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Doch so voluminös der optische Eindruck der 3D-Fassung ist, so eindimensional und berechenbar verläuft die Story, die man ohne Verluste auf die halbe Filmlänge hätte verdichten können. Cameron hat den Pocahontas-Stoff in den Regenwald eines fremden Planeten verfrachtet, ohne ihm eine spannende Wendung zu verpassen oder die Handlung mit vielschichtigen Charakteren zu unterfüttern, wie es etwa die Pocahontas-Adaptionen "Der mit dem Wolf tanzt" oder "Last Samurai" zuvor geschafft hatten.
Hauptdarsteller Sam Worthington, der schon in Terminator 4 nicht sonderlich überzeugte, nimmt man den desillusionierten und querschnittsgelähmten Kriegsveteran kaum ab, dafür wurde seine Rolle im Drehbuch zu glatt und klischeehaft angelegt. Eigentlich ist schon nach seinen ersten Schritten in seinem neuen Avatar-Körper klar, dass er fortan am liebsten in diesem neonbunt leuchtenden Garten Eden herumhüpfen würde. Auch die inzwischen 60-jährige Sigourney Weaver schlüpft in einen jungen kräftigen Avatar-Körper. Doch was ein wunderbares Fundament für einen Diskurs über Körperlichkeit und Jugendwahn abgegeben hätte, versandet in einer kurzen Reprise-Vorstellung ihrer Rollen aus "Aliens" und "Gorillas im Nebel". Einzig Zoe Saldana, die bereits als Uhura in Star Trek auf sich aufmerksam machte, sticht als spröde wilde Neytiri aus dem ansonsten belanglos und holzschnittartig aufspielenden Ensemble hervor. Wenn Anfang März die Academy Awards vergeben werden, darf Avatar auf Preise für sein Szenenbild, visuelle Effekte, Kamera und Schnitt hoffen, aber sicherlich nicht in den Hauptkategorien Film, Regie, Drehbuch oder schauspielerische Leistungen.
Wer jedoch ins 3D-Kino geht, um einen Science-fiction-Film zu sehen, wird enttäuscht sein. Avatar ist vielmehr ein in den Farbtopf gefallener Indianer-Film mit klassischen Western-Elementen. Die Na'vi haben wenig Außerirdisches an sich, sondern kommen einem mit ihrer an hiesige Naturvölker erinnernden Stammeskultur frappierend vertraut vor. Die wilden Pferde wurden gegen Urzeitvögel getauscht, und ihre Haut ist nicht rot, sondern blau – sonst bleibt alles beim Alten.
Statt die Neugier der Zuschauer durch eine geheimnisvolle Alienrasse zu wecken, badet Avatar in stereoskopischen Stereotypen. Cameron beschränkt sich auf einen schnörkellosen Haupthandlungsstrang, den man leicht mit spannenden Intrigen und glaubwürdigeren Charakteren hätte würzen können. Nach einer Stunde hat man sich an der bunten Fauna des Planeten satt gesehen und ahnt das unvermeidliche Ende mit seiner großen Schlacht im festlich beleuchteten Regenwald, bei der Pfeil und Bogen über Raumschiffe und Maschinengewehre triumphieren, bereits voraus. Dazu noch ein mit kitschigen Ethno-Rhythmen untermalter Abspannsong mit den Harmonien von "My Heart will go on", und Weihnachten kann kommen. (
hag)
Meinung zu Avatar auf Heise