Gilmenels Geschichte

39. Augen

Gilluine drehte sich im Sattel ihres Streitrosses um. Sie betrachtete die Magierin mit Argwohn. Irgendwie konnte sie sich nicht an den Anblick eines Menschen auf einem Nachtsäbler gewöhnen. Die Nachtelfen gewährten normalerweise selbst ihren Verbündeten keinen Gebrauch ihrer Reittiere, außer man war bei ihnen sehr angesehen.
‚Spaia muss beim Volk der Nachtelfen sehr geachtet sein.’, dachte Gilluine.
Warum konnte sie sich nicht erklären. Es war erst wenige Jahre her, dass die Nachtelfen überhaupt wieder in Kontakt mit den anderen Völkern getreten sind. Die Ereignisse in Kalimdor, während die Menschen in Lordearon mit der Geißel kämpften, waren Gilluine in groben Zügen bekannt. Vielleicht hatte Spaia sich dort ausgezeichnet.
„Wo reiten wir hin?“, fragte die Paladin die Magierin.
„Ich muss dich testen.“, gab Spaia knapp zurück.
„Testen?“, stutze Gilluine, „Wozu und womit?“
„Damit.“, sagte Spaia und deutete in die Richtung vor ihnen.
Ein schwarzer Drache zog seine Bahnen über die schwarze verbrannte Erde.
„Mit einem Drachen?“, schüttelte Gilluine den Kopf, „Was soll das?“
„Ich will wissen, wie du kämpfst, bevor wir uns auf Onyxia einlassen.“, erklärte Spaia.
„Naja, der sollte kein Problem sein.“, lachte Gilluine.
„Hüte dich vor zu raschen Einschätzungen.“, mahnte die Magierin ernst, „Dies sind Drachen des schwarzen Schwarms. Sie sind wild, verrückt und ihr Atem ist reine Lava.“
„Gut, aber der hier ist ja nicht besonders groß.“, zuckte Gilluine mit den Schultern.
„Übermütige Närrin, willst du es gleich mit seinem Herrn Nefarian aufnehmen?“, verspottete Spaia die Paladin.
Spaia deutete in Richtung der gewaltigen Schwarzfelsspitze.
„Dort ist sein Hort.“, sagte sie höhnisch, „Los lauf rein. Wir werden sehen wie weit du kommst.“
„Gut, Gut. Du bist die Drachenexpertin.“, gab sich Gilluine geschlagen.
„Ja, das kann man wohl behaupten.“, sagte Spaia, „Onyxia ist übrigens Nefarians Schwester. Du siehst der schwarze Drache hier ist ein gutes Übungsexemplar.“
„Dann los.“, knurrte Gilluine.
Gilluine stieg von ihrem Streitross und ging auf den Drachen zu. Sie machte einige Gesten mit ihren Händen. Licht umflutete sie. Sie zog ihr großes Zweihandschwert. Die Smaragdaugen des silbernen Löwenkopfs, der den Knauf des Schwertes zierte, glitzerten in der Sonne.
Der Drache hielt inne. Er drehte seinen gehörnten Kopf Gilluine entgegen. Ein gewaltiger Feuerschwall aus seinem Maul schoss plötzlich auf sie zu. Mit einem eleganten Satz wich Gilluine aus. Jetzt wusste sie, was Spaia mit Lava meinte. Es war kein normaler Feueratem, der sofort verschwand. Vielmehr brodelte der Boden rotglühend, wohin der Atem des Drachen gefallen war.
„Mehr kannst du nicht?“, rief sie dem Drachen zu, als sie auf ihn zu rannte.
Sie musste sich ihm eh im Nahkampf stellen. Der Drache würde seinen bestialischen Atem dann nicht so einfach einsetzen können. Der erste Hieb Gilluines traf den Drachen in die Flanke. Er zischte laut, und machte ein Satz in die Luft. Gilluine wirbelte herum, und konnte gerade noch dem nächsten Lavastoß entkommen. Sie spürte einen stechenden Schmerz in ihrer Schulter. Eine Kralle des Drachens hatte sie mit voller Wucht getroffen und ihre Rüstung durchbohrt.
Spaia sah dem Ganzen gelangweilt von der Ferne aus zu. Sie hielt die beiden Reittiere an den Zügeln. Als Magierin war sie das Kämpfen gewohnt. Die Lichtmagie der Paladine war zwar hübsch anzusehen, aber erstaunte sie nicht sehr. Sie hatte in ihrem langen Leben bei weitem eindrucksvollere Anblicke erlebt. Sie hörte ein lautes verzweifeltes Gurgeln.
„So, das wäre erledigt.“, sagte Gilluine grimmig als sie auf Spaia zukam.
Sie säuberte ihr Schwert vom Blut des Drachens. Spaia schaute zu dem Kadaver des Drachens, und machte eine kaum wahrnehmbare Verbeugung.
„Naja, keine Meisterleistung, Paladin.“, schüttelte Spaia den Kopf, „Der Drache ist tot. Aber der Kampf hat zulange gedauert. Onyxia hätte dich bereits geröstet. Ich denke wir brauchen Verstärkung.“
Sie zauberte einen Feuerball zwischen ihren Händen hervor und schleuderte ihn auf den toten Drachen. Seine Asche verstreute der Wind. Spaia seufzte.
„Weiter.“, rief sie Gilluine zu als sie sich auf ihren Nachtsäbler schwang, „Nach Kalimdor!“

Spaia bestand darauf sich von Beutebucht aus nach Kalimdor einzuschiffen. Warum sie nicht das nähere Menethilhafen vorschlug, war Gilluine nicht ganz klar. Allerdings hatte sie nichts gegen die Entscheidung einzuwenden. Den Erinnerungen an ihre Flucht aus Lordaeron ging sie am liebsten selbst aus dem Weg. Auch wenn ihre Dienstjahre in den Pestländern sie noch näher an ihre alte Heimat gebracht hatten.
Damals fragte sie sich immer bei jedem Untoten, den sie bekämpfte, ob es nicht ein ehemaliger Bekannter oder Verwandter von ihr war. Sie warf sich dann in den dunklen mondlosen Nächten manchmal selbst ihr Überleben vor. Sie wusste aber, dass sie als Kind dafür nichts konnte, und es nur dem Zufall zu verdanken hatte, noch unter den Lebenden zu sein.
Spaia und sie gingen über die Plankenwege in Beutebucht. Allerlei Volk strömte durch die verwinkelten Wege und Stiegen, die die Häuser am Hang der Bucht miteinander verbanden. Beutebucht war ein geschäftiger Ort. Die Goblins des Kartells und besonders Baron Regelaz wussten wahrlich Geschäfte zumachen. Gilluine dachte lieber nicht darüber nach, wie die Waren hier manchmal beschafft wurden. Sie blieb plötzlich wie versteinert stehen. Vor ihr stand eine Untote. Gilluine wollte gerade ihr Schwert ziehen, als sie ein Knüppel am Schienbein traf.
„Hey du!“, raunzte sie die Goblinwache von unten an, „Wir mögen hier keine Streitereien. Alle sind hier willkommen.“
„Ist ja schon recht.“, antwortet Gilluine unentschlossen.
Sie sah wie sich weitere Goblinwachen näherten. Sie nahm die Hand von ihrem Schwert.
„So ist es recht, Bürgerin!“, brummte die Wache, „Schönen Tag noch.“
Sie sah sich die Untote genauer an. Erst jetzt sah sie sie den kleinen Stand neben ihr. Es war eine Händlerin der Verlorenen aus Unterstadt. Gilluine musste die Nase rümpfen. Auf dem Standtisch waren verschiedene Reagenzien zum Verkauf ausgestellt, die ihren Ursprung als Teil eines Tieres oder anderen Lebewesens nicht verheimlichen konnten. Die Untote musterte Gilluine. Sie legte ihren Kopf leicht schräg, und sagte irgendetwas in der Gossensprache, die Gilluine nicht verstand.
„Ja, du mich auch, abscheuliche Ausgeburt der Geisel.“, höhnte sie.
„Gilluine komm endlich!“, rief Spaia ihr vom Ende des Piers zu, „Das Schiff legt gleich ab!“
„Ja, ich komme.“, antwortete die Paladin.
Die Händlerin blickte Gilluine nach, bis diese an Bord des Schiffes verschwand. Sie lies ihre Schultern hängen und seufzte. Hätte sie noch Tränen gehabt, hätte sie bitterlich geweint.
Das Schiff legte ab und nahm Kurs auf Kalimdor. Gilluine stand an der Reling und sah das Festland langsam im Dunst des Horizonts verschwinden. Sie wunderte sich, wo die Magierin abgeblieben war und machte sich auf die Suche nach ihr. Gilluine fand Spaia unter Deck. Sie hatte sich an einen der Tische gesetzt und den Kopf in ihre Hände gestützt.
„Was ist los?“, fragte Gilluine die Magierin.
„Soviel Wasser.“, seufzte die Magierin ohne aufzublicken, „Ich hasse Wasser!“
Gilluine grinste innerlich. Die ansonsten taffe Magierin sah elend aus. Sie hatte auch sonst so ihre Marotten. Sie wären schon wesentlich weiter, hätte die Magierin nicht darauf bestanden nach Beutebucht zu reiten.
„Na wieder ein Punkt mehr, den ich über dich lerne.“, lächelte sie die Magierin an.
„Ach, lass mich in Ruhe.“, murrte Spaia.
Gilluine drehte sich um und ging fröhlich pfeifend an Deck, um die frische Meeresluft zu genießen.

„Ratschet backbord voraus!“, rief ein Goblin vom Ausguck.
Gilluine stieg die vom Bug hinunter ins Innere des Schiffes, als es kurz vor dem Anlegepier war.
„Hey, aufwachen!“, schüttelte sie Spaia an der Schulter, „Wir sind da!“
Die Magierin sprang auf. Ein Feuerball entfuhr ihren Händen. Gilluine konnte ihn gerade noch mit ihrer rechten Armschiene durch eine offene Luke ins Meer ablenken Er brachte das Wasser kurz zum Kochen.
„Mach das nie wieder!“, tobte Spaia.
„Ruhig, ruhig!“, besänftigte Gilluine sie, „Wir sind da.“
„Den Aspekten sei Dank.“, rief die Magierin und stürzte an Deck.
Gilluine hatte selbst viel erlebt, aber die Nerven der Magierin schienen nicht die Besten zu sein. Sie sah wie Spaia den Pier Richtung Festland entlang stürzte. Die Paladin nahm die Zügel der beiden Reittiere, und führte sie an Land. Der Nachtsäbler schien auch wieder froh zu sein Land unter seinen Pfoten zu haben, und knurrte zufrieden. Spaia stand bei einem Händler, und wechselte einige Worte mit ihm.
„Gut, wir können reiten.“, nickt sie Gilluine zu, „Der Weg ist frei.“
„Wo müssen wir überhaupt hin?“, wollte die Paladin wissen.
„In den äußersten Süden von Tanaris.“, erklärte die Magierin kurz angebunden.
„Sollten wir nicht lieber den Greif…“, begann Gilluine, sah aber dass diese Frage keinen Zweck hatte, als die Magierin sich auf ihren Nachtsäbler schwang und eilig davon ritt.
Gilluine fluchte. Mit einem Satz sprang sie auf ihr Pferd und gab ihm die Sporen. Sie brauchte all ihr Paladintraining, um die Magierin wieder einzuholen.
„Gut, vergessen wir den Greif.“, rief sie ihr zu, als sie sie eingeholt hatte.
Gilluine dachte an ihre Garnison, als sie durch die Savanne des Brachlands ritten. Sie hätte schon lange nach den Meldungen schauen sollen, aber der nächste Stützpunkt der Allianz war weit. Hier im Gebiet der Horde würde sie dazu keine Möglichkeit haben, und Theramore war ein Umweg von einigen Tagen.
„Schau dort!“, rief Spaia und riss Gilluine aus ihren Überlegungen.
Etwas vor ihnen fuhr ein Wagen die Straße entlang. Einige Nachtelfen, Menschen und Zwerge gingen neben ihn her. Aus seinem Inneren schauten Gnome nach draußen. In etwas Abstand durchstreifte eine große Säbelzahnkatze die Savanne. Sie schien den Tross zu begleiten. Ein wenig hinter der bunten Truppe ritt eine Blutelfe auf einem schwarzen Pferd. Sie hatte ihr Schwert gezogen. Gilluine überlegte nicht lange. Sie trieb ihr Pferd an.
„Beim Licht!“, schrie sie.
Die Blutelfe riss die Zügel ihres Pferdes herum, aber machte keine Anstalten Gilluine anzugreifen. Eine Nachtelfe aus dem Troß kam auf Gilluine zugelaufen.
„Halt!“, rief sie Gilluine entgegen, „Nicht!“
Gilluine war verwirrt. Sie stoppte ihren Angriff.
„Grüße Söldnerin.“, sagte sie sanft, „Wir sind nicht in Gefahr.“
„Aber eure Wache hier.“, wunderte sich die Paladin und deutete mit ihrem Schwert auf die Blutelfe.
„Sie gewährt uns sicheres Geleit durch das Hordengebiet hier.“, erklärte die Nachtelfe, „Wir sind eine kleine Schauspieltruppe und reisen nach Gadgetzan.“
Spaia kam heran geritten. Die Nachtelfe sah ihren Nachtsäbler erstaunt an.
„Ein schönes Tier, Mensch.“, sagte sie kühl zu Spaia.
Diese nickte nur wortlos.
„Ihr kommt mir bekannt vor.“, sagte die Magierin zu der Nachtelfe.
„Das kann nicht sein.“, sagte die Elfe unfreundlich.
„Los, weiter, Gilluine. Wir haben es eilig.“, sagte Spaia streng.
„Wir könnten sie nach Gadgetzan begleiten.“, schlug Gilluine vor.
„Nein, sie sind zu langsam.“, erwiderte Spaia sachlich nüchtern.
Gilluine wunderte sich um die plötzliche Hast die Spaia an den Tag legte. Auf der anderen Seite fühlte sie eine eisige Kälte zwischen der Nachtelfe und der Magierin aufsteigen.
Nach einigen Meilen, die sie schweigend ritten, fragte Gilluine die Magierin, „Was war los? Du kennst diese Nachtelfe doch?“
„Ja, ich kenne sie.“, sagte Spaia missmutig, „Und damit genug.“
Gilluine kannte Spaia inzwischen gut genug und wusste, wann ein Gespräch zu Ende ist.

Die schmale Schlucht zwischen den schroffen Felswänden der südlichen Bergkette in Tanaris wäre Gilluine sicherlich entgangen. Sie war fast perfekt getarnt. Die Schlucht war gerade breit genug für ein Pferd. Spaias Nachtsäbler schrammte mit seinen breiteren Schultern das ein oder andere Mal am Fels entlang. Der Wind hatte die Schlucht in bizarrster Weise geformt. Das Gestein war unterschiedlich erodiert. Weiße Quarzadern ragten daher manchmal weit aus den weicheren roten Sandstein heraus. Die Schlucht wand sich wie ein Lindwurm durch das Gebirge. Nur ab und zu war hoch oben ein Stückchen Himmel zu sehen. Ein rötliches Licht lies die Schlucht noch irrealer erscheinen. Gilluine war froh als sie vor sich einen hellen Fleck größer werden sah. Sie hatten das Ende der Schlucht erreicht. Vor ihnen lag ein enormer Talkessel. Die Schlucht hatte sie ungefähr auf halber Höhe der umgebenden Berge wieder ans Tageslicht entlassen. Ein schmaler Pfad führte hinab in den mit Sand bedeckten Kesselboden. Gilluine versuchte die andere Seite des Kessels zu finden, aber ihre Sicht reichte nicht aus. In der Mitte des Kessels sah sie einen schwarzen Berg im Dunst der Ferne aufragen.
„Unser Ziel.“, sagte Spaia und deutete auf den schwarzen Berg.
Als sie am Talkessel angelangt waren, schlug Spaia den direkten Weg zu dem Berg ein. Sie trieb ihren Nachtsäbler zu einer Geschwindigkeit an, die Gilluine für nicht möglich gehalten hatte. Ein hoffnungsvoller Glanz lag in den Augen von Spaia.
„Endlich. Ich hätte viel früher heimkehren sollen.“, flüsterte sie immer wieder.
Sie ritt wie in Trance. Gilluine sorgte sich langsam um den Gesundheitszustand der Magierin. Der schwarze Berg war nun deutlich sichtbar. Knapp oberhalb der Hälfte des Berges sah er aus, als hätte eine titanische Klaue den Berg aufgerissen. Riesige schwarze Felsbrocken waren unterhalb um den Berg verteilt. Gilluine konnte nun gräuliche Verwitterungen in den glatten schwarzen Felswänden erkennen.
„Was?“, schrie Spaia und hielt ihren Nachtsäbler so abrupt an, dass sie beinahe gestürzt wäre.
Sie sah fassungslos auf den zerstörten Berg. Sie schüttelte den Kopf heftig hin und her.
„Nein, nein, nein, das darf nicht sein!“, schluchzte sie, „Brüder, Schwestern!“
Gilluine ritt an ihre Seite. Sie wusste nicht was vorging.
„Spaia? Was ist los?“, sagte sie sorgenvoll.
„Das verstehst du nicht.“, schluckte die Magierin, „Los, lass uns weiterreiten!“
Sie trieb ihren Nachtsäbler wieder an. Sie näherten sich den Berg von der unzerstörten Seite.
„Wir haben Glück im Unglück, dass der Berg auf dieser Seite heil ist.“, erklärte sie nun wieder gefasst der Paladin.
Gilluine nickte nur stumm. Sie wusste immer noch nicht, was oder wen Spaia hier suchte.
„Ah, hier!“, rief Spaia plötzlich, und stieg von ihrem Nachtsäbler.
Gilluine stieg ebenfalls ab. Spaia ging auf einen Punkt zu, an dem Gilluine nichts Besonderes erkennen konnte.
„Komm hierher zu mir!“, befahl die Magierin.
Gilluine stellte sich neben die dunkelhäutige Menschenfrau. Die Magierin begann einen Zauber. Ein rotes Licht hüllte die Beiden ein. Die Umgebung verschwamm und wurde dunkel. Gilluine zwinkerte. Das Licht verschwand. Sie staunte. Sie hatten sich in eine enorme Kammer portiert. Einige Fackeln ließen gespenstische Schatten über die schwarzen Felswände huschen. Das Echo ihrer Schritte hallte.
‚Es muss eine sehr große Halle sein.’, schlussfolgerte Gilluine überwältigt.
Spaia ging voraus. Etwas regte sich im Dunkeln. Vier Drachlinge kamen auf sie zu gelaufen. Ihre Waffen in Kampfhaltung. Gilluine zog ihr Schwert. Spaia blieb ruhig stehen. Sie rief den Drachlingen etwas in einer Sprache zu, die Gilluine nicht verstand. Sie klang sehr alt. Die Drachlinge kamen nun langsamer näher.
„Steck dein Schwert ein. Zeige keine Furcht.“, flüsterte Spaia Gilluine zu.
Zögernd steckte die Paladin ihr Schwert wieder in die Scheide. Die Drachlinge bildeten einen Kreis um sie. Der Anführer sagte etwas zu Spaia. Sie antwortete ihm. Der Drachling schüttelte den Kopf. Spaia redete ihn überzeugend zu. Der Drachling winkte ihr und begann zu gehen.
„Alles klar.“, sagte sie, „Er führt uns zu seinem Herrn.“
Ihre Stimme war voller Erwartung. Der Drachling führte sie durch ein wahres Labyrinth an Gängen. Vor einem enormen Portal blieb er stehen. Er verschwand durch eine kleine Türe im Portal. Sein Körper zeichnete sich als schwarze Silhouette im Tageslicht ab, das durch die Türe flutete. Spaia und Gilluine folgten ihn. Sie befanden sich auf einer riesigen Terrasse hoch oben fast am Gipfel des Berges. Die Paladin erschrak.
Vor ihnen lag ein gewaltiger roter Drache. Er hob müde den Kopf. Sein gewaltiger Körper war von Narben übersäht. An einigen Stellen fehlten seinen rubinroten Schuppen. An anderen Stellen seines Körpers waren seine Haut und Schuppen silbrig schimmernd. Diese Stellen konnte Gilluine nicht genau mit ihren Blick fixieren. Sie schienen zu fließen.
„Wer wagt es hierher zu kommen?“, donnerte der Drache.
„Horuscalestrasz, ich bin es!“, rief Spaia freudig.
„Wer bist du Mensch, dass du es wagst mich bei meinen vollen Namen zu anzureden?“, grimmte der Rote.
„Schau in meine Augen, dann erkennst du mich.“, sagte sie dem Drachen zärtlich, und ging auf ihn zu.
Der Drache kam ihr mit seinem riesigen Schädel entgegen. Er schaute ihr mit seinen schwarzen Augen intensiv in die ihren.
„Das… das… kann nicht sein.“, stotterte er ungläubig.
„Doch es ist wahr, Wärme meines Lebens.“, sagte sie und liebkoste seine Schnauze, „Ich bin es Spaiastraza, deine Gefährtin.“
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
40. Lösung

„Spaiastraza, Wonne meines Horts“, der rote Drache flüsterte die Worte mit einer Zärtlichkeit, die Gilluine bei dem Leviathan nicht erwartet hätte.
„Ich bin wieder bei dir, mein Geliebter.“, sagte die Magierin und streichelte über den Hals des Drachens.
Horuscal bäumte sich auf. Er spie einen Feuerstoß in die Luft.
„Das kann nicht sein!“, tobte er, „Sie ist schon lange tot!“
Spaia blieb wie vom Donner getroffen stehen. Gilluine lief zu ihr und zerrte sie an ihrer Robe in Richtung der Türe.
„Komm, weg hier!“, rief sie der Magierin zu.
„Lass mich!“, fauchte sie die Paladin an, „Wenn mein Herr meinen Tod wünscht, soll es so sein.“
„Nun ist wirklich nicht der Zeitpunkt für Diskussionen.“, sagte die Paladin am Rande ihrer Geduld.
Gilluine schlug die Magierin bewusstlos, schulterte sie und lief in Richtung der Türe. Der rote Riese wütete ununterbrochen weiter.
Gilluine hatte fast die Türe erreicht, als eine riesige rote Klauenhand ihr den Weg abschnitt.
„Ihr verlasst diesen Ort nicht mehr lebend!“, donnerte es in ihrem Rücken, „Mich in meinen Schmerz zum Narren zuhalten! Sterbt!“
Der Drache stand über ihr. Gilluine lies Spaia fallen und zog ihr Zweihandschwert.
„Das werden wir noch sehen!“, forderte sie den Drachen heraus.
Sie machte eine Rolle unter dem Körper des Drachens hindurch und hieb in seinen Schwanzansatz. Horuscal fauchte wild. Sein gewaltiger Schwanz schlug knapp neben Gilluine in den Boden. Er fuhr herum und breitete seine Flügel aus. Mit einem Satz war er in der Luft. Gilluine hatte alle Mühe den Feuerstößen die er aussandte auszuweichen. Sie wusste, dass sie den Drachen nur am Boden bekämpfen könnte. Doch bald würde ihre Kraft erschöpft sein, und sie würde Fehler beim Ausweichen machen.
„Halt!“, rief Spaia mit donnernder Stimme.
Ein Lichtblitz traf Horuscal. Er wirkte wie eingefroren. Gilluine ging auf Distanz zu dem Drachen. Spaia stand an der Pforte und hatte eine Schuppe Horuscals in der Hand, die Gilluine mit ihrem ersten Hieb abgetrennt hatte.
„Funken unseres Lebens, du glaubst mir nicht?“, rief sie dem Roten zu, „Das hier soll dir als Beweis dienen.“
Sie nahm die scharfgezackte Schuppe und stieß sie sich mit voller Gewalt in ihre Halsschlagader. Gilluine stockte der Atem. Sie sah bereits das Blut der Magierin fließen, doch die Schuppe drang nicht in das zarte Gewebe ein. In einem weiten Bogen sprang sie aus der Hand der Magierin.
„Nichts von dir kann mich ohne deine Erlaubnis töten, mein Gefährte.“, rief sie dem Drachen zu.
Horuscal erwachte wieder aus seiner Starre. Er landete vor Spaia.
„Du musst es sein.“, schüttelte er den Kopf, „Aber wie ist das möglich?“
„Lass es mich dir erklären.“, sagte die Magierin ruhig.
Horuscal nickte bedächtig.
„Du hattest mich damals ausgeschickt den Magier zu überwachen.“, begann sie, „Ich folgte ihm bis an den Fuß des Berges Hyjal. Dort sah ich, dass er den Nachtelfen in die Arme laufen würde. Schnell nahm ich ihre Gestalt an, und überzeugte die Kommandantin des Postens, dass er mir ausgeliefert werden sollte. Wie du dir vorstellen kannst, war es nicht leicht die Nachtelfen zu täuschen. Ihre Anführerin war auch misstrauisch und gab mir eine Wache zur Begleitung mit. Kurze Zeit später habe ich die Wache getötet. Dabei überraschte mich aber Aliasan mit einem Fluch, der mich in diese Gestalt verbannte. Einen Bann den niemand mehr aufheben könnte, sagte er damals. Er hätte mich dann auch töten können.“
„Scheinbar tat er es nicht.“, unterbrach sie der Drache, „Aber vielleicht wäre es besser für dich gewesen, Liebe meines Lebens.“
„Ich weis es nicht, Zuversicht unseres Horts.“, fuhr Spaia fort, „Du weist ich war nie gut in magischen Dingen.“
„Nein, das warst du nicht.“, grinste der Drache, „Du warst mehr für den direkten körperlichen Kampf.“
„Ja, aber diese Gestalt hier war zu schwach den Magier zu töten.“, sagte Spaia, „Ich folgte ihm also. Er zeigte Erbarmen und gab mir Kleidung. Wir gingen zusammen zur nächsten Siedlung.“
„Dort hast du ihn dann getötet?“, wollte Horuscal wissen.
„Nein, mein Gebieter.“, schüttelte Spaia den Kopf, „Ich konnte es nicht. Er sorgte gut für mich. Ich folgte ihm daher weiter.“
„Du hättest zu mir zurückkommen sollen, meine Liebe.“, sagte der Drache melancholisch.
„In dieser Gestalt?“, schüttelte Spaia den Kopf, „Nein, ich schämte mich dir so unter die Augen zu treten, Stärke meiner dunklen Tage. Ich hoffte, wenn ich ihn begleiten würde, dann würde ich eines Tages vielleicht den Fluch erfahren, und dann wieder meine normale Gestalt annehmen können. Meine Wissbegierigkeit schmeichelte scheinbar Aliasan, und er nahm mich zum Lehrling.“
„Ein roter Drache als normaler Zauberlehrling?“, lachte Horuscal lauthals, „Das muss amüsant gewesen sein.“
„Ja, war es auch.“, lächelte Spaia, „Meine Fortschritte erstaunten ihn sehr. Aber er vermutete, dass es mit meiner Drachennatur zu tun hatte.“
„Wo ist der Verräter nun?“, sagte Horuscal mit finsterer Miene.
„Tot!“, sagte Spaia bitter, „Er starb vor Kurzen hier in Tanaris.“
„Du hast es getan!“, jubelte Horuscal.
Spaia sah verlegen zu Boden.
„Nein, ewige Liebe.“, flüsterte sie, „Ich war es nicht. Ich hätte es nicht gekonnt.“
„Wie das?“, stutze Horuscal wütend.
„Er war alles was ich in dieser Gestalt hatte.“, sagte sie kaum vernehmlich, „Ich wähnte dich für mich verloren, Funke meiner neuen Hoffnung.“
Gilluine stand ruhig an der Türe. Sie verfolgte mit großem Interesse das Gespräch. Sie musste sich aber gestehen, dass sie nur sehr wenig von dem was Spaia und der Drache sich erzählten verstand. Zweifel kamen in ihr auf. Spaia war wohl auch ein Drache in Menschengestalt. Die jüngsten Ereignisse in Sturmwind stiegen in ihren Gedanken auf. Sie fühlte sich irgendwie hintergangen.
„Glaub mir, Essenz meines Lebens. Aliasan war kein schlechter Hochelf.“, hörte Gilluine die Magierin weitererzählen, „Bis er verschwunden ist, war er sehr gut zu mir. Ich habe sehr viel von ihm gelernt.“
„Nun, er ist tot.“, sagte Horuscal, „Alleine das zählt. Unser Geheimnis ist sicher. Auch wenn das nun bedeutungslos ist, Licht meiner Hoffnung.“

„Das kann ich verstehen, Herr meines Lebens. Ich habe die Zerstörung des Horts gesehen.“, sagte Spaia bitter, “Was ist hier geschehen?“
Horuscal machte nun einen sehr müden und niedergeschlagenen Eindruck. Seine enormen Flügel hingen schlaff nach unten.
„Es war kurz nach dem ich dich verloren wähnte, meine Gefährtin.“, begann der Drache langsam, als wenn er sich nicht an das Vergangene erinnern wollte, „In meinem Kummer zog ich mich zurück. Ich habe dabei meine Wacht vergessen. Leider habe ich auch durch den Verrat des Elfs meinen Kundschafter im Rat verloren. Aus all diesen Gründen konnten sie mich überraschen.“
„Wer wäre so dreist?“, schüttelte Spaia den Kopf.
„Der Rat.“, schnaubte Horuscal verächtlich, „Am Anfang war ich mir nicht sicher. Meine Wachen meldeten Angriffe von silbern glänzenden Drachen.“
„Silberne Drachen?“, wunderte sich Spaia, „Aber einen solchen Schwarm gibt es nicht.“
„Nein, das stimmt. Zumindestens bis zu jenen Zeitpunkt nicht.“, sagte der Rote finster, „Es war auch kein richtiges Silber. Sie hatten eigentlich gar keine richtige Farbe. Nein, diese Drachen sahen aus als wären sie nicht real. Ihre Gestalt verfloß wie Quecksilber. Sie sahen so aus wie ich nun an manchen Stellen.“
Spaia betrachtete die silbrig schimmernden Flecken an Horuscals Körper. Aber so sehr sie sich auch bemühte sie konnte die Stelle nicht richtig mit den Augen fixieren. Sie schienen zu fließen.
„Woher kommt diese Veränderung?“, wollte Spaia wissen.
„Ich kann es nur vermuten, Spaiastraza.“, antwortete der Drache zögerlich.
Spaia sah den Roten fragend an.
„Du verheimlichst mir etwas, Horuscal.“, schüttelte sie ungläubig den Kopf, „Was ist es?“
Der Leviathan blickte verlegen zur Seite.
„Nun…“, murmelte er kaum vernehmlich, „Nun, es wird jetzt keinen Unterschied mehr machen.“
Gilluine hielt es immer noch für klüger sich nicht in die Unterhaltung der beiden Drachen einzumischen. Sie musste wohl oder übel der Drachenmagierin vertrauen.
‚Ohne sie wird es hier kein Entkommen geben.’, dachte sie niedergeschlagen.
„Erzähl es mir, mein vertrauter Gefährte.“, forderte Spaia den Drachen auf.
„Gut, vielleicht findest du eine Lösung.“, sagte Horuscal fest, „Wie du weist haben alle Ratsmitglieder eine besondere Fähigkeit.“
Spaia nickte stumm. Sie vermutete, dass Horuscal hierzu in Gegenwart von Gilluine nicht mehr sagen würde.
„Diese Fähigkeit hatte vom Anbeginn kein anderer Schwarm.“, erklärte der Rote weiter, „Aber alle Ratsmitglieder der Berherrscher gehören allen Schwärmen an. Es gibt rote, blaue, einige grüne und sogar einen schwarzen Drachen, der aber verschollen ist, im Rat. Hast du dich nie gefragt, wie das zusammenpasst?“
„Doch, das habe ich.“, antwortete Spaia, „Aber ich habe dir voll vertraut, Leiter unseres Schicksals.“
„Das habe ich auch nicht anders von dir erwartet.“, lächelte der Drache, „Aber du hast nicht alles gewusst. Ein Stück Information fehlt dir.“
„Welches?“, wollte Spaia wissen.
„Der Rat hat einen Meister.“, sagte Horuscal knapp, und lies die Worte auf Spaia einwirken.
„Aber ich denke, der Rat hätte alles beschlossen?“, sagte die Magierin irritiert.
„Nein.“, schüttelte Horuscal heftig den Kopf, „Der Rat hat auch nur die Anweisungen des Meisters befolgt.“
„Wer ist er?“, fragte Spaia schnell.
„Ich weis es nicht.“, sagte Horuscal nachdenklich, „Er ist nie persönlich zu den Versammlungen erschienen. Seine Befehle hat er immer nur durch eine magische Sphäre übermittelt, die in der Ratskammer ist.“
„Aber was hat dieser Meister mit den verschiedenen Schwärmen und den Veränderungen zu tun?“, sagte Spaia irritiert.
„Nun, wie du weist hatten wir nie Kontakt zu anderen Roten.“, erklärte Horuscal.
„Das ist nicht weiter verwunderlich, ist der rote Schwarm doch stark dezimiert und in alle Winde verweht.“, dachte Spaia laut.
„Nein, der Grund ist ein anderer.“, stellte der Drache fest, „Wir gehörten nie zum roten Schwarm. Der Meister hat alle Mitglieder des Rates und ihre Untertanen erschaffen. Er hat den anderen Schwärmen geschickt Eier und Jungtiere entwendet. Dies habe ich nach langen Forschungen herausgefunden. Es war auch einer der Gründe, warum ich mich vom Rat und dem Meister abgewandt habe.“

Spaia schaute ihn voller Entsetzen an.
„Wir gehören nicht zu ihnen?“, sagte sie voller Entsetzen.
„Nein, Leben meines Horts, du wärst ihnen gänzlich unbekannt.“, erklärte er ihr, „Du hättest nicht den richtigen Geruch. Wir sind Geschöpfe des Meisters.“
„Ich…“, stotterte Spaia, „Ich…wusste nichts.“
„Nein, es war ein wohl gehütetes Geheimnis.“, sagte Horuscal.
„Der Meister muss sehr mächtig sein.“, sagte Spaia nachdenklich. Ihre Stimme zitterte noch.
„Ja, das muss er wohl sein.“, nickte Horuscal seiner Gefährtin zu, „Es kann nur ein Aspekt sein.“
Spaia schluckte. Gilluine gab ein leises Pfeifen von sich.
‚Die Aspekte?’, dachte sie verwundert, ‚Die Drachen, die Azeroth beschützen sollten. Nun wird es interessant.’
„Ja, ein Aspekt.“, versicherte Horuscal, „Aber welcher?“
Spaia schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Ich habe auch keinen Hinweis gefunden.“, sagte Horuscal, „Aber dieser Meister fährt wohl unbeirrt in seinen Plänen fort. Die Auswirkungen kannst du sehen. Scheinbar haben alle Ratsmitglieder und ihre Untertanen eine Metamorphose durchgemacht. Sie tauschten ihre Farbe gegen dieses Silber. Deshalb wusste ich auch nicht sofort wer mich angreift. Aber als ich ihre Stimme vernahm war es mir klar.“
„Aber du hast dich nicht verwandelt, Horuscalestrasz.“, sagte Spaia.
„Nein, zumindest nicht ganz.“, nickte der Rote, „Nur hier und da habe ich silbrige Stellen. Warum ich aber nicht betroffen bin, das entzieht sich meiner Kenntnis. Du siehst es gibt viel zu klären.“
„Wichtig ist nur das du lebst, ewige Liebe.“, sagte Spaia sanft, „Alles andere wird sich finden.“
„Ja, aber es war denkbar knapp, Stern meines Himmels.“, sagte der Rote, „Viele meiner Untertanen sind bei der Verteidigung des Horts gefallen. Unser Überleben verdanken wir einzig der Tatsache, dass sich unsere Angreifer nach ihren zahlreichen Verlusten zurückgezogen haben. Aber ich fürchte sie werden wiederkommen.“
„Dann werden wir sie gebührend empfangen, mein Leben.“, sagte Spaia kämpferisch und schleuderte einen Feuerball gegen den Berg.
„Immer noch die alte Kämpferin, Spaiastraza?“, lachte Horuscal laut auf, „Doch all deine Macht wird dir nichts gegen diesen neuen irrealen Schwarm nützen.“
„Das werden wir sehen.“, knurrte Spaia.

„Es ist aussichtslos. Ich habe hier nur noch wenige, die den Hort verteidigen können. Viele sind gefallen, und die die überlebten, wurden von der Metamorphose betroffen. Sie stellten sich gegen uns. Es fiel uns nicht leicht sie alle zu töten.“, schüttelte Horuscal traurig den Kopf, „Nein, dieser Hort ist dem Untergang geweiht.“
„Dann verlass ihn!“, forderte ihn Spaia inbrünstig auf.
„Licht meines Lebens, das geht nicht.“, resignierte der Rote, „Sie würden mich überall finden.“
„Es gäbe eine Lösung.“, sagte Spaia bitter nach einigem Nachdenken.
„Welche?“, fragte Horuscal überrascht.
„Wie du siehst bin ich von den Veränderungen überhaupt nicht betroffen.“, erklärte Spaia zögerlich, da sie wusste das Horuscal ihr Plan nicht gefallen würde, „Vermutlich schützt mich meine momentane Gestalt.“
„Das wäre möglich.“, dachte Horuscal nach, „Aber du warst auch weit vom Hort entfernt. Außerdem haben es einige deiner jüngeren Brüder versucht in anderer Gestalt zu fliehen. Als die Metamorphose bei ihnen einsetzte, verwandelten sie sich automatisch zurück.“
„Der Fluch!“, entfuhr es Spaia. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz.
„Das muss es sei.“, sagte sie kopfnickend, „Ich kann mich ja nicht zurückverwandeln. Der Fluch verhindert dies.“
Horuscal sah sie entsetzt an.
„Spaiastraza!“, sagte er ernst, „Glaubst du wirklich, dass ich mich freiwillig in einem so schwachen Geschöpf für immer verstecken könnte?“
Spaia sah den großen Leviathan liebevoll an.
„Ja, mein Ein und Alles.“, sagte sie zärtlich, „Tue es für unsere Liebe.“
Horuscal wendete seinen Blick von ihr ab.
„Es wäre eine Lösung.“, flüsterte er, „Für uns.“
Er drehte sich abrupt Spaia zu.
„Gut, du kennst die Worte?“, fragte er.
„Ja, ich kenne sie.“, bestätigte Spaia.
„Dann sage sie mir ohne das Beschwörungsritual.“, bat der Drache.
Spaia sagte einige Worte in einer fremden Sprache.
„Ja, der Fluch der Verbannung von Kal’Minéi.“, nickte Horuscal nachdenklich. „Ich kenne ihn.“
Er senkte niedergeschlagen den Kopf.
„Aliasan hatte recht, es gibt keine Umkehrung, die er hätte kennen können.“, sagte er leise.
„Es gibt eine?“, fragte Spaia erstaunt.
„Ja, und wenn wir den Fluch auf mich anwenden, ist dir ein Zurück für immer versperrt.“, sagte der Rote bitter, „Aliasan konnte es nicht wissen, dass mich dieser Fluch so hart treffen würde.“
„Das Opfer bringe ich gerne für dich, Liebster.“, sagte Spaia ohne zu zögern.
„Wir müssten bis an das Ende unserer Tage in diesen Gestalten leben.“, resignierte der Rote.
„Das nehme ich mit dir zusammen gerne in Kauf, Gefährte meines Leben. Aber was hat das Zurück eigentlich mit dir zu tun?“, wollte Spaia nun wissen.
„Der Fluch kann durch einen Gegentrank aufgehoben werden.“, erklärte Horuscal nachdenklich, „Die wichtigste Zutat ist das Herz des Gefährten des Verfluchten.“
Spaia sah ihn mit weit aufgerissenen entsetzten Augen an.
„Dann ist der Weg mir jetzt schon verschlossen, mein Gefährte.“, sagte sie ruhig zu Horuscal, „Denn dieses Opfer würde ich nie zulassen.“
„Verzeiht, wenn ich mich einmische.“, sagte Gilluine plötzlich, „Es wäre auch sinnlos, wenn Spaia sich wieder zurückverwandeln würde. So wie ich es verstanden habe, würdest sie dann über kurz oder lang von der Metamorphose betroffen sein. Es ist besser sie bleibt so, wie sie nun ist. Was euch betrifft, Horuscal, so finde ich es wichtig, dass ihr euren Kampf mit allen Mitteln fortsetzt, und wenn ihr eure Drachengestalt aufgeben müsst.“
„Ja, ihr habt Recht, Mensch!“, donnerte die Stimme Horuscals machtvoll, „Der Rat und sein Meister müssen um jeden Preis gestoppt werden! Es darf keine weiteren Änderung der Realität geben!“
 
41. Flucht

Horuscal hatte sich entschieden. Sein Hort würde weiterkämpfen, auch wenn es einen herben Verlust bedeutete. Es war aber der einzige Weg. Sein Wissen sollte nicht verloren gehen, und die drohende Metamorphose durfte ihn nicht behindern. Er hatte alle seine verbliebenen Untertanen in die große Halle beordert. Die Pracht die Aliasan dort noch überwältigt, hatte war Vergangenheit. Vor dem nun rissigen Rubinpodest Horuscals standen ein paar Dutzend Drachlinge und eine Hand voll Drachen. Spaia stand neben Horuscal auf dem Podest. Ihre winzige Gestalt verschwand fast neben der Größe des roten Leviathans. Sie musterte den versammelten Hort. Wenn sie genau hinschaute so waren viele von ihnen bereits nicht mehr von rein roter Farbe.
„Drachen, Drachlinge!“, richtete er seine Stimme an die Versammelten, „Freude und Leid sind über mich gekommen. Freude, da meine Gefährtin Spaiastraza zu uns zurückgekehrt ist. Leid, weil sie mir gezeigt hat, dass ein großes Opfer gebracht werden muss, um unseren Kampf gegen die Silbernen des Rats fortzusetzen!“
Horuscal bemerkte, dass einige der Drachen Spaia argwöhnisch betrachteten.
„Ich habe unumstößliche Beweise, dass dies Spaiastraza ist.“, donnerte er den Zweiflern entgegen.
Er spuckte zur Erinnerung, wer hier der Herr ist, einen mächtigen Feuerstoß durch die Halle. Dieser verfehlte die Köpfe der Drachen nur um wenige Meter. Gilluine betrachtete das Schauspiel von der Seite der Halle. Der Feuerstoß Horuscal hatte ihr jetzt die gesamte beeindruckende Größe der Halle gezeigt.
„Bald wird der Rat uns wieder angreifen, und wir werden besiegt werden. Wir müssen diesen Hort verlassen. Sie werden uns allerdings suchen. Doch auch wenn sie uns nicht finden werden, so wird doch die Metamorphose unser Schicksal besiegeln. Das können wir nicht zulassen. Daher müssen wir diese stoppen. Hierzu gibt es nur einen unwiderrufbaren Weg. Ich werde mich in ein anderes Wesen verwandeln, einen Menschen. Spaiastraza wird dann einen Fluch über mich sprechen, der mir eine Rückverwandlung unmöglich macht. Damit habe ich meine Drachengestalt verloren, aber ich bin vor der Metamorphose geschützt. Mein Kampf kann dann weitergehen!“, rief er der Versammlung zu, „Ich werde dieses Opfer bringen! Ich fordere euch auf es mir gleich zu tun!“
Ein Raunen ging durch die Versammlung.
„Ändert nun eure Gestalt, wenn ihr an meiner Seite weiterkämpfen möchtet!“, rief er ihnen auffordernd zu.
Gilluine betrachtete das sich ihr bietende Schauspiel mit Widerwillen.
‚Noch mehr getarnte Drachen!’, dachte sie.
Wo vor kurzen noch rote schuppige Körper standen, sah sie nun eine bunte Sammlung aller Rassen Azeroths. Es waren Menschen, Zwerge, Nachtelfen, Orks, Tauren, Hochelfen und sogar einige Gnome zu sehen. Auf den Rubinpodest stand Horuscal. Seine menschliche Gestalt glich einem mächtigen König. Kraftvoll und majestätisch stand er hoch erhobenen Hauptes vor seinen Untertanen.
„Spaiastraza!“, forderte er die Magierin auf, „Tu es!“
Spaia richtete ihren Stab auf ihn. Ein lila Licht hüllte Horuscal ein. Sie sprach die Beschwörungsworte. Horuscal lies einen lauten Seufzer hören.
„Nun alle anderen!“, rief er ihr zu.
Einen nach dem anderen traf Spaias Fluchstrahl.
„Es ist vollbracht, unser Gebieter.“, sagte sie geschwächt von der Anstrengung.
„Nun zieht euch zurück, und trefft die Vorbereitungen den Hort zu verlassen.“, befahl Horuscal.
Die Versammlung löste sich auf. Die ehemaligen Drachen verließen die Höhle.

Horuscal empfing Spaia und Gilluine in seiner ehemaligen Privathöhle.
„Nun, es scheint mir hier jetzt alles eine Nummer zu groß zu sein.“, scherzte Horuscal gequält, als er die große Kaverne betrachtete.
Er drehte sich zu den beiden Frauen um. Er hatte sich in eine prachtvolle rubinrote Robe gekleidet. An seinen goldbestickten Gürtel hatte er ein eindrucksvolles Schwert befestigt. Seine Klinge sah wie eine Drachenflamme aus. Auf seinem feuerroten Haaren trug er eine goldene Krone, die aus verschlungenen Drachen mit Rubinen als Augen gebildet war.
„Was nun, meine wieder gewonnene Gefährtin?“, fragte er die Magierin.
„Das vermagst nur du zu entscheiden, mein König.“, sagte sie.
„Eine Sache wüsste ich vorher noch gerne von dir.“, sagte Horuscal stirnerunzelnd, „Warum bist du und diese Paladin zu mir gekommen?“
„Ich habe gehofft du könntest uns helfen.“, sagte die Magierin verlegen.
„Helfen? Wobei?“, wunderte sich Horuscal.
„Die Paladin suchte mich auf, um meine Hilfe zu erbeten.“, erklärte Spaia, „Sie musste einen Drachen finden. Aber vielleicht sollte dir Gilluine selbst die Geschichte erzählen.“
Gilluine hatte sich in einiger Entfernung auf den Boden gesetzt. Sie stand auf und trat zu den beiden ehemaligen Drachen. Sie erzählte Horuscal, von den Ereignissen in Sturmwind und ihrem Auftrag.
„Hm, Onyxia.“, murmelte Horuscal.
„Ja, sie.“, zischte Spaia.
„Aber wieso hilfst du ihr dabei, Wonne meines Lebens?“, sagte er mit einem ernsten Blick zu Spaia.
„Pracht unseres Horts…“, begann Spaia und zögerte.
Horuscals Blicke bohrten sich fragend in die Magierin.
„Das ist eine lange Geschichte.“, seufzte sie.
„Ich will sie hören. Ich denke die Zeit haben wir noch.“, beharrte Horuscal.
„Ich habe dir schon erzählt, mein wundervoller Gefährte, dass Aliasan mich mit sich nahm.“, begann sie zu erzählen, „Er war wirklich sehr gut zu mir. Über all die vielen Jahre, wo ich fern deiner Liebe war, habe ich mich ihn geöffnet. Zuerst war ich nur sein Lehrling. Doch schon bald seine Assistentin und Vertraute. Da aber mein Herz nur dir gehörte, blieb meine Lust nach Nähe unbefriedigt. Aber Aliasan fühlte meine Leere. Er versuchte mich immer zu trösten, obwohl es sein Werk war, dass mich verdammte.“
„Wärst du doch nur früher zurückgekehrt, meine Liebste.“, seufzte Horuscal mit einem Schulterzucken.
„Ja, mein Leben, und dann?“, sagte Spaia verzweifelt, „Als Mensch ständig hier unter Drachen zu leben, und zu wissen nie wieder einer sein zu können? Nein, diese Qual wäre zu groß gewesen.“
Horuscal blickte seinen Körper an und nickte zustimmend den Kopf, „Ja, das verstehe ich nun.“
„Deshalb suchte ich Halt bei dem einzigen Wesen, dass ich gut kannte.“, erzählte Spaia weiter ihre Stimme klang traurig, „Dann, eines Tages, erzählte mir Aliasan, warum er damals in Xeromantius’ Dienste getreten war. Er wollte Informationen über einen Drachen. Er nannte ihn Locutian.“
„Locutian?“, sagte Horuscal überrascht, „Was wusste er von diesem Locutian?“
„Sagt dir der Name etwas, Geliebter?“, fragte Spaia nach.
„Ja, Spaiastraza.“, bestätigte ihr Horuscal, „Er war ein Mitglied des Rates. Er war der einzige Drache im Rat der dem schwarzen Schwarm anzugehören schien, bevor er plötzlich verschwand.“
„Dem schwarzen Schwarm von Todesschwinge?“, sagte Spaia leise.
„Ja.“, bestätigte Horuscal knapp in Spaias Richtung. Er deutete mit einem Kopfschüttel auf Gilluine. Es schien so, als würde er ihr diese Information vorenthalten wollen.
„Hm.“, wunderte sich Spaia, „Das könnte die Verbindung sein.“
„Wie meinst du das?“, wollte Horuscal wissen, „Was wusste der Elf?“
„Aliasan hörte bevor er zu Xeromantius kam von Locutian.“, erzählte Spaia weiter, „Er hatte Berichte von unglaublichen Fähigkeiten des Drachens gehört, und wollte diesen auf den Grund gehen. Doch innere Unstimmigkeiten innerhalb des Rats der Kirin Tor hielten ihn von einer direkten Untersuchung ab. Er hatte jedoch einige spärliche Informationen über Locutian und seine Äußerungen. Deshalb machte er sich auf die Suche nach anderen Drachen, die die Fähigkeiten Locutians hatten.“
„Was für ein scharfer Verstand.“, wunderte sich Horuscal, „Nur auf Grund von Indizien zu Xeromantius zu finden.“
„Ja, Aliasan war sehr klug und gebildet.“, sagte Spaia traurig, „Er fand also Xeromantius. Die weiteren Ereignisse sind dir bekannt, mein Trost.“
„Ja.“, nickte Horuscal, „Aber was passierte danach?“
„Wir begaben uns auf eine lange Reise durch Kalimdor und später durch Azeroth.“, erzählte Spaia weiter, „Schließlich lies wir uns in einem einsamen versteckten Haus nieder, das Aliasan als Zuflucht vorbereitet hatte. Es lag zwischen Karazhan und Sturmwind im Dämmerwald. Er meinte es sei ideal für seine Studien, da es auf der gewaltigen Leylinie lag, die das magieerfüllte Karazhan mit der Kathedrale des Lichts verband.“
„Ich staune immer mehr über den Elf.“, sagte Horuscal, „Kein Wunder, dass er mich überlisten konnte.“
Spaia nahm Horuscal zärtlich bei den Händen.
„Ja, er war außergewöhnlich. Aber du bist es auch, Größe unseres Horts.“, schmeichelte sie ihn.
Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Der einst mächtige Drache errötete.
„Ich muss noch viel über Menschen lernen.“, sagte er schüchtern.

„Aber nun weiter, Spaiastraza.“, sagte Horuscal und riss sich von ihr los.
„Wie du wünscht, Liebster.“, fuhr Spaia fort, „Eines Tages kam Aliasan zu mir und sagte, dass er Locutian gefunden hätte. Er stellte eine Söldnertruppe zusammen. Sie sollte nur zu unserem Schutz dienen, damit er den Drachen in Ruhe erforschen könnte. Wir reisten in das Gebiet, in dem sich Locutian aufhielt. Zuerst verliefen die Studien friedfertig. Wir hielten Abstand, und Locutian bemerkte uns nicht. Doch eines Tages kam ihn einer der Söldner auf der Jagd zu nahe. Er griff an. Noch bevor Aliasan oder ich eingreifen konnte, stürmten alle Söldner auf den Drachen um ihren Kameraden zu helfen. Locutian fiel.“
Ein langer Seufzer entfuhr Horuscal, „Ein trauriges Ende.“
„Ja, aber er war bereits vorher nicht mehr Herr seines Geistes.“, erklärte Spaia, „Er war hoffnungslos verrückt. Das konnten wir in den Tagen vorher beobachten. Es war vielleicht eine Erlösung für ihn.“
„Ich wunder mich…“, begann Horuscal.
„Was, mein Gebieter?“, sagte Spaia.
„Nichts, nichts. Vielleicht ist es nur ein Zufall.“, wiegelte er ab.
„Wie du meinst.“, nickte Spaia verständig, „Aliasan nahm die Essenz des Schwarzen und die Schuppe an sich. Die Leiche Locutians lies er würdevoll verbrennen. Sie sollte nicht der Fraß der Aasgeier werden.“
„Immerhin wusste er Drachen zu ehren.“, nickte Horuscal.
„Ja, er war sehr kultiviert.“, stimmte Spaia zu, „Als wir wieder zurück in unserem Haus waren, begann Aliasan mit der Schuppe und der Essenz zu experimentieren. Er benötigte aber eine seltene Reagenz uns schickte mich auf die Suche nach dieser.“
Spaia stockte. Tränen begannen ihre Wangen herunterzulaufen.
„Meine einzige Gefährtin, was ist mit dir?“, sorget sich Aliasan.
Spaia wischte die Tränen mit den Ärmeln ihrer Robe ab.
„Sorge dich nicht, Trost meiner Tränen.“, beruhigte sie ihn, „Es ist nur eine dumme menschliche Gefühlsreaktion.“
Horuscal nickte verständnisvoll.
„Als ich von meiner Reise zurückkam, fand ich unser Haus zerstört vor.“, fuhr die Magierin mit ihrer Erzählung fort, „Ich erkannte sofort an den Kampfspuren, dass es Drachen gewesen sein mussten. Von Aliasan war nichts zu sehen. Ich wähnte ihn tot.“
„War er es nicht?“, warf Horuscal ein.
„Nein, wie ich später erfuhr, konnte er sich wegteleportieren.“, erklärte Spaia, „Doch irgendwas ging schief. Er wurde in eine andere Welt portiert.“
„Eine andere Welt?“, stutzte Horuscal, „Die Scherbenwelt? Wie kam er zurück?“
„Nein, er nannte sie Mittelerde.“, sagte Spaia, „Er konnte mit Hilfe eines mächtigen Zauberers von dort zurückkehren, erklärte er mir, als wir uns nach seiner Rückkehr zufällig in den Pestländern trafen. Er war gerade mit seiner Tochter unterwegs nach Silbermond. Verzeih mir mein Einziger, aber die Abenteuer Aliasans in Mittelerde würden zu lange zum Erzählen dauern.“
„Gut, dann nur das, was nach seiner Rückkehr geschah, Spaiastraza.“, stimmte Horuscal ihr zu.
„Er lies sich für einige Zeit in Silbermond nieder.“, erzählte sie weiter, „Wir unterhielten eine lose Korrespondenz. Eines Tages schrieb er, dass er nach Tanaris gehen müsste, um Nachforschungen anzustellen. Ich vermutete, dass er unterwegs zu dir war, Geliebter.“
„Nein, er war nicht hier.“, schüttelte Horuscal den Kopf.
„Ja, er wurde vorher getötet.“, sagte Spaia und lies den Kopf hängen.
„Wer hat ihn getötet?“, wollte Horuscal wissen.
„Onyxia!“, flüsterte Spaia.

Horuscal wog die Informationen Spaias lange ab. Er sinnierte so tief, das Gilluine den Eindruck hatte er hätte das Bewusstsein verloren. Sie verstand sowieso nur sehr wenig von dem, was die beiden Drachen sich zu erzählen hatten, aber nun wusste sie den Grund warum Spaia auch hinter Onyxia her war. Sie konnte Spaia sogar verstehen.
‚Vermutlich wäre ich auch auf Rache aus, wenn jemand meinen Mentor Fingolf Darnwacht ermordet hätte.’, dachte sie kühl.
Spaia betrat die Höhle wieder. Sie hatte etwas Fleisch, Brot und einen Krug Wasser in der Hand.
„Viel ist es nicht.“, sagte sie, als sie Gilluine etwas davon abgab, „Ein Drachenhort ist kein Gasthaus.“
Gilluine besah sich das Dargebotene. Ihr Hunger diktierte ihr, nicht allzu wählerisch zu sein. Sie nahm das Essen mit einem kurzen Dank an. Mit vorsichtigen Bissen begann sie zu essen.
„Danke.“, nickte sie Spaia zu, „Schmeckt nicht ganz so übel wie es ausschaut.“
„Es mag alles ein Zufall sein.“, murmelte Horuscal plötzlich, „Aber wir müssen es untersuchen.“
„Was haben deine Überlegungen ergeben, mein Gefährte.“, wollte Spaia wissen.
„Nun, es kann purer Zufall gewesen sein, dass ein schwarzer Drache ihn tötete.“, erklärte er, „Doch glaube ich nicht daran. Onyxia musste einen Grund gehabt haben.“
„Welcher hätte das sein können?“, fragte Spaia ihn.
„Es gäbe zwei Gründe.“, fuhr Horuscal fort, „Der einfachste wäre, dass Onyxia einfach nur vom Tot eines schwarzen Drachens erfahren hatte, und sich dafür an Aliasan rächen wollte. Die bei weiten konsequentenreichere wäre, dass Onyxia und ihr Bruder in Verbindung mit dem Rat und seinem Meister gebracht werden könnten.“
„Du meinst To…“, fing Spaia an, aber Horuscal schüttelte schnell den Kopf. Sie schwieg.
„Ja, das wäre die schlimmste Annahme.“, sagte Horuscal leise, „Doch wie …“
Eine Nachtelfe in Kriegerrüstung kam in die Kammer gestürzt.
„Herr! Wir werden angegriffen!“, sagte die Elfe.
„Ich habe befürchtet, dass wir wenig Zeit haben.“, murmelte Horuscal, „Aber dass es so wenig wäre, das hätte ich nicht gedacht. Nun ist alles aus.“
Er machte einen geknickten Eidruck. Aber als er sah, wie kämpferisch ihn die Elfe und die beiden Menschen ansahen, erwachte sein eigener Kampfgeist erneut. Er richtete sich majestätisch auf, wie ein König der mit seinen Truppen in die Schlacht zieht.
„Wie ist die Lage, Kerthorestresza?“, wollte Horuscal wissen.
„Der Feind ist in der offenen Flanke des Berges gelandet.“, erklärte die Nachtelfe, „Wir haben uns alle zurückgezogen, weil wir ihnen sicherlich dort keinen Widerstand hätten leisten können. Der gesamte Hort ist vor euren Gemächern in Stellung gegangen. Wir werden euch verteidigen bis zum Tot, mein Gebieter.“
„Sie wollen einen Kampf?“, rief Gilluine plötzlich, „Fein! Den sollen sie bekommen!“
Spaia und Horuscal schauten die Paladin beide fragend an.
„Nicht so schnell, Kommandantin.“, hielt sie Horuscal auf, „Eure Mut ehrt euch, doch es wäre ein sinnloses Opfer. Wir müssen die Verteidigung sorgfältig planen.“
„Ja, du hast Recht, Wissen des Horts.“, pflichtete ihn Spaia zu, „Sie wäre nur ein Opfer. Aber verzeih, dass ich dir nicht zustimme, dass wir uns hier verteidigen. Es ist besser zu fliehen.“
„Du hast einen Plan, Klügste meines Horts?“, sah sie Horuscal fragend an.
„Naja, ich bin nicht umsonst Magierin.“, lachte Spaia, „Und Aliasan war einer der besten Lehrer die die Kirin Tor besaßen. Los, lass alle hierher kommen. Ich porte uns alle außer Gefahr.“
„Kerthor, du hast es gehört.“, befahl er der Nachtelfe, „Bring den Hort hierher!“
„Es sei, wie ihr es wünscht, mein Lord.“, nickte die Elfe und verlies die Kammer.
Spaia begann den Zauber für das Portal zu wirken.
„Ich hoffe ich kann uns an einen neutralen Ort bringen.“, flüsterte sie unter der Anstrengung, „Der Hort beherbergt nun viele in Azeroth verfeindete Rassen.“
Durch den Eingang zur Privathöhle Horuscals strömte nun der gesamte verbliebene Hort.
„Schnell, durch das Portal!“, befahl Horuscal.
Einer nach dem anderen durchschritt das Portal, in dem eine kleine Siedlung aus runden weißen Lehmhütten zu sehen war. Gilluine schloss sich ihnen an.
„Geh, mein Liebster.“, sagte Spaia schwach, „Ich folge dir.“
Horuscal nickte stumm, und durchschritt das Portal. Spaia brach den Zauber ab. Vom Gang her hörte sie bereits flüsternde Stimmen.
‚Ich muss sie auf eine falsche Fährte lenken.’, dachte sie.
Sie wirkte einen Gegenzauber auf das Portal. Es begann sich zu schließen. Mit ihren letzten Manavorräte öffnete sie ein weiteres Portal. Eine karge Hügellandschaft war darin zu erkennen. Das erste Portal war nun fast zu klein, als dass sie aufrecht hindurch gehen hätte können. Mit einem Sprung hechtete sie in das verschwindende Portal. Ihr wurde schwarz vor Augen.
 
42. Hass

Sie versuchte nicht an die vergangenen Geschehnisse zu denken. Zulange hatte sie um den Verlust bereits getrauert. Nachdenklich ging sie durch das verwüstete und verpestete Land. Wo früher die prachtvollen Wälder und Parklandschaften von Quel’Thalas waren, gab es nur noch Fäulnis und Tod. Lange hatte sie überlegt, was sie als Nächstes tun sollte. Nichts konnte sie nun mehr zur Eile antreiben. Da sie ohnehin vollkommen ihrer jetzigen Situation hilflos ausgeliefert war, und keinen Ausweg daraus sah. Trotzdem hatte sie sich etwas vorgenommen. Sie wollte Quel’Thalas und Silbermond nach Überresten der einstmaligen Hochkultur der Elfen absuchen. Sie konnte es sich aber nicht erklären, warum es sie dorthin zog. Sie hatte nie eine besondere Verbindung zu den Bewohnern dort aufbauen können. Aber es war dem Begriff Heimat am nächsten. Trotzdem traf sie die Verwüstung Silbermonds, die sie sah, wie ein Schock. Nichts war mehr übrig von den prachtvollen weißen Bauten und ihren grazilen Türmen, außer einem traurigen und düsteren Haufen Schutt und Asche.
Von der Nordspitze Quel’Thalas blickte sie nun über das Meer. Die Halbinsel mit den Sonnenbrunnen leuchtete nicht mehr. Von der Höhe eines Kliffs sah sie auf den gewaltigen Krater hinüber, der einst die arkane Kraftquelle der Hochelfen war. Sie fröstelte. Es war ein Gefühl, das sie eigentlich gar nicht besitzen sollte, doch war der Geist vielleicht stärker, als das Fleisch, das sie nicht mehr besaß. Sie sah ihre Hände bei dem Anblick zittern. Sie waren zwar nur Schemen ihrer ehemaligen zarten Hände mit ihren eleganten feingliedrigen Fingern, aber sie erkannte sie als ihre. Es war auch eine Verbesserung wieder einen Körper zu sehen. Nachdem ihr Geist nicht mehr in ihren Körper zurück konnte, trifftete sie lange als lose zusammenhängende Gedanken durch die Welt. Allmählich aber nahmen die Gedanken eine Gestalt an. Ihr Geist diktierte die Form. Es überraschte sie daher nicht, dass sie eines Tages wie ein Schemen ihres einstigen Körper durch die Lande von Quel’Thalas ging.
Sie wandte sich von der zerstörten Insel des Sonnenbrunnens ab, und lies sich die Klippe hinab zum Strand fallen.
‚Ein Vorteil wenn man ein Geist ist.’, dachte sie, ‚Man muss nicht auf Verletzungen achten’
Sie ging den Strand in Richtung Südosten entlang. Sie zog es vor am Strand entlang zu gehen. Die Verwüstungen wären dann nur auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sprach ihr das Meer mit seiner Kraft und scheinbaren Unendlichkeit Mut zu. Sie wäre gerne eingetaucht in die sanfte Umarmung der Wellen, aber ihr Geistkörper lies ein Untertauchen nur sehr mühsam zu. Daher wandelte sie meistens über den Wassern.

Der Tag ging zu Ende. Die Sonne versank als große rot flimmernde Scheibe im Meer. Ihr Geistkörper benötigte weder Schlaf noch Nahrung. Den Ablauf der Zeit nahm sie nur noch nebensächlich wahr. Sie ging weiter den Strand entlang. Sie überquerte die Mündung des Elrendars. Die Nacht war finster und mondlos, doch die Schatten der Nacht stellten für sie keine Gefahr mehr dar. Als der Morgen dämmerte blieb sie plötzlich stehen. Vor ihr erhob sich ein mehr als vertrauter Anblick. Wie durch ein Wunder war der Windläuferturm, der sich an die Steilküste vor ihr anschmiegte, fast unbeschädigt. Die Horden der Geißel hatten ihn wohl geplündert, da sie vor sich allerlei Mobiliar und sonstigen Wohnrat wüst am Strand liegen sehen konnte, aber das Bauwerk selbst machte einen intakten Eindruck. Sie zögerte. Erinnerungen stiegen in ihr auf. Es waren Erinnerungen an die schönen Tage, die sie hier verbracht hatte. Sie ging langsam auf den Turm zu. Sie erstarrte. Etwas bewegte sich auf den Plattformen und Verbindungsstegen des Turms. Sie konnte es aus dieser Entfernung nur undeutlich sehen, aber es schienen humanoide Wesen zu sein.
‚Bis jetzt habe ich kein Wesen gesehen.’, überlegte sie.
Es war ihr gleich nach den traumatischen Ereignissen um ihren Tot aufgefallen. Wo es vorher noch von Kriegern und Ghuls der Geisel wimmelte, sah sie nur noch leere Straßen und Plätze. Ab und zu bildete sich ein Schemen wahrzunehmen. Doch waren diese verschwommen und unklar. Sie verließ Stratholm damals so schnell sie es konnte, und machte sich auf den Weg nach Quel’Thalas. Doch nun sah sie eindeutig humanoide Wesen auf dem Turm. Ihre Neugier siegte, über das beklemmende Gefühl, dass in ihr aufwogte.
Sie verlies den Strand und ging durch die Dünen in Richtung des Pfades, der die Steilküste hinauf zum Eingang des Windläuferturmes führte. Sie sah die skelletierten Überreste gefallener Waldläufer. Einige mussten es wohl bis hierher geschafft haben.
‚Vielleicht hofften sie, dass der Turm ihnen Schutz bieten würde.’, dachte sie bitter, und verbeugte sich vor den Gefallenen.
Sie folgte dem steilen Pfad zum Eingangstor. Das Tor und sein Inneres wiesen deutlich Kampfspuren auf. Sie sah weitere gefallene Waldläufer. Sie trat durch das Tor auf die obere Plattform. Sie erschrak. Vor ihr schwebten geisterhafte Gestalten. Sie sahen wie gequälte Zerrbilder von Hochelfen aus. Die Haare standen wild vom Kopf ab. Ihre Gesichter waren eine einzige Maske von Zorn und Hass. Die Hände endeten in langen krallenbewehrten Fingern. Sie trugen Gewandfetzen, die um den geisterhaften Körper wehten. Sie konnte keine Füße an den Körpern erkennen.
Sie ging zögernd weiter, um sich eine der Gestalten näher zu betrachten. Da hörte sie hinter sich ein wildes Zischen. Sie fuhr herum. Eine der Gestalten hatte sich ihr in ihrem Rücken genähert. Sie kam eindeutig auf sie zu. Sie musste sie sehen können. Instinktiv wich sie dem Angriff aus. Die Krallenhand der Geisterelfe verfehlte sie nur knapp. Die Gestalt gab einen schrillen Schrei von sich. ‚Sie sehen mich und ich kann sie hören.’, dachte sie überrascht.
Weitere Gestalten schwebten auf sie zu. Sie ging in Verteidigungshaltung. Die Gestalten umzingelten sie. Eine nach der anderen hieb auf sie ein, doch sehr zu ihrer Überraschung fuhren die scharfen Krallen ereignislos durch sie hindurch.
‚Ich muss versuchen mit ihnen zu sprechen.’, dachte sie, ‚Ich werde es versuchen.’
Sie bemühte sich Worte zu sagen. Aber genauso wie ihre Geisterhände keine realen Gegenstände bewegen konnten, so vermochte ihr Mund auch nicht die Luft für die Worte zu bewegen.
‚Es muss gehen.’, dachte sie angestrengt, ‚Ich höre sie ja auch. Wenn ich nur denken könnte.’
Ein Gedankenblitz durchzog sie.
‚Vielleicht hilft es, wenn ich mir denke zu sprechen.’, kam es ihr in den Sinn.
Sie konzentrierte sich, so gut sie es im Ansturm der wüteten Gestalten konnte.
„Hal… tet… ein!“, sagte sie mühsam.
Die Geisterelfen stoppten ihren Angriff. Sie blickten sich untereinander an. Eine kam auf sie zu.
„Wer bist du, dass du uns befiehlst?“, sagte die Gestalt mit einer tonlosen hohlen Stimme.
„Ich bin … war … Gilmenel Mindmaker, persönliche Adjutantin von Sylvanas Windläufer.“, sagte Gilmenels Geist.
„Du dienst unserer Herrin?“, sagte die Gestalt erstaunt, „Aber du bist keine von uns?“
‚Herrin?’, dachte Gilmenel und erinnerte sich zurück an ihre Begegnung mit der Banshee Sylvanas Windläufer. Diese Gestalten hatten eine gewisse Ähnlichkeit mir der Banshee.
„Ja, ich diene ihr.“, sagte sie und dachte für sich, ‚Aber auf eine andere Weise als du denkst.’
„Du bist aber keine Banshee.“, zweifelte die Gestalt.
„Nein, die Herrin hatte andere Pläne für mich.“, sagte Gilmenel, „Die Herrin will, dass ich ihr einen Bericht überbringe, wie es hier steht. Prinz Arthas wünscht von ihr eine genaue Aufstellung der Kräfte.“
„Ich führe hier die Schwestern.“, sagte plötzlich eine der versammelten Banshees, „Ich erinnere mich an dich. Wir trafen uns im Kerker von Stratholm, bevor unsere Herrin dich in ihre Dienste nahm. Wenn unsere Herrin dich schickt, so haben wir zu gehorchen.“
‚Zum Glück hat sie dir nicht gesagt, dass sie gescheitert ist.’, dachte Gilmenel erleichtert.
Die Banshee deutete eine Verbeugung vor Gilmenel an.
„Gut.“, nickte Gilmenel der Banshee zu, „Dann berichte mir.“
„Nachdem ich von der Herrin von meinem schwachen fleischlichen Dasein erlöst wurde, schickte sie mich hierher.“, erklärte die Banshee, „Ich versammelte alle Schwestern, die bereits in der Schlacht die Gnade gefunden hatten dem Lich-König zu dienen, hier am Turm. Seitdem verteidigen wir den Turm auf Geheiß unserer Herrin vor jeden. Niemand hat es bis jetzt geschafft, lebend durch das Tor zu gelangen. Wir werden hier wachen bis uns die Herrin weitere Anweisungen gibt.“
Die Banshee fuhr mit ihrem Bericht fort. Sie gab Gilmenel eine genaue Aufstellung ihrer Stärke und weiterer strategischer Daten. Gilmenel hörte ihr nicht zu. Ab und an nickte sie ihr zustimmend zu. Ihre Gedanken kreisten um Sylvanas Windläufer.

„Das ist alles.“, beendete die Banshee ihren Bericht.
„Gut, gut.“, murmelte Gilmenel abwesend, „Das ist ausreichend. Ich werde der Herrin euren Bericht so schnell wie möglich überbringen. Sie wird zufrieden sein.“
Sie drehte sich um und ging langsam und möglichst unauffällig zum Zugangstor des Turmes. Eine Gruppe mit drei Banshees kam ihr entgegen. Gilmenel nickte ihnen zu uns ging langsam weiter. Eine der Banshees sah sie fragend an.
„Die Grüße der Herrin.“, grüßte Gilmenel sie, und hoffte die Formulierung wäre unverfänglich.
Die Banshee nickte ihr zu, und zog mit ihren Begleiterinnen weiter. Gilmenel beschloss nun etwas zügiger zu gehen. Sie hörte wie sich die neuangekommene Banshee mit der Anführerin unterhielt.
„Du Närrin, die Herrin hat momentan keine Adjutantin.“, kreischte die Neue.
Ein wildes Geheul branntete hinter Gilmenel auf. Die Banshees hatten ihr zwar nichts antun können, trotzdem fürchtete Gilmenel, dass sie nicht all ihre Möglichkeiten verwendet hatten. Gilmenel ergriff zum ersten Mal in ihrer neuen Daseinsform Furcht. Sie lief, wie sie es seit ihrem Tot noch nie getan hatte, und hoffte, dass die Banshees bald die Verfolgung aufgeben würden.
Sie lief durch die verseuchten Überreste der Wälder von Quel’Thalas, und blickte sich um. Die Banshees folgten ihr immer noch. Es waren aber nicht alle Banshees des Turms. Sie konnte sechs von ihnen erkennen. Die Neue hatte die Führung übernommen.
‚Das kann noch lange dauern.’, dachte sie, als sie ohne jede Erschöpfung, die ihr ein Körper mittlerweile diktiert hätte, weiter durch die Wälder rannte.
Sie achtete nicht auf die Richtung ihrer Flucht. Von Zeit zu Zeit drehte sie sich zu ihren Verfolgerinnen um. Sie war nun tief im östlichen Quel’Thalas. Als sie sich umschaute, sah sie, wie die Banshees stehen blieben.
‚Na endlich.’, freute sich Gilmenel, als sie plötzlich etwas festhielt.
‚Haben die Banshees mich doch gefangen?’, dachte sie niedergeschlagen.
Sie schaute sich erschrocken um. Erst jetzt sah sie die Holzhütten und Totems.
‚Waldtrolle!’, fuhr es entsetzt durch ihre Gedanken.
Sie hatte von den Ureinwohnern Quel’Thalas gehört. Deneathor hatte ihr viele Schauergeschichten über sie erzählt. Die Hochelfen hatten sie bei der Besiedlung Quel’Thalas bis in den äussersten Südosten zurückgetrieben. Es fanden sich viele Berichte über Kriege und Kämpfe mit den Waldtrollen, die es den Hochelfen nie verziehen hatten, dass diese Silbermond über eine ihrer heiligen Grabstätten gebaut hatten.
Gilmenel schaute sich um. Die Hütten sahen unbewohnt aus. Manche waren nur noch Ruinen.
‚Die Geißel muss auch unter den Trollen gewütet haben.’, kam es ihr in den Sinn.
Sie versuchte sich wieder zu bewegen. Sie konnte es nicht. In ihrem Augenwinkel sah sie, wie sich die Banshees entfernten.
‚Naja, wenigstens etwas.’, dachte sie ein wenig erleichtert.
Sie betrachtete das Konstrukt das sie festhielt. Es war ein einfaches Netz aus grobfaserigen Tauen, das zwischen zwei Totems aufgespannt war. Totenschädel, Federn, Tücher, Lederfetzen, Tierpfoten und anderes hingen scheinbar wie wahllos im Netz und an den Totems. Je mehr sie sich bewegte, desto fester schien sie das Netz zu halten.
‚Ich wünschte, die Banshees hätten mich erwischt.’, dachte sie resigniert, ‚Dann wäre vielleicht alles endlich aus.’
Ein Troll kam aus einer der Hütte geschlendert. Er trug einen Wolfskopf als Helm. Seinen einfachen ledernen braunen Umhang zierte ähnlicher Krimskram, wie er an dem Netz hing. Er hatte einen Zauberstab in der Hand, an dem viele bunte Federn befestigt waren. Er wedelte ruhig mit dem Stab vor sich in der Luft.
‚Er kommt hierher!’, staunte Gilmenel, als sich der Troll sich ihr näherte.
Der Troll zog mit seinem Zauberstab einen Kreis um das Netz in den Staub des Bodens. Er schüttelte den Stab in Gilmenels Richtung. Ein kurzes Funkeln war über den Kreis zu sehen.

„Was wir haben da im Geisterfänger, Mann.“, sagte der Troll entspannt, „Ah, Elfengeist.“
Er machte eine weitere Bewegung mit seinen Zauberstab und murmelte einige unverständige Worte. Gilmenel spürte, wie der Griff des Netzes schwächer wurde.
„Nun du können dich wieder bewegen, Elfe.“, sagte der Troll, „Aber tu nicht versuchen, den Kreis zu übertreten.“
„Danke.“, sagte Gilmenel.
„Du nicht müssen danken Gron’Etek.“, sagte der Troll finster, „Du nicht wissen, was dich noch erwartet, ey.“
Gilmenel Geisterkörper durchfuhr ein Zittern.
„Ja, Angst.“, nickte Gron’Etek ihr mit einem sadistischen Grinsen zu, „Angst ist gut. Schamane wird rächen seinen Stamm an dir.“
„Rache?“, sagte Gilmenel erstaunt, „Ich habe deinem Stamm nichts angetan.“
„Elfen schuld an allem.“, schüttelte der Troll seinen Kopf mit den langen weißen Hauern, „Erst ihr nehmen uns Land und dann lockt große üble Mojoquelle von euch auch noch für euch zu mächtigen Feind an.“
„Aber… aber… “, stotterte Gilmenel aufgeregt, „Die Hochelfen sind alle tot.“
„Ja, gut so, Mann.“, kicherte der Schamane irr, „Doch leider auch Trolle fast vernichtet durch Größenwahnsinn der verhassten Elfen.“
Gilmenel konnte ihm insgeheim nur zustimmen. Sie selbst hatte es am eigenen Leib erfahren müssen, zu was diese Gesellschaft der Hochelfen fähig war, als ihr Vater in Ungnade gefallen war. Hätte sie nicht Hochelfen wie Denathor und ganz besonders Sylvanas kennengelernt, würde sie den Hochelfen keine Träne nachweinen.
„Ja, da hast du sicherlich nicht ganz Unrecht, Gron’Etek.“, stimmte sie ihm daher zu.
„Du wollen mir nur schmeicheln, ey, um dein Schicksal zu verhindern.“, sagte der Troll.
„Meinst du es gibt ein schlimmeres Schicksal als dieses hier.“, blaffte sie ihn an und lies ihre Hände an ihrem Geisterkörper entlang fahren, „Los, mach was immer du willst. Es ist mir alles egal.“
„Du haben keine Angst vor Schmerzen und Tot?“, stutzte Gron’Etek.
„Schmerzen? Ich habe viel größere Angst und Schmerzen im wirbelnden Nether durch Sargeras gespürt, als du sie mir je zufügen könntest.“, schnaubte Gilmenel Gron’Etek verächtlich an, „Tot? Er ist mir willkommen!“
„Du waren im Nether?“, schüttelte der Schamane den Kopf.
„Ja, und deine lächerliche Falle ist ein bedeutungsloses Nichts zum Mahlstrom Sargeras’, dem ich entkommen bin.“, verspottete sie ihn.
Gron’Etek setzte sich mit verschränkten Beinen vor den Kreis. Er stützte seinen Kopf in die Hände.
„Du mir müssen mir alles erzählen über den Mahlstrom, Mann.“, sagte er neugierig.
„Warum sollte ich?“, sagte Gilmenel stolz.
„Ich dich dann freilassen, ey.“, versprach der Schamane.
„Ich kann jederzeit deinen lächerlichen Bankreis verlassen.“, entgegnete sie ihn, und hoffte dass sie nicht zu hoch spielte.
„Ich dir fast glauben.“, nickte der Troll, „Vielleicht ich dir dann sagen, wie du wieder kommen in deinen Körper.“
Gilmenel schaute den Troll überrascht an.
‚Gibt es eine Möglichkeit?’, hoffte sie.
„Ah, siehst du, du wollen wieder leben.“, nickte der Troll mit einem breiten Grinsen.
„Nun gut, ich erzähle dir über den Mahlstrom und Sargeras alles, was ich weis.“, antwortete sie den Troll, und begann ihm ihre Eindrücke zu erzählen.

„Ah!“, rief Gron’Etek als sie ihre Geschichte beendete, „Sehr beeindruckend, ey.“
„So, ich habe dir alles erzählt.“, sagte Gilmenel zu dem Troll, „Nun lass mich auch frei, wie du es mir versprochen hast.“
„Freilassen? Mann, du musst zuviel Mojo getrunken haben.“, verhöhnte sie der Troll, „Nun bist du zu wertvoll für mich geworden. Du warst im Nether. Ich können dich für Viel verwenden.“
‚Dieser lächerliche Troll!’, kochte die Wut in Gilmenel hoch, ‚Wenn ich noch singen könnte, dann…’
Ohne dass sie weiter darüber nachgedacht hätte stieg eine finstere Melodie in ihren Gedanken auf. Sie versuchte nicht sie zu singen. Sie war selbst die Melodie. Ihr Körper verfinsterte sich. Ein Sturm schien durch ihre Haare zu wehen. Sie breitete die Arme aus. Blitze zuckten von ihren Fingern.
Gron’Etek sprang auf. Er wedelte mit seinen Zauberstab vor Gilmenel in der Luft.
„Böses Mojo! Böses Mojo! Verschwinde!“, rief er ihr aufgeregt entgegen, und hüpfte von einen Fuß auf den anderen.
„Du kleiner nichts bedeutender Schamane nun spüre die Macht Sargeras!“, schleuderte sie ihm voller Hass mit donnernder Stimme entgegen.
Eine Schattenblase bildete sich um sie und dehnte sich aus. Als sie den Kreis berührte leuchtete dieser nur schwach auf. Die Blase verengte sich wieder und wurde zu einem dunklen Strahl der plötzlich Gron’Etek traf. Der Schamane sank zu Boden. Die Melodie verstummte. Gilmenel stand fassungslos vor dem toten Troll.
„Was hab ich getan?“, weinte sie, als sie vor dem Leichnam auf die Knie sank, „Er war der Letzte seines Stammes.“
Plötzlich erhob sich der Schamane wieder.
„Mächtige Zauberin!“, sagte er ehrfürchtig und warf sich vor ihr zu Boden, „Gron’Etek ist dein Sklave.“
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
43. Liebe

Gilmenel sah den vor ihr liegenden Trollschamanen ungläubig an.
„Steh auf.“, forderte sie ihn auf, „Ich bin nur der Geist einer toten Elfe.“
„Du mich können töten, Mann.“, murmelte der Troll leise in den Staub des Bodens, „Nur Schamanenvoodoo Gron’Etek zurückkehren lies aus dem Reich der Ahnen. Ich gehören nun dir. Was du befehlen, Mann?“
„Gut, wenn du es so willst.“, sagte Gilmenel mit einem Schulterzucken, „Steh auf, und geh in deine Hütte. Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.“
„Ja, Zauberin. Gron’Etek, gehorchen.“, nickte der Troll heftig während er sich erhob.
Der Schamane ging rückwärts auf seine Hütte zu. Es schien fast so als hätte er Angst Gilmenel aus den Augen zu lassen. Er verschwand in seiner Behausung. Gilmenel sah im abwesend zu. Ihre Gedanken kreisten um das soeben Geschehene. Sie war noch immer zutiefst erschüttert und entsetzt. Gron’Etek war das erste lebende Wesen, das sie getötet hatte. Die vielen Geiselschergen, die sie im Laufe ihrer Aufklärungsmissionen töten musste, zählte sie nicht dazu. Diese waren ja bereits tot. Sie sah es als Erlösung für die gequälten Seelen an.
‚Wie konnte ich so was tun?’, dachte sie bekümmert, ‚Zu was für einen Monster bin ich geworden?’
Gewaltige Gewissensbisse nagten an ihr. Der Zorn, den sie spürte, befremdete sie zutiefst. Nie hätte sie sich zugetraut einen so mächtigen Zauber zu entfesseln. Die dunklen Gedanken des Zaubers verfolgten sie. Erinnerungen wurden in ihr wach an das erste Mal, als sie einen Zauber bewusst wirkte.

„Das hast du schon sehr gut gemacht, Gil.“, sagte ihre Mutter uns streichelte über ihr schwarzes Haar.
„Ja, Mutter.“, sagte sie stolz.
Sie schaute den blühenden Fliederbusch neugierig an. Um diese Jahreszeit hatte sie ihn noch nie blühen sehen, aber ein kleines Lied über den Frühling hatte ihn erweckt, und reich aufblühen lassen.
„Mutter, ist das nicht wider die Natur?“, fragte sie mit einem skeptischen Blick auf den Busch.
„Ja Gil, das ist es.“, antwortete ihre Mutter, „Du musst bei allen die Harmonie der Natur berücksichtigen. Versuche nie etwas gegen ihren Willen.“
„Aber das habe ich doch gerade getan?“, schaute Gilmenel ihre Mutter fragend an.
„Nein Liebes, du hast den Fliederbusch nur zu dem gebracht, was er am liebsten tut.“, erklärte ihre Mutter weise, „Er lebt um zu blühen. Du hast ihm lediglich einen kleinen Schubs gegeben, es jetzt zu tun. Es ist das Erwarten des blühenden Lebens, das die Harmonie bringt.“
„Mutter, aber was ist wenn mein Lied keine Harmonie hervorruft?“, fragte Gilmenel kindlich neugierig.
„Dann…“, ihre Mutter verstummte.
Sie dachte zurück an die Gesänge ohne Harmonie, die sie in ihrem Leben gesungen hatte, und an deren tragischen Ergebnisse. Sie wurde bleich.
„Mutter?“, zupfte sie Gilmenel am Ärmel, „Geht es dir gut?“
„Es geht mir gut, Gil.“, sagte sie abwesend.
Ihr Gesicht wurde sehr ernst. Dunkle Schatten spielten um ihr Antlitz. Gilmenel erschrak.
„Versuche nie die Disharmonien zu wecken, mein Kind, sie bringen nur Tot und Verderben.“, mahnte sie ihre Tochter ernst.

‚Mutter, ich werde in Zukunft besser aufpassen.’, dachte sie noch in den Erinnerungen versunken, ‚Nun da ich weis, dass ich diese Disharmonien wecken kann, muss ich mich besser unter Kontrolle haben.’
Sie blickte sich um. Der Unterschied zwischen den grünen lebendigen Landschaften ihrer Kindheit und dem verwüsteten Quel’Thalas riss sie wieder in die Realität zurück. Sie erwachte aus ihrer Kindheitserinnerung.
‚Was würdest du nun wohl sagen, Mutter, wenn du mich jetzt sehen könntest?’, dachte sie über ihre momentane Lage nach, ‚Weder lebe ich, noch bin ich tot. Ich bin ein Geist ohne Heimat und Familie.’
Ihr fielen wieder Worte ein, die der Troll gesagt hat.
„Gron’Etek! Komm her!“, rief sie nach den Troll.
„Ich kommen.“, rief die raue Stimme des Schamanen aus der Hütte.
Er trat vor die Hütte und schlurfte in der leicht gebeugten Haltung der Trolle zu Gilmenel.
„Was du wollen, Mann.“, fragte Gron’Etek, als er bei ihr stand.
„Du sagtest irgendetwas darüber, dass ich wieder leben könnte.“, fragte sie den Schamanen.
„Ja, das seien richtig.“, nickte der Troll, „Geist können wieder in seinen Körper zurückkehren und leben. Dazu seien nur etwas Trollvoodoo notwendig. Wo ist dein Körper, ey?“
Gilmenel lies den Kopf hängen und gab einen tiefen Seufzer von sich.
„Verbrannt.“, flüsterte sie, „Meinen Körper gibt es nicht mehr. Er wurde verbrannt.“
„Hm.“, dachte der Troll und rieb sich sein Kinn, „Das seien kein Problem. Wir einfach neuen Körper nehmen.“
„Wie meinst du das?“, sagte sie erstaunt und sah sie ihn ungläubig an.
„Wir nur müssen Körper finden, der nicht mehr gebraucht wird.“, erklärte der Troll.
„Wie soll denn das gehen?“, schüttelte sie den Kopf.
„Du töten irgendjemanden, dessen Körper dir gefallen, Mann.“, sagte der Troll, „Ich dann rufen deinen Geist in den toten Körper, und heilen die Wunden.“
Gilmenel schlug sich die Hände vor das Gesicht.
„Dann… dann… “, stotterte sie aufgeregt, „wäre ich auch nur ein Zombie!“
„Jo, das seien Trollwort dafür.“, grinste der Schamane.
„Ich wäre nicht besser als eine diese Monstrositäten der Geißel!“, rief sie entsetzt, „Nein! Niemals!“
„Relax, wenn du nicht wollen, dann du nicht müssen.“, zuckte der Troll mit den Schultern, „Du halt bleiben Geist.“
„Dann soll es so sein.“, bestätigte sie den Troll, und wandte sich brüsk von ihm ab, „Du kannst dich wieder zurückziehen in deine Hütte.“
„Gron’Etek nur helfen wollte, Mann.“, grummelte der Schamane als er wieder in seiner Hütte verschwand.
Gilmenel setzte sich vor die Hütte und lies ihren Kopf in ihre Armen sinken, mit denen sie ihre Beine umfasste. Wind und Wetter konnten ihr nichts mehr anhaben, und so war es einerlei wo sie über Ihre Zukunft nachdachte.
‚Soll ich es tun?’. dachte sie über das Angebot des Schamanen nach, ‚Nein. Ich bin zwar ein Geist, aber ich gehöre nicht zu der dunklen Seite der Geißel. Ich gehöre zu … niemanden.“
Ihre Gedanken verstummten. Sie erinnerte sich.

„Aber Vater, ich finde ihn sehr nett.“, flehte sie ihren Vater an, „Und er liebt mich auch.“
„Das mag sein, kleine Gil.“, antwortete ihr Vater besorgt, „Aber weis er auch um deine Herkunft?“
„Ja, ich habe sie ihm erzählt.“, nickte Gilmenel heftig, „Du kennst ihn doch.“
„Das stimmt.“, antwortete ihr Vater mit einer leichten Bitterkeit in der Stimme, „Ihn und den Rest seiner üblen Familie. Es wäre daher klüger gewesen, du hättest ihm deine Herkunft verschwiegen. Es ist wieder ein Punkt, den sie gegen mich, gegen uns, verwenden können.“
„Vater?“, sagte Gilmenel entsetzt.
Sie konnte nicht glauben, was ihr Vater gesagt hatte.
„Du redest, als wäre ich für dich eine Last und ein Hindernis.“, weinte sie.
Ihr Vater reichte ihr ein feines Seidentuch, und klopfte ihr tröstend auf die Schultern.
„Nein, nein. So habe ich das nicht gemeint.“, versuchte er krampfhaft die Lage zu retten.
Er ging zum Fenster seines Laboratoriums und sah mit verschränkten Armen abwesend hinüber zur Sonnenbrunneninsel.
„Gil, du bist etwas ganz Besonderes.“, erklärte er nachdenklich, „Aber das Besondere kann in den Augen einiger abartig sein.“
„Abartig?“, erwiderte sie erzürnt, „Du tust gerade so, als ob ich eine Monstrosität wäre.“
Ihr Vater seufzte und zuckte mit den Schultern.
„Nein, Liebes, das bist du natürlich nicht.“, sagte er leise, „Du bist ein Kind der Liebe zweier Wesen, die das Pech hatten nicht derselben Art anzugehören.“
„Ja, ich weis.“, nickte Gilmenel langsam mit den Kopf, „Mutter war keine Hochelfe.“
„Nein, das war sie nicht.“, bestätigte ihr Vater traurig, „Sie war von einem anderen viel edleren Volk. Doch war sie nicht von dieser Welt. Sie war … ist … die zärtlichste, liebesvollste und schönste Frau, die ich je getroffen habe…“
Er hielt inne. Er stützte sich auf die Fensterbrüstung und lies den Kopf sinken.
„Vater?“, rief Gilmenel erschrocken, „Was ist mit dir?“
„Nichts Kleines.“, sagte ihr Vater schwach, „Es sind nur die Erinnerungen an die schöne Zeit mit deiner Mutter.“
Gilmenel nickte nur stumm.
„Immer wenn ich dich sehe, dann sehe ich sie.“, sagte er betrübt, „Du siehst ihr sehr ähnlich. Sie war sehr hübsch. Wenn sie sang, war sie die Anmut der Natur selbst.“
Er stütze seinen Kopf auf seine Faust. Nach einigen besinnlichen Augenblicken drehte er sich seiner Tochter zu.
„Gil, ich will nicht, dass dir Irgendjemand weht tut.“, sagte er fürsorglich, „Aber du bist eine Halbelfe. Dem Sonnenbrunnen sei Dank, hast du meine Augen und Ohren geerbt. Damit siehst du aus, wie eine normale Hochelfe, und kannst dich hier frei bewegen, aber du bist keine. Du gehörst nicht zu ihnen, und je mehr du sie darauf hinweist, desto mehr werden sie dich ausgrenzen. Auch dein geliebter Deneathor wird das.“
„Aber zu wem gehöre ich dann?“, fragte sie traurig, „Zu niemanden?“

‚Niemanden… Niemanden…’, hallte das Wort in ihren Gedanken wieder.
Sie blickte zur Hütte Gron’Eteks. Der Schamane schien irgendeinen Trank in seinen großen rußgeschwärzten Kessel zu brauen. Er tanzte um ihn herum und schwang dabei seinen Zauberstab. Gilmenel stand auf und ging in die Hütte.
„Was machst du da?“, fragte sie den Troll.
Gron’Etek tanzte weiter um den Kessel herum.
„Ich versuchen etwas, Mann.“, erklärte er, „Gut, dass du gekommen bist. Zaubertrank brauchen noch eine Zutat.“
Gilmenel wich zurück und hob beschwörend die Hände gegen den Schamanen.
„Nein, nein, keine Angst haben. Trank nicht brauchen dich als Zutat.“, grinste der Troll über beide Hauer hinaus, „Du geben nur Trank Teil von dir. Du singen Trank Lied vor, Mann.“
Gilmenel kam wieder näher und besah sich das in den Kessel brodelnde Gebräu. Eigentlich wollte sie es gar nicht so genau wissen, welche Zutaten darin miteinander verkocht wurden.
„Was bewirkt der Trank?“, wollte sie wissen.
„Er helfen dir eventuell etwas, ey.“, sagte der Troll unter seinem Singsang.
Gilmenel begann zu singen. Es war das Stück, das ihr Deneathor damals in der Akademie vorgespielt hat, als er sie um ihre Hand bat. Die Melodie schien sich von ihr aus wie ein Rauch zum Kessel zu bewegen. Dort wo dieser den Trank berührte, leuchtete er kurz auf.
„Sehr gut.“, nickte der Schamane, „Es funktionieren, Mann.“
Er tanzte ein letztes Mal um den Kessel, und beendete seinen Tanz mit einem Sprung über den Kessel.
„Du halten beide Hände in Dampf über den Kessel.“, forderte sie der Schamane auf.
Gilmenel trat an den Kessel. Über ihn stieg ein feiner grauer Nebel auf, der an einigen Stellen zu funkeln schien. Gilmenel zögerte.
„Das ist doch nur ein Trick von dir, um mich zu besiegen.“, sagte sie, und schaute den Troll ernst in die Augen.
„Nein, nein.“, schüttelte der den Kopf, „Relax, dir passieren nichts. Schnell Dampf nur halten wenige Minuten.“
Gilmenel beugte sich über den Kessel, und hielt ihre Hände in den Dampf. Sie spürte ein Prickeln in den Händen.
„Du fühlen etwas, Mann?“, fragte der Troll.
Gilmenel nickte erstaunt.
„Gut, nun nehmen Hände wieder heraus.“, sagte Gron’Etek.
Er ging auf einen Tisch zu und nahm einen kleinen Lederball.
„Fang!“, rief er ihr zu als er ihr den Ball zuwarf.
Sie wollte gerade protestieren, dass sie nichts Materielles halten könnte, als sie reflexartig den Ball fing. Sie staunte fassungslos. Der Troll kicherte irr.
„Sehen, wie Dampf dir geben Gestalt.“, erklärte er der verblüfften Gilmenel, „Du sehen zwar immer noch aus wie Geist, aber du können nun Dinge bewegen.“
„Wie lange hält das?“, fragte sie als sie erstaunt ihre Hände betrachtete.
„Nicht lange.“, nickte der Troll, „Vielleicht eine Stunde.“
Er sog mit einem Blasebalg den Dampf ein und presste ihn in einen alten Wasserschlauch.
„Dampf gut aufgehoben hier drin.“, sagte er und hielt ihr den Beutel entgegen, „Immer wenn du brauchen Hände, du lassen kleine Wolke frei.“
„Aber ich kann doch Nichts tragen?“, schüttelte sie den Kopf.
Der Trollschamane lachte laut auf. Er murmelte einige unverständliche Worte. Der Weinschlauch schloss sich und verschwand.
„Schlauch weg.“, grinste er Gilmenel an und sang wieder einige unverständliche Silben.
Der Schlauch erschien und öffnete sich. Eine kleine runde weiße Dampfwolke, die gerade groß genug für Gilmenels Hände war, entwich ihm. Gron’Etek verschloss den Schlauch wieder.
„Hier du nehmen magischen Schlauch.“, sagte der Troll, und hielt ihn Gilmenel entgegen.
Sie nahm den Schlauch. Es war für sie ein komisches Gefühl wieder etwas in Händen zu halten.
„Jetzt du lernen Zauber von mir.“, erklärte der Schamane, und brachte ihr die Worte des Schlauchzaubers bei.
„Nun er seien an dich gebunden.“, nickte er, „Du ihn nun überall und jederzeit beschwören können, Mann.“
Gilmenel betrachtete immer noch fassungslos ihre Hände.
„Danke, Gron’Etek.“, nickte sie dem Troll zu, „Was für ein guter und nützlicher Zauber. Du weist bestimmt noch viele Dinge, die mir helfen könnten, aber leider muss ich dich nun verlassen.“
Gron’Etek sah sie mit großen Augen an.
„Dann ich gehen mit, Mann.“, nickte er ihr zu, „Ich seien dein Sklave. Haben du das vergessen?“
Gilmenel seufzte mit einem Schulterzucken.
„Gron’Etek, ich brauche keinen Sklaven.“, schüttelte sie den Kopf, „Wenn du mich begleiten willst, so ist das allein deine Entscheidung.“
„Hier nichts mehr seinen außer schlechten Mojo und Tod.“, schlug der Schamane die Augen nieder, „Wir suchen andere, noch lebendige Zuls, Mann.“
„Gut, ich suche die Liebe meines Lebens.“, flüsterte sie, „Ich will wissen, ob er noch lebt und was aus ihm geworden ist.“
„Ich packen noch einige Dinge, dann wir können gehen.“, sagte der Schamane.
Gilmenel nickte ihm zu.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
44. Tod

„Ey, Mann!“, jammerte Gron’Etek, „Ich brauchen Pause. Ich seien kein Geist.“
Gilmenel drehte sich um, und sah den Troll einige Meter hinter sich herschlurfen. Er hatte einen großen braunen Leinensack geschultert, in dem er alle seine Habseligkeiten mitgenommen hat.
„Vielleicht hättest du nicht alles mitnehmen sollen?“, fragte Gilmenel mit einem leicht ironischen Unterton.
„Ich brauchen das Alles.“, stöhnte der Troll.
„Na gut, machen wir eine Rast.“, rief sie ihm zu, „Du kannst dich ausruhen, und ich schaue mich hier einmal um.“
Es war knapp zwei Tage her, dass sie das öde Dorf des Schamanen verlassen hatten. Gilmenel schlug den Weg ein, den sie ungefähr noch in Erinnerung hatte, als sie vor den Banshees floh. Als sie auf die Straße zum Pass von Quel’Thalas stießen, folgten sie dieser Richtung Norden. Nun stand sie auf einer kleinen Anhöhe neben der Strasse und blickte hinunter in ein Tal. Der Boden dort kam ihr noch verwüsteter vor als sonst. Sie suchte nach Orientierungspunkten in der zerstörten Landschaft.
‚Das muss die Haupteinfallsschneise der Geisel gewesen sein.’, dachte sie bitter, ‚Ihr unheiliges Werk hat die Erde total verseucht. Was wäre wenn noch Geiselschergen da wären?’
Bis jetzt waren sie außer einigen Wölfen und Riesenspinnen keinem Wesen begegnet. Doch noch mehr fürchtete sie auf die sterblichen Überreste der Waldläufer zu stoßen, die hier in der Gegend zum letzten Gefecht gegen die Geißel angetreten waren. Sie alle starben ehrenhaft bei der Verteidigung ihrer Heimat, nur um kurz danach durch die üblen Zauber der Necromanten der Geißel als Untote gegen ihre ehemaligen noch lebenden Kameraden zu kämpfen.
Ein eiskalter Schauder lief ihr über den Rücken. Plötzlich hörte sie Stimmen.
Sie sah sich um. Ein Trupp Soldaten kam die Strasse vom Pass herunter. In ihrer Mitte ein prachtvoll gekleideter Hochelf. Er trug eine blutrote Rüstung. Sein goldenes Haar leuchtete von weiten. An seinem Gürtel hing ein goldenes Schwert.
Gilmenel hatte sich nun daran gewöhnt, dass sie die Lebenden wieder wahrnehmen konnte, und diese sie auch. Gron’Etek hatte es ihr damit erklärt, dass ihre Seele nun ihr Dasein akzeptierte, und damit auch wieder mit der lebenden Umgebung in Kontakt treten könnte.
Der Tross war nun fast auf ihrer Höhe. Der voran reitende Offizier sah sie an.
„Halt!“, kommandierte er, „Verteidigungsstellung!“
Die Soldaten gruppierten sich um den Hochelf mit dem goldenen Haar und brachten ihre Lanzen in Stellung. Der Offizier spornte sein Pferd an und ritt auf Gilmenel zu.
„Vergehe Ausgeburt der Geißel!“, schrie er.
Er hob sein Schwert und hieb auf sie ein. Gilmenel wich ihm aus. Der Offizier wendete sein Pferd und stürmte erneut auf sie zu. Dieses Mal traf er mit seinem Schwert ihren Arm. Es fuhr ohne Schaden durch ihn hindurch. Der Hochelf in der blutroten Rüstung hatte mittlerweile den Kokon seiner Beschützer durchbrochen.
„Rommath, was ist da?“, rief er ihn zu, „Was sollen diese albernen Angriffe.“
„Hier ist ein Geist der Geißel, mein Lord.“, sagte der Offizier schnaufend während seiner wiederholten erfolglosen Angriffe auf Gilmenel.
„Wenn es wirklich ein übler Geist wäre, würde er euch angreifen, mein Lieber.“, schüttelte der Elf den Kopf, als er die eleganten Ausweichbewegungen sah.
‚Rommath… Rommath…’, drehte sich der Name in Gilmenels Gedanken. Die Erinnerung kam plötzlich wieder.
„In Quel’Thas Namen, stoppt euren Angriff, Magister Rommath.“, rief sie ihm zu.
„Was? Wer?“, wunderte er sich als er seinen Angriff abrupt abbrach.
Er war so erstaunt, dass er fast von Pferd gestürzt wäre.
„Geist, du schuldest mir eine Erklärung.“, sagte er zu Gilmenel stolz, „Warum kennst du meinen Namen und alten Titel. Außerdem heißt es jetzt Erzmagister Rommath.“
„Verzeiht Erzmagister.“, sagte Gilmenel und salutierte, „Botschafterin Gilmenel Mindmaker, persönliche Adjutantin der …“, sie stockte kurz, „verstorbenen Waldläufergeneralin Sylvanas Windläufer.“
Der Erzmagister näherte sich ihr vorsichtig. Er musterte sie von oben bis unten.
„Beim Sonnenbrunnen!“, rief er, „Tatsächlich, Gilmenel Mindmaker.“

Der Elf mit dem goldenen Haar kam herangeritten.
„Rommath, wer ist das?“, fragte er streng.
„Mein Lord, das ist, vielmehr war, die ehemalige Vertraute von Sylvanas.“, erklärte er.
„Nun, vielleicht hat sie ja Informationen für uns.“, sagte der Elf und sah sie fragend an.
„Das mag sein, mein Lord.“, nickte er dem Elf zu und befahl Gilmenel, „Erstatte Prinz Kael’thas Sonnenwanderer deinen Bericht, Botschafterin.“
„Mein Prinz.“, verbeugte sich Gilmenel vor den Elf, als sie den Namen hörte, „Quel’Thalas ist zerstört. So wie hier sieht das gesamte Reich der Hochelfen aus. Der Sonnenbrunnen existiert nicht mehr. Leider bin ich auch erst seit kurzen in der Lage andere Wesen, ob lebend oder tot, zu sehen und mit ihnen zu reden. Daher kann ich nur berichten, dass der Windläuferturm von Banshees besetzt ist. Es sind schätzungsweise hundert von ihnen dort. Ich vermutete daher, solltet ihr den Wunsch haben nach Silbermond, oder was davon übriggeblieben ist zu reisen, dass ihr mit weiteren Geißeltruppen rechnen müsst.“
„Nun.“, schüttelte der Prinz den Kopf, „Das sind nicht gerade detaillierte Informationen.“
„Nein, mein Lord.“, pflichtete ihm Rommath bei.
„Trotzdem denke ich es ist vernünftiger, dass wir hier ein Lager aufschlagen, und erst Kundschafter vorrausschicken.“, überlegte Khael’Thas Sonnenwanderer, „Wir hatten bis jetzt viel Glück.“
„Ja, das erscheint mir auch weise.“, pflichte der Erzmagister dem Prinzen eifrig bei.
„Sage mir, Botschafterin, kannst du mir vom Fall Quel’Thalas berichten?“, erkundigte sich der Prinz bei Gilmenel.
„Ja, mein Herr. Ich war bei den Kämpfen mit der Geißel dabei.“, antwortete sie ihn, „Ich sah die Waldläufer und ihre Generalin sterben.“
„Hm, in dem letzten Punkt hast du leider Unrecht, Waldläuferin.“, sagte der Erzmagister.
Gilmenel senkte den Kopf und verschränkte verlegen die Arme hinter ihrem Rücken.
„Ja, Erzmagister.“, seufzte sie, „Ich habe auch das unrühmliche Schicksal von Sylvanas miterlebt.“
„So wie ich es sehe, kannst du uns eine Menge erzählen, Gilmenel Mindmaker.“, sagte der Prinz, „Rommath, wir schlagen auf dem Hügel dort das Lager auf.“
„Wie ihr befehlt, mein Lord.“, salutierte der Erzmagister und verließ sie.
„Mindmaker.“, flüsterte der Prinz, „Hm, ich kenne diesen Namen irgendwoher.“
Er rieb sich an seinem Kinn. Plötzlich schaute er auf.
„Natürlich, meine Studien in Dalaran.“, sagte der Prinz, „Es gab einen Aliasan Mindmaker dort. Ein großer Lehrer der Kirin Tor. Leider ist er verschollen.“
„Er ist tot.“, sagte Gilmenel leise.
„Tot?“, stutzte der Prinz, „Woher weist du das? Er war ein Magier mit mächtigen Kräften.“
„Ich bin… war… seine Tochter, mein Prinz.“, sagte Gilmenel kaum vernehmbar.
„Aliasan? Tot?“, schüttelte der Khael’Thas Sonnenwanderer den Kopf, „Das kann ich nicht glauben. Du musst mir alles darüber erzählen. Ich schätzte in bei meinen Studien in Dalaran als Lehrmeister sehr.“
„Wie ihr wünscht, mein Prinz.“, nickte Gilmenel, „Aber ich fürchte ich weis auch nicht sehr viel über die Umstände seines Todes.“
Gilmenel war verwundert. Zum ersten Mal hatte sie jemanden getroffen, der ihren Vater nicht verurteilte, sondern ihn auch noch sehr geschätzt hatte. Dass es sich dabei um Prinz Khael’Thas Sonnenwanderer, den Erben des Throns von Quel’Thalas, handelte, erstaunte sie noch mehr.
„Das Letzte was ich von deinem Vater erfuhr,“, erzählte der Prinz ihr, „war, dass er einen Drachen suchen wollte, aber nach Silbermond gerufen wurde.“
„Das geschah alles vor meiner Geburt, mein Herr.“, schüttelte Gilmenel den Kopf, „Soweit er es mir erzählt hat, fand er den Drachen. Aber irgendetwas ging schief, und er musste flüchten. Auf seiner Flucht traf er auf meine Mutter.“
Gilmenel hielt es für besser, dem Prinzen nicht Alles zu erzählen.
„Wir waren gerade auf der Rückreise nach Silbermond, als wir meine Mutter verloren. Wir erreichten dann zu zweit Silbermond, aber der Verlust meiner Mutter hat ihn den Verstand geraubt. Er forschte tief in die Abgründe der Dämonen, und fiel dabei in Ungnade bei der Versammlung. Eines Tages verließ er daher Silbermond. Nach einigen Jahren erhielten wir die Botschaft, dass er im fernen Tanaris gestorben sei. Mehr hat man mir auch nicht mitgeteilt.“
Der Prinz schüttelte traurig den Kopf.
„Ein trauriges Schicksal und ein großer Verlust für uns.“, sagte er tief bewegt, „Wir hätten ihn und seine Fähigkeiten nun gut gebrauchen können.“
Ein Soldat kam heran gelaufen und salutierte vor dem Prinzen.
„Mein Lord, Erzmagister Rommath lässt ausrichten, dass das Lager bereit ist.“, meldete der Soldat.
„Gut, danke.“, sagte der Prinz abwesend.
Er ging gedankenverloren in Richtung des Lagers. Gilmenel vergaß er dabei.

Gilmenel war erleichtert, das man sie vergessen hatte. Sie sah während ihres Gespräches aus den Augenwinkeln immer wieder die Gestalt Gron’Eteks zwischen den Baumstümpfen umherhuschen. Sie war sich sicher, dass er sofort getötet worden wäre, wenn ihn einer der Elfen gesehen hätte. Sie ging langsam zu dem Baum, hinter dem sie in zum letzten Mal gesehen hatte.
„Ey, Mann.“, sagte der Troll etwas beleidigt, „Ich haben schon gedacht du vergessen alten Troll.“
„Nein, das habe ich nie.“, antwortet ihn Gilmenel, „Ich habe befürchtet, dass dich einer der Soldaten sieht.“
„Relax, mich sehen nur der, der mich sollen sehen.“, grinste der Troll, aber seine Miene verfinsterte sich, „Wie ich sehen haben arrogante Elfen überlebt. Du haben gelogen, Mann.“
Er spuckte verächtlich vor Gilmenel auf den Boden.
„Nein das habe ich nicht.“, sagte sie scharf, „Alle Elfen in Quel’Thalas sind tot. Außerhalb der Elfentore gibt es noch einige wenige.“
„Und sie kommen wieder um Land zurückzuerobern, ey.“, grollte der Troll, „Sie bringen sogar noch Menschen und Gnome mit.“
Er deutete mit einer verächtlichen Geste auf das Lager des Prinzen. Gilmenels Blick folgte seinen Fingern.
„Ja, das sind Magier der Kirin Tor aus Dalaran.“, nickte sie.
„Du sehen, alles bleiben beim Alten, Mann.“, seufzte der Troll verbittert, „Hochelfen kommen wieder, und töten letzte Trolle.“
Gilmenel betrachtete das Lager mit Argwohn. Gron’Etek hatte wohl Recht, die Hochelfen würden wieder kommen. Zu sehr hingen sie mittlerweile an ihrer Heimat im hohen Norden Azeroths. Einige Soldaten verließen das Lager. Sie schienen etwas zu suchen. Ein Hochelf in der Rüstung der Stadtwachen Silbermonds kam direkt auf sie zu. Als er Gron’Etek sah, zog er sein Schwert und rannte auf ihn zu. Gilmenel sah ihn voller Entsetzen anstürmen.
„Du sehen was ich meine, Mann.“, kreischte der Schamane, und begann einen Zauber.
„Nein, halt Gron’Etek.“, befahl sie ihm, „Lass mich das regeln.“
„Wie du befehlen, Mann.“, antwortete der Troll, und brach den Zauber ab.
Sie konzentrierte sich, und begann mit schwacher Stimme ein Lied zu singen. Sie hatte es bereits damals im Sumpf bei dem Schleimmonster gesungen. Die Füße des Soldaten wurden schwer. Eisklumpen bildeten sich an ihnen. Er stand festgefroren nur wenige Meter vor ihnen. Gilmenel ging auf ihn zu.
„Du?“, rief sie überrascht.
Der Hochelf schaute sie erstaunt an.
„Erkennst du mich denn nicht mehr, Dene?“, fragte sie ihren alten Freund verlegen.
„Wer bist du, Geist,“, schüttelte der den Kopf, „dass du mich so vertraulich anredest?“
Gilmenel begann eine Melodie zu summen.
„Nein, du führst mich in die Irre.“, schrie der Elf, „Diese Melodie kann nur eine kennen.“
„Ja, ich alter Dummkopf.“, sagte Gilmenel zärtlich.
„Ich sehe dein Gesicht nur undeutlich.“, sagte Deneathor ungläubig.
Gilmenel begann den Zauber für den Wasserschlauch. Er erschien und gab eine kleine weiße Zauberdampfwolke frei. Sie steckte ihr Gesicht in die Wolke.
„Siehst du mich nun besser?“, fragte Gilmenel besorgt, und hoffte dass der Dampf auch hier wirken würde.
„Gil!“, schrie Deneathor entsetzt, „Was ist mit dir passiert?“
„Nun, einfach gesprochen, bin ich tot.“, sagte sie ironisch, „Ich bin ein Geist, wenn du es so sehen willst.“
„Wie ist das geschehen?“, fragte er ungläubig, „Ich hätte dich in Stratholm nicht alleine lassen sollen. Während wir erfolgreich nach Dalaran fliehen konnten, bist du für uns gestorben.“
Er schluchzte verbittert.
„Die rasche Flucht war eure einzige Rettung.“, tröstete sie ihn, „Wärt ihr nur eine Sekunde länger geblieben, dann wärt ihr alle verloren gewesen.“
Sie erzählte ihm von den Geschehnissen im Kerker, nachdem Deneathor mit seiner kleinen Truppe in den Schacht geflohen war. Denathor hörte ihr mit versteinerter Miene zu.
„Du hast wirklich Schreckliches erlebt.“, seufzte er, „Aber das passt zu dieser Missgeburt von Banshee.“
„So darfst du nicht über sie reden.“, protestierte Gilmenel vehement, „Sie hat sich dieses Schicksal nicht ausgesucht.“
„Nein, das hat sie vielleicht nicht.“, sagte Deneathor finster, „Aber was sie nun daraus gemacht hat, dass ist dunkelste Necromanie.“
Er erzählte ihr alles was er über die Banshee Sylvanas Windläufer und ihr Treiben im ehemaligen Lordaeron wusste.
„Hm, sie hat sich also von Arthas und dem Lich-König lossagen können.“, murmelte Gilmenel nachdenklich.
„Ja, aber erwarte nichts von ihr.“, schüttelte Deanthor den Kopf, „Sie verfolgt nun ihre eigenen finsteren Pläne. Alles Lebendige ist ihr verhasst.“
„Das kann ich nicht glauben.“, antwortete sie ungläubig.
„Nun, du bist ja tot.“, schnaubte er verbittert über Gilmenels Antwort, „Du kannst ja selber nachschauen. Sie soll in den Katakomben von Lordaeron sein.“
„Ja, das werde ich irgendwann.“, sagte sie und dachte, ‚Vielleicht kann sie mir helfen. Sie hat mich ja auch in diese Lage gebracht.’
„Aber nicht jetzt.“, sagte Deneathor, „Ich wurde ausgeschickt um den Geist zu suchen. Der Prinz will mit ihm reden. Nun ich habe den Geist gefunden.“
„Ja, das stimmt.“, grinste sie, „Und was für einen. Was will der Prinz noch von mir?“
„Das hat er uns nicht gesagt.“, schüttelte Deneathor den Kopf, „Aber ich denke, dass es wichtig ist, sonst hätte er wegen der Suche nach dir seine Verteidigung nicht so geschwächt.“
„Gut, dann muss ich wohl zu ihm.“, nickte Gilmenel.
„Wer ist eigentlich dein ‚Freund’?“, sagte Deneathor verächtlich und zeigte auf den Troll.
„Er ist ein Freund.“, sagte sie bestimmt, aber ihre Stimme wurde traurig, „Wir werden uns wohl nun verabschieden müssen.“
„Mann, da haben du wohl recht.“, nickte Gron’Etek.
„Was hast du nun vor?“, fragte sie den Trollschamanen.
„Gron’Etek werden suchen überlebende Amani.“, erklärte er.
„Gut, du gehörst zu deinen Stamm.“, nickte Gilmenel.
„Nein, mein Stamm seien ausgelöscht.“, sagte er traurig, „Aber ich gehen und warnen andere Amanistämme vor Rückkehr der arroganten Hochelfen, ey.“
„Ich will dich nicht aufhalten, Gron’Etek.“, sagte Gilmenel traurig, „Aber bedenke, dass die Hochelfen bitter für ihren Hochmut gezahlt haben. Vielleicht ist die Zeit nun gekommen, dass die Trolle ihnen vergeben.“
„Nun, wir werden sehen, Mann.“, sagte der Troll in einem wenig Hoffnung gebenden Tonfall.
„Ich kann ihn nicht gehen lassen, Gil.“, sagte Deneathor finster.
„Doch du kannst!“, erwiderte ihm Gilmenel ernst, „Leb wohl, Gron’Etek.“
„Ey, finden deine Ruhe, Mann.“, grüsste der Troll zurück.
Er schulterte seinen Sack und lief, so schnell es seine krummen Beine zuließen, tiefer in den Wald.
„Gil!“, entsetzte sich Deneathor, „Wie konntest du ihn gehen lassen?“
„Hast du noch Nichts gelernt aus all dem hier?“, raunzte sie Denathor an, und zeigte mit einer weit ausholenden Geste auf das verwüstete Quel’Thalas.
Deanthor sah sie fragend an, er wollte etwas sagen, aber besann sich.
„Ja, Deneathor.“, nickte sie heftig, „Dies alles kommt von der Überheblichkeit von euch Hochelfen.“
„Uns Hochelfen?“, stutzte er, „Achja, ich vergaß. Du bist ja nur eine Halbelfe.“
„Ja, das bin ich.“, sagte sie und hob den Kopf, „Und ich bin stolz darauf, dass ich nicht zu Gänze zu diesem arroganten Volk gehöre.“
„Ich gehöre zu ihm.“, sagte Deneathor kühl, „Los komm, Geist. Mein Prinz wünscht dich zu sprechen.“
Gilmenel sah ihn mit einem bösen Blick an. Sie gingen schweigend zum Lager von Kael’Thas Sonnenwanderer.
 
45. Regent

„Mein Prinz, der Geist!“, meldete Deneathor und salutierte vor dem Prinzen.
Gilmenel schaute Deneathor niedergeschlagen und traurig an.
„Gut Soldat, du kannst dich entfernen.“, sagte Rommath der neben dem Prinzen stand.
Denathor warf ihr einen letzten kühlen Blick zu. Als er Gilmenels Trauer sah, seufzte er, und sah sie leidenschaftlich an. Er verließ sie.
„Ah, was haben wir denn hier?“, fragte der Prinz, „Eine verblichene Romanze?“
Gilmenel wäre vor Scham errötet, wenn sie es noch gekonnt hätte. Sie verbeugte sich vor Kael’Thas.
„Mein Prinz, wir… waren…“, stotterte sie verlegen, „Das ist lange her.“
Der Prinz grinste wissend.
„Ja, ja, die Liebe ist so eine Sache.“, sagte er nachdenklich, „Auch ich habe vergebens … Aber lassen wir das. Es gibt Wichtigeres.“
„Wenn ihr es sagt, mein Herr.“, pflichtete ihn Gilmenel bei, und wunderte, welche amourösen Eskapaden der Prinz gehabt haben mochte.
„Quel’Thalas benötigt wieder deine Dienste, Botschafterin.“, sagte er in einem ernsten Befehlston.
„Meine Dienste?“, zuckte Gilmenel ungläubig dessen, was sie gerade gehört hatte, mit den Schultern, „Ich bin tot! Ich habe mehr als meine Dienste für Quel’Thalas geleistet. Ich habe genug von den Spielchen der Lebenden!“
„Schweig!“, schrie sie Rommath an, „Wenn der Prinz dir etwas befiehlt, dann hast du zu gehorchen!“
„Habe ich das?“, fragte Gilmenel süffisant, „Wie will er mich bestrafen? Mich foltern, oder gar töten?“
Sie lachte lauthals auf.
„Wenn man tot ist, kann man alles etwas entspannter sehen.“, erklärte sie dem erzürnten Rommath mit einem entwaffnenden Lächeln, „Sicher könnt ihr meinen Geist vielleicht auch noch töten, aber das wäre eine Erlösung. Also was wollt ihr mir antun, Rommath?“
Rommath schnaubte verlegen, und murmelte verärgert vor sich hin.
„Rommath, da hat sie Recht.“, grinste ihn nun auch noch Prinz Kael’Thas an, „Und nun beruhigt euch beide wieder.“
„Wie ihr meint, mein Lord.“, grummelte der Erzmagister.
„Gilmenel Mindmaker, ich kann dich vermutlich dann nur bitten uns zu helfen.“, wandte er sich an sie, „Wir benötigen das, was du am besten beschaffen kannst.“
„Was soll das sein?“, stutzte Gilmenel.
„Wir brauchen Informationen, wie die Lage von hier bis Silbermond ist.“, erklärte der Prinz, „Wir sind zu wenige, als dass wir es wagen könnten, weiter vorzustoßen. Aber du kannst es. Du brauchst den Tot nicht mehr zu fürchten.“
Gilmenel lächelte ihn mit einem breiten Grinsen an, und nickte zustimmend.
„Ja, das ist sehr weise gedacht.“, sagte sie mit einem Augenzwinkern, bevor sich ihr Gesicht verfinsterte, „Zu viele sind bereits gestorben. Es ist genug. Außerdem würde jeder, der hier auf diesen unheiligen Boden stirbt, ein weiterer williger Scherge der Geißel.“
„Das ist noch ein guter Grund dafür, momentan nicht mehr zu wagen.“, gab ihr der Prinz Recht.
„Ja, das ist es, und daher werde ich euch helfen.“, sagte sie.
„Siehst du Rommath!“, mahnte der Prinz den Erzmagister, „Es gibt auch noch Idealisten, selbst unter den Toten.“
Rommath grunzte verstimmt.
„Ich werde hier acht Tage auf dich warten.“, erklärte der Prinz, „Danach werden wir das Lager abbrechen, und Verstärkung suchen, bevor wir dann selbst weiter vordringen müssen.“
Gilmenel nickte stumm und ging.

Nachdenklich wanderte sie die Straße Richtung Silbermond entlang. In den Stunden seitdem sie den Prinzen verlassen hatte, dachte sie viel über Deneathor nach. Er hatte alles verloren. Seine Verbitterung war daher mehr als verständlich. Sie hatte in Quel’Thalas keine Familie zu verlieren. Ihren Vater vermisste sie ab und zu, und nun da sie den ersten Hochelf traf, der ehrenvoll über ihn redete, kamen ihr Zweifel, ob sie ihn jemals richtig beurteilt hatte. Aber Aliasan Mindmaker starb nicht durch die Hand der Geißel. Soviel wusste sie sicher. Ihre Gedanken wurden traurig.
„Mutter!“, seufzte sie.
Sie schüttelte den Kopf. Über das Schicksal ihrer Mutter konnte sie nur mutmaßen. Dafür war ihr das ihrer besten Freundin, die sie je in Quel’Thalas gehabt hatte, nur allzu gut bekannt. Sie konnte es Deneathor einfach nicht glauben, dass sich Sylvanas, nun da sie sich wohl von dem dunklen Einfluss des Lich-Königs befreien konnte, selbst dessen düsteren Kunst der Necromanie nachging. Sie musste sich davon als Nächstes selbst ein Bild machen.
‚Zuerst muss sich aber diesen letzten Auftrag ausführen.’, dachte sie schweren Herzens.
Sie hörte ein entferntes Klappern. Es klang wie Knochen. Sie sah sich um. Die Straße war sehr nahe an die Todesschneise der Geißel gekommen. Skelettkrieger und Ghuls patrouillierten dort. Es waren Hunderte. Sie ging zögerlich weiter. Ein Ghul kreischte. Einige Schergen der Geißel sammelten sich, und liefen auf sie zu.
‚Sie haben mich entdeckt.’, dachte sie gleichgültig, ‚Sollen sie ruhig kommen. Ihre Schwerter sind für mich unbedeutend.’
Der erste Krieger hob sein Schwert und hieb auf sie ein. Ein Ghul versuchte sie mit seinen Klauen zu zerreißen. Ein weiterer scheiterte bei dem Versuch in ihre Beine zu beißen. Es war zwar eine ärgerliche Störung, aber sie nahm keinerlei Schaden.
„Ihr hirnlosen Untoten.“, verhöhnte sie die Skelette, „Ich bin selbst tot!“
Ein weiterer Krieger näherte sich aus der Schneise. Er hatte einen Magierstab in der Hand. Seine zerfetzte Robe musste einstmals sehr prächtig gewesen sein. Er hob seinen Stab und deutete auf Gilmenel. Eine weiße Lichtkugel schoss auf sie zu. Gilmenel sprang instinktiv zur Seite. Die Lichtkugel streifte sie an ihren linken Oberschenkel. Sie spürte ein heftiges Brennen.
‚Das tat weh.’, dachte sie erstaunt, ‚Vielleicht kann der Magier mir doch gefährlich werden. Immerhin hat die Geißel genug Erfahrung mit Untoten.’
Sie begann zu laufen. Die Krieger verfolgten sie. Der Magier feuerte eine weitere Lichtkugel ab. Dieses Mal konnte sie ihr ausweichen. Der Magier sah, dass er nicht traf, und Gilmenel aus seiner Reichweite zu kommen drohte. Er begann sie zu verfolgen. Gilmenel rannte ohne viel zu überlegen weg von der Schneise. Vor ihr lag die Hügelkette, die die Ebene von Silbermond begrenzte. Das Gelände wurde gebirgig.
Die Skelettkrieger versuchten sie immer noch mit ihren Schwertern zu treffen. Der Magier warf einige Lichtkugel während der wilden Verfolgungsjagd. Jede ging daneben.
‚Er kann zum Glück nicht richtig zielen, während er rennen muss.’, dachte Gilmenel etwas erleichtert, als sie sah wie eine der Kugeln aus Versehen einen Ghul traf. Er löste sich in einem Lichtblitz auf.
Sie fragte sich allerdings, wie lange diese Verfolgung noch gehen würde. Sie bog in ein kleines Tal ein. Ein Vogel zwitscherte. Der Klang erstaunte sie so sehr, dass sie vergaß einer der Kugeln auszuweichen. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihr rechtes Bein. Sie strauchelte. Gilmenel versuchte wieder aufzustehen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Der Magier war nun wenige Meter von ihr entfernt und begann einen weiteren Zauber.
‚Nun ist es aus.’, dachte Gilmenel. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie sich freuen sollte, oder nicht.

Ein Speer pfiff über sie hinweg und bohrte sich in den Schädel des untoten Magiers. Sein Kopf kippte nach hinten und brach von seiner Wirbelsäule ab. Der Rest des Skeletts sackte zusammen. Ein Pfeilschauer aus Brandpfeilen ging auf die Ghuls und Skelettkrieger nieder. Die Bandagen der Ghuls fingen sofort Feuer. In wilder Panik schlugen diese kreischend um sich, und trafen dabei die Krieger.
„Für Quel’Thalas!“, rief eine Stimme.
Eine Truppe Hochelfen stürmte den Hang des Tals herunter und zertrümmerten mit ihren Schwertern die Skelette. Gilmenel betrachte das Schauspiel mit großem Erstaunen.
‚Es lebten noch Hochelfen in diesen verwüsteten Landen.’, dachte sie überrascht.
Doch weit mehr erfreute sie die Tatsache, dass ihre Retter Rock und Wappen der Waldläufer trugen.
„Das war’s.“, rief ihr Anführer, „Nun will ich aber wissen, was dieser Terror zu bedeuten hatte.“
Er schaute sich um, aber unter all den Ghulresten und Knochenhaufen der ehemaligen Krieger konnte er Gilmenel nicht entdecken.
„Hier, ihr Waldläufer!“, rief sie ihnen zu.
Der Elf drehte sich um. Er kam langsam in ihre Richtung.
„Hier bin ich unter all dem stinkenden Müll.“, fuhr Gilmenel fort.
„Vorsicht!“, mahnte einer der Waldläufer, „Es könnte eine Falle sein.“
„Nein, ist es nicht!“, antwortete Gilmenel bestimmt.
Die Elfen begannen die Überreste der Geißelschergen einzusammeln und errichteten damit einen Scheiterhaufen.
„Hier!“, rief eine Waldläuferin, die gerade die Reste eines Ghuls von Gilmenel wegschubst hat.
Der Anführer kam herangelaufen.
„Ein Geist?“, rief er erstaunt.
„Lor’themar?“, sagte Gilmenel überrascht, „Ihr lebt?“
„Wer…Beim Sonnenbrunnen! Gilmenel?“, rief der Elf zweifelnd.
„Schau nicht so ungläubig.“, lächelte sie ihn an, „Ich bin es. Oder besser gesagt, was von mir übrig ist.“
„Aber du bist ein Gespenst.“, schaute er sie schief an.
„Ja, das kann passieren, wenn man ermordet wird.“, grinste sie, „Ich erzähle dir bei Zeiten alles. Zuerst musst du mir erklären wie ihr überleben konntet und wie viele ihr seit.“
„Hm. Kann ich dir trauen?“, sinnierte Lor’themar Theron. Er rieb seine Hände nachdenklich.
„Warum denn nicht?“, wollte Gilmenel wissen.
„Nun, du bist zu zielstrebig auf unser geheimes Versteck zugerannt.“, sagte er nachdenklich, „Das kann kein Zufall sein. Wir haben es erst nach der verlorenen Schlacht aufgebaut. Vielleicht haben ja Spione der Geißel es gefunden, und nun … Apropos Spion …“
„Ja, ich gebe es ja zu. Der Titel Botschafterin war etwas geschönt von der Generalin.“, sagte Gilmenel verlegen.
„Sie! Ausgerechnet sie!“, zürnte plötzlich Lor’Themar, aber sein Zorn währte nur kurz, und er fuhr traurig fort, „Erwähne sie nie mehr. Sie ist für uns tot. Ich habe nun das Kommando über die verbliebenen Waldläufer, und wir verteidigen Quel’Thalas bis zum Tot.“
„Naja, danach kämpft ihr auch, aber auf der anderen Seite.“, sagte Gilmenel nachdenklich.
„Ja, wir haben das schon bemerkt, und daher verbrennen wir unsere Toten, wann immer es geht.“, erklärte der General niedergeschlagen.
„Verbrennen…“, Gilmenel wurde flau. Ihre Gestalt wurde durchsichtiger.
„Was ist mit dir?“, fragte Lor’Themar, als ihm die Veränderung auffiel.
„Ich hatte da so meine eigenen Erfahrungen mit Feuer.“, erklärte sie ihm.
„Hm.“, strich sich General Theron nachdenklich über das Kinn, „Ich denke, dass ich dir einfach vertrauen werde.“
„Das ehrt mich.“, nickte sie ihm zu.
„Nachdem ich den östlichen Verteidigungsflügel übernommen hatte, kamen auch schon die Horden der Geißel auf uns zu. Sie bedrängten uns sehr, doch lag ihre Hauptmarschrichtung in der Mitte, dort wo …“, er stockte kurz, „Nun, wir haben uns verteidigt, so gut wir konnten. Aber als wir sahen, wie sich unsere Gefallenen wieder als Untote erhoben, und gegen uns kämpften, haben wir den Angriff abgebrochen. In den nahen Bergen konnten wir uns verschanzen.“
„Sehr vernünftig, dass ihr den Angriff abgebrochen habt.“, stimmte ihm Gilmenel zu.
„Sei es, wie es sei.“, schüttelte der General den Kopf, „Wir leben und viele Andere sind tot oder Schlimmeres.“
„Macht euch keine Gedanken, Lor’Themar.“, sagte Gilmenel, „So besteht nun wenigstens ein kleiner Funke Hoffnung mehr.“
„Ja, vielleicht.“, nickte er nachdenklich, „Die Geißel lies wie auf ein geheimes Zeichen von uns ab. Sie stürmten plötzlich zielstrebig in Richtung Silbermond.“
Gilmenel dachte an Arthas Befehl in der Gruft zurück. Vermutlich war es reiner Zufall, aber es würde zeitlich stimmen.
‚Wenn er das gewusst hätte, dass er damit einige Elfen verschont.’, dachte sie.
„Wir haben überlegt, ob wir ihnen in den Rücken fallen sollten.“, erzählte Lor’Themar weiter, „Aber wir waren nur knapp hundert Überlebende. Zuwenig, als das wir die Rettung für Silbermond gewesen sein hätten können. Als wir dann später die Zerstörung der Stadt sahen, überkam uns trotzdem tiefe Trauer. Wir beschlossen es der Geißel heimzuzahlen, und unser Land zurückzuerobern. Wir wählten den Partisanenkrieg. Hier in den Hügel errichteten wir ein geheimes Lager. Wir fanden weitere Überlebende der Geißel. Zurzeit haben wir dort circa fünfhundert Kämpfer unter Waffen, und gut doppelt so viele Flüchtlinge allen Alters.“
„Gut, dass muss der Prinz alles wissen.“, flüsterte Gilmenel.
„Wer? Arthas?“, wich der General vor ihr zurück und zog sein Schwert, „Du bist doch eine Spionin der Geißel!“
„Nein!“, rief ihn Gilmenel entgegen, „Kael’Thas Sonnenwanderer!“
„Wie?“, sagte der General mit offenen Mund und lies sein Schwert fallen, „Prinz Kael’Thas ist hier?“
„Ja, er lagert am Fuß des Passes.“, erklärte Gilmenel, „Er hat mich geschickt, um die Lage in Silbermond zu erforschen.“
„Ich kann es nicht glauben.“, schüttelte Lor’Themar seinen Kopf, „Er würde doch nicht so dumm sein, hier ohne Heer zu erscheinen, oder?“
„Er hat was Besseres dabei.“, zwinkerte Gilmenel ihm zu, „Ihn begleiten einige Magier aus Dalaran.“
„Dann muss er es sein.“, Lor’themar nickte verständnisvoll, „Er war schon immer von seiner Magie besessen.“
„Ich denke, dass es das Beste wäre, ich führe dich zu ihm.“, schlug Gilmenel vor, „Du kannst ihm sicher sehr viel berichten.“
„Ja.“, nickte der General zögerlich, „Das wäre wohl das Beste.“
Er überlegte einen kurzen Moment.
„Halduron, kehre ins Lager zurück, und berichte ihnen.“, befahl er einem Waldläufer, den Gilmenel vom Sehen her kannte, „Ich werde mit Gilmenel und dem Trupp hier den Prinzen besuchen.“
„Wie du wünscht.“, sagte Halduron, „Aber eine etwas größere Gruppe wäre wohl besser.“
„Wir würden nur mehr auffallen.“, wiegelte der General ab.
Er sah Gilmenel prüfend an.
„Ich weis zwar nichts über die Gesundheit von Geistern, aber hast du dich von der Blitzkugel erholt?“, fragte er fürsorglich.
Gilmenel stand vorsichtig auf.
„Ja, es geht wieder.“, sagte sie, „Es ist Alles eine Frage des Willens.“
Lor’themar, Gilmenel und der Rest der Truppe marschierten Richtung Süden. Halduron verschwand rasch in den Bergen.

Lor’Themar traute seinen Augen nicht, als er von der Ferne das Banner des Königshauses der Sonnenwanderer sah.
„Dieser Narr!“, ärgerte er sich, „Noch auffälliger kann er sich nicht zur Zielscheibe machen.“
Gilmenel konnte ihm insgeheim nur zustimmen.
„Ich denke, dass er seinen Anspruch auf das Land deutlich machen möchte.“, versuchte sie den General zu beruhigen.
Er befahl seinen Waldläufern außerhalb des Lagers zuwarten, falls es doch eine Falle wäre. Sie sollten dann so schnell wie möglich Halduron und die anderen Elfen warnen.
Gilmenel ging mit ihm auf das Zelt des Prinzen zu. Die Wachen ließen sie passieren.
„Prinz Kael’Thas!“, rief Gilmenel, „Ich bin zurück.“
Der Prinz trat würdevoll aus seinem Zelt. Er hatte eine prachtvolle rote Robe angelegt. Lor’Themar fiel auf die Knie.
„Siehst du Lor’Themar.“, grinste Gilmenel, „Ein echter Prinz. Wie ich es dir gesagt habe.“
„Mein Prinz Kael’Thas, General der Waldläufer Lor’themar Theron zu euren Diensten.“, meldete er.
„Rommath!“, rief der Prinz, „Sie ist zurück, und hat jemanden mitgebracht.“
Rommath kam aus dem Zelt gelaufen, und sah den knienden Hochelf.
„Theron?“, sagte er überrascht, „Ich erinnere mich vage. Sie waren eine sehr vornehme und adelige Familie in Silbermond.“
„General, wir haben viel zu besprechen.“, sagte der Prinz, „Kommt in mein Zelt.“
Die drei Elfen verschwanden im Zelt. Gilmenel blieb alleine zurück.
‚Ich denke, dass ist nur was für die Lebenden.’, dachte sie zynisch.
Sie setzte sich auf den Stuhl des Prinzen, der vor den Zelt als eine Art Thron fungierte. Lor’Themar kam nach einigen Stunden aufgelöst aus dem Zelt heraus.
„Ich kann es nicht glauben…“, murmelte er immer wieder fassungslos vor sich hin.
„Was kannst du nicht glauben, General?“, flapste Gilmenel, die lässig ein Bein über die Lehne des Throns geworfen hatte.
„Der Prinz hat mich zum Regenten von Silbermond ernannt.“, schüttelte er den Kopf, „Ich soll das Land sichern und Silbermond wiederaufbauen. Dies ist sein Befehl.“
„Na dann, meinen herzlichen Glückwunsch zur Beförderung.“, lächelte ihn Gilmenel ironisch an, und klatschte Beifall, „Ich werde euch nun verlassen. Ich habe etwas in Erfahrung zu bringen. Leb wohl, Regent!“
Sie stand auf und ging. Sie winkte ihm noch zu, dann überlies sie Lor’Themar Theron seiner schweren Aufgabe, und alle lebenden Hochelfen Quel’Thalas’ seiner Obhut.
 
46. Ausblick

Aliasan wusste das er keine Zeit hatte, sich um das Wohlbefinden Eärdalienes zu kümmern. Die wenigen verbliebenen lebenden Atalantëkrieger des Spezialmanipels hatten durch die Ohmacht der Matrone wieder Mut gewonnen.
„Hierher, Atalantë!“, winkte Aliasan ihnen deshalb zu, „Bildet eine dichte Angriffsformation!“
Die im Gehorsam mehr als gedrillten Krieger folgten dem Befehl sofort. Sie sammelten sich und bildeten mit ihren Schilden eine stark geschützte Linie. Aliasan drehte sich noch einmal zu Eärdaliene. Die Hüterinnen hatten die Bewusstlose schützend in ihre Mitte genommen. Sie standen zu allen entschlossen mit gezogenen Schwertern vor ihrer Matrone und der heiligen Wassersäule. Aliasan ging langsam auf die Elbinnen zu.
„Hüterinnen des heiligen Hains!“, rief er ihnen zu, als er nur noch wenige Schritte vor ihnen stand, „Ergebt euch, dann garantiere ich euch eure Sicherheit.“
Eine ältere Hüterin trat hervor.
„Niemals, du elender Verräter!“, schrie sie ihm zu, „Eher sterben wir! Mandos wird unser Opfer anerkennen!“
„Wie ihr wollt!“, antwortete Aliasan ihr, „Dann soll es so sein.“
Er drehte sich um, und ging auf die Reihe der Atalantë zu. Er hob seinen Stab. Er hielt ihn mit beiden Händen über seinen Kopf. Ein riesiger Feuerball bildete sich über ihn. Er wendete sich langsam den Hüterinnen zu. Die Atalantë stimmten ein Siegesgeschrei an.
„Nun spürt die wahre Macht der Magie!“, rief er stolz.
In einer blitzartigen Bewegung wirbelte er herum, und schleuderte den glühenden Feuerball den Atalantë entgegen. Er schlug genau in der Mitte der Angriffslinie ein. Nur ein paar wenige Krieger am äußersten Rand der Linie überlebten die alles verschlingenden Flammen. Sie sahen ungläubig in Aliasans Richtung. Der Magier hob bereits wieder seinen Stab. Dieses Mal trafen einzelne Blitze die Krieger. Die überlebenden Atalantë begannen in wilder kopfloser Panik aus dem Hain zu flüchten.
‚Das sollte reichen, um ihre Moral zu zerstören.’, dachte Aliasan und lief zu den Hüterinnen.
„Keinen Schritt weiter, Aliasan!“, rief ihm die ältere Hüterin entgegen.
Aliasan blieb wie angewurzelt stehen. Die Hüterinnen begannen ihn einzukesseln.
„Ich weis nicht, was das alles zu bedeuten hat, und welches Spiel ihr hier spielt.“, sagte sie ernst, „Aber eines ist sicher. Ihr seit hier nicht willkommen!“
„Schwester, ich habe gerade euren teuren Hain gerettet.“, antwortete er leicht gereizt, „Nun müssen wir schnell machen. Der Plan duldet keinen Aufschub!“
„Welcher Plan?“, schüttelte die Hüterin den Kopf.
„Unser Plan.“, sagte Eärdaliene sanft im Rücken der Hüterinnen und ging durch deren Kreis zu Aliasan.
„Bist du in Ordnung, Liebste.“, sorgte sich Aliasan.
„Ja, mir geht es gut.“, lächelte sie ihn an, „Es tut sehr gut dich wieder zu sehen nach all dem hier.“
Er ging auf sie zu und nahm sie in seine Arme, und küsste sie. Ein Raunen ging durch die Reihen der Hüterinnen. Eärdaliene drehte sich ihnen zu.
„Schwestern! Aliasan war nie auf der Seite der Atalantë.“, erklärte sie ihnen rasch, „Es war ein Teil eines Planes von Mithrandir, der gerade abläuft, um unsere Inseln zu retten. Leider gab es dabei bereits einige unnötige Opfer.“
Sie schenkte der älteren Hüterin einen tröstenden Blick.
„Dein Bruder wusste um die Gefahr, Erhaldiäne. Wir werden ihn stets ehren.“, tröstete sie die Schwester des ermordeten obersten Magistrats, „Aber der Verrat saß tief selbst in unseren Reihen. Diesen galt es zu aufzudecken.“
Sie betrachtete traurig den Brandfleck, der alles war, was noch von Gwäedaliene übrig war.
„Doch nun müssen wir weiter kämpfen.“, sagte sie mit einem inneren Feuer, das nur darauf wartete es den Atalantë heimzuzahlen, „Wir verlassen den Hain und schließen uns den Kämpfern an.“
„Aber die Wassersäule ist dann ungeschützt.“, sorgte sich Erhaldiäne.
„Keine Bange, Schwester!“, lächelte sie Eärdaliene an, „Dafür wird gesorgt werden. Sie weis sich selbst zu verteidigen.“

„Elender Verräter!“, brüllte der General Korthandes, und schlug mit voller Kraft auf die Reling des Flagschiffes.
„Ja, mein General, das ist er.“, sagte der Soldat, der zitternd vor ihm stand, „Das Spezialmanipel wurde fast nahezu aufgerieben durch die Zaubersprüche, die er und die Matrone uns entgegenschleuderten. Nur meinem Kameraden hier und mir gelang die Flucht.“
„Ein Atalantë flieht nicht!“, raunzte General Korthandes ihn an.
„Ja, mein General.“, salutierte der Soldat, „Doch hielt ich es für wichtiger, dass ihr über den Verrat informiert werdet.“
„Gut, das mag sein.“, knurrte Korthandes, „War das also alles, oder hast du noch mehr zu berichten?“
„Ja, mein General.“, antwortete der Soldat leise, als ob er Angst hätte weiter zu berichten.
„Dann raus damit, Mann!“, befahl General Korthandes ungeduldig.
„Als wir den Ausgang des Haines erreicht hatten, drehten wir um.“, begann der Soldat stockend zu erzählen, „Wir versteckten uns hinter einem Gebüsch, und beobachteten die Geschehnisse bei der Wassersäule.“
„Und was geschah da?“, sagte Korthandes mürrisch.
„Der Verräter redete mit den Hüterinnen.“, fuhr der Soldat fort, „Die Matrone kam hinzu. Wir konnten nicht hören, was sie sagten, aber was als nächste kam, dass lies uns das Blut in den Andern gefrieren.“
„Keine Romane, Soldat.“, befahl der General, der sich bereits nahe am Rande seiner Geduld befand.
Der Soldat blickte verlegen. Doch dann stand ihm das blanke Entsetzen in sein Gesicht geschrieben.
„Die Matrone schien irgendein Ritual auszuüben.“, sagte er leise, „Aus der Wassersäule traten vier Riesen heraus. Sie bestanden komplett aus Wasser. Sie sahen aus wie gigantische Elben, doch ihre Gestalt floss wie die Wassersäule selbst. Über dieser und den See bildete sich eine Art Kuppel. Sie schien in einem blauen Licht. Als die Kuppel alles umschloss, begannen die Hüterinnen den Hain zu verlassen. Als sie durch einen Ausgang im Wald verschwunden waren, begannen die Riesenelben um die Kuppel zu patrouillieren. Wir beschlossen zurückzukehren und Bericht zu erstatten.“
Korthandes hörte den Bericht mit Verwunderung. Er rieb sich nachdenklich am Kinn.
„Ihr könnt wegtreten!“, befahl er, und murmelte für sich „Hm, was für eine Teufelei ist das nun.“
Er überlegte kurz dann rief er einen Obersten seines Stabes zu sich.
„Mein General!“, meldete sich der Oberst.
Der General fasste für den Oberst kurz den Bericht des Soldaten zusammen.
„Wir müssen daher die Strategie ändern.“, erklärte er ihm.
„Wie ihr befehlt, General.“, nickte der Offizier zustimmend, „Wie sollen wir nun vorgehen?“
„Von den Zenturien, die das Dorf sichern, soll eine den Hain angreifen.“, legte General Korthandes dar, „Drei sollen im Dorf verbleiben. Die anderen vier stoßen zu den Zenturien, die die Wälder durchsuchen. Wir brauchen diese Hüterinnen.“
„Sie werden ihren kurzen Triumph nicht auskosten können.“, grinste der Oberst.
„Lebend!“, donnerte der General, „Wir brauchen zumindest einige von ihnen lebend. Auch diesen untreuen Magister würde ich gerne lebend in die Hände bekommen. Er soll spüren, was ein Verrat bei den Atalantë bedeutet. Nun geht, und macht es so!“
Der Oberst salutierte, und verließ die Brücke des Flagschiffes.

„Wohin nun, Kallidos?“, fragte der Atalantë angstvoll.
„Ich weis es doch selber nicht, Mann.“, schüttelte der Offizier den Kopf, „Dieser Wald!“
Er blickte sich angstvoll um. Seine Zenturie war eine der letzten, die den Wald betraten, als sie die fliehenden Elben verfolgten.
Als ein Späher meldete, dass diese flohen, hielt es der Vizegeneral, der den rechten Flügel der Angriffststreitkräfte befahl, noch für einen sicheren und einfachen Sieg, und schickte den Fliehenden zwei Zenturien hinterher. Als er den Kontakt zu diesen verlor, schickte er zwei weitere. Leutnant Kallidos und sein Manipel waren bei den letzten beiden Zenturien, die in den Wald geschickt wurden.
„Wir müssen vorsichtig sein!“, mahnte der Leutnant.
Er schlich sich tief gebeugt durch die Äste der Bäume. Die aufrechte kämpferische Haltung der Atalantë war ihm vergangen, als er sah, wie sich weiße Pfeile in die Brust seiner Kameraden bohrten.
„Die Elben sitzen auf den Bäumen.“, flüsterte Kallidos, „Aber wir können sie nicht sehen.“
Ein Soldat hinter ihm schrie kurz auf. Der Leutnant musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass er tot war.
„Achtung, Deckung!“, schrie er, „Ein weiterer Angriff!“
Die restlichen Soldaten des Manipels bildeten Vierergruppen und schützen sich mit ihren langen quadratischen Schilden. Die Pfeile der Elben bohrten sich in das Holz der Schilde.
‚Wenigstens gehen sie nicht zum Nahkampf über.’, dachte Kallidos.
Der Pfeilschauer stoppte genauso schnell, wie er begann.
„Sie haben wieder aufgehört.“, rief der Leutnant, „Bleibt noch ein paar Augenblicke in Deckung.“
Er wusste mittlerweile, dass die Elben sie in diesen dichten Wäldern nie lange angriffen. Sie schlugen kurz zu, und verschwanden wieder. Kallidos bewunderte diese Taktik. Sie war ideal an das Gelände angepasst, und äußerst effizient. Sie dezimierte die Zahl der Atalantë, ohne dass die Elben selbst entdeckt und angegriffen werden konnten. Außerdem verunsicherte sie die auf offene Schlachten gedrillten Atalantëkriegern. Einen unsichtbaren Feind zu bekämpfen, senkte die Kampfmoral unter ihnen beträchtlich. Der unheimliche und dichte Wald tat ein Übriges dazu.
‚Wenn wir nur wüssten, wie viele es sind?’, dachte Leutnant Kallidos, ‚Es können wenige sein oder eine ganze Armee. Aber selbst wenn ich das wüsste, nützt es mir nichts. Ich weis nicht wo die anderen Zenturien sind.’
Er seufzte tief, und befahl seinen Kriegern wieder weiter zu marschieren. Insgeheim wunderte er sich, dass sie nie auf getötete Kameraden stießen.
„Leutnant seht!“, rief ein Soldat, und riss ihn aus seinen Gedanken.
Der Wald vor ihnen wurde heller. Zwischen den Bäumen konnte man eine gewaltige Lichtung erkennen.
„Bei Sauron!“, entfuhr es Kallidos. Er riss die Augen ungläubig auf.
Ein Pfeilschauer ging von allen Seiten auf sie nieder. Sie rannten auf die Lichtung.

Der Gelände wurde steiler. Eärdaliene führte Aliasan und die Hüterinnen nun schon seit einigen Stunden durch die Wälder. An machen Stellen kamen den Hüterinnen Zweifel, ob Eärdaliene noch wusste, wo sie überhaupt hin wollte, so undurchdringlich erschien der Wald, durch den sie gingen. Viele glaubten, dass sie im Kreis wanderten. Sie wähnten Stellen zu erkennen, an denen sie bereits kurz vorher vorbeigekommen waren. Eärdaliene sprach ihnen Mut zu und versicherte ihnen, dass sie richtig seien, und bat sie zu schweigen. Die Hüterinnen vertrauten ihr dann von Neuen.
Die Änderung des Geländes beruhigte aber nun doch die Gemüter. Es war allen nun klar wo sie sich befanden. Sie waren weit entfernt vom heiligen Hain. Die Insel hatte nur eine Erhebung. Es war der Berg in der Mitte jeder der fünf Inseln. Die Berge standen an der Stelle der imposanten Masten, die die zu Land gewordenen fünf Erforscher der Meere einst besaßen.
Der Wald wurde an den Hängen des Berges etwas lichter. Eine deutliche Spur führte in Serpentinen den Berg hinauf. Die Hüterinnen rätselten, wer diese verursacht hatte.
„Alles in Ordnung, Schwestern.“, beruhigte sie Eärdaliene, „Bald werdet ihr es sehen.“
Die Hüterinnen hatten alle Mühe den immer steiler werdenden Hang des Berges zu ersteigen. Ihre Roben und Schuhe waren eindeutig für so eine Kletterpartie ungeeignet. Einige rutschten daher von Zeit zu Zeit ab. Eärdaliene wartete dann bis diese wieder aufgeholt hatten und stieg unbeirrt weiter.
Die Baumgrenze des Berges lag vor ihnen. Darüber war der Berg nur noch von Gras bedeckt, bis er in einer eleganten fast senkrechten Nadel aus Fels in die Höhe schoss. An einigen Tagen des Jahres lag auf seinem Gipfel auch Schnee, der dann strahlend in der Sonne glitzerte, und dem Berg wie einen riesigen Leuchtturm erschienen lies.
Die Spur führte nun knapp unter der Baumgrenze um den Berg herum. Eärdaliene blieb stehen. Vor ihnen stand eine Elbenwache.
„Grüße Matrone.“, verbeugte sich der Elb, „Ihr werdet bereits sehnsüchtig erwartet.“
„Danke Wache. Der Segen der Valar schütze dich.“, sagte und machte eine kurze segnende Handbewegung, „Wo ist der Oberst?“
„Er erwartet euch im Adlernest.“, meldete die Wache.
„Adlernest?“, schüttelte Eärdaliene fragend den Kopf.
„Nun, wir nennen den Kommandoposten so, da er wie ein Adlernest hoch oben am Berg liegt.“, erklärte der Soldat.
„Wie passend.“, nickte Eärdaliene ihm zu, „Kommt Schwestern und seht!“
Sie passierten den Wächter. Die Hüterinnen fielen in schweigendes Staunen. Die Bäume vor ihnen waren mit Strickhängebrücken verbunden. Einfache Baumhäuser schmiegten sich an die Stämme, oder waren zwischen den Bäumen aufgehängt. Elben bevölkerten die schwindelerregende Siedlung.
„Das sind die Bewohner der Siedlung.“, erklärte Eärdaliene den staunenden Hüterinnen, „Sie alle wurden hierher in Sicherheit gebracht.“
„Von wem?“, entfuhr es Erhaldiäne, die neben der Matrone stand.
„Kommt und seht alle.“, winkte Eärdaliene den Hüterinnen zu.

Eärdaliene führte sie durch die Baumhaussiedlung. Die Bewohner begrüssten die Hüterinnen freudig. Der Wald vor ihnen lichtete sich. Eine hölzerne Plattform erschien an der Flanke des Berges. Einige weiße Zelte mit der Flagge der Teleri der fünf Inseln standen auf ihr. Die Hüterinnen traten auf die Plattform. Erst jetzt nahmen die Hüterinnen wahr, wie steil der Berg war, den sie eben erklommen hatten. Sie konnten vom Rand der Plattform bis fast zum Fuß des Berges senkrecht hinunter blicken. Sie schwindelte. Die Plattform bot einen grandiosen Ausblick auf den nördlichen Teil der Insel.
„Das Adlernest!“, erklärte Eärdaliene.
„Ja, das stimmt.“, flüsterte Erhaldiäne fast ehrfürchtig.
„Dein Bruder hat hier viel geleistet, Schwester.“, sagte die Matrone.
Ein Offizier in der weißen Rüstung der königlichen Armeen kam auf sie zu.
„Seit ihr Matrone Eärdaliene?“, fragte er eine Hüterin, die gerade eines der weißen Zelte inspizierte.
Diese deutete kichernd und leicht errötet auf Eärdaliene, „Nein Soldat. Dort ist sie.“
„Danke.“, sagte der Offizier verlegen
Er ging auf Eärdaliene zu und salutierte mit einer tiefen Verbeugung.
„Wahrlich allein eure Schönheit sollte mir Erkennung genug gewesen sein.“, sagte er zu ihr.
Eärdaliene drehte verlegen ihren Kopf weg.
„Nicht doch.“, sagte sie, „Jedes Geschöpf Illuvatárs ist schön in seinem Sinne.“
„Gewiss, gewiss.“, nickte der Offizier, „Oberst Ëmalian der königlichen Streitkräfte zu eurem Befehl, Matrone.“
„Danke Oberst. Eru möge euch stets gewogen sein.“, nickte sie im freundlich zu, „Wie ist die Lage?“
„Seht selbst.“, sagte Ëmalian und deutete zu Tal.
Eärdalienes Blicke und die der Hüterinnen folgten seinem Finger.
Auf der östlichen Seite der Insel sahen sie eine riesige Lichtung im Wald. Sie war von der Spitze des Berges fast verdeckt.
„Was ist das, Matrone.“, fragte eine Hüterin, „Unsere Insel ist doch von ihren weißen Stränden bis fast zum Gipfel des Mastes bewaldet.“
„Die ist ein weiteres notwendiges Opfer.“, seufzte Eärdaliene.
Die halbe Lichtung leuchte weiß. Die Hüterinnen verstärkten ihre Sicht. Undeutlich konnten sie Zelte erkennen. In der Mitte der Zelte erhob sich ein mächtiges weißes Zelt, das wie eine Burg aussah. Eine meerblaue Fahne mit einem gekrönten silbernen Delphin flog stolz im Wind über den Zelt. Die Hüterinnen schauten Eärdaliene ungläubig an.
„Ja Schwestern.“, sagte sie voller Stolz, „Die gesamte Streitmacht der Teleri der fünf Inseln unter dem Kommando der Königin Ëarmeneliene selbst.“
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
47. Angriff

Leutnant Kallidos traute seinen Augen nicht. Vor ihm lag ein gigantisches Schlachtfeld. Er konnte die Ordnung nicht genau erkennen. Er sah einige die Zenturien der Atalantë, wie sie versuchten sich zu formieren. Andere marschierten bereits in Kampfformation. Rechts von ihm sah er die Standarte seiner Zenturie.
„Los, Männer!“, rief er den Resten seines Manipels zu, „Schließen wir zur Zenturie auf.“
Seine Männer und er liefen wie die Hasen. Sie versuchten in wilden Zickzack den Elbenpfeilen auszuweichen, die vom Wald aus auf sie zuschossen. Als sie sich außerhalb der Reichweite der Bogenschützen wähnten, fielen sie in eine Laufformation. Der Rest der Zenturie war noch wenige Meter entfernt. Kallidos lief zur Standarte. Er erwartete dort den Oberst zu finden.
„Viertes Manipel.“, meldete er einem Offizier, „Leutnant Kallidos möchte den Oberst sprechen.“
„Rührt euch, Leutnant.“, befahl der Kapitän, „Der Oberst weilt bei den Ahnen. Ich habe nun den Befehl über die sechste Zenturie.“
Der Leutnant nickte dem Kapitän kurz zu. Es galt bei den Atalantë als ehrenhaft im Kampf zu sterben.
„Ich habe fast das halbe Manipel durch die Bogenschützen verloren, Kapitän.“, erklärte Leutnant Kallidos bitter.
„Dann hattet ihr noch Glück.“, sagte der Kapitän und zuckte mit den Mundwinkeln, „Viele Manipeln werden noch komplett vermisst.“
„Wir sind zum Kampf bereit!“, rief der Leutnant und klopfte sich auf die Brust.
„Gut, Leutnant.“, nickte der Kapitän, „Da reiht euch mit euren Männern in die Zenturie ein. Wir werden als nächstes den Angriff wagen.“
„Gegen wen?“, wollte Kallidos noch wissen.
„Gegen die gesamte Streitmacht der Teleri.“, antwortete der Kapitän resigniert.
Leutnant Kallidos salutierte und ging nachdenklich zurück zu seinem Manipel.
Die Taktik der Elben war ihm nun klar. Die Zenturien wurden in den fast unpassierbaren Wald gelockt. Einmal in den wirren Dickichten des Waldes gefangen, wurden sie von den Bogenschützen zur Lichtung getrieben. Dort stießen die ersten auf ein kampfbereites Heer der Elben, und wurden vernichtet. Erst den Nachzüglern gelang es scheinbar nun eine Schlachtordnung herzustellen. In den Wald wollte keiner mehr von ihnen zurück.
„Schließt euch der Zenturie an!“, befahl er seinem Manipel.
Die Männer, die eine kurze Rast eingelegt hatten, erhoben sich und liefen auf die Position ihres Manipels innerhalb der bereits fast vollständig aufgestellten Resten der sechsten Zenturie.
„Endlich kommt es zu einer ehrenvollen Schlacht!“, spornte Kallidos sie an.
Die Zenturie setzte sich in Bewegung.

Eärdaliene schaute besorgt mit verschränkten Armen vom Adlernest Richtung Westen. Die Plattform des Kommandopostens war so errichtet worden, dass man sowohl den Hain sah, der westlich des Mastberges lag, als auch das Schlachtfeld der Lichtung, die die Elben östlich des Berges errichtet hatten. Oberst Ëmalian sah ihre besorgten Blicke.
„Was betrübt euch, Matrone?“, fragte er sie.
Eärdalienes drehte sich ihm gedankenverloren zu.
„Oberst?“, sagte sie geistesabwesend.
„Was ist mit euch los?“, sagte er erschrocken.
„Nichts, nichts, Oberst.“, beruhigte sie ihn, „Macht euch keine Sorgen. Ich sehe, dass unsere Soldaten dort unten gut kämpfen, und der Plan scheinbar aufgeht.“
„Ja, es schaut gut aus.“, nickte der Oberst zufrieden.
„Wir werden es wissen, wenn Aliasan zurückgekehrt ist.“, dämpfte sie den Optimismus Ëmalians.
Dass sie sich mehr Sorgen um Aliasan machte, als um die Krieger der Königin, verschwieg sie dem pflichtbewussten Offizier lieber.
„Nun, weis ich was meinen Bruder die letzten Wochen so beschäftigt hatte.“, sagte Erhaldiäne, als sie zu den beiden herantrat.
„Ja.“, stimmte Eärdaliene ihr zu, „Er hatte viel zu tun. Ich konnte ihm kaum helfen, da ich den Hain nicht lange alleine lassen konnte.“
„Ich wusste nichts davon.“, schüttelte die Hüterin ihren Kopf.
„Niemand wusste etwas davon.“, erklärte ihr Eärdaliene, „Wir haben alle Teile des Planes auf verschiedene Schultern gepackt. Keiner wusste, was der andere tat. Wir konnten niemanden richtig vertrauen.“
Sie hielt inne und senkte ihre Augen. Der Verrat und Verlust ihrer Freundin schmerzte sie noch immer. Eärdaliene versuchte die traurigen Gedanken zu verscheuchen.
„Dein Bruder kümmerte sich um den Aufbau der Zuflucht.“, erklärte sie Erhaldiäne, „Ich sorgte für die Kommunikation mit der Königin. Aliasan schließlich diente als Lockvogel für die Atalantë. Sein Part war der Schwerste.“
„Nicht doch, Liebes.“, sagte Aliasan der wie auf Stichwort hinter einem Zelt hervorkam.
„Aliasan!“, rief Eärdaliene freudig. Ihre Augen begannen zu glänzen. Sie fiel ihm um den Hals.
„Öhm.“, räusperte sich Aliasan, „Doch nicht vor dem Oberst und der Hüterin. Du benimmst dich nicht wie eine Matrone.“
„Mir egal.“, schnurrte Eärdaliene, „Ich bin froh, dass du zurück bist, mein Herz.“
Aliasan begann zu erröten. Er schob die zierliche Matrone sanft von sich weg.
„Auf der Lichtung läuft alles nach Plan, Oberst.“, wandte er sich Ëmalian zu, „Die Truppen der Königin haben keine Schwierigkeiten, mit dem aufgeriebenen Heer der Atalantë.“
„Dann müssen wir nun zum nächsten Teil des Planes übergehen.“, sagte Eärdaliene ernst, „Erhaldiäne, versammle unsere Schwestern hier.“
Die Hüterin deutete eine knappe Verbeugung an, und ging in Richtung der Baumhaussiedlung.
„Willst du es wirklich wagen?“, sorgte sich Aliasan.
Eärdaliene nahm ihn bei den Händen.
„Ich muss, Aliasan.“, sagte sie zögernd, „Auch wenn ich lieber mit dir fern dieser Geschehnisse wäre, so gilt doch meine ganze Loyalität zuerst dem Hain und den Inseln. Erst wenn wir die Atalantë ein für alle mal vertrieben oder vernichtet haben, und der Hain und unsere Heimat wieder in Sicherheit sind, kann ich ruhig mit dir unser Leben verbringen. Doch bis dahin, müssen wir uns dem Schicksal stellen. Ganz egal, was es uns bringt und was es für uns beide bedeutet.“
„Ich kann dir nicht widersprechen.“, stimmte ihr Aliasan zu, „Auch ich würde wohl so handeln, wäre meine ferne Heimat in Gefahr.“
„Gut, dann sei es.“, nickte sie, und sah ihm liebevoll in die Augen.
Schritte wurden hörbar. Die Priesterrinnen hatten sich um Aliasan und sie versammelt. Eärdaliene Gesichtsausdruck wurde ernst.
„Schwestern!“, begann sie die Hüterinnen zu adressieren, „Ihr seht, was alles auf unserer heiligen Insel geschieht. Diese Opfer mussten leider gebracht werden. Doch ist die Bedrohung durch die Atalantë noch nicht zu Ende. Auch wir müssen unseren Teil dazu beitragen. Aliasan und ich werden zum Hain zurückkehren. Wir wissen nicht, wie lange die Wächter die Wassersäule verteidigen können. Solange ich fort bin, wird Erhaldiäne mich hier bei euch vertreten.“
„Ich…“, wollte diese widersprechen. Sie verstummte aber, als sie den strengen Blick der Eärdaliene sah, die nun wieder den Ernst und die Würde einer Matrone ausstrahlte.
„Du musst das Werk deines Bruders weiterführen.“, sprach Eärdaliene ihr zu.
„Ja, für Erlendur.“, flüsterte Erhaldiäne leise.
„Das wäre geklärt.“, nickte die Matrone ihr zu, „Deine erste Aufgabe wird sein zwanzig unserer besten Heilerinnen zu benennen. Der Oberst wird ihnen einen Pfadfinder an die Seite stellen, der sie in das Lager der Königin führt. Ihre Heilkenntnisse werden dort dringend benötigt. Der Rest von euch kümmert sich um die Bewohner unserer verlorenen Siedlung. Ich glaube, dass hier auch viel Trost und Zuspruch vonnöten ist. Nun geht und führt eure ehrenvollen Aufgaben aus. Der Segen Erus und aller Valar möge euch und alle Elben, die ihr trefft, begleiten.“
Sie hob beschwörend die Hände und begann die letzte Strophe des einen Lieds zu singen. Aliasan und der Oberst sahen sie verblüfft an. Es war nicht nur eine Stimme mit der Eärdaliene klar und wunderbar sang. Es war wie ein himmlischer Chor der Valar selbst. Alle Elben der Zuflucht strömten zum Adlernest, und hörten entrückt zu. Eine starke Zuversicht und frische Hoffung legte sich über sie alle.

„Schade darum.“, zuckte der Atalantëoffizier mit den Schultern, „Wir hätten die Gebäude später vielleicht gut für unseren Stützpunkt gebrauchen können.
„Schwachsinn!“, verhöhnte ihn sein Oberst, „Diese ärmlichen Holzhütten sind eines Atalantë nicht würdig, Flagleutannt.“
„Ja, sicher. Wie ihr meint, Oberst.“, sagte der Adjutant pflichtbewusst.
„Sie eignen sich gar nicht für den Krieg.“, sagte der Oberst der ersten Zenturie und warf den eleganten Gebäuden des Ordens einen verächtlichen Blick zu.
„Wir sind schließlich Eroberer.“, sagte der Oberst ernst, „Wir nehmen was wir brauchen, und zerstören was wir nicht brauchen, damit es dem Feind nicht hilft.“
„Wie sollen wir vorgehen?“, fragte der Flagleutnant.
„Die Gebäude wurden von unseren Katapulten absichtlich verschont, da das Spezialmanipel sich darum kümmern sollte. Nunja, diesen Plan können wir wohl als absolut gescheitert abhaken.“, grinste der Oberst, „Das kommt davon, wenn man Fremden vertraut.“
Er verstummte, und schaute sich erschrocken um. Es war nicht klug seinen General zu kritisieren. Es könnte üble Konsequenzen haben. Er war erleichtert, als er feststellte, dass nur sein Adjutant in Hörreichweite war. Er musterte ihn mit zusammengekniffen Augen. Er wusste nicht, ob er ihm vertrauen könnte. Schließlich wäre er einer seiner möglichen Nachfolger.
„Wir müssen die Gebäude selbst zerstören.“, fuhr er eilig fort um von seinem Fauxpas abzulenken, „Die Katapulte der Schiffe können uns nicht helfen. Die Zenturie ist zu nahe am Zielgebiet. Bringt die fahrbaren Katapulte in Stellung und vernichtet die entfernteren Gebäude damit. Die äußeren steckt in Brand.“
Der Adjutant salutierte mit einem breiten Grinsen. Der Oberst war sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob er nicht doch einen dummen Fehler gemacht hatte.
Soldaten begannen die Katapulte der ersten Legion näher an den Hain in Stellung zu bringen. Die Metallkörbe in denen bereits die Feuerkugeln gezündet waren, schulterten sie mit langen Stangen.
Einige Manipeln der Legion begannen Fackeln anzuzünden, und setzten sich in Richtung der äußeren Gebäude in Bewegung.
Der Oberst stand vor dem kunstvoll geschnitzten Zugangstor des Ordens, und betrachte es intensiv.
„Kunst? Humbug!“, murmelte er und rief, „Feuer frei!“
Die Katapulte begannen ihre feurige Ladung zu verschießen, die wie ein Meteoritenschauer auf die Gebäude des Hains niederging. Die Soldaten schmissen ihre Fackeln in die äußeren Gebäude des Hains. Die hölzernen Stallungen und Wirtschaftsgebäude, die diesen Teil des Ordens bildeten, brannten wie trockenes Stroh. Die Feuerbrunst, die die Katapulte mit ihren Pechkugeln auslösten, wütete in den zentralen Gebäuden der Versammlungsstätten und der Bibliothek. Ihre hölzernen Teile waren schnell von den gierigen Flammen verzehrt. Die beiden Feuerfronten trafen sich in der Mitte, und hatten leichtes Spiel mit den dort befindlichen Schlafgemächern der Hüterinnen.
„Gut. Sehr gut.“, rieb sich der Oberst die Hände, der trotz der großen Hitze, die ihm von dem teuflischen Inferno entgegenschlug, seinen Standort vor dem Tor nicht verlassen hatte.
„Leutnant!“, rief er seinen Adjutanten, „Bereitet den nächsten Schritt vor.“
Der Leutnant salutierte und lief die Manipeln ab.
Die Katapulte stellten das Feuer ein. Die Soldaten löschten ihre Fackeln. Vier spezielle Manipeln, die mit Hacken und Branddecken ausgerüstet waren, nahmen vor den noch brennenden Ruinen des Ordens Aufstellung. Die Feuer verloschen langsam. Hier und da züngelten noch einzelne Flammen.
„Räumkommando los!“, befahl der Oberst.
Die Soldaten setzten sich in Bewegung. Sie erstickten letzte Flammenreste mit ihren Decken. Ihre Kameraden räumten den gröbsten Schutt beiseite. Die Überreste der Bibliothek und der Versammlungshalle, waren jedoch zu groß. Sie ragten wie schwarze Hügel mahnend aus den niedergebrannten Gebäuden und Gärten des Ordens.

Königin Ëarmeneliene lächelte zufrieden. Sie stand vor dem Heer der Teleri in ihrer schimmernden silbernen Mithrilrüstung. Ihr meeresblauer Helmbusch wehte im kühlen Nordwind. Sie hielt ihre beiden Schwerter bereit zum Gefecht fest in den Händen.
„Diese Narren sind geradewegs in unsere Falle gerannt, Admiral.“, lachte sie lauthals.
„Ja, meine Königin, ich hätte nicht gedacht, dass die Atalantë so dumm sein würden.“, schüttelte der Admiral den Kopf.
„Aliasan hat gute Arbeit geleistet.“, nickte die Königin zufrieden, „Dieser Vizegeneral will nur sein Gesicht wahren, und hat dabei nicht gemerkt, wie er seine gesamten Zenturien in den Untergang geschickt hat.“
„Eine gute Wahl für uns, fürwahr.“, stimmte der Admiral zu, „Trotzdem, Königin der Fünf, müssen wir aufpassen. Es ist nur höchstens das halbe Atalantëheer, dem wir hier gegenüberstehen.“
„Richtig Imëleredis, das gibt mir zu bedenken.“, sagte die Königin nachdenklich, „Wir müssen bald unser verstecktes Schlachtfeld aufgeben.“
Sie sah wie eine weitere Zenturie in ihr Verderben marschierte. Sie hob die rechte Hand und gab das Signal zum Angriff. Im Moment lächelte ihr das Kriegsglück mit seinem breitesten Grinsen zu.

Es war im egal. Seine schwarze Rüstung hatte er längst vor seiner wilden Flucht abgeworfen. Er wusste was ihn im Wald erwartete. Sie hätte ihn nicht schützen können, und war nur unnötiger Ballast. Er rechnete sich aber dennoch eine gute Chance aus. Wie ein Tier schlich er durch den Wald. Er wusste, dass er sich seiner Umgebung anpassen musste, um den Pfeilen der Elben zu entgehen, die auf den Bäumen auf Flüchtlinge warteten. Er musste denken wie sie. Er musste mit der Natur leben und mit ihr verschmelzen. Dann würde er es vielleicht schaffen.
Er hatte sich freiwillig gemeldet, als der Kapitän nach einem Boten suchte. Die Elben hatten sie fast komplett eingekesselt. Die Verluste der Zenturie waren groß. Kurz vor der totalen Vernichtung der sechsten Zenturie erhielt er den Befehl, zurück zum Vizegeneral zu laufen und die Lage zu melden. Die Atalantë an der Küste mussten von dem versteckten Heer der Elben erfahren. Mit den letzten verbliebenen Kräften der Zenturie lies der Kapitän einen sicheren Korridor durch die übermächtigen Elbenstreitkräfte bilden. Der Leutnant lief, wie wenn Melkor persönlich hinter ihm her gewesen wäre.
Es wunderte ihn, dass er den Wald unbemerkt erreicht hatte. Er begann von Baum zu Baum zu schleichen. Nun kauerte er sich auf den Boden und lauschte. Vögel zwitscherten und sangen. Die Bäume rauschten im kühlen Nordwind. Er konzentrierte sich. Jedes unnatürliche Geräusch war ein Anhalt.
‚Nein, kein Elb in der Nähe.’, kam Kallidos unsicher zum Schluss.
Er schlich gebeugt wie ein Affe auf allen Vieren zum nächsten Baum, der im kurz Schutz bieten würde.

Eärdaliene und Aliasan waren auf halben Weg hinunter zur Ebene. Eärdaliene blieb entsetzt stehen, und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Eine Lücke in den Bäumen hatte den Blick nach Westen freigegeben.
„Aliasan!“, rief sie entsetzt, „Der Hain brennt!“
Aliasan folgte den Blicken ihrer weitaufgerissenen dunklen Augen.
„Ja Liebes, damit war zu rechnen. Aber es sind nur Gebäude.“, versuchte er sie zu trösten, und nahm sie in den Arm.
„Ja, leider.“, seufzte sie, „Aber es tut weh Dinge zerstört zu sehen, die Jahrtausende unbeschädigt überstanden hatten.“
„Man kann sie wieder aufbauen.“, sagte er ruhig, „Und das Wichtigste hast du in Sicherheit gebracht.“
„Ja.“, nickte sie zufrieden, „Die Bibliothek ist sicher. All das Wissen auch noch zu verlieren, wäre ein unersetzlicher Verlust gewesen. Vermutlich haben die Lichtelben nicht damit gerechnet, dass ihre geheime Halle einmal der ideale Tresor für die Bücher und Schriftrollen unserer Bibliothek werden würde.“
Sie schaute entschlossen in Richtung der brennenden Gebäude.
„Aber nun müssen wir uns noch mehr beeilen.“, schaute sie Aliasan ernst in die Augen, „Das Allerheiligste ist in akuter Gefahr.“
Wie ein Reh begann sie den direkten senkrechten Weg zur Ebene hinunter zu springen.

„Die Gebäude sind zerstört.“, meldete der Flagleutnant kalt seinem Oberst, „Das Räumkommando hat den Weg für die Zenturie freigemacht.“
Der Oberst nickte zufrieden. Welche traditionsvollen Gebäude seine Soldaten gerade in Schutt und Asche gelegt hatten, berührte ihn nicht. Für ihn zählte nur der militärische Erfolg. Er schürzte die Lippen.
„Ich will hoffen, dass sie das Allerheiligste nicht betreten haben.“, sagte er mit einen Hauch von Verachtung für den Glauben der Elben.
„Nein, sie haben nur bis zu dessen Eingang geräumt.“, meldete der Leutnant.
„Sehr gut.“, sagte der Oberst finster, „Lasst die Zenturie in Schlachtformation antreten. Wir rücken vor.“
Die Manipeln der Zenturie nahmen präzise wie ein Uhrwerk Aufstellung. Der Oberst schritt die Reihen ab, und nahm seinen Platz vor seinen Kriegern ein. Er drehte sich ihnen zu.
„Atalantë!“, donnerte er, „Bis jetzt haben wir keinen Feind gesehen. Das wird sich bald ändern. Was immer uns dort erwarten mag, bedenkt immer, dass ihr zur ersten Zenturie gehört! Ihr seid die Elite der Atalantë! Nun lasst uns vorrücken und unsere Aufgabe erfüllen!“
Er hob sein Schwert, und rief, „Für die Atalantë! Rache für Numénor!“
Die Soldaten der ersten Zenturie hoben ihre Waffen in die Luft und stimmten ein Kampfgeheul an.
Der Oberst drehte sich zackig um und deutet mit seinem Schwert zu den Überresten des Hains.
„Angriff!“, schrie er.
Die erste Zenturie setzte sich in Bewegung. Die kurze Distanz bis zu den heckenartigen Bäumen, die das letzte Hindernis in das Innerste des Haines darstellten waren in dem raschen Marschtempo der Atalantë bald von ihnen durchschritten.
„Fällt die Bäume!“, befahl der Oberst.
Einige Soldaten mit Äxten lösten sich aus den Reihen der Zenturie und begannen die Bäume zu fällen. Ein Raunen ging durch die Reihen der Zenturie, als die Sicht auf das Innerste frei war.
Vor ihnen lag der Wiesenring der das Allerheiligste umgab. Dahinter schienen die Smaragdbäume Yavannas in voller Pracht. Ihre Blätter leuchten in einem inneren grünen Feuer wie von selbst. Die Stämme aus Mithril spiegelten das Licht der Blätter tausendfach wieder.
Vier riesige Gestalten umrundenden die Bäume auf dem Wiesenring. Die Atalantë hatten Mühe ihre Gestalt zu erkennen. Sie ähnelten Elben, waren aber mindestens hundert Fuß hoch. Sie schienen wie ein Wasserfall zu fließen. Regenbogen bildeten ihre Haare. Ihre Augen glitzerten wie Eisberge in der Sonne. Sie hielten enorme Schwerter, die ebenfalls aus Eis zu bestehen zu schienen, in ihren Händen.
„Seht!“, rief der Oberst seinen Soldaten zu, „Nur vier wässerige Gestalten! Was für eine lächerliche Wache!! Aufteilen und Angriff!“
Die Zenturie teilte sich in vier Angriffskeile. Jede von Ihnen stürmte auf einen der Wasserriesen zu. Diese hoben bedrohlich ihre Schwerter.

„Es ist grausam, meine Königin.“, sagte der Teleriadmiral leise.
„Admiral, das ist der Krieg immer.“, erwiderte Königin Ëarmeneliene dem Soldaten, „Wir dürfen jedoch nie vergessen, dass die Atalantë die Angreifer waren.“
„Das mag gut sein.“, schüttelte der Admiral ungläubig dessen, was sich vor seinen Augen abspielte.
„Es ist ihr eigenes Schicksal, das sie so besiegeln.“, zuckte die Königin mit den Schultern.
Eine Zenturie nach der anderen lief zum Angriff gegen die Teleriestreitmacht. Diese wusste ihre Vorteile gut zu nutzen. Ohne ein koordinierendes Oberkommando, waren die Atalantë ziellos gegen die Übermacht der Elben vorgegangen.
Die Königin hatte das Schlachtfeld sorgfältig vorbereiten lassen. Die Lager der Elben waren gut mit Nachschub ausgestattet, der den Atalantë vollständig fehlte. Die Teleri hatten lange vor der Schlacht einzelne Schanzwerke errichtet. Von diesen aus hatten ihre Bogenschützen nun ein leichtes Spiel mit den anstürmenden Zenutrien. In einfach zu verteidigenden Engpässen wurden die Atalantë konzentriert. Die durch die Bogenschützen in den Wäldern bereits geschwächten Atalantë hatten daher keine Chance gegen die erdrückende Übermacht der Elben. Es gab keinen Ausweg.
Ein Oberst kam auf die Königin zugelaufen. Er salutierte.
„Meine Königin.“, meldete er, „Die Schlacht ist vorüber.“
„Den Valar sei Dank.“, sagte die Königin, und hob ihre Hände gen Himmel.
„Gibt es Gefangene?“, wollte der Admiral Imëleredis wissen.
Der Oberst sah betroffen zu Boden.
„Nein, es konnten keine gemacht werden.“, sagte er mit einem traurigen Kopfschütteln, „Es war nur sehr schwer von unseren Truppen zu ertragen.“
„Das ist mir bewusst, aber die Truppen haben tapfer gekämpft.“, versuchte die Königin den Mut des Obersts wieder zu steigern, „Es ist wohl der Brauch der Atalantë, dass sie ihre Verwundeten lieber selber töten, als sie den Feind in die Hände fallen zu lassen. Wir müssen, das nicht verstehen. Die Atalantë haben ihr eigene Sitten. Auch wenn uns diese grausam und barbarisch vorkommen, so müssen wir sie doch respektieren.“
„Aber…“, begann der Oberst, aber er hielt inne, als er bemerkte, wem er widersprechen wollte,.
„Ja, Oberst. Sie kämpfen bis zum letzten Mann.“, sagte Königin Ëarmeneliene, „Und dies selbst wenn die Lage hoffnungslos ist. Der Tot auf dem Feld der Ehre bedeutet ihnen mehr als ihr eigenes Leben. Diese Philosophie werden wir nie verstehen.“
„Meine Königin?“, unterbrach sie Admiral Imëleredis, „Es ist an der Zeit.“
Königin Ëarmeneliene nickte langsam. Sie wusste, dass ihnen nun der schwierigere Teil bevorstand.
„Ja, Imëleredis.“, sagte sie zögernd, „Lasst die Flotte die Insel umrunden und die Schiffe der Atalantë angreifen. Oberst, das Heer soll durch den Wald in Richtung Siedlung vorrücken.“
Die beiden Offiziere salutierten stumm, und verließen sie.
 
48. Umschlungen

„Ich habe es geschafft!“, jubelte er und riss seine Faust hoch.
Vor ihm lag nur noch wenige Schritte durch den Wald entfernt die zerstörte Siedlung. Er trat aus dem Wald. Ein stechender Schmerz durchbohrte seinen Oberarm. Ein Elbenpfeil hatte ihn nun doch noch getroffen. Er sammelte seine letzten Reserven und rannte los. Die Wachposten der Atalantë in der zerstörten Siedlung schauten ihn staunend nach. Er hielt erst an, als er den Strand erreicht hatte. Er sank auf die Knie.
„Ich lebe!“, schluchzte er.
Die traumatischen Ereignisse auf der Lichtung würde er sein Leben lang nicht vergessen. Er stand auf und sah sich um. Einige hundert Schritte in Richtung des Zentrums der Siedlung sah er am Strand das Zelt des Vizegenerals. Er ging darauf zu.
„Leutnant Kallidos, sechste Zenturie viertes Manipel, mit einer wichtigen Meldung für den Vizegeneral.“, meldete er sich bei den Wachen vor dem Zelt.
Eine Wache musterte ihn von oben bis unten.
„So willst du dem Vizegeneral gegenübertreten, Kamerad?“, fragte sie breit grinsend.
Leutnant Kallidos betrachtete seinen verschlissenen Wams und die zerrissenen Hosen. Er zog mit einer lässigen Geste den Elbenpfeil aus seinem blutenden Oberarm, und warf ihn der Wache vor die Füße.
„Das hier hat viele meiner Kameraden zum letzten Mal geschmückt.“, erwiderte er finster, „Nun hol endlich den Vizegeneral!“
Die Wache betrachtete kurz den weißen Elbenpfeil. Sie drehte sich um und ging in das Zelt. Wenige Augenblicke später trat der Vizegeneral vor das Zelt. Er hielt einen gebratenen Hühnerschlegel in der Hand. Kallidos salutierte vor ihm.
„Was soll der Aufstand hier, Leutnant!“, raunzte ihn der Vizegeneral an.
Kallidos kniff die Augen zusammen. Die Borniertheit war dem Vizegeneral in sein dickes fleischiges Gesicht geschrieben. Kallidos wunderte sich, wie es dieser Fatzke wohl auf diesen Posten geschafft hatte.
„Während ihr hier…“, begann Kallidos wütend, aber stoppte als er merkte, dass sein Zorn ihn wohl nicht weiterhelfen würde, „Ich melde dem Vizegeneral die Auslöschung von zwölf Zenturien.“
Der Vizegeneral wurde bleich. Er lies den Hühnerschlegel entsetzt fallen.
„Wie?“, stotterte er.
„Es war eine Falle, Vizegeneral.“, sagte Kallidos.
Er genoss das blanke Entsetzen im Gesicht des eitlen Vizegenerals. Der Vizegeneral wankte zurück ins Zelt. Er lies sich auf einen Stuhl fallen. Kallidos und die Wachen folgten ihm.
„Aber es waren doch nur Flüchtlinge?“, stammelte der Vizegeneral.
„Falsch, Vizegeneral.“, sagte Kallidos verächtlich, „Die Elben führten in den dichten Wäldern alle Zenturien, die ihr zur Verfolgung der Bewohner geschickt hattet, in die Irre.“
Der Vizegeneral rang mit der Fassung. Sein Atem war nur noch ein unregelmäßiges Japsen.
„Sie lenkten uns geschickt durch ihre überraschenden Pfeilangriffe durch die Wälder und zum Schlachtfeld.“, erklärte der Leutnant.
„Schlachtfeld?“, stammelte der Vizegeneral.
„Ja, Schlachtfeld.“, schleuderte Kallidos ihm entgegen, „Die gesamte Streitmacht der Elben erwartete uns auf einem speziell angelegten Schlachtfeld. Alle Zenturien wurden aufgerieben. Nur ich konnte scheinbar entkommen.“
„Nur du?“, flüsterte der Vizegeneral.
„Ja, mir ist sonst keiner begegnet.“, betätigte der Leutnant, „Der General muss davon erfahren.“
„Muss er das?“, sagte der Vizegeneral mit einem arglistigen Ton in der Stimme.
„Ich werde es ihm gerne berichten, Vizegeneral.“, nickte Kallidos.
„Das wirst du nicht tun!“, schrie der Vizegeneral und sprang auf, „Wachen, tötet diesen Versager!“
Die Wachen zogen ihre Schwerter. Kallidos stellte sich stolz vor sie hin.
„Tut es, wenn ihr dem Urteil dieses unfähigen Günstlings vertraut.“, sagte er ihnen ruhig.
Die Wachen betrachteten Kallidos erstaunt. Seine Verletzungen sprachen das Gegenteil dessen, was der Vizegeneral gesagt hatte. Sie steckten ihre Schwerter ein.
„Nun Vizegeneral,“, höhnte Kallidos, „könnt ihr ja auch gleich mit mir kommen und euch beim General für eure Fehleinschätzung verantworten.“
„Niemals!“, schrie der Vizegeneral.
Er zog sein Schwert und stürzte sich hinein.
„Ein unehrenhafter Versager bis in den Tot.“, schüttelte Kallidos den Kopf, „Wachen, ein Boot! Der General muss informiert werden.“

Eärdaliene führte Aliasan bei der Hand. Sie schlichen sich leise durch den dichten Wald hinter dem heiligen Hain. Nur ihr war der Weg bekannt. Sie hatte ihn mühsam erkundet. Der Wald schützte den Hain. Wäre sie nicht die Matrone, würden die Pflanzen und Tiere des Waldes vermutlich jedes weitere Vorankommen verhindern.
„Schau dort.“, flüsterte sie Aliasan zu.
Aliasan folgte ihrem Finger. Durch die Bäume war der mit einem Fels getarnte Eingang zur Höhle der Lichtelben sichtbar. Der kurze Weg, der zu ihm führte, war die einzige Öffnung, außer dem offiziellen Tor zum Hain, in den Stämmen der Bäume, die wie eine lebende Palisade das Innerste des Haines schützten.
Eärdaliene und Aliasan gingen vorsichtig zu der kleinen Pforte, die zum Wiesenring führte. Sie hatten bereits von weitem Kampflärm gehört. Als sie in das Innerste blickten bot sich ihnen ein Bild des Grauens.
Die Wächter hatten die anstürmenden Atalantë bereits stark dezimiert. Mit ihren riesigen Eisschwertern mähten sie immer wieder wahre Schneisen in die angreifenden Krieger. Dennoch stürmten diese immer wieder an. Das Blut der Berge verwundeter oder toten Soldaten verpestete den heiligen Boden des Hains.
„Ich kann nur zwei Wächter sehen.“, flüsterte ihr Aliasan zu.
Eärdaliene, die sich vor Entsetzen über den Anblick in seine Arme vergraben hatte, schaute erschrocken zu ihm auf.
„Nur zwei sind übrig?“, sagte sie mit blankem Entsetzen in der Stimme.
„Ja, mein Herz.“, sagte der Magier und drückte sie zur Beruhigung.
„Ich habe damit gerechnet.“, sagte sie leise, „Aber gehofft, dass es alle vier Wächter schaffen würden.“
„Nein, der Kommandeur dieser Einheit ist sehr schlau.“, sagte Aliasan, „Schau!“
Eärdaliene drehte sich wieder dem Innersten zu. Sie sah wie Soldaten mit Fackeln auf einen der verbliebenen Wächter zustürmten. Über ihren Köpfen flogen bereits Brandbomben aus den Katapulten der Atalantë auf ihn zu.
„Nein, bei Eru!“, schrie Eärdaliene.
Die Brandbomben blieben am Eisschwert des Riesen haften. Ihr Feuer brachte es zum Schmelzen. Die Fackeln der Soldaten erhitzen den Wasserkörper des Riesen. Er verdampfte langsam.
„Das darf nicht sein!“, zürnte Eärdaliene, und rannte hinaus auf den Wiesenring in Richtung der Wassersäule.
„Warte!“, rief Aliasan und begann ihr nachzulaufen, „Verdammt!“

Admiral Imëleredis schüttelte heftig den Kopf, als er mit seinem Schwert einen Ast abschlug. Er hatte es sich kurz überlegt heftigst zu protestieren, aber Entschlüsse der eigenen Königin stellt man nicht in Frage. Er hieb mürrisch auf einen weiteren Ast am Wegesrand ein, insofern man von einem Weg sprechen konnte.
Nachdem die Zenturien der Atalantë aufgerieben waren, gab Königin Ëarmeneliene den Befehl zum Vorrücken auf die Siedlung und die verbliebenen Zenturien der Atalantë dort. Es war dem Admiral sofort klar, dass sich Königin Ëarmeneliene persönlich an die Spitze ihrer Truppen stellen würde. Es wäre ihm aber lieber gewesen, dass er mit einigen Einheiten zur Sicherung voraus marschiert wäre.
Er dachte weit zurück an den Aufbruch der „Fünf Erforscher der Meere“ vor langen Jahrhunderten, als er den nächsten Ast ins Visier nahm. Als sie damals Alqualondë verließen, war er einer der Offiziere des Schiffes, das unter dem Befehl von Ëarmeneliene stand.
Er hielt auch treu zu ihr als sie zusammen mit ihrer Schwester den Befehlen ihres Vaters Amaldëar widersprach, und den Teleri in Alqualondë zu Hilfe gegen die Noldor kommen wollte. Allerdings hatte sie auf sein Anraten dann nicht wie ihre Schwester Segel nach Alqualondë gesetzt. Es war jedoch das letzte Mal, dass sie den Rat eines anderen folgte. Sie machte es sich seither zum Vorwurf, dass sie vielleicht den Mord an ihrer Schwester durch die eigenen Brüder vermeiden hätte können, wenn sie auch mit ihrem Schiff der belagerten Hafenstadt der Teleri in Aman zum Beistand gekommen wäre. Sie und ihre Getreuen waren dann auch unter den wenigen Überlebenden von Ulmos Zorn, der mit der Schaffung der fünf Inseln endete. Seit damals herrschte sie nun einsam über die Schicksale der Elben auf den Inseln.
Imëleredis schaute sich um. Der sogenannte Weg war wenig mehr als ein Wildwechsel. Vor ihm ging die Königin mit erhobenem Haupt. Sie hieb mit ihrem beiden Schwerter in einem fast rhythmischen Takt auf die Vegetation ein, um den Weg zu verbreitern. Links und rechts von ihm sah er weitere Elben. Das gesamte Heer der Teleri schlich durch den dschungelartigen Wald der Insel des Hains. Über ihm hörte er ab und zu einen Ast knistern. Auch die Bogenschützen folgten dem Heer. Sie nahmen ihren Weg allerdings in den Baumkronen der Waldriesen.
Von Ferne vernahm er bereits das Rauschen der Brandung an dem westlichen Strand der Insel des Hains. Admiral Imëleredis wusste, dass ihnen nun bald der schwierigere Teil des Krieges gegen die Atalantë bevorstehen würde. Er seufzte und hieb mit voller Wucht auf den nächsten Ast ein.

Jedes Besatzungsmitglied des schwarzen Flagschiffes der Atalantë schien plötzlich im Bug weit weg von der Kommandobrücke sehr wichtigen Arbeiten nachzugehen. Keiner hatte auch nur einen Funken Mitleid mit dem Leutnant der alleine vor dem wild tobenden Korthandes dessen ganzen Zorn abbekam.
„Bin ich denn von lauter unfähigen Idioten umgeben?“, tobte der General, so dass man ihn selbst in die höchsten Rahen der Masten hörte.
Er holte mit seinem Schwert aus, und wollte gerade den vor ihm strammstehenden Leutnant Kallidos damit enthaupten, als er inne hielt.
„Nein, du kannst nichts dafür.“, brummte der General.
Er fasste sich nachdenklich an sein Kinn und begann teuflisch zu grinsen.
„Trotzdem muss ich dich bestrafen.“, sagte General Korthandes, „Du scheinst ja diese Elben gut zu verstehen. Das ist ein Vorteil, den wir nutzen sollten. Folge mir.“
Der General verließ die Brücke und betrat seine Kajüte. Kallidos folgte ihm in einigen Abstand. Er zögerte als er die Schwelle der Kajütentüre übertreten wollte. Der Zutritt zur Kajüte des Generals war niemand gestattet. Normalerweise rief Korthandes nur seine engsten Berater hier herein. Kallidos ging an den beiden Wachen vorbei, die hinter der äußeren Tür der Kajüte in zwei Nischen links und rechts des Ganges Wache hielten. Er folgte dem General durch die innere Türe in dessen privaten Gemächern. Zu seiner Überraschung waren sie sehr schlicht gehalten. Eine Hängematte hing zwischen zwei Pfosten. Einige Truhen mit schweren schwarzen eisernen Beschlägen standen an den Wänden. Kleine Luken gaben dem Tageslicht eine geringe Chance einzudringen. Für große Fensterfronten war kein Platz auf einem Kriegsschiff.
Der General setzte sich auf einen Stuhl bei dem riesigen Tisch, der den Raum dominierte. Ein Gewirr an Karten und Dokumenten lag darauf. Korthandes nahm ein Stück Papier und eine Feder. Er begann etwas zu schreiben und signierte es mit seinem Siegelring.
„Hier!“, sagte er und hielt das Papier dem Leutnant entgegen, „Lies!“
Kallidos näherte sich dem Tisch und nahm das Papier entgegen. Er begann zu lesen. Sein Blick huschte ungläubig zwischen den Zeilen und dem General hin und her.
„Ich …“, versuchte er zu sagen.
„Ja Vizegeneral, es ist nun an dir alleine mit den verbliebenen Streitkräften auf der Insel diese verfluchten Elben zu besiegen.“, grinste ihn der General breit an.
Kallidos wusste, dass jeder Einspruch vergebens war. Er salutierte stumm und verließ nachdenklich die Kajüte. Er hielt die Beförderung für sein sicheres Todesurteil.

„Warte doch, Eärdaliene!“, rief Aliasan und packte die Matrone am Ärmel ihrer Robe.
Der Magier hatte sie kurz innerhalb des Baumringes eingeholt. Es waren nur noch wenige Schritte bis zum See, der die Wassersäule umgab. Von der anderen Seite der Säule drang der Kampflärm der Wächter und der Atalantë drohend zu ihnen herüber.
„Lass mich!“, schüttelte sie sich, „Ich muss kämpfen!“
„Ja, das musst du, aber mit Köpfchen.“, versuchte Aliasan die Elbe in ihrer Wut zu erreichen, „Das ist die erste Zenturie. Es ist die Elite der Atalantë. Sie werden nicht so leicht von einer einzelnen zierlichen Elbe zu beeindrucken sein.“
„Aber ich habe die Macht Ulmos.“, sah sie ihn wütend an.
„Ja, die hast du, meine Liebe.“, sagte er sanft, „Und gerade deswegen müssen wir diese geschickt nützen.“
Eärdaliene blieb stehen und verschränkte trotzig ihre Arme.
„So ist es gut.“, sagte Aliasan und küsste sie auf die Wange, „Wut ist ein schlechter Ratgeber, sagte mir einmal der Atalantëgeneral. Er hat hier leider Recht. Das Kriegshandwerk will kühl überlegt sein.“
„Was sollen wir tun?“, sagte sie mit einem auffordernden Blick.
„Wir müssen unser Kräfte bündeln.“, sagte Aliasan nachdenklich, „Deine Beschwörungen und meine Magie müssen zusammenarbeiten.“
„Meine Beschwörungen sind fast am Ende.“, seufzte Eärdaliene, „Du hast zwei bereits gesehen. Diese kann ich nicht wieder verwenden. Alle anderen sind zu machtlos. Mir bliebe nur noch eine allerletzte und sehr mächtige, aber verzweifelte Möglichkeit.“
„Gut.“, nickte Aliasan ihr zu, „Wir werden sie einsetzen.“
„Du verstehst nicht.“, schüttelte Eärdaliene traurig den Kopf, „Ich kann sie nicht verwenden.“
„Wieso das denn?“, sagte Aliasan überrascht.
„Sie würde die Wassersäule und die Bäume zerstören.“, sagte sie traurig, „Vermutlich würde sie doch zu schwach sein um die Atalantë zu vernichten.“
„Eine Selbstzerstörung?“, staunte der Hochelfenmagier.
„Ja, sie ist der letzte Ausweg, damit dieser heilige Ort keinen Unwissenden in die Hände fällt.“, sagte Eärdaliene niedergeschlagen, „Der gesamte innere Bereich des Hains würde dadurch in den Fluten des Ozeans für immer versinken.“
„Dann müssen wir sie anwenden.“, sagte Aliasan fest und nahm ihre Hände.
„Nein!“, rief die Matrone in ihr dem Hochelf grimmig entgegen, „Das werde ich nicht tun!“
Die Elbe Eärdaliene aber fiel Aliasan in die Arme.
„Was soll ich nur tun?“, schluchzte sie.
Aliasan drückte sie liebevoll und streichelte zärtlich ihren Kopf.
„Wir werden eine Lösung finden, Liebes.“, sagte er, „Sag mir was du noch an Beschwörungen vermagst.“
Eärdaliene zählte ihm die verbliebenen Beschwörungen auf. Sie waren hauptsächlich für die Feier des einen Liedes.
„Hmm….“, brummte Aliasan und rieb sich nachdenklich an seiner rechten Ohrspitze.
„Siehst du.“, seufzte Eärdaliene, „Es sind nur hübsche Effekte mehr nicht.“
„Ja, das mag durchaus sein.“, überlegte der Magier, „Aber ich denke ich weis eine Lösung.“
„Welche?“, keimte die Hoffnung in der Elbe auf.
Aliasan erklärte ihr seinen Plan.
„Ja, das geht.“, nickte Eärdaliene heftig, „Ich kenne ein Gedicht über den Helcaraxë. Das kann ich verwenden. Lass uns anfangen.“
Sie huschten beide wie zwei Schatten zwischen den Mithrilstämmen der Bäume. Die erste Zenturie hatte nun auch den vorletzten Wächter besiegt. Sie stürmten nun mit den restlichen Kräften vereint auf den letzten Wasserriesen zu.
Eärdaliene stellte sich an den Rand des Sees und begann eine Beschwörung. Die Wassersäule strahlte kurz auf. Die spiegelglatte Wasseroberfläche des Sees begann sich zu kräuseln. Blasen stiegen aus ihm heraus auf. Sie schimmernden fragil wie Seifenblassen in allen Farben des Regenbogens.
Eärdaliene begann zu singen. Es waren harte dissonante Töne, die die ganze Kälte des Helcaraxë harsch beschrieben. Aliasan begann zu frösteln. Die Melodie flog mit all ihren Disharmonien über die zerbrechlichen Wasserblasen. Sie wurden augenblicklich zu Eiskugeln. Reif glitzerte auf ihrer Oberfläche. Aliasan konzentrierte sich. Er begann seinen Stab über seinen Kopf zu wirbeln. Ein Tornado entstand vor ihm. Er lenkte ihn mit seinem Stab auf die Eiskugeln. Der Wirbelsturm sog alle ein. Einige kollidierten, und verwandelten sich in messerscharfe Eisstücke. Aliasan dirigierte den Sturm in Richtung der ersten Zenturie. Diese war so mit dem Wasserriesen beschäftigt, dass sie den tödlichen Sturm in ihren Rücken nicht bemerkte.
Zu spät erkannte der Oberst die Gefahr. Wie eine gigantische Fräse schlug der Wirbelsturm eine Schneise des Todes durch die erste Zenturie. Der Oberst versuchte verzweifelt Ordnung in das Chaos zu bringen. Er ließ die Angriffe auf den Wächter abbrechen. Doch immer wenn er eine Kampfordnung hergestellt hatte, lenkte Aliasan den Eistornado in die Linien der Atalantë. Der eisige Sturm und der verbliebene Wächter vernichteten die erste Zenturie bis zum letzten Mann.
„Geschafft!“, keuchte Aliasan und sank auf die Knie vor Erschöpfung.
Eärdaliene kam zu ihm gelaufen.
„Aliasan!“, rief sie besorgt, „Bis du in Ordnung?“
„Es geht schon wieder, Liebes.“, beruhigte er sie, als er wieder aufstand, „Die Atalantë sind vernichtet. Es wird alles wieder gut.“
„Ich wünschte ich könnte es so einfach glauben.“, schüttelte Eärdaliene traurig den Kopf.
Aliasan nahm sie zärtlich in die Arme. Er hob behutsam ihr zierliches Kinn mit seinem Finger. Seine leuchtenden blauen Augen strahlten sie zuversichtlich an. Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie, als ob der Krieg um sie herum nicht stattfände. Eärdaliene schloss die Augen.
‚Ulmo verzeih mir.’, dachte sie und gab sich ganz dem Kuss Aliasans hin.
Sie merkten beide in ihrer Hingabe für einander nicht, wie sie langsam eng umschlungen in den See taumelten, und darin versanken.
 
49. Getroffen

Der neuernannte Vizegeneral Kallidos grinste hämisch, als er dem Kommandanten der Zenturien, die das Dorf sicherten, den Befehl des Generals unter die Nase hielt. Er stellte den jungen Kallidos eindeutig über den dienstälteren Vizegeneral.
„Wenn es der Befehl des Generals ist.“, knirschte dieser mit den Zähnen.
„Ja, das ist er.“, sagte Kallidos ruhig, „Also sagt mir die verbliebene Truppenstärke hier?“
Der Vizegeneral musterte die Rüstung des jungen Kallidos. Dieser hatte sich für ein einfaches schwarzes Lederwams und Hosen aus demselben Material entschieden. Leichte Schienen schützten seine Beine und Arme. Die Insignien eines Vizegenerals waren auf seinen Schultern angebracht.
„Es stehen hier drei Zenturien.“, sagte der ältere Vizegeneral, „Von der ersten Zenturie, die den Hain angriff, fehlt uns jede Nachricht.“
Kallidos überlegte kurz mit nachdenklicher Miene.
„Ich denke wir müssen nicht nach ihrem Verbleiben forschen.“, sagte er finster, „Sie sind vermutlich alle tot. Wir müssen uns hier vorbereiten.“
„Auf was vorbereiten?“, schüttelte der Vizegeneral den Kopf.
„Auf den Angriff einer großen Streitmacht zorniger zu allem entschlossener Elben.“, grinste Kallidos.
Dem Vizegeneral war das Erstaunen ins Gesicht geschrieben.
„Eine Streitmacht?“, fasste er sich wieder, „Woher denn? Die wenigen hundert Elben dieser Siedlung sind wohl kaum eine Bedrohung.“
Die Stimmung von Vizegeneral Kallidos verfinsterte sich deutlich.
„Habt ihr euch kürzlich einmal gefragt wo die zwölf anderen Zenturien verblieben sind, Vizegeneral?“, sagte er sichtlich wütend über die Dummheit des älteren.
Dieser schüttelte verlegen den Kopf und vermied den vorwurfsvollen Blick des jüngeren.
„Nein?“, fragte Kallidos rein rhetorisch nach, „Seht ihr, ich bin der Rest der zwölf Legionen. Alle anderen wurden von den königlichen Streitmächten, die im Wald uns in einen Hinterhalt lockten, aufgerieben. Aber der Worte sind nun wirklich genug gewechselt. Sammelt die Zenturien am Strand, und bringt die Obersten zu mir. Geht!“
Der Vizegeneral drehte sich mit einem Brummen um. Kallidos wusste, dass er sich gerade einen Feind gemacht hatte. Es war im egal. Er musste sich überlegen, wie er gegenüber der Königin einen Vorteil erlangen könnte. Er rief einen Adjutanten des Vizegenerals zu sich.
„Such mir den besten Bogenschützen aus den drei Zenturien!“, befahl er den überraschten Adjutanten.
Kallidos gefiel langsam seine neue Position. Normalerweise wäre er nie in eine solche gekommen. Er war weder von Adel, noch hatte er Protektion irgendwelcher Art. Es war sein Ziel Hauptmann zu werden, das er nun gleich um viele Stufen übersprungen hatte. Er konnte sich aber trotzdem nicht über die Beförderung freuen. Er müsste erst einmal überleben, und dies hing davon ab, wie gut er die Strategie der Elben vorausahnen konnte.
„Melde mich zur Stelle, Vizegeneral!“, salutierte ein Bogenschütze.
„Ah, sehr gut.“, nickte Kallidos, „Folg mir!“
Er führte den Bogenschützen zur breitesten Stelle des Strandes. Hier waren zwischen Meer und Wald einige hundert Schritte. Der Strand war hier außerdem nicht flach und eben, sondern in wellenförmigen Dünen angeordnet. Kallidos ging zum Waldrand. Es war ihm etwas mulmig zumute als er den dichten Wald sah.
„Hier!“, sagte er zu dem Bogenschützen, „Feuere einen Pfeil mit maximaler Kraft in Richtung Meer.“
Der Bogenschütze nahm einen Pfeil aus dem Köcher, und spannte den Bogen. Der Pfeil schoss in den Himmel. Kallidos folgte ihm.
„Gut.“, sagte er zum Bogenschützen, als sie den Pfeil gefunden hatten, „Wieweit schätzt du würde der Pfeil noch fliegen, wenn er von dem höchsten Baum am Waldesrand abgefeuert würde?“
„Vielleicht zehn oder zwölf Klafter, Vizegeneral.“, überlegte der Bogenschütze.
„Ja, das wäre auch meine Vernutung.“, nickte Kallidos, „Kehren wir zurück zum Lager.“
Er war zufrieden. Dies war der ideale Ort für seine Pläne.

Königin Ëarmeneliene hielt sich an den Plan. Das Heer der Elben sollte sich südlich der Siedlung am Strand sammeln. Er füllte sich langsam mit den Soldaten der Königin. Admiral Imëleredis sorgte sich darum eine Formation aus den Gruppen an Kriegern herzustellen, die den Wald verließen.
„Was melden unsere Späher, Admiral?“, erkundigte die Königin sich.
„Die Atalantë scheinen sich nördlich der Siedlung am Strand zu verschanzen, meine Königin.“, sagte der Admiral besorgt, „Dort ist ein Dünenkette. Sie haben sie mit Baumstämmen und anderen Materialien noch verstärkt.“
„Eine Dünenkette?“, sagte Ëarmeneliene mit einem fragenden Gesicht, „Die Strände unserer Insel, und besonders dieser hier, sind doch makellos flach.“
„Hier scheinbar nicht, Kommodorin.“, zuckte der Imëleredis mit den Schultern.
Die Königin lächelte, als sie ihren alten Titel hörte, obwohl er traurige Erinnerungen in ihr heraufbeschwor. Ihr Vater hatte ihn jeden seiner vier Kinder gegeben, die einen der Erforscher befehligten. Sie nahm es dem Admiral aber nicht übel. Sie waren seit langen wieder in einer Situation, in der die Befehlskette wieder aufgebaut werden musste, und so überraschte es sie nicht, dass Imëleredis in die alten Traditionen zurückfiel.
„Gut, dann müssen wir das einplanen, Kommandant.“, antwortete sie mit einem breiten Grinsen.
Der Admiral schluckte. Die Königin hatte in wieder momentan auf seinen alten Rang von damals degradiert.
„Öhm, ja, das sollten wir.“, sagte er verlegen, „Ich denke das Beste ist ein Angriff von allen drei Seiten. Die Atalantë scheinen nicht sehr stark zu sein. Es sind schätzungsweise dreihundert Mann.“
„Bei Ulmo, wir sind fast zehnmal so viele.“, schüttelte Ëarmeneliene den Kopf, „Warum geben sie nicht auf?“
„Ich denke, dass ihr Ehrenkodex das nicht zulässt.“, versuchte sich Imëleredis an einer Erklärung.
„Nun gut, sie sind die Angreifer gewesen.“, sagte die Königin mit einem entschlossenen Gesicht, „Ich kann mir mein Mitleid aufsparen. Bereitet alles für den Angriff vor, Admiral.“
Der Admiral salutierte und entfernte sich. Sein Blick ging hinaus aufs Meer.
„Nun…“, drehte er sich wieder plötzlich zur Königin um, „Ach, nichts weiter.“
„Ja, Imëleredis?“, sagte sie besorgt als sie seinen nachdenklichen Blick sah.
„Ich wundere mich, was die Flotte der Atalantë noch für eine Rolle spielen wird.“, sorgte er sich.
„Das ist eine berechtigte Frage.“, stimmte Ëarmeneliene im zu, „Ich hoffe, dass die weiße Armada bald hier sein wird, um die Schiffe der Atalantë zu beschäftigen. Solange sollten wir mit dem Angriff warten.“
„Dann könnten sich aber die Atalantë am Strand noch besser verschanzen, meine Königin.“, gab der Admiral zu bedenken.
„Damit müssen wir wohl leben, Imëleredis.“, sagte sie besorgt, „Aber ich denke es ist besser die Flotte der Atalantë ist beschäftigt, während wir das Schanzwerk angreifen.“
„Gut, wir werden warten.“, sagte der Admiral nicht gänzlich überzeugt.

„Wenigstens ein Soldat der mitdenkt.“, nickte General Korthandes zufrieden mit dem Kopf als er die Nachricht las, die ihn der Kapitän des Flagschiffes gegeben hatte, „Bereite alles wie gewünscht vor. Du wirst persönlich das Kommando übernehmen. Ich werde das Flagschiff inzwischen kommandieren.“
Der Kapitän salutierte knapp und verließ die Brücke des Flagschiffes. Der General stützte sich auf die Rehling und blickte zum Horizont.
‚Wir müssen den Krieg hier gewinnen, und wir werden es auch.’, dachte er hoffnungsvoll, ‚Der Gebieter braucht diese Inseln dringend für seine Pläne.’
„Segel voraus am Horizont!“, rief der Ausguck.
Der General schwenkte seinen Blick nach links. Wenn er sich anstrengte, konnte er ein weißes Band am Horizont erkennen. Er selbst würde es für Wolken halten, aber die Männer im Ausguck hatten die schärfsten Augen der ganzen Flotte.
‚Ah, die Elbenflotte.’, dachte er zufrieden, ‚Endlich, kommen sie heraus.’
„Befehl an alle Kampfschiffe.“, rief er dem Signalgast zu, „Anker lichten und Schlachtformation einnehmen. Fertig machen zum Kampf.“
Der Signalgast suchte seine Pfeile aus und entzündete sie. Er schoss die verschiedenen farbigen Pfeile in der genauen Reihenfolge für die Kommandos in den Himmel. General Korthandes wusste dass die Befehle mit höchster Präzession ausgeführt würden. Er schaute zufrieden den Pfeilen hinterher.
Nur wenig später stiegen Pfeile zur Bestätigung in den Himmel. In den Bäuchen der Schiffe nahmen die Ruderer ihre Positionen ein. Die Riemen wurden ausgefahren. Die Flotte setzte sich mit tödlicher Präzession in Bewegung.
„Setzt Kurs elf Strich vor Bug!“, befahl Korthandes.
Der Bug des Flagschiffes drehte sich langsam in Richtung der Elbenarmada. Die Kampfschiffe der Flotte folgten ihrem Flagschiff. Langsam wuchs ihr Abstand zu den verbliebenen Schiffen der Flotte. Korthandes hätte lieber Segel gesetzt, aber der Wind stand gegen sie. Der Nordwind war ein Vorteil für die Elben. Die beiden Flotten näherten sich.
„Bogenschützen in Stellung! Katapulte klarmachen!“, befahl der General.
Er sah wie sich auf allen Kampfschiffen die Feuer der Katapultgeschütze entzündeten. Er wusste, dass diese ihr größter Vorteil waren. Atrahandil hatte ihm genau die Ausrüstung und Schwachpunkte der Elbenschiffe verraten. Einem voll ausgerüsteten Atalantëkampfschiff hatten sie wenig entgegen zusetzen. Die stolze Flotte der Elben sollte daher nur ein kurzer Störfaktor sein. Korthandes lächelte zufrieden.

„Warum greifen sie nicht an?“, fragte der Vizegeneral voller Ungeduld.
Er kaute nervös an seinen Fingernägeln.
„Nun, ich glaube sie warten auf dem Ausgang der Seeschlacht.“, sagte Kallidos und deutete auf das Meer.
Der Vizegeneral drehte sich um, und schaute mit einem Seufzen den abfahrenden Kampfschiffen hinterher.
„Mag sein.“, nickte er, „Sollten wir ihr Zögern nicht nutzen und angreifen, statt hier untätig zu sitzen? Ich halte dieses Warten nicht mehr aus.“
„Nein, Mann.“, schnaubte Kallidos, „Sie sind uns zahlenmäßig bei weitem überlegen.“
Ein Signalhorn war zu hören. Ein zweites und dann ein drittes antworteten ihn.
„Was hat das nun wieder zu bedeuten?“, murmelte der Vizegeneral ängstlich.
„Wenn ich die Signale richtig orten konnte, dann haben sie uns jetzt von allen drei Landseiten eingekreist.“, erklärte Kallidos nüchtern.
Dem Vizegeneral stand der Schweiß auf der Stirn.
„Vizegeneral reist euch zusammen.“, raunzte ihn Kallidos an und wandte sich an die Obersten der drei Zenturien, „Fertig machen zum Kampf!“
„Kampf?“, stammelte der Vizegeneral, „Wieso? Wir sollten zur Flotte fliehen, wenn es so viele sind.“
„Wache!“, rief der Kallidos einem Soldaten zu, „Schafft mir diesen Feigling aus den Augen. Setzt ihn in ein Boot. Er soll zur Flotte rudern.“
Die Wache salutierte und packte den zitternden Vizegeneral.
„Gut, wir können jetzt hier keine Schwächlinge gebrauchen.“, grummelte Kallidos.
Er sprang auf die Behelfsbarikade und rief den Zenturien entgegen, „Atalantë! Die Elben sind uns in ihrer Anzahl überlegen! Doch wir sind ein Kriegsvolk! Die Elben haben uns mit ihren Spielchen bisher überraschen können. Doch das ist nun zu Ende! Jetzt müssen sie aus ihren Löchern kriechen und uns im ehrbaren Kampf gegenübertreten. Unsere Zeit zur Rache und zum Sieg ist gekommen! Kampf!“
Die Zenturien stießen ihre Waffen in den Himmel.
„Kampf!“, tönte es aus den Kehlen der Soldaten.
Kallidos hoffte das es nicht zulange nun dauern würde, bis die Elben angriffen, damit der Kampfgeist in den Männer nicht erlosch. Wie zur Bestätigung seiner Wünsche erschallte wieder ein Horn. Die beiden anderen antworteten. Links und rechts von dem Bollwerk kam nun das Elbenheer ins Blickfeld gelaufen.
„Sehr gut.“, rieb sich Kallidos die Hände als er dem Signalgast befahl, „Pfeil ab!“

„Halt!“, befahl Königin Ëarmeneliene ihrem Teil der Streitkraft, „Bogenschützen in Stellung!“
Sie wusste Admiral Imëleredis würde dies auf der anderen Seite des Atalantëbollwerks ebenfalls befehlen.
„Hornist, Signal!“, wandte sie sich dem Elb neben sich zu, „Bogenschützen, Brandpfeile ab!“
Ein Pfeilschauer flog in den blauen Himmel über den weißen Strand der Insel. Die tödliche Präzession der elbischen Bogenschützen würde ihn über den Köpfen der Atalantë wieder zur Erde niedergehen lassen.
Wie es die Königin erwartet hatte, fing das Holz des Bollwerks schnell Feuer. Die Atalantë würden ihre Stellung wohl aufgeben müssen.
„Bogenschützen feuert weiter!“, rief sie ihren Soldaten zu.
Die Flammen wüteten auf den Palisaden. Der erhoffte Ausfall der Atalantë blieb jedoch aus.
„Sie kommen nicht heraus.“, sagte die Königin nachdenklich, „Dann müssen wir angreifen. Ihr Valar steht uns bei.“
Sie betrachtete die Armee hinter sich und rief ihnen zu „Zum Angriff!“
„Schilde!“, schrie Kallidos.
Die Soldaten der Zenturien im Inneren des Bollwerks hielten reflexartig die Schilde über die Köpfe. Einige Pfeile trafen aber dennoch ihr Ziel.
„Reihen wieder schließen!“, befahl Kallidos von der Palisade herunter.
Flammen schlugen links und rechts von ihm wild um sich. Er ignorierte sie. Er blickte zum Meer. Die zurückgebliebenen kleineren Schiffe der Flotte schienen nun näher an der Küste zu ankern.
„Männer haltet aus!“, munterte er die Soldaten auf, „Bald ist es soweit!“
Er schaute zurück zum Elbenheer.
„Sehr gut.“, knurrte er zufrieden, „Sie kommen!“
Die Elben hatten nun fast schon das Bollwerk erreicht. Kallidos nickte dem Bogenschützen neben ihm zu.
„Signalgast!“, rief er dem Soldat zu, „Feuer frei!“
Der Bogenschütze nahm einen Pfeil, und entzündete ihn. Eine rote Rauchspur folgte dem brennenden Pfeil als er senkrecht in den Himmel stieg. Kallidos drehte sich erwatungsvoll zum Meer. Auf den Schiffen wurden Feuer entzündet. Die Katapulte der Schiffe wurden beladen und feuerten.
Königin Ëarmeneliene sah mit Entsetzen die Feuerbomben der Katapulte in die Ränge der Elben einschlagen. Sie rissen große tödliche Löcher in die Reihen anstürmenden Elben. Nun gab es nur noch eine Richtung.
„Vorwärts!“, rief sie und schwang ihre Schwerter, „Erstürmt das Bollwerk!“
Als eine der ersten schwang sie sich über die Palisaden. Sie schien in ihrer glänzenden Mithrilrüstung wie ein Blitz durch die Reihen der Atalantë zu fahren. Zu ihrer Erleichterung sah sie das Imëleredis dieselbe Taktik gewählt hatte.

Mit einem splitternden Krachen bohrte sich der Bugrammdorn des Flagschiffes in das graziele weiße Elbenschiff.
„Volle Kraft zurück!“, befahl General Korthandes.
Der tödliche Sporn zog sich wieder aus dem zum Untergang verurteilten Schiff. Die Pfeilschützen und Katapulte des Flagschiffes feuerten ohne Unterbrechung trotzdem weiter.
„Spielzeug!“, höhnte Korthandes.
Er schaute sich um. Überall waren die Schiffe im Kampf. Die Elbenschiffe waren mit vollen Segeln auf die Flotte der Atalantë getroffen. Wie an einem Riff zerschellten die ersten an den massiven Rammdornen der schwarzen Atalantëschiffe. Viele jedoch konnten rechtzeitig halsen. Sie kamen aber dadurch nicht schnell genug aus der Reichweite der Feuerkatapulte. Die Elben verloren viele Schiffe an die ausgelösten Feuersbrünste.
Die Elbenkapitäne versuchten nun den Wind zu nutzen um wieder Fahrt aufzunehmen. Es gelang einigen durch die Reihen der Atalantë hindurch zu segeln. Die Bogenschützen der Elben feuerten ihre Pfeilladungen auf die schwarzen Schiffe. Zur Erleichterung der Elben gerieten nun auch einige Atalantëschiffe in Brand.
„Verflucht!“, tobte Korthandes, als er sah, dass die Elben von den vielen gerammten und untergegangen Schiffen untertauchten um den tödlichen Pfeilschauer der Atalantë zu entgehen.
‚Allzu lange konnten sie es nicht aushalten da unten.’, dachte er gerade noch, als es ihm die Sprache verschlug.
Hunderte von Delphine sprangen ringsum die Atalantëschiffe aus dem Wasser. Jeder trug einen Elb, der elegant von dem Tier absprang und mit wirbelnden Schwertern auf den Decks der Schiffe landete.
„Was bei Sauron?“, schrie der General, „Soldaten! Angriff!“
Die Soldaten, die bis jetzt die Ruder bedienten verließen ihre Riemen, und nahmen ihre Waffen. Korthandes war außer sich. Er hatte zu sehr auf den Fernkampf und die Kraft der Schiffe gebaut. Nun waren die Soldaten von der Ruderarbeit erschöpft. Immer mehr Delphine setzten ihre Reiter bei den Atalantë ab.
Der Kampf hatte bereits die Brücke des Flagschiffes erreicht. Korthandes Leibwache verteidigte sie mit Ingrimm. Ein Elbenschiff segelte an ihnen vorbei. Von Dutzenden weißen Elbenpfeilen getroffen sanken die Soldaten der Leibwache zu Boden. Korthandes zog sein Schwert.
„Kommt!“, höhnte er einigen Elben entgegen, „Holt euch euren Tod ab!“
Die Elben stürmten vorwärts. General Korthandes kämpfte wie ein Löwe. Die Doppelschwerter der Elben zerfetzten seine Rüstung.
„Für Sauron!“, rief er und fiel tödlich getroffen.
 
50. Aman

Vizegeneral Kallidos kämpfte wie ein Besessener. Er wollte seinen Zenturien ein Vorbild sein. Immer wieder sammelte er sie und versuchte die Reihen geschlossen zu halten. Die Dünen hatten sich als idealer Kampfplatz herausgestellt. Die Atalantë nutzen die Höhe der Sandberge geschickt um die Angriffe der Elben abzuwehren. Fallgruben und Verhaue aus Dornengestrüpp machten den Elben es zusätzlich schwer die Atalantë zu erreichen.
Die Teleri konnten nicht zurück. Die Schiffe der Flotte hatten den Strand hinter ihnen mit Pechbomben in ein flammendes Inferno verwandelt. Kallidos hoffte, das seine Zenturien aushielten, bis die Kampfschiffe der Flotte wieder zurückkamen. Er sah einen Elb in silberner Rüstung die Palisade erklettern.
Königin Ëarmeneliene stand auf der Palisade und schaute auf die Kämpfe. Nachdem sie ihre Elben in den Kampf geführt hatte, war es nun an der Zeit die Taktik neu zu überdenken. Momentan drängte sich das Elbenheer dicht an dicht vor der Palisade. Im Inneren hatten aber nicht mehr Platz.
Sie musste zugestehen, dass der Stellungskrieg dort von den Atalantë gut vorbereitet war. Sie machte sich auch langsam Sorgen um Admiral Imëleredis. Bis jetzt hatte sie seinen goldenen Helmbusch noch nirgends erblicken können, obwohl aus der Richtung seiner Truppen auch der Angriff gestartet worden war. Ihre Blicke fielen auf einen Krieger der Atalantë. Er kämpfte wie zehn.
„Königin Ëarmeneliene!“, rief ein Soldat der sich ihr von rechts näherte.
Sie blickte ihn an. Seine Rüstung war blutverschmiert.
„Ja, Soldat.“, antwortete sie ihn.
„Admiral Imëleredis ist tot!“, meldet der Teleri vor Anstrengung schnaufend, „Er wurde von einem Brandsatz getroffen.“
Ëarmeneliene schloss die Augen und seufzte, „Warum?“
Sie ging auf die Knie und kreuzte die Arme.
„Ehre dir von uns gegangener Freund.“, betete sie leise, „Mögest du in Mandos Hallen Frieden finden.“
Sie erhob sich wieder und zog ihre zwei Schwerter.
„Danke Soldat.“, befahl sie dem Krieger, „Sagt euren Befehlshabern sie sollen mit allen Mitteln angreifen.“
Der Teleri salutierte und verließ sie. Sie schaute zu dem Atalantë, der ihr vorhin bereits aufgefallen war. Sie stürzte sich von der Palisade.
Kallidos sah aus seinen Augenwinkeln, wie sich der Elb in der Silberrüstung den Atalantë entgegen warf. Seine beiden Schwerter kreisten in ryhtmischen Bewegungen. Ihr Lied war der Tot. Der Elb schien alle Hindernisse mit Leichtigkeit zu nehmen. Kallidos war sich sicher, dass er auf dem Weg zu ihm war. Er musste ihm entgegen gehen. Dieser elbische Berserker würde zuviel Unordnung in den Reihen der Atalantë schaffen. Plötzlich blieb der Elb stehen und starrte aufs Meer. Kallidos folgte im Schlachtengetümmel seinen Blick. Die Kampfschiffe kehrten zurück. Kallidos stieß einen Freudenschrei aus.

Königin Ëarmeneliene hielt inne in ihrem Zorn auf die Atalantë. Am Horizont tauchten die Silhouetten der schwarzen Schiffe der Atalantë auf. Sie hielten geradewegs auf die Küste der Insel zu. Sie würden sich bald mit den zurückgebliebenen kleineren Schiffen der Flotte vereinigen. Sie war der Verzweiflung nahe.
‚Die Armada wurde besiegt.’, dachte sie bitter.
Es waren zwar viel weniger Atalantëkampfschiffe als vorher, aber ihre Erscheinen belebte den Mut der schwarzgerüsteten Soldaten im Bollwerk. Sie lies ihren Kopf sinken. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihre Brust. Sie sank zu Boden.
Wie durch einen Nebel hörte sie Stimmen rufen, „Rasch hierher! Die Königin ist verwundet!“
Sie spürte wie starke Hände sie emporhoben und wegtrugen.
„Wir müssen den Pfeil durchstechen.“, sagte eine weibliche Stimme, „Zieht ihren Brustpanzer aus.“
Sie spürte wie etwas von ihrer Brust genommen wurde. Sie spürte einen weiteren Schmerz in ihrem Rücken.
„Schnell!“, hallte die Stimme in ihren Ohren, „Verbindet sie!“
Sie spürte wie etwas Kühles ihre Stirn berührte.
„Königin! Königin! Könnt ihr mich hören.“ rief die Stimme besorgt.

Sie sah vor sich wie im Nebel eine Elbin. Sie erkannte sie wieder. Es war eine der Hüterinnen aus dem Hain.
„Ja.“, flüsterte Ëarmeneliene.
„Eru sei Dank! Sie lebt!“, beruhigte die Hüterin die Soldaten die um die Königin herum zu deren Schutz eine Art Kokon gebildet hatten.
Die Königin versuchte aufzustehen.
„Nein, bleibt sitzen!“, befahl die Hüterin.
„Ich muss aber…“, sagte Ëarmeneliene schwach.
„Ihr müsst euch erholen.“, riet die Hüterin besorgt.
Ëarmeneliene sammelte ihre Kräfte und stand auf. Die Bilder verschwammen vor ihr. Sie erkannte das Meer als großen blauen Fleck. Schwarze Kleckse kamen darauf auf sie zu. Sie bildete sich ein graue Seeschwalben zwischen den Flecken hin und herfliegen zu sehen. Ihre Schnäbel waren wie aus Feuer.
„Was…“, stammelte sie, und deutete zum Meer.
„Die Atalantë werden angegriffen.“, erklärte die Hüterin, „Graue Schiffe segeln schnell wie Vögel durch ihre Linien und setzen sie in Brand.“
„Wer?“, flüsterte die Königin schwach.
„Wir wissen es nicht.“, sagte die Hüterin, „Aber sie scheinen auf unserer Seite zu sein. Es sind Dutzende.“
„Gut…“, nickte Ëarmeneliene, „Soldaten zum Angriff!“
Sie sank wieder in Ohnmacht. Die Hüterin fing sie sanft auf.

Kallidos sah wie der Elb zu Boden ging. Ein Pfeil hatte ihn getroffen. Die Reaktion der Elben überraschte ihn. Sofort stürzten Krieger herbei und schirmten den Elb ab. Einer schien seine Wunden zu pflegen. Vizegeneral Kallidos war sich nun sicher, dass es ein besonderer Elb war.
‚Vermutlich ihr General.’, dachte er voll Hochachtung der Kampfleistung dieses Kriegers.
Ein eisiger Windhauch aus Norden fuhr ihm um den Kopf. Er drehte sich instinktiv zum Meer. Er traute seinen Augen nicht.
Graue Schiffe kamen zu Dutzenden vom Nordwind getrieben pfeilschnell herangeschossen. Sie flogen mit dem Wind. Sie tanzten durch die Reihen der schwarzen Kampfschiffe wie Libellen um das Schilf. Sie überzogen die Kriegsschiffe dabei mit einem wahren Feuerregen.
Binnen kurzen standen alle zurückgekehrten Schiffe lichterloh in Brand. Die grauen Schiffe kreuzten weiter zu den Resten der Flotte. Wie Motten um das Licht kreisten sie um die Schiffe. Dieses Mal verbrannten aber nicht die Motten am Licht, sondern die Motten das Licht.
„Wer ist das?“, rief der Vizegeneral erstaunt.
Er erhielt keine Antwort. Die grauen Schiffe beendeten ihren tödlichen Tanz in der Flotte der Atalantë und flogen dem Strand entgegen. Mit einem Knirschen schoben sich alle auf den Strand der Insel. Krieger in grauer Rüstung schwangen sich von Bord. Der Vizegeneral erkannte die Gestalt der neuen Angreifer sofort.
„Noch mehr Elben!“, seufzte Kallidos und warf seinen Kopf mit einem Heuler in den Nacken.
Die grauen Elben stürzten sich auf die Atalantë von der fast unbefestigten Meerseite des Bollwerks. Das Ende des Feuerbombardements durch die Atalantëschiffe entfachte auch den Kampfesmut in den Teleri. Kallidos wusste das sie zum Untergang verdammt waren.
„Wir kämpfen ehrenhaft bis zum Tod!“, rief er den Zenturien entgegen.
Eine Lanze bohrte sich in seine Brust.
„Ihr Ahnen ich komme.“, hauchte er und starb.

„Sie schläft nur.“, flüsterte eine Stimme.
„Ja, aber schon seit dem Kampf, Matrone.“, antwortete eine Stimme besorgt, die einen ungewöhnlichen Akzent hatte.
„Bitte, ich bin nur ihre Stellvertreterin.“, sagte die erste Stimme verlegen.
„Die Matrone gilt als verschollen.“, sagte eine andere Stimme, „Also seit ihr nun unsere Anführerin.“
„Das bin ich nicht.“, hauchte die erste Stimme wieder.
Die Königin schlug die Augen auf. Sie schaute sich um. Sie lag in dem Bett ihres Schlafgemachs in ihrem Palast. Zwei Hüterinnen des Hains standen auf jeder Seite. An ihrem Fußende stand ein Elf, den sie noch nie gesehen hatte. Er trug eine silbergraue Robe mit Stickereien, die Möwen und Schiffe darstellten.
„Sie ist wieder bei uns.“, freute sich eine der Hüterinnen.
Die ältere der beiden Hüterinnen beugte sich zu Königin Ëarmeneliene.
„Meine Königin, wie fühlt ihr euch?“, fragte sie besorgt.
„Sehr schwach, aber lebendig.“, antwortete Ëarmeneliene ihr.
Ein schwaches Stechen durchzuckte ihre Brust beim Sprechen. Sie sah den Elb an ihren Füßen fragend an.
„Wer seit ihr?“, fragte sie den Elb, „Ihr kommt mir entfernt bekannt vor.“
„Es freut mich, dass ihr euch noch an mich erinnert lang, lang verloren geglaubte Cousine.“, antwortete ihr der Elb mit einer tiefen Verbeugung.
„Eurer Akzent?“, grübelte die Königin, „Ihr seit kein Teleri.“
„Doch ich bin einer.“, nickte der Elb, „Allerdings trennten sich die Wege unserer Sippen vor vielen Zeitaltern.“
„Ihr seit …?“, die Worte stockten Ëarmeneliene im Mund.
„Ja, ich komme aus Mittelerde.“, sagte der Elf, „Ich bin Círdan.“
„Ich erinnere mich.“, nickte die Königin mit den Kopf, „Ihr seit der Schiffsbauer und Seefahrer.“
„Ja Cousine, wir sahen uns das letzte Mal als ihr mit den fünf Erforschern meinen Hafen anliefet.“, erklärte Círdan.
„Wie kommt ihr hierher?“, fragte die Königin, „Was ist mit den Atalantë?“
„Alles wenn ihr wieder erholt seid, liebe Ëarmeneliene.“, versuchte Círdan abzulenken.
„Nein, ich kann mich nicht erholen, wenn ich nicht weis, ob meine Volk in Sicherheit ist.“, sagte sie entschlossen.
„Wahrlich eine Königin.“, schmunzelte Círdan, „Nun gut, dann aber nur alles in Kürze.“
„Ja.“, nickte Ëarmeneliene.
„Gut, der Reihe nach.“, begann Círdan zu erzählen, „Vor einigen Monaten suchte uns Mithrandir auf, und erklärte mir, dass verloren geglaubte Verwandte in Not seien. Er erklärte mir, um wen es sich handelte. Er bat mich um Hilfe für euch. Ich sagte sie ihm sofort zu.“
„Mithrandir.“, flüsterte Ëarmeneliene dankbar.
„Ja, wahrlich ein Freund der Elben.“, nickte Círdan, „Wir machte uns umgehend ans Werk und bauten eine Flotte. Mithrandir erklärte uns den Kurs. Die Valar würden uns leiten versprach er uns.“
„Der Nordwind!“, entfuhr es der Königin.
„Ja, als wir ablegten blähte ein strammer Nordwind unsere Segel. Er trieb unsere Schiffe mit vogelgleichen Tempo nach Süden auf eure Inseln zu.“, erklärte Círdan, „Wir segelten so schnell, dass wir kaum das Wasser berührten.“
„Wahrlich von den Valar geleitet.“, flüsterte die ältere Hüterin.
„Doch fast zu spät, Hüterin.“, dämpfte Círdan ihren Glauben, „Wir segelten durch die Reste der weißen Armada. Wir sahen wie ihr am Strand von den Feuern eingekesselt wart. Wir kamen gerade noch rechtzeitig.“
„Die Atalantë?“, sorgte sich die Königin.
„Alle vernichtet, Ëarmeneliene.“, sagte Círdan mit einem traurigen Kopfschütteln.
Die Königin fuhr hoch, „Die Festung!“
Ein stechender Schmerz fuhr durch ihre Brust.
„Nicht bewegen, Cousine.“, mahnte Círdan, „Die Festung wurde auch eingenommen und geschleift.“
„Wo sind die Matrone Eärdaliene und der Fremde?“, wandte sie sich der älteren Hüterin zu.
„Sie sind verschollen, meine Königin.“, sagte diese niedergeschlagen, „Wir haben die gesamte Insel des heiligen Hains abgesucht aber keine Spur von ihnen gefunden. Die …“
Die Hüterin verstummte plötzlich und schlug die Augen zu Boden. Círdan sah sie streng an.
„Was ist passiert? Sagt es mir!“, forderte die Königin die Hüterin auf.
„Cousine später, wenn du dich erholt hast.“, sagte Círdan.
„Nein, jetzt!“, bestand Ëarmeneliene.
Círdan nickte der Hüterin zu.
„Die …“, begann sie und hielt inne, als wenn sie ein traumatisches Erlebnis schildern wollte, „Die Wassersäule Ulmos ist verschwunden.“
Königin Ëarmeneliene sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Das blanke Entsetzen stand in ihren Augen.
„Der See und die Bäume sind aber noch vorhanden.“, versuchte die Hüterin sie zu beruhigen.

„Was hat das nun wieder zu bedeuten?“, rätselte die Königin.
„Vielleicht kann jemand anders hier Licht ins Dunkel bringen.“, flüsterte Círdan der Königin zu, „Ich wollte warten bist du wieder stärker bist, aber ich sehe es duldet keinen Aufschub. Hüterinnen bitte verlasst uns.“
Die beiden Hüterinnen verbeugten sich und verließen den Raum. Círdan ging zu einer kleinen geheimen Türe hinter einem Wandvorhang.
„Wie wisst ihr davon?“, staunte Ëarmeneliene.
Es war ein Geheimgang der direkt von hier zum Meer tief unten am Fuß der Klippen führte, auf denen die weiße Hauptstadt der Teleri der fünf Inseln gebaut war.
„Ich kannte ihn nicht, aber jemand anderer.“, erklärte Círdan und gab einen kurzen Pfiff von sich.
Ein Elb in einen grauen Umhang trat nach kurzen aus der Tür. Círdan nickte ihm zu. Der Elb lies seinen Umhang fallen.
„Vater!“, rief Ëarmeneliene erstaunt.
„Ja Tochter, ich bin es.“, begann Amaldëar der Erforscher.
„Du bist zurück!“, schluchzte sie, „Endlich hat Ulmo dich erlöst.“
Ëarmeneliene wäre am liebsten aus ihrem Krankenlager hochgesprungen, und hätte ihren Vater umarmt, aber selbst die kleinste Bewegung brachte ihre Brust zum schmerzen.
Amaldëar senkte den Kopf und flüsterte, „Nein, das hat er nicht. Ich stehe immer noch unter seinen Fluch.“
„Aber du stehst doch hier vor mir?“, schüttelte Ëarmeneliene den Kopf.
„Ja, ich bin hier. Aber nur für kurze Zeit bin ich in dieser Gestalt.“, sagte ihr Vater, „Wenn mein Auftrag erledigt ist, muss ich wieder zurück in Ulmos Reich.“
„Dann möge diese kurze Zeit ewig dauern.“, hoffte die Königin.
„Leider wird dies nicht der Fall sein.“, schüttelte Amaldëar den Kopf, „Ich bin nur gekommen um den Teleri der fünf Inseln ihren Frieden zu bringen.“
„Frieden?“, wunderte sich Ëarmeneliene.
„Ja, zieht in Frieden nach Aman.“, sagte Amaldëar leise, „Für mich und die Anderen wird es keine Erlösung mehr geben.“
„Aber die Valar müssen doch irgendwann ein Erbarmen haben.“, verzweifelte Ëarmeneliene.
„Das werden sie sicher haben.“, stimmte er ihr zu, „Aber wir werden es nicht annehmen.“
Ëarmeneliene sah ihren Vater entsetzt an, „Wieso?“
„Wir haben nun zulange in Ulmos Reich gelebt.“, erklärte ihr Vater, „Wir haben eine neue Heimat gefunden.“
Er deutete mit seinen Armen in den Raum.
„Die hier ist nicht mehr unsere Welt.“, sagte er, „Wir gehören nicht mehr hierher.“
„Du hast schon immer dem Meer gehört.“, stimmte ihm seine Tochter zu, „Jetzt gehörst du ihm wahrlich ganz.“
„Ja, so ist es in der Tat.“, sagte Amaldëar mit einem Leuchten in seinen dunklen Augen, „Daher bin ich noch einmal zu euch gekommen. Wartet nicht mehr auf uns. Werde gesund und führe dein Volk nach Aman. Círdan wird euch dabei helfen.“
Ëarmeneliene nickte ihm zu, „Ja, das werde ich tun.“
„Nun muss ich gehen, meine Tochter.“, sagte er leise, „Leb wohl! Ich weis, die Valar werden euch leiten.“
Er kam zu ihr an das Bett und küsste sie zärtlich auf die Stirn.
„Vater!“, rief sie ihm nach, als er wieder den Geheimgang zum Meer hinunter ging.
 
51. Kopf

Es machte keinen Unterschied, ob sie die Augen öffnete oder schloss. Absolute Dunkelheit schien sie
zu umgeben. Es blieb ihr aber trotzdem der Eindruck in eine unendliche Tiefe abzustürzen. In der
schwarzen Leere die sie umgab konnte sie Stimmen hören.
„Das ist sie also?", fragte eine machtvolle Stimme, die mehr wie ein Donnern klang.
„Ja, mein Gebieter.", antworte eine nicht weniger eindrucksvolle Stimme, „Sie hat dem Roten zur
Flucht verholfen."
„Warum hast du es nicht verhindert?", sagte der Donnernde.
Der Vorwurf des Versagens und die Aussicht auf endlose Bestrafung klangen deutlich in seiner
Stimme mit.
„Das konnte ich nicht.", sagte die zweite Stimme, „Als wir mit den Angriff begannen, wussten wir
nicht, dass sie sich unter ihnen befand."
„Ihr hättet beizeiten das Problem lösen müssen.", grollte es durch die Schwärze.
„Verzeiht Hochmächtiger, aber war es nicht euer Entwurf, der verhindert, dass wir uns gegenseitig
beeinflussen?", kam es erstaunlich vorwurfsvoll zurück.
„Schweig du nichtswerte Kreatur.", bebte die Leere, „Unsere Pläne sind zu groß für deinen winzigen
Verstand."
„Selbstverständlich mein Beherrscher.", biederte sich nun der Zweite an.
„Sicher gehört sie auch zum Schwarm und ist damit immun gegen Korrekturen der Realität.",
dozierte der Donner, „Doch wäre es an dir gewesen, die Entwicklung frühzeitig zu erkennen, und
angemessene Maßnahmen zu treffen. Wir sind sehr unzufrieden."
Sie konnte spüren, wie der zweite Sprecher zusammenzuckte und sich vor Schmerzen krümmte.
„Wenn du noch einmal versagst.", warnte die Leere mit all ihrer Dunkelheit, „Dann wird es dein Ende
sein."
Spaia konzentrierte sich. Nachdem was ihr Horuscal gesagt hatte, gab es einen Meister.
‚Das muss er sein.', dachte sie mit Schaudern über die donnernde Stimme.
„Meister!", rief der Zweite.
„Ja, ich spüre es.", donnerte der Meister, „Sie ist bei Bewusstsein."
„Ich vernichte sie hier und jetzt!", brüllte der Vasall.
„Nein du Schwächling.", wütete der Meister in seiner Dunkelheit, „Sie ist doch nicht wirklich hier.
Aber ihr Geist kann leiden."
Spaia spürte wie sich eine eisige Hand um ihre Gedanken legte. Sie wollte vor Schmerzen aufschreien.
„Spürst du es, Drache?", schien die Dunkelheit mit enormer Grausamkeit zu sagen.
Jeder Gedanke schmerzte sie, wie wenn tausende Eisnadeln ihre Nervenstränge durchbohrten.
„Ja, leide.", sagte der Meister mit sadistischer Genugtuung, „Leide, wie du noch nie gelitten hast.
Jeder der sich uns in den Weg stellt, würde sich wünschen er wäre nur einfach getötet worden."
Nun schien Feuer die Haut Spaias zu verbrennen. Von Kopf bis Fuß spürte sie, wie ein Flammenmeer
sie zu umschließen drohte.
„Doch mag es sein, dass es einen Ausweg für dich gibt.", begann der Meister listig, „Wir schätzen
unsere tapferen Gegner und geben ihnen eine Chance ihren Fehler zu bereuen, und sich der wahren
Macht anzuschließen. Reiche Belohungen erwarten sie dann."
Spaia spürte wie das Feuer von außen scheinbar in ihren Körper gesogen wurde. Er begann sich zu
verändern. Aus ihren Fingern wurden Klauen. Ihr Hals wurde lang. Mächtige Flügel breiteten sich auf
ihrem Rücken aus. Der Drache brüllte. Ein Feuerstoß aus seinem Maul fuhr durch die Dunkelheit.
„Nun Drache, wie fühlt es sich an, wieder ganz zu sein?", fragte die Dunkelheit, „So kannst du wieder
sein, wenn du zu uns gehörst."
Spaia spürte die Macht. Sie spürte das Feuer des Drachens in ihrer Brust. Es war ein lange vermisstes
Gefühl.
„Ja, schliesse dich uns an, und du wirst auf immer dein Feuer spüren.", hauchte der Meister
verlockend.
Spaia badete sich im vertrauten Gefühl des Drachenfeuers. Sie genoss es ihre Flügel auszubreiten. Fast
konnte sie den Wind um ihre Schnauze wehen spüren.
‚Was kümmert mich das Schicksal dieser winzigen Kreaturen.', dachte sie, ‚Wenn wir wieder Drachen
sein können.'
„Gut so.", schmeichelte der Meister, „Diene uns und euer gesamter Hort wird wieder stark sein. Dein
geliebter Horuscal wird wieder an deiner Seite fliegen."
Ein grüner Lichtblitz durchzuckte die Dunkelheit. Er züngelte sich Spaia entgegen.
„Wer?", donnerte der Meister.
Der Blitz traf Spaia. Sie spürte wie ihr Geist durch ihn aus der Dunkelheit entwich. Sie schrie auf.

Horuscal blickte sich um. Mächtige Sanddünen erstreckten sich um ihn herum. In dem Flirren der
Hitze über der weiten Wüste konnte er ein wenig entfernt eine kleine Siedlung erkennen. Einige
kuppelartige weiss getünchte Lehmhütten drängten sich in einer weißen Mauer. Dahinter ragte eine
Bergkette schroff in die Höhe.
„Paladin!", rief Horuscal.
„Hier bin ich, Horuscal.", antwortete Gilluine dem ehemaligen Drachen.
Sie saß einige Schritte weiter entfernt noch etwas benommen im Sand. Sie stand auf und lief zu
Horuscal. Gilluine schaute sich um. Der Hort war im Umkreis einiger hundert Schritte verteilt in der
Wüste angekommen.
„Nein!", heulte plötzlich Horuscal auf.
Gilluine fand Horuscal der sich über Spaia beugte. Sie lag regungslos im Sand der Wüste. Horuscal
sank in den Sand und nahm die Magierin in seine Arme.
„Sie ist tot!", schluchzte der mächtige Anführer der Bewahrer des Realen
Gilluine kniete sich neben Spaia. Sie nahm ihren Arm und fühlte ihren Puls. Sie schaute ihr intensiv in
die weit geöffneten Augen.
„Nein, sie lebt.", beruhigte sie Horuscal.
„Aber sie bewegt sich nicht.", schüttelte er den Kopf mit dem imposanten roten Haarschopf.
„Ihr Körper ist gesund.", erklärte Gilluine und wurde nachdenklich, „Aber wo ihr Geist ist, kann ich
euch nicht sagen."
„Tu irgendetwas.", bat Horuscal.
„Ich kann es versuchen.", sagte Gilluine mit wenig Zuversicht.
Sie breitet die Arme aus. Ein helles Licht umgab sie. Nach einer kurzen Zeit riss sie ihre Arme nach
oben. Das Licht sprang auf Spaia über. Gilluine sank auf allen Vieren in den heißen Sand.
„Ich…", keuchte sie, „Nein… Zu dunkel."
Horuscal schaute besorgt von Spaia zu Gilluine hinüber.
„Was ist?", sorgte er sich.
„Wo immer auch ihr Geist ist.", begann die Paladin immer noch sichtlich erschöpft, „Das Licht kann
sie nicht erreichen. Sie ist in einer Dimension, die ich nicht zu betreten vermag. Nur eine Person
könnte sie vielleicht erreichen."
„Wer? Sag schnell!", drängte Horuscal, „Ich fühle, dass ihr Geist Schmerzen erleidet."
„Wir brauchen einen Schamanen.", erklärte Gilluine nachdenklich.
Horuscal schaute auf. Der gesamte Hort hatte sich mittlerweile um sie versammelt. Horuscal stand
auf und hob die bewusstlose Magierin sanft auf.
„Nun gut meine Freunde, ich hoffe wir finden dort einen.", sagte er voller Sorge als er mit seinem
Kinn in Richtung der Siedlung zeigte, „Eile ist geboten."
Er fing an zu Laufen. Gilluine und der Hort konnten seiner Geschwindigkeit kaum folgen.
Nach einer knappen halben Stunde hatten sie die Siedlung erreicht. Die Wache am Stadttor schaute
den bunten Haufen an Menschen, Elfen, Zwergen, Tauren, Orcs und Gnome misstrauisch an.
„Wachen, wo finde ich hier einen Schamanen!", erkundigte sich Horuscal.
„Hey Mann, wo kommt ihr den mit eurem Zirkus her?", raunzte die Goblinwache.
Eine Nachtelfe in Kriegsrüstung stürmte der Wache entgegen.
„Mäßige deine Zunge, Grünling.", schnaubte sie, „Weis du nicht wen …"
Horuscal unterbrach sie mit einer schnellen Handbewegung.
„Kerthor, es ist in Ordnung.", beruhigte er die Kriegerin.
Die Blicke der Wache und der Nachtelfe kreuzten schon die Klingen.
„Wache, meine Gefährtin hier bedarf dringend der Hilfe eines Schamanen.", bat Horuscal nun die
Wache, „Rasch, die Zeit drängt, wo finden wir einen?"
„Ich bin ja kein Ungoblin.", knurrte die Wache, „Auf der anderen Seite von Gadgetzan in den Bergen
ist eine Hütte. Der Troll dort ist angeblich Schamane. Der redet aber nur unverständliches
Kauderwelsch. Versucht dort euer Glück. Tag noch."
„Danke.", sagte Horuscal und deutete eine Verbeugung an.
Horuscal rannte durch das Tor auf den Dorfplatz der Siedlung und auf der anderen Seite des Platzes
wieder durch das dortige Tor hinaus.

Der Troll saß vor seiner Hütte. Hinter ihm trockneten verschiedene Tierbälge auf hölzernen Rahmen.
Schwärme von Fliegen schwirrten um die Tierhäute. Er vertrieb mit seinem federgeschmückten
Zauberstab lässig die Fliegen, die ihn selbst umschwirren wollten. Ab und zu deute er mit dem Stab
auf eine und lies sie Figuren fliegen. Er hob eine Augenbraue. Aus dem Tal kam eine kleine Armee auf
seine Hütte zu. Er stand auf, und ging in die Hütte.
„Ih, was für ein bestialischer Gestank.", rümpfte Gilluine die Nase.
„Solange er Spaia helfen kann, ist es der süßeste Duft der Welt.", erwiderte Horuscal, „Hey,
Schamane!"
Niemand antwortete Horuscal Ruf.
„Vielleicht ist er in der Hütte?", sagte Gilluine und deutete auf die frischen Fußspuren, „Soll ich
nachschauen?
„Das ist er ganz sicher.", knurrte Horuscal, „Nein, wir müssen warten bis er herauskommt. Wir
dürfen nichts tun um ihn zu verärgern. Schamane wir benötigen dringend deine Hilfe!"
Aus der Hütte war immer noch keine Antwort zu vernehmen. Horuscal wurde langsam ungeduldig.
Er fauchte etwas.
„Was habt ihr gesagt?", wollte Gilluine wissen.
„Nichts, ich habe nur meiner Wut auf drachisch Luft gemacht.", grollte Horuscal noch immer.
Der Troll stand in der Tür seiner Hütte. Er musterte Horuscal von oben bis unten. Er sagte etwas.
„Die Wache hat Recht.", schüttelte Gilluine den Kopf, „Er redet nur Kauderwelsch."
Horuscal sprach einige unverständliche Worte mit dem Troll.
„Nein, du irrst dich Mensch.", belehrte Horuscal sie, „Er spricht eine alte und weit ehrwürdigere
Sprache als euer Gemein. Er spricht altes Thalassisch."
„Thalassisch?", wunderte sich Gilluine, „Aber er ist ein Troll?"
Horuscal beachtete sie gar nicht. Er war in ein Gespräch mit dem Troll vertieft. Dieser nickte ab und
zu und verbeugte sich anschließend tief vor Horuscal.
„Er wird uns gerne helfen.", sagte Horuscal erleichtert.
„Ja Mensch, ich auch können Gemein.", sagte der Troll plötzlich zu Gilluine, „Aber Gron'Etek weit
älter als ihr. Ich immer misstrauisch bin, wer an meine Türe klopft. Gron'Etek zuviel haben schon
erlebt, Mann."
Der Troll lies seinen Kopf hängen, als wenn er einer traurigen Erinnerung nachging.
„Aber mächtigen Wesen Gron'Etek helfen muss.", sagte er und schaute Horuscal entzückt an.
„Wie? Er weis, wer du bist, Horuscal?", wunderte sich Gilluine.
„Ja, der ehrwürdige Schamane hier ist wohl der allerbeste den wir finden konnten.", nickte Horuscal
und verbeugte sich leicht vor Gron'Etek.
„Mann, ich schon viel haben gesehen, du sagen.", seufzte der Troll, „Aber nun genug Worte gesagt."
Der Schamane betrachte Spaia intensiv. Mit seinem Zauberstab fuhr er langsam über ihren Körper. Er
nickte verständig. Er legte einer seiner wulstigen Finger auf ihre Stirne. Er schloss die Augen.
„Weit, weit weg sie ist.", flüsterte er wie in Trance, „Was?"
Er zitterte plötzlich am ganzen Körper, als ob ihn eine starke Macht schütteln würde. Er schleuderte
den Zauberstab in den Sand.
„Hier!", schrie er und riss die Augen auf.
„Kannst du ihr helfen?", drängte Horuscal.
„Gron'Etek es versuchen, Mann.", sagte der Troll schwach, „Vielleicht. Schnell!"
Der Schamane nahm seinen Zauberstab wieder. Er malte einige Symbole in den Sand vor seiner Hütte.
„Schnell, legen Gefährtin in Mitte, Mann.", wies er Horuscal an.
Horuscal legte Spaia behutsam in die Mitte der Symbole. Er vermied es diese zu berühren.
„Gut so, ey.", nickte der Troll heftig.
Gron'Etek warf grünen Staub aus einer seiner Gürteltaschen auf die Symbole. Sie fingen an grün zu
leuchten. Langsam begann der Schamane um die Symbole singend zu tanzen. Im Rhythmus seines
Gesangs berührte er mit dem Zauberstab Teile der Symbole. Die Luft über Spaia fing ebenfalls an
grün zu leuchten. Mit einem abrupten Stampfen seiner großen zweizehigen Füße blieb er stehen und
riss seinen Zauberstab nach oben. Das grüne Leuchten verdichte sich zu einer Kugel. Mit einem Ruck
schleuderte er seinen Zauberstab auf Spaia. Die Kugel fuhr wie ein Blitz in ihren Körper. Gron'Etek
brach zusammen.
„Schamane!", rief Horuscal entsetzt, „Nicht noch einer!"
Der Körper von Gron'Etek zuckte kurz auf. Der Troll gab ein Stöhnen von sich. Er riss entsetzt die
Augen auf. Er schrie ein einziges Wort. Er stand langsam auf.
„Sehr dramatisch.", sagte Gilluine trocken.
Horuscal schenkte ihr einen ernsten Blick. Der Schamane atmete schwer.
„Mächtig…", stöhnte er, „Sehr mächtig böses Mojo. Gron'Etek ähnliches schon vor langer Zeit einmal
gespürt hat. Geisterelfe …"
Der Troll verstummte. Ein langer Seufzer kam tief aus seiner Brust.
„Bist du in Ordnung, Schamane.", erkundigte sich Horuscal.
„Ey, Gron'Etek es gerade noch geschafft haben.", sagte er sichtlich erleichtert und wieder gefasster.
„Gut. Sehr gut.", nickte ihm der ehemalige Drache zu, „Aber was ist mit meiner Gefährtin?"
„Sehen selbst, Mann.", sagte der Schamane stolz und zeigte auf Spaia.
Horuscal fiel neben ihr in den Sand. Er legte ihren Kopf in seinen Schoß. Ihre Augen waren geöffnet.
Sie atmete flach.
„Spaiastraza, mein Herz und meine Seele, kannst du mich hören?", sagte Horuscal liebevoll.
„Meine Stärke und Macht.", hauchte sie Horuscal entgegen, „Ja, ich kann euch alle hören und sehen."
Horuscal nahm sie in den Arm und drückte sie erleichtert an sich.
„Wo bin ich hier?", fragte Spaia und blickte sich um, „Wie?"
„Wir haben einen Freund gefunden, der dir helfen konnte.", erklärte Horuscal und deutete auf
Gron'Etek.
„Ich erinnere mich undeutlich.", sagte Spaia und wischte sich über die Stirn, „Das Portal… Ich bin
stecken geblieben im Nichts. Dann …"
Sie riss die Augen auf. Das blanke Entsetzen stand in ihrem Gesicht geschrieben. Sie schlang ihre
Arme um ihren Körper.
„Nein…", schrie sie laut, „Diese Schmerzen…"
„Sch… Sch…", beruhigte Horuscal sie und streichelte sanft ihr schwarzes Haar, „Du bist jetzt in
Sicherheit, Liebe meines Lebens."
„Ja, du hast recht, mein einziger Beschützer.", nickte sie erleichtert, „Aber beinahe …"
„Es war knapp.", sagte Horuscal, „Ich weis."
„Das war es.", bestätigte ihm Spaia und wandte ihren Blick verlegen von ihm ab, „Aber anders als du
denkst."
„Erklär es mir, meine Liebe.", sagte Horuscal.
„Es war eine große Versuchung.", sagte sie schuldvoll, „Euere Rettung kam gerade noch rechtzeitig.
Ich… Ich… hätte… sonst…"
Horuscal sah sie fragend an. Spaia erzählte ihm alles über ihre Begegnung in der endlosen Dunkelheit.
„Ich verstehe.", sagte Horuscal zögernd.
„Ja, es war das Gefühl, mein Leben.", sagte sie mit leuchtenden Augen, „Es war wunderbar wieder ich
selbst zu sein, und im Besitz aller meiner Fähigkeiten. Ich weis nicht, ob ich der Versuchung
widerstehen hätte können."
Horuscal blickte leer in die Ferne der Wüste, die unter ihnen lag. Er schien innerlich mit sich zu
kämpfen.
„Nun, Gron'Etek hat dir die Entscheidung abgenommen.", flüsterte er, „Uns allen."
„Was du meinen, Mann?", der Schamane sah Horuscal fragend an.
„Die Geschichte von Spaia hat mir gezeigt, dass mehr hinter dem Ganzen stecken muss, als nur ein
verrückt gewordener Aspekt.", sagte Horuscal zu Spaia und Gilluine.
„Ich dich nicht verstehen, ey.", wunderte sich Gron'Etek, „Was du reden?"
„Gron'Etek was hast du gefühlt?", sagte Horuscal und sah ihn eindringlich an.
„Hey, nicht nötig du wenden Drachentricks an.", heulte der Troll auf, „Ich euch helfen. Ich erzählen
will. Ich …"
Der Schamane verstummte. Sein Gesicht wurde finster. Es versteinerte zu einer grässlichen Fratze
Etwas Unheimliches ging von ihm aus. Eine Dunkelheit hüllte ihn ein.
„Deine jämmerlichen Versuche gegen uns sind zum Scheitern verurteilt, du Narr!", sprach er plötzlich
mit einer dunklen tiefen Stimme, „Dein Verbündeter hier wird dir gar nichts erzählen. Er könnte es
auch gar nicht. Wir sind zu groß für seinen primitiven Verstand. Aber wir müssen ihm danken, dass
er uns zu euch geführt hat. Bald schon werden wir euch gef…"
Horuscal zog sein Schwert und schlug dem Troll mit einem Hieb den Kopf ab. Der Kopf schien noch
ein „Danke, Mann." zu sagen als er in den Sand rollte.
„Schnell alle weg von hier!", befahl der Anführer der Bewahrer des Realen seinem Hort.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
52. Blickwinkel

‚Es ist die Hölle.', dachte Gilluine zornig als sie eine Steckmücke auf ihren Arm erschlug.
Sie tauchte den Eimer in das Wasser des Flusses. Eine Nachtelfe kam auf sie zugelaufen.
„Komm, der Fürst will alle im Lager sprechen.", sagte Kerthor.
Gilluine nahm den Eimer und folgte fluchend der Nachtelfe ins Lager. Es war wenig mehr als eine
Feuerstelle mit einigen zusammengebastelten Laubhütten. Der tägliche Mittagsregen prasselte
ungehindert durch deren löchrige Dächer. Sie begann das Schlingendorntal mit ganzer Seele zu
hassen. Fürst Horuscal, wie der ehemalige Drache nun von allen genannt wurde, hielt es aber für das
geeignete Versteck vor den finsteren Mächten, die ihn und seinen Hort verfolgten.
„Gut, Gilluine.", nickte ihr Horuscal entgegen, „Nun sind wir komplett."
Die Paladin deutete nur eine knappe Verbeugung an. Sie war schließlich immer noch offiziell im
Dienste des Königs von Sturmwinds, dem ihre ganze Loyalität gehörte. Daher empfand sie sich hier in
diesem Haufen ehemaliger Drachen als eine Art Botschafterin. Sie lehnte sich lässig an einen Baum.
„Mein Freunde, ich habe lange nachgedacht.", begann Horuscal, „Aber nun ist die Zeit gekommen, da
wir aktiv werden müssen. Wir wissen wir haben einen übermächtigen Gegner, der uns keine Gnade
schenken wird, doch bin ich mir sicher, dass wir, wenn wir taktisch geschickt vorgehen, letztendlich
den Sieg erringen werden. Das erste Ziel das wir haben, ist die Aufspürung der Verbündeten des
Meisters. Ich sage dies nur ungern, aber es muss ein mächtiger Drache sein. Ein Aspekt!"
Ein Raunen ging durch die Menge. Horuscal hob beschwichtigend beide Arme.
„Ruhig, meine Freunde.", sagte er gelassen, „Ja, ein Aspekt. Kein anderes Wesen in Azeroth wäre so
mächtig Drachenschwärme mit unseren Fähigkeiten zu schaffen. Aus der Geschichte der Aspekte
bleiben uns nur zwei, die dafür in Frage kommen. Diese gilt es zu untersuchen. Wir teilen uns daher
ebenfalls in zwei Gruppen. Kerthorestresza wird die eine führen. Spaiastreza und ich die andere. Wir
werden morgen bei Morgengrauen aufbrechen."

Gilluine fasste sich nachdenklich ans Kinn. Horuscal winkte sie zu sich. Sie sah Spaia und Kerthor
bereits neben den Anführer der Bewahrer des Realen stehen.
„Ihr wünscht, Horuscal?", fragte die Paladin.
Horuscals dunkle Augen funkelten sie unter seinen roten Augenbrauen an.
„Nun Kommandantin, ich kann euch nicht zwingen euch uns anzuschließen.", begann der Fürst,
„Aber ich vermute, dass wir noch weiter den Weg zusammen gehen sollten. Damit können wir beide
das Meiste für unsere jeweilige Sache gewinnen."
„Das mag durchaus sein.", erwiderte sie ihm, „Aber bedenkt stets, dass meine ganze Ergebenheit dem
König von Sturmwind gehört, auch wenn ihr vermutlich weit mächtiger seit wie er."
„Das lasse ich mal dahin gestellt, wer mächtiger ist.", schüttelte Horuscal den Kopf, „Aber eure
Antwort zeigt mir, dass man sich auf euch verlassen kann. Ihr seit eurem Herrn treu ergeben."
„Das bin ich.", flüsterte die Paladin.
Sie zog ihr mächtiges Zweihandschwert. Sie salutierte damit dem Anführer der Bewahrer.
„Euere Sache scheint gerecht und für alle freien Bewohner Azeroths wichtig zu sein.", sagte ruhig,
„Darum biete ich euch hiermit die Unterstützung des Königreichs von Sturmwind an, soweit sie in
meiner Macht steht."
„Ich nehme sie gerne an, Kommandantin.", sagte Fürst Horuscal und verbeugte sich vor der Paladin,
„Doch nun genug der Formalitäten."
Horuscal nahm einen Stock und zeichnete damit drei Kontinente in den lehmigen Dschungelboden.
„Das hier ist Azeroth. Genauer gesagt die östlichen Königreiche, wie sie jetzt genannt werden.", sagte
er und deute auf den rechten Kringel vor ihm, „Wir sind momentan hier."
Er steckte seinen Stock kurz über dem südlichen Ende des Kringels in die Erde.
„Ich bin sicher, dass einer der beiden Schwärme etwas weis.", sagte er und zog den Stock aus der
Erde.
„Aber welche sind es?", wollte Gilluine wissen.
„Das ist ziemlich einfach.", grinste Horuscal, „Der bronzene Schwarm scheidet aus. Nozdormu würde
kaum andere Drachen erschaffen, die … Nun gut, er würde es nicht."
Gilluine nickte nur verbissen. Irgendwann würde sie es noch erfahren, was ihr Horsuscal so penetrant
zu verschweigen suchte.
„Ysera, die Herrin des grünen Schwarms, hätte dazu auch keine Veranlassung.", erklärte Horuscal
weiter, „Der rote Schwarm mit Alexstrasza kann es ebenso wenig sein, dass sagt mir mein Gefühl."
„Dann bleiben nur noch zwei übrig.", sagte Spaia mit einem sehr besorgten Gesichtsausdruck.
„Ja, meine Liebe, du hast Recht.", stimmte ihr Horuscal mit einem Seufzen zu, „Ich befürchte es sind
die beiden am wenigsten erfreulichen Möglichkeiten. Malygos, der Herr des blauen Schwarmes, ist
der eine Aspekt, den es zu untersuchen gibt."
„Tja, mit dem anderen haben wir ein Problem.", warf Spaia nachdenklich ein.
„So ist es in der Tat.", sagte der Fürst finster, „Wir wissen nicht wo er ist und ob er überhaupt noch
lebt. Aber wir wissen wo wir eventuell bei den Schwarzen anfangen können."
„Ganz nett.", pfiff Gilluine durch die Zähne, „Ausgerechnet die beiden verrücktesten Schwärme."
„Ja, das stimmt.", sagte Horuscal traurig, „Beide Aspekte sind verrückt geworden. Der eine aus
Machtgier, der andere vor Schmerz. Sie sind beide unberechenbar. Da wir es mit keinen der beiden
Aspekte sicher direkt aufnehmen können, müssen wir das Umfeld erforschen."
„Und wie machen wir das?", stutzte die Paladin.
„Kerthor wird einige aus unserem Hort aussuchen und sie nach Nordend führen.", erklärte er der
Kommandantin, „Dort ist der blaue Aspekt zu Hause."
Horuscal zeigte mit seinem Stock auf den nördlichen Kringel im Lehm. Kerthor machte eine kleine
bestätigende Verbeugung.
„Spaia und ich werden den schwarzen Schwarm erforschen.", fuhr der Fürst fort, „Wir werden, und
hier wird es für euch interessant Paladin, mit Onyxia beginnen. Sie ist die Tochter von
Todesschwinge, dem ehemaligen schwarzen Aspekt, und hat ihren Hort in Kalimdor. "
Der Stock Horuscals senkte sich auf den linken Kringel. Gilluine lächelte breit. Sie fuhr mit ihrer Hand
die Schneide ihres Schwertes entlang.
„Langsam, langsam Kommandantin.", sagte Horuscal, als er Gilluines Augen funkeln sah, „Bevor ihr
sie eventuell tötet, was mir nicht gewiss scheint, benötigen wir Informationen von ihr."
Er wandte sich an Spaia.
„Ich glaube nicht, dass sie unseren Freund Aliasan aus einem niedrigen Motiv heraus getötet hat.",
erklärte er der Magierin, „Nein, ich vermute, dass er auf ein wichtiges Indiz gestoßen ist. Wir beide
wissen zu welchen Schlussfolgerungen er fähig war."

„Fürst, Fürst.", rief eine tiefe Stimme in Gilluines Rücken aufgeregt, „Seht was wir hier im Busch
gefunden haben."
Die beiden Taurenwachen, die das Lager in einigen Abstand bewachten, schoben jeder einen
Menschen vor sich her.
„Was zum Schöpfer!", entfuhr es Horuscal, „Wer seit ihr?"
Die beiden Tauren warfen die Menschen vor Horuscal zu Boden.
„Antwortet dem Fürst, wenn euch euer Leben lieb ist.", sagte eine der beiden und stieß mit ihrer
Lanze einen der Männer in den Rücken.
„Wir sind nur einfache Söldner.", stammelte einer der beiden, „Wir waren nur auf der Jagd. Da kamen
diese Viecher und packten uns."
„Viecher!", brüllte einer der Tauren, „Na warte, Freundchen."
„Halt!", stoppte Horuscal die Wache, „Sie wissen es nicht besser."
„Außerdem kann von Jagd keine Rede sein, mein Fürst.", sagte nun die andere Wache besonnener,
„Die beiden haben intensiv von dort aus das Lager beobachtet."
Der Taure zeigte mit seiner Lanze auf den Dschungel hinter dem Baum, an den Gilluine sich gelehnt
hatte.
„Was habt ihr gehört?", fragte Horuscal finster und zog sein Schwert, „Sprecht!"
Die beiden Söldner schauten sich verwirrt und ängstlich an.
„Nichts Herr.", winselte einer, „Ich schwöre es, beim Licht!"
Gilluine wurde aufmerksam. Sie inspizierte die beiden Söldner sorgfältiger.
‚Könnte es sein?', dachte sie und rief, „Achtung, Paladine! Kommandant anwesend!"
Die beiden Söldner sprangen auf. Sie salutierten und standen stramm.
‚Trill ist eben Trill.', schmunzelte Gilluine für sich.
Horuscal sah Gilluine fragend an. Sie nickte ihm nur zusichernd zu, und schritt vor die beiden
Männer. Die Überraschung lies ihnen die Münder offen stehen. Sie stellte sich vor sie und salutierte
ebenfalls.
„Rührt euch!", befahl sie, „Ah, Schwarzfels und Bärenreiter aus dem dritten Zug, wenn ich mich nicht
irre."
„Jawohl, Kommandantin.", meldeten beide fast gleichzeitig.
„Ihr kennt die Beiden?", sagte Horuscal argwöhnisch.
„Ja Fürst.", nickte die Paladin, „Sie gehören zu meiner Kompanie. Wie ich euch bereits erzählte
suchen wir nach … öhm … weiteren verdeckten Drachen oder ähnlichen."
„Nunja, ich würde sagen, dass eure Männer sehr gut arbeiten.", ein kurzes Grinsen huschte über
Horuscals Gesicht.
„In der Tat.", lächelte Gilluine wissend, „Ihr zwei, Bericht."
„Wir melden der Kommandantin, dass wir in Beutebucht von einem neuen und verdächtigen Lager
im Dschungel gehört hatten.", begann der eine Paladin, „Wir sind losgezogen um es zu erkunden. Wir
fanden es, aber wurden geschnappt und …"
Er brach beschämt ab. Es wurde ihm bewusst, dass seine Kommandantin den unehrenhaften Rest
wohl mit eigenen Augen mitbekommen hatte. Gilluine begann laut zu lachen.
„Sehr gute Arbeit, Männer.", sagte sie mit Tränen in den Augen, „Ihr habt eure Kommandantin und
ihre Verbündeten aufgespürt."
Die beiden Paladine schauten verlegen zu Boden.
„Nein, kein Grund zur Scham.", beruhigte sie ihre beiden Untergebenen, „Ihr habt in der Tat
großartige Arbeit geleistet. Ihr wisst gar nicht wie großartig. Aber nun beantwortet dem Fürst seine
Frage."
Die beiden Paladine sahen ihre Kommandantin fragend an.
„Wie lange belauscht ihr uns schon?", half sie deren Gedächtnis auf die Sprünge.
„Nicht sehr lange.", antwortete nun der andere Paladin, „Wir waren keine Minute in Hörreichweite,
da haben uns die beiden Vie… öhm… Tauren aufgegriffen."
Horuscal winkte Gilluine zur Seite.
„Können wir ihnen vertrauen?", flüsterte er ihr zu.
„Ich vertraue meinen Männern bis in den Tod.", sagte sie grimmig.
„Gut, ich verstehe.", nickte Horuscal, „Ich werde darüber nachdenken, was wir mit den beiden
machen. Bis dahin sind sie unsere, sagen wir, Gäste."
Gilluine wollte widersprechen, besann sich aber eines besseren. Es war nicht gut den Drachen in
Horuscal zu reizen. Sie gingen wieder zurück zu den beiden Paladinen.
„Paladine, bis auf weiteres werdet ihr euch uns anschließen.", befahl der Fürst.
Die beiden Menschen sahen ihre Kommandantin fragend an.
„Ihr habt den Wunsch des Fürsten gehört.", bestätigte sie den Befehl abgemildert.
„Nachdem dies nun geregelt ist, lasst uns alle zur Nachtruhe schreiten.", sagte der Fürst und ging in
Richtung seiner Laubhütte, in der bereits Spaia verschwunden war.

„Was machen wir nun mit meinen beiden Paladinen?", fragte Gilluine beiläufig als sie beim Frühstück
am nächsten Morgen eine exotische Frucht schälte.
„Vielleicht ist es gut, dass sie uns begegnet sind.", sagte Horuscal der neben ihr seine Frucht anstarrte,
„Wie kann man so etwas Saueres nur essen, Kommandantin?"
„Alles Wissen, Übung und Gewöhnung, mein Fürst. Versucht, dass das Fruchtfleisch die Zunge kaum
berührt.", erklärte sie lachend.
„Wissen?", schaute sie der Fürst schief an, „Ja, genau das ist es was uns fehlt. Sagt mir
Kommandantin, eure Truppe hat doch viel Erfahrungen mit Untoten?"
„Ja, sie sind quasi unser Spezialgebiet.", nickte Gilluine heftig, „Untote und Dämonen stehen im
Trainingsplan der Paladine ganz oben. Schließlich erstarkten die Paladine im Kampf gegen die Geißel
erst richtig."
„Genau das ist der Punkt.", sagte Horuscal, „Wir Dr… meine Untergebenen und ich haben fast keine
Erfahrung mit Untoten. Aber eventuell ist das Wissen über sie wichtig."
„Aber warum?", zuckte Gilluine mit den Schultern, „Sie sind für unsere Sache unbedeutend."
„Mag sein, dass sie nicht direkt beteiligt sind, aber mir geht eine Bemerkung Gron'Eteks nicht aus
dem Kopf.", antwortete der Fürst nachdenklich.
„Welche den?", horchte Gilluine auf.
„Er redete davon, dass er eine ähnliche Macht schon einmal gefühlt hatte.", erklärte der ehemalige
Drache, „Er sprach von einer Geisterelfe. Wir müssen mehr über sie in Erfahrung bringen."
„Geisterelfen? Davon gibt es eine ganze Menge in dieser Welt.", schüttelte die Kommandantin den
Kopf, „Das wird die Suche nach der Nadel im Heuhaufen."
„Eure Männer sind doch scheinbar im Aufspüren sehr gut.", klopfte er ihr anerkennend auf die
Schulter, „Wenn sie diese Geisterelfe aufspüren, könnten wir eventuell mehr über die Macht erfahren.
Es erscheint mir nämlich, nach allen was mir Spaia erzählt hat, dass die eine Stimme in der Dunkelheit
ein Drache war. Doch die Stimme, die er Meister nannte, war etwas anderes. Dies würde bedeuten,
das es einen Meister des Meisters gibt. Ich halte dies für eine sehr beunruhigende Möglichkeit. "
„Das klingt logisch, obwohl ich nicht annähernd soviel weis wie ihr.", bestätigte Gilluine, „Aber wo
sollen wir anfangen zu suchen?"
„Denkt doch mal ebenso logisch, Kommandantin.", grinste der Fürst, „Gron'Etek sprach Thalassisch.
Er musste also einige Zeit in Quel'Thalas verbracht haben. Und was bringt ihr mit Quel'Thalas in
Verbindung?"
„Hochelfen! Die Geißel!", flüsterte Gilluine, „Sicher, es ist so klar. Dort gibt es viele Geisterelfen."
„Schön, dass ihr es erkannt habt.", sagte Horuscal und schmiss seine Frucht in den Dschungel, „Das
Zeug ist wirklich ungenießbar."
„Ja, ihr habt Recht Horuscal.", nickte sie, „Hier gibt es Arbeit für Paladine. Trotzdem wird es eine
verzweifelte Suche."
„Sicher, sicher, aber eventuell ergeben sich neue Blickwinkel des Problems.", sagte der Fürst und
winkte zwei aus seinem Hort herbei, „Da ich aber vermute, dass eure Paladine sehr wenig über
Quel'Thalas wissen, geschweige denn Thalassisch reden, werden Sha'hanir und An'urel die Beiden
begleiten."
Die zwei Drachen, die die Gestalt von Hochelfen angenommen hatten, verbeugten sich vor Gilluine.
„Ihr habt eine halbe Stunde Zeit euren Männern ihren Befehl zu erklären, Kommandantin.", sagte
Horuscal, „Dann müssen wir aufbrechen. Es beunruhigt mich, dass unser Lager bereits in Beutebucht
bekannt ist."
„Gut, das sollte auch reichen.", bestätigte die Paladin, „Ich würde aber vor dem Abbruch des Lagers
gerne noch einen anderen Punkt mit euch besprechen, Horuscal."
„Das muss warten.", winkte der Fürst ab, „Ich muss mir erst einmal ein ordentliches Stück Fleisch
besorgen."
Horuscal stand auf und verschwand im Dschungel.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
53. Kommandantin

Gilluine las die Nachricht ein weiteres Mal. Sie bereute es jetzt, dass sie nicht auf Horuscal gehört
hatte. Nachdem sie Sturmwind so nahe waren, bat sie ihn kurz, dort nach dem Rechten sehen zu
können. Sie überzeugte ihn damit, dass die Paladine eventuell Informationen gesammelt haben
könnten, die für sie wichtig seien. Horuscal glaubte dies eher nicht. Die nächsten Schritte seien bereits
klar erkenntlich, sagte er ihr im Schlingendorntal. Er mahnte sie zur Eile. Der Feind wäre ihnen auf
den Fersen. Trotzdem stimmte er zu, dass er mit seinen Leuten zu Onyxias Hort aufbrach, und
Gilluine in den Düstermarschen zu ihnen stoßen sollte. Doch nun war alles anders.
Sie legte den Brief auf den Schreibtisch ihrer Kammer in der Garnison der Paladine des Königs. Es gab
keinen Zweifel. Das Siegel des Königs war echt. Sie wusste was sie nun tun musste. Sie öffnete ihren
Schrank und Truhe. Es kostete sie nur einige wenige geübte Handgriffe, dann war die Söldnerrüstung
abgelegt und sie hatte die Paraderüstung der Paladine des Königs angezogen. Sie nahm ihren Helm
aus seiner Truhe. Sie musste es tun. Es war ihre Pflicht.
Die Kathedrale des Lichts leuchtete weiß im Licht der Mittagssonne. Gilluines silberne Rüstung schien
mit ihr um die Wette zu strahlen. Die Paladin ging bedächtig die Stufen zum Tor des enormen Baus.
Vor der Apsis bog sie in einen Nebenraum ab. Eine Rampe führte aus diesen hinunter in die Krypta
unter der Kathedrale. Sie kannte den Weg. Sie folgte dem labyrinthischen Gewirr der Gänge
zielsicher. Er hatte sie unzählige Male mitgenommen. Vor einem schmiedeeisernen Tor, das in die
Gruft einer azerothianischen Adelsfamilie führte, blieb sie stehen. Sie öffnete es und ging in die Gruft.
Hier war er. Der neue Alabastersarkophag war sofort zu erkennen. Gilluine kniete davor nieder. Sie
bettete still für sich. Tränen der Trauer kannte sie nicht. Zuviel Tod hatte sie bereits in ihrem Leben
kennengelernt. Die Lehre des Lichts der Paladine stärkte sie zusätzlich. Trotzdem ging ihr der Tod
ihres Mentors näher als sie es dachte. Sie seufzte tief. Der nächste Schritt würde ihr aber noch
schwerer fallen. Sie stand auf und verließ die Krypta und Kathedrale.

„Die Kommandantin der Paladine des Königs.", meldete die Wache die vor Lord Bolvar Drachenwills
offener Arbeitszimmertür stramm stand, als Gilluine den Raum betrat.
Lord Drachenwill erhob sich, und verbeugte sich vor ihr. Er schloß die Tür hinter der Paladin.
„Lady Darnwacht, welche Ehre euch zu sehen.", sagte er, „Ich habe damit gerechnet, das ihr kommt.
Entschuldigt die Unkorrektheit meiner Wache."
Gilluine errötete. Es war das erste Mal, dass sie jemand mit ihren neuen Titel ansprach. Sie wusste,
dass dies kommen würde, als sie von der Kathedrale zur Burg ging um den Hochlord zu sprechen.
Lord Fingolf hatte es wirklich getan. Er hatte sie in ihrer Abwesenheit adoptiert. Damit war sie nicht
mehr sein Mündel, sondern seine Tochter. Nach dem Tod des kinderlosen Lords, war sie nun die
Alleinerbin von Titel und Besitztümern der Darnwachts.
‚Wäre ich nicht so weit weg gewesen, hätte ich es zu verhindern gewusst.', dachte sie.
„Kommandantin Gilluine meldet sich, Hochlord.", salutierte sie um ihre Unsicherheit zu überspielen.
„Kommandantin?", wunderte sich Lord Drachenwill, „Nun gut, regeln wir erst einmal das. Hiermit
entbinde ich euch ehrenhaft eures Kommandos."
„Nein…", rief Gilluine entsetzt, „Das will ich nicht."
Der Hochlord schaute sie lächelnd an und seufzte.
„Nunja, ich wusste es wird schwer", grinste er, „Ihr habt zulange gedient, Lady Darnwacht. Ihr seid
immer noch eine Paladin durch und durch. Doch gehören die Darnwachts zu den angesehensten
Adelsfamilien Azeroths. Wie soll das mit einem so niedrigen Rang zusammenpassen?"
„Ich…", schüttelte die frische Lady Darnwacht den Kopf, „…ich weis es nicht. Aber ihr seit doch auch
Soldat, Hochlord."
„Das stimmt wohl.", nickte er, „Aber ich bin Hochmarschall über alle Truppen des Königreichs.
Während hingegen das kleine Wachbatallion der Paladine wohl kaum ein Betätigungsfeld für eine
Darnwacht ist."
Gilluine lies den Kopf und die Schultern hängen.
„Gewöhnt euch daran. Ihr seit nun eine Adelige.", tröstete er sie, „Damit habt ihr auch andere Rechte
und Pflichten zu erfüllen. Hofzeremonien und die Verwaltung eurer Güter sind nun eure Aufgaben.
Gewöhnt euch schnell daran."
„Lord Fingolf hat sehr wenig von den Zeremonien am Hof gehalten.", schüttelte sie den Kopf, „Und
seine Ländereien werden von den Verwaltern gut geführt. Da gibt es wenig zu tun."
„Dann genießt das Leben.", munterte der Hochlord sie auf, „Ihr müsst euch in keine Gefahren mehr
begeben und … Apropos Gefahren. Eigentlich schuldet mir die Kommandantin noch einen Bericht.
Aber es gibt wohl nichts Neues."
„Es gibt eine ganze Menge.", sprudelte es aus Gilluine heraus.
Sie begann den Hochlord die Ereignisse seit ihren Aufbruch aus Sturmwind zu erzählen. Der
Hochlord folgte aufmerksam ihren Bericht. An manchen Stellen schüttelte er den Kopf, oder fasste
sich nachdenklich ans Kinn.
„Hm.", antwortete er, nachdem Gilluine geendet hatte, „Das sind fürwahr interessante Neuigkeiten.
Das war sehr gute Arbeit, Kommandantin. Verzeiht, natürlich Lady Darnwacht."
„Hochlord Drachenwill, ihr seht doch nun wohl selbst, dass ich mich nicht dem adeligen Müßiggang
hingeben kann.", sagte sie listig mit strahlenden blauen Augen, „Ich muss wieder aufbrechen."
„Schade, gerade jetzt wäre es am Hof interessant.", antwortete der Hochlord, „Aleria Windläufer und
Danath Trollbann sind scheinbar aus der Gefangenschaft der Höllenorks gerettet worden. Die
Meldungen sagen, dass sie nun wohl mehr als ehemalige Kampfgenossen sind. Man erwartet sie zu
ihrer Hochzeit in Sturmwind. Aber im Vergleich zu euren Informationen sind dies Pétitessen. Ich
sehe, dass eure Aufmerksamkeit wo anders liegen muss, Lady Darnwacht."
Gilluine sah in erwartungsvoll voller Spannung an.
„Nein, macht euch keine Hoffnung.", dämpfe er ihre Zuversicht, „Ein einfaches Wachbatallion, auch
wenn es die Paladine des Königs sind, ist nichts für euch. Aber ich denke ich habe da eine Lösung."
„Was schwebt euch vor, mein Lord.", fragte Gilluine ungeduldig.
„Wie ihr wisst haben wir den SI:7 in Sturmwind.", begann der Hochlord, „Nun, sagen wir es einmal
folgendermaßen, ich habe nicht so ganz das Vertrauen mehr in ihn. Ihre Methoden sind mitunter sehr
sinister, wenn ihr versteht was ich meine."
Gilluine nickte heftig, „Oja, fast könnte man sie alle als Schurken bezeichnen."
„Genau so scheint es mir auch, Lady Darnwacht.", fuhr Lord Drachenwill fort, „Daher ist es an der
Zeit, dass wir eine weitere Organisation gründen, die sich mit der Beschaffung von Informationen
beschäftigt. Doch dieses Mal untersteht sie direkt dem königlichen Befehl."
„Nun, so eine Organisation braucht doch sicher eine Führung?", strahlte Gilluine den Hochlord an.
„Genau, Lady Darnwacht.", grinste Lord Drachenwill zurück, „Aber der Kopf der Organisation muss
sich in allen Kreisen, auch den adeligen, frei bewegen können. In der Öffentlichkeit wäre er der
königliche Informationsminister, aber im Geheimen der Leiter der königlichen militärischen
Aufklärung von Azeroth. Würdet ihr uns die Ehre erweisen diese Aufgabe zu übernehmen, Lady
Darnwacht?"
„Es ist mir eine besondere Ehre und größtes Vergnügen.", nahm Gilluine freudig an, „Ich schlage als
Erstes vor die Paladine, die unterwegs sind ebenfalls der KMA zu unterstellen, mein Lord."
„Das ist ein guter Vorschlag.", bestätigte der Hochlord, „Aber lassen sie wir sie momentan noch im
Glauben, dass es die Paladine des Königs noch gibt."
„Sehr gut.", nickte Gilluine heftig, „Damit muss ich mich wohl als ihre Kommandantin tarnen."
Lord Drachenwill lachte lauthals auf.
„Sehr raffiniert, Lady Darnwacht.", bog er sich vor Lachen, „Ich sehe ihr habt das Zeug zum
Geheimdienst."
„Ja, es fangt an mir Spaß zu machen.", sagte Lady Gilluine Darnwacht verschmitzt, „Darf ich mit euch
noch das weitere Vorgehen in Bezug auf die Drachen besprechen?"
Hochlord Drachenwill zeigte augenzwinkernd auf einen Stuhl, „Bitte setzt euch, Kommandantin."

Gilluine ging fröhlich pfeifend am Kanal entlang in Richtung des Zwergendistrikts. Sie betrat die
Station der Untergrundbahn nach Eisenschmiede. Es war ihr Plan über den Hafen von Menethil nach
Theramore zu reisen.
‚Horuscal muss langsam ungeduldig werden.', dachte sie.
Auf der anderen Bahnsteigseite standen zwei in schwarze Kapuzenumhänge gehüllte Reisende.
„Das ist sie also?", flüsterte die größere Gestalt der beiden ihrem kleineren Begleiter zu.
„Ja.", murmelte es knapp aus dem anderen Umhang.
„Ich werde ihr folgen.", hauchte es von oben.
„Das erscheint notwendig.", nickte die Kapuze unten zustimmend, „Irgendetwas passt hier ganz und
gar nicht zusammen. Wir müssen wissen was."
„Gut.", sagte die große Gestalt als die Bahn einfuhr, „Das werde ich herausbekommen."
„Bei deiner Erfahrung bin ich mir dessen ganz sicher.", kam es bestätigend von unten.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
[font="Arial, arial, sans-serif"]
54. Hain

Ein warmer Wind strich träge über eine kleine sandige Bucht. Der kleine Flecken Sand war
eingerahmt von imposanten roten Sandsteinfelsen. Palmen und Buschwerk, die in den Ritzen und
Vorsprüngen der bereits stark verwitterten Steilküste prächtig gediehen, waren grüne Sprenkel auf
dem roten Fels. Seevögel bevölkerten die Höhlen, die die Erosion in den weichen Sandstein getrieben
hatte.
Er saß im warmen Sand. Behutsam strich er das glänzende schwarze Haar aus ihrem Gesicht und
küsste zärtlich ihre Stirn. Er wiegte sie sanft in seinem Schoß. Sie beobachtete den Flug der Möwen.
„Es war …", flüsterte sie mit einem Seufzen, „ unbeschreiblich."
„Ja, das war es mein Herz.", stimmte er ihr mit genüsslich geschlossenen Augen zu.
„Ich kann mich kaum erinnern, Aliasan.", sagte sie stirnrunzelnd und schaute gedankenverloren auf
das Meer.
„Es war wie ein endloser blauer Traum.", nickte er.
Sie setzte sich auf und stütze sich sanft an seiner Brust ab. Ihre dunklen Augen suchten seine blau
leuchtenden Elfenaugen.
„Wir sollten tot sein, mein Geliebter.", sagte sie plötzlich ernst.
„Wenn das der Tod ist, Eärdaliene, dann bin ich gerne tot.", lächelte er sie wissend an.
„Ich…", sagte sie errötet, „Es hätte nicht soweit kommen dürfen."
„Vielleicht doch.", sagte Aliasan.
Die Elbe umarmte den Magier und legte ihre Stirn an seine.
„Mag sein.", flüsterte sie als sie ihre Arme um seinen Hals legte, „Wenn es nicht der Wille der Valar
gewesen wäre, hätte wir es nicht erlebt. Es war schließlich …"
Sie verstummte plötzlich sehr nachdenklich und lies ihren zierlichen Kopf hängen.
„Liebste?", sah sie Aliasan besorgt an und streichelte ihren Arm.
„Ich habe ein Tabu gebrochen, Aliasan.", antwortete sie nachdenklich.
„Was für eines denn?", sagte der Hochelf.
„Niemand, Aliasan, verstehst du, niemand darf den See berühren.", sagte sie ernst.
„Das haben wir auch nicht, meine LieblingsMatrone.", lächelte sie Aliasan breit an, „Wir sind darin
versunken."
„Umso schlimmer.", schüttelte sie aufgeregt den Kopf, „Die Auswirkungen könnten katastrophal
sein."
„Zumindest für uns waren sie das nicht.", beruhigte er sie und strich über ihre Wange, „Ganz im
Gegenteil."
„Ja, du hast wohl recht.", sagte sie wieder gefasster, „Ich habe noch nie soviel Leben gespürt. Es war
wie wenn wir eins mit dem Meer und uns würden. Das Meer selbst sang uns ein Lied vom Leben."
„Ja, es war wie eine phantastische Illusion.", sagte er tief beeindruckt, „Ich habe Zeit und Raum
vollkommen vergessen. Ich weis nur noch, dass ich alles Leben mit dir teilen wollte. Dass ich …"
Er sah die entsetzen Blicke der Matrone.
„Dann … dann …", warf sie verzweifelt ihren Kopf in den Nacken, „ … ist es wirklich geschehen?"
Sie stand auf und wandte sich von ihm ab. Sie verschränkte die Arme und sah zu Boden. Die letzten
Reste der Brandung spülten das warme Wasser des Meeres um ihre Füße. Aliasan stellte sich hinter
sie und nahm sie behutsam in den Arm. Er blickte weit auf das Meer hinaus.
„Ja, ist es.", sagte er einfühlsam, „Und wenn irgendjemand etwas dagegen gehabt hätte, dann wäre es
wohl nicht in diesem Rausch an Leben passiert."
„Ja, du hast wohl recht.", sagte Eärdaliene, „Der Wille der Valar ist uns nicht ersichtlich."
„So ist es.", sagte Aliasan und betrachtete nachdenklich die Steilküste, „Sie haben uns hierher
gebracht, wo immer das auch ist. Doch glaube ich, dass wir weit, weit weg von den Inseln sind."
„Mittelerde.", sagte sie schulterzuckend.

Sie suchten die kleine Bucht nach einer Aufstiegsmöglichkeit ab. Eärdaliene glaubte, dass sie sich an
einer Küste in Mittelerde befinden müssten. Die Vegetation der Steilküste lies sie auf die südlicheren
Breiten von Mittelerde schließen.
„Ich vermute, dass wir kein Problem haben den Fels hinaufzuklettern.", sagte Aliasan als er den
zerklüfteten Sandstein betrachtete.
Eärdaliene wirkte sehr nachdenklich, seit sie begannen die Steilküste zu untersuchten.
„Wir sind sehr weit südlich.", sagte sie besorgt, „Viel zu weit südlich."
„Das ist doch kein Problem, Liebste.", antwortet Aliasan unbekümmert, „Das Wetter ist sanft und
warm. Wir müssen uns wenigstens um eine Unterkunft keine Sorgen machen."
„Darüber mache ich mir auch keine, Geliebter.", sah sie ihn sorgenvoll an.
„Was bewegt dich dann, meine Herz?", sagte er mit einem Stirnrunzeln.
„Es ist mein Volk, Aliasan.", erklärte sie dem Elf, „Mir sind keine Elben so tief im Süden Mittelerdes
bekannt. Die wenigen Überlieferungen die wir haben, besagen, dass die Elben sehr weit nördlich nach
Aman zogen. Diejenigen, die der Wanderung nicht folgten, oder sie verließen, blieben im Norden von
Mittelerde."
„Nun, wir brauchen dein Volk nicht.", sagt er zärtlich, „Wir haben doch uns."
„Das stimmt, Magier meiner Träume.", hauchte sie ihm entgegen, „Doch wenn all das, an was wir uns
erinnern, wahr und geschehen ist, benötige ich bald die Hilfe einer Elbe."
„Ich verstehe, mein Schatz.", nickte Aliasan im Licht der plötzlichen Erkenntnis, „Ich denke, selbst ein
Magister des ersten Sanktums ist da wenig von Nutzen."
„Nein, Feuerbälle und andere Zauber bringen uns da nicht weiter.", lachte sie laut auf, „Hier pocht
die Natur auf ihr Recht."
„Gut, dann müssen wir nach Norden.", sagte Aliasan entschlossen, „Lass uns aufbrechen."
Aliasan wandte sich der Steilküste zu.
„Ich denke hier können wir leicht einsteigen.", sagte er und deutete auf ein Band im Sandstein, das
wie eine Rampe nach oben führte, aber leider auf halber Höhe der Steilküste endete.
„Ja.", nickte Eärdaliene und ging forsch voran.
„Immer noch die Anführerin, Matrone?", zog Aliasan sie auf.
„Ich…", begann sie, „Ja, fremder Freund."
„Gut, ich erkenne es an.", sagte Aliasan und deutete eine sanfte Verbeugung an, „Ihr seit die Matrone
meines Herzens."
Eärdaliene begann noch schneller den Sandstein hinaufzusteigen.
„Ab hier müssen wir nun klettern.", sagte sie als sie an das Ende des Bandes kam.
„Bitte lass mich voransteigen.", bat Aliasan sie.
„Von mir aus.", lächelte sie ihn an.
Aliasan begann den Fels zu erklettern, die vielen kleinen Nischen und Höhlen boten guten Halt. Ein
kleiner blauer Funken aus seinen Fingern, vertrieb den einen oder anderen Seevogel, der sich in seiner
Ruhe gestört fühlte, und nach Aliasans Fingern schnappte.
„Nein, Aliasan.", rief Eärdaliene unter ihm, „Lass die Vögel in Ruhe. Wir müssen mit der Schöpfung
Illuvatárs leben, nicht gegen sie kämpfen."
„Das erzähl mal den verdammten Vögeln.", grummelte der Magier.
„Erzählen? Nein, da weis ich etwas Besseres.", sagte die Elbe und begann ein sanftes Lied zu singen.
Aliasan blickte sich erstaunt um. Die Vögel, die zuvor noch seine Finger als fette Beutewürmer
betrachtet hatten, schienen ihm nun höflich zuzunicken, als er an ihnen vorbeistieg.
„Siehst du?", lächelte Eärdaliene, „So einfach ist das."

„Das wäre geschafft.", sagte Aliasan als er Eärdaliene über den Rand des Steilufers half.
Unter ihnen lag die kleine Bucht an der sie nach der phantastischen Reise durch Ulmos Reich
anstrandeten.
„Wohin nun?", schaute er die Teleri fragend an.
Eärdaliene sah sich um. Landeinwärts lag ein fast undurchdringlicher Dschungel. Richtung Süden
konnte man sehen, dass die Steilküste noch schroffer in die Höhe stieg. Ein Aufstieg wäre dort sehr
schwer möglich gewesen. Im Norden fiel die Steilküste langsam zum Meer ab. Hätte es die Brandung
nicht verhindert, wäre es für sie einfacher gewesen an das nördliche Ende zu schwimmen.
„Ich hab ein ungutes Gefühl, wenn ich den Dschungel betrachte.", sagte Eärdaliene ängstlich.
„Ja, das geht mir genauso.", stimmte ihr Aliasan mit einem finsteren Blick in Richtung des Dickichts
zu.
„Lass uns hier auf der Steilküste und dann später am Strand entlang nach Norden gehen.", schlug sie
vor, „Ich fühle mich irgendwie sicherer, wenn Ulmos Reich in meiner Nähe ist."
„Was mich nicht wundert, wenn ich eure Geschichte betrachte.", nickte Aliasan.
„Ja, die Bewohner der fünf Inseln haben eine ganz besondere Beziehung zum Meer.", fing Eärdaliene
an zu erzählen, als sie die Küste entlang wanderten, „Es begann alles vor Zeitaltern. Die Teleri waren
auf der Wanderschaft nach Aman. Wie alle Elben, die unterwegs waren zu den unsterblichen Landen,
so blieb auch mein Volk einige Zeit auf der Insel Tol Eressëa. Unter uns gab es einen Elb, der
besonders die Künste der Nautik studierte. Man erzählt sich, dass Amaldëar in einer einsamen Bucht
Ulmo belauscht hatte, als dieser auf Ulumúri spielte. Jeder der dieses Horn hört verfällt dem Meer.
Amaldëar gab sich dann auch nicht zufrieden mit den Schiffen, die die Valar sandten um die Teleri
von der Insel nach Aman zu bringen, sondern baute sein eigenes Schiff. Es flog ebenbürtig an
Navigation und Geschwindigkeit mit den Schwanenschiffen der Valar."
„Hm.", unterbrach Aliasan sie.
„Langweile ich dich, mein Geliebter?", erkundigte sich Eärdaliene.
„Nein, ganz und gar nicht. Sei unbesorgt.", beruhigte Aliasan sie, „Ich wundere mich nur, dass
Mithrandir davon nichts wusste. Sein Wissen, das er mir übermittelte, war sonst sehr umfangreich."
„Nun ich denke, dass diese Geschichte zu weit zurückliegt.", lächelte die zierliche Elbe ihn an,
„Mithrandir kannte sie bestimmt, aber hielt sie wohl außerdem für belanglos für deinen Auftrag."
„Mag sein.", nickte Aliasan langsam, „Bitte fahr fort."
„Gerne, Aliasan.", begann Eärdaliene weiter zu erzählen, „Als die Teleri in Aman ankamen, begannen
sie ihre prächtige Hafenstadt Alqualondë zu erbauen. Amaldëar konstruierte die Hafenanlagen und
die meisten Schiffe, mit denen die Teleri die Gewässer Amans erkundeten. Er genoss großen Respekt
bei allen Teleri für seine Arbeiten. Doch allen die ihn kannten, kam er ruhelos vor. Eine Tages sprach
er von seinen Absichten zu seiner Familie. Er zeigte ihnen Pläne von gewaltigen Schiffen, die wie
schwimmende Städte waren. Sie waren so gebaut, dass sie ihre Besatzung mit allen zum Leben
notwendigen versorgten. Tiere und selbst Pflanzen fanden an Bord ihren Platz. Er überzeugte seine
Kinder mit ihm zu kommen, und die unbekannten Reiche Ulmos auf Arda zu erforschen. Sie
arbeiteten viele Jahre auf den Werften von Alqualondë. Als der Tag des Aufbruchs kam, versammelte
Amaldëar seine Gefolgschaft. Jeden seiner vier Kinder gab er eines der stolzen weißen Schiffe mit
ihren goldenen Segeln, die größer als je ein Segel zuvor waren. Er selbst übernahm das Kommando
über das fünfte und größte der ‚Erforscher der Meere', wie sie die Schiffe nannten."
„Erforscher?", grübelte Aliasan, „Den Namen habe ich auf den Inseln schon einmal gehört."
„Ja, sicherlich. Du wirst bald wissen warum.", erklärte Eärdaliene und fuhr mit der Geschichte fort,
„Ich könnte dir viele Geschichten von den Fahrten der Erforscher erzählen. Sie befuhren die Meere
vom hohen Norden Amans bis zu den südlichsten Gewässern Mittelerdes. Sie wechselten immer
zwischen dem Licht Valinors und der Dunkelheit im Rest von Arda, die damals dort noch herrschte.
Sie kamen sogar in die Gewässer östlich von Mittelerde und westlich von Aman, in die See die ganz
Arda umgibt."
„Eine wahre Weltreise.", flüsterte Aliasan.
„Ja, in der Tat.", bestätigte Eärdaliene, „Eines Tages kamen seine Kinder zu Amaldëar und berichteten
von Unruhe unter den Ihren. Zulange seien sie fern der Strände Amans, und manch einer aus dem
Gefolge sehnte sich nach den Seinen, die er zurückgelassen hatte, erklärten sie Amaldëar. Er vernahm
die Sehnsüchte der Teleri an Bord der Erforscher und erkannte die Gefahr. Er lies daher Kurs nach
Alqualondë anlegen. Die Freude bei allen war groß. Durch Amaldëars großes seemännisches Geschick
dauerte es nicht lang, bis sie wieder die Gewässer vor Alqualondë unter den Kielen ihrer mächtigen
Schiffe hatten. Aber Valinor und auch Aman lagen im Dunkel, da Melkor und Ungoliath die
lichtbringenden Bäume Teleperion und Laurelin vernichtet hatten."
„Melkor?", brummte Aliasan, „Ja, der Name kommt mir wieder bekannt vor."
„Bitte vermeide ihn, wenn du kannst. Wir flüstern ihn nur.", sagte die Elbe besorgt, „Er ist das Böse.
Kein Elb will ihn heraufbeschwören."
„Ich kann dich beruhigen, mein Herz.", sagte Aliasan ruhig, „Wenn das Wissen Mithrandirs korrekt
ist, wurde er vor Zeitaltern besiegt und bis zum Ende der Welt gebannt."
„Mag sein.", sagte Eärdaliene und blickte sich besorgt um, „Aber Mithrandir sprach auch vom Fall
Numénors und von Sauron, der rechten Hand Melkors."
„Auch Sauron soll besiegt worden sein.", beruhigte Aliasan sie.
„Der Istari sprach aber von neuen Bösen, das sich in Mittelerde regen soll, und Melkor ist in Arda die
Wurzel allen Bösen.", flüsterte die Matrone, „Ich will nicht weiter über ihn reden. Bitte, Aliasan."
„Gut, dann erzähl doch die Geschichte weiter.", lächelte sie Aliasan an.
„Ich weis nicht. Sie… ", sagte Eärdaliene zögerlich, „Das Böse hält nun auch hier seinen Einzug."
Aliasan drückte beruhigend ihren Arm.
„Ich will es versuchen.", fasste sie sich wieder, „Als die fünf Erforscher in der Dunkelheit weit vor
Alqualondë die Anker fallen ließen, sahen sie wie die Stadt, der Hafen und einige Schiffe brannten.
Ein anderer Elbenstamm, die Noldor, würden die Stadt angreifen und die Schiffe stehlen, wurde
Amaldëar gemeldet. Es machte sich Entsetzen unter den Teleri der Besatzung breit. Es war ungehört
bis jetzt, dass Elben Elben erschlagen, und dies noch dazu in Aman passiert. An Bord der Erforscher
war die Verwirrung groß. Viele drängten Amaldëar den Teleri in Alqualondë zur Hilfe zu eilen.
Andere mahnten zur Vorsicht. Man sei viel zu lange von zu Hause weg gewesen, um zu wissen, was
der Grund für diesen Brudermord sei. Amaldëar wägte es lange ab. Doch zum Schluss war die Sorge
um sein Gefolge größer, als die Hilfe, die sie hätten geben können. Die Schiffe blieben weit vor
Alqualondë auf Reede liegen. Man erzählt, dass ein Bote Ulmos Amaldëar daraufhin während einer
Versammlung mit seinen Kindern aufsuchte. Der Bote überbrachte die Bitte Ulmos in den
Brudermord einzugreifen, und den Teleri in der Hauptstadt zu helfen. Amaldëar verweigerte sie, und
der Bote zog unverichteter Dinge wieder ab. Die ältere seiner beiden Töchter wollte aber dem Morden
an ihrem Volk nicht untätig zusehen. Sie fühlte sich durch die Bitte Ulmos zur Hilfe aufgefordert und
bedrängte den Vater noch einmal zu handeln. Sie bot an, notfalls alleine mit ihrem Schiff die Noldor
anzugreifen. Ihre beiden, dem Vater treu ergebenen Brüder, drohten ihr, sollte sie dies tun. Sie gab
scheinbar klein bei. Aber als sie wieder auf ihrem Schiff war lies sie die Anker einholen und die Segel
setzen. Die beiden Brüder sahen dies. Sie setzten mit schnellen kleinen Booten zu dem
davonsegelnden Erforscher über. In einer hitzigen Diskussion erschlugen sie ihre Schwester."
„Was für ein Drama.", schüttelte Aliasan den Kopf und blickte auf das Meer das unter ihnen an die
Steilküste brandete.
„Ja, doch kam es noch schlimmer für Amaldëar und die Seinen.", begann Eärdaliene zögerlich weiter
zu erzählen, „Kaum hatten die Söhne ihren Vater die Tat gebeichtet, erhob sich das Meer um sie. Die
dunklen Wasser nahmen die gigantische schaumgekrönte Gestalt Ulmos an. Mit einer Stimme, die wie
das Tosen eines Orkans klang, schalt er Amaldëars Ungehorsam ihm gegenüber. Der Brudermord,
den dieser nicht unterstützen wollte, hätte selbst auf den Erforschern Fuß gefasst. Ulmo entfesselte die
Wellen und Winde gegen die Erforscher. Riesige Wellenberge schlugen gegen die mächtigen Schiffe.
Die Söhne versanken in den Wellen. Amaldëar und alle, die den Brüdern und Schwestern an Land
nicht beistehen wollten, wurden ebenfalls in die tobende See geschleudert.
Ulmo sprach zu ihnen: ‚Ihr sollt aber nicht zugrunde gehen in der See, die ihr so liebtet. Deshalb sollst
du, Amaldëar, und alle die nicht den Euren zur Seite stehen wollten, für immer in Gestalt von
Delphinen mein Reich durchwandern. Doch die, die ihre Schwester erschlugen, sollen sich
rechtfertigen vor Námu.'
Über den Tosen und Toben Ulmos erhob sich aber eine mächtigere Stimme. Der Zorn Ulmos entging
Manwë, dem König der Valar, nicht, und so sprach er: ‚Ward es nicht der Wille Illuvatárs, dass kein
Valar den Noldor auf ihren Weg helfe, noch sie hintere? Halte ein in deinem Zorn!'
Ulmo zügelte seinen Zorn. Doch selbst in den nun sanften Gewässern waren die fünf Erforscher
verloren. Zu groß war der Schaden, den sie durch den Zorn Ulmos erlitten hatten.
Doch Ulmo war nun besänftigt. Ihm dauerte das Schicksal der verbliebenen Teleri. Er begann ein Lied
zu singen. Aus den Erforschern wurden die fünf Insel die du kennengelernt hast, Aliasan.
Die Insel des Hains war einstmals das Schiff der erschlagenen Schwester. Die Wassersäule Ulmos
kennzeichnete die Stelle, an der sie von ihren Brüdern erschlagen worden war. Er gab uns den Hain
als Zeichen des immerwährenden Gedenkens an diese Ereignisse. Yavanna pflanzte zusätzlich die
Bäume, als Zeichen des Segens der übrigen Valar für die neuen Inseln. Ulmo lehrte uns das eine Lied,
das die fünf Inseln schuf. Wir haben es jedes Jahr einmal zum Gedenken dieses Tages des Zorns, der
Trauer und Freude im Hain gesungen. Allerdings war es auch sein Wille, dass keines unsere Schiffe je
einen anderen Hafen als Alqualondë abseits der Inseln anlaufen sollte. Den Rest kennst du bereits."
„Aber König Ëarmeneliene hat doch eine stolze Flotte?", fragte Aliasan noch sichtlich beeindruckt von
der Geschichte, die ihm Eärdaliene erzählt hatte.
„Nun, als Amaldëars überlebende Tochter vermochte sie es wohl kaum anders, als Schiffe zu bauen.",
sagte sie mit einem Augenzwinkern, „Es war sehr vorausschauend von ihr."
„Sie ist seine Tochter?", fragte Aliasan sie erstaunt, „Ich habe sie gesehen. Aber sie müsste ja …?"
„Ja, Liebster. Sie ist sehr alt.", erklärte Eärdaliene lächelnd, „Wir Elben kennen kein Altern. Scheinbar
hat dir Mithrandir das auch verschwiegen. Und nein, Aliasan, ich sage dir nicht wie alt ich bin. Aber
sei beruhigt. Ich erblickte erst auf den Inseln das Licht Eäs. Allerdings sehr bald nach …"
Eärdaliene hauchte ihm leichtfüßig einen Kuss auf die Wange. Aliasan sah sie ungläubig an.
[/font]
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
55. Musik und Essen

Die Steilküste wurde immer niedriger. Aliasan sah frustriert auf die vor ihnen im Nebel des Morgens
liegende Ebene. Er stemmte die Arme in sein Kreuz, und bog seinen Körper. Eärdaliene schien das
Übernachten auf dem bloßen Boden nichts auszumachen. Er selbst sehnte sich nach einem
anständigen Bett, oder wenigstens einen der bequemen Diwane, die er aus Silbermond in sein Haus
bringen lies. Eärdaliene erwachte. Sie stütze sich mit ihren Armen vom morgenfeuchten Gras ab.
„Guten Morgen, mein Liebster.", flüsterte sie und legte den Kopf auf die abgestützte Schulter als sie
den nachdenklichen Blick Aliasans sah, „Was grübelst du?"
Aliasan beugte sich zu ihr hinunter und küsste ihre Stirn.
„Guten Morgen, mein Schatz.", sagt er zärtlich, „Ich habe mir nur unseren kommenden Weg
angeschaut."
„Ja, nordwärts am Meer entlang.", fügte Eärdaliene mit einer wagen Handbewegung in nördliche
Richtung hinzu.
„Eben das könnte schwierig werden.", sagte Aliasan und fasste sich ans Kinn, „Wir sind noch auf der
Steilküste. Doch wenn mich meine Augen nicht trügen, läuft diese bald dem Meer entgegen. Dahinter
kann ich ausmachen, wie der Dschungel sich dem Meer nähert. Es scheint keinen Strand zu geben."
Eärdaliene stand auf. Sie lies ihren scharfer Elbenblick die Küste nach Norden entlang wandern. Sie
zog eine Augenbraue nach oben.
„Nein, ich sehe auch keinen Strand. Es schaut mir dort unten sehr sumpfig aus.", bestätigte sie den
Magier, „Aber der Dschungel gefällt mir auch nicht."
„Das sehe ich genauso.", nickte Aliasan, „Aber ich fürchte wir haben keine Wahl, als den Weg im
Dschungel fortzusetzen."
„Dann lass uns dort hineingehen.", seufzte Eärdaliene und deutete auf eine Schneise, die ein
entwurzelter Baumriese in das Dickicht des Dschungelrandes gerissen hatte.
Sie kletterten über und unter den Ästen des gefallenen Baumes in das schwüle grüne Zwielicht des
Dschungels. Der Unterwuchs an Farnen und Büschen, die trotz des fehlenden Lichts am Boden
prächtig wuchsen und gediehen, erschwerte ihnen das Fortkommen. Aliasan ging voran und
versuchte mit einem abgebrochenen Ast der üppigen Vegetation Herr zu werden.
„Wenn ich nur noch meinen Stab hätte.", grummelte er als er auf den nächsten mannshohen Farn
einschlug.
„Ja, vermutlich wäre er effektiver als dieses krumme Stück Holz.", pflichtete im Eärdaliene bei.
„Nunja, mehr als das.", ärgerte sich der Magier, „Ich könnte dann einen Zauber anwenden, der in
dieses Grünzeug einfach bei der Berührung mit ihm zu Räson bringen würde."
„Kannst du das nicht auch so?", wollte die Elbin wissen.
„Nein, dazu brauche ich ein geeignetes Medium.", seufzte Aliasan besorgt, „Und außerdem…"
„Liebster?", schaute ihn Eärdaliene sorgenvoll an.
Aliasan blieb stehen und drehte sich mit einem ernsten Gesicht zu ihr.
„Bald wird meine Magie fast komplett erlöschen, Eärdaliene.", sagte er ernst.
„Wie meinst du das?", schüttelte sie den zierlichen Kopf.
„Die arkanen Energiespeicher, die ich besitze, sind fast leer.", erklärte er ihr, „Ich muss sie wieder
auffüllen. Aber es geht nicht."
„Gibt es keine Möglichkeit?", schaute sie den Hochelf besorgt an.
Aliasan langte in die Tasche seiner Robe. Er holte zwei kleine braune Kekse hervor, und gab ihr einen.
„Das hier sind Manakekse.", deutete er auf seinen, „Sie führen mir die notwendige Energie, das Mana
zu. Außerdem sind Teile meiner Kleidung und mein Stab so verzaubert, dass sie ebenfalls Mana
erzeugen. Dies ist aber sehr ineffizient, und den besten Teil, meinen Stab, habe ich nun wohl für
immer verloren. Ich kann dich nicht mehr so gut beschützen, wie ich es gerne möchte, mein Herz. Mir
bleiben bald nur sehr geringe Zauber oder meine beiden schwachen Fäuste."
Eärdaliene schmiegte sich an ihn. Sie legte ihren Kopf auf seine Brust.
„Ich traue dir dennoch zu, mein Geliebter, dass du uns drei so gut es geht beschützen wirst.", hauchte
sie.
„Das werde ich versuchen.", erwiderte er, „Und wenn es mein Leben kostet."
„Das ist sehr heldenhaft von dir.", lächelte sie ihn an, „Aber ich glaube, ich habe ebenfalls noch den
ein oder anderen Trick auf Lager, auch wenn sie nicht so mächtig sind wie deine Zauber, aber sie sind
im Einklang mit Illuvatár, den Valar und Arda."
„Gut, wir werden es schaffen.", sagte er bestimmt.
„Ganz gewiss.", nickte sie.

„Ich kann nicht schätzen, wie weit wir schon gekommen sind.", sagte Aliasan einige Zeit nachdem sie
den Weg wieder aufgenommen hatten.
„Das ist schwer zu sagen.", meinte Eärdaliene überlegend, „Die Bäume verdecken die Sonne, und das
Licht das durch ihre Kronen zu uns noch kommt, hat auch jede Zeit verloren. Aber wir scheinen
besserer voranzukommen."
„Ja, die Vegetation hier am Boden wird weniger dicht.", sagt er, „Wir scheinen auf irgendeine Art
Wildpfad gekommen zu sein."
Aliasan deutete auf einen schmalen Pfad, der sich vor ihnen langsam abzeichnete und durch das
Gebüsch führte. Er schlängelte sich durch flache Hügeln, die sich im Dschungel zu erheben begannen.
„Ich weis nicht, ob es klug ist ihm zu folgen.", sagte Aliasan und zeigte mit seinem Holzknüppel den
Pfad entlang.
„Nun, wir haben keine andere Wahl.", antwortete Eärdaliene, „Diese Hügel hier auf und ab zu
wandern, und dazu noch einen Weg durch den Busch schlagen, ist viel zu anstrengend. Lass uns dem
Pfad folgen, und bereit sein für alles was kommt."
Aliasan nickte ihr stumm zu. Er schaute besorgt die Hügel an. Sie hatten etwas Unnatürliches. Er ging
den Pfad entlang. Seinen Holzknüppel wie ein Schwert vor sich haltend. Er war sich ganz und gar
nicht sicher, ob sie wirklich für alles bereit sein konnten. Eärdaliene sah seine kummervollen Blicke.
„Ich hoffe, dass sich alle Feinde sich von deinen Knüppel beeindrucken lassen.", lachte die Elbe.
„Sieh da, vor uns!", rief der Magier überrascht.
An der Basis des Hügels, den der Pfad als nächstes umrundete, waren deutlich die Reste von Mauern
zu erkennen. Eärdaliene schaute zu Boden und seufzte.
„Ich habe es befürchtet.", sagte sie leise.
„Was denn?", schaute sie Aliasan fragend an.
„Ich habe, seit wir dem Pfad folgen, ein starkes Gefühl, dass wir in ein Gebiet eindringen, das wir
nicht betreten sollten.", erklärte sie, „Dies ist kein Ort für Elb oder Elf."
„Geister?", runzelte Aliasan die Stirn.
„Nein, keine Geister.", schüttelte Eärdaliene den Kopf, „Dies war einst ein Ort von Menschen, aber
nun hat ihn die Natur wieder in ihren Besitz genommen. Ich spüre eine animalische Präsenz."
„Wir müssen auf jeden Fall auf der Hut sein.", sagte Aliasan und schaute sich besorgt um.
Der Dschungel lichtete sich vor ihnen allmählich. Die Hügel zeigten immer mehr ihre unnatürliche
Entstehung. Die Überreste einer Burg lagen vor ihnen. Die Mauern, die einstmals stolz sich jeden
Angreifer entgegen stellten, waren eingefallen. Die Reste einer mächtigen Halle waren neben
umgestürzten oder lianenumwundenen Türmen zu sehen. Der Pfad führte direkt in den ehemaligen
Burghof vor die Halle. Aliasan und Eärdaliene betraten vorsichtig den Burghof.
„Wer stört Balufin bei seinem wohl verdienten Schläfchen?", grollte es aus der Halle.
Ein gewaltiger Bär kam müde aus der Halle getrottet. Sein Fell glänzte silbern wie Mithril. Er hielt
seine Schnauze in die Luft und schnüffelte.
„Keine Haradrim, hm.", schnaufte er.
Eärdaliene und Aliasan blieben wie versteinert am eingefallen Tor des ehemaligen Hofes stehen.
„Sollen wir fliehen.", flüsterte Aliasan in das Ohr der Teleri.
„Nein, das wäre sinnlos.", kam es knapp aus dem Mund der ehemaligen Matrone.
Der Bär ging langsam in die Mitte des Hofes.
„Dieser Geruch.", murmelte er, „Ich kenne ihn. Zeigt euch!"
Eärdaliene ging langsam auf den Bären zu. Aliasan zögerte etwas, aber folgte ihr mit einem schnellen
Schritt.
„Ich könnte nicht sagen, dass du willkommen bist Tochter Illuvatárs.", schaute Balufin die Elbe mit
seinen dunklen tiefgründenden Augen an, „Doch ist mein Groll auf ihn der meine. Verlass mich so
schnell wie möglich. Warte dein Begleiter …"
Balufin hob noch einmal den gewaltigen Kopf.
„Was ist das für ein Geruch?", brüllte er und hieb mit seiner rechten Pranke so stark auf den Boden
ein, dass ein nahegelegener Mauerrest nun gänzlich einstürzte, „Wer ist das in deinem Gefolge? Ich
erkenne diesen Geruch nicht. Erklär dich!"
„Mächtiger Balufin, mein Begleiter ist kein Kind Ardas.", sagte Eärdaliene sanft.
„Dann ist er eine Ausgeburt des dunklen Herrschers.", fauchte der Bär.
„Nein, er ist…", begann sie noch zu erklären, als Balufin plötzlich auf Aliasan zustürmte.
Aliasan wich dem anstürmenden Bär nur knapp aus. Er sprang auf einen Mauerrest. Balufin drehte
sich um und stellte sich auf seine Hinterbeine. Mit seinen Vorderpranken schlug er nach dem Hochelf.
„Schlimmer als Illuvatár sind nur die Schergen des Bösen.", wütete er als er die Mauer unter Aliasan
langsam zu Staub verwandelte.
„Nein, halte ein!", schrie Eärdaliene.
Balufin zeigte kein Nachlassen in seinen Bemühungen, die Zuflucht Aliasans einzureißen. Eärdaliene
schloss die Augen und lies ihren Kopf auf ihre Brust sinken. Sie konzentrierte sich. Das Lied kam
langsam und beruhigend aus ihrem Mund. Sie hob allmählich ihren Kopf. Sie öffnete die Augen und
sah Balufin hypnotisierend an.
„Das nützt dir nichts, kleine Elbe.", sagte Balufin.
Er brach aber seinen Angriff ab, und sah Eärdaliene etwas schief scheinbar leicht lächelnd an.
„Aber hey, prima Stimme, Kleine.", nickte er ihr zu, „Vielleicht ist das Lied etwas traurig, aber da
können wir was draus machen."
Eärdaliene sah den bis eben noch tobenden Bären fragend an.
„Der alte Balufin weis ein Lied mit duften Rhythmus zu schätzen.", sagte er, „Böse Wesen können
nicht so mit der Macht der Valar erfüllt singen wie du. Nun lass und da aber was draus machen."
Balufin stellte sich wieder auf seine beiden Hinterbeine, aber nun begann er zu tanzen. Er begann
Eärdalienes Lied zu summen. Es schien schneller zu werden und sich in seinem Rhythmus zu ändern.
„Jo, so ist das besser.", sagte der Bär genüsslich und klatschte mit den Vorderpranken, „Und nun noch
ein wenig Unterstützung."
Tiere, die bis jetzt versteckt in den Ruinen waren, tauchten auf und schienen auf sein Zeichen in das
Lied einzustimmen. Andere trommelten auf verschiedene Gegenstände. Vögel, Affen, Mäuse und
selbst Schlangen nahmen den Rhythmus des Bären auf. Der Dschungel vibrierte voll Musik.
„Hey Kleine, nun zeig mir was in dir steckt.", rief Balufin der verdutzt dastehenden Elbin zu, „Komm
schon, das muss fetzen."
Balufin kam auf die Elbe zu. Er nahm ihre Hände und begann mit ihr zu tanzen.
„Immer locker und in Bewegung bleiben, Kleine.", strahlte der Bär sie an, „Komm lass es krachen. Gib
mir alles was du kannst."
Eärdaliene begann zu singen. Doch statt die Melodie von Balufin aufzunehmen, kontrapunktisierte sie
diese mit einer Gegenmelodie. Der Dschungel schien nun in den buntesten Lichtern zu explodieren.
„Was?", wunderte sich Balufin kurz, „Ja, das ist es. Gib mir mehr davon, Süße."
Eärdaliene tanzte nun wilder. Ihre Bewegungen schienen nun eins zu werden mit ihrem Gesang. Die
Ruinen der Burg erbebten und erstrahlten wie nie zuvor. Balufin schüttelte seinen gewaltigen Körper
im Takt der Musik.
„Oh ja, das geht ab.", stöhnte er.

Aliasan saß auf seiner Mauer. Er sah dem Treiben in der Burg ungläubig zu. Die Melodie gipfelte in
einem wilden Crescendo. Die Erde selbst schien im Rhythmus zu zittern. Dann war plötzlich Stille.
Balufin sank erschöpft zu Boden.
„Ich werde zu alt für so was.", flüsterte er selig lächelnd.
Eärdaliene setzte sich neben den Bären und kuschelte sich in sein dichtes Fell.
„Ich wusste gar nicht, dass es so eine Musik gibt.", hauchte sie abwesend.
„Ja, das ist der Dschungelrhythmus, Kleine.", lächelte der Bär sie an, „Niemand als der alte Balufin
kennt ihn besser."
Aliasan kam langsam von seiner Mauer herunter und ging auf das ungleiche Paar zu.
„Ah, sieh da der Spielverderber.", sagte Balufin mit einem leichten Mitleid in der Stimme.
„Aliasan kennt die Natur nicht so wie wir, Balufin.", versuchte Eärdaliene den Magier zu
entschuldigen.
„Das denke ich auch, wenn er nicht aus Arda ist.", sagte der Bär und wurde wieder etwas ernster,
„Woher kommst du?"
„Ich bin ein Hochelf und komme aus einer Welt, die wir Azeroth nennen, mächtiger Bär.", erklärte der
Hochelf.
„Einerlei.", grunzte der Bär, „Vertraust du ihm, Süße?"
„Vom Leben bis in den Tod, Balufin.", nickte Eärdaliene dem Bären zu, „Und er …"
Sie verstummte plötzlich. Balufins fragende Blicke drangen tief in die Elbe ein.
„Ah! Ich verstehe.", nickte er wissend lächelnd, „Alles klar. Dann bereite schon mal ein swingendes
Wiegenlied vor, Kleine."
„Wie?", sagte Aliasan verblüfft.
„Nun Hochelf, der alte Balufin weis vieles und erkennt noch mehr.", sagte der Bär weise, „Aber nun
habe ich einen gewaltigen Hunger. Lasst uns essen."
Der Bär klatschte in seine enormen Pranken. Von überallher schienen nun Tiere die verschiedensten
Früchte heranzutragen. Eärdaliene und Aliasan sahen der Prozession des Überflusses ungläubig zu.
„Der Dschungel sorgt gut für seine Bewohner.", schmunzelte Balufin, „Man muss nur wissen, wo man
suchen muss."

„Das war ein wahrer Festschmaus, Balufin.", sagte Eärdaliene nachdem sie eine der dargereichten
Früchte gegessen hatte.
„Ohne deine Hilfe wären wir vermutlich verhungert.", schmatzte Aliasan, als er noch eine weitere
große gelbe Frucht aß.
„Man muss wissen, was man essen darf und was nicht.", erklärte der Bär, der goldenen Honig aus
Bienenwaben schleckte.
„Vermutlich hätte ich es schon gespürt, wenn ich eine Frucht anfasse.", grübelte Eärdaliene.
„Das könnte schon ein Fehler gewesen sein.", sah der Bär sie ernst an, „Manche Pflanzen mögen es
gar nicht, wenn man sie anlangt."
„Ein Glück, dass wir dich gefunden haben, Balufin.", sagte die Elbe erleichtert.
„Ja, das kann man wohl sagen.", nickte der Bär, „Aber was sucht ihr in meinem untergegangenen
Reich überhaupt?"
„Wir suchen Leute meines Volkes.", erklärte die Elbe knapp.
„Elben?", schaute sie der Bär überrascht an, „Hier werdet ihr keine finden. Das erstgeborene Volk ist
weit weg."
„Das habe ich bereits vermutet.", seufzte Eärdaliene.
„Wie kommt es, dass ihr euch hierher verirrt habt?", wollte Balufin wissen.
„Das ist eine lange Geschichte.", sagte Eärdaliene.
„Ich hab Zeit.", lächelte sie der Bär an, „Erzähl sie mir. Eine interessante Geschichte ist so gut wie ein
feines Essen."
Eärdaliene erzählte Balufin die Geschichte der Inseln und wie sie und Aliasan schließlich an die Küste
Mittelerdes gespült wurden.
„Das ist eine vorzügliche Geschichte.", lobte der Bär sie.
„Aber nun müssen wir mein Volk finden.", sagte die Elbe, „Wirst du uns dabei helfen?"
„Ja.", gähnte der Bär, „Aber nun gönnt mir erst ein kurzes Schläfchen. Die Nacht ist bereits
hereingebrochen. Vielleicht wollt ihr ja auch ruhen?"
„Das ist eine gute Idee.", sagte Aliasan müde.
„Die habe ich immer.", grinste Balufin, „Zumindest, was die schönen Seiten des Lebens betrifft.
Musik, Essen und Schlaf erquicken die Seele."
Balufin tapste langsam in die Halle.
„Bis später.", rief er ihnen zu und verschwand im Zwielicht.
„Wir sollten auch zur Ruhe gehen, Aliasan.", sagte Eärdaliene mit schläfriger Stimme.
„Glaubst du, dass wir hier sicher sind?", schaute sich Aliasan besorgt um.
„Wir sind hier absolut sicher, mein Liebster.", sagte sie ihm, „Schau da hinten ist so eine Art Nest aus
großen Blättern."
Sie stand auf und ging in eine Ecke des Burghofs in der eine gewaltige Blattpflanze spross. Sie schob
die Blätter etwas zusammen und legte sich darauf nieder.
„Komm schon, Spielverderber.", zog sie den Hochelf auf.
Aliasan kam langsam zu ihr. Er legte sich neben sie.
„Ich liebe dich, Eärdaliene.", sagte er zärtlich in ihr Ohr.
Die Elbe hörte ihn nicht mehr. Sie war bereits im privaten Reich ihrer Träume.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
56. Marktplatz

Balufin trottete gemächlich durch den Dschungel. Er hatte es nicht eilig. Immer, wenn es sein Hunger
für notwendig erachtete, machte er eine Pause. Dies kam öfters vor als Eärdaliene und Aliasan lieb
gewesen war. Aber der Bär kannte sich im Dschungel aus, und führte sie auf versteckten Wegen
sicher durch die dichte Vegetation. Arm in Arm schlenderten sie daher hinter dem Bären einher.
„Mir wäre lieber, wir würden etwas schneller vorankommen.", sagte Aliasan mit einem besorgten
Blick auf Eärdalienes Bauch.
„Wieso das?", lächelte die Elbe zurück.
„Naja, in deinem Zustand wäre es sinnvoll wir wären bald bei den Elben.", sorgte sich der Magier.
„Glaub mir, mein Liebster, das dauert noch etwas.", lachte Eärdaliene fröhlich.
„Wie du meinst, mein Schatz.", nickte der Elf nicht gänzlich überzeugt.
„Du hast wohl noch keine Kinder?", schaute ihn Eärdaliene zweifelnd an.
„Nein….", kam es zögerlich über die Lippen des Hochelfs, „Dazu hatte ich noch keine Zeit. Meine
Studien haben mich bis jetzt immer voll ausgefüllt."
„Na dann sind wir schon zu zweit.", schmunzelte Eärdaliene, „Bei uns Elben sind Kinder selten. Sie
sind das größte Geschenk Illuvátars an uns. Wenn es denn einmal passiert, dann ist es für uns das
Natürlichste auf ganz Arda. Also sorge dich nicht, mein Herz."
„Das tue ich nicht, aber …", begann Aliasan und hielt inne, als er sah, das Balufin stehen blieb, „Schon
wieder eine Pause?"
Balufin schenkte ihm einen grimmigen Blick. Er richtete sich auf seine beiden Hinterbeine auf. Er hielt
seine Schnauze in den Wind und begann intensiv zu schnüffeln.
„Haradrim.", grunzte er abschätzig, „Wir müssen vorsichtig sein."
„Wer sin… Was?", sagte Aliasan und fasste sich an den Hals.
Der Magier verdrehte die Augen und sank zu Boden.
„Schnell auf meinen Rücken!", rief Balufin Eärdaliene zu, die sich gerade über Aliasan beugen wollte.
Die Eindringlichkeit von Balufins Stimme lies sie nicht an dem Ernst der Lage zweifeln. Mit einem
eleganten Sprung saß sie auf den mächtigen Bären auf.
„Festhalten!", mahnte der Bär und begann mit einer Geschwindigkeit durch den Dschungel zu
rennen, die Eärdaliene ihm nicht zu getraut hätte.
Der Dschungel wurde zu einem einzigen grünen Tunnel. Eärdaliene kam es so vor, als würden sie
durch eine lange grüne Röhre stürzen. Balufin machte einen Satz. Der Tunnel explodierte. Vor ihnen
war nun die Halle in der Burgruine, die Balufin als Behausung diente. Eärdaliene schaute sich
verwundert um.
„Wie?", staunte sie ungläubig.
„Nun, der alte Balufin kann ganz schön schnell werden, wenn es darum geht Fersengeld zu geben.",
schnurrte ein großer schwarzer Panther, der lässig mit seinem Schwanz wedelnd auf einem dicken
Ast lag, der in den Burghof hineinragte.
„Bagala, du hast mir gerade noch gefehlt.", schnaubte der Bär.
„Was hat dich den dieses Mal erschreckt, du großer Feigling.", feixte der Panther, „Ein Hase, oder war
es eine Maus?"
„Sklavenjäger der Haradrim.", sagte Balufin ernst.
Der Schwanz des Panthers verhaarte plötzlich steif in seiner Position. Der Panther setzte sich auf.
„Wo?", sagte er plötzlich besorgt.
„Kurz vor den ehemaligen Darahin-Hof.", dachte der Bär nach, „Vielleicht zwei oder drei Stunden
entfernt von ihm."
„Das ist besorgniserregend nahe.", schüttelte der Panther seinen Kopf, „Soweit in unser Reich haben
sie sich noch nie getraut."
„Siehst du, du räudige Katze, ich hatte allen Grund zur Eile.", nickte Balufin.
„Nun, dir hätten sie sicher nichts tun können, aber deiner Begleiterin sehr wohl.", sagte Bagala und
deutete mit einer Tatze auf Eärdaliene.
„Wir waren zu dritt.", sagte Eärdaliene besorgt um das Schicksals Aliasans.
„Das stimmt.", sagte Balufin mit gesenkten Kopf, „Wir mussten ihren Gefährten zurücklassen."
„Du hättest doch leicht beide tragen können.", schaute die Katze Balufin vorwurfsvoll an.
„Nein, er wurde von einem Betäubungspfeil der Harradrin getroffen.", erklärte der Bär und wandte
sich an Eärdaliene, „Er musste bleiben wo er war. Nur die Haradrim haben das Gegengift."
„Da hat der alte Gauner Recht.", nickte Bagala, „Es muss innerhalb einer Stunde gegeben werden,
sonst stirbt das Opfer. Gut, dann war alles so notwendig, wie es geschehen ist."
„Ja, ihr Begleiter ist am Leben.", stimmte Balufin zu, „Wenn ich sie alle getötet hätte, wäre jede Hilfe
umsonst gewesen."
„Ja, und jetzt?", schaute Eärdaliene den Bären mit großen entsetzten Augen an.
„Nun, Kind der Sterne, wird er sicher in ihre Stadt gebracht.", erklärte Bagala, „Elbensklaven gelten
als große Besonderheit auf den dortigen Sklavenmarkt."
„Wir müssen ihn retten!", sagte Eärdaliene ernst.
Balufin und Bagala schauten betretten zur Seite.
„Bitte helft mir!", flehte die Elbe.
„Wir… wir…", stotterte Balufin, „Wir können nicht."
„Aber ihr seit doch groß und stark.", schüttelte Eärdaliene den Kopf, „Und euch ist irgendein Zauber
inne."
„Hast du geplaudert?", sah Bagala Balufin entsetzt an.
„Nein, meine Liebe, kein Wort.", versicherte der Bär.

Eärdaliene Blicke wanderten fragend zwischen der Pantherin und dem Bären hin und her. Keiner von
beiden machte Anstalten es ihr zu erklären.
„Nun reicht es mir.", zürnte sie, „Ich weis nicht für wie lange ihr mich noch hinhalten wollt. Bereits
als wir den Dschungel betraten, habe ich etwas gespürt. Aber nun in euerer beider Gegenwart ist das
Gefühl sehr groß. Ich fühle mich an mein Zuhause erinnert. Der Ort an dem ich lebte war gesegnet
von den Valar. Dieses Gefühl… Es muss einfach so sein…."
Sie senkte den Kopf und schloss die Augen. Leise begann sie die erste Strophe des einen Lieds der
fünf Inseln zu singen. Der Dschungel um sie verschwand. Die Flotte der fünf Erforscher lag wieder
vor der Hafenstadt der Teleri.
„Genug!", jaulte Bagala auf, „Keine Lieder mehr! Ich hatte genug davon!"
„Ja, nun wird es mir klar.", nickte Eärdaliene, „Ihr seit mit den Valar und Illuvátar verbunden."
Balufin setzte sich auf seine Hinterbeine. Er starrte dumpf in den Boden des Burghofes.
„Wir waren einst Maiar an der Seite der Valar.", begann er leise zu erzählen, „Wir dienten dem
großen Jäger Orome auf seinen Jagdzügen. Doch wurden wir von falschem Stolz geblendet. Wir
sagten uns von den Valar los, und maßten uns an die Menschen hier im Süden Mittelerdes
beherrschen zu wollen. Grausam war die Strafe der Valar. Yavanna selbst sang das Lied, das den
Dschungel unser Reich verschlingen lies. Orome verbannte uns für immer in die Körper von Bär und
Panther."
„Wie ein Tier muss ich seitdem unsterblich mein Dasein fristen.", knurrte Bagala, „Wenn deine Musik
Balufin nicht erweicht hätte, würden wir nun auch gar nicht mehr miteinander sprechen. Sage mir,
Kind Illuvátars, warum also sollte ich dir helfen?"
„Bagala, auch wir Teleri der fünf Inseln kennen den Zorn der Valar.", begann Eärdaliene zögerlich,
„Auch wenn er sich selten gegen unser Volk richtet. Balufin kennt meine Geschichte. Er wird dir
bestätigen, dass wir ein ähnliches Schicksal teilen."
„Das stimmt.", brummte der Bär, „Viele ihres Volkes weilen für immer im Reich Ulmos. Aber unser
Vergehen gegen die Valar war bei weitem größer. Wir verdienten das, was wir bekommen haben."
„Nun komm mir nicht so!", fauchte Bagala, „Es war zwingend, dass wir so handelten."
„Ja, und dein absoluter Starrsinn hat dir damals auch die Musik geraubt.", sagte Balufin ernst an die
Katze gewandt, „Alleine mir ließen sie die Musik der Valar und Maiar. Sie erleichtert mir seither mein
Schicksal. Der Dschungelrythmus ist mein Leben."
„Du und deine dumme Dschungelmusik.", schüttelte die Pantherin den Kopf, „Siehst du denn nicht
hier den Feind vor dir?"
„Nein, ich sehe nur eine einzelne Elbe.", wies der Bär die Katze scharf zurecht, „Das ist wahrlich kein
Feind. Und vielleicht ergibt sich ja nun jetzt … Nein, das wäre zuviel gehofft."
„Das glaubst du doch selbst nicht wirklich, oder?", sah Bagala ihn verblüfft an.
„Wer weis, wer weis.", sinnierte Balufin vor sich hin, „Ihr Gefährte ist etwas ganz besonderes. Er
könnte…"
„Etwas Besonderes?", drehte die Pantherin Eärdaliene fragend ihren Kopf zu.
„Ja, das stimmt.", antwortete die Teleri, „Er ist kein Elb und stammt nicht aus Arda."
„Er ist nicht …", sah Bagala Balufin staunend an.

Eärdaliene sah beide fragend an. Die beiden ehemaligen Maiar starrten sich stumm an. Eärdaliene
konnte nicht erkennen, ob sie auf irgendeine ihr unbekannte Weise miteinander kommunizierten.
„Haradrim!", schrie sie.
„Wo?", schaute sich Bagala rasch um.
„Nirgends.", beruhigte Eärdaliene die Pantherin, „Mein Gefährte ist nun dort. Sie sind unser
gemeinsamer Feind, so scheint es mir. Außerdem scheint Aliasan für euch eine Bedeutung zu haben."
„Das ist sehr scharfsinnig von dir beobachtet, Kleine.", schmunzelte Balufin.
„Allerdings.", pflichte Bagala bei, „Es ist ein Anfang. Vielleicht hast du Recht, alter Narr, und es
besteht Hoffnung."
„Wir haben nichts zu verlieren, meine Liebste.", sagte Balufin fast zärtlich zu der Katze.
„Hm, nun gut lass es uns versuchen.", sagte Bagala geheimnisvoll.
Balufin nickte ihr langsam zu.
„Also, dann lass uns mal schauen.", sagte der Bär zu Eärdaliene, „Sie werden deinen Freund in ihre
Stadt gebracht haben. Los, das werden wir nun überprüfen."
Balufin legte sich vor Eärdaliene nieder. Die Elbe sprang elegant auf den Rücken des Bären.
„Das kennst du ja nun schon.", sagte er zu ihr, „Festhalten! Bagala folge uns!"
Mit einem gewaltigen Satz war der ehemalige Maiar wieder mit seinem Passagier in den grünen
Tunnel. Nach einiger Zeit, die Eärdaliene länger vorkam, als ihre erste Reise auf diesem
ungewöhnlichen Reittier, nahm die Umgebung wieder Gestalt an. Bagala trottet lässig neben ihnen.
Der Dschungel vor ihnen wurde lichter. Vereinzelt konnte sie Felder durch Bäume erkennen. Ein
Fluss schien sich dahinter durch die Landschaft zu schlängeln. An seinem jenseitigen Ufer lag eine
Stadt.
„Das ist sie, die Stadt der Haradrim.", erklärte Balufin, „Wir müssen bis zur Nacht warten."
Bagala nickte stumm.
„Es ist eh Zeit für ein Schläfchen.", gähnte der Bär, „Sei doch so nett und halt Wache, Bagala."
„Das war mir klar.", schüttelte die Pantherin ihren Kopf und sprang auf einen nahen Ast.
Bald verschwamm sie mit den Schatten des Dschungels.
„Es ist besser du kletterst auch auf einen Baum.", sagte der Bär zu Eärdaliene.
Die Elbe suchte sich einen geeigneten Aufstieg auf einen der nächsten Bäume. In einer hochgelegenen
Astgabel blieb sie sitzen. Sie versank im Gedanken.

„Psst, Kleine.", flüsterte Balufins Stimme.
Eärdaliene erwachte. Ihr war nicht bewusst eingeschlafen zu sein. Sie sah sich um. Die Nacht war
hereingebrochen. In der Siedlung der Haradrim waren vereinzelt Fackelfeuer zu sehen.
„Es ist soweit.", sagte nun Bagala, die vor Eärdaliene auf einen Ast saß, „Wir können weiter."
„Gut, dann mal wieder auf meinen Rücken.", sagte Balufin als die beiden den Boden erreichten.
Balufin trotte langsam aus dem Dschungel. Er folgte den Rändern der Felder, und benutzte das
Gebüsch dazwischen geschickt als Versteck.
„Warum so langsam, Balufin?", wollte Eärdaliene wissen.
Ein unverständliches Knurren drang aus seinem Maul. Er blieb stehen und drehte sich in Richtung
Dschungel. Mit seiner Schnauze deutete er in die Richtung seines grünen Reiches. Er knurrte wieder.
„Ich verstehe.", nickte Eärdaliene, „Außerhalb der Grenze des Dschungels seit ihr nun nur einfache
Tiere. Auch wenn tief in euch noch die Gedanken der Maiar wach sind."
Balufin knurrte bestätigend und fing wieder an in Richtung der Haradrimsiedlung zu trotten.
Eärdaliene war sich sicher, dass Bagala auch in der Nähe war.
‚Die Felder sind verlassen. Niemand zu sehen.', dachte Eärdaliene, ‚Es scheint so als fürchteten sie die
Nähe zum Dschungel.'
Der Fluss mit seinem schilfbestandenen Ufer lag vor ihnen. Auf der anderen Seite war die Stadt nun
deutlich zu sehen. Eine Mauer aus Lehmziegel und Holzbohlen umgab sie. Im Vergleich zu den
eleganten Elbenhäusern auf den fünf Inseln und der Pracht der Hauptstadt der Teleri dort, erschien
Eärdaliene die Stadt ärmlich. Im Inneren der der Stadtmauer erhob sich ein einziges Gewirr aus
rechteckigen Lehmhäusern. Sie schienen auseinander heraus zu wachsen. Ein Haus stand auf dem
Dach des anderen. Die Dächer waren mit Leitern und Planken verbunden. Etwas weiter flussabwärts
führte eine Brücke aus den Feldern zu einem Tor in der Stadtmauer. Es war noch offen. Wachen
patrouillierten davor.
„Über die Mauer kommen wir nicht.", schüttelte Eärdaliene den Kopf, „Wir müssen durch das Tor."
Bagala tauchte neben ihnen auf.
„Bagala du musst erkunden, ob dort nur die Wachen sind.", bat Eärdaliene die Pantherin, „Ich denke
dann habe ich eine Lösung."
Die schwarze Pantherin schaute sie mit ihren tiefgründigen schwarzen Augen an und nickte langsam.
Bagala verschwand in der Dunkelheit und verschmolz mit den Schatten.
„Wir gehen schon mal weiter in Richtung Tor.", sagte Eärdaliene zu Balufin.
Der Bär knurrte uns setzte sich langsam in Bewegung. Er nutzte das Schilf geschickt zu ihrer Tarnung
aus. Kurz vor der Brücke kam Bagala wieder zu ihnen zurück.
„Sind es nur die Wachen?", schaute Eärdaliene die Pantherin fragend an.
Bagala nickte zur Bestätigung.
„Gut, ihr Beide wartet hier, bis ihr seht, das die Wachen weg sind.", sagte sie und stieg von Balufin.
Sie begann in Richtung der Brücke zu gehen. Balufin sprang vor sie und wollte sie aufhalten.
„Glaube mir, Freund, dass ich weis was ich tue.", versicherte sie dem besorgten Bären.
Balufin seufzte kurz und gab den Weg frei. Eärdaliene tätschelte ihm die graue Schnauze und zog die
Kapuze ihrer grauen Elbenrobe tief ins Gesicht. Sie kletterte die Rampe der Brücke vom Ufer aus
empor. Mit gesenktem Kopf schritt sie in der Mitte der Brücke auf das Tor zu.
Die Wachen hatten sie bemerkt und hielten in ihrem Wachgang inne. Sie richteten drohend ihre Piken,
und riefen etwas Unverständliches. Als Eärdaliene keine Anstalten machte stehen zu bleiben, liefen
sie ihr entgegen.
Der Wind trug eine dunkle und schläfrige Melodie über den Fluss zu den wartenden Bagala und
Balufin. Auf der Brücke war Eärdaliene nun in eine Schwärze eingehüllt, wie sie nur eine mondlose
Nacht tief in den Wäldern besitzt. Die Dunkelheit breitete sich in Richtung der Wachen aus. Diese
schienen für einen Moment unsicher was sie tun sollten. Der schwarze Schleier von Eärdalienes Lied
senkte sich über sie. Die Wachen gingen zu Boden. Bagala und Balufin sprangen auf die Brücke.
„Da seit ihr ja.", grinste Eärdaliene sie an und zeigte auf die vor ihnen liegenden Wachen, „Die ruhen
sich eine ganze Weile aus."
Die beiden ehemaligen Maiar sahen die schlafenden Wachen ungläubig an.
„Nun aber schnell.", schaute sich Eärdaliene um, „Bevor uns noch jemand sieht."
Hinter dem Tor lag ein Platz. Er war verlassen. Einige Stände säumten seinen Rand.
„Das ist vermutlich der Marktplatz.", flüsterte Eärdaliene, als sie zwischen den Ständen hindurch
schlichen.
Der Marktplatz breitete sich rechts vom Tor weiter an der Stadtmauer entlang aus.
„Seht!", flüsterte Eärdaliene und deute auf die Stadtmauer.
Wachen näherten sich auf der Mauer dem Tor.
„Wir müssen uns verstecken.", mahnte sie ihre beiden Begleiter, „Sie werden bald die schlafenden
Wachen entdecken."
Ein Ruf durchschnitt die Nacht. Aus dem Gebäude links neben dem Tor liefen weitere Wachen
heraus.
„Schnell jetzt!", rief Eärdaliene.
Die drei schauten sich um. Die Stände an der Stadtmauer, hinter denen sie schlichen, boten wenig
Deckung. Hier würden sie bald aufgespürt werden. Eärdaliene schaute sich um. Die Wachen
begannen den Marktplatz abzusuchen.
„Dort!", flüsterte Eärdaliene und zeigte auf ein Gebäude, das den Markplatz zwischen der Mauer und
dem Berg von Lehmhäusern der Stadt abschloss, „Das Tor dort müsstet ihr überspringen können."
Balufin nickte ihr zu. Mit einem Satz sass die Elbe wieder auf den Bären auf. Sie schmiegte sich ganz
dicht an den Bären. Die Wachen hinter ihnen schienen jeden Stand des Marktplatzes einzeln zu
inspizieren. Sie achteten nicht auf das, was vor ihnen geschah. Balufin und Bagala schlichen vorsichtig
weiter in Richtung des Gebäudes. Das hölzerne Tor wäre für einen Elb zu hoch gewesen, aber Balufin
und Bagala übersprangen es mit Leichtigkeit.
„Was ist das?", sagte Eärdaliene als sie sah, was hinter dem Tor verborgen war.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
57. Hof

Eärdaliene war wie versteinert. Hinter dem Tor lag ein rechteckiger Innenhof. Er war voll mit leeren
Käfigen. Je eine Wache patrouillierten in der Arkade jeder der vier Seiten. Vergitterte Zellen
unterbrachen die Wände der inneren Arkadenwände. Balufin und Bagala drückten sich in den
dunkelsten Winkel hinter dem Tor. Balufin knurrte wütend.
„Schaut aus wie ein Gefängnis.", flüsterte Eärdaliene den beiden zu.
Bagala schüttelte den Kopf. Sie machte ein Zeichen ihr zu folgen und schlich in die nächste Arkade.
Balufin schnaubte missbilligend.
Die Wache dieser Seite entfernte sich gerade von ihnen. Eärdaliene inspizierte die nächstgelegene
Zelle sie war leer. Es blieb ihr wenig Zeit zur nächsten Zelle zu schleichen. Ihr blieb nur ein kurzer
Blick, bevor sie in dem Torgang wieder in Deckung gehen mussten.
„Elben!", flüsterte sie entsetzt, „Das ist … nein … Die Sklaverei?"
Balufin und Bagala nickten ihr beide fast gleichzeitig traurig zu.
„Wir müssen sie befreien.", sagte sie bestimmt, als sie wieder in den Schatten des Torbaus
verschwunden waren.
Balufin schien davon nicht begeistert zu sein. Er gab ein tiefes Knurren von sich.
„Außerdem habt ihr gesagt, dass Aliasan von Sklavenjägern gefangen wurde.", sagte Eärdaliene
eindringlich, „Das heißt, dass er auch hier irgendwo sein müsste. Wir müssen alle Zellen untersuchen.
Also los!"
Eärdaliene wartete ab, bis die Wache ihnen wieder den Rücke zuwendete, dann schlich sie wieder in
die Arkade. Bagala überholte sie. Bevor Eärdaliene einschreiten konnte, setzte Bagala zum Sprung an.
Die Wache hatte gegen den enormen Prankenhieb der Pantherin keine Chance und sank lautlos tot zu
Boden. Bagala knurrte zufrieden.
„Das wäre nicht notwendig…", begann Eärdaliene, „Balufin?"
Der Bär war in die Arkade links vom Tor. Trotz seiner Größe hatte Eärdaliene Mühe den Bären in dem
Zwielicht der Fackeln, die die Arkaden spärlich erhellten, zu sehen. Sie war sich aber sicher, dass auch
die Wache jener Seite eine dicke Überraschung erlebt haben dürfte. Bagala war bereits in der Arkade
gegenüber dem Tor. Die schwarze Pantherin war kaum auszumachen. Eärdaliene hatte keine Zweifel,
dass die Wachen nun alle tot wären und begann die Zellen zu inspizieren. Sie waren alle leer.
Eärdaliene fand Bagala und Balufin vor der Zelle mit den Elben.
„Aliasan ist nirgends.", sagte sie verzweifelt.
Bagala hob ihren Kopf. In ihrer Schnauze hatte sie einen Schlüsselbund. Sie deutete damit auf die
Zelle mit den Elben.
„Du hast recht.", nickte Eärdaliene der Pantherin zu, „Vielleicht wissen sie etwas."
Eärdaliene nahm den Schlüsselbund aus dem Maul der Pantherin und suchte den richtigen Schlüssel
für die Zellentür.
„Ah, der hier!", sagte Eärdaliene, als sich der richtige Schlüssel knirschend im Schloss umdrehte.
Sie wollte gerade die Zelle betreten, als Balufin sich vor sie stellte.
„Gut, dann du zuerst.", gab sie dem Bären zu verstehen.
Balufin und Bagala betraten die Zelle. Eärdaliene konnte erschreckte Stimmen hören.
‚Das reicht.', dachte sie, ‚Sie müssen sich ja nun zu Tode erschreckt haben.'
Eärdaliene betrat die Zelle. Die Elben hatten sich eng in eine Ecke der Zelle gedrängt. Eärdaliene
deutet Balufin und Bagala an, sich in die entgegen gesetzte Ecke zurückzuziehen. Sie ging langsam
auf die Elben zu. Einer der Elben sagte etwas und nahm vor der Gruppe Stellung.
„Ich verstehe sie nicht.", sagte Eärdaliene zu Balufin und Bagala.
Eärdaliene blieb stehen. Sie wollte den Elb nicht weiter provozieren. Langsam nahm sie die Kapuze
ihrer Robe ab. Die Elben gaben einen erstaunten Aufschrei von sich. Selbst das flackernde Fackellicht,
das durch die Türe fiel, ließ das noble und feine Elbengesicht Eärdalienes wie im hellsten
Sonnenschein Ardas erstrahlen. Sie hob beruhigend die Hände.
„Wir tun euch nichts.", sagte sie, „Wir befreien euch."
Die Elben schauten sie fragend an. In der Ecke erhob sich ein Elb. Obwohl es in den spärlichen Licht
und der langsamen Alterung der Elben unmöglich zu sagen war, schien er der älteste Elb in dieser
Zelle zu sein. Die anderen machten im respektvoll Platz, als er sich Eärdaliene näherte. Er musterte
Eärdaliene von oben bis unten.
„… Quendi …?", fragte er ungläubig.

Eärdaliene nickte. Sie erkannte nur die alte Bezeichnung für alle Elben. Was ihr der Elb noch zu sagen
hatte, das verstand sie nicht. Sie wünschte sich nun Aliasan sehnsüchtig an ihre Seite. Vermutlich
würde er sich mit diesen Elben besser verständigen können, als sie. Mithrandir hatte ihn damals viele
Sprachen gleichzeitig gelehrt.
‚Aliasan.' dachte sie niedergeschlagen.
Sie wandte sich Balufin und Bagala zu, die immer noch in ihrer Ecke warteten.
„Ich verstehe sie nicht.", erklärte sie den Beiden, „Ihre Sprache ist komplett anders. Aber ich muss
wissen, ob sie Aliasan gesehen haben. Ich werde etwas versuchen."
Der alte Elb verfolgte ihre Unterredung mit den Tieren intensiv. Er war sichtlich erstaunt, als
Eärdaliene plötzlich zu singen begann. Sie schloss die Augen. Sie versuchte mit ihrer Melodie Aliasan
zu beschreiben. Die endlose Liebe einer Elbe durchflutete den Raum. Aliasan erschien vor ihren
Augen. Sie musste zugeben, dass er etwas größer und stattlicher war, als er in Wirklichkeit war, aber
es war ja auch ihre von Liebe zum ihm erfüllte Vorstellung des Hochelfenmagiers, die ihr Lied besang.
Sie öffnete wieder die Augen. Die Elben sahen alle staunend zu ihr.
„Habt ihr ihn gesehen?", fragte sie die Elben, „Aliasan?"
Die Elben sahen sie noch verwunderter an.
„Ach, sie verstehen mich nicht.", schluchzte Eärdaliene verzweifelt und ging zu Balufin und Bagala,
„Es ist hoffnungslos. Aliasan ist irgendwo anders. Wir haben ihn verloren."
Sie warf sich in das Fell Balufins und begann zu weinen. Bagala schnurrte, als wenn sie Eärdaliene
beruhigen wollte. Eärdaliene spürte wie irgendetwas an ihrer Robe zupfte. Sie drehte sich um. Der
alte Elb stand vor ihr.
„Wer … bist … du?", sagte er langsam mit jedem einzelnen Wort ringend.
„Ich heiße Eärdaliene.", sagte die Elbe langsam, „Meine Heimat ist fern."
„Man nennt mich Landorian.", baute der Elb seinen Satz mühsam zusammen, „Du sprichst sehr altes
Quenya. Meine Erinnerung daran kommt nur sehr langsam wieder."
„Sag mir, Landorian.", fragte Eärdaliene den Elb, „Habt ihr den gesehen, den ich euch vor Augen
führte?"
„Ich habe so etwas noch nie erlebt.", schüttelte Landorian den Kopf als er sich an das Bild Aliasans in
seinen Kopf erinnerte, „Was bist du?"
„Ich bin nur eine einsame Teleri und weit weit weg von zu Hause.", sagte Eärdaliene mit einem
Seufzen.
„Teleri?", stutzte Landorian, „Dann sind wir vom selben Volk."
„Aber dein Name ist kein Teleriname.", schaute Eärdaliene den Elben fragend an.
„Nein, Landorian ist der Name, den ich von den Elben hier bekam.", erklärte er, „Aber das ist einerlei.
Trotzdem verwundern mich deine Fähigkeit und deine beiden Begleiter."
„Ich denke wir haben keine Zeit für lange Erklärungen.", wiegelte Eärdaliene ab, „Ich muss Aliasan
finden."
„Ist das derjenige aus der Illusion?", wollte Landorian wissen.
„Ja, das ist er.", sagte Eärdaliene bestätigend, „Und es ist sehr wichtig, dass ich ihn finde."
Landorian ließ den Kopf hängen und seufzte.
„Bei den Valar, leider weis ich wo er ist.", sagte er.
„Wo ist er?", fragte Eärdaliene ungeduldig.
„Er wurde zum Häuptling der Siedlung gebracht.", erwiderte Landorian.
„Dann muss sich dahin.", sagte Eärdaliene entschlossen.
„Seine Burg ist ganz oben auf dem Wohnberg.", sagte Landorian kopfschüttelnd, „Wie willst du da
hin gelangen?"
Eärdaliene sah Balufin und Bagala an. Die beiden nickten ihr langsam zu.
„Es gibt eine Möglichkeit.", sah sie den Elb überzeugend an, „Wirst du und die Anderen mir helfen?"
„Ich…", begann der Elb, aber als er Eärdaliene ernsten Blick sah, fuhr er fort, „Ich werde die Anderen
fragen."
Er drehte sich um und begann mit den übrigen Elben zu reden.
„Ja, wir helfen dir.", sagte er nach der Unterredung zu Eärdaliene, „Es ist besser durch Kampf in die
Hallen von Mandos zu kommen, als in der Sklaverei elendig zu Grunde zu gehen."
„Sehr gut.", nickte Eärdaliene zufrieden, „Lasst uns aufbrechen."

Die Elben verließen zögerlich die Zelle.
„Sie sollen die toten Wachen suchen, und ihnen die Waffen abnehmen.", sagte Eärdaliene zu
Landorian.
Der Elb gab der Gruppe einige Befehle. Die ausgeschickten Elben kamen kurze Zeit später wieder mit
den Piken und Schwertern der Wachen zurück.
„Nun kommt der schwierigste Teil.", seufzte Eärdaliene, „Wir müssen durch das Tor auf den
Marktplatz. Ich fürchte man hat unseren Eintritt in die Siedlung außerhalb der Sklaverei leider noch
nicht vergessen. Es wundert mich sowieso, dass hier noch niemand gesucht hat."
„Da hattest du vermutlich Glück.", erklärte Landorian, „Der Sklavenmarkt war erst vor Kurzen, und
außer uns Acht, die wir erst nach dem Markt kamen, war hier niemand mehr gefangen. Außerdem
gilt das Tor zur Sklaverei als tabu und unüberwindbar. Ich frage mich wie…"
„Später, Landorian, später erkläre ich dir alles.", lächelte Eärdaliene.
„Nun gut, nun gut.", gab der Elb auf, „Da fällt mir etwas ein."
„Was denn?", horchte Eärdaliene auf.
„Wir haben die Wachen intensiv beobachtet, da wir noch bis vor Kurzen an eine Flucht dachten.",
erklärte Landorian, „Keine Wache durchschreitet das Tor. Es ist wie gesagt ein Tabu. Die Sklaven
werden vom Markplatz herein gescheucht und hier drinnen von den Wachen empfangen. Auch die
Käufer betreten die Sklaverei nicht durch das Tor. Es muss also noch einen anderen Zugang geben.
Wir müssen ihn finden."
„Ich habe die Arkaden abgesucht.", schüttelte Eärdaliene den Kopf, „Außer den Zellen und dem Tor
gibt es hier keine weiteren Türen und Wege."
„Trotzdem, die Wachen wechselten regelmäßig.", sagte Landorian und schaute zum Himmel,
„Eigentlich müsste bald die Mitternachtswachablösung stattfinden."
„Wachablösung?", drehte sich Eärdaliene erschrocken dem Elb zu, „Daran habe ich gar nicht
gedacht."
„Ja, bald.", sagte Landorian, „Dann werden wir ja sehen, wie die Wachen hier rein kommen."
„Wir brauchen einen Plan.", sagte Eärdaliene nachdenklich.
Bagala kam an ihre Seite, und zupfte mit ihrer Tatze an Eärdalienes Robe. Die Elbe sah die Katze an.
Mit einer Tatze deutete diese nach oben.
„Ja, ich versteh. Das ist es.", sagte Eärdaliene zu der Pantherin.
„Du kannst die Tiere verstehen?", sagte Landorian verblüfft.
„Nein, sie verstehen eher mich.", lachte Eärdaliene, „Landorian, die Lösung unseres Problem liegt
oben. Die Bewohner dieser Stadt benutzen Planken und Leitern um sich auf ihrem Wohnberg zu
bewegen. Daher scheint es mir nur allzu wahrscheinlich, dass auch die Wachen und Käufer so in den
Hof hier gelangen."
„Das wäre möglich.", stimmte Landorian langsam nickend zu, „Nun, trotzdem wissen wir nichts über
das Wie."
„Das stimmt.", dachte Eärdaliene nach, „Aber ich denke ich habe einen Plan. Lass die toten Wachen in
eure Zelle bringen. Danach sollen vier von euch wie die Wachen hier unter den Arkaden
patroullieren. Der Rest von euch bleibt ebenfalls in der Zelle. Meine Begleiter und ich werden uns so
gut es geht in den Schatten verstecken."
„Ich erkenne die Absichten deines Plans.", sagte Landorian nicht ganz überzeugt, „Aber es wird
schwierig werden die Anderen davon zu überzeugen. Ich werde es versuchen."
„Es ist nicht mein erster Kampf, Landorian.", sagte Eärdaliene finster.
Der Elb nickte stumm und wandte sich den anderen zu, die etwas abseits von ihnen standen. Er redete
ruhig mit ihnen. Dennoch entstand nach seinen Ausführungen eine lebhafte Diskussion unter den
Elben. Eärdaliene verstand sie nicht. Sie hatte aber den Eindruck, dass Landorian sie langsam aber
sicher überzeugen konnte. Er kam zu ihr zurück.
„Gut, versuchen wir es.", sagte er kurz.
Die Elben begannen die toten Wachen in die Zellen zu tragen. Die vier Ersatzwachen versuchten, so
gut es geht, die Rüstung und Helme der Wachen anzulegen. Sie begannen die Arkaden auf und ab zu
patroullieren.
„Lasst uns hoffen, dass es klappt.", sagte Eärdaliene zu Landorian, als sie die Zellentür hinter ihm
schloß.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
58. Dächer

Aliasan hockte in einem Käfig. Er fühlte sich noch benommen von dem Betäubungspfeil. An Viel
konnte er sich nicht erinnern. Wie ein erlegtes Tier an einer Stange hängend, hatten ihn die
Sklavenjäger der Haradrim in ihre Stadt gebracht. Als sie dort ankamen, konnte er, nachdem das
Gegengift zu wirken begonnen hat, gerade einmal so mühsam wieder gehen. Er würde den
Sklavenjägern die Schläge mit ihren Piken nicht vergessen, mit denen sie ihn durch ein Tor trieben.
Auf der anderen Seite des Tors wurde er von anderen Haradrim gepackt und ihn einen Käfig
gesperrt.
Immer wieder versuchte er seine Fesseln zu lockern, aber seine Hände kamen nicht frei. Er versuchte
sie auch an Kanten des Käfigs durchzuscheuern, aber die Wache, die ihn bewachte, versetzte ihn
immer sofort einen Hieb mit dem Schaft ihrer Pike. Er musste wohl einen anderen Zeitpunkt für seine
Fluchtpläne finden. Momentan war er sich auch noch nicht im Klaren darüber, wie sie überhaupt
aussehen könnten. Ohne seine Hände war die Wirkung seiner Magie sehr beschränkt. Er musste
ausharren.
Aliasan nutzte die Zeit um seine Umgebung zu untersuchen. Der Hof war voll mit Käfigen wie seiner.
Doch diese waren leer. Außer der Wache neben seinem Käfig schienen nur noch eine Handvoll
Wachen in den Innenhof und seinen Arkaden zu sein. Über dem Dach der linken Arkade konnte er
den Wohnhügel emporsteigen sehen, den er bereits vor dem Tor gesehen hatte. Einige Haradrim
stiegen eine Planke zu dem Dach über der Arkade herunter. Eine Leiter wurde in den Hof gesenkt.
Die Haradrim kletterten sie herunter. Aliasan erschienen sie von gehobener Stellung. Ihre Kleidung
war weniger barbarisch als die Lendenschürze der Sklavenjäger. Sie schien nicht für den Kampf
gemacht worden zu sein wie die Rüstungen der Wachen. Es musste sich um eine Art von Gelehrten
oder Herrschern handeln. Sie näherten sich vorsichtig dem Käfig Aliasans.
‚Schade ich verstehe sie nicht.', dachte Aliasan, ‚An diese Sprache hat Mithrandir nicht gedacht.'
Die Haradrim unterhielten sich in harschen und eckigen Tönen. Die Sprache klang in Aliasans Ohren
sehr hart. Er musterte die Neuankömmlinge. Ihre Kleidung und vor allem ihr Schmuck überzeugten
Aliasan davon, dass es sich um Angehörige der herrschenden Schicht handeln musste. Ihre Blicke
untersuchten Aliasan von allen Seiten. Heftig gestikulierend besprachen sie wohl ihre Ergebnisse.
Einer von ihnen sagte etwas zu der Wache. Diese drehte sich um und schloss den Käfig Aliasans auf.
Mit ihrer Pike machte sie klar, dass Aliasan den Käfig verlassen sollte.
Aliasan kroch aus dem Käfig. Er stand langsam auf und versuchte, so gut es seine Fesseln zuließen
Würde und Respekt auszustrahlen. Seine blauen Augen leuchten den Haradrim zornig entgegen.
Diese schienen sich nicht sicher genug zu fühlen, und wichen einige Schritte zurück.
‚Der alte Aliasan hat es immer noch drauf.', grinste er innerlich, ‚Ich bin mit Horuscal fertig geworden.
Das hier stellt nur eine kleine Unannehmlichkeit dar.'
Die Haradrim diskutierten erneut heftig. Einer winkte der Wache. Aliasan spürte einen kurzen Schlag
auf seinen Kopf, bevor Dunkelheit ihn umgab.
Er erwachte wieder in einem Käfig eingesperrt. In seinem Kopf pochte es noch von dem Schlag der
Wache.
‚Lang war ich wohl nicht bewusstlos.', dachte er daher.
Er schaute sich um. Sein Käfig stand in einer Halle. Sie war in der einfachen Lehmbauweise errichtet,
die er bereits vorher im Arkadenhof gesehen hat. Grob behauene Baumstämme gaben dem Ganzen
ein sehr rustikales Flair. Am von seinem Käfig entfernten Ende war ein kleines Podest aus
verschiedenen Knochen und sonstigen Allerlei erbaut. Ein einfacher, aber massiver Holzthron stand
darauf. Der Haradrim darauf hatte eine Rüstung an, die ebenfalls von allerlei Krimskram geschmückt
wurde. Aliasan musste beim Anblick des Helms der Rüstung lachen. Es waren eindeutig zu viele
Tierhörner und Geweihe darauf angebracht. Sein Träger unterhielt sich angeregt mit den vor ihm
knienden Haradrims. Aliasan erkannte seine Begutachter.
‚Das scheint ihr Häuptling zu sein.', dachte er.
Der Häuptling stieg von seinen Thron. Die Haradrims machten ihm respektvoll Platz. Er kam langsam
auf Aliasan zu, und stellte sich breitbeinig vor den Käfig. Er sah Aliasan lange an, dann lachte er ein
tiefes, kehliges Lachen. Es klang nach Hohn und Spot. Er rief seinen Beratern etwas zu. Diese nickten
nur wortlos. Sie verließen die Halle. Der Häuptling schritt zurück zu seinem Thron. Er nahm eine
Fleischkeule die neben dem Thron auf einer Platte lag, und begann laut schmatzend zu essen.

Eärdaliene musterte den als Haradrimwache verkleideten Elb, als er an ihr vorbeiging.
‚Überzeugend ist das nicht.', dachte sie seufzend, ‚Aber es muss genügen. Das spärliche Licht sollte
helfen.'
Über ihr hörte sie auf einmal Schritte und ein Scharren. Etwas Schweres wurde auf dem Dach über ihr
gezogen. Eine Leiter senkte sich in den Burghof. Vier Wachen kletterten an ihr herunter. Sie riefen
irgendetwas. Sie schauten sich um. Die Elben schritten weiter die Arkaden ab.
‚Verdammt, sie erwarten scheinbar eine Antwort.', dachte Eärdaliene.
Die Wachen gingen auf die Elben zu.
‚Gut, sie trennen sich.', dachte Eärdaliene erleichtert.
Die Wachen riefen ihren vermeintlichen Kollegen noch einmal etwas zu. Die ausbleibende Antwort
lies sie ihre Schwerter zücken.
Der Haradrim ging auf den Elben zu, der in der Arkade die Wache mimte, in der Eärdaliene sich
hinter einer der Arkadensäulen versteckt hatte. Er ging knapp an ihr vorbei. Er drehte sich noch kurz
erstaunt zu Eärdaliene um, als er eine einlullende Melodie in seinem Ohr hörte.
‚Der schläft.', lächelte Eärdaliene.
Sie wusste die drei anderen Wachen hätten weniger Glück. Ein kurzes Klirren aus der Arkade, die
Balufin übernommen hatte, deute auf das überraschende Ende der Wache dort hin. Aus der Richtung
von Bagala war nichts zu vernehmen. Doch plötzlich sprintete ein schwarzer Schatten über den Hof.
Die Nummer drei war wohl auch tot.
‚Gut, die letzte Wache sollte auch erledigt sein.', dachte Eärdaliene gerade, als die Wache auf den Hof
stürzte und etwas rief.
Balufin rannte aus seiner Arkade und stürzte sich auf sie. Die Wache verstummte. Eärdaliene lief
besorgt auf dem Hof und sah sich um. Erleichtert sah sie keinerlei Reaktionen auf den Dächern der
Arkaden.
‚Bagala!', dachte Eärdaliene besorgt, und lief in die Arkade.
Die Pantherin lag am Boden. Balufin kam herangelaufen. Er betrachtet die Katze sorgenvoll.
Eärdaliene untersuchte Bagala. Die Wache hatte es geschafft Bagala mit ihrem Pikenschaft zu
betäuben. Balufin knurrte mitleidig.
„Nein, Balufin, sie ist nicht tot.", sagte Eärdaliene beruhigend zu dem Bären, „Aber ich denke sie wird
große Kopfschmerzen haben."
Eärdaliene lief zu dem Elben der nahe am Boden lag.
„Er hat weniger Glück gehabt.", sagte die Elbe traurig und verschränkte kniend ihre Arme um den
Toten zu ehren.
Ein schwaches Knurren war von Bagala zu hören. Die Pantherin erhob sich langsam wieder.
„Kommt ihr beiden.", rief ihnen Eärdaliene zu, „Zu den Elben."
Sie fanden die Zellentür der Elben bereits wieder offen. Die drei übrigen Ersatzwachen waren zurück
bei Landorian und dem Rest.
„Leider haben es nur drei geschafft.", berichtet Eärdaliene Landorian, „Euer vierter Kamerad liegt
dort drüben. Er ist auf der Reise in die Hallen Mandos."
Landorian lies den Kopf hängen. Er zog sich in eine Ecke zurück. Er setzte sich und schlug die Hände
vor das Gesicht. Die anderen Elben hatten ihren toten Kameraden bereits in die Zelle gebracht. Sie
legten ihn sachte vor Landorian ab. Er nahm ihn in seinen Schoß und streichelte sein Gesicht.
„Er war einer meiner Söhne.", sagte er unter Tränen, „Ausgerechnet der Jüngste."
Ein weiterer Elb setzte sich zu Landorian. Er flüsterte ihm etwas ins Ohr. Landorian sagte einige
Worte zu ihm.
„Die hier ist mein ältester Sohn.", sagte Landorian und deutet auf den Flüsterer, „Er verlangt Rache."
„An wem will er sich rächen?", fragte Eärdaliene, „Die Wache, die seinen Bruder erschlug, ist
ebenfalls tot."
„An dir.", sagte Landorian trocken.
„Mir?", sagte Eärdaliene erschrocken und wich von den beiden zurück.
„Ja, denn dein Plan hat ihn uns geraubt.", erklärte Landorian, „Er sagt, dass erst als du kamst der
Ärger begann. In der Sklaverei hätten wir schon überlebt, oder eine bessere Fluchtmöglichkeit
gefunden. Aber ich sagte ihnen vorhin, dass noch kein Elb lange die Sklaverei ertragen hätte. Ich habe
ihn noch einmal daran erinnert. Er ist fürs Erste besänftigt. Trotzdem wäre ich an deiner Stelle in
seiner Gegenwart in Zukunft vorsichtig."
Eärdaliene nickte nur stumm und verließ die Zelle. Sie suchte die schlafende Wache, um sie zu fesseln
und zu knebeln. Balufin zerrte die Wache in die Zelle der Elben.

Die Holme der Leiter waren zwei dicke Baumstämme. Ihre Sprossen bildeten mit Lederriemen
angebundene Äste. Sie waren von vielen Schuhen blank poliert. Eärdaliene besah sie mit Skepsis.
Vorsichtig stieg sie die Leiter hinauf. Landorian folgte ihr. Es hatte ihm noch mehr Überredung
gekostet, die restlichen Elben zum Weitermachen zu bewegen, aber nun würde sie wohl, wenn sie
blieben, der sichere Tod erwarten. Die vielen getöteten Wachen könnten sie nicht erklären. Eärdaliene
kletterte auf das Dach. Bagala erwartete sie bereits dort. Nachdem Balufin als Letzter mit einem
missmutigen Knurren die Leiter heraufgekommen war, begannen die Elben die Leiter auf das Dach zu
ziehen.
„Ab jetzt müssen wir immer nach oben.", erklärte Landorian.
Verschiedene Planken und Leitern führten vom Dach der Sklaverei zu den angrenzenden Dächern
nach oben oder nach unten auf den Marktplatz. Die Wände der Lehmhäuser hatten keine ersichtlichen
Fenster nach außen.
„Versuchen wir die dort.", sagte Eärdaliene und deutete auf eine Leiter, die wie die aussah, welche sie
gerade eingeholt hatten.
Bagala kletterte wieder voraus. Am oberen Ende der Leiter blieb sie stehen und duckte sich.
„Bagala, was ist?", flüsterte Eärdaliene.
Die Pantherin drehte sich zu ihr um und fletschte die Zähne. Eärdaliene stieg vorsichtig zu ihr hinauf
uns spähte über die Mauer. Vor ihr lag ein Hof ähnlich wie der, den Sie gerade verlassen hatten. Um
einen Innenhof waren verschiedene Räume angebracht.
„So viele Wachen.", flüsterte Eärdaliene, „Es ist scheinbar ihre Kaserne."
Geräuschlos stiegen die Elbe und die Pantherin wieder die Leiter herunter.
„Das ist der falsche Weg.", sagte Eärdaliene zu Landorian, „Wir müssen einen anderen versuchen."
„Wir haben uns die verschiedenen Wege einmal angeschaut.", begann Landorian, „Es gibt Planken
und Leitern. Die Planken scheinen massiver und auch häufiger benutzt zu werden als die Leitern. Ich
denke sie stellen die Hauptwege dar."
Eärdaliene betrachtete die Planken. Sie waren aus dicken Holzbrettern. Auf der Oberseite waren
Querlatten angebracht, die als Tritthilfen dienten.
„Du hast Recht.", nickte Eärdaliene dem Elb zu, „Sie führen auch nicht auf die Dächer, sondern auf
Nischen und Terrassen zwischen den Häusern. Gut dann nehmen wir die da vorne gleich."
Die Planke führte zu einer Terrasse, die um ein Haus herumführte.
‚Hoffentlich schaut niemand hier rauf.', dachte Eärdaliene mit Sorge an die Wachen, die den
Markplatz abgesucht hatten. Aber es war nun schon einige Zeit her, und sie hoffte, dass sie
mittlerweile die Suche nach dem potentiellen Eindringling aufgegeben hätten.
Sie schlichen dicht gedrängt an der Hauswand über die Terrasse. Am anderen Ende erwartete sie
wieder eine Planke, die dieses mal in eine Nische zwischen zwei Häusern führte, bevor eine weitere
Planke weiter nach oben führte.
„Die Haradrim scheinen nicht sehr nachtaktiv zu sein.", flüsterte Eärdaliene zu Landorian.
„Ja, das ist wohl unser Glück.", antwortete er.
Planke um Planke stieg der Trupp nach oben. Der Wohnhügel verjüngte sich nach oben. Sie kamen
auf der letzten Terrasse vor der Burg an. Sie umgab das quadratische Plateau, auf dem sich die
Gebäude der Burg befanden, auf allen vier Seiten. Auf ihrer Seite sahen sie keine Planke die auf das
Plateau führte. Sie gingen weiter zu einer der Kanten. Eärdaliene schaute vorsichtig um die Ecke. In
der Mitte dieser Seite war eine Planke. Zwei Wachen standen davor.
„Verdammt!", flüsterte Eärdaliene, „Wachen!"
Bagala riskierte auch einen Blick auf die Situation. Sie knurrte Balufin kurz etwas zu, bevor sie den
Weg wieder zurücknahm. Balufin stellte sich an das Eck.
„Balufin, was habt ihr vor?", erkundigte sich Eärdaliene.
Der Bär sah sie an und schüttelte den Kopf.
„Nun gut, ich hoffe ihr wisst, was ihr tut.", nickte Eärdaliene.
Balufin stürmte um die Ecke. Die Wachen riefen etwas.
„Schnell mir nach!", rief Eärdaliene den Elben zu.
Sie liefen alle auf die Planke zu. Balufin hatte die Wache bereits niedergestreckt. Bagala, die einmal
um das gesamte Burgplateau geschlichen war, hatte die andere Wache getötet. Die Beiden waren
bereits die Planke hinaufgestürmt. Eärdaliene konnte Kampflärm hören.
„Balufin! Bagala!", schrie sie entsetzt und rannte die Planke nach oben.
Landorian und die Elben folgten ihr.

Auf dem Plateau war ein heftiger Kampf entbrannt. Soldaten der Haradrim waren in Stellung
gegangen. Sie schienen nur auf die Elben und ihre Begleiter gewartet zu haben.
„Ein Falle!", rief Eärdaliene allen zu, „Schnell wieder nach unten."
Sie drehte sich um. Die Planke war weg. Auf der Terrasse um das Plateau hatten nun auch Soldaten
Stellung genommen.
„Wir sind verloren!", jammerte Landorian.
„Nein!", schrie Eärdaliene wütend und begann ein Lied singen.
Abermals breitet sich schläfrige Dunkelheit um sie aus. Eärdaliene brach aber ab, als sie sah, dass
Freund und Feind davon betroffen waren. Sie entriss einem Elb sein Schwert und stürmte auf die
Soldaten zu.
Balufin und Bagala kämpften wie die Furien. Um sie herum lagen bereits viele getötete Soldaten.
Plötzlich wichen die Soldaten zurück. Balufin und Bagala setzten ihnen nach, als ein wahrer
Pfeilregen auf sie niederprasselte. Auf den Dächern der Gebäude des Plateaus hatten inzwischen
Bogenschützen Stellung bezogen. Balufin und Bagala brachen unter den enormen Pfeilschauer
zusammen.
„Balufin! Bagala!", schrie Eärdaliene und lief zu den beiden leblosen Körper.
Die Pfeilschützen hatten ihr Feuer eingestellt. Die Soldaten begannen die Elben und Eärdaliene
einzukesseln.
„Freunde!", rief Eärdaliene, als sie sich vor Balufin und Bagala auf den Boden schmiss.
Blut sickerte aus den tiefen Wunden, die die vielen Pfeile in die Körper der beiden Tiere gerissen
hatten. Bagala schaute Eärdaliene noch kurz an, dann verlosch der Glanz in den Augen der Pantherin.
Balufin hob Eärdaliene seine Schnauze entgegen und knurrte zufrieden. Es klang fast wie ein Lied.
Sein Kopf sank leblos zu Boden.
Eärdaliene kniete vor den Beiden und kreuzte die Arme. Sie begann ein Trauerlied zu singen. Jeder
Elb spürte ihre tiefe Trauer über den Verlust der beiden treuen Begleiter. Eärdaliene merkte es nicht
wie starke Hände sie packten und fesselten. Sie lies sie einfach gewähren. Sie war am Ende ihrer Kraft.
Landorian und die anderen Elben hatten den Kampf nicht begonnen. Sie wurden nun von Soldaten in
Richtung der großen Halle auf dem Plateau getrieben. Zwei weitere Soldaten schleppten Eärdaliene
zwischen sich heran. Ein mit verschiedenen Skeletten geschmücktes Portal bot Zutritt zur Halle. Die
Soldaten stießen ihre Gefangenen hindurch.
„Eärdaliene!", schrie Aliasan aus seinem Käfig.
Die Elbe regte sich nicht.
„Was habt ihr mit ihr getan, ihr Barbaren.", tobte Aliasan in seinem Käfig, „Wehe euch, wenn ich hier
herauskomme."
Die Soldaten trieben die Elben weiter zum Thron in der Halle.
„Nun reicht es mir!", rief Aliasan, „Ihr habt meine Kräfte durch meine Wut zu euch wieder entfacht."
Ein kleiner blauer Funke entfuhr seinem Finger und setzte die Seile seiner Fesseln in Brand. Aliasan
machte eine kurze Bewegung mit den Händen. Der Käfig zersplitterte in tausende von Teilen.
„So nun zu euch!", verhöhnte er die Soldaten, die auf ihn zu liefen, aber plötzlich in ihrem Ansturm
wie versteinert erstarrten.
„Aliasan, halte ein!", sagte eine sanfte Stimme in seinem Rücken.
Aliasan drehte sich um. Ein Elb und eine Elbin kamen langsam durch das Portal geschritten. Sie
waren in prächtige lederne Jagdgewandung gekleidet, und trugen silberfarbene Bögen. Ein grüner
Schein umgab sie. Aliasan betrachte die Beiden voll Staunen. Ihre Schönheit war perfekt. Aliasan
dachte, dass er in Eärdaliene bereits Perfektion erblickt hätte, doch diese beiden Elben überstrahlten
ihre Schönheit wie die Sonne den Mond.

„Wer seit ihr?", fragte der Magier stotternd.
„Kennst du den alten Balufin nicht mehr, du Langweiler?", grinste ihn der Elb an.
„Ihr seit…?", begann Aliasan ungläubig.
„Ja, wir sind Balufin und Bagala.", sagte die Elbe, „Die Valar haben uns verziehen."
„Nun sind wir wieder Maiar.", ergänzte Balufin, „Und können heimkehren nach Valinor."
„Doch zuerst haben wir hier noch etwas zu erledigen.", nickte Bagala dem Hochelf zu, „Aliasan, dein
Kommen hat in uns den schwachen Funken der Hoffnung auf Erlösung geweckt. Eine alte
Prophezeiung sprach von einem, der nicht der unsere ist. Ihm sollten wir beistehen. Dann würde uns
eventuell verziehen."
„Das stimmt, meine Liebe.", sagte Balufin, „Allerdings sagte niemand, dass wir dafür sterben müssen.
Aber hat ja alles geklappt. Und Spaß hatten wir auch noch dabei."
„Ach, du alter Aufschneider.", murrte Bagala, „Mach nur so weiter, und wir …"
„Lass uns nicht streiten.", lächelte Balufin sie an, „Wie du sagtest haben wir hier noch etwas zu tun,
bevor wir endlich wieder die ewigen Lande betreten dürfen."
Bagala schritt die erstarrten Soldaten ab. Erst jetzt fiel Aliasan auf, dass auch die Elben und selbst
Eärdaliene erstarrt waren. Bagala berührte Eärdalienes Stirn mit einem Finger. Ein Lied, dass von
Hunderten von Vögeln gesungen zu schein schien, erklang für einen kurzen Augenblick. Eärdaliene
erwachte. Elegant befreite sie sich aus dem Griff der beiden Haradrimsoldaten, die sie in die Halle
geschleppt hatten. Sie schaute Bagala fragend an.
„Du bist Bagala?", flüsterte sie fast ehrfürchtig.
„Ich sehe du erinnerst dich.", schmunzelte die Maiar, „Im Gegensatz zu deinem Geliebten erkennst du
auch die wahre Natur der Geschöpfe Illuvatárs."
„Aliasan?", rief Eärdaliene besorgt, „Wo ist er?"
„Ich bin hier, Liebste.", rief Aliasan, der vom Ende der Halle auf sie zugelaufen kam.
„Ja, und ich auch.", grummelte Balufin, „Danke der Nachfrage."
Eärdaliene lief ihm entgegen und lies sich in seine ausgebreiteten Arme fallen. Aliasan drückte sie
leidenschaftlich an sich und hob die zarte Elbe dabei hoch.
„Endlich sind wir wieder zusammen.", sagte der Hochelf erleichtert, als er mit Eärdaliene in seinen
Armen herumwirbelte.
„Ja, endlich.", hauchte Eärdaliene dem Hochelf ins Ohr.
Bagala und Balufin traten an die beiden Liebenden heran.
„Was ist mit ihnen passiert?", fragte Eärdaliene als sie die erstarrten Haradrim und Elben sah.
„Das genau zu erklären dürfte zu lange dauern.", sagte Balufin, „Du weist doch sicher um die Macht
der Valar und Maiar, Matrone von Ulmos Hain?"
„Ja.", antwortete Eärdaliene verlegen, „Nur ist es lange her, dass die Maiar oder gar Valar in die
Schicksale der Kinder Illuvatárs eingegriffen haben."
„Das tun wir auch jetzt nur sehr gering.", erklärte Bagala, „Allerdings wurde uns gestattet euch beide
und die Elben hier zu retten. Doch Eile ist geboten, sonst werden die Lieder Ardas zu stark gestört."
Balufin war bereits zu den ersten der verbliebenen Elben gegangen. Er berührte ebenfalls mit dem
Finger die Stirn des Elbs. Doch statt zu erwachen, schien der Elb hinter dem Maiar zu traumwandeln.
„Es ist besser sie bekommen nicht zuviel mit.", grinste er.
Als er alle Elben von der Starre befreit hatte, kam er mit seinen Schlafwandlern wieder zurück zu
Bagala, Aliasan und Eärdaliene.
„Sie werden sich an nichts erinnern.", erklärte er, „Für sie war eure Flucht auf irgendeine Weise
erfolgreich. Sie werden nicht darüber nachdenken, wie es genau war. Denkt euch schon mal eine
hübsche Geschichte ohne uns Maiar aus."
„Nun ist es aber an der Zeit Lebewohl zu sagen.", sagte Bagala.
„Ja, leider muss ich ihr Recht geben, obwohl ich noch das ein oder andere Lied gerne mit dir gesungen
hätte.", lächelte Balufin Eärdaliene an, „Also macht euch bereit. Wir …"
„Halt wartet!", rief Aliasan plötzlich aufgeregt, „Dort!"
Er begann in Richtung des Throns des Häuptlings zu laufen.
„Aus meinem Käfig konnte ich nicht hinter den Thron sehen.", erklärte er mit einem Glänzen in den
Augen, „Aber nun seht, was hier an dem Thron lehnt!"
Aliasan ergriff den Stab. Die Kristalle begannen rot zu leuchten.
„Sie müssen ihn am Strand gefunden haben.", schüttelte Eärdaliene ungläubig den Kopf.
Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie Bagala und Balufin sich zunickten. Sie begannen auf
Eärdaliene und Aliasan zuzugehen und sangen dabei ein Lied. Es klang nach Abschied. Jeder der
Maiar reichte den beiden eine Hand. Ohne eine Frage ergriffen Eärdaliene und Aliasan die
ausgestreckten Hände. Ein grüner Schimmer hüllte sie und die anderen Elben ein. Der Schimmer
wurde so stark, dass Eärdaliene und Aliasan die Umgebung nicht mehr sahen. Nach einem kurzen
Augenblick verblasste der Schimmer.
Eärdaliene und Aliasan hörten den Wind ein letztes „Lebt wohl!" der beiden Maiar flüstern.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zurück