, es ist sind nur Gedanken an meine Heimat. Die ich wohl nie wieder sehen werde.“, schüttelte Aliasan den Kopf.
„Heimat? Bah, Humbug!“, sagte Korthandes verächtlich, „Es gibt keine Heimat für einen Soldaten! Wir gehören dahin, wohin man uns schickt und der Kampf ist.“
„General, sicher wie ihr es sagt.“, sagte Aliasan und fluchte innerlich, dass er sich so eine emotionale Blöße gegenüber diesem Muster an Disziplin und blinden Gehorsam gab.
„Nun Magier, Mittelerde mag nicht deine Welt sein,“, sagte der General wohlwollend, „Aber wenn du uns weiter so gut dienst, wirst du hier Erfolg und Ansehen bekommen, die dich deine Welt vergessen lassen.“
‚Wir werden sehen, was ich hier bekomme.’, dachte Aliasan bitter, ‚Nur weist du nicht, wie stark ich mit meiner Welt verbunden war. Sollte ich hier nicht bald einen Manaersatz finden, wird es schwer werden mit dem Erfolg.’
„Ich gebe mein Bestes, General.“, sagte er mit sicherer Stimme zu General Korthandes.
„Weniger würde ich auch nicht tolerieren.“, sagte der Atalantë streng.
Der General suchte mit zugekniffen Augen den Horizont vor ihnen ab.
„Er müsste nun schon angekommen sein.“, sagte er kopfnickend, „Wir sind in Position. Dort im Dunst der Ferne liegt die Insel des heiligen Haines.“
„Ja.“, stimmte der Magier nur knapp zu.
„Lasst Anker fallen!“, rief der General den Kapitän des Flagschiffs fast bellend zu und sagte leiser zu Aliasan, „Mach dich bereit!“

Eärdaliene stand am Pier der kleinen Insel. Die Wache hatte die Ankunft des weißen Schiffes des Botschafters gemeldet. Sie zitterte unmerklich. Ob es an ihrer Aufregung, oder den immer noch eisigen Nordwind lag wusste sie nicht. Das Schiff war vor der Insel auf Reede gegangen. Ein kleines Ruderboot legte ab, und erreichte wenig später den Pier. Eärdaliene nickte dem obersten Magistrat an ihrer Seite zu.
„Grüße, Atrahandil.“, rief Erlendur dem Ruderboot entgegen.
Ein Elb, der im Heck saß, winkte ihnen zu. Der Ruderer machte sein Boot fest. Atrahandil stieg mit einem eleganten Sprung aus.
„Grüße, Magistrat.“, sagte er und verstummte als er Eärdaliene sah.
„Der Segen der Valar sei mit euch.“, sagte sie und machte das Zeichen des Segens.
„Matrone…“, stotterte der Botschafter plötzlich und beugte die Knie vor ihr, „Welche Ehre.“
„Nein, das ist nicht nötig.“, sagte sie mit eine Anflug von Röte in ihrem Gesicht, „Wir sind alle Kinder Illuvatárs.“
Atrahandil erhob sich wieder. Er schaute aber die Matrone immer noch mit gesenktem Kopf an.
„Was führt euch zu uns?“, fragte der Magistrat.
„Ich…“, begann der Botschafter und stockte kurz, bevor er fest weiterfuhr, „Ich komme mit Kunde und Rat von der Königin. Sie ist besorgt um die Schutzlosigkeit des Hains. Ich soll hier Pläne zu seiner Verteidigung mit euch besprechen, Magistrat.“
„Sind wir in unmittelbarer Gefahr?“, sagte Eärdaliene besorgt, noch bevor Erlendur etwas sagen konnte.
„Matrone, die Zeiten sind sehr unsicher.“, erklärte Atrahandil, „Momentan haben sich die Atalantë in ihre Festung zurückgezogen. Die Königin ist aber überzeugt davon, dass sie nur auf Verstärkung warten. Sie hält den Hain für die schwächste Position der fünf Inseln.“
‚Lügner!’, zischte Eärdaliene im Gedanken, ‚Die Königin weis um die Macht des Hains. Sie würde ihn nie als die schwächste Position bezeichnen. Was planen deine Verbündeten?’
„Wir sind nur wenige hier, aber die Valar leiten uns.“, sagte sie bestimmt zu Atrahandil.
„Gewiss, aber auch die Valar sind nicht überall.“, erwiderte ihr der Botschafter.
„Botschafter, ihr….“, weiter kam sie in ihrem aufsteigenden Zorn nicht, bevor sie Erlendur unterbrach.
„Nun, es wird nichts schaden, wenn wir die Valar ein wenig unterstützen.“, versuchte der Magistrat die Situation wieder zu normalisieren.
Eärdaliene zog die Kapuze ihrer Robe über den Kopf. Es war ein bekanntes Zeichen, dass eine Hüterin keine Unterhaltung wünschte.
„Lasst uns in der Ratshalle weiterreden, Atrahandil.“, sagte der Magistrat, „Hier ist nicht nur der Wind kühl.“
Beide verbeugten sich kurz vor Eärdaliene und verließen den Pier. Sie verweilte noch kurz und ging dann in Richtung des Hains.

Die Nacht war finster. Der Mond hatte Mühe sein Licht durch die dicke Wolkendecke zu schicken. General Korthandes hielt es für ein gutes Zeichen, dass ihre Pläne so gute Unterstützung fanden.
„Beiboot bereit, General.“, meldete der Kapitän.
„Gut.“, brummte der General knapp.
Ohne ein weiteres Wort Korthandes’ abzuwarten, stieg Aliasan das Fallreep zum Beiboot hinunter.
„Gutes Gelingen, Magister.“, rief ihn der General hinterher.
Aliasan salutierte kurz stumm.
‚Nun bin ich bald wieder am Ausgangspunkt meiner Abenteuer auf dieser Welt.’, dachte er für sich, ‚Hoffentlich gehen diese hier gut weiter.’
Das Beiboot war ein kleines Segelboot. Wie seine großen Geschwister war es komplett schwarz. Die zwei Mann der Besatzung schauten nur kurz von den Ablegevorbereitungen auf, als Aliasan an Bord kam. Er setzte sich in den Bug und hüllte sich in seinen schwarzen Atalantëmantel.
„Leinen los!“, rief der Mann am Ruder zum Flagschiff empor.
„Leinen sind los!“, kam es zurück, kurz bevor das Tau auf das Wasser klatschte.
‚Na hoffentlich verlaufen die Manöver leiser, wenn wir am Strand der Insel landen.’, dachte Aliasan angespannt, ‚Sonst ist alles umsonst.’
Der Rudergänger holte das Tau schnell ein. Der andere Seemann stand am Mast und hisste nun das dreieckige schwarze Segel des kleinen Bootes. Der immer noch starke Nordwind lies das kleine Boot gute Fahrt aufnehmen. Aliasan blickte zurück zum Flagschiff. Es wurde schnell deutlich kleiner. In Aliasans Blickfeld kamen nun die anderen Schiffe der gewaltigen Flotte. Alle waren mit Atalantëkriegern voll.
„Beim Sonnenbrunnen!“, entfuhr es Aliasan, „Was für eine Streitmacht liegt hier vor Anker.“
Die beiden Atalantëseemänner blickten ebenfalls die enorme Flotte an.
„Ja.“, murmelte einer voll Stolz und klopfte sich auf die Brust, „Wir sind unbesiegbar!“
„Gewiss, gewiss.“, nickte Aliasan kurz und verstummte wieder.
‚Das werden wir bald sehen.’, dachte er für sich.
Der steife Nordwind lies das kleine Segelboot fast über die dunklen Wellen des Meeres fliegen. Aliasan kam es bereits lange merkwürdig vor, dass ein starker Wind blies, aber kein angemessener Seegang dazu herrschte. Er war sich völlig im Unklaren über den Grund. Einer der Seemänner näherte sich ihn.
„Magister, Lichter voraus.“, meldete der Atalantë.
Aliasan drehte sich um. In der Ferne konnte er einige schwache Lichter erkennen. Er wusste dies musste die Siedlung am heiligen Hain sein, da sie die einzige auf der ganzen Insel war. Der Steuermann korrigierte den Kurs, und die Lichter fielen nach rechts ab. Der Plan war, dass das Boot abseits der Siedlung anlandete. Der Steuermann hielt das Boot hart am Wind. Die Lichter wurden schnell größer. Voraus konnte Aliasan nun schon den Strand als dünnes weises Band im fahlen Mondschein wahrnehmen.
„Nun gilt es.“, flüsterte er den Atalantë zu, „Alle Manöver mit größter Stille ausführen.“
Die beiden Seeleute nickten ihm stumm zu. Der Schotmann holte langsam das Segel ein. Das Boot verlor langsam an Fahrt. Der Steuermann nutzte den letzten Schwung des Bootes so geschickt, dass es sich leise auf den Strand schob. Hier sollte es bis zu seiner Rückkehr warten. Er sprang an Land.

Die beiden Elben gingen langsam durch die Siedlung zur Ratshalle. Die Dämmerung setzte bereits ein.
„Die Matrone ist seltsam in letzter Zeit.“, erklärte Erlendur.
„In wieweit?“, fragte der Atrahandil nach.
„Nun sie ist nicht mehr so wie früher.“, seufzte der Magistrat.
„Ich kenne sie nicht von früher.“, schüttelte der Botschafter den Kopf.
„Nun…“, sinnierte Erlendur, „Früher war sie fröhlich. Ihre fast kindliche Naivität erfrischte uns alle. Sie steckte jeden an mit ihrer Begeisterung für alles. Ihre Musik war fast wie der Gesang Illuvatárs. Und nun…“
„Nun?“, setzte der Botschafter nach, als ihm Erlendurs Denkpause zulange erschien.
„Wie soll ich sagen.“, versuchte der Magistrat zu erklären, „Sie ist herrisch. Manchmal legt sie einen Egoismus an den Tag der mich erschrecken lässt.“
„Nun, das ist gewiss das hohe Amt.“, zuckte Atrahandil mit den Schultern.
„Mag sein.“, nickte der Magistrat, „Die plötzliche Bürde war wohl zu groß für sie.“
Erlendur öffnete das Tor zur Ratshalle.
„Wir sind da.“, sagte er zu Atrahandil, „Tretet ein.“
Die Halle des Rates war fast dunkel. Ein letztes düsteres Licht der Dämmerung schien durch die sechs großen Fensteröffnungen, die die gelb getünchten Wände links und rechts von der Türe unterbrachen. Die wenigen brennenden Kerzen des unter der Decke hängenden Leuchters ließen bereits dunkle Schatten der Ratsstühle über die Wände huschen. Die Stühle die die Ratsmitglieder bei ihren Beratungen benutzten waren auch das einzige Mobiliar der Halle. Der Stuhl gegenüber dem Tor hatte eine etwas erhöhte Lehne. Hinter ihm hing die Fahne der Teleri der fünf Inseln. Daneben führte eine Türe in den einzigen weiteren Raum des Ratsgebäudes. Erlendur öffnete die Türe zur Kammer des obersten Magistrats.
„Bitte!,“ winkte er Atrahandil hindurch.
Die Kammer war wie die Halle schlicht gehalten. Die Wand gegenüber der Tür hatte drei große Fenster. Das mittlere davon war wie eine Türe gehalten, und bot somit Zugang auf eine Terrasse vor der Kammer. Bei Tag hatte man hier einen herrlichen Blick auf den Strand und das Meer. Feine Schnitzereien zierten das Holz der Fensterrahmen und auch die vier Stühle und den schweren Holztisch, die als einziges Mobiliar sichtbar waren. In den Ecken links und rechts neben der Türe standen Kerzenleuchter. Die flackernden Kerzen erleuchteten die in einem zarten Blau gehaltenen Wände.
„Nehmt bitte Platz.“, bot Erlendur dem Botschafter an, und deutete auf einen der Stühle. Er selbst setzte sich auf den der Türe am nächsten stehenden Stuhl.
Atrahandil ging auf den zugewiesenen Stuhl zu. Plötzlich hielt er inne, und zog einen Dolch aus seinem Mantel. Er stürzte sich mit katzenartiger Geschicklichkeit auf den Magistrat. Erlendur versuchte den Hieb abzuwehren, aber der Dolch bohrte sich in seinen Oberarm. Er schrie auf.
Atrahandil wirbelte herum, und war nun hinter dem Magistrat. Er wollte Erlendur gerade den Dolch in den Rücken stoßen, als vier kräftige Hände ihn packten.
Die Wachen waren sofort nach dem Aufschrei des Magistrats von der Ratshalle und der Terrasse in die Kammer gestürzt. Vier stellten sich nun schützend um den Magistrat. Vier weitere hielten den tobenden Atrahandil fest.
„Lasst mich los!“, wütete er, „Ich bin ein Botschafter der Königin. Erlendur ist ein Verräter! Er muss getötet werden!“
Erlendur nahm einen Stofffetzen aus seiner Manteltasche und knebelte damit den Botschafter.
„Nun Atrahandil, wir wissen, dass deine Stimme betören kann. Soweit wollen wir es nicht kommen lassen. Und gebt euch keine Mühe, wir wissen, wer der wahre Verräter ist.“, sagte er voller Verachtung.
„Magistrat, euer Arm!“, sagte eine Wache neben dem Magistrat besorgt.
„Danke Hauptmann, es ist nur ein Kratzer.“, beruhigte der Magistrat den Soldaten, „Bis jetzt lief alles nach Plan. Ich hoffe es geht so weiter. Wir müssen nun schnell an Bord seines Schiffes.“
Erlendur deute auf die vier Wachen die den Botschafter festhielten.
„Ihr Vier fesselt ihn, und bringt den Verräter zur Matrone. Sie weis was mit ihm zu tun ist.“, befahl er ihnen, „Der Rest kommt mit mir zum Pier.“

„Nun, so sieht man sich wieder, Botschafter.“, grüßte Eärdaliene den Gefangenen, „Hattet ihr wirklich angenommen ich würde euere Stimme nicht wieder erkennen?“
Die Wache hatte den ehemaligen Botschafter in die privaten Räume der Matrone gebracht.
„Außerdem gibt es noch eine Hüterin, die ihr nie betören konntet. Sie wird euch eindeutig erkennen.“, sagte sie mit einem zufriedenen Unterton.
„Gwäedaliene, kommst du bitte!“, rief sie in den Nachbarraum.
Atrahandil riss die Augen auf.
„Ist das der Elb, der zusammen mit Oboëlindë unsere Schwestern auf den falschen Weg gebracht hatte?“, fragte sie ihre Stellvertreterin.
„Ja, das ist er.“, sagte Gwäedaliene fest, „Ich erkenne ihn eindeutig wieder. Er hat öfters versucht mich zu verzaubern, bevor Oboëlindë dich dann geschickt hat.“
Atrahandil warf Gwäedaliene einen vorwurfsvollen und verächtlichen Blick zu.
„Gut.“, nickte die Matrone, „Das ist wohl Beweis genug.“
Sie ging auf einen Vorhang, der eine Wand des Raumes zierte, und griff dahinter. Sie hielt den Stab Aliasans in Händen. Die Juwelen leuchteten in ihrem strahlensten Rot auf.
Gwäedaliene stieß einen kurzen erstaunten Aufschrei aus. Eärdaliene sah sie beruhigend an. Sie ging auf Atrahandil zu. Mit dem Stab berührte sie seine Schultern, und sang dabei ein langsames schwermütiges Lied. Gwäedaliene und die Wachen verspürten eine kurze Müdigkeit. Atrahnidl sackte zusammen.
„Was?“, staunte eine Wache.
„Keine Angst er schläft nur. Allerdings sehr tief.“, erklärte Eärdaliene, „Und nur ich kann ihn wieder aufwecken. Damit ist der Verräter außer Gefecht gesetzt, bis ihn die Königin aburteilen kann. Gwäedaliene, zeige den Wachen eine freie Kammer. Sie sollen ihn dort auf das Bett legen. Eine Bewachung ist nicht nötig. Wachen, verlasst bitte danach unseren Orden wieder. Mögen die Valar mit euch sein.“
Gwäedaliene nickte kurz und führte die Wachen mit dem schlafenden Atrahandil aus dem Raum. Nach einer kurzen Weile kehrte sie zurück.
„Es ist alles geschehen, wie du es wolltest.“, meldete sie Eärdaliene.
„Gut, lass uns zu Ruhe gehen.“, nickte sie ihrer Mithüterin zu.
Gwäedaliene verließ gerade den Raum, als eine andere Hüterin in den Raum tratt.
„Matrone verzeiht, der Magistrat Erlendur möchte euch sprechen.“, sagte sie mit einer Verbeugung.
„Schwester bitte, keine Verbeugungen.“, lächelte Eärdaliene sie an, „Hat er gesagt was er wünscht?“
„Er wollte nur mit euch alleine sprechen. Er sagte nicht warum.“, antwortete Hüterin.
„So spät? Es muss wichtig sein.“, überlegte die Matrone stirnerunzelnd, „Schick ihn zu mir.“
Die Hüterin wollte sich verbeugen. Im letzten Augenblick hielt sie verlegen inne, und nickte nur kurz. Sie ging schweigend aus dem Raum. Erlendur trat ein.
„Grüße Erlendur, die Valar mögen euch segnen.“, sagte Eärdaliene, „Was führt euch so spät noch zu mir? Es muss extrem wichtig sein.“
Erlendur machte eine schnelle Bewegung mit seinen Händen. Ein blauer Schimmer hüllte die Matrone ein.
„Mach keine Versuche zu sprechen oder dich zu bewegen, du wirst es nicht können.“, sagte er.
Er ging auf die erstarrte Matrone zu.
„Verzeih mir, aber du hast etwas, das mir gehört.“, sagte er, als er ihr den Stab aus der Hand nahm.
„Ah, das fühlt sich endlich wieder gut an.“, sagte er genießerisch mit geschlossenen Augen.
Er hob den Stab in die Höhe. Ein weißer Nebel hüllte ihn kurz ein. Die Illusion Erlendurs verschwand.
„Siehst du, es ist besser so.“, sagte Aliasan, „Der Stab ist ein Teil von mir. Du hättest ihn nie richtig nutzen können. Moment!“
Aliasan drehte sich plötzlich um.
„Mir war so, als würde uns jemand belauschen.“, erklärte er, „Nun, ich habe mich wohl getäuscht.“
Er machte eine ausholende Bewegung mit dem Stab. Weißer Nebel hüllte ihn wieder kurz ein.
„Jetzt erlaube mir bitte, dass ich mich zurückziehe.“, grinste der wieder als Erlendur getarnte Aliasan die regungslose Eärdaliene an, „Schon morgen werden hier andere herrschen.“
Ein grüner Blitz entfuhr seinem Stab. Die Matrone sank leblos zu Boden.
„Das war zu leicht.“, zuckte Aliasan mit den Schultern, und verließ den Raum.
Gwäedaliene schaute vorsichtig in den Raum. Ein kühles Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie Eärdaliene liegen sah. Sie beugte sich über sie. Sie nahm kein Lebenszeichen der Matrone wahr.
„Sehr gut.“, murmelte sie triumphierend, und lief aus dem Raum.
 
37. Begonnen

„Matrose!“, befahl Erlendur dem Ruderer, der das Boot bewachte, das den Botschafter an Land brachte, „Bringe mich zu eurem Schiff.“
„Magister, ich darf nur den Botschafter an Bord bringen.“, erwiderte der Seemann.
„Der Botschafter ist unpässlich.“, erklärte der Magistrat, und nickte den vier Wachen zu die ihn begleiteten.
Diese packten den Seemann, und brachten ihn die Hütte des Fischers, die nahe am Pier stand. Der Hauptmann der Wache kam zurück zum Magistrat.
„Magistrat, der Matrose ist in sicherer Verwahrung.“, meldete er.
„Sehr gut.“, nahm Erlendur die Meldung entgegen, „Ich sehe seine Kleidung passt euch. Lasst uns zum Schiff rudern.“
Sie bestiegen den kleinen Nachen. Der Hauptmann legte sich in die Riemen, während Erlendur im Heck Platz nahm. Es waren nur wenige kräftige Ruderschläge notwendig, um das weiße Kriegsschiff zu erreichen. Erlendur kletterte die Strickleiter hinauf an Bord. Die Bordwache schaute ihn verblüfft an.
„Kapitän, Alarm!“, schrie diese.
„Nein, nein.“, versuchte Erlendur zu beruhigen.
Doch der Wachhauptmann, der die Strickleiter hinter Erlendur hochkam, versetzte, kaum dass er an Bord war, der Bordwache einen schweren Hieb. Sie ging zu Boden. Dem Alarmruf der Bordwache folgten bereits weitere Krieger der Besatzung. Der Hauptmann stellte sich schützend vor dem Magistrat.
„Halt!“, donnerte die Stimme des Kapitäns über das Deck, als er aus seiner Kajüte herausgestürzt kam.
Die Krieger stoppten ihren Angriff auf die zwei Elben. Der Kapitän kam auf den Magistrat zu.
„Was soll das, Magistrat?“, fragte er mit kaum gedämpftem Zorn.
Der Magistrat sah ihn streng an.
„Kapitän, der Botschafter wurde des Hochverrats überführt.“, sagte er, „Erklärt euch, ob ihr seiner Handlungen bewusst ward!“
„Ich…“, begann der Kapitän und stockte, als er das Meer rund um das Schiff sah.
Das stolze Kriegsschiff war von Dutzenden von kleinen Schiffen umgeben, die voll von Soldaten der Siedlung waren. Bogenschützen hatten im Heck der Schiffe Stellung bezogen, und zielten auf die Besatzung an Bord des Kriegsschiffes.
„Nun?“, grinste Erlendur breit, als er den verblüfften Gesichtsausdruck des Kapitäns sah.
„Ja, ich wusste, dass er mit den Atalantë paktiert.“, flüsterte der Kapitän mit hängenden Schultern, „Aber ich habe nur Befehle ausgeführt.“
„Das wird später zu klären sein.“, sagte Erlendur streng, „Momentan seid ihr eures Kommandos hiermit enthoben. Euer Geständnis wird euch sicher angerechnet. Wer von eurer Besatzung war noch eingeweiht?“
„Niemand!“, sagte der Kapitän nun wieder gefasster.
„Ihr verzeiht, wenn ich euch nicht so ganz vertraue.“, sagte Erlendur höhnisch, „Hauptmann, bringt das Brisenkommando an Bord.“
Der Hauptmann nahm sein Schwert und hielt es mit einer kreisenden Bewegung in die Höhe. Zwei Schiffe lösten sich aus dem Flottenverband des Hains, und kamen längsseits. Soldaten erkletterten die Wände des Kriegsschiffs mit Entertauen.
„Kapitän, befehlt euren Männern anzutreten!“, befahl Erlendur ernst, „Erklärt Ihnen, dass das Schiff nun unter dem Kommando des Hauptmannes hier steht.“
Der Kapitän folgte dem Befehl. Ein Murren ging durch die angetretenen Reihen der Soldaten des Kriegsschiffs, als er das Kommando an den Hauptmann übergab. Erlendur stellte sich neben ihn und ergriff das Wort.
„Soldaten der Königin!“, rief er den Kriegern entgegen, „Wir alle sind Teleri! Dies dürfen wir nie vergessen. Unser gemeinsamer Feind sind die Atalantë. Diese wollen nun das Heiligste unseres Reichs angreifen. Die Insel des heiligen Hains mit dem Geschenk Ulmos. Dies kann und darf kein Elb zulassen! Ich rufe euch auf uns beizustehen! Erfüllt diese ehrenvolle Pflicht für den heiligen Hain!“
Nach einem kurzen Zögern stimmte die Besatzung des Kriegsschiffes in den Jubel der Wachen des Hains ein.
„Gut, Elben! Lasst uns beginnen!“, rief er, bevor er sich zum Kapitän wandte, „Ihr kennt die Befehle Atrahandils?“
„Ja.“, nickt dieser kurz.
„Gut, führt sie aus.“, befahl der Magistrat, „Ich werde wieder an Land gehen. Der Hauptmann weiß was zu tun ist. Er ist übrigens ein sehr erfahrener Seemann. Also versucht keine Tricks. Das Brisenkommando bleibt ebenfalls an Bord. Viel Erfolg, Hauptmann.“
Erlendur drehte sich um und stieg in eines der Schiffe. Als es vom Kriegsschiff ablegte, nahm die Flotte wieder Kurs auf die Siedlung. Erlendur stand im Heck des Schiffes und sah wie das große weiße Kriegsschiff Segel setzte und einen nördlichen Kurs hinaus auf das Meer einschlug.

„Ihr müsst vorsichtig sein.“, sagte eine weibliche Stimme aus der rauchfarbenen Kristallkugel, die General Korthandes in seinen Händen hielt.
„Warum?“, wollte er wissen.
„Atrahandil wurde festgenommen, und ist außer Gefecht gesetzt.“, erklärte die Stimme aus den Wirren der orangen und roten Lichtfetzen, die durch die Kugel wabberten.
„Hilf ihm.“, befahl der General in die Kugel.
„Das kann ich nicht.“, resignierte die Stimme, „Er ist durch einen Zauberban belegt. Nur die Matrone kann ihn brechen.“
Die Stimme machte eine kurze Pause und fuhr dann triumphierend fort, „Aber die ist tot.“
„Gut.“, brummte Korthandes, „Der Magier hat also seine Aufgabe erfüllt.“
„Ja, er hat sie loyal erfüllt, mein General.“, sagte die Stimme zustimmend.
„Nun gut, Atrahandil ist ein verschmerzbares Opfer.“, höhnte der Atalantë, „Du kennst deine Befehle. Ende.“
Die Lichtfetzen wurden schwächer. General Korthandes hüllte die Kugel in ein Tuch und legte sie in seine Truhe, und verließ seine Kajüte. Aliasan kam gerade das Fallreep herauf.
„General, alles erfolgreich verlaufen.“, meldete er.
„Das freut mich zu hören, Magister.“, lobte der General, „Dann können wir ja fast mit dem Angriff beginnen.“
„Ja, es dürfte keinen großen Widerstand mehr geben.“, nickte der Hochelf zustimmen.
„Weißes Kriegsschiff voraus!“, rief es plötzlich vom Ausguck herunter.
„Das muss Atrahandil sein.“, sagte Aliasan, „Auch er hat es geschafft.“
„Hmmm.“, grübelte Korthandes, „Mag sein, mag alles sein.“
Er sah wie das Kriegsschiff die Segel raffte und sich in die schwarze Flotte als heller Kontrastpunkt einreihte.
„Kapitän signalisiert den vier Kriegsschiffen, die den weißen Schiff am nächsten sind, sie sollen es angreifen und versenken. Es werden keine Gefangene gemacht.“, befahl der General.
„Warum?“, sah ihn Aliasan entsetzt an, „Atrahandil ist doch an Bord. Das Kriegschiff wird uns unterstützen.“
„Die Pläne wurden geändert, Magier.“, sagte General Korthandes kühl.
Vier der schwarzen Kriegsschiffe lösten sich aus dem Flottenverband und näherten sich dem Elbenschiff. Aliasan konnte sehen, wie die Soldaten der Atalantë die Feuerkatapulte bereit machten. Bogenschützen nahmen Stellung. Die Ruder wurden ausgefahren, und die Schiffe beschleunigten auf Rammgeschwindigkeit. Zu spät erkannte wohl der Elbenkapitän die Gefahr. Feuerkugeln flogen durch die Luft und setzten das weiße Schiff in Brand. Ein Pfeilschauer ging auf die an Deck befindlichen Elben nieder. Mit voller Wucht rammten zwei Atalantëschiffe das Kriegsschiff. Es nahm schnell Wasser. Die Atalantë setzten ihre Schiffe zurück. Das Elbenschiff legte sich auf die Seite. Es kenterte und sank kieloben. Aliasan versuchte seinen Blick abzuwenden, als die Bogenschützen auf den Atalantëschiffen, die wenigen überlebenden Elben mit gezielten Schüssen töteten.
„Schau genau hin!“, grinste Korthandes sadistisch, „So ergeht es allen Versagern.“
Aliasan dachte über die Bedeutung dieser Worte nach, als er das Treibgut des ehemaligen Elbenschiffes betrachtete. Hier und da bewegte es sich gegen die Strömung.

Die Hüterinnen verließen stumm unter Führung von Gwäedaliene den Hain. Sie hatten sich alle in ihre grauen Roben gehüllt und die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Sie gingen langsam in Richtung des Ratsgebäudes.
„Schwestern, bitte wartet.“, sagte eine der beiden Wachen, die vor dem Tor zur Halle stand.
„Wache, seit wann ist es notwendig hier den Zutritt zu kontrollieren?“, fragte Gwäedaliene schüchtern.
„Der Magistrat hat es so befohlen.“, sagte die Wache.
„Gut, dann melde uns dem Magistrat.“, sagte Gwäedaliene nun streng.
Der Wachmann verließ einen Posten und ging in die Halle. Kurze Zeit später kam er wieder heraus.
„Gut, der Magistrat lässt bitten.“, sagte er und gab den Weg für die Hüterinnen frei.
Die kleine stille Prozession betrat die Halle. Erlendur diskutierte mit den Ratsmitgliedern. Er schaute auf, und verbeugte sich knapp vor den Hüterinnen.
„Schwester Gwäedaliene, welche Ehre.“, sagte er, „Was führt euch zu uns?“
Die Hüterinnen verteilten sich an den Wänden der Ratshalle.
„Ich habe euch eine Botschaft zu überbringen.“, sagte sie traurig.
„Nun dann sprecht.“, sagte Erlendur.
„Die Matrone Eärdaliene ist tot.“, flüsterte sie fast und sank auf die Knie, „Sie möge ihren Frieden in den Hallen von Mandos finden.“
Alle anwesenden Elben gingen ebenfalls auf die Knie, und kreuzten die Arme vor der Brust als Zeichen der Hochachtung vor den Toten, wie es der Brauch bei den Teleri der fünf Inseln war. Der Magistrat erhob sich als erster.
„Wie ist sie gestorben.“, fragte der Magistrat.
„Sie wurde kaltblütig ermordet.“, sagte Gwäedaliene bitter.
„Wer hat das getan?“, stotterte Erlendur.
„Ihr!“, kreischte die Hüterin, „Ihr habt es getan! Ihr wart der Letzte, der sie lebend gesehen hat. Zwei meiner Mitschwestern und ich haben euch kommen und gehen sehen, und ich fand unmittelbar danach unsere tote Matrone. Leugnen ist zwecklos!“
Erlendur schwindelte. Er lies sich auf den nächsten Ratsstuhl sinken. Gwäedaliene winkte den Hüterinnen zu. Diese warfen ihre Roben ab. Jede hielt nun ein Kurzschwert und Schild in ihren Händen. Die anwesenden Wachen waren machtlos, als jede mindestens die Klingen von zwei Hüterinnen auf ihren Hals gerichtet sah.
„Gebt es zu, und macht euren Frieden mit den Valar.“, sagte sie zornig.
„Ich war es nicht.“, sagte Erlendur verzweifelt.
„Behauptet ihr etwa, Hüterinnen des heiligen Haines würden lügen!“, schrie Gwäedaliene in Rage.
„Nein, aber …“, stammelte Erlendur.
„Genug!“, schrie ihn Gwäedaliene an, „Erhaltet eure gerechte Strafe!“
Gwäedaliene stürmte auf den Magistrat zu. Sie holte mit ihrem Schwert aus, und schlug ihn mit einem Hieb, noch bevor jemand sie aufhalten konnte, den Kopf vom Hals.
„Keiner mordet ungestraft.“, sagte sie mit einem verächtlichen Blick auf den Kopf und Torso des toten Magistrats.
„Wir ziehen uns nun in das Allerheiligste des Hains zurück.“, erklärte sie den immer noch wie versteinert dastehenden Ratsmitgliedern, „Bis die Hüterinnen dort ein neues Oberhaupt für den Orden gewählt haben, übernehme ich ihre Führung.“
Sie drehte sich um und verließ mit den Hüterinnen die Ratshalle.

‚Es hat begonnen.’, dachte die in einen grauen Umhang gehüllte Gestalt, die am Strand der Siedlung auf das Meer blickte.
Im Hintergrund hörte sie aufgeregte Rufe von der Ratshalle kommen.
‚Etwas muss vorgefallen sein.’, dachte sie, aber machte keine Anstalten ihren Blick in Richtung der Siedlung zu wenden.
Sie wusste, dass dort hinter dem Horizont auf dem Meer die wichtigeren Dinge passieren würden. Sie wusste auf was sie zu warten hatte.

„Kapitän, wir schlagen los!“, befahl General Korthandes, der in voller Rüstung die Brücke seines Flagschiffes betrat.
„Wie ihr befehlt, General.“, salutierte der Kapitän und bellte Kommandos an die Besatzung.
Aliasan stellte sich in seiner purpurroten Magierrobe neben den General und wirkte darin fast genauso beeindruckend. Doch mit dem Leuchten der Kristalle von Aliasans Stab konnte es die Rüstung des Korthandes’ nicht aufnehmen.
„Nun schaut zu wie die Atalantë in den Krieg ziehen.“, sagte der General voller Stolz zu Aliasan.
„Es ist jetzt schon beeindruckend.“, stimmte der Magier zu, als er die effizienten Manöver der Flotte sah, die sich nun zu einer Angriffslinie formierte.
Die Kapitäne der Schlachtschiffe nutzen den immer noch stark wehenden Nordwind geschickt aus. Die Küste der Insel kam bald in Sicht. Nun begannen sich Schiffe aus der Linie zu lösen. Aliasan wusste, dass dies besondere Schiffe waren, die vorher mit ihren Katapulten die Siedlung zerstören sollten.

Die graue Gestalt sah die Schiffe wie einen schwarzen Strich am Horizont auftauchen. Sie drehte sich langsam um und ging in Richtung der Siedlung. Jedem Elb, den sie begnetete flüsterte sie etwas zu.
Sie betrat die Kammer des Magistrats durch die Türe der Terasse. Sie ging die Halle des Magistrat und blieb kurz entsetzt stehen, als sie den geköpften Leichnam Erlendurs sah. Ein leichtes Zittern durchfuhr ihren Körper.
„Die Atalantë greifen an!“, sagte sie ruhig den anwesenden Elben, „Flieht in die Wälder!“
„Wer …“, versuchte ein Rat zu fragen, aber er schwieg bald wie alle anderen Elben, die sich kurz vor der Gestalt verbeugten, und dann in Richtung Wald flohen.
„Dein Opfer wird nicht vergessen werden, Freund.“, sagte die Gestalt zu den toten Elrendur, bevor sie die Halle verliess.
Die Gestalt ging alle Gebäude der Siedlung ab. Erst als sie sicher war, dass alle Elben in den Wald geflohen waren, ging sie wieder in Richtung des Strandes. Sie bestieg das graue Boot, das auf sie wartete.
„Ich habe alles getan, was ich tun konnte und durfte. Nun mögen euch die Valar beistehen.“, sagte Mithrandir als das Boot ablegte.
 
38. Es gilt

General Korthandes war nicht wohl in seiner Haut, obwohl alles reibungslos nach Plan verlief. Die Schiffe mit den Katapulten hatten alle Gebäude der Siedlung die in ihrer Reichweite waren mühelos in Schutt und Asche gelegt. Die leichten Holzhäuser der Elben waren ein gefundenes Fressen für die bestialischen Flammen, die aus den brennenden Teerbomben ausbrachen. Bald würde nun der zweite Teil des Angriffs erfolgen.
„Keine Ehre.“, murmelte er.
„General?“, wollte Aliasan wissen, der neben ihn das Feuerinferno beobachtete.
„Nichts, Magister.“, sagte der Atalantë fest, „Es ist notwendig dies zu tun.“
Der General drehte sich um und ging zum Steuer des Flaggschiffes.
„Kapitän, Phase zwei!“, kommandierte er.
Der Kapitän gab die notwendigen Befehle an die Flotte.
Die Schiffe, die soeben noch die Siedlung angegriffen hatten, zogen sich hinter die Linie der schweren Kampfschiffe zurück. Einige speziell konstruierte Boote mit flachem Kiel verließen die Formation. Sie näherten sich der Küste. Eines der Schiffe näherte sich jedoch dem Flagschiff.
„Magier, euer Schiff!“, rief General Korthandes ohne zu Aliasan zu blicken.
Aliasan salutierte kurz und lies sich zu den sich nähernden Schiff übersetzen. An Bord des Landungsschiffes ging er zu dessen Bug. Es nahm nun volle Fahrt auf und reihte sich schnell wieder in die Reihe der anderen. Im hüfthohen Wasser ließen sie Anker fallen. Aus zwei Luken links und rechts im Schiffskörper stürzten sich schwarzgerüstete Atalantëkrieger in die Wellen, und wateten an Land. Aliasan sah wie auch aus seinem Schiff die Soldaten ausstiegen. Er blinzelte kurz, und war vor Ihnen trockenen Fußes am Strand.
Er sah sich um. Tränen stiegen ihm in die Augen. Die ehemals schlichten aber eleganten Häuser der Elben lagen in Trümmern. Viele waren bis auf die Grundmauern abgebrannt. Von einigen war nur noch ein schwarzer Aschefleck zu sehen. Die Ratshalle war in sich zusammengefallen. Flammen loderten noch aus ihren Resten.
„Magister!“, meldet sich ein Läufer bei ihm, „Alle Kommandeure melden Kampfbereitschaft.“
Aliasan schaute sich nach links und rechts um. Wie ein schwarzer Wurm stand die Linie der Atalantë auf dem weißen Strand der heiligen Insel. Es war für Aliasan sehr schwer dem General das Kommando über die Landetruppen abzuringen, aber im zum Schluss musste der General eingestehen, dass Aliasan die besseren Ortskenntnisse hatte als seine Kommandeure. Allerdings bestand er darauf, dass Aliasan die Befehle an die Soldaten nur über einen Atalantëoberst weitergeben sollte.
„Oberst!“, wandte sich Aliasan an den neben ihn stehenden Krieger, „Es ist soweit. Die linke Flanke sichert die Siedlung. Die rechte Flanke durchsucht die Wälder. Eventuell konnten ja einige Elben fliehen. Das Spezialmanipel folgt mir in den Hain.“
Der Oberst salutierte stumm, und erteilte den Kommandeuren die Befehle.

Eine Hüterin stürzte in den Audienzsaal des Haines.
„Schwester!“, rief sie den versammelten Hüterinnen zu, „Die Atalantë greifen an!“
Gwäedaliene schenkte ihr vom Thron der Matrone aus einen kühlen Blick.
„Das war zu erwarten.“, sagte sie ohne eine Regung in der Stimme.
„Die Siedlung brennt!“, fuhr die Hüterin aufgeregt fort, „Wir müssen helfen!“
„Nein.“, sagte Gwäedaliene knapp.
„Aber Schwester Gwäedaliene!“, entfuhr es der Hüterin, „Es ist unsere Pflicht!“
Sie lief auf Gwäedaliene zu.
„Schwester!“, tadelte Gwäedaliene sie ernst, „Du vergisst dich!“
Die Hüterin stoppte kurz vor dem Thron der Matrone, und sah Gwäedaliene herausfordernd mit erhobenem Kopf an.
„Wir unternehmen solange nichts, bis die Versammlung hier eine neue Matrone gewählt hat.“, sagte Gwäedaliene bestimmend.
‚Und die werde ich sein.’, dachte sie vom Ehrgeiz zerfressen, ‚Sie haben keine andere Wahl. Ich bin schon jetzt die ernannte Stellvertreterin. Wer sonst, außer mir wäre außerdem dazu würdig genug.’
Sie hatte es Oboëlindë nie verziehen, dass sie die naive Eärdaliene begünstigte, und ihr vorzog. Aber die ehemalige Matrone hatte es verstanden Gwäedalienes kranken bigotten Ehrgeiz richtig zu nutzen. Aber nun waren beide tot. Sie lächelte kühl in sich hinein. Ihre Wahl war nur noch eine Frage von wenigen Augenblicken. Dann hätte sie es endlich geschafft. All die Anbiederungen und all die Demütigungen wären zu Ende, und sie könnte endlich herrschen. Eine ältere Schwester trat zu Gwäedaliene hinzu.
„Matrone Eärdaliene hätte geholfen.“, sagte die leibliche Schwester des Magistrats.
„Erhaldiäne, das tut nun nichts mehr zur Sache.“, fuhr Gwäedaliene sie barsch an, „Eärdaliene ist tot!“
„Bin ich nicht!“, rief eine Stimme ruhig.
Die Hüterinnen drehten sich alle zur Tür des Audienzsaales um. Eärdaliene stand an dessen Eingang. Das Licht der Sonne hinter ihr lies ihr Gewand wie eine silberne Halo leuchten.
„Aber…“, stotterte Gwäedaliene, „Ich habe doch deinen Leichnam gesehen. Es war kein Leben mehr in dir.“
Eärdaliene ging langsam durch die Reihen der Hüterin. Eine nach der anderen ging vor ihr auf die Knie.
„Nun, es war mir möglich das Schlimmste zu verhindern.“, erklärte sie, „Wie genau bedarf keiner Erklärung.“
„Das freut mich.“, stammelte Gwäedaliene.
Eärdaliene stand nun vor dem Thron.
„Ich darf dich bitten?“, sagte sie nickend zu Gwäedaliene.
Diese zögerte kurz, und stand mit einem kurzen Seufzer vom Thron auf.
„Ja, natürlich.“, sagte sie eisig.
Eärdaliene setzte sich jedoch nicht auf den Thron, der mehr ein Stuhl mit hoher Lehne war, auch wenn seine Schnitzereien etwas prachtvoller waren wie die des übrigen Gestühls. Sie stellte sich auf die Stufe vor den Thron.
„Schwestern!“, wandte sie sich an die Hüterinnen, „Unser schlimmster Alptraum ist wahr geworden. Die Atalantë haben uns angegriffen. Die Siedlung ist bereits zerstört. Den Valar sei Dank konnten alle ihre Bewohner in die Wälder fliehen. Sie sind in Sicherheit. Wir müssen uns daher auf die Verteidigung des Heiligtums konzentrieren. Die Atalantë dürfen die Wassersäule nicht beschmutzen. Jede von euch soll daher ihren angestammten Platz am Ring der Bäume einnehmen. Lasst uns dort die Atalantë erwarten. Ulmo selbst wird uns Beistand schicken. Illuvatár und alle Valar mögen uns beistehen.“
Eärdaliene verließ den Audienzsaal durch die Seitentüre, welche der schnellste Weg ins Heiligtum war. Die Hüterinnen folgten ihr. Erhaldiäne kam auf sie zu.
„Nicht alle Teleri haben überlebt, Matrone.“, sagte sie traurig, „Mein Bruder wurde ermordet.“
Eärdaliene blieb wie angewurzelt stehen. Blankes Entsetzen spiegelte sich in ihren feinen Gesichtzügen wieder.
„Ermordet?“, sagte sie mit einen Zittern in der Stimme.
„Nein, er wurde von mir verurteilt und hingerichtet.“, erklärte die neben ihr gehende Gwäedaliene nüchtern, „Alle Beweise sprachen dafür, dass er dich getötet hat. Aber er hat es ja nicht geschafft.“
Eärdaliene blieb stehen und sah ihre Stellvertreterin entsetzt an.
„Wie kannst dich anmaßen zu richten?“, sagte sie kopfschüttelnd und ging auf die Knie.
Sie kreuzte die Arme vor der Brust und begann zu singen. Das Lied war dunkel und voll Schmerz. Alle Hüterinnen spürten Eärdalienes tiefe Trauer um den gewaltigen Verlust, den sie alle erlitten hatten. Sie sanken auf die Knie und kreuzten die Arme. Gwäedaliene zögerte. Sie blieb stehen und kreuzte nur die Arme.
‚Wie auch immer.’, dachte sie überlegt, ‚Einer weniger.’

„Vergesst nicht, dass wir die Hüterinnen wenn möglich lebend brauchen.“, sagte Aliasan teuflisch grinsend zu den Soldaten des Spezialmanipels, „Aber wenn sich ein paar wehren, und dabei zu Schaden kommen, wird das auch nichts machen. Vielleicht sind die Überlebenden dann nur umso bereiter sich uns zu unterwerfen und zu kooperieren.“
Der Hauptmann des Manipels nickte nur stumm. Man hatte ihm viele Schauergeschichten von den Elbenhüterinnen der Insel erzählt. Obwohl er sehr genau wusste, dass das Meiste wohl einfache Propaganda war, so hatte er doch ein flaues Gefühl in der Magengegend, als er die Schwelle zum Orden des heiligen Hains Ulmos übertrat. Er sah sich vorsichtig um.
„Seit bereit!“, mahnte Aliasan seine Soldaten, „Die Hüterinnen können überall sein.“
Langsam durchsuchten sie die Gebäude des Ordens. Die zahlreichen herrlich gepflegten Gärten mit ihrer fast magischen Atmosphäre brachten selbst den hartgesottesten Atalantë zum Staunen. Die prachtvolle vielfarbige Blütenpracht überwältigte sie fast. Sie waren daher dankbar, als sie wieder in ein Gebäude gingen. Die schlichten fast schmucklosen Räume waren eher nach dem Geschmack der Atalantë. Die Überzeugung der Hüterinnen, dass nur die Natur selbst wahre Pracht und Schönheit hervorbringen kann, hätten sie nie verstanden.
„Nun Hauptmann, wir haben alles abgesucht, und niemanden gefunden.“, sagte Aliasan, „Es bleibt nun nur noch ein Bereich des Ordens abzusuchen. Der heilige Hain selbst.“
Der Hauptmann schluckte unmerklich. Das symbolisierte Tor zum Innersten des Hains lag vor ihnen. Er spürte wie sich seine Kehle verengte. Der Hain galt bei den Atalantë als das Zentrum der Elbenmacht auf den Inseln. Jeder Soldat war vor einen direkten Angriff darauf eindringlich gewarnt worden. Aliasan merkte das Zögern des Hauptmannes.
„Keine Angst, Hauptmann!“, ermunterte er ihn, „Ich weis mit den Hüterinnen fertig zu werden.“
Zur Ermutigung der Soldaten und wie zur Bestätigung lies er einige blaue Blitze aus seinem Stab hervorschiessen.
„Vorwärts!“, befahl er fest, „Zum Hain!“
Die Soldaten folgten Aliasan zögernd den Weg der vom Tor zum Ring der Bäume und zum See mit der Wassersäule führte. Sie sahen bereits die Tausende von Regenbogen die um die gewaltige Wassersäule tanzten. Die smaragdgrünen Blätter der Bäume blendeten sie mit ihrem Licht.
„Halt!“, rief eine gewaltige hallende Frauenstimme, die wie die einer Valar klang, „Ihr Krieger der Atalantë keinen weiteren Schritt!“
Die Männer des Spezialmanipels blieben wie angewurzelt stehen. Aliasan schaute sich um und versuchte die Sprecherin zu finden. Eine ätherische Gestalt stand mit erhobenen Armen zwischen den Bäumen durch die der Weg zur Wassersäule führte. Die Ärmel ihrer Robe sahen wie silberne Flügel aus. Regenbogen umkränzten ihren Kopf. Ein strahlendes Licht ging von ihr aus. Herrlicher Gesang erfüllte die Luft.
„Ah, die Oberhexe persönlich!“, rief Aliasan der Gestalt zu, „Ich sehe du lebst. Schade. Ergebt euch und wir lassen euch am Leben.“
„Aliasan, so vergiltst du uns unsere Gastfreundschaft.“, sagte die Stimme, „Besinne dich, und hilf uns!“
„Das kannst du vergessen, nach den Erniedrigungen!“, schrie er die Gestalt an.
„Ich sehe du bist verloren.“, sagte die Stimme traurig, „Nun denn. Es gilt! Wir werden uns nie ergeben. Wir kämpfen bis zum Tod für den heiligen Hain!“
„Tod? Das lässt sich arrangieren.“, grinste Aliasan teuflisch, „Los Männer, Angriff! Es ist alles eine Illusion.“
Die Männer begannen zögerlich nach vorne zu stürmen. Aliasan wirbelte seinen Stab über den Kopf. Ein Lichtwirbel formte sich und fegte die Regenbogen um die Gestalt fort. Das Licht um sie erlosch. Eine Elbin stand zwischen den Bäumen.
„Seht ihr!“, spornte er die Atalantë an, „Nur ein Trick!
Die Atalantë spürten ihren Mut wiederkehren und stürmten nach vorne.
„Wie dumm, Aliasan!“, sagte die Elbin und winkte mit ihrer rechten Hand.
Hüterinnen traten hinter den Bäumen hervor. Sie waren mit Schwert und Schild bewaffnet.
„Das ist deine ganze Armee, Eärdaliene?“, höhnte Aliasan, „Lächerlich!“
„Wie wenig du doch weist, Narr!“, erwiderte sie ihn, „Glaubst du Mithrandir hätte dir alles verraten?“
Sie hob beide Arme und schleuderte sie nach vorne. Die Wassersäule die bis jetzt kerzengerade in den Himmel schoss beugte sich in Richtung der Atalantë. Riesige Wasserblasen lösten sich von der Säule und schwebten auf die Atalantë zu. Aliasan schoss ihnen Frostbälle entgegen, aber die Wasserblasen absorbierten sie. Jeden Atalantë den eine Blase traf umschloss sie. Die gefangenen Soldaten ertranken in ihrem nassen Gefängnis.
Es machte sich bereits Furcht unter den Atalantë breit, die bald in Panik münden würde. Eine Hüterin kam auf Eärdaliene zugelaufen.
„Es ist genug du kleine unbedeutende Schlampe!“, kreischte Gwäedaliene und holte mit ihrem Schwert aus.
Eärdaliene drehte sich erschrocken um. Das Entsetzen stand ihr in Gesicht geschrieben.
„Gwäedaliene nicht!“, rief sie der anstürmenden Elbin entgegen.
Ein Feuerball flog knapp an Kopf Eärdalienes vorbei und traf Gwäedaliene. Ein gellender schmerzerfüllter Schrei zerriss die Luft, als der Feuerball die verräterische Hüterin bis auf ein Häufchen Asche verbrannte. Eärdaliene sank ohnmächtig zu Boden.
 
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