(aus Titanic)
Ach, Harald Martenstein!
Da fragten wir uns, warum Ihr Zeit-Beitrag »Schluß mit der Tugendrepublik Deutschland« als gar so langatmiges, quälendes, drei Riesenseiten füllendes Dossier daherkam anstatt wie gewohnt als langatmiger, quälender Einseiter, und konträrfasziniert begannen wir, uns durch Ihr Gemäkel zu quälen: über die Gesundheitsdiktatur (»Wir sollen hundert werden. Das ist beinahe schon eine staatsbürgerliche Pflicht«), über den Gewissensterror (»Wenn mehrere Tugendwächter zusammenkommen, entsteht der Mob«) und über Gerechtigkeit im allgemeinen (»Der Versuch, eine vollkommen gerechte Gesellschaft zu errichten, kann aber nachweislich im Stalinismus enden«). Wir wollten schon wegdösen, als es im letzten Absatz dann doch noch interessant wurde: »Es gibt ein Thema, das ich als Kolumnist seit Jahren behandeln wollte, aber ich hatte ein bißchen Angst davor. Dieses Thema sind die Behindertenparkplätze.« Es gebe nämlich »in Deutschland offenbar nicht genügend Behinderte, um von den Parkplätzen auch nur annähernd Gebrauch zu machen. Nun könnte man sagen, daß dies ja genau der Sinn eines solchen Angebots sei, der behinderte Mensch soll jederzeit sicher sein können, in der Nähe seines Zieles Parkraum vorzufinden.« Könnte man sagen, wenn man nicht Martenstein wäre: »Auf der anderen Seite weiß man, daß die meisten Behinderten gerne behandelt werden möchten wie andere Leute auch. Daß man bei der Parkplatzsuche auch mal eine Enttäuschung erlebt, so was ist doch eine allgemein menschliche Grunderfahrung der Moderne.«
Da brauchen Sie, Martenstein, also zweidreiviertel Seiten Vorlauf über die tausendmal gelesenen Auswüchse einer freudlosen Tugendrepublik, um endlich Ihren jahrelang aufgeschobenen Frust über das Privileg »jederzeit sicherer« Behindertenparkplätze loszuwerden, die Ihnen zufolge nicht nur Platz wegnehmen, sondern in Wahrheit – ha! – behindertenfeindlich sind. Weil sie arme Krüppel diskriminieren, die von der »allgemein menschlichen Grunderfahrung« ausgeschlossen werden, ihre Autos vier Straßen weiter parken zu müssen.
Zum Mitschreiben, Martenstein: Die Behinderten kriegen ihre stets verfügbaren Parkplätze, um genauso schnell am Ziel zu sein wie die Unbehinderten. Denen macht es nämlich weniger aus, vier Straßen zurückzuspazieren. Anders ausgedrückt: Stellen Sie sich vor, Ihnen würde man den Dauerparkplatz direkt am Ressentiment wegnehmen. Sie müßten dann jedes Mal erst mühsam durch komplizierte Gedankengänge kurven – nur um sich danach wieder mit Ach und Weh zum Nächstliegenden zurückzuschleppen!
Wie? Das tun Sie schon jetzt? Und wollen deshalb endlich als schreibbehindert anerkannt werden?
Dann wollen wir nichts gesagt haben:
Titanic